Die Gärtnersche Fettmilch

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Titel: Die Gärtnersche Fettmilch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 414–415
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Gärtnersche Fettmilch.

Ein neuer Fortschritt auf dem Gebiete der Kinderernährung.


Millionen Säuglinge sind heute infolge von socialen oder gesundheitlichen Behinderungsgründen der Mütter auf künstliche Ernährung angewiesen und so wird die Kuh immer mehr zur Amme der Menschheit. Dazu ist sie aber von der Natur nicht geschaffen. Die Erfahrung lehrt, daß reine Kuhmilch den Säuglingen nicht bekommt, und die Wissenschaft hat die Ursachen dieser Erscheinung aufgehellt. Die Zusammensetzung der Menschenmilch ist eine andere als die der Kuhmilch. Vielfache chemische Untersuchungen haben gelehrt, daß die Frauenmilch 3,1% Fett, 1,7% Käsestoff und 6,2% Milchzucker enthält, während wir in der Kuhmilch 2 bis 5% Fett, 3,6% Käsestoff und 4,8% Milchzucker vorfinden. Wir sehen daraus, daß die Kuhmilch reicher an Käsestoff (Eiweißkörpern) und ärmer an Zucker als die Menschenmilch ist, während ihr Gehalt an Fett Schwankungen unterworfen ist, die von der Rasse und Fütterungsweise der Kühe sowie anderen Nebenumständen abhängen. Diese Unterschiede gleichen sich jedoch aus, wenn man die Milch verschiedener Kühe zusammenmischt, und diese „Mischmilch“, wie sie in den Handel gebracht wird, hat in der Regel etwas über 3% Fett, unterscheidet sich also in dieser Hinsicht nicht wesentlich von der Muttermilch.

Was nun den Genuß reiner Kuhmilch für die Säuglinge besonders unbekömmlich gestaltet, ist vor allem ihr hoher Gehalt an Käsestoff, der außerdem nicht genau so beschaffen ist wie die Eiweißkörper der Muttermilch. Der in zu großen Mengen in den Säuglingsmagen eingeführte Kuhkäsestoff gerinnt zu großen Klumpen, beschwert die Verdauungsorgane und giebt Anlaß zu deren Erkrankung. Frühzeitig hat man sich darum entschlossen, die zur Ernährung der Säuglinge bestimmte Kuhmilch mit Wasser zu verdünnen. Vermischen wir z. B. reine Kuhmilch mit gleichen Teilen Wasser, so wird das Gemenge nur 1,8% Käsestoff enthalten, also in dieser Hinsicht der Muttermilch nahezu gleich sein, leider aber wird es zugleich arm an Milchzucker und Fett. Das waren schwere Nachteile, und besonders ungünstig erwies sich der geringe Fettgehalt der verdünnten Kuhmilch. In derselben schwebt das Fett in Gestalt feinster Kügelchen oder ist in ihr, wie der wissenschaftliche Ausdruck lautet, in Form der Emulsion vorhanden. Für die Ernährung des Säuglings ist diese Thatsache von höchster Bedeutung, denn nur in dieser Form kann der kindliche Darm das Fett auffangen und für den Körper verbrauchen. Nun aber gewährt das Fett der Muttermilch dem Säugling gerade die Hälfte aller Kraftquellen. Genaue Berechnungen haben ferner gezeigt, daß der Säugling durchschnittlich in der Muttermilch 25 Gramm Fett zu sich nimmt, während ihm in der verdünnten Milch unter Umständen nur 6 bis 8 Gramm Fett zugeführt werden. Es ist also klar, daß man das Flaschenkind dadurch gewissermaßen auf Hungerkost setzt und daß nur kräftig veranlagte Kinder diesen Mangel an natürlicher Nahrung überwinden, bis ihre Verdauungsorgane zur Aufnahme und Verarbeitung anderer Nährstoffe geeignet geworden sind.

Man war aus diesen Gründen aufs eifrigste bestrebt, den Fettgehalt der verdünnten Säuglingsmilch zu erhöhen. Verschiedene Wege wurden zu diesem Ziele eingeschlagen und vor allem erreichte man gute Erfolge, indem man der verdünnten Milch Rahm zusetzte. Vollkommen waren jedoch diese Ersatzmittel nicht, weil in dem Rahm die Form der Emulsion gestört ist und in ihm die Fettkügelchen bereits zu größeren oder kleineren Fettklumpen zusammenkleben. Auch fiel der teure Preis solcher Rahmgemenge schwer ins Gewicht. Erfreulicherweise ist es neuerdings dem Dr. Gustav Gärtner, Professor an der Wiener Universität, gelungen, die Frage in höchst praktischer Weise zu lösen.

Seit etwa zwanzig Jahren sind in den Molkereien Maschinen eingeführt, die das Abrahmen der Milch in kürzester Zeit besorgen: die Milchseparatoren oder Milchcentrifugen. Ihr Hauptbestaudteil ist die Trommel, ein aus Stahl oder starkem Kupferblech gefertigtes Gefäß, das auf einer senkrechten Achse steht und durch mechanische Vorrichtungen in rascheste Drehungen (4000 bis 8000 Umdrehungen in der Minute) versetzt werden kann. Gießt man in die Trommel Milch hinein und versetzt die erstere in Bewegung, so schichtet oder rahmt sich die Milch in wenigen Sekunden auf. Die Centrifugalkraft schleudert alle schweren Teile der Milch nach außen, während die leichteren am inneren Rande der Trommel verbleiben. Die leichteren Teile sind aber eben die Fettkügelchen. Bei dem Centrifugalbetriebe fließt nun die frische Milch fortwährend durch ein Zuflußrohr in die Trommel und verläßt dieselbe durch zwei Oeffnungen: die eine ist am äußersten Rande der Trommel angebracht, die andere an der inneren Wand. Durch die erstere fließt die Magermilch, durch die letztere der Rahm ab. Die letztere Oeffnung kann man nun beliebig einstellen und durch sie einen dicken Rahm oder mehr oder weniger fettreiche Milch abfließen lassen. Diese Maschinen verwertete Professor Gärtner, um eine gute Säuglingsmilch zu bereiten. Er schildert das Verfahren mit etwa folgenden Worten:

Die frisch gemolkene Kuhmilch wird durch Zusatz von Wasser verdünnt, bis der Käsestoffgehalt dem der Muttermilch gleicht. Das Gemenge wird centrifugiert und die Centrifuge so eingestellt, daß die aus dem Rahmrohre abfließende Milch den Fettgehalt der Muttermilch besitzt.

Sollen beispielsweise 50 Liter einer Vollmilch, die einen Fettgehalt von 3,5% und einen Käsestoffgehalt von 3,6% aufweist, in Kindermilch verwandelt werden, so setzt man der Milch 50 Liter Wasser zu und stellt die Centrifuge so ein, daß aus dem Magermilch- und aus dem Rahmrohre in der Zeiteinheit gleich viel ausfließt. Man bekommt demnach 50 Liter fetter und 50 Liter magerer Milch. Die Verteilung des Käsestoffes wird durch die Centrifuge nicht beeinflußt, wohl aber die des Fettes, indem die Magermilch höchstens 0,2% davon enthält, alles andere Fett aber im Rahm enthalten ist. Die beiden die Centrifuge verlassenden Milcharten haben demnach folgende Zusammensetzung:

  Käsestoffgehalt      Fettgehalt
 1. Magermilch 1,8 % 0,2 %
 2. Rahm- oder Fettmilch   1,8 % 3,3 %
  0 (Gute Ammenmilch 1,7 % 3,1 %)

Das aus dem Rahmrohr abfließende Produkt hat also die Zusammensetzung der Menschenmilch, oder es läßt sich durch entsprechende Abstufung der Verdünnung und durch die Einstellung der Centrifuge aus Milch von ganz beliebiger Zusammensetzung – aus der fettreichen Schweizermilch und aus der fettarmen holländischen Milch, aus der Abend- und Morgenmelke – eine solche herstellen, die in Fett- und Käsestoffgehalt der Muttermilch gleichkommt. Das Verfahren ist äußerst einfach, bei Benutzung einer Dampfcentrifuge können in einer Stunde 1500 Liter Kuhmilch in die neue Milch, die von Professor Escherich in Graz den Namen Gärtnersche Fettmilch erhielt, umgewandelt werden!

Diese Milch hat allerdings noch einen Fehler – ihr Gehalt an Milchzucker ist gering; dem aber kann leicht abgeholfen werden, indem man auf je 1 Liter Fettmilch in der Molkerei oder zu Hause etwa 35 Gramm reinsten Milchzucker zusetzt.

Durch dieses Verfahren wird der Milch auch die Hälfte der in ihr enthaltenen Salze entzogen aber diese Veränderung ist geradezu wünschenswert, da die Kuhmilch mehr als doppelt so viel von diesen Verbindungen enthält wie die Menschenmilch. Ein weiterer Vorzug dieser Herstellungsart ist der, daß durch die Centrifuge die Kuhmilch von vielen Verunreinigungen, denen sie ausgesetzt ist, gereinigt wird. In ihrem Aussehen gleicht die Fettmilch einer guten Vollmilch. Was aber ihre Verwendung anbelangt, so soll sie Kindern jeden Alters unverdünnt gereicht werden; das ist auch ein großer Vorteil, weil dabei alles Messen, Mischen, Brauen entfällt, das bis jetzt die künstliche Ernährung so verwickelt und umständlich machte. Nur in den ersten 14 Lebenstagen empfiehlt sich eine Verdünnung von zwei Teilen Milch mit einem Teile Haferschleim. Bei älteren Kindern nach vollendetem 6. Lebensmonat kann auch der teurere Milchzucker durch den billigeren Rübenzucker ersetzt werden. Im übrigen muß die Fettmilch ebenso behandelt werden wie die bisher gebrauchte Kindermilch; man soll sie nicht roh, sondern gut abgekocht, sterilisiert, den Säuglingen verabreichen. Schließlich muß dafür Sorge getragen werden, daß Kühe, die Kindermilch liefern sollen, gesund sind und rationell mit Trockenfutter ernährt werden. Wir müssen da unbedingt an den bisherigen Errungenschaften der Gesundheitslehre festhalten.

[415] Kränklichen Kindern wird zuweilen auch die Fettmilch nicht bekommen; was alsdann vorübergehend, bis zur erfolgten Heilung verabreicht werden soll, darüber muß in jedem Einzelfalle der zur Behandlung zugezogene Arzt entscheiden.

Die erste Nachricht über die Fettmilch wurde weiteren Kreisen im vorigen Herbst auf dem Naturforschertage zu Wien gegeben. Anfangs wurden mit ihr versuchsweise in Wien und Graz Säuglinge ernährt; die Erfolge waren gut und der Anklang, den die neue Erfindung fand, so überraschend groß, daß bereits Anfang Mai dieses Jahres in etwa 30 Städten Europas in verschiedenen Milchanstalten die Gärtnersche Fettmilch erzeugt wurde.

Ihre Nützlichkeit geht aber über das Gebiet der Kinderpflege hinaus. Die gewöhnliche Kuhmilch gerinnt im Magen zu festen, schwer verdaulichen Klumpen, während die Menschenmilch in feineren Flocken sich niederschlägt; nun sind die Gerinnsel der Fettmilch gleichfalls feinflockig und darum bei weitem leichter verdaulich. Das ist ein großer Vorzug, der nicht nur den Säuglingen, sondern auch erwachsenen Kranken zu gute kommen kann. Milchkuren wurden schon seit jeher gegen verschiedene Leiden empfohlen, aber nicht alle Kranken können die gewöhnliche Kuhmilch vertragen; sie ist für viele wegen der festen Gerinnsel, die sie im Magen bildet, schwer verdaulich und erregt so große Beschwerden, daß die betreffenden auf dieses vorzügliche Nährmittel leider verzichten müssen. Die Aerzte des Altertums verordneten in solchen Fällen derartigen Kranken die Ammenmilch. In jüngster Zeit wurde bei verschiedenen Leiden, bei Magenkranken, Rekonvalescenten u. dgl. die Fettmilch versucht und sie erwies sich in der That bekömmlicher als die gewöhnliche. So ist die Fettmilch eine große Errungenschaft, die Millionen von schwachen – jüngsten wie ältesten – Menschenkindern die besten Dienste zu erweisen berufen ist. Ob wir mit ihr das Ideal der Kinderernährung erreicht haben? Keineswegs; dieses Ideal ist auf allen künstlichen Wegen unerreichbar; die Mutterbrust wird für alle Zeiten die beste Nahrungsquelle der Neugeborenen bleiben. Daran sollten die jungen Mütter vor allem denken! F. C.