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Pflege und Zähmung der Schildkröte

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Titel: Pflege und Zähmung der Schildkröte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 415–416
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Pflege und Zähmung der Schildkröte.

Der civilisierte Mensch ist auf das Zusammenleben mit Tieren angewiesen, gleichviel ob er auf der Kulturstufe des Hirten und Ackerbauers oder einer anderen steht. Daraus erklärt sich der in weitesten Kreisen der städtischen Bevölkerung verbreitete Hang, in der engen Wohnung „etwas Lebendiges“ zu haben, und wenn es nur ein Vöglein wäre. Heute leben wir im Zeitalter der Aquarien und Terrarien und mit Vorliebe werden Fische, Kriechtiere und Lurche aller Art im Zimmer gehalten. Die Verpflegung dieser neuen Hausgenossen ist sehr verschieden, je nachdem sie in die Hände von wirklichen Naturfreunden oder Dilettanten geraten. Wirkliche Naturfreunde pflegen sich beim Anschaffen eines Tieres über dessen Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse genau zu unterrichten, bei den Dilettanten ist dies nicht der Fall und die letzteren erleben darum sehr oft, daß ihnen ihre Pfleglinge gar häufig zu Grunde gehen. Es ließe sich ein Buch über die Leiden eines Laubfrosches oder Goldfisches in der Gefangenschaft schreiben, und auch der Schildkröte ergeht es nicht besser. Wie oft habe ich aus dem Leserkreise Anfragen erhalten, wie man die Schildkröten überwintern, baden – ja füttern solle! Dieser Umstand und die Mitteilung eines Freundes der „Gartenlaube“ über seine Erfahrungen, die er mit Schildkröten gemacht hat, gaben Veranlassung zum Niederschreiben des vorliegenden Artikels.

Was in Deutschland von diesen Tieren gehalten wird, das sind zumeist Sumpfschildkröten, die aus Italien importiert werden und zu der Art der europäischen Sumpfschildkröte (Emys europaea) zählen. Dieselbe Art wohnt auch in Deutschland, soll wenigstens in vielen Gegenden beobachtet worden sein; es dürfte aber nur wenige Menschen geben, die sie bei uns im Freien gesehen haben, denn das Tier ist außerordentlich scheu und vorsichtig und verschwindet bei Annäherung der Menschen rasch in den Gewässern, an deren Ufern es lebt. Die Sumpfschildkröte ist auf das Wasser unbedingt angewiesen, denn sie kann nur unter Wasser ihre Nahrung verschlingen und sucht dieses sofort auf, wenn sie auf dem Lande einen Wurm erbeutet hat. Die „Geständnisse“ vieler angehender Naturfreunde beweisen, daß die Thatsache durchaus nicht allen, die sich eine Schildkröte kaufen, bekannt ist. Kein Wunder also, daß so viele Schildkröten trotz ihres zähen Lebens und der größten Fähigkeit, Hunger zu ertragen, in der Gefangenschaft sterben. Oft gelangen sie allerdings bereits todkrank in die Hände des neuen Besitzers. Man sollte darum nur gesunde und kräftige Schildkröten kaufen, wobei als Erkennungszeichen Folgendes dienen kann: die Schildkröte muß, wenn man sie auf den Rücken legt, sich mit Leichtigkeit umwenden oder aufrichten können und beide Augen gleichmäßig öffnen.

Ihre Pflege ist höchst einfach. Im Sommer wird sie täglich gebadet und einen Tag um den anderen im Wasser gefüttert. Ihre Hauptnahrung besteht in animalischen Stoffen, Pflanzenkost scheint sie nur nebenbei zu genießen. Sie ist dabei nicht wählerisch; sie frißt Regenwürmer, Mehlwürmer, Ameisenpuppen, vor allem aber rohes, in Streifen geschnittenes Fleisch. Die Ueberwinterung bietet auch keine besonderen Schwierigkeiten.

Man nimmt einen mit Gazedeckel verschließbaren Kasten, füllt ihn mit Sand und Moos oder Heu, stellt in diesen einen Badenapf und thut die Schildkröte hinein. Dieser Kasten wird in einen kühlen frostfreien Raum gebracht, wozu sich am besten der Keller eignet. Hier bleibt die Schildkröte ungestört vom Ende Oktober bis Anfang April und hält ihren Winterschlaf. Man kann aber die Schildkröte in einem ähnlichen Kasten auch im geheizten Zimmer halten; sie bleibt dann munter, wenn auch nicht in dem Maße wie im Sommer und muß etwa alle acht Tage ein lauwarmes Bad erhalten und in diesem gefüttert werden.

Das in der Natur so scheue Tier gewöhnt sich außerordentlich leicht an seinen Pfleger und nimmt ohne weiteres die Nahrung aus der Hand an. Hält man bei der Fütterung auf Regelmäßigkeit und Ordnung, so erscheint das Tier auf dem Futterplatz und bettelt förmlich um Futter, indem es den Kopf emporhebt und „sehr verständnisvoll“ den Pfleger anschaut. Bei dieser Gelegenheit kann man es derart abrichten, daß es auf irgend einen Rufnamen wie „Hans“ oder „Ilse“ oder einen bestimmten Pfiff hört und zu dem Pfleger herbeikommt.

Ein Leser der „Gartenlaube“, der zwei Schildkröten im Zimmer frei umherlaufen ließ und ihnen einen irdenen Napf als Bassin aufstellte, berichtet uns Folgendes über die „Dressur“ der Tiere.

„Tagsüber bleiben die Tiere im Bassin, dessen Wasser am Morgen beim Wechsel mindestens die Temperatur des gestandenen haben muß, also abends noch eingelassen wird; andernfalls verbleiben sie nur bis nach dem Füttern darin, da sie auf dem Trockenen nichts anrühren. Meine Tiere verkriechen sich aber auch dann nicht mehr, sondern ziehen sich in den ihrem Bassin nächstgelegenen Winkel, in den sie den Kopf pressen, und würden sich daselbst wie alle andern und wie sie selbst anfangs gethan, wochenlang ruhig halten, wenn sie eben nicht an ihre Ordnung gewöhnt, also ‚dressiert‘ wären, welche Bezeichnung hier nicht, wie der Laie meist als selbstverständlich annimmt, angelernte Kunststücke einbegreift.

Da die Schildkröten einen sehr hohen Wärmegrad lieben, ja, eigentlicher Kälte gar nicht ausgesetzt werden dürfen, haben die meinigen ihr Bassin unter dem Ofen, wo dasselbe nicht im Weg steht und eben dadurch die Tiere nicht geniert sind, sondern sogar der umfassendsten ‚Lokalitätenreinigung‘ mit ihren klugen Augen in den hoch erhobenen Köpfen in Gemütsruhe zuschauen. Selbst wenn einmal eine minder achtsame Putzerin mit dem Scheuerlappen oder Besen an die feuchte Wohnung stieß, konnte ich nie ein ängstliches Umherkriechen oder nur ein Unruhigwerden beobachten.

Während der Nacht lege ich seit Beginn die äußerst reinlichen und, wie gesagt, sehr ruhigen Tiere unter das Kopfkissen, jedoch so, daß sie ihren Platz beliebig wechseln könnten. Oft wecken sie mich am Morgen, indem sie mir dicht an Hals oder Brust anliegen oder mich ins Gesicht aus ihren stecknadelfeinen Nüstern eisigkalt anblasen – Schildkröten haben kaltes Blut.

Nachdem ich selbst mich erhoben habe, ist auch ihre Ruhe vorbei; sie wissen, daß es nun bald zunächst ein Bad giebt und danach Futter. Einstweilen gehen beide Schildkröten auf dem Bett spazieren; früher geschah es, daß eine etwas überhängende Bettdecke dem daraufkommenden Gewicht nachgab, und die eine oder andere fiel zu Boden, allerdings meist auf den Rücken, der so etwas gut aushalten kann. Doch hat das längst aufgehört, und lieber würden sie ewig lang’ am Rande liegen bleiben, ehe sie sich auf trügerischen Boden begeben.

Hier nun darf ich von einer Art ‚Appell‘ reden, denn wenn ich mich dem Bett nähere und die Tiere locke, kommen sie heran – in ihrer Art langsam, mit Rasten, aber sie kommen.

Da geschah es einst, daß ich das Keilkissen, welches ich nachts herausnehme und vors Bett werfe, am andern Morgen unwillkürlich ans Bett stellte, weil es mir im Weg lag; plötzlich bemerkte ich, wie die größere Schildkröte auf dieser schiefen Ebene sich zu Boden gleiten ließ und dann langsam, aber geradeswegs ihr Bassin aufsuchte, das – wohl gemerkt – im andern Zimmer steht.

Dieses Manöver wiederholte ich nun absichtlich mehreremal mit gleichem Erfolg. Ich ging bald weiter und rückte dem Tier einen Stuhl dicht ans Bett; es ließ sich auf denselben herabfallen und verließ diesen erst, als ich die ihm bekannte schiefe Ebene wieder konstruierte.

Das hier Geschilderte sind meine Beobachtungen und erzielten Erfolge nach Jahresfrist bei einer allerdings sehr regelmäßigen Pflege und Behandlung, wie sie mir meine unfreiwillige Muße ermöglicht.“

Auf diese Weise im Zimmer verpflegt, sind die Sumpfschildkröten angenehme, wenn auch langsame Unterhalter. Aber die Beschäftigung mit Tieren im Hause gewährt nur dann eine volle Befriedigung, wenn ihre Pflege derart eingerichtet ist, daß sie uns ihre natürlichen Charakterzüge offenbaren können. Es empfiehlt sich darum, kleinere Schildkröten zu wählen und ihnen einen zeitweiligen Aufenthalt in einem geräumigen Aquarium zu gestatten; dann erst lernt man das Tier wirklich kennen und schätzen. Im nassen Element sich selbst überlassen, gewinnt die Schildkröte ungemein viel in ihrer äußeren Erscheinung. Wenn sie langsam im Wasser mit ausgestrecktem oder erhobenem Kopfe dahinzieht, dann erscheint sie unter den sonstigen schlanken Aguariumbewohnern wie ein gepanzertes Turmschiff und gewährt einen geradezu schönen Anblick. Und wie viel Leben verrät das träge Tier, wenn in ihm die Raubgelüste erwachen und es sich hinter dem „Felsen“ oder einer „Pflanzengruppe“ auf die Lauer legt! Sie ist ja in der Natur eine arge Räuberin. Sie [416] erfaßt mit ihren zahnlosen aber scharfen und harten Kiefern den Frosch am Beine und weiß ihn mit den scharfen Krallen zu zerfetzen; sie wird selbst größeren Fischen gefährlich und zeigt, wie ich mich oft überzeugt habe, in der Verfolgung der Beute eine unermüdliche Ausdauer. Sie eignet sich darum nicht zur ständigen Bewohnerin eines Aquariums, in welchem wertvollere Tiere gepflegt werden, auch bringt sie den Pflanzenbewuchs in Unordnung. Ich habe aber wiederholt ein mit Goldfischen besetztes, etwa 15 Liter Wasser fassendes Aquarium meinen Schildkröten eingeräumt und habe Gelegenheit gehabt, die Charakterzüge der Schildkröte kennen zu lernen, wie sie mir aus den schönen Werken über unsere Kriechtiere und Lurche, aus Ad. Frankes „Die Reptilien und Amphibien Deutschlands“ und Herm. Lachmanns „Die Reptilien und Amphibien Deutschland’s in Wort und Bild“ bekannt waren. Diese Naturstudien im Hause möchte ich jedem Freunde des Tierlebens empfehlen; denn, wie gesagt, nur durch einen glücklichen Zufall dürfte es Diesem oder Jenem vergönnt sein, die Sumpfschildkröte in Deutschlands freier Natur zu beobachten.

Die Stunden, während welcher sich meine Schildkröten im Aquarium aufhalten durften, waren für sie wahre Feststunden, und sie lohnten diese Vergünstigung durch angeborene Leistungen, die hoch über aller Dressur stehen. Vor allem möchte ich aber die Naturfreunde auf die Schwimmbewegungen der Schildkröte aufmerksam machen. Sie gewannen für mich einen neuen Reiz, seitdem ich aus Mareys trefflichen Beobachtungen über den Vogelflug erfahren habe, daß ihre Bewegungen, wenn auch in langsamem Tempo, sich nach denselben Gesetzen vollziehen wie der Flügelschlag des Vogels. Kein Wunder – die in versteinerten Tierresten geschriebene Erdgeschichte lehrt uns, daß die oft so unbeholfenen Kriechtiere zu den Ahnen der flinken geflügelten Scharen zählen! *