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Die Gartenlaube (1853)/Heft 16

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[167]

No. 16. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Drei Heimgegangene.

Frühlingsbild
von
Ferdinand Stolle.
(Schluß.)

„Frische Gläser – zweite Studie“ – commandirte Lortzing, indem er eine Markobrunner-Cabinet entkorkte und die goldenen Perlen des herrlichen Jahrgangs in die blitzenden Römer herabfallen lies.

„Ach,“ rief Berthold, sich an dem kostbaren Arom erquickend, „diese Blume ist allerdings gemacht, uns Herrn Charles et Comp. vergessen zu machen. Ich möchte übrigens wissen, wozu der Herrgott solche Menschengesichter in die Welt gesetzt hat. Die Natur gefällt sich doch in großen Räthseln.“

„Nichts von ihnen,“ sprach Lortzing, „entweihe unsere Sitzung nicht. Wen begrüßen wir mit diesem Markobrunner?“

„Es lasse ein jeder einen Tondichter der Gegenwart, den er in’s Herz geschlossen, leben,“ rieth Herloßsohn.

„Bravo, Doctor,“ lobte Lortzing, „so bring’ ich denn diese duftende Blume des Rheingaus dir, du milder, klarer harmonienreicher Genius, dessen ganzes Leben ein „Sommernachttraum“ und „eine glückliche Fahrt auf stiller blauer Meeresfluth“ – dir mein Felix Mendelssohn!“

„Und ich lasse, da Du, Albert, schon drangewesen, meinen alten Heinrich Marschner leben!“ sprach Berthold.

„Ich kann mich so hoch nicht versteigen,“ meinte der Doctor, „ich steige aber um so tiefer in mein Herz, ich bringe diesen Weingruß meinem alten braven Polenz.“

„Bravo, da stoßen auch wir an,“ riefen die beiden Andern; und die Römer klangen aneinander.

„Es ist doch was Schönes um ein gutes Glas Wein,“ meinte Berthold, „und ich wüßte nicht, wenn mir ein solches so gut geschmeckt hätte wie heute. Siehe, Lortzing,“ fuhr er gemüthlich fort, „lebten wir nun in Frankreich, wäre Dein Glück gemacht. Dein Czaar und Zimmermann wäre für Dich ein kleines rentables Kapital. Du säßest im Trocknen und könntest sorgenfrei, ledig von der Last erdrückender und unerquicklicher Geschäfte, in irgend einem freundlichen Erdenwinkel Opern machen, daß dem Volke das Herz im Leibe lachen sollte.“

Der Componist spülte mit dem Markobrunner einen leisen Seufzer hinunter. Berthold fuhr fort: „Ich will Euch nur gestehen, daß mir es nachgerade auch oft recht sauer ankommt, wenn ich von den Bretern herab dem Volke [168] lustig Zeug vorsingen und vorschwatzen muß, während mir’s im Innern gar nicht so ist. Wißt Ihr denn, was darum die ganze Zeit daher mein Lieblingswunsch ist?“

„Nun?“ frug Lortzing.

„Sag’ an Dein Sprüchlein, theil’s uns mit,“ versetzte der Cometenlenker, eine Mandel knackend.

„Wenn ich könnte so ein Wirthschaftchen an mich bringen,“ fuhr Berthold vertraulich fort, – „aber es müßte etwas Apartes sein – so was Poetisches – Humoristisches. Als ich neulich in Grimma drüben war beim alten Dorfbarbier, der treuen Seele, und ihr meine Idee mittheilte, hat die mir auch gleich eine Ankündigung aufgesetzt so ganz nach meinem Sinne. Wart’, dies Ding muß ich bei mir haben, dies muß ich Euch vorlesen, damit Ihr ungefähr seht, wie ich die Sache anzufangen und das Volk zu packen gedenke.“ Er kramte lange in der Seitentasche unter Briefen und Papieren, endlich brachte er einen zerknitterten Papierstreif hervor, den er auseinander glättete und davon folgendermaßen ablas: Also ergebenste Bekanntmachung meiner projectirten Schankwirthschaft: Veranlaßt durch die „Macht der Verhältnisse,“ angetrieben durch „Vaterliebe“ und um für „Künstlers Erdenwallen“ einen weniger sorgenfreien Ausgang anzubahnen, hat der ergebenst Unterzeichnete sich entschlossen, einem für Leipzig tiefgefühlten Bedürfnisse abzuhelfen und eine neue Restauration zu gründen, welche den Namen „zum Weltumsegler“ führen wird. Ich wollte sie erst „zum treuen Schäfer“ nennen, aber da meine verehrten Gäste in spe hoffentlich sämmtlich auf der Höhe des Zeitbewußtseins unterjährigen Lagerbiers angelangt sind, so ist dieser Titel zu idyllisch und ich würde höchstens zum „Wollmarkt“ Geschäfte damit gemacht haben. – Was die innere Einrichtung meines Locals anlangt, so verbietet Bescheidenheit ein Weiteres. Denn wollt’ ich auch des großen Luxus gedenken, der daselbst angebracht ist, würde man mir doch nicht ohne Grund zurufen: „Na möglich ist’s schon, aber wahrscheinlich nicht.“ – Im Vertrauen kann ich nur erwähnen, daß „Menschenhaß und Reue,“ der „Menschenfeind,“ „Parteienwuth“ und der „häusliche Zwist“ gänzlich vom Repertoir gestrichen sind; während „Edelmuth und Liebe,“ der „gute Ton“ und „humoristische Studien“ einen stehenden Artikel bilden werden. – Zahlreicher Besuch von „Stadt und Land“ soll mir gleich willkommen sein. Ich huldige hier keinem engherzigen städtischen Patriotismus, und der „Doctor Wespe,“ der „alte Student“ werden mit derselben Zuvorkommenheit empfangen werden, wie der „neue Gutsherr“ und der „Bauer als Millionär.“ – Sollten mich auch fremde Etrangers zu beehren die Güte haben, so wird sich so wohl für den „Bräutigam aus Mexiko“ den „Kaufmann von Venedig,“ sowie für den „Vetter aus Bremen“ ein Plätzchen darbieten. – Schließlich erlaube ich mir für meine trinklustigen verehrten Gäste die gewiß beruhigend wirkende Bemerkung, daß der „artesische Brunnen,“ der „Feensee“ und der „Wasserträger“ mir als Wirth völlig fremde Piecen sind. – Daß es für ein aufblühend Institut nur von erwünschtem Erfolge sein kann, wenn von einer zu oft wiederholten Aufführung der „Schuld“ Umgang genommen wird, versteht sich von selbst. Und so empfehle ich mich mit dem aufrichtigen Wunsche, daß es der ausdauernden Anhänglichkeit meiner Gönner gelingen möge, daß ich nicht als holde Phantasie vom hohen Cothurn herab, sondern endlich einmal auch in der Wirklichkeit ausrufen kann: „Meine Mittel erlauben mir das!“ Seht,“ schloß der von seiner Lieblingsidee eingenommene Berthold, „in solchem Geiste ungefähr müßte meine Wirthschaft gehalten sein.“

„Dies Ding ist nicht übel,“ lachte Herloßsohn; Lortzing aber rieb sich bei des Freundes Restaurationsplänen eine Zeitlang die Ohren. „Lieber Berthold,“ sprach er, „ich will Dich von Deiner Lieblingsidee nicht gerade abwendig machen; aber ich fürchte, Du bist als Wirth weit mehr ein Sclave der Launen des Publikums denn als Schauspieler. Ich gebe zu, daß Deine bekannte und beliebte Persönlichkeit im Anfang viel Zulauf finden wird; aber ein Jeder, der ein Glas Bier bei Dir verzehrt, wird auch das Anrecht zu haben glauben, daß Du ihm für seine zwei Groschen so erscheinst, wie Du ihm von der Bühne her bekannt bist. Man wird im „Weltumsegler“ auch den Weltumsegler selber, wie er auf dem Theater dargestellt wird, suchen, den Leporello, den Papageno, den Doctor Bartholo u. s. w. und, wie ich Dich kenne, sich getäuscht finden. Doch lassen wir die Zukunft, wo die Gegenwart uns so freundlich winkt. Wir kommen zur dritten Studie.“ Mit diesen Worten entkorkte er eine Steinberger-Cabinet und füllte die frischen Gläser, die Herr Rossi unterdeß gegen die zeitherigen umgetauscht hatte.

„Auch kein Hund,“ meinte Herloßsohn, mit Kennermiene den Steinberger prüfend. „Wem bringen wir jetzt das erste Glas?“

„Dreien Schriftstellern der Gegenwart, die wir lieben,“ sprach Lortzing.

„Wohlan,“ rief Berthold, „so lasse ich für meine Person den Heinrich Zschokke leben in Aarau. Ich wüßte nicht, welcher Schriftsteller der Gegenwart mir so zu Geist und Gemüth spräche.“

„Und ich,“ sprach Lortzing, „ebenfalls einen Schweizer, ein noch wenig bekannter Name, er nennt sich Jeremias Gotthelf – seinen gemüthreichen Schweizerbildern nach muß das ein ganz vortreffliches Haus sein.“

„Ich muß diesmal wider Willen galant werden,“ versetzte Herloßsohn. „Ich lasse Friederike Bremer leben. Diese Frau verdient schon wegen ihrer vortrefflichen „Nachbarn“ ein Glas. Ach,“ fügte er nach einer Pause mit einem Seufzer hinzu, „ich könnte auch Bessres zu Wege bringen, wenn ich nicht als Esel in die tägliche Tretmühle des Cometen gespannt wäre und bogenweise um das liebe Brot schreiben müßte. Wenn nur so ein wohlhabender böhmischer oder thüringischer oder rheinischer Graf das Einzigemal den guten Einfall hätte und mir ein Jahrlang ein freundlich Stübchen einräumte mit erquicklicher Aussicht in grüne Berge und Ruhe und Stille und Frühling – da könnte schon was werden.“

Berthold lächelte; „ein wahres Idyllenthum,“ sprach er, „aber ich wette, Herloß, Du hältst es nicht vierzehn Tage aus. Du bist viel zu eingeleipzigert. Wie schwer hält es, Dich einmal loszureißen zur einfachsten Landpartie. Wie oft hast Du dem Stolle versprochen, ihn zu besuchen in seinem freundlichen Grimma, wo er so schön wohnt an der Mulde, in grünen Bergen. Wenn Du nicht Mittags zu Veronelli schlendern kannst und dann zu Kühl und später zu Kintschy in’s Rosenthal – da bist Du gar [169] nicht der Herloßsohn. Kommst mir übrigens vor, wie ein gefangener Kanarienvogel, der nur drei Hölzchen im Käfig hat.“

Der Doctor reichte dem Freunde die Hand: „Hast Recht, alter Knabe, ein eintönig Leben – nun wer weiß, wie lang es noch dauert.“

„Dies können wir sogleich erfahren,“ meinte Lortzing, „die Gelegenheit ist günstig, Mitternacht nahe, Herr Rossi, haben sie keinen Seidenfaden?“

Rossi, der aus seinem Vorgemach herein trat, zuckte die Achseln. Endlich besann er sich auf seine neue comfortable Saft’sche Mütze. Er holte sie herbei und den gemeinschaftlichen Bemühungen gelang es, dem Prachtstück einen halbelligen Seidenfaden zu entwinden.

„Was soll denn das werden?“ frug Berthold und auch der Doctor schaute neugierig auf.

„Ein Orakel,“ belehrte Lortzing. Er nahm einen goldenen Ring vom Finger, durch welchen er den Faden zog, so daß der Ring daran in der Luft schwebte.

„Hokus Pokus,“ sprach Berthold.

„Es giebt Vieles zwischen Himmel und Erde, wovon sich unsre Philosophie nichts träumen läßt,“ sprach Lortzing ernst. Dann hielt er den an dem Seidenfaden schwebenden Ring ungefähr einen halben Zoll von der Außenseite des Weinglases. „Nun paßt auf,“ fuhr er fort, „ich frage jetzt das Orakel und wünsche zu wissen, wie viel Jahre ich noch hienieden leben werde. Der Ring wird mir durch unterschiedliches Anschlagen die Anzahl der Jahre nennen.“

„Närrisch Zeug,“ meinte Berthold, doch schaute er unverwandt nach dem Orakel.

Der Ring fing sich nach einiger Zeit in Folge der Blutströmung zu bewegen und drehen an. Die Schwingungen wurden immer größer, so daß er endlich die Glasfläche erreichte. Er klingte an, erst ganz leise, dann vernehmlicher. Deutlich zählte man eilf Schläge, worauf die Schwingungen wieder kürzer wurden, so daß das goldne Orakel das Glas nicht mehr erreichte.

„Also noch eilf Jahre,“ sprach Lortzing, mit ziemlich gut gelaunter Resignation, „da kann ich noch viel Opern schreiben.“

Berthold schüttelte sceptisch mit dem Kopfe. „Dummes Zeug,“ sprach er, „das muß doch ganz auf Dich ankommen, wie vielmal der Ring anklingen soll?“

„Versuch’s nur,“ erwiederte Lortzing, „da wirst Du ja sehen, ob es in Deiner Macht steht oder nicht.“

„Der Doctor mag’s erst machen,“ sprach der corpulente Zweifler.

Herloßsohn, bei welchem der edle Rebensaft bereits mehr in’s Blut gegangen sein mochte als bei den Andern, ergriff jetzt den Faden und Ring; aber kaum hatte er die Hand in die gehörige Lage gebracht, als der Ring auch schon zu läuten anfing.

„Der kann’s,“ lachte Berthold, „mein Gott, kommen da Cometenjahrgänge zum Vorschein.“

Als das Anklingen bei Herloßsohn auch gar kein Ende nehmen wollte – die Freunde hatten schon in die dreißig gezählt – sprach Berthold: „Das hört gar nicht wieder auf; ich glaube, der muß einmal speciell auf Befehl des durchlauchtigsten deutschen Bundes getödtet werden, sonst kommt er nicht von der Erde.“

Nach dem Lortzing’schen Ringorakel ward der Redacteur des Cometen gerade hundert Jahre alt.

„Mein Großvater ist auch in die neunzig geworden,“ motivirte der Doctor, dem die lange Lebensperspective trotz des häufig ausgesprochenen Lebensüberdrusses gar nicht unangenehm erschien.

„Da würd’ ich aber auf jeden Fall noch heirathen,“ sprach Lortzing; „noch achtundfunfzig Jährchen, ein hübscher Zeitraum.“

„Natürlich,“ stimmte Berthold eifrig bei, „heirathen muß er; erstens sehe ich nicht ein, warum wir beiden allein im Joche traben sollen – was er voraus haben will und zweitens sagt Herr von Goethe:

In raschen Jahren geht’s wohl an –
Doch kommt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zu Grab zu schleichen,
Dies hat noch keinem wohlgethan.

„Jetzt ist Berthold an der Reihe,“ sprach Lortzing und ertheilte demselben Unterricht, wie er Faden und Ring zu halten habe.

„So alt, wie dieser Methusalem werde ich auf keinen Fall,“ sprach der Opernsänger und fing an das Orakel zu befragen. Lag es nun in dem dickern Blute des Letzteren oder in seinem phlegmatischen Temperamente, er mochte noch so vorschriftmäßig halten, der Ring rührte und rückte sich nicht.

„Der Kerl hängt wie todt,“ begann endlich der Orakelnde; „ich glaube, Ihr bringt mich gar nicht lebendig nach Hause. Rossi kann mich gleich hier begraben lassen. Was hilft mir mein Urlaub.“

Nach einer Pause fuhr er fort, „Wenn der Racker nur wenigstens so lange anklänge, bis ich vollkommen pensionsfähig wäre.“

Berthold ward endlich ungeduldig und rückte mit den Worten: „Wird er wackeln!“ ein Wenig mit der Hand. Der hierdurch in Bewegung gesetzte Ring schlug dreimal an das Glas, worauf er in seine alte Ruhe versank.

„Schon alle?!“ – frug der Orakler, „das war verflucht wenig, Herloß, Du könntest mir ein paar Jahrzehnte ablassen, für Geld und gute Worte.“

Lortzing nahm jetzt lächelnd dem Freunde das Orakel aus der Hand. „Du hast den Glauben nicht,“ sprach er, „bei einem so ungläubigen Thomas wie Du wird sich der Ring nicht incommodiren.“

„Na, gute Worte geb’ ich nicht“ meinte Berthold und schlürfte mit aller Behaglichkeit sein Glas aus.

Die Glocken der Mitternacht tönten jetzt von Leipzigs Thürmen. Man kam zur vierten Studie. Ein herrlicher Vierunddreißiger Johannisberger flimmerte in den Gläsern.

„O schöner Brunnen, der uns fließt,“ lispelte Berthold selig. Herloßsohn aber erhob begeistert sein Glas. „Diese himmlische Blume,“ sprach er, „bringe ich dem neuen Frühling. Möge er herabsinken mit seinen Blüthen und Goldgewölken, liebend und segnend auf die Geschlechter der Erde. –

Lortzing erhob sein Glas: „Alle jungfräuliche Blumen sollen leben und alle blumige Jungfrauen.“

Berthold hielt mit gefalteten Händen seinen Römer umklammert und schlürfte den Göttertrank. „O Königin,“ sprach er, „das Leben ist doch schön!“

Herloßsohn sprach, „Brüder, wir sind so glücklich, [170] wie wir es lange nicht waren, laßt uns auch dankbar sein dem himmlischen Vater, der da ist ein Vater der Unglücklichen; laßt uns einen Tropfen Balsam werfen in das Meer des menschlichen Elends.“ Er schüttete mit diesen Worten den ganzen Inhalt seines ziemlich gefüllten Beutelchens auf den Tisch. „Da nehmt,“ rief er, „Wenig mit Liebe.“

Lortzing trat eine Thräne in’s Auge. Er legte schweigend zwei Thaler zu dem Gelde. Dann reichte er dem Doctor die Hand. „Du bist und bleibst,“ sprach er, „der alte gute Junge.“

Auch Berthold zog sein Beutelchen und steuerte den Inhalt zur Liebesgabe. „Wenn wir nur gleich einen recht Hülfsbedürftigen wüßten,“ sprach er.

„Auf dem Brühle ist heute ein Maurer vom Dache gestürzt,“ erzählte Lortzing, „und hat sich zu Tode gefallen. Es war ein braver Mann und hinterläßt eine arme Wittwe mit sechs unerzognen Kindern.“

„Rossi,“ rief Herloßsohn indem er das Geld in einen veralteten Theaterzettel packte, „dieses Geld schicken Sie Morgen der armen Wittwe, deren Mann heute verunglückt ist, jedoch unter der Bedingung, daß wir nicht genannt werden.“

„Kinder,“ sprach Berthold nach einer Pause in seltsam ernstem Tone, „es muß doch außer unserm Erdenleben noch ein himmlisches Land geben, wo die Liebe wohnt und die Tugend. Das wird mir allemal zur unumstößlichen Gewißheit, wenn ich einem Hülfsbedürftigen aus freier Herzensregung wohlgethan. Es kommt da ein Frieden über mich, der nicht von dieser Welt ist.“

„Auch ich,“ meinte Lortzing, „lasse mir den beseligenden Glauben an eine himmlische Heimath, wo die sich wiederfinden, die sich hier lieben, nicht nehmen; und lasse mich durch die trostlose Philosophie der heutigen Hegellinge nicht irre machen.“

Herloßsohn saß eine lange Zeit schweigend da. Eine leise Verklärung überzog sein ausdrucksvolles Gesicht. Endlich sprach er: „O, Geliebte, glaubt Ihr denn wirklich, daß uns jenes Land so ganz unbekannt ist, daß wirklich eine so große Kluft das Hier von dem Jenseit scheide? Nein, Geliebte, das wäre ein Sprung in der Schöpfung, und den gibt es nicht. Ueberall, wir mögen in der schaffenden Natur zurückgehen, so weit wir wollen, überall finden wir ein harmonisches Aufsteigen vom Unvollkommnen zum Vollkommnen. Jede Veränderung in der Natur, sagt der große Herder, ist eine Vervollkommnung. Nirgends gibt es Sprünge und schroffe Uebergänge. Und so ist auch der Tod keiner. Er verliert alles Schreckhafte, sobald wir ihn mit der ganzen Natur in Einklang bringen. Es ist dieselbe liebevolle Mutternatur, die das Herz zum erstenmale pulsiren heißt, die es später den Himmelsklängen der Liebe öffnet und die es stille stehen heißt in der Stunde des Todes.“

Nach diesen Worten entsiegelte Herloßsohn eine Flasche kostbaren Ungarweins, das geistreich poetische Präsent einer ungarischen Gräfin für seinen ungarischen Roman. Er füllte die Gläser, ergriff das seine und sprach mit tiefer Bewegung:

Ernstes Lied aus fernverklungnen Zeiten,
Das mich oft so wunderbar ergreift,
Das so süß, wie Aeolsklang der Saiten
Sanft melodisch durch die Blüthen streift,
Das mir Frieden fern aus Himmelsweiten
Wie die Nacht den Thau auf Rasen träuft –
Lied, wer ist dein Sänger? Unbekannt
Tönst du mir aus fremdem Wunderland.

Tröstend Lied, das in die Wermuthschaale
Bittern Schmerzes milden Honig gießt,
Das uns am umflorten Grabesmale
Sanft die Thräne von der Wange küßt,
Einst im Tode im Verklärungsstrahle
Als der treuste Führer uns begrüßt –
Lied, du Bürge einer schönern Zeit,
Lied ich nenne dich – Unsterblichkeit.

Die Gläser klangen aneinander; eine feierliche Stimmung hatte sich der Freunde bemächtigt und von den Thürmen der Stadt tönte die erste Stunde.

„Brüder, es wird Morgen,“ sprach Lortzing, „laßt uns aufbrechen.“

„Aber nicht eher,“ erwiederte Berthold, „bevor wir uns das heilige Versprechen gegeben, heut über zehn Jahre wieder hier zusammen zu kommen; und sollte einer oder der andere schlafen gegangen sein, so soll der Zurückgebliebene dem Vorangegangenen einen Becher des Angedenkens weihen. Die heutigen schönen Stunden mögen uns aber erquicken wie dem Wüstenwanderer die Quelle der Oase, in lieber Erinnerung; ja es bleibt ein wahres Wort des Dichters: Nur die von der Poesie gerötheten Stunden hat man gelebt.“

„So sei es,“ sprachen die Freunde und man leerte die Becher auf die – alte Freundschaft.

Als man der Weingruft entstiegen, begrüßte die mildeste Frühlingsnacht die Freunde. Noch blühten lieblich die Sterne. Im Innern wunderbar ergriffen, wollte es zu keinem Gespräche kommen und die Drei wanderten fast schweigend die Hainstraße entlang.

Als man zu Herloßsohn’s Wohnung gekommen, drückte dieser den Freunden innig die Hand und zu dem prachtvollen Sternenhimmel deutend, sprach er: „Wort gehalten wird in jenen Räumen.“

Und gleichsam als eine himmlische Antwort tönte der Ruf einer Lerche hernieder, die den keimenden Morgen begrüßte.

Alle drei, seltsam ergriffen, lauschten andächtig diesem himmlischen Frühlingsgruße.

Ja, sie wissen von uns droben,“ sprach Lortzing und die Freunde trennten sich.

Sie sind nicht wieder zusammen gekommen, als die zehn Jahre um waren, die drei Freunde. Sie ruhten alle drei im Schooße der Erde. Aber dort Oben im himmlischen Saal haben sie den Jahrestag gewiß gefeiert und angeklungen mit himmlischen Pokalen: „jedem schönen gläubigen Gefühl.“

Denn herrlichen Wein muß es droben auch geben,
Dort, wo er wohnt, der die Reben erschuf!

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Vom Baue des menschlichen Körpers.

II.
Der Athmungsprozeß und die Werkzeuge desselben.

Jeder unsrer freundlichen Leser kennt die Wichtigkeit des Athmens für das Leben; er weiß, daß Athem, Odem oft für Leben selbst gebraucht wird; „er hat ausgeathmet,“ sagt man, wenn Jemand gestorben ist. Und dies ist denn auch vollkommen richtig. Mit dem letzten Hauche aus der Brust ist auch der Stillstand des zum Leben nöthigen Kreislaufes bedingt, die Aeußerung der Lebensthätigkeit beendigt, der Tod eingetreten. Daher in solchen Fällen das sorglichste Forschen nach der unbedeutendsten Spur des menschlichen Odems, um sich nicht über das wirkliche oder nur scheinbare Eingetretensein des Todes zu täuschen.

Warum, wird man fragen, hat denn das Athmen diese hohe Bedeutung? Bei der Betrachtung des Herzes und des Blutumlaufes, welche sich der Leser vergegenwärtigen wolle, haben wir erfahren, daß das Blut diejenige Flüssigkeit im Körper sei, aus welcher dieser sich mit seinen verschiedenen Organen bildet und ernährt; man wird sich aber auch erinnern, daß nur das Blut von hochrother Farbe die zur Ernährung nöthigen Eigenschaften hat. Es muß also ein Vorgang gegeben sein, welcher dem Blute diese Farbe und damit die Fähigkeit, die Theile von Neuem zu beleben (da auch hier wie in der gesammten Natur ein beständiges Entstehen, Wachsen und Zerfallen oder Vergehen [172] stattfindet), verleiht, so wie eine Vorrichtung, welche jenen Vorgang vermittelt. Ersterer ist aber der Athmungsprozeß, durch welche der das dunklere Blut wieder hochroth färbende Sauerstoff aus der umgebenden Luft in den Körper gebracht wird; letztere besteht aus den dabei thätigen und dazu behülfreichen Organen oder Werkzeugen. Wesen und Bestimmung des Athmungsprozesses ist daher diese Aufnahme des Sauerstoffes, das Athmen zur Ernährung unentbehrlich, die erste Bedingung des thierischen Lebens. Der Sauerstoffgehalt der Luft macht aber auch die Luft allein wiederum für den thierischen Organismus athembar, indeß eben nur in der Mischung, wie ihn die atmosphärische Luft darbietet. Nur durch diese Mischung kann der Athmungsvorgang auf die Dauer und ohne Nachtheil unterhalten werden, und dabei erträgt der Körper die sonst noch zugemischten Luftarten ganz wohl, während der ganz reine Sauerstoff nicht im Stande ist, das Leben zu erhalten, und andere Luftarten theilweise sogar sehr schnell, wenn sie eingeathmet werden, einen verderblichen, vergiftenden und somit tödtenden Einfluß ausüben. Das thierische Leben erlischt also sowohl da, wo keine Luft ist, sowie wo der nöthige Sauerstoff fehlt. Darüber wenigstens wollen wir dem Leser ein paar kleine Versuche mittheilen, die das Gesagte bestätigen.

Die Luftpumpe ist eine Maschine, womit man einen bestimmten Raum, in den die äußere Luft nicht nachdringen kann, also z. B. eine Glasglocke, von der in ihm eingeschlossenen Luft entleeren kann. Bringt man nun irgend ein kleines Thier in jenen Raum, so bemerkt man, wie dasselbe mit dem zunehmenden durch das Auspumpen hervorgebrachten Mangel an Luft immer unruhiger wird und endlich scheintodt niederfällt, auch wirklich sterben würde, wenn man nicht zu rechter Zeit die erlöschen wollende Flamme des Lebens durch Einpumpen neuer Luft anfacht. Umgiebt man eine Glasglocke mit Wasser, so sperrt dies gleichfalls die äußere Luft ab. Bringt man nun ein Thier in den abgesperrten Luftraum, so beobachtet man gleichfalls die Erscheinungen des ersteren Falles, nur etwas langsamer. Das Thier verzehrt durch Einathmen den Sauerstoff der es umgebenden Luft; und wenn keiner mehr vorhanden ist, so stirbt es an Erstickung. Das Absterben der Fische in nicht erneuertem Wasser erklärt sich ähnlich, und ebenso die nachtheiligen Wirkungen des Zusammenseins vieler Menschen in engen Räumen, wenn die Lufterneuerung eine sehr geringe, verhältnißmäßig fast gar keine ist. Vielleicht erinnert sich Mancher der Leser des schrecklichsten Beispiels dieser Art in jener schwarzen Höhle von Calcutta, in der eine große Anzahl in dem Kampfe mit dem Beherrscher von Mysore gefangener Engländer zu Grunde ging. Dabei kommen indeß noch andere Verhältnisse in’s Spiel als die Verzehrung des Sauerstoffes, die uns hier zu weit führen würden.

Da wir das Nähere des Athmungsherganges nicht darlegen können, ohne die dabei wirksamen Organe zu nennen, so wird es die Deutlichkeit unterstützen, wenn wir die Beschreibung dieser letztern hier folgen lassen.

Zu den Athmungsorganen gehören: 1) der Brustkasten mit der Brusthöhle, welcher seitlich aus den Rippen (12 auf jeder Seite), hinten von 12 Brust-Wirbeln und vorn vom Brustbeine gebildet wird und durch Muskeln (Athmungsmuskeln), unter denen das Zwergfell (l) der wichtigste ist, wie ein Blasebalg erweitert und verengt werden kann. 2) Die Luftwege und Luftbehälter oder Lungen, von welchen die erstern die Luft in die Brusthöhle zu kleinen Bläschen in den Lungen leiten und aus der Nasen- und Mundhöhle, dem knorpligen Kehlkopfe (o) und der aus knorpligen Halbringen zusammengesetzten Luftröhre (n) mit ihren Verzweigungen bestehen. Die Luftröhre verbreitet sich nämlich mit mehreren größern Zweigen baumförmig innerhalb der Lungen, indem sie sich in immer enger werdende Aestchen (Röhrchen) zertheilt und endlich in zarte Säckchen, Luft- oder Lungenbläschen genannt, endigt. Die dünnen Wände dieser Bläschen werden von einem äußerst feinmaschigen Netze ganz enger Blutgefäßchen (Haarröhrchen) umsponnen, welche dunkelrothes Blut aus der Lungenpulsader (g), die aus der rechten Herzkammer entspringt, empfangen und dasselbe, nachdem es eine Zeit lang an der Wand der Bläschen hinfloß, hellroth durch die Lungenblutadern (h) zum linken Vorhofe des Herzens zurück schicken. Diese Verwandelung der Farbe des Blutes aus dem Dunkeln in das Hellrothe geschieht dadurch, daß während des Durchfließens des dunkelrothen Blutes durch die Haarröhrchen der Lungenbläschen dasselbe Kohlensäure, welche es dunkel machte, nach den Höhlen und in die Luft der Bläschen hin abgiebt, dafür aber Sauerstoff, welcher das Blut hell röthet, in sich aufnimmt. Der Austausch von Kohlensäure und Sauerstoff geht durch die Bläschenwände hindurch vor sich. Die Lungenbläschen (etwa 1800 Millionen an Zahl) setzen in Verbindung mit größern und kleinern Aestchen der Luftröhre, so wie mit Blut- und Lymphgefäßen, mit Nerven und Zellgewebe, die rechte und linke Lunge zusammen, deren Gewebe also der vielen lufthaltigen Bläschen wegen sehr locker und schwammig, der zahlreichen Blutgefäße halber aber sehr blutreich sein muß. Die Gestalt jeder Lunge ist die eines Kegels; die Spitze ragt oben bis zum Halse, ihr breiter Theil oder die Grundfläche ist ausgehöhlt und ruht unten auf dem Zwerchfelle. Die rechte Lunge ist in 3 Abtheilungen oder Lappen (a. b. c.), die linke, welche einen Theil des Herzens (f) überdeckt, nur in 2 Lappen (d. e.) getheilt; jeder Lappen besteht wieder aus einer Menge kleiner Läppchen, die von einem Häufchen von Luftbläschen gebildet werden. Der äußere gewölbte Umfang jeder Lunge stößt an die Brustwand, die innere etwas hohle Fläche umfaßt das Herz. 3) Die Brustfelle, welche ebenfalls noch mit zu den Athmungsorganen gehören und die Lungen in ihrer Lage erhalten, stellen 2 dünnhäutige, vollständig geschlossene Säcke oder Blasen dar, von denen die eine in der rechten, die andere in der linken Brusthälfte ihre Lage zwischen Lunge und Brustwand einnimmt, indem die äußere Partie jedes dieser Säcke an die Brustwand, die innere an die Oberfläche der Lunge fest angewachsen ist. Im Innern des Brustfellsackes befindet sich etwas Flüssigkeit, welche die innere Oberfläche des Sackes glatt und schlüpfrig erhält, damit bei den Bewegungen der stets dicht an der Brustwand anliegenden Lunge sich diese nicht an der Brustwand reiben und entzünden könne. – Auf der beigefügten Figur zeigt sich in dem vorn geöffneten Brustkasten das seines Herzbeutels beraubte Herz mit den großen Blutgefäßen; die Lungen, aber ohne Brustfelle, die Luftröhre mit dem Kehlkopfe; das Zwerchfell und die zunächst unter diesem, in der Bauchhöhle liegenden Organe.

[173] a, Oberer, b, mittler, und c, unterer Lappen der rechten Lunge. d, Oberer und e, unterer Lappen der linken Lunge. f, Herz. g, Lungenpulsader. h, Lungenblutader. i, Große Körperpulsader. k, Obere Hohlader. l, Zwerchfell. m, Unteres Ende des abgeschnittenen Brustbeins. n, Luftröhre. o, Kehlkopf. p, Leber. q, Magen. r, Quergrimmdarm.

Was den eigentlichen Vorgang beim Athmen betrifft, so beginnt derselbe sofort nach der Geburt mit dem Einziehen von atmosphärischer Luft durch Mund, Nase, Kehlkopf, Luftröhre und ihre Aeste bis in die Lungenbläschen, welche nun im gesunden Zustande niemals wieder leer von Luft werden. Aus dieser eingezogenen Luft dringt nun fortwährend nach rein physikalischen Gesetzen, ein Theil des Sauerstoffs durch die Bläschen- und Blutgefäßwände in das dunkelrothe Blut der die Bläschen umspinnenden Haarröhrchen und dafür tritt auf demselben Wege eine ähnliche Quantität Kohlensäure aus diesem Blute heraus in die Luft der Bläschen. Durch diesen Austausch von Sauerstoff und Kohlensäure wird, wie schon oben erwähnt wurde, das dunkelrothe Blut in hellrothes verwandelt, welches letztere dann durch die Lungenblutadern und die linke Herzhälfte in die Körperpulsadern abfließt. Würde nun nicht stets neue atmosphärische Luft in die Lungen ein- und die alte Luft ausgeführt, so würde sehr bald aller Sauerstoff der in der Lunge vorhandenen Luft in das Blut übergegangen, dafür aber die jetzt sauerstofflose Luft mit Kohlsäure überfüllt sein, sonach der Zweck des Athmens (Aufnahme von Sauerstoff in das Blut und Entfernung von Kohlensäure aus dem Blute) aufgehört haben. Um nun fortwährend neue sauerstoffhaltige Luft in die schon lufthaltigen Lungen einzuführen und einen Theil der kohlensäurereichen aus der Lunge herauszubefördern, ist das Athmen, die Respiration, eingerichtet, bestehend aus dem Einathmen (Inspiration) und aus dem Ausathmen (Expiration). Das Erstere geschieht dadurch, daß mit Hülfe der Athmungsmuskeln, vorzugsweise des Zwerchfells, der Brustkasten wie ein Blasebalg ausgedehnt, dadurch die Brusthöhle erweitert und Luft eingezogen wird; das letztere besteht dagegen in nachfolgender Verengerung der Brusthöhle, wodurch die vorher ausgedehnten Lungen wieder zusammengedrückt und eines Theiles ihrer Luft entledigt werden. Die ausgeathmete Luft ist natürlich anders beschaffen, als die eingeathmete, da die erstere ärmer an Sauerstoff, dagegen reicher an Kohlensäure und Wasser als letztere sein muß. Die Anzahl der Athemzüge ist nach Alter, Geschlecht und Körperbeschaffenheit sehr verschieden, auch variirt dieselbe sehr häufig bei denselben Personen und zu verschiedenen Zeiten. Erwachsene athmen etwa 12 bis 20 Mal in der Minute ein, Säuglinge gegen 40, Kinder 26, junge Leute 20–24 Mal. Eigenthümliche Abänderungen erleidet das Einathmen beim Gähnen, Seufzen, Schluchzen, Keuchen, Schnüffeln, Saugen und Schlürfen, das Ausathmen dagegen beim Husten, Niesen, Räuspern, Hauchen, Schnäuzen, Lachen und Weinen.

Athmungs-Regeln werden in einer der nächsten Nummer folgen.




Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

In Briefen von einem in London lebenden Deutschen.
II.
Die Ostermesse in London.

In einem Lande, wo „statistische Tabellen“ herrschen, und die Regierungsweisheit größtentheils darin besteht, Zahlen und Massen „Rechnung zu tragen“, spielen die capite censi oder (um es in ein deutscheres Latein zu übersetzen) Proletarier auch ohne das Recht, alle 6 Jahre einen mit einem bezahlten Namen beschriebenen Zettel abgeben zu dürfen und so das höchste politische Recht zu genießen, eine viel bedeutendere Rolle, als sich die Herren im Ober- und Unterhause träumen lassen. Seit der großen Ausstellung, die jetzt in dem prächtigen Parke Sydenhams zu dem glänzendsten Volksbildungstempel vereinigt wird, hat in England eine neue Epoche der Geschichte angefangen, deren Hauptinhalt darin besteht, daß sich das politisch-unberechtigte Volk in seiner Selbstständigkeit und Bildung selbst vertritt und in allen wichtigen politischen Angelegenheiten, ohne Vertretung, den Ausschlag giebt. Wir benutzen die Gelegenheit der Londoner Ostermessen, uns dieses Volk einmal so recht in der Nähe und so hübsch beisammen anzusehen.

Unsere Reise geht zunächst diesseits der Themse, drei Meilen weit von der City östlich durch lange, zum Theil ungemein breite, stets überfüllte Straßen, an unzähligen engen, schmutzigen, dunkeln Seitenstraßen vorbei. Wenn wir uns im Hauptstrome halten, kommen wir ganz sicher in die Stepney-Messe hinein, ein Labyrinth von Menschen, Buden, Apfelsinen, Austern, Zuckerwerk, Spielsachen, Flaschenbatterien, Polichinell-Theatern, Jongleurs, Musikanten, wilden Thieren, Zwergen, Riesen, Mißgeburten entweder ohne Hände mit den Füßen schreibend, oder ohne Füße auf den Händen gehend, nachgemachten Negern, Indianern, Menschenfressern, Penny-Theatern, Public-, Thee- und Pie-Häusern mit großen Fahnen auf den Dächern an schiffsartig aufgetakelten Masten, in ein Geschrei, Gewühl, ein Drängen und Stoßen, ein liebenswürdiges Lumpengesindel, das an Ausdehnung, Dichtigkeit, Gutmüthigkeit und Kaltblütigkeit seines Gleichen in der ganzen Welt nicht finden mag.

Wir sind mitten auf dem berühmten Stepney-Markte. Sie nennen es hier „Fair“, was auf deutsch „Fehr“ heißt, denn man kann es weder mit „Messe“, noch „Markt“ übersetzen. Auf Märkten und Messen ist die Hauptsache kaufen und verkaufen; die Fairs sind Volksfeste, wo man nur im Ernste verkauft. Alles Kaufen ist Spaß und dient nur der Volkslust.

[174] „Stepney“ ist ein Name, mit welchem man alle die großen Proletarierstädte im Osten der City: Whitstapel, Spitalfields, Bethnolgreen, Poplar-Linehouse, Schadwell u. s. w. in einem Worte bezeichnet. Der Mittelpunkt der Stepney-Volksbelustigungen ist denn auch ungefähr in der Mitte dieser großen Haufen Unglück in den bezeichneten Stadttheilen – zwischen drei Eisenbahnhöfen und einer Menge Kanälen, die in die neun meilenweiten Docks und von da in die ewig belebte Themse führen. An jedem Eisenbahnhofe lungern stets Hunderte von Boten und Trägern, in jedem Dock finden jeden Morgen 600 bis 1000 Menschen als Löscher und Lader Beschäftigung, ohne die Hunderte und Tausende, denen die Thore vor der Nase zugeschlagen werden und die sonach mindestens 24 Stunden hungern oder betteln, wenn sie nicht anderweitig in der ewigen Lotterie von Angebot und Nachfrage einen Gewinn ziehen. In jedem Kanal ziehen, laden und löschen täglich Hunderte von Kohlenmännern und Frachtkahnschiffern. Ringsum liegen außerdem unendliche Massen von Fabriken und Manufacturen und Werkstätten, die für große Lieferanten arbeiten, auch „Klein-Deutschland“ in Whitstapel mit seinen Zuckersiedern, Straßenmusikanten, Besen- und Blumenmädchen aus allen Theilen Groß-Deutschlands. – Alles dies ist nun heute so hübsch beisammen in Stepney. Zunächst kann man gar nichts unterscheiden. Es ist wie ein Wasserfall, der statt aus Tropfen, aus Menschen, Buden, Apfelsinen und Zündschwamm besteht. Lernt man dann etwas unterscheiden, fällt uns gewiß zunächst eine ungeheure Masse schmutziger Jungen und Mädchen auf, die alle etwas für 1 Penny oder 1/2 Penny zu verkaufen haben, besonders Apfelsinen, Zündschwamm und Zuckerwerk. Jedes Mädchen hat einen Hut auf, geht aber jedenfalls barfuß. Der Hut ist das Letzte, was ein weibliches Wesen in London verliert. Nichts sieht komischer aus, als wenn so ein irisches Apfelsinenmädchen mit zottigem Haar so ein recht nettes, vornehmes, seidenes Mäntelchen, das sie geschenkt bekam, auf den Lumpen trägt, die ihr in schauerlicher Vielseitigkeit um die nackten Beine fliegen. Und die Erwachsenen? Ja hier sieht man Vollblut-Angelsachsen. Was für stoute, doppelstoute, vierschrötige, gutmüthige Kraftmenschen! Das ist Proletariat mit Guineen in der Tasche und Fleisch und Porter im Magen. Sie stillen nicht ihren Hunger, sondern befriedigen täglich den gesegnetsten Appetit mit Fleischkeulen, die sie noch eben so zubereiten, wie die alten griechischen Helden im Homer, und mit Porter und Ale, gegen dessen Stärke sich die deutschen „Kümmel“ im Gefühl ihrer Schwäche hinter das blanke Wasser verkriegen würden.

Die Masse blauer Jacken mit blanken Knöpfen, flatternden Halstüchern und breitkrämpigen Strohhüten zeigen, daß Seewasser in der Nähe ist. Was für seltsame Gestalten! Und was für eine Menge unmögliche Sprachen sie mit einander reden. Lange, hagere, breite, dicke, gelbe, braune, rothe, schwarze Matrosen – alle Völker und Racen waten da schwerfällig umher und zum Theil Arm in Arm, verbrüdert durch das kosmopolitische Meer und in den Tanzkneipen Hamburgs, Londons, New-Yorks, Valparaisos, Capstadts, Cantons, Schanghais, Adelaides, Melbournes, Sydneys u. s. w.

Um auch einen Blick auf das weibliche Geschlecht zu werfen, so bemerken wir, daß es hier am Schlechtesten her- und wegkommt. Zwar sieht man manche anständige, schöne, arme Gestalt; aber die Meisten lachen dir gerade in’s Gesicht und nicht selten wirst du in ihrer Nähe einen unerträglichen Gin-Geruch merken. Gin, der ekelhafteste, giftigste Branntwein, ist der tägliche Trost der Verworfenen, Armen und Hungrigen, besonders der hier überaus stark vertretenen Irländerinnen, kenntlich an ihren breiten, stumpfen, schmutzigen Gesichtern.

Was thun denn nun aber die etwa 500,000 Menschen hier? Sie genießen Staub, Gin, Bier, Austern, sehen und lassen sich sehen, drängen und lassen sich drängen – das ist Alles. Doch nein, für den Gehörsinn ist doch am Besten gesorgt. Man denke nicht, daß die Leute eben hier in Buden hineingucken und sich etwas aussuchen oder auch nicht, und dann bieten und handeln oder auch leer wieder weggehen. So bequem haben’s die Handelsleute hier nicht. Alle Bildung und Weisheit aller Zeiten und Nationen muß hier in den Buden und an den Ständen mitarbeiten, um den Leuten ihr Kupfer und Silber abzujagen. Dort blinkt eine „silberne“ Zuckerzange in der Luft. Der Mann, der sie emporhält, erzählt in der anmuthigsten Weise deren ganze Geschichte und Werth, wie das Erz aus der Erde kam, geschmolzen, gereinigt, verarbeitet ward, die lange Mord- oder Bibelgeschichte, die in Relieffiguren auf sie gedruckt ward. – Nachdem das Alles im lebendigsten Flusse und Feuer öffentlicher Beredtsamkeit bekannt geworden, faßt er Alles zusammen und wie eine Bombe donnert dann der Schluß in die staunende Menge: Gentlemen und Ladies, das Alles bekommen Sie für 1 Schilling. Aber keine Hand regt sich, kein Schilling zeigt sich gerührt. Nun „man wird ihn hören, stärker beschwören“. Zu der Zuckerzange gesellt sich ein Rasirmesser. Dessen Geschichte und Tugenden werden jetzt mit denen der Zuckerzange verflochten. Bombe: Alles für 1 Schilling. Es kommt noch Keiner. So nimmt er zu der Zuckerzange und dem Rasirmesser, Löffel, Messer und Gabel. Die Rede beginnt von vorn und verwebt die Tugenden und Biographien aller fünf Gegenstände zu einem einzigen Haupteffect. Alles, Alles das zusammen für einen einzigen Schilling. Zuletzt strotzt die Hand wie eine große Sonne von Zuckerzange, Rasirmesser, Löffel, Messer, Gabel, Scheere, Federmesser, Theelöffeln, Nadelbüchsen, Zahnbürste, Badeschwamm, Geldbörse u. s. w. – Mit so erhobener Hand führt der Mann die verwickeltste Fuge von Biographien und Attesten mit Anspielungen auf Minister, mit Citaten von Sokrates, Cicero u. s. w. durch, und auch jetzt kostet Alles zusammen nur noch einen Schilling. Ein Glück, wenn das englische Achtgroschenstück sich nun ergiebt. Ergiebt’s sich nicht, so wirft der Mann Alles zusammen nieder und versucht’s mit Schnittwaaren, Bildern u. s. w. nach demselben Systeme. Welch eine Anstrengung, welch ein Witz, welch eine Gelehrsamkeit, um eines Schillings willen. Aber das ist noch Aristokratie.

An tausenderlei Orten siehst du dasselbe Schauspiel um bloßer kupferner Pence willen. Da steht z. B. ein Mann mit einem Haufen gewöhnlicher Calmuswurzel. Der Mann sagt, man habe dem Sokrates, nachdem er das Gift getrunken, gerathen, von dieser Wurzel zu nehmen, er habe es aber abgelehnt, und das sei der einzige Grund, weshalb er gestorben, sonst würde er heute noch leben. Was man Christus am Kreuze gereicht, sei nicht Essig in einem Schwamm, sondern [175] diese Wurzel gewesen. Der große griechische Arzt Hippokrates sage da und da in seinem Werke so und so über diese Wurzel. Wellington sei bei Waterloo zum Tode verwundet worden, habe von dieser Wurzel gegessen und dadurch die Schlacht gewonnen. Und so fort durch alte, mittelalterliche und neue Zeit, wo diese Wurzel stets alle Krankheiten geheilt habe. Schluß und Effect: Alles für einen Penny.

Die Hauptsache ist gegen Abend Trinken und auch etwas Betrunkensein. Ist im Weine Wahrheit, steckt auch jedenfalls in Bier und Spirituosen etwas davon, da der „Geist“ in allen diesen Getränken ein und derselbe ist. Und so sah ich denn auch, wie respectabel der Engländer in seiner Wahrheit d. h. seiner Betrunkenheit ist. So korkzieherförmig auch die Bahnen manches Helden waren, er stieß und beleidigte Niemanden. Kein Schimpfen und Schlagen. Selbst schon ganz daniederliegende Helden unterhielten sich ganz höflich mit dem Policeman, der blos zu beweisen suchte, daß es für ihn, den Helden, comfortabler sein würde, wenn er sich eine bequemere Stelle zum Mittagsschläfchen aussuchte. Er bequemte sich nur unter der Bedingung dazu, daß der Policeman sein Ehrenwort darauf giebt, wie er ihn für völlig nüchtern und einen Gentleman halte.

Gleichzeitig findet die „Fair“ zu Greenwich auf der andern Seite der Themse, die Fair zu Blackwall zwischen Docks und die Fair um die „Chalk-Farm“ am entgegengesetzten Ende Londons statt. Greenwich ist schon so oft von deutschen Federn beschrieben worden, daß die Deutschen den „Markt zu Greenwich“ vielleicht besser kennen als wir hier zu Lande. Stepney ist für das riesige reiche Proletariat, die von der Themse und dem Meere leben, Greenwich für die Clerks, Gerk’s und Needlewomen (Kaufmannsdiener, Stutzer und Näherinnen), Chalk-Farm für das blasse, hagere Proletariat des Westendes. Die Unterschiede sind ziemlich scharf, aber im Ganzen haben diese Messen etwas Gleichmäßiges. Alle Klassen erscheinen gutmüthig, friedlich und anspruchslos, und die Hauptbelustigungen bestehen in spielender Uebung körperlicher Kraft und Gesundheit und der Freude daran: Wettlaufen Hügel auf, Hügel ab, Scheibenschießen mit Flitzbogen um Eßwaaren, Esel- und Pferdewettrennen von Damen und Kindern, Kraftproben im Gewichtheben, in langen Reihen über einander hinwegspringen, Schaukeln, Haschen, Criket- und Racketspiel, Kokusnußabwerfen. Die Neckereien mit den Knarren, mit denen man immer unvermuthet einander den Rücken herunter rädert, ist wohl bekannt. Man muß starke Nerven haben, um’s zu vertragen. Es fühlt sich nicht nur jedesmal, als wenn der Rock von Oben bis Unten zerrisse, sondern erschüttert auch von den Rückennerven her den ganzen Organismus. Man lacht sich hier bald todt darüber und beweis’t damit, daß Nerven und Muskeln gesund sind. Ja, es ist ein gesundes, kräftiges, gutes, gebildetes Volk mit rothen Wangen, lachenden Augen, schönen Gesichtern, hohen Stirnen, wozu bei dem weiblichen Geschlechte noch die langen schweren braunen und blonden Locken und die eigenthümlich leuchtenden Augen kommen, deren feste, ruhige Milde sich weiter nicht schildern läßt.

Aber da waren ja auch so viele Gruppen von blassen, zerlumpten Gestalten! Stand bei dem Einen nicht mit großer Schrift um den Hut herum: „We ara Syng with starvation“? (Wir sterben vor Hunger.) Und wo’s nicht auf dem Hute stand, las man’s noch deutlicher in Gesichtern. Richtig, furchtbar wahr und wirklich. Aber ihr seht in diesen Gesichtern zugleich auch die celtische Race, den Irländer, die Folge und den Fluch anderer Mächte. –




Blätter und Blüthen.

Handwerker aus Instinkt. Am Kap der guten Hoffnung giebt es einen Vogel, der unter dem Namen „Republikanischer Sperling“ bekannt ist, nach der wissenschaftlichen Benennung aber Philaeterus Socius heißt. Dies Vögelchen baut ein regelmäßiges Viereck. Mit einer Anzahl seines Geschlechts nimmt er einen Baum in Besitz und baut um den Wipfel desselben ein großes Nest, das gegen zweihundert Abtheilungen enthält. Jeder Vogel hat seine bequeme kleine Wohnung, in welcher er mit seinem Weibchen lebt, seine Jungen aufzieht und der unbedingtesten Freiheit genießt. Sie sind in so fern Baumeister, als es sich auf die Erbauung der gemeinschaftlichen Wohnung, die Ausbesserung und Vertheidigung derselben bei drohender Gefahr und das Aufsuchen der Vorräthe bezieht. Benimmt sich irgend ein Vogel gegen die Regeln der Gesellschaft oder überhaupt unfreundlich, so wird er von einem ausgewählten Polizei-Detachement heimgesucht, das ihn mit unbarmherzigen Bissen der starken Schnäbel hinaustreibt und ihm niemals die Rückkehr in die gemeinschaftliche Behausung gestattet. Versucht es irgend ein bösartiges kriechendes Thier sich einzuschleichen, so bildet sich sofort eine Bürgergarde, und sobald die wachsame Schildwache ein Zeichen giebt, stößt das tapfere Corps ein gellendes Geschrei aus, beeilt sich, die gewöhnliche Garnison zu verstärken und zwingt meistentheils den Feind durch die Masse drohender Schnäbel, die sich ihm wie undurchdringliche Pallisaden entgegenstrecken, zum Rückzuge.

Ein anderer Vogel, der ebenfalls am Kap gefunden wird, baut für sich ein aus drei Abtheilungen bestehendes Haus, mit bogenförmigen Eingängen, ähnlich denen, deren sich die Römer in ihrem Baustyl bedienten. Dieser Vogel, eine Reiherart, heißt Scopus umbretta, baut sein Nest in einen Strauch oder vielmehr um einen Strauch, gibt ihm eine kreisförmige Gestalt und theilt es in drei Abtheilungen, die mittelst bogenförmiger Oeffnungen unter einander in Verbindung stehen. Er beginnt den Bau damit, daß er zuerst das Fachwerk seiner Wohnung aufrichtet und sich hierzu theils der, für seinen Plan geeigneten Zweige bedient, theils die vernichtet, die ihm hinderlich sind; dann sucht er kleine Reiser, um den Bau zu vollenden und gibt ihm eine [176] so große Regelmäßigkeit, daß ein Zimmermann darauf stolz sein könnte. Ist das Fachwerk vorbereitet, so schafft er Thon herbei, um die Zwischenräume auszufüllen und bedeckt zuletzt die Außenseite mit einem Ueberzug aus körniger Erde, vollkommen wasserdicht und so fest, das er dem Schnabel des stärksten Raubvogels widersteht. Wenn das Nest vollständig fertig ist, sieht es, wie ein kleines arabisches Zelt aus und ist, wie schon bemerkt, in drei Räume abgetheilt. Noch Niemand hat bis jetzt den Zweck der beiden ersten Räume entdecken können; sie sind stets sehr sauber und scheinbar unbewohnt. Im dritten Zimmer wohnt der Scopus umbretta. Hier, auf einem Lager von weichem Moose und Federn, legt das Weibchen ihre Eier und brütet die Jungen aus. Wenn ihr Männchen auf den Fischfang ausgeht, verschließt es sorgfältig die drei Thüren mit Steinen und kleinen Zweigen und mauert auf diese Weise seine Familie ein, um sie vor den Angriffen kriechender Thiere zu schützen. Kehrt es mit Vorräthen von Fischen zurück, so zerstört es mit dem Schnabel die Befestigung, wirft die Trümmer derselben sorgfältig bei Seite und schließt sich der Familie im innern Raume an. Bei irgend einem Geräusch oder einer drohenden Gefahr, eilt der Scopus umbretta sofort herbei und stellt sich vor den äußeren Eingang. Hier erwartet er mit vorgestrecktem Schnabel und zum Kampfe bereit den Feind, greift ihn an, ehe er in die Wohnung eindringen kann, und geht in der Regel als Sieger aus dem Kampfe hervor. Nicht selten findet man in der Nähe des Nestes todte Kriechthiere, die mit zerhackten Köpfen, den Trophäen des scharfsinnigen Vogels daliegen.

Man findet am Kap diese Nester so gewöhnlich wie bei uns die Nester der Hausschwalben, denen wir in der Regel zu geringe Aufmerksamkeit schenken, obgleich sie sich unter den Dachrinnen unserer Häuser befinden und wir nur nöthig hätten, unsere Augen zu ihnen zu erheben.




Denkmäler Göthe’s, Schiller’s und Wieland’s in Weimar. Wieder einmal wird dem deutschen Volke Gelegenheit geboten, einige seiner großen Todten in würdiger Weise zu ehren. Von Weimar aus, wo die vier genialsten Dichter Deutschlands, Göthe, Schiller, Herder und Wieland seiner Zeit innig verbunden untereinander lebten, ist so eben ein Aufruf zu Beiträgen für die obengenannten Denkmäler ergangen. Herder’s ehernes Standbild, das schon im Jahre 1850 errichtet wurde, stand seitdem wie mahnend da, daß man der andern drei Männer im Bunde nicht gedacht. Die drei Statuen, welche die Höhe von 10 Fuß rheinisch Maaß erhalten, werden im Costüm ihrer Zeit ausgeführt, und Schiller und Göthe, als die inniger befreundeten, zu einer besondern bedeutungsvollen Gruppe vereinigt. Das Modell zu letzterm Denkmal ist von Ernst Rietschel in Dresden in Ausführung genommen worden, das zum Standbilde Wieland’s führt Hans Gasser in Wien aus; das Erz zu sämmtlichen schenkt König Ludwig von Baiern aus seinen Vorräthen. Die Verehrer der drei großen Dichter endlich haben für die Kosten des Gusses, der Fußgestelle und der Aufrichtung etwa 12,000 Thaler aufzubringen, deren Sammlung durch den eben erfolgten Aufruf angestrebt wird.




Ein See im Gouvernement Kaluga. In der Provinz Kaluga, südöstlich von Moskau, befindet sich ein eigenthümlicher See, der in seiner Form einen Ellbogen beschreibt, nicht ganz eine halbe Stunde lang ist und die Richtung von Süden nach Norden hat. Das Eigenthümliche desselben besteht darin, daß die an seinen Ufern wachsenden Pflanzen und Gräser durch ein fortwährendes Vordringen das Wasser überwuchern. Zur Grundlage hat diese auf dem Wasser schwimmende Pflanzenwelt einiges Erdreich, das in den untereinander verschlungenen Wurzeln und Fasern zurückgehalten wird. Die unaufhörlich fortwuchernde Vegetation hat schon ziemliche Fortschritte gemacht, und macht darin jedes Jahr noch mehr, so daß mit der Zeit die ganze Fläche des Sees bedeckt sein, und dieser dann zu einer Art unsichtbaren Wasserbehälter umgewandelt sein wird. Auf der den See so allmälig überwachsenden Decke kann man gehen ohne Gefahr einzusinken, doch fühlt man bei jedem Schritt, daß dem Boden die gehörige Festigkeit fehlt. Tritt man fest mit dem Fuße auf, so dringt sofort das Wasser hervor und vertheilt sich über das Gras. Der See selbst ist ungewöhnlich tief, und halten sich in ihm eine Menge Fische auf, welche den umwohnenden Bauern zur Nahrung dienen. Der Fischfang wird jedes Mal im Winter vorgenommen, wenn die Mitte des Sees von einer soliden Eisdecke überzogen ist, und wo dann das Eis an verschiedenen Stellen, durch welche man die Netze in das Wasser hinunterläßt, aufgehackt wird.




Literarisches. Es war für den Freund der deutschen Literatur eben kein erfreulicher Anblick, als vor einigen Monaten sich zwanzig und dreißig buchhändlerische Firmen eines ausländischen Romans (Onkel Tom) bemächtigten und diesen in wohlfeilen und theuren, in illustrirten und löschpapiernen Uebersetzungen dem Publiko in jeder Weise anpriesen und durch Manipulationen und Kunststückchen aller Art aufzwangen. Aber dieser Roman, wenn auch als literarisches Produkt von sehr geringer Bedeutung, war doch in seiner Tendenz eine edle That und in seinen Erfolgen von so großem Einfluß, daß eine große Verbreitung nur wünschenswerth erscheinen mußte. Was soll man aber dazu sagen, wenn deutsche Buchhandlungen sich nicht schämen, notorische Schwindeleien und bereits entlarvte Betrügereien zur Grundlage ihrer Spekulation zu machen? Man lese das Börsenblatt. Dort wimmelt es bereits von Anzeigen, nächstens erscheinender Broschüren und Flugblätter über das „Geisterklopfen,“ dieser „merkwürdigen Naturerscheinung,“ die uns „einen so tiefen Blick in das Dunkel der Geisterwelt“ thun läßt. Das ist eine verwerfliche Spekulation auf den Aberglauben und die Dummheit des Volkes, die in keiner Weise zu entschuldigen ist. – Gervinus Geschichte der deutschen Dichtung ist vor einigen Tagen erschienen. Der berühmte Verfasser hat das Buch Dahlmann und den Gebrüdern Grimm gewidmet, auf daß diese daraus ersehen „daß er noch nicht ganz in politischen Wühlereien aufgegangen.“ Ueberhaupt spricht sich Gervinus in der Vorrede sehr entschieden über die gegen ihn verhängte Verfolgung aus.

E. K.  



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Schnellpressendruck von Giesecke & Devrient in Leipzig.