Die Gartenlaube (1853)/Heft 29
[309]
No. 29. | 1853. |
Eine Nacht unter Alligatoren.
Ich bin, so zu sagen, ein geborner Jäger und ich glaube, daß Niemand im Stande ist, irgend eine Sorte von Jagd zu nennen, die ich nicht praktisch verstünde. Nur einen Ibis, einer der interessantesten Vögel Amerika’s, hatte ich noch nicht geschossen. Eigentlich war ich blos des Ibis wegen in die heißen Sümpfe, Seen, Buchten und Lagunen gegangen. In meiner kostbaren Sammlung von Jagd-Trophäen sollte der Ibis nicht länger fehlen. Lange hatte ich mich in den südlichen Theilen herumgetrieben, ohne meinen Vogel zu entdecken. Endlich wagte ich mich allein mit meiner Doppelbüchse und meinen Pulvervorräthen in einem gewöhnlichen Kahne eines Tages weiter und immer weiter hinein in diese schläfrigen, schlammigen Buchten und Bayen, die der Mississippi schon 300 Meilen (es ist immer von englischen Meilen die Rede) vor seiner Mündung um sich herum gerissen hat. Zuweilen schlafen sie ganz in Schlamm und Schlummer versunken, zuweilen kriechen sie vor-, dann auch wieder rückwärts, je nach der Jahreszeit. Diese labyrinthischen Ströme, Bayen und Buchten sind in der Regel sehr tief, zuweilen eng, zuweilen sehr weit und mit Inseln in deren Mitte. Sie sind mit ihren Sümpfen und Morästen die wahre Heimath der Krokodile und Alligators und eines nicht minder unfreundlichen Geschöpfs, des Fluß-Hay’s. Schaaren von Wasser- und Sumpf-Vögeln kreisen und kreischen über ihnen und waten durch deren schwarzen Urschlamm; der rothe Flamingo, der weiße Reiher, der Trompeten-Schwan, der blaue Fischreiher, die wilde Gans, der Kranich, der Schlangen-Vogel, der Pelican und endlich der Ibis in mehreren Arten. Ueber ihnen kreist die Aristokratie der Sümpfe, der weißköpfige Adler und andere Söhne vom Stammbaume der Raubvögel, die zuweilen herabschießen und sich bald Vögel, bald Fische holen. Die Natur strotzt hier noch von häßlicher Ueberfruchtbarkeit an scheußlichen Reptilien, Fischen und Insekten, die von den Schaaren der Vögel, obgleich sie von ihnen leben, nicht verdünnt, geschweige vertilgt werden können.
Diese Wassernetze wirren sich in allen Richtungen durch die Sümpfe und sind zwischen manchen Ansiedelungen die einzig möglichen Wege. Südlich nach dem
[310] Golf hin hören bald alle Bäume auf und 50 Meilen ringsum ist nichts zu sehen als Sumpf und Wasser. Hier in dieser baumlosen Wasser- und Sumpfwüste schwamm und ruderte ich, um einen Ibis zu erwischen.
Ich war von einer kleinen französisch-creolischen Colonie ganz allein abgefahren, selbst ohne Hund, da mein theurer Liebling kurz vorher, als er mir durch eine Bucht nachschwamm, von einem Alligator verschlungen worden war.
Der schläfrige Strom trug mich langsam weiter und immer weiter, ohne daß ich meinen Vogel entdeckte. Eine Zweigbucht begegnete mir sehr lockend mit ihren Inseln, auf denen Riedgräser in ungeheurer Fülle sich bogen. Ich ruderte mich hinein. Alles erschien hier unberührt und urkräftig in einer so furchtbaren Einförmigkeit und Stille, daß ich gleichsam vor mir selbst erschrack, hier mich zu befinden und sogar Lärm zu machen.
Doch hatte das Gefühl, daß ich wohl das erste menschliche Wesen sein könnte, welches dieses Stück Schöpfung sah, bald etwas Erhebendes für mich. Ich fing an, mich meiner Herrschaft über die Schöpfung bewußt zu werden und tüchtig unter die unschuldigen, noch ganz furchtlosen Thiere hineinzuschießen. Schon hatte ich einen großen Holz-Ibis und einen von der weißen Species, doch noch keinen rothen, auf den mir’s eigentlich ankam. Inzwischen holte ich mir einen weißköpfigen Adler vollends herunter, der offenbar neugierig und keine Gefahr ahnend, sich weit herabgelassen hatte, um mich in der Nähe zu besehen. Ich mochte ungefähr 3 Meilen stromaufwärts gerudert sein, als ich mich entschloß, die Ruder hereinzunehmen und mich zurück treiben zu lassen. Doch merkte ich zugleich, daß sich die Bucht weitete. Von Neugier gepackt, trieb ich rasch weiter hinauf. Nach einigen hundert Schlägen befand ich mich am Ende eines ziemlich eirunden Sees von etwa 1 Meile im Umfang. Er war tief, schwarz und voll von Alligators. Ich sah deren häßliche Riesenkörper und ihre langen, gezackten Rücken nach allen Richtungen hin und herfahren und Fische oder einander verzehren; doch war das nichts Neues für mich. Ich hatte das Schauspiel schon zu oft auf meinen Excursionen gesehen. Was mich am Meisten aufregte, waren rothschwimmende Linien auf einer kleinen Insel beinahe mitten im See. Das konnten rothe Ibis sein. So ruderte ich eifrig heran, doch vorsichtig genug, um sie nicht aufzuscheuchen. Die Sonne brannte heiß und hell und beleuchtete blendend die glänzend rothe Reihe von Vögeln, die, auf einem Beine stehend, entweder schliefen oder in tiefe Gedanken versunken waren. Jetzt sah ich, daß es keine Flamingo’s waren. Die Gestalt ihrer Schnäbel, einer Degenklinge ähnlich und ihre Größe von etwa 3 Fuß (der Flamingo hat fünf) überzeugten mich, daß ich eine Compagnie Ibis vor mir sah. Sie standen am entgegengesetzten Ende der Insel, die kaum 70 Ellen maß. Mit der größten Vorsicht schob ich den Kahn herum und legte meine Doppelbüchse an. Ich zielte und drückte sogleich beide Läufe ab. Der Rauch zerstob rasch und ich sah alle davonfliegen, bis auf einen. Mit leidenschaftlicher Hast sprang ich aus dem Kahne und auf meine Beute, einen richtigen rothen Ibis. Freudig kehrte ich zurück, sah aber zu meinem Schrecken den Kahn schon weit davon treiben. In meiner Leidenschaft hatte ich ihn nicht befestigt. Ich wollte nachspringen, merkte aber, daß das Wasser dicht am Ufer gleich klaftertief war.
Ich sah blitzschnell ein, daß mein Kahn und ich verloren seien, unwiderruflich, obgleich ich im ersten Augenblicke das Schreckliche, Beispiellose meiner Lage noch nicht im vollen Umfange einsah. Meine kleine, trostlose, öde, sumpfige Insel lag mitten in einem See, und um diesen See mitten in einem Labyrinthe von Sümpfen, Inseln, Seen und Flüssen, die noch nie ein Mensch gesehen haben mochte. Ich wußte, daß hier meilenweit ringsum kein Mensch wohne. Schwimmen konnte ich nicht und würde mir auch mitten unter Heeren von Alligatoren wenig geholfen haben. Auf der Insel kein Baum, kein Stecken, nicht die Spur von Holz, wovon ich hätte etwas zum Schwimmen machen können. Der Schrecken der Einsamkeit und Verlassenheit überfiel mich mit seiner ganzen riesigen Allgewalt. Niemand konnte mich hören oder sehen oder nur ahnen, denn in der Kolonie, wo ich mich aufhielt, war ich nur als Fremder bekannt, der sich zuweilen Wochen lang nicht sehen ließ. Sie hielten mich für eine Art Wunderthier, das zuweilen nie gesehene Thiere, die ich in ihrer Nachbarschaft geschossen, nach Hause bringe. Sonst wußte Niemand etwas von mir, und Niemand hatte ein Interesse an mir. Man konnte mich also unmöglich eher vermissen, als bis ich vielleicht verhungert oder von einem Alligator verdaut worden war.
Ich begriff dies Alles in weniger als einer Minute. Ich schrie, ich brüllte nach allen Seiten, obgleich ich wußte, daß mich Niemand hören konnte. Nur meine Stimme hört’ ich als Antwort weithin verhallen. Die Reiher kreischten und der weißköpfige Adler schien ein wahnsinniges Hohngelächter aufzuschlagen.
Ich hörte auf zu schreien, warf mein Gewehr zur Erde und mich daneben. Ich habe einmal lange in einem düstern Kerker gesessen, ich bin einmal einem Banditen begegnet, der mir die gespannte Pistole vor die Stirn hielt, Niemand wird dies angenehme Situationen nennen, auch waren sie’s für mich nicht. Ich habe mich einmal in einer Prairie von Tejas verloren, auf dem unendlichen Meere festen Landes mit mannshohem Grase, ohne die geringste Spur von Baum, Gegenstand, Stern oder sonst einem möglichen Leiter. Das war noch schlimmer. Man sieht sich ringsum die Augen aus; man sieht nichts, man hört nichts, man ist allein mit Gott und zittert vor seiner Gegenwart. Alle Sinne verschwimmen, das Gehirn dreht sich im Kreise und wir mit ihm, man fürchtet sich vor sich selbst, man erschrickt, daß man denken kann. Von Allen verlassen, fürchtest Du, daß Dich Dein eigner Geist verlasse. Das ist schrecklich, unsäglich furchtbar, aber man kann’s ertragen, denn ich habe es ertragen und würde es lieber noch zwanzigmal durchmachen, statt nur eine Minute der ersten Stunde meiner jetzigen Lage wieder zu erleben. Dein Gefängniß ist dunkel und schweigend, aber Du weißt, daß Du Mitgefangene hast und der Schließer kommen und Dir ein menschliches Gesicht zeigen wird, sei es noch so häßlich und barbarisch. [311] Verloren in der Prairie bist Du allein, aber Du bist frei. Auf meiner Insel war ich allein und gefangen, gebunden, mehr als gebunden. Die Schrecken des Gefängnisses und der Prairie stürzten sich mit gleicher Gewalt auf mich. Dazu kamen zahllose Massen von häßlichen Ungeheuern. – Endlich verlor ich das Bewußtsein, wie als zum Schlafen. Ich hatte mich den ganzen heißen, tropischen Tag abgearbeitet, ohne etwas zu mir zu nehmen. Ich war zermalmt und dachte schon halb unbewußt mit einer Art Gleichgültigkeit an ein elendes Verderben. So mußte ich viele Stunden zugebracht haben; denn als ich die Augen wieder aufschlug, war die Sonne schon im Sinken. Ein schauderhafter Umstand brachte mich wieder zu mir selbst und auf die Beine. Ich sah und fühlte mich von dunkeln, scheußlichen Gegenständen umgeben. Sie waren lange vor meinen Augen gewesen, aber ich hatte sie in meinem traumartigen Halbbewußtsein nicht gesehen. Ich dachte wohl in meiner Ohnmacht daran, aber ohne Kraft, mich davor zu fürchten. Endlich hörte ich sie: ein ewig unvergeßliches, gräßliches Blasen und Brausen, Röcheln und Schnarchen, zuweilen ein dunkles, tiefes Zischen, endlich wie das rasende Gebrüll eines wüthenden Bullen. Jetzt riß das Entsetzen meine Augen auf: riesige Eidechsen – Alligators rund um mich und über mich herkriegen. Sie krochen und rochen und schnaubten und brüllten dicht über die ganze Insel hinweg und schienen offenbar in Zweifel, was mit mir anzufangen sei, da ihnen ein solcher Leckerbissen zum ersten Male vorkam. Ihre riesigen weiten Rachen öffneten sich gegen mich und ihre scheußlichen, bleiernen Augen starrten mich an.
Im furchtbarsten Entsetzen sprang ich auf und die riesigen Ungeheuer krochen und stürzten durch und über einander nach allen Seiten in’s Wasser. Sie hatten noch keinen Menschen gesehen, geschweige gegessen. Die scheußlichsten Thiere erkennen in ihrer Riesenkraft die Herrschaft des Menschen an, so lange dieser sie nicht durch Verfolgung und Mord demoralisirt hat. Die Krokodile Indiens und Aegyptens stürzen sich mit Wuth und Heißhunger auf jeden Menschen; diese „unschuldigen“ hier flohen mit großem Entsetzen vor dem „Herrn der Schöpfung“. Dies Gefühl brachte mich wieder zu mir selbst. Ich beschloß nun mit allem Scharfsinne, Alles zu versuchen und zu durchdenken, was möglicherweise zu meiner Rettung führen könnte. Ich untersuchte jeden Zoll der Insel, sondirte jede Tiefe ringsum durch tollkühnes Hineinwaten, wobei ich jedesmal mit dem dritten, vierten Schritte bis an den Hals versank. Die Ungeheuer umschnarchten mich hier unverschämter, so daß ich bald erschreckt an’s Ufer sprang und mit triefenden Kleidern die Insel auf’s Neue durchforschte. Von allen Seiten dieselbe hohle Antwort: keine Rettung.
So trieb das Entsetzen mich immer wieder über den öden kahlen Schmutzhaufen von Insel hin und her, bis Nacht und Verzweiflung und matter Heißhunger mich wie ein neues Heer von Todtfeinden packten und den Angstschweiß aus jeder Pore trieben. Das Heer schwoll zu einer furchtbaren Masse an. Die uncivilisirte Urnatur gab sich ein Abend-Concert: Das Qua-Qua des Nachtreihers, das Skrietschen der Sumpfeule, der Verzweiflungsschrei der Rohrdommel, das Schluchzen der großen Wasserkröte, das Geklirr des Glocken-Frosches und das heisere Zirpen der Savannah-Grille stürzten von allen Seiten unaufhörlich in steigenden und sinkenden und wieder steigenden Schwellungen an mein Ohr und begleiteten das nahe Schnarchen und Brüllen und Planschen der Alligators. Erst mit Beginn der Nacht bekam hier die Natur, die ungezähmte, ihr erhabenstes, entsetzlichstes Leben. Ich wollte nicht schlafen, aber ich fiel zusammen und meine Augen zu, als könnte ich sie nie wieder aufschlagen. Aber das Kriechen, Schnarchen, Brusten und Zischen um mich herum und endlich die Berührung eines feuchten, kalten Ungeheuers, das über mich gebogen eben seinen Schlag mit dem Schweife appliciren zu wollen schien (ich kannte ihre Manier), gaben mir eine plötzliche Kraft, mit der ich auf und zur Seite sprang.
Fast in demselben Augenblicke peitschte das Ungeheuer den Boden, wo ich gelegen, daß Sand und Schmutz weit umherstoben. Meine Oberherrschaft war bald gebrochen, der Respect vor mir war dahin. Ich nahm mein Gewehr und schoß auf das größte der Ungeheuer, ohne es zu tödten. Doch stürzten alle davon. Sie sind kugelfest und haben ihre Achillesferse blos im Auge oder unter der Vorderkralle.
Ich schlief nun, wenigstens wachte ich später auf oder wurde vielmehr durch die schleimige, kalte Berührung von einem dieser Ungeheuer aufgeschreckt. Ich sprang wieder auf und schoß eins in’s Auge. Es peitschte mit furchtbaren Schlägen den weichen Sandboden und brüllte ein paarmal auf; dann lag es langgestreckt. Die Andern waren wieder geflohen, kehrten aber zum Teil fast augenblicklich zurück und bildeten eine Art von Cirkel um mich. Ich schrie und schwang mein Gewehr und schoß zuweilen, doch mit immer weniger Erfolg, so daß ich, obgleich körperlich und geistig zerbrochen, doch nicht wieder an’s Schlafen denken konnte. Endlich kam der Morgen heiß und feucht und beleuchtete mit neuen Farben mein furchtbares Schicksal. Woher Frühstück nehmen, nachdem ich, den Tag vorher ohne Mittag- und Abenbrod, diese Nacht durchlebt hatte? Ich trank gierig das scheußliche Wasser, ohne den Durst löschen zu können. Und wie den Hunger?
Was konnte ich essen? Den Ibis. Aber wie ihn kochen? Womit Feuer machen? Mit Sand und Schlamm und Wasser? Doch wozu kochen? Kochen ist eine moderne Erfindung, ein Luxus für verweichlichte Gaumen. Ich befreite den Ibis von seinem prächtigen Gefieder und aß ihn auf. Nein ich war ökonomisch und hob mir einen Theil für die Zukunft auf. Er mochte mit Knochen 3 Pfund wiegen, doch mußte ich ihn zur zweiten Mahlzeit – einem déjeuner sans fourchette – schon bis auf die Knochen abnagen. Ich verfluchte die Stunde, in der ich Geschmack an solchen Mahlzeiten gefunden, und meine Naturwissenschaft wünschte ich mit sammt Audubon, Buffon und Cuvier in diese Urmoräste bis an den Hals.
Was nun nach dem Ibis? Todthungern? Noch nicht. Da liegt mein riesiger Nachbar: das todte Krokodil. [312] Sind in England Ochsenschwänze eine Delikatesse, kann ein Alligator-Schwanz immer noch gut genug sein, den Hungertod hinauszuschieben. Freilich ich hungerte noch einen Tag und eine Nacht, ehe ich an meine Fleischkammer ging, und dann verbreitete das Aas einen so entsetzlichen Geruch, daß ich, zumal da keine Spur von Wind ging, genöthigt war, es mit ungeheurer Anstrengung in’s Wasser zu bringen. Aber ich schoß einen andern und schnitt mir ein derbes Stück aus dessen Schweife.
Du schauderst, Leser? Schaudere nicht, sondern denke in Demuth daran, was der Mensch sei in seinem Hunger. Im Hunger und im Tode sind alle Menschen gleich, glaub’ ich. Hast Du einmal gehört, christlicher Leser, von jenen Matrosen, die sich im stillen Ocean von ihrem untergehenden Schiffe auf ein Boot gerettet und auf einer Fahrt von 6 Wochen drei von ihren Unglücksgefährten, die das Loos traf, aufgegessen und ihren Durst von deren Blute gestillt hatten? – Ich verlange von keinem Menschen, daß er seinen Nächsten (ohne Grund) liebe, vielweniger seine Feinde; aber wer einen Menschen mit Bewußtsein hungern ließe, den möcht’ ich in’s Auge schießen, wie einen Alligator.
Nachdem ich meinen frischen Alligatorschwanz „in Gottes freier Natur“ verzehrt hatte, fühlte ich mit Wollust eine Art von anglo-sächsischem Phlegma und Comfort wiederkehren. Ich fühlte sogar das Bedürfniß, meine Zähne zu stochern, aber freilich weder Natur noch Kunst boten hier diesen Artikel feil. So sah ich ruhig in’s Weite über meinen Fleischvorrath hinweg (selig ist der Besitzende) und bemerkte, wie sich ein dunkler Körper träge auf der Oberfläche des Wassers umhertrieb. Freilich sah ich bald, daß es nur der verwesende Alligator war, den ich in’s Wasser gebalgt hatte; aber ich sah mehr. Ich sah den Grund, warum das Aas schwimme. Es ist geschwollen, es haben sich in dem Processe der Verwesung Gase entwickelt – um aus dieser Verwesungsluft mein Leben zu holen. Ja so kamst du, Kind der Noth, die schon Größeres im Leben schuf und erfand, als die Rettung eines Menschenlebens.
Ich dachte an den schwimmenden Alligator, an seine geschwollenen Eingeweide, an die Eingeweide in dem vor mir liegenden. – Wie ein Blitz schoß ich auf ihn zu, schnitt ihn auf, riß die Eingeweide heraus, reinigte sie, blies sie mit einer Feder vom Ibis auf, verband sie und wickelte sie mir um den Leib. Nun konnte ich schwimmen. Mit meiner geladenen Flinte ging ich keck in’s Wasser. Es trug mich so schön, daß ich gleichsam in demselben stand und ging in möglichster Nachahmung der Wasservögel. Mein Gewehr hielt ich tapfer über Wasser, um es gegen Alligatoren zu gebrauchen und mich nicht ohne Gegenwehr verschlingen zu lassen. Zu meiner Freude wurde ich gar nicht attakirt: Alles schlief den tropischen schweren Schlaf unter der Mittagssonne. Ich hatte sogar auch die rechte Zeit zu meiner Rettung getroffen. Nachdem ich etwa eine halbe Stunde Wasser getreten hatte, näherte ich mich dem Ausgange der Bucht. Wer beschreibt meine Seligkeit, als ich hier mein Boot entdeckte? Es hatte sich in einem Winkel des Morastes festgefahren. Mit Riesenkraft schwang ich mich – ja ich hatte nach dreitägiger Pein der unsäglichsten Art jetzt doch wieder Riesenkraft – in mein Boot und zwang es mit gewaltigen Ruderschlägen, pfeilschnell durch die träge Wassermasse zu schießen.
Dabei dachte ich daran, den Krokodilen einen Tempel zu erbauen oder eine ungeheure Ode auf diese Lebensretter zu dichten.
Doch ich wurde zu bald in diesen Gedanken gestört und auf bessere gebracht. Wie ich so durch den „Urschlamm“ Amerika’s dahinruderte, sah ich unweit ein herrenloses Boot treiben. Mein erster Wunsch bei diesem Anblicke war: Gebe Gott, daß etwas Brod oder wenigstens Käse darin sei! Aber es war mehr darin.
Ich rudere heran und sehe zu meinem Erstaunen die schöne Creolin aus meinem Hotel, wo ich die letzten 6 Monate logirt hatte, wie todt im Kahne liegen. Aber sie schlief blos. Sie schlug die Augen wirr auf und stürzte sich dann mit einem Freudengeschrei an meinen Hals, wobei wir beinahe Beide in’s Wasser gefallen wären. Hernach bat sie gleich erröthend um Entschuldigung: Ich habe ihr von meinem Vorhaben erzählt, daß ich in dieser Richtung auf die Ibis-Jagd gehen und Abends wahrscheinlich wieder da sein werde. Nun sei ich in Ewigkeit nicht gekommen. Da habe es ihr keine Ruhe gelassen u. s. w. –
Lieber Gott, was blieb mir nun übrig, als sie zu heirathen? Ich hätte es wahrscheinlich auch ohnedies gethan, denn ich liebte sie längst, wie ich die „gute Gesellschaft“ meines Vaterlandes haßte, die blos Stand mit Stand, Pfunde mit Pfunden und Farbe mit Farbe verheirathet, um der Welt kein Aergerniß zu geben. Ich aber gebe mit Freuden der ganzen Welt Aergerniß, wenn ich damit nur meiner feurigen, schönen Blume, die mich immer wie personificirtes Morgenroth anlächelt, einen Genuß mehr verschaffen kann. So weiße Zähne und so rosige Laune sind in der ganzen Welt nicht zum zweiten Male da. Ebenso hat kein Museum der Welt solch ein Wunder in Spiritus, als ich, nicht solche merkwürdige Krokodils-Kaldaunen. Ich nehme das herrlichste Weib aus dieser Geschichte mit und damit der Leser auch nicht ganz leer ausgehe, geb’ ich ihm den guten Rath: das Boot allemal, ehe er aussteigt, festzubinden. Wer nicht am Wasser wohnt, kann sich unter Boot jedes beliebige und beliebte andere Ding vorstellen oder auch sagen: Ein Sperling in der Hand ist besser, als eine Taube auf dem Dache.
Uebrigens braucht sich aber der Leser nicht einzubilden, daß ich rohen Ibis und Krokodilenschwanz gegessen, um ihm zuletzt eine solche ausgekochte Moral aufzutischen.
Es passirte mir wirklich Alles so auf meiner Ibis-Jagd. Daß ich mir doch noch einen von der schönen, rothen Species geschossen, ohne ihn aufzuessen, gereicht wahrscheinlich mir mehr zur Freude, als dem Leser. Meine Frau befand sich nach den pflichtschuldigen 9 Monaten „den Umständen nach“ ganz wohl. Aber der kleine Bengel schreit manchmal so anhaltend, als wollte er später davon leben, wie von einer Profession. Um [313] diese früh entwickelten natürlichen Anlagen nicht zu stören, gehe ich immer auf die Jagd. Will ich ihm gar einmal auf’s Leder, zeigt mir seine schöne Mutter ihre schönen Augen und weißen Zähne. Was bleibt da einem rechtschaffenen Vater mit so vielem Gelde übrig, als den Kerl schreien zu lassen und wilde Enten zu schießen? Sonst bin ich jetzt der glücklichste Mensch. Aber zuweilen wach’ ich doch noch in Angstschweiß gebadet aus meinem Schlafe auf und habe dann immer von meiner insularen Lage geträumt. Und dann ist es erst eine Seligkeit, auf die blühenden Wangen eines Kindes und eines selbst im Schlafe lächelnden schönen Weibes zu blicken.
Zwei deutsche Männer.
Das ist am Neckar und am Rhein.
(Altes Lied.)
Am Neckar und Rhein wohnen zwei Männer, die nicht allein zu den berühmtesten, sondern auch – und das will mehr sagen – zu den besten, ehrlichsten Männern Deutschlands gehören; zwei Männer, die den Namen „Deutsche Männer“ in der vollsten und schönsten Bedeutung des Wortes verdienen; sie heißen G. G. Gervinus und E. M. Arndt.
Beide aus der mittleren Bürgerschicht, aus „dem Volke“ hervorgegangen und auch dem Volke stets zugewendet mit jedem Nerv ihres Wesens und mit dem Blute ihres Herzens, wenn auch jeder nach seiner eigenthümlichen Natur. –
[314] Von Gervinus brachte Nr. 25 der Gartenlaube schon Portrait und kurze Biographie; wir wollen unsere Leser aber auch noch zu seiner Person führen, in sein Haus. Es war im vorigen Monat, als es mir vergönnt war, Gervinus in seinem Hause aufzusuchen. In Heidelberg, über die Neckarbrücke weg, rechts umgebogen und den Neckar entlang bis zu einem hellen, schönen, etwas erhöhten Hause, im Geschmack einer Villa, mit einer hohen, freien Vorhalle auf mächtigen Säulen ruhend: das ist das Haus des Geheimeraths von Falkenstein, dem Freunde Gervinus’, der diese Freundschaft noch jüngst öffentlich bethätigte durch eine Broschüre über das bekannte Verfahren gegen die Person und die Schrift des berühmten Historikers. In diesem Hause, zwei Treppen hoch, wohnt derselbe. Zu seinen Füßen der Neckar mit lachenden, sonnigen Fernblicken nach links und rechts; grad ihm gegenüber die herrlichste Ruine Deutschlands, das sogenannte „Schloß“ und darüber hin die Bergwaldung reifer Kastanien in lichtem, saftigem Grün. – Hier ist es unmöglich, Das zu werden, was man unter einem „Deutschen Professor“ versteht; hier müssen Herz und Geist frisch und stark werden und bleiben, hier spült der Strom, hier rauscht der Wald den bösen Bücherstaub aus Herz und Hirn. – Dieser Blick hinaus harmonirt mit den freien, hellen, luftigen Zimmern und ihrer heiteren, harmonischen, künstlerisch-einfachen Einrichtung, worin der berühmte Gelehrte wohnt, und das Alles sympathisirt wieder mit dessen persönlicher Erscheinung und deren Behabung. Eine große, stattliche Erscheinung, an Göthe erinnernd, nur nicht dessen „Excellenz“, Haltung und Imponirung; einfacher, wohlthuender und doch immer in gewissen respectgebietenden Schranken. Die Stirne von seltener Höhe, den tiefen Denker verrathend und doch mild und sanft. Ebenso die sinnig-geistvollen, dunkelblauen Augen. Die Züge fein, wir möchten sagen aristokratisch; die Form des Gesichts an einen vornehmen Engländer erinnernd. Um den edelgeschnittenen Mund spielen ganz feine, ironische Linien, wie kleine Schlänglein. – Gervinus spricht eher weich als streng, eher leise als laut; Alles ist an ihm nicht Behaglichkeit, sondern Ruhe, Harmonie, milder Ernst; es thut das wohl; man fühlt sich stets einer großen Persönlichkeit gegenüber und doch auch wohnlich; das kommt: man fühlt auch den Menschen heraus und den Künstler. Diese beiden Elemente sind in Gervinus noch so wenig erkannt und sind doch so eng mit seinem ganzen Wirken und Schaffen verbunden, wenn sie auch mehr der Person gegenüber hervortreten mögen. An allen Erscheinungen des öffentlichen Lebens nimmt Gervinus regen Antheil und alle Künste sind ihm treue, heitere Gefährten auf seiner ernsten Lebensbahn. Schöne Bilder und antike Statuen und Köpfe umgeben ihn bei seinen gelehrten Arbeiten; um seinen schönen Flügel versammeln sich wöchentlich ein paarmal Musiker und Sänger und die Entwickelung einzelner deutscher Theater, die nicht nur Kammerherrn zu Dirigenten haben, verfolgt er mit aufmerksamem Blicke. Ein Lieblingswunsch von ihm ist, daß einmal die größten Schauspielkräfte des Vaterlandes sich zusammenthäten und einen glänzenden Gastrollen-Cyclus der besten deutschen Schauspiele in London gäben. Er trug mir dringend auf, dafür doch nach Kräften zu wirken. – Auf meine Frage, ob er Heidelberg, Baden überhaupt, verlassen würde, meinte er: „Ich glaube es nicht; ich habe mich zu sehr hier eingelebt und –“ doch das Uebrige gehört nicht hierher. – Eine Zeitung wird Gervinus nicht wieder gründen; nach den neuen Preßgesetzen in Baden hat er mit diesem einmal gehegten Entschlusse abgebrochen. – Wenn er die neue Ausgabe seiner Literaturgeschichte im Herbst beendet haben wird, geht er allen Ernstes an sein großes Geschichtswerk des 19. Jahrhunderts. Sein Muth dazu ist nicht gebrochen; unverwandt hält er sein Ziel im Auge und geht stark-muthig darauf los. Sein Glaube an die große, unverwüstliche sittliche Kraft im deutschen Volke und also auch an dessen höchster Ausbildung ist unerschütterlich. – Neugestärkt und gehoben von diesem Glauben verließ ich den großen, edlen Mann und sein Bild begleitete mich den Rhein hinunter bis nach Bonn, wo Ernst Moritz Arndt wohnt, vom Volke „der alte Arndt“ genannt.
Des alten Arndt’s Schicksale und Werke sind hinlänglich bekannt; sie hängen noch miteinander zusammen, ergänzen sich gleichsam und mahnen uns an den begeisterten Patrioten, den freien, starken Menschen, den tüchtigen Charakter, den scharfen und rasch entschlossenen Denker. Seine flammenden Flugschriften und Lieder im französischen Kriege halfen ebenso mächtig das Vaterland befreien, wie die Schwerter mancher Helden und sein altberühmtes Nationallied: „Was ist des Deutschen Vaterland“ tönt noch jetzt wie Tuba-Ruf durch das einsame Herz jedes echten Patrioten. Diese großen Eigenschaften und Verdienste des edlen Greises wurden feierlichst anerkannt, als derselbe zum ersten Male in die National-Versammlung kam: Auf Benedey’s Antrag erhoben sich da alle Repräsentanten der Nation von ihren Sitzen; – gewiß ein schöner, feierlicher Moment für den Mann und für die Nation, die so einen Tribut ihres Dankes darbrachte.
Und diesen Mann sollte ich nun nach vielen Jahren wiedersehen; den Mann, dessen Worten ich so oft gelauscht hatte, wenn sie wie Eichenwaldbrausen herab von seinem Katheder rauschten. Ich wußte noch, daß er in Bonn vor dem Coblenzer Thore wohnte; aber wo dort, mußte ich erst in der Nähe erfragen und wehmüthig wurde mir’s zu Muthe, als ein Student antwortete: „Da der dritte Garten, mit einem alten ausgerankten Lattenthor und verkrüppelten Bäumen.“ Und die wehmüthigen Zeichen trafen ein und der ganze Garten am Hinterhause und dieses selbst sahen verlassen aus, – das ganze Wesen wie eine Pächterswohnung, die nicht mehr benutzt wird. – Nach vorn aber ist Alles freundlich, hübsch, lebendig; denn hier am Fuße des Hauses, rauscht ja des alten Patrioten theurer Strom vorbei und von hier aus begrüßen den alten Herrn die sieben Berge, – es ist ein wunderschöner Platz vor diesem Hause; so heimisch-feierlich, so einfach-prächtig, die lauschige Stille zum Rauschen des Stromes und zum Dämmern der Berge. Hier muß man jung und deutsch bleiben, mag das Leben [315] da außen auch alt und fremd geworden sein. – Im Hause selbst ist Alles blank und sauber, aber sehr einfach-bürgerlich, oder noch besser gesagt: wohlhabend frisch und die Schwarzwälder Uhr gehört so ganz dahin.
Und wie ein Bauer trat Vater Arndt mir entgegen: im kurzen, blauen Bauernkittel, gegen den nur seltsam das schneeweiße Halstuch abstach. Dies harmonirte aber mit dem noch starken weißen Haupt- und Barthaar. Es war eine Lust, den edeln Greis zu sehen: 84 Jahre haben ihn zwar klein und knochig-mager gemacht, auch etwas nach vorne gebeugt, aber sein Tritt ist noch fest, seine Bewegung noch stramm, sein wie mit einem Spinnennetze überzogenes faltiges Gesicht noch roth und frisch; das sonst etwas zusammengelegte Auge blitzt noch hell und scharf auf bei jeder Erregung; die Stimme ist noch stark, ja mächtig und sein Händedruck fühlt sich wohl noch einige Augenblicke nach. Mir war’s, als tränke ich alten Rheinwein, wie er mir die Hand gab. Wir kamen nun natürlich sofort auf den Staat der Gegenwart und Zukunft, auf Deutschlands Wohl und Wehe, auf sein Hoffen und Fürchten. Da sah ich denn nun bald, daß auch sein Herz noch jung geblieben, daß er noch lieben und hassen, noch singen und donnern konnte, und daß er noch felsenfest glaubte an des Vaterlandes Zukunft. Wie ist das rührend und Ehrfurcht erweckend bei 84 Jahren! Da kann man unmöglich spotten, wenn die 84 Jahre den Denker etwas bedrückt, die Begriffe etwas ineinandergeschoben und die Consequenzen etwas sonderbar gemacht haben. So sprach denn der ehrwürdige Herr mehr im Drange der Gefühle, des Herzens und der Phantasie, und wenn er dazu mit den Fäusten auf den Tisch schlug und die Stimme furchtbar erhob, nun auch das war rührend. – Bedeutungsvoll war mir sein Ausspruch, als wir von einem berühmten Kriegsmann der Gegenwart sprachen: „Wir brauchen mehr als einen großen Kriegsmann; wir brauchen einen Helden und zu einem Helden gehören große Gedanken!“ Am heftigsten flammte Arndt auf, als von Schleswig-Holstein die Rede war; noch kurz vorher hatte er diesem Lande ein Lied geschrieben, ein starkes, flammendes Lied; er weinte dazu. „Sehen Sie, ich hatte schon den Muth es zu schreiben, aber es hat Niemand den Muth, es zu drucken.“ –
Der alte Herr dichtet und arbeitet überhaupt noch jeden Tag für die ihm stets so theure Sache seines Vaterlandes und dessen Einheit; indessen wird jetzt wenig mehr davon gedruckt, was ihn aber nicht abhält, immerfort zu arbeiten. Dabei bebaut er sein kleines Besitzthum mit eigener Hand und macht jeden Tag tüchtige Spaziergänge, dies fast immer im blauen Bauernkittel. In der Stadt trägt er noch stets den alten deutschen Rock, mit kurzem, aufrechtstehendem Kragen und einreihigen Knöpfen. Dazu oft Pantoffeln über weißen Strümpfen, mit sehr kurzen Hosen. Eine Frau v. H. erzählte, daß er bei ihr in Pantoffeln Visite gemacht habe, wenn das Wort „Visite“ überhaupt bei ihm angewendet werden darf. – Jeden Tag liest der alte Herr noch eine Menge Zeitungen und zwar mit den 84jährigen Augen ohne Brille. Selbst Geschriebenes ohne Brille. – Bei dem Zeitungslesen ist es gefährlich, mit ihm anzubinden; er geräth dann leicht in einen fast nicht enden wollenden Redezorn und um ihn her liegen dann Zeitungen in Stücken oder zusammengeballt. Das kann aber nicht die Liebe, die Verehrung, die Pietät stören, mit der er als „der alte Arndt“ überall empfangen und behandelt wird.
Das Material zum großen Weltenbaue.
Zum Aufbaue unserer Erde, sowie auch zur Erschaffung von Menschen, Thieren und Pflanzen tragen, wie im früheren Aufsatze angeführt wurde, eine große Menge von Metallen bei, d. h. von festen dichten Körpern (mit Ausnahme des Quecksilbers), die jedoch meistens bei mehr oder minder hohen Temperaturgraden in den tropfbarflüssigen und einige sogar in den gasförmigen Zustand übergehen (schmelzen und sich verflüchtigen). Viele dieser Metalle sind krystallisirbar, die meisten undurchsichtig, dehnbar, schwerer als Wasser, von eigenthümlichem Glanze und mit Leitungsvermögen für Wärme und Electricität versehen. Diese genannten Eigenschaften kommen aber nicht etwa allen Metallen und auch nicht in demselben, sondern in sehr verschiedenem Grade zu, weshalb sich auch eine erschöpfende Erklärung von Metall nicht geben läßt. So schmelzen einige Metalle schon unter der Siedehitze des Wassers (80°), während andere über 1000 Grade Hitze zum Schmelzen brauchen. Quecksilber verdunstet (verflüchtigt sich) schon bei gewöhnlicher Temperatur, während die meisten Metalle bei den gewöhnlich anzuwendenden Hitzegraden feuerbeständig sind. Am dehnbarsten sind: Gold, Silber, Kupfer, Platin und Eisen; am schwersten wiegen Platin, Gold und Wolfram, am leichtesten die Metalle der Alkalien; die besten Leiter für Wärme und Elektricität sind Kupfer, Silber und Gold.
– Zu dem Sauerstoffe haben die Metalle eine große Verwandtschaft und bei weitem die meisten kommen in der Natur mit diesem Stoffe verbunden, als Metall-Oxyde, vor; nur die edlen Metalle findet man in der Natur nie in dieser Verbindung. Nächst dem Sauerstoffe ist Schwefel derjenige Körper, mit welchem man die unedlen Metalle am häufigsten verbunden antrifft (als Schwefelmetalle: Kiese und Blenden, mit einem metallischen oder nichtmetallischen Glanze und gewöhnlich von messinggelbem Ansehen. Die Verbindungen [316] der Metalle unter sich nennt man Legirungen; in der Natur finden wir nur Legirungen von edlen Metallen. Die Verbindung der Metalle mit Quecksilber wird Amalgam genannt. – Die Elemente, welche nach allgemeiner Uebereinkunft zu den Metallen gezählt werden, sind die folgenden:
A. Leichte Metalle. Sie stellen silberglänzende Körper von geringer Dichte und Härte dar, die niemals in metallischem oder gar gediegenem Zustande, sondern stets mit andern Stoffen verbunden in der Natur angetroffen werden; sie haben ein geringes Gewicht, ja einige derselben sind sogar leichter als Wasser. Erst seit einigen Jahren ist es gelungen, dieselben in metallischem Zustande darzustellen; ihre Verbindungen sind aber schon längst gekannt und haben vielfache und wichtige Anwendungen in den Gewerben, sowie sie auch die Hauptmasse Dessen ausmachen, was wir Erde, Boden und Gesteine nennen. Man unterscheidet folgende Gruppen von leichten Metallen. a. Alkalimetalle sind: Kalium, Natrium und Lithium, ihre Oxyde sind die eigentlichen Alkalien (Kali und Natron.) – b. Erdalkalimetalle: Calcium, Baryum und Strontium. – c. Erdmetalle: Magnesium, Aluminium, Beryllium, Zirkonium, Yttrium, Erbium, Norium, Terbium, Thorium etc. Die bekannten Oxyde dieser Metalle sind: die Magnesia (Talk- oder Bittererde), die Alaun- oder Thonerde, Beryllerde, Zirkonerde, Yttererde, Erbinerde, Norerde, Terbinerde, Thorerde.
Kalium wurde erst im Jahre 1807 aus der Pottasche als Metall dargestellt und als solches zeigt es sich silberglänzend, so weich, daß man es kneten und mit dem Messer zerschneiden kann, und so leicht, daß es auf dem Wasser schwimmt. Am merkwürdigsten ist die außerordentliche Verwandtschaft dieses Metalles zum Sauerstoffe, die so groß ist, daß man dasselbe nur unter Steinöl aufbewahren kann, damit es den Sauerstoff der Luft nicht an sich ziehet. Wirft man ein Stückchen Kalium auf das Wasser, so entzündet sich dasselbe und fährt zischend, mit violetter Farbe auf dem Wasser umher. Dieser Vorgang erklärt sich so: das Kalium verbindet sich mit dem Sauerstoff des Wassers so energisch, daß die hierdurch entstehende Erhitzung den freiwerdenden Wasserstoff entzündet, dessen Flamme durch etwas verdampfendes Kalium violett gefärbt wird. Die Verbindung des Kaliums mit dem Sauerstoff, welche sich in Wasser auflöst, heißt dann Kaliumoxyd oder Kali. Das Kalium, welches als Oxyd für die Pflanzen von großer Bedeutung ist, da die meisten diesen Stoff enthalten und zu ihrem Gedeihen im Erdboden verlangen, hat in den Gewerben keine Anwendung, nur der Chemiker benutzt dasselbe, um anderen Stoffen ihren Sauerstoff zu entziehen. Dagegen sind viele der Verbindungen des Kaliums in häufigem Gebrauche, wie: das Kali oder Kaliumoxyd, die Verbindung des Kalium mit Sauerstoff, welches auch Aetzkali oder Aetzstein genannt wird und in Wasser aufgelöst Aetzlauge oder Seifensiederlauge heißt, weil sie mit Fett verbunden Seife bildet. - Das kohlensaure Kali, die Verbindung des Kaliumoxyds mit Kohlensäure, welche den Namen der Pottasche führt, gewinnt man durch Auslaugen der Holzasche und zwar vorzüglich der der Landpflanzen. Man benutzt sie zur Herstellung der Seife, des Glases, des Salpeters, des Schießpulvers und des Alauns. Sie wird aber immer mehr von der weit wohlfeileren Soda verdrängt. – Der Salpeter, oder das salpetersaure Kali, die Verbindung des Kaliumoxyds mit Salpetersäure, läßt sich im Großen entweder durch Auslaugen salpeterhaltiger Erde (in Spanien, Aegypten, Ostindien, Südamerika) oder dadurch herstellen, daß man ein Gemenge von thierischen Stoffen, Dammerde, Stroh, Mist, Kalk oder Asche in Haufen an einen luftigen Orte anhäuft, oft umschaufelt und mit Urin übergießt, wobei sich in Folge der eintretenden Fäulniß nach und nach Ammoniak, Salpetersäure und endlich Salpeter bildet. Der Salpeter wird (mit Kohle und Schwefel) zur Fabrication des Schießpulvers und der Salpetersäure benutzt. Außerdem wendet man ihn auch noch zum Einpökeln an. - Der Weinstein oder das weinsaure Kali wird aus dem Weine gewonnen und findet sich im Safte der Trauben aufgelöst, doch da es in einer Mischung von Weingeist und Wasser sehr wenig löslich ist, so setzt es sich während der Gährung als eine Kruste an den Wänden der Gefäße ab.
Natrium unterscheidet sich vom Kalium nur wenig, seine Verbindungen sind aber bei weitem wichtiger als die des Kaliums und unter diesen nimmt das Kochsalz den obersten Platz ein. Man findet das Natrium in einigen Fossilien, im Quellwasser, Meerwasser, sowie in Strand- und Meerpflanzen. Wird dasselbe auf feuchtes Fließpapier gelegt, so verbrennt es unter Funkensprühen mit gelber, leuchtender Flamme. Für die Pflanzenwelt hat das Natrium weniger Bedeutung als das Kalium, nur einige wenige Küstenpflanzen, sowie alle im Meere befindlichen Gewächse nehmen es reichlich in sich auf. - Verbindungen des Natrium sind: das Natriumoxyd oder das Natron, die Verbindung des Natrium mit Sauerstoff; sie ist auch ätzend, doch in geringerem Grade als das Kali und kommt vereinigt mit Kohlensäure als kohlensaures Natron oder Soda vor. Die Soda findet sich in der Natur als Bestandtheil vieler Mineralquellen und mancher Seen; ferner als Auswitterung an vulkanischen Gesteinen oder als Ausschwitzung der Erdoberfläche (unter dem Namen Trona in der Berberei). Da aber diese natürliche Soda für die vielen technischen Zwecke, zu denen sie gebraucht wird, in zu geringer Menge existirt, so stellt man sie künstlich dar, entweder durch Verbrennen von Strand- (Salz-) Pflanzen und Auslaugen der Asche dieser Pflanzen, oder aus dem Kochsalze, wobei man zugleich das Glaubersalz oder schwefelsaure Natron, eine Verbindung von Natron mit Schwefelsäure (die auch in Mineralwässern und Salzsoolen vorkommt und ebenfalls zur Fabrikation von Glas und Soda benutzt wird) gewinnt. Die Soda, welche weit wohlfeiler als die Pottasche und nicht wie diese Wasser aus der Luft anzieht, wird hauptsächlich zur Fabrikation der harten Seifen, des Glases und in der Färberei benutzt. – Das Kochsalz oder Chlornatrium, die Verbindung des Natrium mit Chlor, ist deshalb, weil es zu den für Menschen und Thiere ganz unentbehrlichen Nahrungsmitteln [317] gehört, in sehr großer Menge in der Natur vorhanden und findet sich als festes Gestein (Steinsalz), in Wasser aufgelöst (in Salzquellen oder Soolen) und im Meerwasser (Meersalz). Man benutzt dasselbe zur Darstellung des Chlors, der Salzsäure, der Soda und des Glaubersalzes. Unser reines Tafelsalz besteht aus 40 Theilen Natrium und 60 Theilen Chlor.
Calcium bildet die Grundlage des Kalkes und macht sonach einen bedeutenden Theil der Erdmasse, sowie einen Hauptbestandtheil des Pflanzen-, Thier- und Menschenkörpers aus. An und für sich hat es wenig Interesse, wird jedoch durch seine Verbindungen äußerst wichtig. – Das Calciumoxyd oder der Kalk, die Kalkerde, die Verbindung des Calcium mit Sauerstoff, wird in den Kalköfen durch Glühen des kohlensauren Kalkes gewonnen, wobei die Kohlensäure entweicht. Diese Erde ist sehr ätzend (deshalb Aetzkalk genannt), zieht Wasser mit großer Begierde aus der Luft an und verbindet sich mit Wasser unter beträchtlicher Erhitzung (zu gelöschtem Kalke). Man benutzt den Kalk vor Allem zum Mörtel (zum Tünchen), in der Weißgerberei zum Wegbeizen der Haare, zum Reinigen des Leuchtgases, zur Raffination des Zuckers und zu noch andern chemischen Arbeiten. – Der kohlensaure Kalk, die Verbindung des Kalkes mit Kohlensäure, kommt in vielfacher Form und unter sehr verschiedenen Namen in der Natur vor, besonders als Kalkspath, Kreide, Marmor, lithographischer Stein, gemeiner Kalkstein; im Thierreiche bildet er die Knochen-Gehäuse und Schalen (der Eier); im Pflanzenreiche den kalkigen Ueberzug vieler Wassergewächse (der Korallen). Diese Kalkverbindung kommt auch im Wasser, besonders im sogen. harten Wasser vor und bildet in Folge des Kochens den in der Haushaltung unter dem Namen Kessel- oder Topfstein bekannten festen Ueberzug im Innern der Gefäße. – Der schwefelsaure Kalk, die Verbindung des Kalkes mit Schwefelsäure, bildet den Gyps und Alabaster. – Mit Kieselsäure verbunden ist der Kalk Bestandtheil des sogenannten Milchglases und vieler Minerale; in Verbindung mit Chlor stellt er den Bleich- oder Chlorkalk dar; mit Phosphorsäure vereinigt, bildet er den Hauptbestandtheil der Menschenknochen.
Magnesium ist ein sehr verbreitetes Element und hilft wie der Kalk ganze Gebirgsmassen zusammensetzen, denn es findet sich im Dolomit, Serpentin, Meerschaum, Seifen- oder Speckstein, Augit, Asbest, Amiant und in der Hornblende. Uebrigens ist das Magnesium nur in seinen Verbindungen, welche fast alle einen bittern Geschmack und abführende Wirkung haben, wichtig, vorzugsweise aber in seiner Verbindung mit Sauerstoff als Magnesiumoxyd oder Bittererde, Talkerde, Magnesia, die sich gern mit Kohlensäure und Schwefelsäure vereinigt. Die kohlensaure Magnesia kommt in der Natur als Magnesit in Gemeinschaft mit kohlensaurem Kalke als Dolomit, eine in ziemlich großen Massen auftretende Felsart, vor. Die schwefelsaure Magnesia führt auch den Namen Bittersalz und findet sich im Meerwasser, sowie in manchen Quellen (Seidschütz, Epsom, Kissingen u. a.).
Aluminium macht einen sehr beträchtlichen Theil unserer Erdrinde aus, denn seine Verbindung mit Sauerstoff, also das Aluminiumoxyd, bildet unter dem Namen Thonerde oder Alaunerde nächst der Kieselerde und dem Kalke, die Masse der meisten Minerale, besonders des Feldspathes, Glimmers und Smirgels. Aber auch edle Steine, wie der Saphir (blau oder gelb), der Rubin (roth), Smaragd (grün), Topas (gelb), Granat- und Lasurstein werden von der Thonerde zusammengesetzt. Am wichtigsten ist die Verbindung der Thonerde mit der Kieselsäure, welche Thon genannt wird und die Grundlage für den Töpfer- und Pfeifenthon, die Porcellanerde, die Walkererde, den Letten oder Lehm abgiebt. – Der Alaun ist eine Verbindung von schwefelsaurer Thonerde mit schwefelsaurem Kali und wird in bedeutender Menge in den Färbereien gebraucht. Die Thonerde ist nämlich durch ihre große Verwandtschaft zur Pflanzenfaser und zu den Farbestoffen ausgezeichnet und vermittelt so die Vereinigung beider.
Baryum und Strontium. Das erstere Element kommt als schwefelsaurer Baryt oder Schwerspath vor und dieser wird als weiße Farbe benutzt, während man den salpetersauren Baryt in der Kunstfeuerwerkerei zur Erzeugung der schönen zeisiggrünen Farbe gebraucht. – Das Strontium bildet in seiner Verbindung mit Sauerstoff den Strontian und dieser, mit Salpetersäure verbunden, wird zur Darstellung des Rothfeuers verwendet.
Aus der Gewerbswelt.
Der Gänsekiel und die Feder von Stahl liegen schon seit längerer Zeit mit einander in Fehde. Aber es scheint als würde der härtere Stahl über den schmiegsamen Kiel den Sieg davon tragen. Das Schreibgeräth war von jeher eine Waffe, die tiefere Wunden schlug als das Schwerdt, schon zu alten Zeiten als man noch mit dem Schilfrohre und dem Stylus schrieb. Nun aber, da die Feder aus Stahl zugespitzt ist, wird sie fähig nicht allein das Gemüth zu verletzen, die Seele zu verwunden, sondern auch [318] den Körper zu tödten. Hat man nicht gelesen wie Aufständische neuester Zeit in Ermangelung von Blei, mit Stahlfedern ihre Gewehre geladen und damit blutige Schrift geschrieben haben –? Wie kann sich dagegen der weiche Gänsekiel vertheidigen –? Aber auch er hat eine Zeit des Glanzes durchlebt, und noch heute besitzt er seine Verehrer, zu denen auch der Schreiber dieses Artikels gehört. –
Der harte, scharfe, schwer beugsame Stahl wird nie ganz den biegsamen Kiel ersetzen, dessen Weichwerden beim Schreiben man leichtlich Abhilfe verschaffen kann, wenn man etwa zehn bis zwanzig Kiele zugleich in Gebrauch nimmt, die abgeschriebene Feder hinlegt, eine neue ergreift und die gebrauchten Federn erst dann wieder zuspitzt, wenn sie hart geworden sind. –
Man erzählt sich, daß, aus Dankbarkeit, als deutsche Gänse das Kapitol gerettet hatten, die Römer mit den Flügelfedern dieser Gänse zu schreiben anfingen. Das ist aber nur eine patriotische Fabel! Wahr ist nur, daß der Dichter Adelhelmus, der erste Sachse, der in lateinischer Sprache schrieb, etwa um’s Jahr 700 ein Gedicht auf die Schreibfeder gemacht hat; und solches, vom verstorbenen Dr. Emil Vogel in Leipzig übersetzt, lautet also:
„Mich erzeugte dereinst die lichtweiß glänzende Kropfgans,
„Die aus dem Sumpfe das Naß zum weit aufschnappenden Hals bringt;
„Drum streb’ ich aufs Neu’ entgegen schimmernden Fluren,
„Dunkelblau laß’ ich die Spur in dem leuchtenden Wege zurücke;
„Schwärzliche Windungen trägt das also durchackerte Glanzfeld!“
Mit Interesse entnimmt man aus diesen Versen, daß schon im Jahr 700 blaue Dinte Mode gewesen sein muß grade wie jetzt, und daß diese Dinte später schwarz wurde. –
Den steigenden Verbrauch der Stahlfedern hat man nicht nur der zunehmenden Schreibseligkeit (man glaubte nach Erfindung der Buchdruckerkunst, daß es nun ganz und gar mit dem Schreiben aus sein würde) sondern eben so sehr der Bequemlichkeitsliebe und der Unbeholfenheit der Mehrzahl der Schreibenden zuzuschreiben. Denn es ist gar so bequem, wenn die alte Feder nicht mehr schreiben will, anstatt zu spitzen, wie es beim Gänsekiel geschehen muß, eine neue Feder in den Halter zu stecken; und da man heutigen Tags ein ganzes Groß (144 Stück) Stahlfedern für 3 Ngr. erhalten kann, so ist die Ausgabe auch nicht bedeutend. –
Die Fabrikation der stählernen Schreibfedern ist in England entstanden und Birmingham ist dort der einzige Ort, wo sie betrieben wird, ja! man kann wohl sagen: es ist der einzige Ort in der Welt, wo jene Fabrikation zu einer Bedeutenheit betrieben wird.
Die Stahlfeder ist keine Erfindung der Engländer, denn schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts hat man Stahlfedern in Bestecken gesehen. –
1820 verkaufte ein alter Schreibmeister selbst gemachte Stahlfedern in Leipzig das Stück für 10 gute Groschen als Seltenheit. –
Sie würden heute noch eine Seltenheit in Deutschland sein, wenn man sich nicht in England der Sache angenommen hätte. – Dort verschwendete man von jeher in Gänsekielen. Man hat berechnet, daß unter zehn gebrauchten Kielfedern nur eine einzige wieder zugespitzt wurde. –
Die Schreiberei der großen Bankhäuser der Kompagnien und Behörden in England verlangte Unmassen von Kielen, die nach einmaligem Gebrauch von Krämern aufgekauft und wieder verkauft wurden. Ein Haus in London ließ jährlich etwa 6 Millionen Stück Kiele zu Federn schneiden. – Gegen eine solche Verwüstung ihres Gefieders vermochten die Gänse nicht mehr aufzukommen. – Man griff mehr zum Stahl.
Gillot in Birmingham war der erste der (1828) Durchschlagmaschinen und Pressen einrichtete, um Stahlfedern im Großen zugleich billig und gut zu fabriziren. Er bewirkte dies durch Dünnwalzen des Stahlblechs, Herausschneiden der Feder, noch platt, aus dem Stahlblech mit Hilfe einer kleinen Maschine, wie man sie auf unserem Bilde, bewegt von Frauenhand, erblickt;
dann Rändern der Federn und Spalten derselben mittels Stempeln und Messerchen; und das Alles mittels Pressen, ähnlich der auf unserem Bilde. – Daß außer diesen Hauptbehandlungen die Federn noch gehärtet und geschliffen werden müssen, versteht sich von selbst. – Zuweilen werden sie durch Einfluß von Hitze blau oder gelb angelassen, mit allerlei Formen, Zeichnungen und Worten beprägt. Man giebt ihnen einen Lack und packt sie sauber und zierlich ein. Das Aussehen verkauft ja die Waare! Man hat in neuerer Zeit Federn angeblich aus merkwürdigen Compositionen ausgeboten. Dieselben sollen elastischer sein als Stahl und von der Dinte nicht so angegriffen werden. – Sie sind aber eben nur aus Stahl. Alles Andere ist Humbug. –
[319] Die neuen Goldfedern, angeblich mit Demant-Iridium und Rhodiumspitzen, welche nie stumpf werden sollen, schreiben aber so hart, daß man bei Vielschreiben sicherlich einen Krampf in den Finger bekommt. Ein Wechselaccept, ein Liebesbriefchen läßt sich allenfalls ohne Gefahr damit schreiben, falls sonst keine Gefahr mit dieser Art Schreiberei verbunden ist. Trotz aller Versuche die Stahlfeder wieder aus dem Felde zu schlagen mittels Federn aus Elfenbein, Schildkröt, Glas u. s. w., liegt sie noch mit eingelegter Lanze siegreich in den Schranken, die, mit ihr, nur noch die ehrwürdige Gänsefeder behauptet: eine „Feder mit Seele“, während die Stahlfeder ein kaltes seelenloses Wesen ist. – Aber sie ist bis jetzt siegreich und gewinnt von Tag zu Tag mehr Raum. England verbraucht gegenwärtig über 350,000 Pfund Stahl für seine Schreibfederfabrication, woraus etwa 500 Millionen Stück gefertigt werden. Etwa 2000 Hände werden dabei beschäftigt.
Auf der großen Londoner Ausstellung sah man kleine Stahlfedern zur Benutzung für die jungen Elfchen – gäb’ es dergleichen – welche auf die zarten blauen Vergißmeinnichtblättchen mit Gold aus Käferflügeln Reime schreiben; und dann wieder lag daneben eine wahrhaft schreckliche Stahlfeder von 31/2 Fuß Länge und 5 Pfund Schwere, woraus über 1 Million gewöhnliche Federn gemacht werden können. –
Blätter und Blüthen.
Türkisch-russischer Sklavinnen-Handel. Die fromme Frau Beecher-Stowe hat in der ganzen civilisirten Welt ein allgemeines Mitleiden mit den schwarzen Sklaven im südlichen Nordamerika hervorgerufen, namentlich unter den hohen Damen Englands, welches gleichwohl diese Sklaven eigentlich erzogen hat und sie bezahlt. Ohne die englische Baumwollen-Industrie in England würde man in Amerika keinen einzigen Sklaven beschäftigen, bezahlen und ernähren können oder wollen. Doch „Onkel Tom’s Hütte“ war einmal ein effectvolles christliches Buch, und es ist natürlich, daß jedes gefühlvolle Menschenkind über die Tom’s, Cassy’s, Topsy’s u. s. w. weinte. Aber gibt es nicht, uns näher, schönere, weiße, viel unglücklichere Sklavinnen, über die gleichwohl Niemand weint, weil man nichts von ihnen weiß oder nicht an sie denkt? Man höre nur! Ein Engländer erzählt in seinen kürzlich erschienenen „orientalischen Reisen“ folgende Scene:
Auf unserer Reise nach Palmyra mußten wir einige Zeit in Homah verweilen. Hier wurden wir Zeuge einer schauderhaften Scene, die gleichwohl in der Türkei nur eine gewöhnliche gewerbliche Thätigkeit ist. Eines Abends kamen vier schmutzige, schäbige Türken an und ein älterer Kerl, der wie das leibhaftige Verbrechen aussah, aber etwas besser gekleidet war. In ihrer Mitte kamen 11 georgische Mädchen, der Rest von etwa 50, die bereits verkauft waren, wie man uns erzählte. Man hatte sie an den Grenzen Georgiens (das zu Rußland gehört und an die Türkei grenzt) theils gestohlen, theils den Angehörigen abgekauft. Die 11 Mädchen wurden in eine Kammer, die neben unserm Zimmer lag, eingesperrt. Für ein Stück Geld bekamen wir sie zu sehen. Alle erschienen noch sehr jung, etwa 15–18 Jahre alt, zwei höchstens zwölf Jahre und von der überraschendsten Schönheit. Ihre herrlichen, schwarzen, feurigen Augen, rosigen Wangen, wallenden schwarzen Haare, ihr schlanker, bezaubernder Wuchs und ihre stolze, stumme Traurigkeit machten auf mich einen so unbeschreiblich tiefen Eindruck, wie ich noch nie etwas Aehnliches gefühlt und gelitten habe. Den folgenden Morgen wurden sie in den Straßen umhergetrieben und ausgeschrieen zum Verkauf, wie bei uns Obst und Kohl. Wir waren bei einer Handelsscene zugegen. Ein reicher Türke besah und begraspte eine „Waare“ nach der andern und bot dann für eine der zwölfjährigen, für welche 14 Beutel gefordert waren, 10. (Jeder Beutel enthält 500 Piaster = 120 Thaler.) Man bestand auf den geforderten Preise 1200 Thaler waren also viel zu wenig, ein Beweis, wie hoch die „Waare“ steht und was sie für ein „gutes Geschäft“ sein mag.
Die „Waare“ stand in ihrer rührenden, schmerzlichen Schönheit daneben und hörte den ganzen Handel mit an. Solche menschliche, höchste Schönheit ist mächtiger, als die Erscheinung des schwarzen Sklaven, der wenigstens doch immer noch für menschliche, nützliche Thätigkeit bestimmt ist, während diese herrlichen Mädchenrosen von Georgien gestohlen, gekauft und verkauft werden, um der ekelhaftesten türkischen Unsittlichkeit als Werkzeug zu dienen. Die unglücklichen Opfer wurden jeden Tag mehrmals durch die Stadt getrieben, auch kamen mehrere Kaufliebhaber in unser Hotel und handelten und prüften die verschiedenen Kaufsartikel in ihrer Kammer, wo sie sich bei der Annäherung jedes Käufers in Reih’ und Glied aufstellen und mehrere Bewegungen und Schwenkungen machen mußten, damit ihr Wuchs und ihr Gliederbau gehörig hervortraten. Wir beobachteten die Unterhandlungen mehrerer Kaufliebhaber. Mit dem unvergeßlichsten Schauder erfüllte es mich, als ein alter, faltiger, pockennarbiger Türke, offenbar von mehr als 50 Jahren, ein 15jähriges Mädchen kaufte, stumpfsinnig betastete und dann brutal mit sich fortzog. Mit einem furchtbaren Schrei stürzte sich eine andere ihr nach und umarmte und küßte sie unter den leidenschaftlichsten Ausbrüchen des Schmerzes. Die Verkaufte riß sich von dem alten Türken los, um ihre Schwester in voller Liebe und Verzweiflung zu umarmen. Der Eigenthümer sah kaum eine halbe Minute auf diese Abschiedsscene mit mürrischem Blick, dann riß er sein Opfer los und zog es fort. Ich hätte in diesem Augenblicke Befehlshaber der englischen Flotte sein mögen. Sofort würde ich dem Sultan befohlen haben, diesen scheußlichen Handel bei Todesstrafe zu verbieten. Hätte er [320]
auf dieses primum und ultimatum abschläglich beschieden, sofort hätt’ ich Constantinopel, dieses „von Ungeziefer zerfressene Paradies,“ in Grund und Boden geschossen. „Staatsmännisch“ würde wohl diese Handlung nicht gelten, aber sie hätte meine Empörung gewiß gestillt, zumal da ich mir für diesen Fall noch besonders vornahm, den alten Türken persönlich wie eine Bestie niederzuschießen. Freilich dachte ich auch daran, daß er gewiß noch lange nicht der Schlimmste und des Todtschießens kein Ende sei, wenn man diese scheußlichste Menschenentehrung nicht in der Bevölkerung selbst, in ihren Sitten und Gesinnungen abschaffen könnte.
Die unglücklichen, schönen Geschöpfe bekamen täglich zweimal ein Stück Brod und ein Stück Käse, sonst nichts. Je zwei und zwei mußten später ein Pferd besteigen. In derselben Weise waren sie von Georgien transportirt worden, und in derselben Weise wollte man sie auf den Markt von Damaskus bringen, wo die Preise der Sklavinnen und Harems-Candidatinnen „in der Besserung“ waren. –
Aufgegessen. Wenn bei den Kaffern Jemand verdächtigt wird, daß er ein Umtakati (Zauberer oder Giftmischer) sei und daß er einen Menschen oder Vieh, dem Kraale zugehörig, bezaubert habe, beschließen die Bewohner des Kraales und der Umgegend, einen Tsanusen, d. i. ein Arzt, der Alles heilt, zu consultiren. Alle müssen mitgehen, denn wer sich weigern wollte, würde Verdacht auf sich ziehen.
Sobald die Caravane angekommen, stellt der Tsanuse seine Gäste in einem Zirkel um sich und sagt ihnen, daß der Geist nicht sprechen wolle ohne den Tanz, den er nun beginnen müsse. Er nimmt ein Bündel Assagais und Kirries und bindet sie um seinen Leib, wie auch Schwänze wilder Thiere; bindet Schlangenhäute und kleinere Felle um alle Gelenke und steckt Geierfedern in sein Haar, und macht dann in der That eine teuflische Figur. So ausgerüstet beginnt er seinen Zaubertanz und seine Beschwörungen, und arbeitet sich dabei in eine solche Extase von Verzerrungen, Sprüngen und Fratzen, daß die Zuschauer mit Schrecken einen Zustand betrachten, unter welchem allein der Geist dem Umtakati die nöthigen Mittheilungen zu machen geneigt ist. Darauf bezeichnet er irgend Jemand als den Umtakati und der unglückliche Beschuldigte bekennt auch in den meisten Fällen sogleich das Verbrechen; denn leugnete er, gewönne er nichts: man würde ihn foltern, bis daß er bekennt oder stirbt; der Tod ist die sichere Folge, und um langsame Qual zu vermeiden, bekennen sich die meisten Opfer des Aberglaubens sogleich zu einem Verbrechen, das sie nicht begangen: bekennen nach Art aller Gefolterten, um sich aus einem Zustande sofort zu erlösen wo der Tod Wohlthat wird. Der Ausspruch des Tsanuse ist sonach immer unfehlbar.
Allen Leidenschaften des menschlichen Herzens, der Eifersucht, des Hasses, der Habsucht, der Rache ist hier ein weites Feld zu reger Entwicklung und sicherer Befriedigung eröffnet, und wenn politische oder andere Gründe es wünschenswerth erscheinen lassen, einen Menschen aus dem Wege zu räumen und des Tsanusen Ausspruch nicht auf ihn fallen sollte, wendet man sich weiter an einen größern Tsanuse, bis der alleinig wahre, der gewünschte, Ausspruch erlangt ist.
Unter den Amakosa’s besteht im Allgemeinen ein milderes Gesetz. der Umtakati wird nicht getödtet, sondern nur ausgestoßen und für immer geächtet. Sein Vermögen, seine Ochsen, Weiber und Kinder, Alles wird confiscirt. Unter den Zooluhs wird der Umtakati selbst nicht allein getödtet, sondern auch seine Weiber und Kinder; sein Kraal wird zerstört und alle Spuren seiner Existenz vom Angesicht der Erde vertilgt – der Verurtheilte wird aufgegessen, sagen die Kaffern.
Im Jahre 1849 grassirte ein epidemisches Fieber in Natal, dem weiten Reich des Zooluh-Häuptlings Panda. Er selbst erkrankte, wie auch seine Weiber, Schwestern und viele andere Anverwandte des königlichen Hauses. Die Tsanusen wurden herbeigerufen und die schlimmsten Leidenschaften fanden Befriedigung. Ein Weheruf zog durch das Land, denn der Opfer des Aberglaube waren viele: den Familienvater mit seinen Kindern, den kleinen Häuptling mit seinem kleinen Gefolge; die zarte Jugend; das hilflose Alter - Alle riß der Strom des Aberglaubens und seiner verschwisterten Leidenschaften vernichtend hinweg.
Trotz des gerühmten Einflusses der Missionäre und trotz der Bemühungen des englischen Gouvernements (die Holländer bekümmern sich nie um solche Bagatellen), diesen barbarischen Criminalprozessen Schranken zu setzen, wird noch immer die Folter mit aller erdenklichen Grausamkeit unter den Kaffern angewandt. Die verschiedenen Arten derselben sind entsetzlich. Man bedeckt den vermeintlichen Verbrecher mit schwarzen Ameisen, sperrt ihm den Mund auf mit einem Stück Holz und legt ihn mit dem Kopfe auf einen Ameisenhaufen; man bindet ihn an Pflöcke, die man in den Grund getrieben, streckt ihn, bestrichen mit Honig, auf der Erde aus und gibt ihn den Stechfliegen und andern Insekten Preis; man legt ihm glühende Steine auf den Leib und bratet ihn zwischen erhitzten Steinen; man steckt ihm beißende Würmer in die Ohren und verklebt diese. Hierzu kommt noch eine lange Reihe nicht nennbarer Unmenschlichkeiten: würdige Beiträge zur Justiz des Mittelalters im civilisirten Europa. Da der Tod in solchen Umständen das geringere Uebel ist und der Begnadigte sich daher lieber sogleich zu dem Verbrechen bekennt, hat sich der Glaube an den Zauber und an die Untrüglichkeit des Tsanuse noch in seiner alten Stärke erhalten.
Wenn ein Kaffer auf diese Weise gemordet worden, wenn seine Familie gleiches Schicksal erlitten, oder seine Frauen und Töchter dem Harem des Häuptlings beigezählt worden sind; wenn das Eigenthum confiscirt, der Garten niedergebrannt, der Kraal geschleift, kurz jede Spur seiner Existenz vertilgt ist, so sagen, wie wir schon bemerkten, die Kaffern: Er ist aufgegessen worden. Eine gewöhnliche Drohung des englischen Gouvernements, die leicht verständliche Kafferphrase adoptirend, ist: den einen oder andern rebellischen Häuptling aufzuessen, eine Kriegserklärung, deren Bedeutung dem Kaffer nur zu wohl bekannt ist.