Die Gartenlaube (1853)/Heft 30
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No. 30. | 1853. |
Das fürchterliche Bett.
Kurz vor der Zeit, wo die Spielhäuser durch die französische Regierung aufgehoben wurden, hielt ich mich mit einem englischen Freunde in Paris auf. Wir waren beide damals junge Leute und lebten beide ein sehr zerstreutes Leben in der ausschweifendsten Stadt unserer Reise. Eines Abends schwärmten wir müssig um das Palais Royal herum und dachten darüber nach, was für ein Vergnügen wir uns nun zunächst machen wollten. Mein Freund schlug einen Besuch in Frascati vor, aber der Vorschlag war nicht nach meinem Geschmacke. Ich kannte Frascati wie man zu sagen pflegt auswendig, hatte dort eine Menge Fünffrankstücken blos um des Spaßes willen gewonnen und verloren, bis es mir keinen Spaß mehr machte, und hatte alle die gräßliche Respectabilität einer solchen geselligen Anomalie, wie ein ehrbares Spielhaus ist, gänzlich satt. „Um des Himmels willen,“ sagte ich zu meinem Freunde, „laß uns irgend wohin gehen, wo wir ein geringes, natürliches, gemeines, armseliges Spiel, mit keinem falschen Pfefferkuchen-Schaumgolde darüber sehen können. Laß uns von den modischen Frascati’s hinweg irgend wohin gehen, wo sie nicht beim Einlasse daran denken, ob ein Mann einen zerrissenen Rock an hat, oder gar keinen.“ – „Gut denn,“ sagte mein Freund, „da brauchen wir nicht aus dem Palais Royal zu gehen, um die Sorte von Gesellschaft zu finden, wie Du sie zu wünschen scheinst. Da ist so ein Platz gerade vor uns. So eine Kneipe in jeder Beziehung, wie sie Dir nur dargeboten werden kann.“ Eine Minute darauf standen wir an der Thür und traten in das Haus ein.
Als wir die Treppe hinaufgestiegen waren und Hüte und Stöcke bei dem Thürsteher gelassen hatten, ließ man uns in das hauptsächlichste Spielzimmer eintreten. So wenige aber auch der Menschen waren, die bei diesem unserm Eintritte auf uns blickten, so waren sie doch alle Muster, gräßliche Muster ihrer verschiedenen Klassen. Wir waren hierher gekommen, um gemeine Leute zu sehen, aber sie waren noch etwas schlimmeres. Bei allem Gesindel kann man doch irgend eine komische Seite der Anpassung herausfinden, aber hier gab es nichts als Tragödie, stumme, höllische Tragödie. Die Ruhe in der Stube war fürchterlich. Der magere, dürre, langhaarige junge Mann, dessen eingesunkene Augen gewaltsam das Umwenden der Karten beobachteten, sprach nie; der fettwammige, aufgeschwollene, sinnige Spieler, der sein Stückchen Pappdeckel unausgesetzt durchstach, um darauf zu bemerken, wie oft [322] schwarz oder roth gewinne, sprach nie; der schmutzige, runzlige alte Mann mit den Geieraugen und dem geflickten Oberrocke, der seinen letzten Sous verloren hatte und noch voll Verzweiflung zusah, da er nicht mehr spielen konnte, sprach nie. Selbst die Stimme des Croupier klang als ob sie in der Atmosphäre der Stube gänzlich verdumpft wäre. Ich war in das Haus gegangen, um zu lachen, ich fühlte aber, daß wenn ich länger bleiben und ruhig zusehen wollte, ich dem Weinen näher kommen würde. So trat ich denn, um mich von dem geistigen Drucke, der über mich gekommen war, zu erholen, unglücklicherweise auch an den Tisch und fing an zu spielen. Noch unglücklicher wie die Folge zeigen wird. Ich gewann – gewann außerordentlich, ungeheuer, auf eine solche Art, daß die regelmäßigen Spieler am Tische um mich zusammentraten und mit hungrigen, abergläubischen Augen auf meine Sätze starrend, einander zuflüsterten, daß der englische Fremde die Bank sprengen werde.
Man spielte Rouge et noir. Ich hatte dergleichen in jeder Stadt Europa’s gespielt, ohne jedoch den Wunsch noch die Geduld dazu zu haben, mich auf Berechnungen der Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten einzulassen. Ich war überhaupt nie ein Spieler von Profession oder großer Leidenschaft gewesen. Blos zum Zeitvertreibe hatte ich stets nur gespielt. Auch unternahm ich nie ein Spiel aus Bedürfniß, weil ich nie wußte, was Geldmangel sei. So übte ich es denn auch nie so unausgesetzt, daß ich mehr hätte verlieren können als ich bei mir hatte, oder mehr gewinnen als ich ruhig in die Tasche stecken konnte, ohne durch mein gutes Glück außer meinem Gleichgewichte gebracht zu werden. Kurz, ich hatte bisher Spielhäuser gerade eben so besucht, wie ich Ballsäle und Schauspielhäuser besuchte, weil sie mich unterhielten und ich mit meinen müßigen Stunden nichts Besseres anzufangen wußte.
Aber hier war dies gänzlich verschieden. Jetzt zum erstenmale in meinem Leben fühlte ich, was Leidenschaft für’s Spiel wirklich sei. Mein Glück verwirrte mich anfangs, dann aber berauschte es mich in der eigentlichsten Bedeutung des Wortes. Es muß unglaublich scheinen, aber es ist wörtlich wahr, daß ich blos dann verlor, wenn ich Wechselfälle zu berechnen versuchte, und nach vorgefaßter Ueberlegung spielte. Wenn ich alles dem Glücke überließ und ohne die geringste Berücksichtigung spielte, war ich sicher, zu gewinnen, zu gewinnen aller möglichen anerkannten Wahrscheinlichkeit der Bank gegenüber. Anfangs wagten einige der Anwesenden ihr Geld sicher genug bei meinen Farben, aber nicht lange, so steigerte ich meine Sätze zu Summen, welche sie zu setzen nicht wagten. Einer nach dem andern hörte auf zu spielen und sah athemlos meinem Spiele zu. Von Zeit zu Zeit stieg ich immer höher und gewann stets. Die Aufregung im Spielzimmer stieg bis zum Fieber. Das Stillschweigen ward jetzt durch einen dumpfen Chorus von Ausrufungen und Schwüren, so oft das Gold nach meiner Seite hin gehäufelt wurde, unterbrochen, und selbst der unerschütterliche Croupier stieß in einer Wuth des Staunens über mein Glück, seine Harke auf den Boden. Nur einer der Anwesenden behielt seine vollkommene Ruhe, und das war mein Freund. Er trat mir zur Seite und flüsterte mir auf englisch zu, ich möchte doch von hier fortgehen und mit dem zufrieden sein, was ich bereits gewonnen. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu bekennen, daß er mir dieses mehreremale wiederholte, mich dringend bat, und dann erst fortging und mich allein ließ. Ich hatte seinen guten Rath in Erwiderungen zurückgewiesen, indem ich gegen alle Vorstellungen und Vorschläge wie trunken vom Spiele war, welche es ihn unmöglich machten, noch länger in dieser Nacht sich mit mir zu beschäftigen.
Kurze Zeit, nachdem er fort war, rief eine rauhe Stimme hinter mir aus: – „erlauben Sie mir, werther Herr, erlauben Sie, daß ich Ihnen zwei Napoleons wieder zustelle, die Sie fallen ließen! Ich versichere Sie bei meinem Ehrenworte als ein alter Soldat, daß mir bei meiner langen Erfahrung in dergleichen Dingen nie ein solches Glück vorgekommen ist, wie das Ihre! Nie! Also vorwärts! Bomben und Granaten, frisch vorwärts, und die Bank gesprengt!“
Ich sah mich um und erblickte einen langen Mann in einem schlechten Oberrocke, der mir mit großer Höflichkeit und Vertraulichkeit zuwinkte und zulächelte. Wäre ich meiner Sinne mächtig gewesen, so würde ich ihn näher betrachtet und gefunden haben, daß er eine etwas verdächtige Art von altem Soldaten sei. Er hatte hervorstehende, blutunterlaufene Augen, einen gewaltigen Schnauzbart und eine zerbrochene Nase. Seine Stimme verrieth eine gemeine Intonation der allerschlechtesten Art, und er hatte ein Paar der schmutzigsten Hände, die ich je gesehen habe – selbst in Frankreich. Diese kleinen persönlichen Eigenthümlichkeiten äußerten jedoch keinen allzugroßen Einfluß auf mich. In der tollen Aufregung, dem rücksichtslosen Triumphe dieses Augenblicks war ich bereit, mit jedem Brüderschaft zu machen, der mich bei meinem Spiele anfeuerte. Ich nahm von dem alten Soldaten eine angebotene Prise an, klopfte ihn auf die Backen und schwur, er sei der ehrlichste Kerl von der Welt, die glorreichste Reliquie von der großen Armee, die ich jemals gesehen. „Vorwärts!“ rief mein militärischer Freund und schnipsete mit den Fingern, „vorwärts! Sprengt die Bank! Tausend Donnerwetter, mein vortrefflicher englischer Kamerad, hole Dir die Bank!“
Und ich ging vorwärts, ging so weit, daß nach der nächsten Viertelstunde der Croupier ausrief: „Meine Herren, die Bank ist für heute geschlossen!“ Alles Gold und alles Staatspapier, das sich darin befunden hatte, lag nun in einem Haufen unter meinen Händen; das ganze werbende Kapital des Spielhauses steckte in meinen Taschen.
„Knüpfen Sie das Geld in Ihr Taschentuch, mein theurer Herr,“ sagte der alte Soldat, als ich die Hand in den Geldhaufen vor mir untertauchte. „Knüpfen Sie es ein, wie wir bei der großen Armee ein Stück Mittagsbrod einzuknüpfen pflegten. Ihr Gewinn ist zu schwer für irgend eine Rocktasche, wie sie jemals genäht worden. Da! Da! Packen Sie es ein, Papiere und Gold! Was für eine Menge! Es ist ja ganz [323] unglaublich. Da liegt noch ein Napoleon auf dem Boden! Du allerliebster kleiner Napoleon, habe ich Dich endlich erwischt! Nun denn also! Zwei doppelte Knoten, mit Ihrer gütigen Erlaubniß! Schön! So ist das Geld in Sicherheit! Fühlen Sie nur einmal daran, Sie glücklicher Mann! Hart und rund wie eine Kanonenkugel! Ja, ja, wenn sie bei Austerlitz mit solchen Kanonenkugeln auf uns geschossen hätten! Und was bleibt denn nun für einen alten Grenadier, einen Exbraven von der französischen Armee noch zu thun? Nichts anderes, als meinen würdigen englischen Freund zu ersuchen, ein Fläschchen Champagner auf gute Bekanntschaft mit mir auszuleeren und auf Göttin Fortuna in schäumenden Perlen zu trinken, ehe mir von hier fortgehen.“
Und so geschah es denn auch. Nach und nach war bereits die zweite Flasche Champagner leer geworden. Es war mir, als ob ich flüssiges Feuer trinke – mein Gehirn glühte. Niemals in meinem Leben hatte ein Exceß im Trinken eine solche Wirkung auf mich hervorgebracht. War der aufgeregte Zustand, in welchem ich mich überhaupt befand, die Ursache davon, oder befand sich mein Magen in einer ungewöhnlichen Unordnung, oder war der Champagner besonders stark?
„Exbraver der großen Armee,“ rief ich in einem Zustande wilder Lustigkeit aus, „ich bin in einem Feuer! wie ist’s denn mit Ihnen? Sie haben mich in’s Feuer gebracht! Hören Sie, mein Held von Austerlitz? Lassen Sie uns noch eine dritte Flasche Champagner trinken, um das Feuer zu löschen!“ Der alte Soldat schüttelte den Kopf, kollerte seine vorstehenden Augen umher, so daß ich glaubte, sie würden ihm aus ihren Höhlen schlüpfen, legte seine schmutzigen Finger an seine zerbrochene Nase und rief feierlich: „Kaffee!“ während er auf der Stelle in ein inneres Zimmer rannte.
Das von dem excentrischen Veteran ausgesprochene Wort schien eine magische Wirkung auf die andere noch gegenwärtige Gesellschaft hervorzubringen. Sie standen alle zusammen auf um fortzugehen. Wahrscheinlich hatten sie von meinem Rausche Gewinn zu ziehen gehofft, da sie aber fanden, daß mein neuer Freund dafür besorgt war, mich vor völliger Trunkenheit zu schützen, die Aussicht aufgegeben, von meinem Gewinne Vortheil zu ziehen. Mochte nun auch der Grund sein, welcher er wollte, sie waren mit einemmale fort. Als der alte Soldat zurückkam und sich mir gegenüber an den Tisch setzte, hatten wir das Zimmer zu unserer Disposition. Ich konnte noch den Croupier in einer Art von Vorhause sehen, welches auf das unsre ging, wie er dort sein Abendessen ganz einsam verzehrte. Die Stille war jetzt tiefer als je.
Aber auch über den alten Exbraven war eine plötzliche Veränderung gekommen. Er nahm eine wunderbar feierliche Miene an, und als er wieder mit mir zu sprechen anfing, waren seine Worte mit keinen Schwüren verbrämt, durch kein Fingerschnappen verstärkt, durch keine Apostrophen oder Ausrufungen belebt.
„Hören Sie, werther Herr,“ begann er in geheimnißvoll vertraulichem Tone, „hören Sie auf den Rath eines alten Soldaten. Ich bin bei der Herrin des Hauses hier gewesen, einer höchst liebenswürdigen Frau mit einem großen Kochgenie, um sie von der Nothwendigkeit zu überzeugen, uns einen besonders guten und starken Kaffee zu bereiten. Diesen müssen Sie trinken, um Ihre kleine anmuthige Nervenaufregung los zu werden, ehe Sie daran denken können, nach Hause zu gehen – ja, ja, Sie müssen das, mein lieber, wohlwollender Freund! Wenn Sie alles das viele Geld mit nach Hause nehmen, ist es eine heilige Pflicht für Sie, bei ganz klarem Verstande zu sein. Mehrere Herren, die heute Abend hier zugegen waren, wissen, daß Sie so große Summen gewonnen haben. Diese sind nun in gewisser Hinsicht ganz würdige und vortreffliche Personen, aber es sind sterbliche Menschen und haben daher auch wie wir alle ihre liebenswürdigen Schwachheiten. Soll ich noch mehr darüber sagen? Nein, nein, Sie verstehen mich schon hinreichend. Nun, so hören Sie denn – lassen Sie, wenn Sie sich wieder ganz wohl fühlen, sich ein Cabriolet holen – ziehen Sie alle Fenster zu, wenn Sie einsteigen – und sagen Sie dem Kutscher, er solle Sie blos durch die breitesten und beleuchtetsten Straßen fahren. Thun Sie das, und Sie und Ihr Geld werden in Sicherheit kommen, und morgen es einem alten Soldaten Dank wissen, daß er Ihnen einen so guten Rath gegeben hat.“
Eben hatte der Exbrave seinen Sermon fast in weinerlichem Tone geendet, als der Kaffee hereingebracht ward und schon in zwei Tassen eingegossen war. Mein aufmerksamer Freund händigte mir die eine derselben mit einer Verbeugung ein. Ich war außer mir vor Durst und trank sie in einem Zuge aus. Fast im Augenblicke darauf ward ich von einem Anfalle von Schwindel ergriffen und fühlte mich berauschter als je. Das Zimmer drehte sich mit mir wüthend im Ring und der alte Soldat schien regelmäßig vor mir hinauf und hinab zu gehen, wie der Stempel einer Dampfmaschine. Ich wurde durch ein heftiges Klingen in meinen Ohren halb taub und es überkam mich ein Gefühl gänzlicher Verwirrung, Hilflosigkeit und Bewußtlosigkeit. Ich sprang vom Stuhle auf und hielt mich am Tische fest, um das Gleichgewicht zu bekommen. Ich stammelte, daß ich mich fürchterlich unwohl fühle, so unwohl, daß ich nicht wüßte, wie ich nach Hause kommen sollte.
„Mein lieber Freund,“ antwortete der alte Soldat, und selbst seine Stimme schien, als er so sprach, auf- und abzuschwanken, „es wäre Tollheit, in Ihrem Zustande nach Hause gehen zu wollen. Sie liefen ja Gefahr, Ihr Geld zu verlieren, oder mit der größten Leichtigkeit beraubt und ermordet zu werden. Ich werde hier jetzt mich schlafen legen, thun Sie dasselbe auch; man macht in diesem Hause ein vortreffliches Lager zurecht, lassen Sie sich auch eins machen. Schlafen Sie Ihren Rausch aus und gehen Sie dann morgen mit Ihrem Gewinnste nach Hause, – morgen am hellen, lichten Tage.“
Ich hatte keine Macht mehr, etwas zu denken oder zu fühlen, als daß ich mich irgendwo zu Bette legen und in einen kühlenden, erfrischenden, bequemen Schlaf verfallen müsse. So willigte ich denn voll Freuden in den Vorschlag wegen eines Bettes ein und nahm den dargebotenen Arm des alten Soldaten und des [324] Croupier an, welcher letztere aufgefordert worden war, mir den Weg zu zeigen. Sie führten mich durch einige Gänge eine kurze Treppe hinauf in das Schlafgemach, das ich einnehmen sollte. Der Exbrave schüttelte mir herzlich die Hand, schlug vor, daß wir am nächsten Morgen mit einander frühstücken wollten, und verließ mich dann mit dem Croupier für diese Nacht.
Ich rannte an den Waschtisch, trank etwas von dem dortstehenden Wasser, goß das übrige aus, versenkte mich mit dem Gesichte darein, setzte mich in einen Lehnstuhl und versuchte dann mich wieder einigermaßen zu beruhigen. Es ward mir bald besser zu Muthe. Die Veränderung für meine Lungen aus der dumpfigen Atmosphäre des Spielzimmers in die kühle Luft des Gemachs, wo ich mich jetzt befand, die fast eben so erquickende Veränderung für meine Augen des blendenden Gaslichts des Saales in das matte, ruhige Flimmern einer Nachtlampe, unterstützten wundervoll die Wirkungen des kalten Wassers. Die Betäubung schwand und ich fühlte wieder so etwas wie klare Vernunft. Mein erster Gedanke war der, wie viel ich wagte, die ganze Nacht in einem Spielhause zu schlafen, mein zweiter, wie noch viel gewagter es sei, zu versuchen, von hier fortzugehen, wenn das Haus verschlossen, und bei Nacht allein mit einer großen Geldsumme bei mir durch die Straßen von Paris nach Hause zu wandern. Ich hatte aber an noch schlimmern Orten als diesem hier auf meinen Reisen geschlafen, und so beschloß ich denn, meine Thür zu verschließen, zu verriegeln und zu verbarrikadiren.
Nachdem ich mich so gegen alles Eindringen gesichert, unter das Bett und in die Schränke gesehen, die Fenster untersucht und mich versichert hatte, alle nur möglichen Vorsichtsmaßregeln genommen zu haben, legte ich meine Oberkleider ab, steckte mein dünnes Licht in einen Haufen Asche auf dem Herde und legte mich mit dem Schnupftuche, in welchem sich mein Geld befand, unterm Kopfkissen zu Bette.
Ich wurde bald gewahr nicht blos, daß ich nicht schlafen könne, sondern auch, daß ich nicht einmal die Augen schließen konnte. Ich war völlig wach, aber auch im vollsten Fieber. Jeder Nerv meines Körpers bebte – jeder meiner Sinne schien übernatürlich geschärft. Ich warf mich umher und versuchte jede Art von Lage, suchte mir auch fortdauernd stets die kühlsten Stellen des Bettes aus, aber alles vergebens. Bald steckte ich meine Arme unter die Bettdecke, bald legte ich sie darüber, bald streckte ich meine Gliedmaßen gewaltsam bis an’s Ende des Bettes aus, bald brachte ich sie krampfhaft so nahe an mein Kinn, als es nur möglich, bald schüttelte ich mein zerknittertes Kissen auf, wandte es auf die kühle Seite, strich es glatt und legte mich dann ruhig auf den Rücken, bald schlug ich es zur Hälfte zusammen, stellte es auf das eine Ende, klemmte es an die Bettseite und versuchte nun eine sitzende Stellung, jede Anstrengung war vergebens, und ich mußte mich mit Verdruß überzeugen, daß es hier ohne eine schlaflose Nacht nicht abgehen werde.
Was war zu thun? Ich hatte kein Buch zum Lesen, und doch fühlte ich bestimmt, daß wenn ich keine Methode ausdächte, meinen Geist zu zerstreuen, mir alle nur mögliche Schrecknisse auszumalen, mein Gehirn mit Ahnungen aller nur möglichen oder unmöglichen Gefahren zu ängstigen, kurz, die Nacht mit den Qualen aller ersinnlichen Leiden nervöser Furcht zuzubringen. Ich hob mich auf einen Ellbogen und sah mich im Zimmer um, das von einem freundlichen Mondscheine erleuchtet ward, der voll durch das Fenster hereinfiel, ob es nicht einige Gemälde oder Verzierung enthalte, die ich deutlich erkennen könnte. Als meine Augen so von Wand zu Wand wanderten, fiel mir ein Gedanke an das allerliebste Buch von Le Maistre, Wanderung durch mein Zimmer, ein. Ich beschloß, dem französischen Autor nachzuahmen und darin hinreichende Unterhaltung und Beschäftigung gegen die Langeweile einer schlaflosen Nacht zu finden, daß ich im Geiste ein Inventarium von jedem Artikel der Ausstattung derselben, den ich erblicken könnte, aufnähme und die Menge von Verbindungen, die ein bloßer Tisch, Stuhl oder Waschbecken hervorzurufen im Stande, bis zu ihrer Quelle verfolgte.
Bei dem nervösen und aufgeregten Zustande meines Geistes, fand ich es in diesem Augenblicke für viel leichter, mein mir vorgenommenes Inventar zu machen, als meine mir vorgenommenen Betrachtungen, und gab bald alle Aussicht auf, in Le Maistre’s phantastischer Art zu denken – oder überhaupt zu denken. Ich blickte im Zimmer auf die verschiedenen Geräthschaften umher, that aber weiter nichts. Da war zuerst das Bett, auf dem ich lag – ein vierpfostiges Bett, das ich am wenigsten in Paris erwartet hätte – ja, ein echter plumper Vierpfoster, mit der regelmäßigen Spitze von gestreiftem Zitz – und den regelmäßigen befranzten Umhängen rings herum – nebst den regelmäßigen ungesunden steifen Vorhängen, von denen ich mich erinnerte, daß ich sie beim Eintreten in das Zimmer unwillkürlich zurückgezogen hatte, ohne von dem Bette weiter besondere Notiz zu nehmen. Dann war vorhanden der Waschtisch mit der Marmorplatte, von dem das Wasser, das ich in meiner Hast vergossen hatte, noch langsam und immer langsamer auf den Ziegelboden herabtropfte. Ferner zwei schmale Stühle, mit Rock und Weste und Pantalons von mir daraufgeworfen. Hierauf ein großer Stuhl mit Armlehne mit schmutzigem weißem Cotton überzogen, auf dessen Rückenlehne mein Halstuch und Kragen hing. Alsdann eine Commode, woran zwei bronzene Handhaben fehlten und einem geschmacklosen zerbrochenen Porzellan-Schreibzeuge als Zierrathe darauf. Weiter der Toilettentisch mit einem kleinen Spiegel und einem ungeheuern Nadelkissen versehen. Ebenso ein Fenster – ein ungewöhnlich großes – und zuletzt ein schwarzes altes Gemälde, welches mir das schwache Nachtlicht nur ganz undeutlich sehen ließ. Es war das Portrait eines jungen Mannes mit einem hohen spanischen Hute und einer großen Feder darauf. Ein schwarzbrauner, unheimlich aussehender aufwärtsblickender Kerl, der sich die Hand über die Augen hielt und so stier nach oben schaute, als sähe er nach dem Galgen, an dem er gehängt werden sollte. Wenigstens hatte er ganz das Ansehen, als verdiene er dergleichen.
Ein Asyl für die verwahrloste Jugend.
Wenn man von Leipzig’s schattigster Promenade, dem Rosenthal aus, sich rechts der Brücke zuwendet, die über die Elster nach dem Exercierplatze führt, so gewahrt man ein kleines freundliches Gebäude, das erst im Laufe dieses Sommers entstanden ist. Das vom Ufer der Elster weg einige Fuß aufsteigende Terrain; der lange, sich hinter dem Hause wegziehende Garten, die grünenden Felder und jungen Bäume in ihm; der lebendige Haag ringsherum; unten der Fluß und der rauschende Wald: das Alles zusammen macht einen so angenehmen Eindruck, daß der Vorübergehende wohl gern einige Minuten im Beschauen des reizenden Bildes verweilt. Das auf dem Giebel des Gebäudes hervorspringende niedliche Glockenthürmchen erregt dabei gewiß nicht wenig seine Aufmerksamkeit. Ohne das Thürmchen, in welchem man die Glocke schweben sieht, könnte das Haus recht gut für einen der ländlichen Ruhesitze gehalten werden, deren es um Leipzig her so viele giebt: so aber scheint es doch eine andere Bestimmung zu haben. Die Neugier läßt ihn dann vielleicht näher treten, er fragt, und vernimmt, daß er vor dem neuen Rettungshause für verwahrloste Kinder steht.
Welche Kette von Gedanken reiht sich an dieses Wort! Der Eine faltet vielleicht düster die Stirn, der Andere freudig die Hände; und Beide meinen es wohl gleich ehrlich, sind von gleichem Eifer beseelt, wo es eine so schöne Aufgabe gilt, wie die verwahrloste Jugend zu retten. Es findet sich diese Einrichtung fast in Allem: die Mehrzahl der Menschen ist weit häufiger über den Zweck einverstanden als über die Mittel.
Die neuern Rettungshäuser sind eine Schöpfung der über das protestantische Deutschland verbreiteten innern Mission, welche vornehmlich den Zweck hat: [326] Unter den ärmern Klassen der Bevölkerung durch Werkthätigkeit den religiösen Sinn zu fördern. Die Verbreitung der sogenannten Tractätlein, das Abhalten von Missionsfesten, Betstunden und allerlei andern kirchlich-religiösen Uebungen spielt keine geringe Rolle neben dieser Werkthätigkeit, für welche letztere übrigens die Rettungshäuser einen wesentlichen Gegenstand bilden.
Das „rauhe Haus“ in Hamburg, das vor ungefähr zwanzig Jahren von dem bekannten Dr. Wichern gegründet wurde und, seitdem zu einem umfangreichen Etablissement angewachsen, von diesem jetzt noch geleitet wird, ist, wie überhaupt die Pflanzschule der innern Mission, so auch das Muster für die vielen nach und nach entstandenen Rettungshäuser. Das Rettungshaus ist bestimmt, solche jugendliche Gemüther, welche bereits auf verkehrte und böse Abwege gerathen sind, auf den Pfad des Guten zurückzuführen und zu gebesserten und nützlichen Menschen zu machen. Im rauhen Hause nun werden zu diesem Zwecke die Kinder den sogenannten „Brüdern“ zur Beaufsichtigung und Besserung zugetheilt. Diese Brüder sind junge Männer, welche sich in dem, ebenfalls zum rauhen Hause gehörigen Seminar für innere Mission, zu Rettungslehrern, Gefängnißwärtern, Bibel- und Tractätlein-Colporteuren und dergleichen ausbilden. Ein solcher Bruder bildet mit zwölf, bisweilen auch mehr Knaben eine „Familie“ und hat hauptsächlich die religiösen Uebungen, auf welche das Wirken dieser Anstalt vorzugsweise hinausläuft, zu leiten. Das Uebermaß der religiösen Uebungen ist es, was selbst unter sonst eifrigen Anhängern der Rettungshäuser vieles Bedenken erregt hat. Zu den an fünf verschiedenen Tageszeiten stattfindenden Gebeten, kommt noch Bibel- und Katechismuslesen; Bibelgespräche und Andachten aller Art kreuzen sich die ganze Woche hindurch, und nehmen besonders zur Zeit der christlichen Feste kein Ende. Der eigentliche Unterricht ist nicht viel mehr als eine Fortsetzung dieser geistlichen Uebungen, da er sich in der Hauptsache auf alt- und neutestamentliche Geschichte, auf Lesen und Erklären der Bibel und des Katechismus beschränkt. Die vom rauhen Hause selbst gemachten Erfahrungen haben bewiesen, daß man auf diese Weise wohl ein „bibelfestes“ Geschlecht erzog, nicht aber ein frisches, freudiges, Gott wirklich vertrauendes.
Das ausgedehnte Bibelleben, das im rauhen Hause herrscht, läßt zur anderweitigen Ausbildung der Kinder nur verhältnißmäßig wenig Zeit übrig. Doch werden die Knaben im Schneidern, Schustern und einigen andern Handwerken, die Mädchen im Kochen, Waschen, Nähen und dergleichen unterwiesen. Auch in Feld und Garten wird gearbeitet. Es wird dergestalt sowohl der eigene Bedarf der Anstalt hergestellt, als auch die Kinder zu etwaigen Erwerbsberuf vorgebildet, und hierfür könnte man nur Lobsprüche haben, wenn nicht eben das rauhe Haus durch seinen Bibelfanatismus zum großen Theil nur Menschen heranzöge, die entweder Heuchler sind, oder deren geknickter Muth die Quelle alles echten Lebensglücks trübt.
So viel von dem rauhen Hause, das den be- und entstehenden Rettungshäusern für verwahrloste Kinder insgemein zum Muster dient. Die Idee der Rettungshäuser selbst ist übrigens älter als alle innere Mission, und hat den wackern Johann Heinrich Pestalozzi (der Leser entblöße sein Haupt!), geb. 1746 zu Zürich, zum Vater. Pestalozzi hatte bei einem, schon in seinen jüngern Jahren vielgestaltigen Leben das sittliche Elend des Volks aus eigener Anschauung kennen lernen, und begann 1775 seine pädagogische Wirksamkeit mit der Aufnahme verlassener Bettelkinder. Sein Princip war das der reinsten Menschenliebe ohne allen frömmelnden Beigeschmack; er wollte die ärmern Volksklassen durch naturgemäße Erziehung und Unterricht wirklich heben, und ließ dabei die Beschäftigung der Jugend in Gottes schöner freier Natur als wesentliches Bildungsmittel wirken. Für diesen Gedanken arbeitete er durch Schrift und That. Das erste Rettungshaus im größern Maßstabe legte Pestalozzi mit Unterstützung des damaligen schweizerischen Direktoriums 1798 in Stanz an, wo er nahe an 80 Kinder um sich vereinigte. Aehnliche Anstalten gründete er in Burgdorf, München-Buchsee und Yverdun, nicht ohne mancherlei Anfechtungen von Seiten der schweizerischen Aristokratie, der er als Liberaler eine mißliebige Persönlichkeit war. Unsere Zeit hat ihm Denkmäler errichtet und Vereine gestiftet, die seinen Namen tragen.
Das neue Rettungshaus unweit des Rosenthales verdankt seine Entstehung dem Leipziger Pestalozzi-Verein. Die Anstalt, welche nur den Grundstein zu einem größern Institute bilden soll, ist vorerst zur Aufnahme von 30 Kindern (Knaben) eingerichtet, wobei jedoch zunächst nur mit der Hälfte dieser Zahl der Anfang gemacht werden wird. Die innere Einrichtung des Hauses entspricht in allen Theilen den Zwecken desselben; Alles ist luftig, sonnig und geräumig. Zum Schlafen sind die in verschiedene Abtheilungen getrennten Dachräume bestimmt, eine davon für den stets und überall gegenwärtigen Aufseher. Die übrigen Stockwerke enthalten die Wohnung des Lehrers, Schul- und Betsaal, anderweitige Zimmer zum Aufenthalte für die Kinder u. s. w., desgleichen einige Räume zu Schuhmacher-, Schneider- und Schlosserwerkstätten, in welchen Professionen die Knaben so weit unterwiesen werden sollen, daß sie ihren eigenen Bedürfnissen zu genügen wissen. Eine vorzügliche Stelle in ihrer Beschäftigung wird die Arbeit in Feld und Garten einnehmen, an welche sich zur Vervollständigung der Oekonomie ein kleiner Viehstand reiht. Gerade von diesem ländlichen Beschäftigungsleben kann man aber den wohlthätigsten Einfluß auf die jungen Gemüther der Knaben, die hier zur Besserung, nicht zur Strafe, ein Unterkommen finden, erwarten. Das Turnen, als Mittel zur Ausbildung des Körpers, ist nicht vergessen worden.
Obschon auch hier das rauhe Haus in Hamburg zum Muster gedient hat, so werden doch in dem Erziehungsplane selbst voraussichtlich einige andere Normen eintreten. Dafür spricht schon die äußere Anlage der Anstalt; dafür spricht weiter der offen ausgesprochene Grundsatz, daß die Knaben ganz besonders für ländliche Beschäftigungen erzogen werden sollen; dafür bürgen endlich auch die Namen der Männer (Dr. Vogel, Director der I. Bürgerschule, Conditor Felsche, Kaufmann [327] Limburger u. A.; von Seiten des Raths Dr. med. Lippert-Dähne), welche fördernd an der Spitze des Unternehmens stehen. Das religiöse Element soll allerdings die ihm gebührende Stelle einnehmen, nur soll nicht das des Unterrichts und der Beschäftigung allzu sehr in ihm untergehen.
Das noch im Bau begriffene Rettungshaus wird im Herbst d. J. eingeweiht werden, und für seine gedeihliche Zukunft ist ihm nur wiederholt zu wünschen, daß in den freundlichen Räumen stets der Geist eines Pestalozzi, nie der eines Dr. Wichern walten möge!
Das Material zum großen Weltenbaue.
B. Schwere Metalle sind glänzende Körper von großer Dichte und Härte, welche den Gesteinen und Erden ihre Färbung geben, während die leichten Metalle deren Massen bilden. Die gelben, braunen und rothen Färbungen rühren in der Regel vom Eisen und Mangan, die blauen und grünen vom Kupfer, Kobalt und Chrom. Für den Pflanzen-, Thier- und Menschenkörper sind nur sehr wenige dieser Metalle von Vortheil, die meisten dagegen von Nachtheil. Sie zerfallen, wie im vorigen Aufsatze angeführt wurde, in die unedlen und edlen Metalle und von diesen sind die folgenden von besonderer Wichtigkeit.
Eisen, wegen seiner Anwendung das werthvollste aller Metalle, findet sich gediegen in allen Meteorsteinen, während die (gelben, braunen und rothen) Erze, aus welchen es dargestellt wird, Verbindungen von Eisen mit Sauerstoff, also Eisenoxyde sind, wie Magneteisenstein, Eisenglanz und Rotheisenstein, Rasen- und Spatheisenstein u. s. w. Diese Eisenerze werden mit Kohle gemengt einer heftigen Gluth (in den Hohöfen) ausgesetzt, in welcher die Kohle sich mit dem Sauerstoffe zu Kohlensäure verbindet und entweicht, während das Eisen als glühender Strom in Formen von Sand fließt, wo es zum sogen. Roh- oder Gußeisen erstarrt. Dieses Gußeisen, welches leichter schmelzbar, aber hart und spröde, mit Hammer und Feile nicht zu bearbeiten ist, enthält noch 5–6 Procent Kohlenstoff, und wenn ihm dieser bis auf etwa 2 Procent entzogen wird, so verwandelt es sich in Stahl, während das gänzlich von Kohle befreite Eisen den Namen Stab- oder Schmiedeeisen führt, welches letztere in der Hitze weich und dehnbar wird. Dem Stahle kann nach seiner verschiedenen Behandlung ein verschiedener Grad von Härte, Sprödigkeit und Elasticität verliehen werden. – Durch die Verbindung des Eisens mit dem Sauerstoffe bildet sich der Rost, vorzüglich bei gleichzeitiger Einwirkung von Feuchtigkeit und Luft.
Die im Wasser löslichen Verbindungen des Eisens haben einen herben (tintenähnlichen) Geschmack und nehmen, wenn sie mit gerbstoffhaltigen Flüssigkeiten (mit einer Abkochung von Galläpfeln oder Eichenrinde) vermischt werden, eine violette bis schwarze Farbe an. Es zeigt sich dies schon beim Schneiden des Obstes mit einem eisernen Messer, vorzugsweise aber bei der Tintenfabrication. Das grüne Vitriol oder Eisenvitriol, die aus schönen grünen Krystallen bestehende Verbindung von Eisen, Sauerstoff und Schwefelsäure, wird am häufigsten zur Darstellung von Farben (Tinte, Berlinerblau) benutzt; auch gießt man seine Auflösung in Abtritte, um den übeln Geruch derselben zu entfernen. In den sogen. Stahlbrunnen kommt das Eisen oxydirt und mit Kohlensäure verbunden vor. – Im menschlichen Körper findet sich Eisen (etwa 1/2 Loth) in dem rothen Farbstoffe des Blutes; sein Mangel darin erzeugt die Bleichsucht.
Mangan ist nach dem Eisen das verbreitetste der schweren Metalle, obschon es nur selten in bedeutender Menge auftritt, aber es gibt fast kein Eisenerz, dem nicht Mangan beigemischt wäre. Dieses Metall ist sehr hart und spröde, schwierig rein darzustellen und nur in der allerstärksten Hitze zum Schmelzen zu bringen, deshalb auch keiner technischen Anwendung fähig. Eine sauerstoffreiche Verbindung desselben, der Braunstein, wird aber in der Chemie vielfach benutzt, vorzugsweise zur Darstellung von Sauerstoff. Mangangehalt kann den Mineralien rosenrothe, violette, braune und schwarze Färbung ertheilen.
Kupfer findet sich nicht selten im gediegenen Zustande in der Natur, weshalb es den Alten weit früher als das Eisen bekannt war. Die Phönicier holten dasselbe von der Insel Cypern, woher sich der lateinische Name Cuprum und von diesem der deutsche Kupfer schreibt. Häufiger trifft man dieses Metall aber mit Sauerstoff oder Schwefel verbunden an (in dem Rothkupfererz, Kupferlasur, Malachit, Kupferglanz, Kupferkies, Buntkupfererz und Fahlerz). Das Kupfer ist ein hartes und dabei zähes und dehnbares Metall, das sich zu Tafeln walzen und in Draht ausziehen läßt; seinen lebhaften Glanz verliert es an der Luft bald, indem es sich hier mit einer Oxydschicht überzieht und dadurch eine braune Farbe annimmt; jedoch wird es von der Luft weniger verändert als das Eisen. – Die Verbindungen des Kupfers, welche sich meistens durch eine schöne blaue und grüne Färbung auszeichnen (wie das Braunschweiger und Schweinfurter Grün, das Mineralblau und der Grünspan), haben eine giftige Wirkung; besonders muß man sich vor dem Grünspan (essigsaurem Kupferoxyde), der sich leicht in kupfernen Gefäßen bildet, in Acht nehmen. – Von den Legirungen des Kupfers sind am wichtigsten: das Messing, aus 71 Theilen Kupfer und 29 Theilen Zink; das Rothmessing oder Tomback, aus 85 Theilen Kupfer und 15 Theilen Zink, welches in dünne Blättchen geschlagen das unechte Blattgold darstellt; die Bronce, aus 85–97 Theilen Kupfer und 15–3 Theilen Zinn; das Kanonenmetall, aus [328] 90 Theilen Kupfer und 10 Theilen Zinn; das Glockenmetall, aus 75–80 Theilen Kupfer und 20–25 Theilen Zinn; das Neusilber oder Argentan, aus 2 Theilen Kupfer, 1 Theil Nickel und 1 Theil Zinn.
Blei wird gewöhnlich aus dem Bleiglanze, einer Verbindung des Bleies mit Schwefel, gewonnen. Unter allen schweren Metallen ist das Blei das weichste, denn es kann mit dem Messer zerschnitten werden, auch läßt es sich in dünne Platten walzen und zu Röhren ausziehen, sowie zu mancherlei Gußwerk (Kugeln, Schrot) verwenden. Auf den menschlichen Körper übt das Blei eine sehr verderbliche Wirkung aus und es ist deshalb vorzüglich von Speisen, sowie in Dampfform fern zu halten. Es erzeugt leicht heftiges Bauchgrimmen, die sog. Bleikolik; ferner aber auch Krämpfe, Lähmungen und Abzehrung, mit einem schmalen bläulichen oder schiefergrauen Saume da am Zahnfleische, wo dieses an die Zähne stößt. Am leichtesten entsteht Bleivergiftung durch den Gebrauch bleihaltiger Zinngeschirre und schlecht gebrannter Töpferwaare. – Von den Verbindungen des Bleies haben eine ausgedehnte gewerbliche Benutzung: die Bleiglätte oder Silberglätte, ein Bleioxyd, welches mit Kieselsäure vereinigt die Glasur unserer Topfwaaren bildet; die Mennige, ebenfalls ein Oxyd; das Bleiweiß oder kohlensaure Bleioxyd; der Bleizucker oder das essigsaure Bleioxyd. – Die wichtigsten Legirungen bildet das Blei mit dem Zinn als Schnellloth der Klempner und als Orgelpfeifenmetall.
Zinn findet sich in der Natur nie gediegen, sondern mit Sauerstoff verbunden als Zinnstein und in Verbindung mit Schwefel als Zinnkies. Nächst dem Silber ist das Zinn das schönste der weißen Metalle und wegen seines Glanzes und seiner Unveränderlichkeit an der Luft wird es vielfach zu Tischgeräthschaften verarbeitet. Auch läßt sich dasselbe in sehr dünne Blättchen (unechtes Blattsilber genannt) schlagen und zu Zinnfolie und Stanniol auswalzen, womit die Pfropfen der Champagnerflaschen überzogen, sowie gewöhnlich Vanille und feine Chocoladen verpackt sind. Vorzüglich benutzt man aber das Zinn dazu, um das Eisen vor dem zerstörenden Einflusse der Luft zu schützen, indem man Eisenbleche mit Zinn legirt, worauf dasselbe Weißblech genannt wird. Auch Kupfergeschirre werden verzinnt und dadurch für die Speisen weniger gefährlich. – Von den Verbindungen des Zinns kommen in Anwendung: das Zinnoxyd zur Darstellung des Emails und der Glasur von Fayence; das Chlorzinn zum Färben des Kattunes; das Schwefelzinn als Musivgold, wegen seines goldähnlichen Ansehens. – Legirungen kommen am häufigsten zwischen Zinn und Kupfer oder mit Blei vor (s. vorher bei diesem Metallen).
Zink kommt ebenfalls in der Natur nie gediegen vor, sondern gewöhnlich mit Sauerstoff oder Schwefel verbunden, als Galmei und Zinkblende. Dieses Metall ist an sich sehr spröde, wenn es aber bis zum Siedepunkte des Wassers erwärmt wird, so läßt es sich in Bleche auswalzen. Es wird theils zu Gußwerken, theils zu Dachbedeckungen benutzt; letzteres deshalb, weil es sich an der Luft mit einer Haut von Oxyd überzieht, welche die darunter liegenden Theile vor fernerer Oxydation schützt. – Die Verbindungen des Zinks sind schädlich und erregen Brechen; von Legirungen sind wichtig: Messing, Tomback und Neusilber.
Wismuth ist eins der seltener vorkommenden Metalle und findet sich meist gediegen im Granit und Thonschiefer. Weder an sich noch in seinen Verbindungen ist das Wismuth von besonderer technischer Wichtigkeit; es wird zu optischen Gläsern und weißer Schminke benutzt. Dagegen sind Legirungen desselben mit Blei und Zinn in Gebrauch, zum Abklatschen (Clichiren) von Holzschnitten, Druckformen (Stereotypen). Interessant ist die Legirung von 1 Theil Blei, 1 Theil Zinn und 2 Theile Wismuth, weil dieselbe schon im siedenden Wasser schmilzt.
Antimon oder Spießglanz, findet sich am häufigsten mit Schwefel verbunden als Grauspießglanz. Es ist ein Metall von zinnweißer Farbe, glänzend und so spröde, daß es sich leicht zu Pulver zerstoßen läßt. Die Antimonverbindungen spielen in der Medicin eine große Rolle und von diesen ist der Brechweinstein das wirksamste Mittel. – Eine sehr wichtige Legirung ist die von 1 Theil Antimon mit 4 Theilen Blei, weil man aus dieser die Buchdruckerlettern gießt.
Nickel und Kobalt kommen gewöhnlich in Gesellschaft mit einander und in Verbindung mit Schwefel und Arsen vor. Beide Metalle sind sehr hart, spröde und schwer schmelzbar. Das Nickel nähert sich zwar in seinen Eigenschaften dem Eisen, da es sich in Platten hämmern läßt, allein für sich allein wird es trotzdem nicht verarbeitet. Die meisten Verbindungen desselben zeichnen sich durch eine schöne grüne Farbe aus. Die wichtigste Anwendung des Nickels ist die, daß es mit Kupfer und Zink oder Zinn eine Legirung bildet, welche Neusilber oder Argentan genannt wird. Chinasilber ist galvanisch versilbertes Neusilber. – Der Kobalt wird gar nicht als Metall verwendet, sondern nur in seinen Verbindungen als schöne blaue oder rosenrothe Farbe benutzt, besonders als Schmalte (Waschblau) und Kobaltultramarin bei der Glas- und Porzellanmalerei (blauer Streusand).
Chrom ist eins der weniger verbreiteten Metalle und wird in metallischem Zustande auch nicht verwendet, sondern nur in seinen Verbindungen als Farbe, besonders das Chromgelb und das grüne Chromoxyd. Wegen seiner schönen Farben hat dieses Metall auch seinen griechischen Namen, welcher Farbe bedeutet, erhalten.
Quecksilber gehört wie Silber und Gold zu den edlen Metallen und findet sich nur selten gediegen vor, gewöhnlich mit Schwefel verbunden als Zinnober (in Spanien, Idria, Mexico, Californien). Es ist ein sehr schweres, flüssiges und an der Luft nicht veränderliches Metall, dessen Anwendung zu Thermometern (Temperaturmessern) und Barometern (Luftdruckmessern) von der größten Wichtigkeit ist. Es besitzt die Fähigkeit, den Zusammenhang aller übrigen Metalle, mit Ausnahme des Eisens, aufzuheben, diese also aufzulösen und damit flüssige Gemenge (Amalgame) [329] darzustellen; vorzüglich benutzt man diese Fähigkeit zur Gewinnung von Gold und Silber. Eines Amalgams aus Quecksilber und Zinn bedient man sich zum Belegen des Glases, welches dadurch zum Spiegel wird. Die Dämpfe des Quecksilbers, sowie die Verbindungen desselben äußern auf den menschlichen Körper eine sehr giftige Wirkung (erzeugen Speichelfluß), werden aber trotzdem als Heilmittel angewendet (wie das Calomel, der Sublimat und das Präcipitat). Das Knallquecksilber, welches zum Füllen der Zündhütchen gebraucht wird, besteht aus Quecksilberoxyd und Knallsäure.
Silber kommt in der Natur ziemlich häufig und zwar theils gediegen, theils mit Schwefel oder andern Metallen verbunden vor. Dieses Metall ist härter als Gold, weniger hart als Kupfer, schmilzt in nicht allzugroßer Hitze und ist so weich und dehnbar, daß es in äußerst dünne Blättchen geschlagen und in sehr feinen Draht ausgezogen werden kann. Die verbreitetste Anwendung des Silbers ist die zu Münzen, Geräthen, Zierrathen und Instrumenten. Wegen seiner Weichheit wird das Silber aber stets mit Kupfer legirt, wodurch es größere Härte bekommt. Das Verhältniß des Kupfergehaltes zum Silber wird in der Weise ausgedrückt, daß man von einer bestimmten Gewichtseinheit vollkommen reinen Silbers (Feinsilbers) ausgeht. Eine solche Einheit ist die Mark, welche 16 Loth wiegt. Man nennt nun ein Silber 13löthig, wenn in 16 Loth nur 13 Loth Silber und 3 Loth Kupfer vorhanden sind, 14löthig, wenn es 14 Loth Silber und 2 Loth Kupfer enthält. Gewöhnlich wird 13- und 14löthiges Silber verarbeitet. – Von den Verbindungen des Silbers ist nennenswerth: das salpetersaure Silberoxyd oder der Höllenstein; ferner das Knallsilber oder knallsaure Silberoxyd, welches zu Knallerbsen und Knallfidibus, nicht aber zu Zündhütchen verwendet wird; die Verbindungen mit Jod, Brom und Chlor, welche wegen ihrer leichten Zersetzung durch das Licht zum Daguerreotypiren gebraucht werden.
Gold findet sich fast nur gediegen, häufig mit Silber verbunden, und zwar lose in Körnern, Blättchen oder Klumpen, im Sande vieler Flüsse und im aufgeschwemmten Lande, sowie in Urgesteinen. Afrika, Ungarn, der Ural, Südamerika und Californien liefern die größte Menge des Goldes. Das Gold ist unter allen Metallen das dehnbarste und geschmeidigste, wird weder von der Luft noch von Säuren verändert und kann nur von freiem Chlor aufgelöst werden, weshalb man sich des Königswassers (eines Gemenges von Salpetersäure und Salzsäure) zu seiner Auflösung bedienen muß. Da dieses Metall viel zu weich ist, um ganz rein verarbeitet werden zu können, so wird es mit Silber oder mit Kupfer legirt und gewinnt dadurch an Härte. Mit Silber verbunden bildet sich die weiße, mit Kupfer die rothe, mit beiden Metallen die gemischte Legirung oder Karatirung. Eine Mark feines Gold wird nämlich in 24 Karat getheilt und 24karätiges Gold ist demnach feines Gold, 23karätiges enthält dagegen 23 Karat Feingold und 1 Karat Kupfer oder Silber u. s. f. In Deutschland verarbeitet man 8-, 14- und 18karätiges Gold, in Frankreich 18-, 20- und 22karätiges. Die holländischen und österreichischen Ducaten werden aus 23karätigem, die preußischen und französischen Goldmünzen aus 213/4karätigem Golde gemacht.
Platin findet sich nur gediegen und zwar in geringer Menge im Platinerze, welches besonders in Südamerika im aufgeschwemmten Lande und am Ural in Form kleiner, rundlicher, metallglänzender, stahlgrauer Körper vorkommt. Es ist das schwerste aller Metalle, unschmelzbar und wie Gold nur im Königswasser löslich. Seiner Unschmelzbarkeit wegen und weil es von keiner Säure angegriffen wird, benutzt man das Platin zu chemischen Geräthschaften. In Rußland wurde es früher auch zu Münzen ausgeprägt.
In sehr fein vertheiltem Zustande stellt das Platin eine graue, sehr poröse Masse, den sogen. Platinschwamm dar, welcher die merkwürdige Eigenschaft besitzt, Gase in seinen Zwischenräumen zu verdichten und dadurch die chemische Verbindung solcher zu bewirken. Hierauf beruht die Anwendung des Platinschwammes zu den Wasserstoff-Feuerzeugen (s. früher bei Wasserstoff), bei welchen ein kleiner Strom Wasserstoffgas auf ein Platinschwämmchen geblasen, sich entzündet.
Am Schlusse dieses Aufsatzes bittet der Verfasser diejenigen Leser um Entschuldigung, welche sich bei der trockenen Aufzählung und Beschreibung der Grundstoffe gelangweilt haben, allein eine, wenn auch nur oberflächliche Kenntniß der wichtigsten dieser Elemente und ihrer Verbindungen kann Keinem erlassen werden, der Anspruch auf richtige Bildung machen und die spätern chemischen und medicinischen Aufsätze der Gartenlaube verstehen will. Es ist übrigens Pflicht eines jeden Menschen, welcher sich über das Thier erheben will, seinen Wohnsitz, die Erde, und die auf derselben herrschenden Gesetze und Vorgänge kennen zu lernen.
Blätter und Blüthen.
Blücher und zwei fränzösische Minister. Als Fürst Blücher 1815, Paris bedrohend, sein Hauptquartier von dem kaiserlichen Lustschlosse Meudon[1] weg nach dem bekannten St. Cloud verlegt hatte, stand ich am Nachmittage des 5. Juli gegen vier auf der Terrasse, die sich vor dem Schlosse ausdehnt.
Sehnsüchtig schaute ich hinüber nach den gewaltigen Häusermassen von Paris, aus deren einige seiner prachtvollen Monumente hoch emporragten, namentlich aber der zunächstgelegene Dom der Invaliden meine Blicke fesselte. Ich versetzte mich in Gedanken mitten hinein in das Labyrinth der Straßen, die ich mit stolzer [330] Siegermiene[2] durchschritt, da wurde meine Aufmerksamkeit durch einen Fiakrekutscher abgeleitet, welcher, tüchtig auf die erschöpften Pferde peitschend, links durch die prachtvolle Allee gefahren kam, welche sich die Anhöhe hinauf zieht, auf der das Schloß liegt.
An dem eisernen Gitterthore angelangt, verweigerten die Schildwachen dem Kutscher die Einfuhr. Es entspann sich darüber mit den beiden Herren, die in dem Wagen saßen, ein kleiner Streit. Diesen zu schlichten, trat ich näher, da die Schildwachen sich mit den Franzosen nicht verständigen konnten. Ich machte den beiden Herren, welche mir sagten, daß sie aus Paris kämen und in Angelegenheiten von höchster Wichtigkeit mit dem Fürsten Blücher zu sprechen hätten, nicht ohne Mühe begreiflich, daß sie dazu aussteigen und die kurze noch übrige Strecke zu Fuße zurücklegen müßten.
Brummend entschlossen sie sich, den Wagen zu verlassen, und nun zeigten sich meinen prüfenden Blicken zwei auffallende, aber mit einander eben so auffallend contrastirende Gestalten. Der Eine war klein, dick, beinahe rund, denn ein stattlicher Bauch wurde von den dünnen Beinen nicht ohne Anstrengung vorausgetragen.
Der Andere überragte seinen Gefährten um mehr als Kopfeslänge, und wenn er auch nicht eben dürr genannt zu werden verdiente, so erreichte er doch den Umfang des Kleinen bei weitem nicht.
Beide waren schwarz gekleidet, und wenn sie auch außer einem kleinen rothen Bändchen im Knopfloch kein Abzeichen höheren Pompes trugen, so war doch die Vornehmheit ihrem ganzen Wesen leicht anzusehen. Besonders der Lange zeigte eine stolze Haltung und ein Benehmen der Grandezza, an welchem der Kleine durch seine Körperbeschaffenheit gehindert wurde.
Nachdem ich mich ihnen zum Führer angeboten hatte und als solcher von ihnen angenommen war, fragte ich nach ihren Namen. Sie gaben eine ausweichende Antwort, und da mir im Grunde wenig an der Beantwortung meiner Frage lag, schritt ich hierauf neben ihnen her, quer über den Hof weg, nach dem rechten Flügel des Schlosses, in welchem die Zimmer lagen, die Fürst Blücher zu seinem persönlichen Gebrauche gewählt hatte.
Während des Weges dahin sprachen sie sich unter bittern Klagen darüber aus, daß sie von Paris, welches sie bereits um 6 Uhr Morgens verlassen hätten, von einem Vorposten zum andern geschickt und überall so lange aufgehalten worden wären, daß sie zu der Strecke von wenig mehr als einer Stunde die Zeit von zehn vollen Stunden gebraucht hätten. Ich gab ihnen lachend zur Antwort, das ginge nun einmal im Kriege nicht anders, führte sie in das Ordonnanzzimmer und meldete hier einem eben aus dem zweiten Vorzimmer - dem Offizier-Wartezimmer – tretenden Adjutanten, daß die beiden Herren den Fürsten zu sprechen wünschten. Er fragte sie nach ihren Namen, und sie sagten ihm dieselben so leise, daß ich sie nicht verstehen konnte, obgleich ich dicht neben ihnen stand.
Der Adjutant verbeugte sich ziemlich artig und sagte, er würde sie sogleich dem Fürsten melden, sie möchten nur einstweilen Platz nehmen. Doch die beiden Herren bezeigten keine Lust, dieser Einladung zu folgen, nachdem ein Blick rings umher sie überzeugt hatte, daß sie sich unter lauter Ordonnanzen, Gemeinen oder höchstens Unteroffizieren befanden. Sie traten daher an ein Fenster und unterhielten sich sehr eifrig, doch ganz leise miteinander. Dabei waren ihre Blicke fortwährend mit dem unverkennbaren Ausdrucke der Ungeduld nach der Thür zu den Zimmern des Fürsten gerichtet. Doch es vergingen fünf, es vergingen zehn Minuten, ohne daß der Adjutant erschien, und der Ausdruck der Ungeduld in den Zügen der beiden Franzosen verwandelte sich in unterdrückte Wuth, denn ich sah, wie sie mehrmals die Zähne auf die Lippen bissen und dabei einander Blicke zuwarfen, welche zu sagen schienen: Vielleicht kömmt einst noch die Zeit, diese Schmach, diese Beschimpfung zu rächen, und sie sollen dann gewiß nicht vergessen sein.
Endlich kehrte der Adjutant zurück. Er sagte mit kalter Höflichkeit, der Fürst sei zwar augenblicklich zu beschäftigt, um sie zu sprechen, indeß möchten sie in dem Offizierzimmer warten, bis sie vorgelassen werden könnten.
Und hier mußten sie, eine Zielscheibe für die spöttischen Blicke aller Ab- und Zugehenden, denen ihre Namen zugeflüstert wurden, noch volle anderthalb Stunden warten; denn als dem Fürsten Blücher gemeldet wurde, wer sie wären und was sie wollten, hatte er lachend gesagt:
„Das Geschäft hat keine so große Eile, und die Schurken mögen daher einmal aus eigener Erfahrung kennen lernen, wie es schmeckt, im Vorzimmer demüthig auf die erbetene Audienz warten zu müssen.“
Endlich glaubte der Fürst, sie lange genug gezüchtigt zu haben, ließ sie vor, und es wurde mit diesen beiden Männern die Capitulation von Paris abgeschlossen, in Folge welcher die Preußen und Engländer am 7. Juli ihren feindlichen Triumpheinzug hielten.
Wer aber waren die beiden Männer, an deren Demüthigung Fürst Blücher ein solches Vergnügen fand?
Der Lange war Talleyrand, der mächtige Minister des französischen Kaiserreichs, der feine Diplomat, der den Mantel so geschickt nach dem Winde zu drehen wußte, daß keiner der politischen Stürme, die er durchmachte, ihn umzuwerfen im Stande war.
Der kleine Dicke war Fouché, der schlaue, allgemein gefürchtete, allgemein gehaßte Polizeiminister.
Beide aber waren Männer, vor deren bloßem Stirnrunzeln sonst Tausende erzitterten; man kann sich daher die Gefühle denken, die ihr Inneres durchtoben mußten, als sie sich in der demüthigsten Lage von der Welt zwei Stunden lang den Hohn- und Spottblicken der siegreichen Feinde ausgesetzt sahen!