Die Gartenlaube (1853)/Heft 31
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No. 31. | 1853. |
Das fürchterliche Bett.
Das Gemälde übte eine Art von Gewalt über mich aus, ebenfalls nach oben – an meinen Betthimmel zu sehen. Es war ein dünner und nicht eben interessanter Gegenstand, so daß ich wieder auf das Gemälde zurückblickte. Ich zählte die Federn auf dem Hute des Mannes. Sie standen weit hervor, zwei grüne und drei weiße. Ich bemerkte die Krone auf seinem Hute, der von kegelförmiger Art war, nach der Weise, wie man angenommen, daß Guido Fawkes sie gern getragen habe. Ich dachte darüber nach, wohin er denn so nach oben sehe. Nach den Sternen konnte es nicht sein, denn ein solcher Desperado war weder Astrolog noch Astronom. Er mußte nothwendig nach dem hohen Galgen, in dem Augenblicke, wo er gehängt werden sollte, blicken. Sollte der Scharfrichter in den Besitz seines kegelförmigen Hutes und dessen Federschmuckes kommen? Ich zählte die Federn noch einmal. Drei weiße, zwei grüne.
Als ich noch bei dieser sehr lehrreichen und nützlichen Beschäftigung verweilte, fingen meine Gedanken an herumzuschweifen. Das Licht des Mondes, das in das Gemach schien, erinnerte mich an eine gewisse Mondscheinnacht in England – die Nacht nach einer Picnic-Parthie in einem Walliser Thale. Jeder Gegenstand bei dieser Heimkehr durch eine reizende Gegend, die durch den Mondschein noch reizender wurde, kehrte in meine Erinnerung zurück, ob ich gleich seit Jahren nicht mehr daran gedacht hatte, und wenn ich versucht hätte, es mir wieder in’s Gedächtniß zurückzurufen, es mir gewiß nur wenig oder gar nicht gelungen sein würde. Welche von allen den wunderbaren Fähigkeiten, die uns überzeugen, daß wir unsterblich sind, spricht wohl diese erhabene Wahrheit beredter aus als das Gedächtniß? Hier befand ich mich jetzt in einem fremden Hause von dem verdächtigsten Charakter, in einer Lage der größten Ungewißheit, ja Gefahr, welches den freien Gebrauch meines Gedächtnisses ganz gewiß nicht beförderte, und doch erinnerte ich mich ganz unwillkürlich an Orte und Personen und Gespräche und die kleinsten Umstände aller Art, welche ich für immer für vergessen gehalten haben würde, mir gewiß nicht absichtlich hätte zurückrufen können, selbst unter den allervortheilhaftesten Verhältnissen! Und welche Ursache hatte in Einem Augenblicke diese ganze seltsame, complicirte [332] und geheimnißvolle Wirkung hervorgebracht? Nichts als einige Strahlen Mondscheins in das Fenster meines Schlafzimmers.
Ich dachte noch über das Picnic, unsere Lustigkeit beim Nachhausegehen und die junge, sentimentale Lady nach, die Byrons Childe Harold citirte, weil es Mondschein war. Ich war in diese vergangenen Scenen und Freuden ganz vertieft, als in einem Augenblicke der Faden, an dem meine Erinnerungen hingen, völlig abriß, meine Aufmerksamkeit zu den gegenwärtigen Dingen lebhafter als je zuvor zurückkehrte und ich mich selbst, ohne zu wissen, wie und weshalb, wieder auf das erwähnte Gemälde hinstarrend fand.
Hinstarrend wegen was? Ei du mein Himmel! Der Mann hat seinen Hut abgenommen! Nein! – Der Hut selbst ist fort. – Wo ist die kegelartige Krone? Wo sind die Federn? Drei weiß und zwei grün? Nicht da! Statt des Hutes und der Federn, welcher düstere Gegenstand bedeckt ihm die Stirn? – die Augen? – die beschattende Hand? Bewegt sich mein Bett?
Ich wendete mich auf den Rücken und sah empor. War ich wahnsinnig? trunken? träumend? – oder bewegte sich der Betthimmel wirklich herab – sank langsam, regelmäßig, schweigend, furchtbar, gerade herunter in voller Länge und Breite – herunter auf mich, der ich unter ihm lag?
Mein Blut schien still zu stehen; eine tödtliche, versteinernde Kälte überlief mich, als ich meinen Kopf auf dem Kissen wandte und entschlossen war, mich zu überzeugen, ob der Betthimmel sich wirklich bewege, indem ich mein Auge auf den Mann auf dem Bilde richtete. Der erste Blick in dieser Richtung hin genügte. Die schwarze, schmutzige Außenlinie des Bettkranzes über mir brauchte nur noch einen Zoll, um mit dessen Leibe parallel zu stehen. Doch sah ich athemlos darauf. Und fortwährend und langsam – sehr langsam sah ich die Gestalt und den Rahmen unter der Gestalt verschwinden, so wie der Bettkranz sich vor ihm herabsenkte.
Ich bin meiner Natur nach alles andere, nur nicht furchtsam. Ich bin mehr als einmal in Lebensgefahr gewesen und habe keinen Augenblick mein kaltes Blut verloren, aber als die Ueberzeugung nur erst von meinem Verstande Besitz genommen hatte, daß sich der Betthimmel wirklich bewege, und fort und fort auf mich herabsinke, blickte ich schaudernd, hülflos und furchterstarrt doch einen oder ein paar Momente unter der Mordmaschine empor, die sich immer näher und näher zu mir herabsenkte, um mich da, wo ich lag, zu ersticken.
Da trat der Instinkt der Selbsterhaltung ein und stärkte mich, mein Leben zu retten, so lange es noch Zeit sei. Ich stieg sehr ruhig aus dem Bette und zog schnell meine Oberkleider an. Das Licht, völlig abgebrannt, ging aus. Ich setzte mich in den Armstuhl neben mir und beobachtete nun, wie sich der Betthimmel immer mehr langsam herabsenkte. Ich war im eigentlichen Wortverstande durch Zauberei gefesselt. Hätte ich Fußtritte hinter mir gehört, so würde ich mich doch nicht haben umdrehen können. Wäre ein Weg zur Rettung mir durch ein Wunder geöffnet worden, ich würde mich nicht haben bewegen können, um Gebrauch davon zu machen. Das ganze Leben in mir war in diesem Augenblicke in meinen Augen concentrirt.
Er stieg herab – der ganze Betthimmel mit seinen Behängen umher kam herab – tiefer – und immer tiefer, so daß kein Raum mehr da war, auch nur einen Finger zwischen ihn und das Bett zu stecken. Ich fühlte zur Seite und ward inne, daß das, was mir von unten der gewöhnliche leichte obere Aufsatz eines Bettes auf vier Pfosten geschienen hatte, in der That eine breite, dicke Matratze sei, deren Bestandtheile durch den Bettkranz und die Fransen verborgen ward. Ich blickte empor und sah die vier Pfosten widerwärtig nackt sich erheben. In der Mitte des Bettes befand sich eine schwere hölzerne Drehschraube, die offenbar durch eine Oeffnung in der Decke herabgekommen war, so wie gewöhnliche Pressen auf die Gegenstände herabgesenkt werden, auf die man Druck ausüben will. Der furchtbare Apparat bewegte sich ohne das mindeste Geräusch. Man hatte kein Krachen gehört als er herabkam, es erscholl von oben herunter nicht das mindeste Getös. Inmitten eines schrecklichen, tödtlichen Schweigens sah ich vor mir – im neunzehnten Jahrhunderte und in der civilisirtesten Hauptstadt Frankreichs – so eine Maschine für geheimen Mord durch Erstickung, wie sie einst vielleicht in den schlimmsten Tagen der Inquisition, in den abgelegensten Gasthäusern der Harzgebirge, in den geheimnißvollen Vehmgerichten Westphalens existirt haben mochte. Und doch konnte ich, als ich so hinblickte, mich nicht von der Stelle rühren, ja kaum Athem holen, doch bekam ich die Kraft zu denken wieder und begriff im Augenblicke die mörderischste Verschwörung gegen mich mit allen ihren Schrecken.
Mein Trank in der Kaffeetasse war mit etwas vermischt worden, und zwar allzu stark. Ich war dadurch gerettet, daß die Dosis für einen Schlaftrunk allzu heftig war. Wie hatte ich in meinem Fieberanfalle, der mein Leben dadurch gerettet, daß er mich wach erhalten, aber auch geglüht und gefroren! Wie rücksichtslos hatte ich mich den beiden Bösewichtern anvertraut, die mich in dieses Zimmer brachten und entschlossen waren, mich hier um meines Gewinnstes willen auf die furchtbarste und sicherste Weise in meinem Schlafe um’s Leben zu bringen. Wie viele Personen die gewonnen hatten, mochten schon in diesem Bette geschlafen haben, wie ich es mir vorgenommen, ohne daß man jemals von ihnen ein Wort wieder gehört. Ich schauderte, als ich daran dachte.
Nicht lange aber, so war wieder alles Nachdenken bei dem Anblicke des mörderischen Betthimmels mir vergangen, der sich immer noch bewegte. Nachdem er etwa zehn Minuten lang auf dem Bette geblieben, so fing er an, sich wieder zu erheben. Die Bösewichter, welche von obenher darauf wirkten, glaubten offenbar, daß ihr Vorsatz nun erreicht sei. Langsam und still, wie er herabgestiegen war, erhob sich dieser schreckliche Betthimmel nun auch wieder in die Höhe. Als er die obern Enden der vier Bettpfosten erreicht hatte, befand [333] er sich auch wieder an der Decke. Man konnte weder Höhlung noch Spalte sehen. Das Bett ward wieder zu einem gewöhnlichen Bette, der Himmel eben so zu einem gewöhnlichen, selbst für die scharfsichtigsten Augen.
Jetzt zum erstenmale bekam ich meine äußere Beweglichkeit wieder und konnte von meinem Armstuhle aufstehen, um zu sehen, wie und wo ich entfliehen könne. Verrieth ich durch das geringste Geräusch, daß der Versuch meiner Erstickung verunglückt sei, so war ich überzeugt, gemordet zu werden. Hatte ich schon Geräusch gemacht? Ich horchte aufmerksam nach der Thür gerichtet. Aber kein Fußtritt auf dem Gange außerhalb, kein Ton eines leichten oder schweren Einhergehens über mir, tiefes Schweigen rings umher. Um meine Thür zu schließen und zu versperren, hatte ich einen alten hölzernen Kasten dagegen gestemmt, den ich unter dem Bette gefunden. Diesen Kasten fortzubewegen (das Blut gerann mir in den Adern, wenn ich bedachte, was darin sein könnte!), ohne irgend eine Störung zu machen, war unmöglich, und doch war der Gedanke, aus dem, jetzt während der Nacht versperrten Hause zu entfliehen, ein reiner Unsinn. Nur ein Ausweg blieb mir – der durch das Fenster. Ich stahl mich auf den Zehen zu ihm.
Mein Schlafgemach war im ersten Stockwerke, über einem Entresol und sah auf die finstere Straße. Ich erhob die Hand, um das Fenster zu öffnen, fühlend, daß an diesem Augenblicke bei dem geringsten Geräusche meine Rettung hange. In einem Hause des Mordes wird scharfe Wache gehalten! Wenn ein Rahmen knarrte, eine Scheibe klirrte, war ich vielleicht ein verlorener Mann. Ich muß mich wenigstens fünf Minuten der Zeit nach – meiner Angst nach fünf Stunden lang mit der Oeffnung des Fensters beschäftigt haben. Es gelang mir dies mit all der Gewandtheit eines Diebes ganz still zu thun und ich sah dann auf die Straße. Auf sie unter mir herabzuspringen, wäre offenbare Vernichtung gewesen. So sah ich mich denn seitwärts am Hause um. Die linke Seite herab lief die dicke Wasserröhre. Sie ging nahe bei der äußern Ecke des Fensters vorbei. So wie ich diese Röhre sah, wußte ich, daß ich gerettet. Zum erstenmale, seit ich den Betthimmel sich zu mir hatte herabbewegen sehen, holte ich wieder frei Athem.
Manchem würden allerdings diese entdeckten Mittel zur Flucht schwierig und gefährlich genug geschienen haben, mir aber kam die Aussicht, an der Röhre auf die Straße herabzugleiten, nicht im mindesten gefährlich vor. Ich war sehr gut in gymnastischen Kunststücken geübt und wußte daher, daß Kopf, Hände und Füße mir treu im Herauf- oder Herabklettern zu dienen pflegten. Schon hatte ich ein Bein über das Fensterbrett geschwungen, als ich mich an das Taschentuch mit Geld unter meinem Kopfkissen erinnerte. Ich hätte es allerdings hinter mir lassen können, aber ich war rachevoll entschlossen, daß die Bösewichter des Spielhauses eben so ihre Beute wie ihr Opfer verlieren sollten. So ging ich denn wieder zu dem Bette zurück und band mir mit meinem Halstuche das schwere Taschentuch auf dem Rücken fest. Gerade als ich es haltbar gemacht hatte, glaubte ich einen Athemzug außerhalb der Thüre zu hören. Abermals durchfröstelte mich Schrecken, als ich so horchte. Doch nein! Es blieb alles still auf dem Gange. Ich hatte nur die Nachtluft leise in das Zimmer wehen hören. Im nächsten Momente war ich wieder auf dem Fenster – und im folgenden hatte ich mit Händen und Knieen eine feste Lage an der Wasserröhre gefaßt.
Leicht und ruhig glitt ich, wie ich mir gedacht, in die Straße hinab, und eilte augenblicklich mit der größten Schnelle zu einer Polizei-Expedition von der ich wußte, daß sie sich in unmittelbarer Nähe befinde. Es traf sich, daß ein Beamter und einige hewaffnete Leute seines Gefolges noch wach waren, ohnstreitig in der Absicht, etwas von dem geheimnißvollen Morde zu entdecken, der eben damals in Paris so großes Aufsehen machte. Als ich meine Geschichte athemlos und in sehr schlechtem Französisch begann, konnte ich sehen, wie der Beamte mich im Verdacht hatte, ein betrunkener Engländer zu sein, der etwas gestohlen habe, als ich aber fortfuhr, änderte er seine Ansicht sehr schnell, und ehe ich nur im mindesten geendet hatte, schob er alle seine Papiere vor sich in ein Schubfach, setzte seinen Hut auf, versorgte mich mit einem andern, denn ich war baarhäuptig, stellte eine Schaar Soldaten auf, befahl seinen Vertrauten, alle Arten von Werkzeug, um Thüren aufzubrechen und Fußböden aufzuhacken, mitzunehmen, und ergriff mich auf die freundlichste und vertrauteste Art am Arme, um mich mit sich zu dem Hause fortzunehmen.
So gingen wir denn durch die Straßen, der Beamte immer mich examinirend und mir glückwünschend, wie wir an der Spitze unserer Begleitung einherzogen. Schildwachen wurden vorn und hinten am Spielhause aufgestellt, sobald wir es erreicht hatten. Ein furchtbares Klopfen donnerte an die Thüre. Ein Licht ließ sich in einem Fenster sehen. Ich selbst versteckte mich hinter den übrigen. Jetzt erscholl eine laute Stimme: Aufgemacht im Namen des Gesetzes! Bei diesem furchtbaren Aufrufe wurden Riegel und Schlösser von einer unsichtbaren Hand geöffnet, und im Augenblicke darauf stand der Beamte im Eingange vor einem halbangekleideten, leichenblassen Manne. Folgender kurze Dialog fand nun sogleich statt:
„Wir wollen den Engländer sehen, der hier im Hause schläft.“
„Er ging vor einigen Stunden fort.“
„Das that er nicht. Sein Freund ging, er aber blieb da. Führen Sie uns in sein Schlafzimmer.“
„Ich schwöre es Ihnen, Herr Unterpräfect, er ist nicht hier.“
„Und ich schwöre es Ihnen, Herr Garçon, er ist hier. Er schlief hier – er fand Ihr Bett nicht bequem – er beklagte sich deshalb bei uns – hier ist er unter meinen Leuten – und hier bin ich, um in seinem Bette nachzusehen. Picard! binden Sie diesem Burschen da die Hände auf den Rücken, und dann vorwärts, die Treppe hinauf!“
Alles was im Hause war, ward festgenommen, der alte Soldat zuerst. Nun erkannte ich das Bett für das, worin ich geschlafen, und dann ging’s eine Treppe [334] höher. Nirgends entdeckte man dort irgend etwas nur einigermaßen Ungewöhnliches. Der Unterpräfect sah sich überall um, befahl Jedermann zu schweigen, stampfte zweimal auf den Boden, ließ sich Licht bringen, untersuchte die Stelle genau, wo er aufgestampft hatte, und befahl, daß man dort den Fußboden sorgfältig aufhebe. Dies war sehr schnell geschehen. Lichter wurden dorthin gehalten und wir blickten in eine tief gezimmerte Höhlung, zwischen dem Boden des obern und der Decke des untern Zimmers. Durch diese Höhlung ging perpendicular eine Art dick eingeschmierter Kasten und innerhalb des letztern erblickte man die Schraube, welche mit dem Betthimmel unten zusammenhing. Frisch eingeölte besondere Schraubenstöcke – mit Filz bedeckte Hebel – die vollständigen obern Theile einer schweren Presse, mit teuflischer Geschicklichkeit so berechnet, daß sie alle unten zusammenhalten mußten, und wenn sie wieder auseinander genommen wurden, im kleinsten Raume sich unterbringen ließen, wurden nun zunächst entdeckt und auf den Boden gelegt. Nach einiger Mühe gelang es dem Unterpräfect, die Maschinerie zusammen zu setzen, und so stieg er nebst mir mit Hülfe seiner Leute in das Schlafzimmer hinab. Dies geschah jedoch nicht so geräuschlos, als es bei mir der Fall gewesen war, und als ich ihm dies bemerklich machte, war seine Antwort von furchtbarer Bedeutsamkeit. Er sagte nämlich: „mein Herr, meine Arbeiter handhaben diesen Betthimmel zum erstenmale – die Männer, deren Geld Sie gewonnen haben, waren besser damit bewandert.“
Wir ließen das Haus blos in der Aufsicht der beiden Polizeioffizianten, da auf der Stelle alle Einwohner desselben ins Gefängniß abgeführt worden waren. Nachdem der Unterpräfect meine Aussagen zu Papiere gebracht hatte, begleitete er mich in mein Hotel, um sich meinen Paß auszubitten. Ich fragte, als ich ihn ihm einhändigte, ob er glaube, daß irgend Jemand schon in diesem Bette so zur Ruhe gebracht worden wäre, wie man es mit mir im Sinne gehabt?
„Ich habe,“ antwortete er, Dutzende ertränkter Menschen schon in der Morgue liegen sehen, in deren Portefeuilles wir Briefe fanden, welche enthielten, daß sie sich selbst durch Ertränken in der Seine um’s Leben gebracht, weil sie ihr ganzes Vermögen im Spiele verloren. Kann ich’s wissen, wie viele von diesen in dasselbe Spielhaus kamen, wo Sie hinein sich begaben, gewannen wie Sie gewannen, sich in das Bett legten, worin Sie lagen, darin schliefen, erdrückt wurden wie Sie, und dann heimlich in den Fluß geworfen wurden, mit einer von ihren Mördern geschriebenen und in ihr Portefeuille gelegten Empfehlung und Erklärung? Niemand kann wissen, wie viele oder wie wenige das Schicksal erduldet haben, dem Sie glücklicherweise entronnen sind. Die Leute aus dem Spielhause hielten ihre Bettstellenmaschinerie als ein Geheimniß für uns, den übrigen Theil desselben behielten die Todten für sich. Gute Nacht denn, oder vielmehr guten Morgen, Herr Faulkner. Finden Sie sich um 9 Uhr wieder auf meinem Büreau ein. Bis dahin auf Wiedersehen.“
Der übrige Theil meiner Geschichte ist bald erzählt. Ich ward befragt und wieder befragt, das Spielhaus ward vom Schornstein bis zum Keller auf’s Sorgsamste untersucht, die Gefangenen wurden abgesondert verhört und zwei der mindest Schuldigen unter ihnen gestanden. Ich entdeckte, daß der alte Soldat der Herr des Spielhauses sei, und die Justiz, daß er als Vagabund vor Jahren aus der Armee gestoßen worden, daß er seitdem alle Arten von Schlechtigkeiten sich zu Schulden gemacht, daß er plötzlich zu Vermögen gelangte, und daß er, der Croupier, noch ein Mitgenosse und das Weib, das mir die Tasse Kaffee gebraut, alle mit in dem Geheimnisse der Bettstelle verflochten. Es schien zweifelhaft, daß die geringern Personen im Hause etwas von der Erstickungsmaschine gewußt hätten und sie ernteten von diesem Zweifel dies, daß sie blos als einfache Diebe und Vagabunden behandelt wurden. Was den alten Soldaten und seine beiden Hauptbeistände betraf, so kamen sie auf die Galeeren, das Weib, das mir den Kaffee gebracht, ward auf mehrere Jahre eingekerkert, die regelmäßigen Besucher des Spielhauses erschienen als verdächtig und wurden unter Aufsicht gestellt, ich aber ward eine ganze Woche lang, folglich eine sehr geraume Zeit, der Haupt-Lion der Pariser Gesellschaft. Drei berühmte Schauspielmacher dramatisirten mein Abenteuer, aber es sah nie das Lampenlicht, denn die Censur verbot es, die treue Abbildung einer Spielhausbettstelle auf die Bühne zu bringen.
Zwei gute Wirkungen brachte aber doch mein Abenteuer hervor, welche jede Censur würde haben billigen müssen. Für’s erste half es die Regierung zu rechtfertigen, von da an alle solche Spielhäuser aufzuheben und dann kurirte es mich, jemals wieder Rouge et noir als einen Zeitvertreib aufzusuchen. In meiner Seele wird der Anblick eines grünen Tuches mit Karten- und Goldhaufen stets mit dem Anblick des Betthimmels vergesellschaftet sein, der in dem Schweigen und der Dunkelheit der Nacht sich herabsenkt, um mich zu ersticken.“
Joseph Hume.
Die Gartenlaube machte ihre Leser unlängst mit dem Portrait und den Verdiensten Richard Cobden’s bekannt. Folgerichtigerweise darf nun auch Joseph Hume (sprich Hjuhm) nicht fehlen. Wer jemals in den englischen Artikeln deutscher Zeitungen las, wird diesem Namen öfter und öfter begegnet sein und sich erinnern, daß er immer etwas Derbes, Tüchtiges, Praktisches, Oekonomisches sagte und unnöthige Staatsausgaben [335] und kostspielige, unsinnige Gebräuche angriff. Er hat dies ununterbrochen seit mehr als 40 Jahren im Unterhause des englischen Parlaments gethan und so viel Reformen durchgesetzt, wie niemals ein Staatsmann, obgleich er immer noch gegen ein Heer von Mißbräuchen mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit und Jugendkraft kämpfen muß.
Joseph Hume ist einer der gesundesten populären Namen Englands. Seine Persönlichkeit, sein Lieben und seine Thätigkeit machen ihn zu einem practischen Muster für alles wirkliche Verdienst und alle wirkliche Mannesgröße. Deshalb und weil es immer angenehm ist, bekannte, beliebte, große Männer näher kennen zu lernen, stellen wir Joseph Hume hiermit den Lesern vor.
Er ward im Jahre 1777 zu Montrose im Norden Schottlands von einer tüchtigen, klugen, zärtlichen Mutter einem armen Küstenfischer geboren, der es jedoch mit der berühmten schottischen Klugheit und Ausdauer bald dahin brachte, daß er in eigener Schaluppe einen Fischhandel nach London treiben konnte. Freilich nicht lange, denn der alte Fischer starb schon 1782 und hinterließ den 5jährigen Joseph seiner energischen, zärtlichen Mutter zu alleiniger Erziehung. Es war ihr Stolz, recht viel Geld zu sparen, um Joseph Medizin studiren zu lassen. So kam er nach tüchtigen Vorstudien auf dem Gymnasium zu Montrose bei dem Doctor und Wundarzt Dr. John Bole in derselben Stadt „in die Lehre,“ wie das in England so Mode ist; doch blieb er bei der Mutter in Kost und Wohnung, in seinem alterthümlichen, solid und derb ausgestatteten Geburtshause in der Ferry-Straße, die ziemlich weit im Norden der Stadt sich nach dem Freien ausdehnt, welches freilich weit und breit noch den düstern Charakter einer der düstersten unter den schottischen Städten trägt. Lange, nachdem sich die dunkle Stadt in Nacht und Schlaf begraben, glitzerte noch das Lämpchen des studirenden Joseph aus dem Dachstübchen in die Nacht hinaus. Das Licht blickte so einsam und ohnmächtig in die allmächtige Finsterniß hinaus, als müßt’ es jeden Augenblick erlöschen, aber es erlosch nicht; es wurde größer und größer und heller und heller und leuchtet jetzt sogar noch mitten am hellen lichten Tage durch jeden wichtigen Parlamentsbericht und ernährt sich aus den dankbaren Herzen von Millionen, die in ihm ihren alten, treuen, unerschütterlichen Vater und Führer verehren und lieben.
Die nächtliche Lampe schien bis zu seinem 19ten Jahre, als das dämonische Feuer, das aus Frankreich herüberloderte, und das magische Licht, welches aus Indien (wie jetzt Australien) herüberlockte, die damalige gebildete Jugend beunruhigte. Hume, der es stets [336] mit dem Lichte der Reform, und nicht mit dem Feuer der Revolution hielt, beschloß, nach Indien zu gehen. Mit seinem Wundarzt-Diplom kam er nach London und ging auf Schiffe der ostindischen Compagnie in Dienste, auf welchen er mehrere Reisen nach Indien und China machte. Im Jahre 1799 wurde er Wundarzt in der Armee der ostindischen Compagnie, dazu auch persischer Dolmetscher während des Mahrattakrieges und (1802–1808) Kriegszahl- und Postmeister der ostindischen Regierung, welche damals noch nicht so entsittlicht war, wie jetzt, und die Hume’sche Ehrlichkeit und Ausdauer öffentlich belobte, während ihr diese Eigenschaften neuerdings oft unbequem geworden sein sollen.
Ein so ausgeprägter schottischer Charakter konnte dabei natürlich dem nationalen Triebe für kluges Berechnen und Arbeiten, dem Glücke ein dauerndes Lächeln abzugewinnen, nicht widerstehen. Doch nicht, wer das Glück hat, führt die Braut heim, sondern wer die Ausdauer und den Geist hat, in ununterbrochener Thätigkeit mit Benutzung aller Gelegenheiten, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Er wollte Geld verdienen, um davon sorgenlos einst dem Vaterlande leben zu können. Er wollte es, wie eben ein Hume nur „wollen kann,“ und so hatte er 1808 schon so viel erworben, daß er bis heute sehr anständig davon leben konnte. Er hatte nebenbei kaufmännische Geschäfte zwischen England, Ostindien und China gemacht und so nebenher in 12 Jahren etwa 25,000 Pfd. Sterl., über 170,000 Thaler verdient. Er hatte „Glück,“ d. h. den klugen, weiten, schottischen Blick, das Glück überall zu sehen, wo es sich aufhielt und es so zu behandeln, daß es willig „herausrückte.“ Mit dem Gelde machte er rasch mehr Geld, besuchte dann Spanien, Egypten, die Türkei u. s. w. und kehrte mit dem Entschlusse zurück, in der gesetzgebenden Versammlung Englands dem Staate Oekonomie und Sparsamkeit beizubringen und das Volk von ganzen Ladungen unerträglicher Lasten zu befreien. So trat er 1811 in Weymouth als Candidat für’s Unterhaus auf und wurde gewählt. Und wurde seitdem immer wieder gewählt (mit Ausnahme des einzigen Jahres 1841), beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch, seit 1842 ununterbrochen als Vertreter von Montrose. In dem klikenreichen, kastenartigen, aristokratisirenden England wurde der arme Fischerknabe „ohne Geburt,“ ohne Geld (d. h. nach den Begriffen der „guten Gesellschaft“), ohne Familie, ohne Verbindungen, ohne Rednergabe, ohne irgend eine Gelehrsamkeit als die des Adam Riese der mächtigste, segenreichste Reformer und Volksvertreter des ganzen Jahrhunderts. Er hat dem Volke die Parke geöffnet, die ungeheuersten Verschwendungen im Gehalte der Hofbeamten beschränkt (obgleich von den Bettmacherinnen der Königin zweiten Ranges jede immer noch 5000 Pfund bekömmt und die, welche die Betten wirklich machen, extra bezahlt werden), Legionen von Steuern und Abgaben wirklich abgeschafft und – was die Hauptsache ist – eine Menge aristokratische und russische Pläne im Ober- und Unterhause zurückgeschlagen. Die Verdienste Cobden’s sind nur ein kleiner Bruchtheil der Hume’s. Ein noch viel größeres Verdienst sind die von ihm angebahnten ökonomischen und finanziellen Grundsätze und der arithmetische Scharfblick, mit welchem seine (die Manchester-) Schule alle Handlungen und Ausgaben der Regierung prüft. Dagegen kommt keine ritterliche Romantik mehr auf. So liegt sein 40jähriges Verdienst doch noch mehr in der Zukunft, der es vorbehalten bleibt, die von ihm begonnenen und 40 Jahre lang fortgeführten Kämpfe siegreich durchzusetzen. Es ist nicht Partei, nicht Räsonnement, nicht Meinung, womit er die Aristokratie und deren Pläne angreift, sondern es sind meist Zahlen, herausgerechnet aus dicken, dichten blauen Büchern des Parlaments, über welchen der alte 76jährige, dicke, ungebeugte Held Tage und Nächte lang sitzt und arbeitet, um dann in den langen Nächten der Parlamentssitzungen, wo er nie fehlt, von den Ergebnissen seiner Rechnungen denselben Gebrauch zu machen, wie er es seit 40 Jahren that. Der Widerstand ist oft wie von Stein, aber er klopft seit 40 Jahren Steine mit dem eisernen Hammer seines Willens, seines Wohlwollens, seiner unerschütterlichen Arithmetik. Und was er nicht zerklopft, betröpfelt er. Und es ist solch ein Tropfen, der Steine aushöhlt und aufweicht, daß sie endlich mürbe und morsch von selbst zerbröckeln.
Spanische Reisebriefe.
E. A. Roßmäßler.
Obgleich es vielleicht etwas gewagt ist, jetzt schon über spanisches Leben zu schreiben, nachdem ich erst 6 Wochen in diesem von Deutschland durch und durch verschiedenen Lande bin, so mag mich der Umstand entschuldigen, daß ich mehr Beobachtungen als Urtheile mittheilen werde.
Ich schreibe diese Zeilen in einer Stadt, wo mich durchaus rein und unvermischt mit fremdländischen Anklängen spanisches Leben umgiebt. Auch in Cartagena [337] und Almazarron, über welche Orte ich hierher gereist bin, war dies der Fall, obgleich erstere Stadt ein Hafenort ist. Daß ich mich für das Leben in Spanien bis jetzt nicht im allermindesten begeistert fühle, mag immerhin zum Theil von meiner geringen Kenntniß der Sprache herrühren und daher, daß mich von Murcia an mein Weg durch die trostlosesten Gegenden geführt hat, die blos da zu sein scheinen, um malerische Scenen aufzustellen und dem Menschen den Mangel des Wassers fühlbar zu machen. Aber auch ohne diese Gründe glaube ich meinem Freunde von Gülich täglich mehr, daß es einem Deutschen, der nicht über Gelderwerb über andere Entbehrungen hinwegsieht, nun und nimmermehr unter den Spaniern gefallen kann. Eins – ich bitte immer zu beachten, daß meine Beobachtungen von denen mehrerer lange Jahre in Spanien lebenden Deutschen unterstützt werden – Eins vermißt man bitter, das ist die deutsche Wärme und Gemüthlichkeit. Außer diesem Mangel, den ein Deutscher bitter fühlt, vermißt der deutsche Gelehrte in Spanien das Interesse für die Wissenschaften. In einem gewissen Grade ist aber jeder Deutsche an Bildung ein Gelehrter. Ich unterscheide hier wohl zwischen Professorenthum und humaner Gelehrsamkeit! Der Kunstsinn der Spanier dreht sich nach meinen jetzigen wenigen Beobachtungen um einige spanische Namen, unter denen Murillo obenan steht. Wie ich in Murcia nicht die Spur von Kunsthandel fand, so fand ich es auch in Cartagena, so fand ich es hier. Am Tage meiner Abreise von Murcia war unter pomphafter Ankündigung eine lithographische Ansicht von dieser schönen Stadt erschienen, die füglich für den ersten stümperhaften Versuch eines Anfängers in der Lithographie gelten kann.
Doch das gehört ja nicht zu „spanischem Leben“ im engeren Sinne. Um das „Leben“ zunächst recht materiell aufzufassen, so muß ich kurz von der spanischen Küche etwas sagen: und wenn die neue physiopsychologische Schule darin Recht bat, wie sie es hat, daß die Nahrung auch den geistigen Menschen, nicht blos den leiblichen macht, so ist das Departement der Küche ein hochwichtiges. Sie ist gründlich von der Deutschen verschieden. Die französische steht zwischen ihr und der deutschen, und uns gilt schon die französische für zu gewürzt, zu – lasciv möchte ich sagen. Die spanische schwimmt in Fett, Speck, Oel, Butter und Gewürzen. Was sie von der leichten Beschwingung des deutschen Geistes übrig lassen würde, das vernichtet der schwere feurige Wein. Mein Hauptreiseleiden ruht in der spanischen Küche. Nur wenige Gerichte esse ich mit Appetit. Barcelona ausgenommen habe ich bisher kein Quellwasser getrunken. Von Bier einigemale, selbst in Cartagena, nur ein verfehltes Conterfei. Für den geistigen Kaffee und den phantasiereichen Thee liebt man im Süden Spaniens die nährende und aufregende Chocolade. Kurz, der Spanier ißt und trinkt nach meinen bisherigen Beobachtungen sehr massiv. Dabei ist für das Bedürfniß Fremder sehr schlecht gesorgt. Eben jetzt erlebte ich ein auffallendes Beispiel davon. Ich bin in Lorca mit meiner Tartana in einer Posada abgestiegen, was so ziemlich unsern deutschen Fuhrmanns-Wirthshäusern entspricht. Ich suchte, um etwas besser zu essen, eine Fonda, aber in Lorca, einer Stadt von wenigstens 15000 Einwohnern, giebt es keine! Sie werden fragen, wie es dann junge und unverheirathete Männer machen, um nicht zu verhungern? Sie essen in einer Casa de Pupilos oder de Huespedes, was so ziemlich unseren abonnirten Familientischen entspricht. Immer vermiethen diese Casas auch Zimmer. Für einen Aufenthalt auch von nur einigen Wochen ist es dem sparsamen Reisenden daher stets anzurathen, die fast immer theure Fonda zu vermeiden und in einer Casa de Pupilos ein Unterkommen zu suchen.
Um aus der Küche in die übrigen Gemächer zu gehen, so habe ich in dieser Hinsicht fast nur Extreme gesehen; in dem Hause meines Murcianischen Gastfreundes und dem seiner Familie spanischen Luxus und in den Gasthäusern von Almazarron und Lorca – in Cartagena war es etwas besser – das Gegentheil. In Murcia traf ich einen großen Luxus in der Parketirung der Zimmer. Sie sind mit 8 Zoll im Geviert großen buntglasirten Steinguttäfelchen, Azulejos, ausgelegt, die vorzüglich in Valencia gemacht werden. Jedes Stück davon kostete meinem Freunde bis an seinen Platz gegen 5 Sgr. Ueberhaupt habe ich Breterdielen in Spanien noch niemals gesehen. In den meisten Zimmern besteht die Diele aus quadratischen Ziegeltäfelchen; in kleinen Orten aus bloßem Estrich, gleich einer Tenne, nur selten so eben und stark wie diese. Im Winter breitet man Espartodecken darüber, die sehr zierlich geflochten und meist schwarz, roth und gelb gemustert sind. In Spanien tritt also das Volk im wahren Sinne des Wortes die deutschen Farben mit Füßen. Dem Esparto muß ich einen eigenen Brief widmen. Nächstens hoffe ich dieses wohlthätige Gras in Blüthe zu sehen. Es ist jetzt das leibhaftige Bild der ursprungslosen Bescheidenheit. Es giebt nichts schlichteres, ja fast unbedeutenderes, als einen Esparto-Stock, und doch – kann das Volk – was man in Deutschland Volk zu nennen pflegt – ohne Esparto nicht bestehen. Außer der Bedeckung der Diele spielt der Esparto selbst bei den Reichen eine große Rolle als Bezug der Stühle, wozu wir sogenanntes, aber keineswegs in Spanien wachsendes, spanisches Rohr oder Stroh verwenden. Polstermöbeln sind ein unerhörter Luxus in Spanien. Ueberhaupt scheint der Spanier sehr einfach in der Ausstattung seiner Zimmer zu sein. Barcelona ausgenommen, wo ich alle Zimmer mit grellen Farben geschmacklos gemalt fand, habe ich bis jetzt nur weiße, aber spiegelglatte Gypswände gesehen. Den Luxus unserer Wagen kennt man wenigstens in Südspanien nicht. Eine Coche (spr. Cotzsche) ist eine deutsche Kutsche mit C-Federn, wie wir sie vor 30 Jahren hatten und hier eine Seltenheit. Das Entgegengesetzte ist eine Tartana, deren eine, mit einer Mula bespannt, mich jetzt einige Monate hindurch Schritt vor Schritt, buchstäblich! durch Spanien schleppt; ich habe sie Ihnen schon beschrieben. In der Mitte steht eine Galera, eigentlich nur eine längere Tartana mit 2 Räderpaaren, von denen das vordere kaum über halb so groß als das hintere ist. Sie hat auch blos 2 Längsbänke. Diese Beförderungsmittel [338] bringen mich natürlich auf die befördernden Kräfte: die Zugthiere. Dies sind im ganzen Königreich Murcia fast nur Maulesel. Pferde sieht man hier wenig; Maulthiere fast nie; dafür desto mehr Esel. Esel und Esparto, Esparto und Esel – darauf beruht der Transport fast aller Dinge im Königreich Murcia. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, daß ich bei einer halbtägigen Durchwanderung eines Bergwerkdistriktes der Sierra de Cartagena 2000 Esel gesehen habe, die in Espartokörben das Erz und die Kohlen nach den Hütten trugen. Ich wüßte auch in der That nicht, wie ohne Esel in diesen Berglabyrinthen die Beförderung des Erzes bewerkstelligt werden sollte. Als ich von Cartagena wegreiste, begegneten mir zahlreiche mit Espartowaaren beladene Esel. Ich möchte sagen, ein mit Esparteria beladener Esel auf einer Murcianischen Einöde könne das Symbol des Königreichs Murcia abgeben. Dazu sitzt nicht selten die Frau des Arriero mit einem Säugling noch obendrauf, während der Mann den Esel antreibt; und nicht selten bin ich an die Bilder der „Flucht nach Egypten“ erinnert worden. Uebrigens ist das Reisen, wenigstens im Königreiche Murcia, keineswegs so bequem und fördersam als in Deutschland. Beiwagen zu den Diligencias und Correos giebt man nicht; man muß also auf viel besuchten Straßen oft lange auf einen Platz warten. Mir blieb nichts übrig, als auf 2 Monate eine Tartana zu miethen. Diese kostet mich mit einem Mogo, Diener, der mich bei meinen Streifereien zu Fuß begleitet, täglich 2 Thaler. So kann ich täglich höchstens 10 Leguas machen, denn es geht rein gesagt im Takte eines deutschen Frachtwagens. Dies auf dem entsetzlichsten Wege in einer baum-, haus- und wasserlosen Gegend - dies darf ich recht billig unter die Schattenseiten spanischen Lebens setzen. Neben der uns Deutschen unglaublichen Unbekanntschaft des Spaniers mit dem Auslande – Gebildete nannten mehr als einmal den Erzherzog Albrecht den Bruder „meines Kaisers!“ – zeigen sie doch schnell eine große Theilnahme und Wißbegierde für Ausländisches, vornehmlich Deutsches. Dabei entwickelt der Spanier niederen Standes eine gewisse noble und würdevolle Haltung, welche ich mir mit seinem stolzen Charakter zu erklären suche. Er mag gern Neues hören, sehen, lernen; aber er schämt sich, blicken zu lassen, daß es ihm Neues ist. Meine Ankunft in der Posada hier war bald für die ganze Straße ein kleines Ereigniß. Man war nicht nur durch die seltsame Belastung meiner Tartana mit Kisten und Kasten, Botanisirbüchse, Insektenkästen, Hämmern und dergleichen auf mich aufmerksam geworden, sondern auch dadurch, daß ich sofort vom Marktplatze einen Schneckenverkäufer kommen ließ, um Schnecken, und doch nicht „zum Essen,“ zu kaufen. Binnen einer halben Stunde hatte ich nach und nach 12 Männer, manchmal vier auf einmal, auf meinem Zimmer; theils aus den mittleren theils aus den unteren Ständen. Aber alle zeigten dieselbe gemessene, anständige Haltung, durch welche sich der Spanier sehr auszeichnet.
Eine große Rolle spielt im Tageslauf eines Spaniers das Verfertigen und Rauchen eines Cigareto. Die harten Hände des Tagelöhners drehen im Umsehen mit dem kleinen Stückchen Seidenpapier, deren man aus einem deutschen Thalerschein 4 schneiden kann ein Cigareto und ehe man es denkt, ist es geraucht und auch schon wieder ein neues gedreht. Geht man mit brennender Cigarre auf der Straße, so bleibt oft ein zerlumpter Kerl vor Einem stehen und langt nach der Cigarre. Hat er daran die seinige angezündet, so erhält man mit einer graziösen Handbewegung sein Darlehn zurück. Gesprochen wird dabei meist kein Wort.
Der Volksgesang, den man zur Guitarre oder ohne so oft hört, ist meist ein wahres Schrecken für deutsche Ohren. Ich weiß nicht, welche von folgenden Bezeichnungen die richtigen sind. Er klingt, als wenn ein Betrunkener eines Anderen Gesang brüllend und dehnend nachäfft; oder als wenn ein Zorniger gezwungen wird, seinen Zorn im Gesange allmälig zu beschwichtigen.
Doch mein Plätzchen in der „Gartenlaube“ ist wohl ausgefüllt. Es ist Zeit, zu Bett zu gehen; morgen lasse ich mich bis Velej Rubio, dem himmlischen Granada wieder um etwas näher, fuhrwerken. Mein Leben ist hier nun einmal bis auf die Minute ausgetheilt und eingetheilt.
Aus der Gewerbswelt.
Das Wort Gas, wodurch eine Luftart bezeichnet wird, ist uns von England überkommen, woselbst man unser deutsches Wort „Geist“ zu Gas umformte. Der deutsche Geist muß sich manches gefallen lassen. Die alte Chemie bediente sich des Wortes Geist für etwas Belebendes, Kräftigendes, Luftförmiges: so Salzgeist, Hirschhorngeist, Holzgeist; daher der Uebertrag von Geist in Gas. Unsere Landwirthe und Händler ziehen aber den Ausdruck Spiritus dem Ausdruck Branntweingeist vor, welcher letzterer allerdings nicht besonders angeschrieben steht, während ersterer eine bedeutende Grundlage großen landwirtschaftlichen Betriebs in manchen Gegenden Deutschlands bildet. Doch dies beiher! Unsere heutige Aufgabe ist Gas, und zwar Leuchtgas, Steinkohlengas, welches gewiß Keinem von unseren Lesern unbekannt sein dürfte; daher wir auf eine nähere Beschreibung desselben hier nicht weiter eingehen.
[339] Das Steinkohlengas bringt man gewöhnlich nur in Verbindung mit der Gasbeleuchtung. Und bis vor nicht langer Zeit ist es auch dessen vornehmster Beruf gewesen, an der Stelle von Kerzen und Lampen die Nacht in einen künstlichen Tag zu verwandeln. Neuerdings hat man sich aber noch andere Dienste vom Steinkohlengas verschafft. Man gebraucht dasselbe nämlich bei der Eisenfabrikation; zum Absengen der feinen Fäserchen von Geweben, um diese dadurch glätter zu machen; zum Erhitzen von Stempeln behufs der Einbrennung von Vertiefungen in Holzformen, in welche Reliefmuster gegossen werden; zum Erwärmen von Bügeleisen und Buchbinderfilaten. Der wichtigste Gebrauch nach jenem für Beleuchtungszwecke ist aber unstreitig zur Heizung von Kesseln und Oefen und zum Kochen und Braten von Speisen. Die Techniker behaupten: „daß die Handlichkeit der Gasanwendung in den meisten Fällen – nämlich an Orten, wo die Materialien zur
Gaserzeugung nicht zu theuer kosten – eine raschere, zweckmäßigere und gleichmäßigere Erhitzung der Pfannen, Kessel u. s. w. gestattet, als dies mit Koks oder Kohle bewirkt werden kann. In England hängt man selbst größere Kessel in einem mit Gas erhitzten Raume auf. Das Gas strömt aus Brennern heraus und wird durch Hähne, je nachdem man mehr oder minder Hitze bedarf, regulirt. Man sieht auf den ersten Blick, daß dadurch manche Ungelegenheit, die bei festem Brennstoff vorkommt, beseitigt wird. Wie reinlich ist dabei Alles zu handhaben! Wie leicht kann das Anbrennen und Ueberhitzen vermieden werden! Wie schnell kann man die Hitze auf ein Geringstes mäßigen, und sie eben so rasch wieder bis zu einem hohen Grad anwachsen lassen! Alle diese Vortheile sind Ursache gewesen, daß das Steinkohlengas für Fabrik- und häusliche Zwecke in England von Tage zu Tage mehr in Aufnahme kommt. Man macht Anwendung davon bei [340] vielen Pfannen und Kesselfeuerungen, in Badeanstalten und Waschhäusern. Im Themsetunnel – erzählt ein Reisender – findet eine allerliebste Benutzung der Gasflammen statt. In einer der Arkaden jenes Tunnels werden nämlich die Besucher des merkwürdigen Bauwerks mit Musikstücken aus einer Orgel unterhalten, welche von einer kleinen Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird, deren Kessel man durch 9 Gasflammen heizt. Aber nun erst die Anwendung der Gasküchen, von der wir eine getreue Abbildung geben. In sehr vielen guten Gasthäusern Londons bedient man sich ihrer bereits. Eine der schönsten gasbeheizten Küchen befand sich in der Speisehalle des Kristallpalastes und erregte die Aufmerksamkeit vieler sachverständiger Besucher. Unser Bild veranschaulicht recht deutlich die Entrichtung des Gaskochofens von Sharp. Unsere wirthlichen Leserinnen werden bei dessen aufmerksamer Betrachtung bezüglich seiner Wirkungsart gewiß leicht in’s Klare kommen. Unten brennen die Gasflammen, die von den Röhren links gespeist und mit den Hähnen regulirt werden. In dem Innern des Eisencylinders, der Trommel, braten Hammelkeulen, Schweinsrippen und Kalbsstoß. Obendrüber werden Pasteten gebacken. Zu oberst auf einer Art Herd befinden sich die Kasserolen und Töpfe zum Kochen und Schmoren, für Gemüse und Fisch. In der Mitte hoch steht ein Behälter mit heißem Wasser. Die an der Seite stehenden Gefäße werden von siedendem Wasser heiß gemacht. Dieses wird von den Gasflammen in einem Raume zwischen dem inneren und äußeren Eisencylinder, in dem die Gasflammen brennen, fortwährend kochend erhalten. Kleine Töpfe sind auf die größeren gesetzt, und ihr Inhalt hält sich warm. – Dieser von uns vorgeführte Gasofen ist für große Wirthschaften berechnet; aber es lassen sich leicht kleinere für beschränktere Haushaltungen construiren. –
In Berlin hat ein Ingenieur Elsner sehr gelungene Versuche mit der Gasfeuerung gemacht. Derselbe hat sich eine Kochmaschine, eine durch Gas gespeiste Lampe, eine Vorrichtung auf der man Plätteisen heiß macht, und eine Bratmaschine für Gasbeheizung eingerichtet. Nach Elsner’s Versuchen wird ein Beefsteak in 21/2 bis 3 Minuten durch 1 Kubikfuß, Kaffee für 6–8 Personen in 4 Minuten durch 2 Kubikfuß, und eine 12pfündige Kalbskeule in 20–25 Minuten durch 12 Kubikfuß Gas hergestellt. Wir haben daher nur dafür zu sorgen, daß es uns nicht an Gas fehlt; aber daran fehlt es eben noch an vielen Orten in Deutschland!
Blätter und Blüthen.
Der alte und der junge Napoleon. Das rasche Aufsteigen des napoleon’schen Glückssterns hat verschiedenerlei Schriften hervorgerufen, welche das frühere Leben des gegenwärtigen Kaisers der Franzosen bis in seine zarteste Kindheit zurück zum Gegenstande haben. Der Verfasser der Briefe aus London erzählt so unter Anderm als Augenzeuge die Scene, wie der große Kaiser nach der ersten Abdankung zu seiner geliebten Stieftochter Hortense, der Mutter Ludwig Napoleon’s kam, um ihr und seinem kleinen Neffen Lebewohl zu sagen. Man konnte den Knaben kaum von dem geliebten Oheim trennen. Er klammerte sich an ihn an, weinte bitterlich und schrie in einem fort: er wolle gehen und mit Kanonen gegen die Feinde des Oheims ziehen. „Der Kaiser,“ heißt es in unserer Quelle weiter, „schien traurig und nachdenklich, obgleich seine Stimme, wie gewöhnlich, rasch und scharf accentuirt war. Ich hörte mit der größten Aufmerksamkeit auf Alles, was er mir sagte; da sah ich mich zufällig um und gewahrte, daß die Thüre, durch welche der Kaiser gekommen, offen gebliehen war. Ich machte einen Schritt, um sie zu schließen, als ich plötzlich ein Kind ins Zimmer schlüpfen und dem Kaiser sich nähern sah. Es war ein reizender Knabe von 7 bis 8 Jahren, mit blonden Haaren und blauen ausdrucksvollen Augen. Sein Gesicht trug den Ausdruck des Schmerzgefühls, sein ganzes Benehmen verrieth eine heftige Gemüthsbewegung, die er zu verbergen suchte. Als sich das Kind dem Kaiser genähert hatte, kniete es vor ihn hin, legte sein Haupt auf seine Kniee und weinte bitterlich. Was ist Dir, Ludwig? sagte der Kaiser mit einer Stimme, welche deutlich anzeigte, daß diese Unterbrechung ihm ungelegen kam – was kommst Du hierher und was weinst Du? Sire, antwortete der Kleine, meine Gouvernante sagte mir so eben, daß Sie in den Krieg ziehen und abreisen werden. Oh, gehen Sie nicht fort, gehen Sie nicht fort! Aber weshalb willst Du, daß ich nicht fortgehe, entgegnete der Kaiser mit sanfterer Stimme, warum willst Du nicht, daß ich fortgehe, mein Kind? Mit diesen Worten nahm der Kaiser den Kopf seines Lieblings in die Hand und streichelte seine Haare. Es ist nicht das erste Mal, sprach er weiter, daß ich in den Krieg ziehe – warum betrübst Du Dich? fürchte Nichts, ich werde bald wieder zurückkommen. Oh, sagte der Knabe immer weinend, ach mein lieber Onkel, ich weine, weil diese bösen Alliirten Sie tödten wollen; ach lassen Sie mich mitziehen, mein Onkel! Der Kaiser antwortete nicht; die Liebe des Kindes bewegte ihn im Innersten. Er nahm den Knaben zwischen seine Kniee, schloß ihn in seine Arme und drückte ihn heftig an sich. – Bewegt von dieser rührenden Scene verfiel ich in Gedanken, ich weiß selbst nicht mehr, in welche – nur so viel weiß ich, daß ich die Thorheit beging und von dem König von Rom sprach, der damals schon ein Gefangener Oesterreichs war. Ach! rief der Kaiser aus, wann werde ich ihn wiedersehen? Der Kaiser war tiefbewegt, denn er schien zu ahnen, daß eine grausame [341] und herzlose Politik, gegen welche er zeitlebens kämpfte, um an ihre Stelle die Gewalt des Genie’s als Herrscherin der Welt einzusetzen, ihn besiegen und sein Kind auf immer vom Vaterherzen reißen werde. Aber bald gewann seine Stimme wieder eine Festigkeit! er rief laut: Hortense, Hortense! und sagte zu der Herbeieilenden: führen Sie meinen Neffen hinweg, und weisen Sie seine Gouvernante zurecht, daß sie nicht durch unbesonnene Rede die Empfindsamkeit dieses Knaben erregt. Er liebkosete noch einmal den Prinzen, suchte ihn durch sanfte Worte wieder zu beruhigen, und gab ihn dann seiner Mutter zurück. Als er sah, wie sehr ich ergriffen war, sagte er zu mir: umarmen Sie ihn – er hat ein gutes Herz und eine schöne Seele. Während ich den Knaben mit Küssen und Thränen bedeckte, fügte der Kaiser die denkwürdigen Worte hinzu: Ja, mein Lieber – er wird vielleicht die Hoffnung meines Geschlechts sein!“
In wie weit der hier geschilderten Scene Glauben beizumessen ist, bleibe dahingestellt; einiger bescheidener Zweifel kann man sich aber, ohne auch gerade ein neuer Thomas zu sein, doch nicht ganz erwehren.
Der Wind und die Blüthen. Nicht minder wichtig, als die Thätigkeit der Luft ist die Bewegung derselben, ist der Luftstrom, ist der Wind. Er versieht Dienste in der Natur, die das Auge nicht sehen, sondern der Geist der Forschung nur erst ahnen kann. Der Wind führt Wärme und Feuchtigkeit von Ort zu Ort. Der Wind gleicht Gegensätze auf dem Erdenrund aus. Der Wind zerstreut unsern Odem, den wir aushauchen, damit nicht die Luft verzehrt werde und führt frische Luftströme einher, daß man nicht wieder einathmen dürfe, was man ausgeathmet. Der Wind trägt die Luft, die wir ausgeathmet und die auf Thiere und Menschen giftig wirken würde, den Pflanzen zu, die grade von dieser Luftart gedeihen. Der Wind nimmt die Luft auf, die die Pflanzen aushauchen und mischt ihre Bestandtheile, damit Mensch und Thier frischen Athem habe. Ohne Wind würde Thier und Mensch in ihrer eigenen Atmosphäre ersticken, ohne Wind würde die Pflanze sterben, ohne Wind würde das Festland verdorren, ohne Wind würden die Ströme und Flüsse und Quellen versiegen, ohne Wind das Meer verderben und faulen und starrer Tod auf dem Erdrund herrschen.
Und in seiner großen segnenden Thätigkeit auf dem großen Erdrund vergißt der Wind auch nicht der kleinen Blüthen, die auf seine Hülfe harren, denn er ist’s, der den Stamm der Bäume und den Halm der Gräser aufrüttelt aus dem still lebendigen Pflanzentraum, und wenn der Wind in stiller Mainacht einherzieht, erzittern die Blüthen der Bäume und lassen die Hülle der reifgewordenen Staubbehälter aufspringen und der befruchtende Staub der Blüthe wird einhergestreut, um zu dem Stempel schnell zu gelangen, wenn er nahe ist, oder mit dem Winde auf und davon zu ziehen, wenn keine weibliche Blüthe auf dem Baume vorhanden ist, der Fruchtstäubchen aufnimmt.
Und der Wind, er verrichtet treulich auch diesen kleinen Dienst. In seiner Wanderung durch das Erdrund nimmt er von den Pflanzen, die nur männliche Blüthen tragen, die Fruchtstäubchen in seinen Schooß auf und trägt sie weit und breit und streuet sie umher nach allen Gegenden. Und da die Stäubchen gar so leicht und der Wind gar so mächtig ist, so trägt er die vielen, vielen, vielen Millionen solcher Stäubchen auf seinen gewaltigen Flügeln einher und streut sie überall auf die Flächen der Erde hin, und so gelangen Stäubchen auch zu den Pflanzen, die einsam nur die jungfräulichen Blüthen tragen, die da harren des Freiers, der von Fernen herbeikommen soll, um einen Muttersegen über sie auszuschütten. –
Und dieser Muttersegen fehlt nicht. Es ist wahr und wahrhaftig. Der Wind übernimmt diesen getreuen Dienst der Hochzeits-Equipagen und fährt mit dem Bräutigam und wäre es auch meilenweit, zur harrenden Braut. – Sag’ an, magst Du dem Winde noch gram sein, der Dich frösteln macht in dunkler Nacht, wenn Du bedenkst, daß er nicht umsonst so eilig thut und viele große Dienste zu leisten hat auf dieser Erde, und im unendlichen großen Dienste auch noch im unermüdlichen Liebesdienst begriffen ist, um von Blüthe zu Blüthe die große Rundfahrt zu machen und Heiraths-Partien zu Stande zu bringen, die ohne ihn fast gar nicht stattfinden könnten.
So ist denn der Wind ein herrlicher Heiraths-Commissionär, der Partien zu Stande bringt, ohne einen Kuppelpelz zu verdienen und ohne erst sein Geschäft durch falsche Heirathsanträge in den Zeitungen in guten Schwung zu bringen.
Straußenjagd in Afrika. Unter den zahlreichen Beduinenstämmen, die in der großen Wüste herumschwärmen und eine stets wandernde Bevölkerung von nahehin vier Millionen Seelen bilden, gibt es einige, weniger dem Raube ergebene oder auch weniger mächtig als die andere, welche sich vorzugsweise mit der Straußenjagd abgeben. Die Art, wie der Beduine verfährt, um sich seiner kostbaren Beute zu bemächtigen, ist nicht ohne Interesse. Die günstigste Zeit zur Jagd ist die des Eierlegens. Wenn nämlich das Weibchen seine Eier in den Sand gelegt hat, so stellt es sich in gewisser Entfernung davon auf und bleibt unbeweglich, die Augen starr auf das Nest gerichtet, bis das Männchen, welches Beutemachen gegangen ist, zur Ablösung kommt. Dann stellt sich das Männchen als Wache auf und das Weibchen durchstreift seinerseits die Wüste, um Nahrung zu suchen. Sobald nun ein Beduine ein Straußennest ausfindig gemacht hat, ist seine erste Sorge, in der Nähe der wachestehenden Alten ein Versteck zu suchen oder häufiger noch von zusammengelesenen Steinen zu errichten, hinter welches er sich auf die Lauer legt und mit gespanntem Hahne geduldig wartet, bis das Weibchen die Wache hat und das Männchen weit fort ist. Wenn seiner Meinung nach der Knall der Flinte das Ohr des Männchens nicht mehr erreichen kann, so schießt er, und aus seinem Verstecke trifft er immer, das Weibchen nieder. Der Schütze richtet dann den todten Vogel wieder auf und stutzt ihn so zu, wie er vorher noch am Leben war. [342] Das Blut auf dem Boden wird entfernt, das todte Weibchen steht wieder da als wäre nichts geschehen und der Beduine liegt wieder lauernd in seinem Versteck. Nach Verlauf von ein oder zwei Stunden kommt das Männchen zurück, nichts ahnend von dem Vorgefallenen. Der Jäger drückt seinen zweiten sichern Schuß ab, und hat nun das Straußenpaar erlegt, und die Eier obendrein zur Beute. Bisweilen kommt es jedoch vor, daß das Männchen entweder durch das Knallen des das Weibchen tödtenden Schusses oder aus irgend einem andern Grunde alsbald in Bestürzung geräth und seinen Feinden rasch zu entfliehen sucht. Dann jagt der Strauß auf seinen hohen Beinen im Galopp davon, während er heftig mit den Flügeln schlägt und mit seinen Füßen nach hintenzu schwere Steine schleudert, von denen mehr als einer seinen Verfolger trifft und verwundet. Die außerordentliche Geschwindigkeit des Thieres ermüdet gewöhnlich den Jäger, allein wenn dieser aushält, so kommt es zuletzt zu einem erbitterten und wilden Kämpfe. Der Strauß ist in seiner Wuth wahrhaft fürchterlich; er entfaltet seine Flügel in ihrer ganzen Weite und bewegt sie mit grimmiger Hast; seine Füße wühlen in einem fort im Sande, und voller Geräusch wirft er ganze Wolken von Staub, Sand und Steinen um sich her auf, wodurch er seinen Verfolger irre zu führen und zu blenden sucht. Der Ausgang des Kampfes ist dem Strauße fast immer verderblich, nicht selten trifft sich’s aber, daß der Jäger seinen Sieg mit dem Verluste eines Auges bezahlt.
Zwei berühmte Hunde. Es ist bekannt, daß die amerikanischen Plantagenbesitzer noch heutigen Tages eine eigene Race Hunde ziehen und pflegen, welche zur Verfolgung der flüchtigen Negersklaven abgerichtet sind, und der scheußliche Grimm dieser Thiere gegen die dunkle Menschenhaut wird noch häufig genug benutzt. Diese Hunde stammen von jenen ersten Bluthunden ab, deren sich die Spanier, als sie das entdeckte Amerika eroberten, in ihren Kämpfen gegen die Eingebornen in so fürchterlicher Weise bedienten. Wie die Araber über ihre Pferde, so führten die Spanier über jene Hunde förmliche genealogische Stammbäume, und es gab unter ihnen Berühmtheiten, die jetzt noch nicht vergessen sind. Bezerillo (zu deutsch: das kleine Kalb) gehört zu den berühmtesten seines Geschlechts. Er war von fahler Farbe, und sein Name bezeichnete ihn nur insofern richtig, als er von der Größe eines Kalbes, war, während er eine riesige Stärke besaß. Sein Herr, Don Diego von Salazar, einer der ersten Eroberer von San Juan, das später in Puerto Rico umgetauft wurde, brachte ihn auf diese Insel mit, wo er zum Gewinn der dem Caziken Mabodomara gelieferten Schlacht nicht wenig beitrug. Doch war er immer noch nicht so wild wie sein Herr, denn eines Tages verschonte er eine sich bittend vor ihm niederwerfende Indianerin, auf die ihn sein Herr gehetzt hatte. Leoncillo (der kleine Löwe) war der würdige Sohn seines Vaters Bezerillo. Er ging mit Balboa, seinem Herrn, nach dem amerikanischen Continente. Balboa, der zu den weniger Grausamen der Spanier gehörte, hatte den kleinen Löwen so trefflich abgerichtet, daß er ihn auf seinen Ruf mitten im blutigsten Kampfe zum Stehen brachte. Während der berühmten Unternehmungen dieses Feldherrn auf dem Isthmus von Darien, welche endlich zur Entdeckung des stillen Meeres führten, leistete Leoncillo in den zahlreichen Gefechten wichtige Dienste und wurde der Schrecken aller Indianer. Er empfing regelmäßigen Sold wie ein Soldat und stets seinen Antheil an der gemachten Beute, bis er in einem Gefecht, von mehreren indianischen Pfeilen durchbohrt, den Tod fand. Die Indianer schlugen den Fall dieses, ihrer Race so verderblichen Feindes höher an, als wenn sie ein Dutzend Spanier erlegt hätten.
Die wahren Entdecker Amerika’s. Herr v. Humboldt hat vor einiger Zeit eine kleine Abhandlung veröffentlicht, in welcher er den geschichtlichen Beweis führt, daß das amerikanische Festland zuerst von dem Normannenfürst Leif, Sohn des Königs Erik der Rothe, entdeckt wurde, und daß die Normannen die Ostküste Amerika’s wahrscheinlich bis Florida hinab gekannt haben. Fünf Jahrhunderte später wurde das amerikanische Festland zuerst wieder von den beiden Cabots, Florentiner von Geburt, am 24. Juni 1497 unter englischer Flagge entdeckt. Columbus selbst betrat erst auf seiner dritten Reise (1. Aug. 1498) das Festland des neuen Welttheils. Daß dieser nach Amerigo Vespuccio genannt wurde, hat nicht seinen Grund in der gewöhnlichen Annahme, als habe der Genannte aus Eitelkeit und unlautern Motiven sich die Entdeckung zugeschrieben, sondern darin, daß seine veröffentlichten Beschreibungen von dem neuen Welttheil dessen Kenntniß am meisten in Europa verbreiteten, so daß zuletzt, ohne alles Zuthun von Seiten Amerigo Vespuccio’s der Name Amerika aufkam.
- Nr. 30, Seite 329, Spalte 1, Zeile 4 v. u. schalte nach dem Worte Lustschlosse ein: Meudon.
- Nr. 30, Seite 330, Spalte 1, Zeile 1 v. o. lies Siegermiene
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