Die Gartenlaube (1860)/Heft 24

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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1860
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[369]

No. 24. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Letzte seines Stammes.
Aus den Papieren eines *schen Beamten.
Herausgegeben von J. F–e.
(Fortsetzung.)


Trotz der Entschiedenheit der Dame sah ich mich dennoch genöthigt, sie weiter zu inquiriren.

„Führen Sie einen Paß bei sich?“ fragte ich sie.

„Thun die Gerichte hier Polizeidienste?“ fragte sie mich.

„Wenn Sie wünschen, kann der nächste Polizeibeamte Ihren Paß in Empfang nehmen,“ erwiderte ich.

„Nein, mein Herr, ich führe keinen Paß.“

„Auch keine sonstigen Legitimationspapiere?“

„Auch keine anderen Legitimationspapiere; nicht einmal einen Brief, nicht einmal eine Adresse, aus der Sie etwas über mich erfahren könnten.“

„Absichtlich, Madame oder mein Fräulein?“

„Nehmen Sie an, es sei absichtlich. Zwischen Madame und Fräulein haben Sie die Wahl.“

Sie sprach die letzten Worte mit einem gewissen Hohn, welcher mir in ihrer Lage wenig angebracht schien. Die ordinaire Frau der Wirthsleute fiel mir wieder ein. Sie mochte in der vornehmen Welt gelebt haben, jedoch gehörte sie derselben nicht an. Aber ich wollte mir kein voreiliges Urtheil über sie bilden, nur eins konnte ich nicht über mich gewinnen: sie für eine verheirathete Frau zu halten. Die Heiligkeit der Ehe und sie – die Verbindung widerstrebte mir; freilich, es gibt ja auch unheilige Ehen. Ich trat den entscheidenden Fragen an sie näher.

„Mein Fräulein, würden Sie mir eine Durchsuchung Ihrer Sachen gestatten?“

Sie veränderte sich auch bei dieser plötzlichen Frage nicht.

„Wenn Sie ein Recht dazu haben!“ warf sie hin.

„Es käme auch darauf an. – Fräulein, der eine Ihrer Reisebegleiter hieß Franz Bauer.“

„So?“

„Er ist ermordet!“

Ich sah sie scharf genug bei diesen Worten an. Kein Zug ihres Gesichts veränderte sich, aber sie stand von ihrem Sitze auf.

„Das Schicksal des Mannes dauert mich,“ sagte sie mit unverkennbarer Theilnahme in Stimme, wie in Blick. „Ich bin nur wenige Stunden mit ihm gereist; aber ein solches Verbrechen entsetzt uns, wenn es auch Jemanden betroffen hat, den man blos flüchtig kannte.“

Dann auf einmal veränderte sich ihr ganzes Wesen; sie trat näher vor mich, sah mich durchdringend, stolz, vorwurfsvoll an und sprach langsam, nachdrucksvoll: „Aber nun, mein Herr, eine Frage meinerseits an Sie, nur eine. Sie halten mich dieses Verbrechens verdächtig; darum inquiriren Sie seit einer Stunde gegen mich. Was berechtigt Sie hierzu?“

Sie behielt den Blick auf mich gerichtet, als sie die Frage ausgesprochen hatte. Ihre Augen blitzten, ihre Wangen waren geröthet, und so erwartete sie meine Antwort. Sie sah fast edel aus in diesem Augenblick, ihre Schönheit war eine erhabene. War das Kunst? Ich war ihr Offenheit schuldig und stand ohnehin nach dem Gange des Verhöres unmittelbar an dem entscheidenden Augenblick.

„Ja, mein Fräulein,“ antwortete ich ihr, „ein Verdacht gegen Sie hat meine Fragen geleitet, die Sie auch richtig mit Inquiriren bezeichnen; ob nun der Verdacht ein berechtigter ist, darüber mögen Sie selbst entscheiden. Franz Bauer ist in der Zeit vom Sonnabend Abend bis zum Sonntag Morgen erschossen und beraubt, und Sie sind am Sonnabend Nachmittag in seiner Gesellschaft gesehen worden; auch sind Sie geständig, noch am Sonnabend Abend in seiner Gesellschaft gewesen zu sein, und waren bei ihm in der Nähe des Ortes des Verbrechens; Sie waren bei ihm in Gesellschaft noch eines Dritten, seitdem jedoch waren Sie spurlos verschwunden und hatten sich in diese öde, verlassene Gebirgsgegend zurückgezogen. Hier endlich aufgefunden, wollen Sie keine Auskunft über sich geben, weder über Ihre Heimath und Verhältnisse, noch über den Zweck Ihres verborgenen Hierseins. Das Alles erweckt Verdacht, allerdings nur entfernten; Sie können völlig unschuldige Ursachen zu Ihrem Benehmen haben, aber nun vernehmen Sie ferner: Sie haben während Ihres Hierseins den geheimen Besuch eines fremden Mannes empfangen, welcher jenem Dritten glich, mit dem Sie zuletzt in der Gesellschaft des Ermordeten waren, und diesen Besuch haben Sie mir abgeleugnet. Entscheiden Sie.“

Ich war es jetzt wieder, der sie durchdringend ansah, und – sie schlug ihre Augen nieder; sie schlug sie nieder, als ich des Besuchs erwähnte, und es kam mir zugleich vor, als wenn etwas in ihr aufzucke, aber so unmerklich, daß ich meiner Sache nicht gewiß werden konnte. In demselben Momente hatte sie ihren Blick schon wieder erhoben; sie sah mich klar an, nur nachsinnend, als wenn sie mit sich berathe, ob sie etwas, das sie auf der Zunge, vielleicht auch tief im Herzen hatte, aussprechen solle oder nicht. Sie sprach es aus, sie sprach es mit Thränen aus, die heftig aus ihren Augen hervorstürzten.

[370] „Mein Herr,“ rief sie schmerzlich, „ich bin eine Unglückliche, eine tief Unglückliche, und nun muß auch noch dieser entsetzliche Verdacht auf mich fallen. Er muß auf mich fallen, Sie haben Recht, thun Sie Alles mit mir, was Ihre Pflicht von Ihnen fordert, nur eins verlangen Sie nicht von mir: meine Geheimnisse, die ich Ihnen vorhin nicht entdecken konnte, müssen auch ferner bei mir bleiben; sie sind nicht mein Eigenthum, sie sind mir heilig, unverletzlich. Aber daß sie nicht schuldhaft sind, daß ich keine Schuldige bin, o, mein Herr! – nein, nein, glauben Sie es nicht, Sie dürfen es nicht glauben, um Ihres Amtes willen nicht, um meinetwillen nicht; ja, auch um meinetwillen nicht. Meine Unschuld, die Grundlosigkeit Ihres Verdachtes muß völlig an den Tag kommen. Hier, mein Herr, untersuchen Sie meine Sachen, es ist nur Weniges; durchsuchen Sie Alles hier! Ich bitte jetzt selbst darum, ich verlange es.“

Sie sprach in der Leidenschaft eines großen, starken, heftigen Schmerzes und sie sah wieder edel aus; aber ich hatte jenes plötzliche Aufzucken gesehen, ich hatte es wirklich gesehen. Erst jetzt wurde es mir auf einmal klar, es trat wieder vor mich und so sonderbar. Es war plötzlich ein Gedanke in ihr aufgeschossen, wie mit Feindseligkeit; dann hatte sie nachgesonnen und den Gedanken fallen lassen, der Schmerzensausbruch war an seine Stelle getreten, und dieser konnte jenes Andere natürlich zurückgedrängt haben. Es konnte aber auch Kunst sein, daß sie auf einmal auf der Durchsuchung ihrer Sachen bestand – wie oft schon hatte ich ein solch gemachtes Pochen auf Unschuld und Herausfordern des Richters erfahren, nur nicht so geschickt, so natürlich! Sie wollen dadurch sicher machen, der Richter soll mit weniger Sorgfalt verfahren, vielleicht ganz vertrauen und Abstand nehmen.

„Ich bin in meinem Rechte, mein Fräulein,“ sagte ich, „also in meiner Pflicht. Ich bitte, mich zu controliren.“

„Ich verzichte darauf,“ erwiderte sie stolz.

Sie hatte nur wenige Sachen bei sich, welche sie in einem leichten Reisenachtsack mitgebracht hatte. Diesen stellte sie jetzt geöffnet vor mich auf den Tisch. Außerdem war nur ein Schrank in der Stube, welchen sie aufschloß und hierauf auch die an dem Tische befindliche Ziehlade herauszog. Der Schrank war leer und in der Tischlade lagen nur Toilettengegenstände, auch den Reisesack durchsuchte ich, welcher jedoch nur Wäsche und Kleidungsstücke enthielt. Sie erröthete, als ich einen Blick in den leeren Schrank geworfen und mich nun zu dem Wenigen, fast Aermlichen in dem Reisesack wandte.

„Meine eigenthümliche Lage,“ sagte sie, „hat mich gezwungen, nur das Allernothwendigste bei mir zu führen.“

Es war so echt weiblich, und in diesem Augenblicke! Hatte ich mich in ihr geirrt? oder war sie auch nur sicher, daß ich nichts finden werde? Ich sah dennoch Alles genau nach, während sie in der Stube umherging und dabei nicht nach mir hinsah; aber sie ging langsam, leise, wie man unwillkürlich thut, wenn man genau auf einen Andern achtet, zumal wenn man sich zugleich das Ansehen der Unachtsamkeit geben will. Und als ich einmal unerwartet nach ihr hinsah, begegnete ich einem halben Seitenblicke, der sich schnell von mir abwendete, und – sie war nicht mehr schön. Diese Entstellung war Angst, und die Angst war Schuld, Mitschuld.

Ich setzte sorgfältiger meine Nachsuchung fort und nahm die Sachen aus dem Reisesack Stück für Stück hervor, legte sie auseinander, besah, befühlte sie genau und fand nichts Verdächtiges, nichts, was dem Ermordeten hätte angehören können. Alles war weibliche Kleidung, weibliche Wäsche, ärmlich und nicht sehr ordentlich; die Aermlichkeit hatte sie entschuldigt. Sämmtliche Wäsche war mit den Buchstaben A. H. gezeichnet, die auch zu dem Namen, den sie mir angegeben hatte, stimmten. Geld fand ich gar nicht vor, außer diesem jedoch hatte ich an Pretiosen des Ermordeten, an die Uhr und an die beiden Ringe gedacht, auch davon fand ich nichts.

Mit dem Durchsuchen des Reisesackes war ich jetzt fertig, der Schrank stand noch offen, in dem man aber nichts sah; nur unten in einer Ecke hätte sich vielleicht ein nicht umfangreicher Gegenstand verbergen können.

Ehe ich danach sah, wollte ich noch einmal in der Tischlade suchen, da ich vorher nur flüchtig hingeblickt hatte. Die Fremde ging noch immer langsam und leise in der Stube umher und war noch nicht wieder schön. Sollte ich noch etwas finden? Einzeln nahm ich die Kämme, die Bürsten, die Seife, die Haarnadeln in die Hand, faltete die zu Papilloten zusammengedrehten Papierstückchen auseinander und fand nichts.

„Sie führen Reisegeld bei sich, Fräulein?“ fragte ich sie.

„Gewiß, mein Herr.“ Sie zog aus der Tasche ihres Kleides eine Börse und ein Portemonnaie hervor und übergab mir Beides. Sie sah mich leise, versteckt triumphirend an.

In der Börse waren etwa vierzig Stück Louisd’or. Das Portemonnaie enthielt Geld für kleine Ausgaben. Ich gab ihr beide Sachen zurück. Warum hatte sie nach jener Angst triumphirt? Ich mußte noch etwas finden. Ich stand noch vor der Tischlade. Zwischen losen Haarnadeln lag ein Päckchen zusammengebundener. Ein feiner Draht war herumgewunden. Es war dem Anscheine nach noch unberührt, wie es aus dem Laden gekommen war. Ein sinnreicher, glücklicher Versteck, mußte ich bei mir denken. Ich nahm das Päckchen wie spielend in die Hand. Sie stand noch neben mir und hatte soeben Börse und Portemonnaie von mir zurückempfangen. Sie sah mein Spielen. Leise wollte sie ihre Promenade durch das Zimmer fortsetzen, sie blieb. Nach mir wollte sie nicht hinsehen, aber ihre Augen hafteten auf meinen Fingern. Ich bog den Draht zurück, mit dem das Päckchen umwunden war. Wie unbewußt abwehrend hob sie ihre Hand auf. Die Haarnadeln fielen auseinander.

„Ach, mein Herr –“ sagte sie lächelnd. Sie lächelte in der That, wie wenn ihr plötzlich etwas einfalle, und doch schmerzlich.

„Ein Ring?“ schnitt ich ihre weiteren Worte ab.

„Ein Ring, mein Herr! Ein Andenken meiner verstorbenen Mutter.“

„In diesem Versteck?“

„War er sicher vor einem Diebstahle!“

Die Worte waren nicht ganz ruhig gesprochen. Sie waren hingeworfen, kurz, heftig und doch unsicher.

Ein einfacher, schmaler Goldreif, in den aber ein schöner, sehr kostbarer Diamant eingefaßt war, war aus den aufgelösten Haarnadeln hervorgerollt. Ich mußte mich zusammennehmen. Jene Einschnitte, die von getragenen Ringen an den Fingern des Ermordeten zurückgeblieben waren, standen lebendig genug vor meinen Augen. Zu dem schmaleren paßte dieser Goldreif. Aber ich konnte mich irren. Die Untersuchungsacten, die ich mitgebracht hatte und welche mein Protokollführer trug, waren bisher noch nicht geöffnet; sie enthielten eine genaue Abbildung, Beschreibung und Vermessung der Einschnitte. Ich nahm sie dem Protokollführer ab und schlug das Blatt auf, das die Zeichnung, die Beschreibung und die Vermessung enthielt. Sie ging nicht mehr in der Stube umher und suchte nicht mehr zu verbergen, daß ihr Blick an mir hing. An Verstellung dachte sie nicht mehr. In diesem Augenblicke konnte sie nicht daran denken. Bisher hatte sie sich mit ungeheurer Gewalt, mit großer Gewandtheit, auch mit Glück verstellt. Aber die Wahrheit besiegt zuletzt Gewalt, Gewandtheit, Glück.

Ich verglich die Breite des Ringes mit der in den Acten angegebenen Breite des schmaleren Ringes. Sie paßte auf das Genaueste. Ich legte den Ring auf die Abbildung in den Acten, und er deckte sie vollständig. Ich durfte keinen Zweifel mehr haben, wenigstens nicht für dasjenige, was ich zunächst zu thun hatte.

„Antonie Hein ist Ihr Name?“ fragte ich die Fremde.

„So heiße ich.“

„Antonie Hein, Sie sind meine Gefangene.“

Sie schrak nicht zusammen. Meine Vergleichungen in den Acten hatte sie mit jener Angst der Spannung verfolgt, über die sie nicht mehr Meister werden konnte. Meine erste Bewegung hatte ihr dann das Resultat verrathen. Wenn sie schuldig war, hatte sie es ohnehin vorhergesehen. Wie sie gewiß war, wie sie keinen Zweifel mehr hatte, trat der Trieb der Selbsterhaltung wieder in sein volles Recht bei ihr ein. Mit ihm die große Gewalt, die sie über sich besaß.

„Ich darf mir die Frage ersparen, warum?“ sagte sie. Der Ton ihrer Stimme war doch fragend und noch ungewiß.

Ich antwortete ihr nicht sogleich.

„Es ist wegen jenes Mordes,“ fuhr sie fort, nicht mehr fragend und mit völliger Sicherheit der Stimme. „Aber meine Unschuld wird an den Tag kommen. Sie glauben es jetzt nicht, mein Herr. Sie können es mir nicht glauben. Der Tag wird kommen, an dem Sie überzeugt sein werden.“

Unterdeß hatte ich mich besonnen, ob ich sofort weiter gegen [371] sie inquiriren solle, und machte es von wenigen Fragen vorläufig abhängig.

„Haben Sie während Ihres Hierseins Besuch empfangen?“

„Ja, mein Herr.

„Oft?“

„Nur einmal.“

„Wann?“

„Am vorigen Montag.“

„Bei Tag oder bei Nacht?“

„Es war in der Nacht, gegen Morgen.“

„Wer war der Besuch?“

„Ich werde Ihnen den Namen nicht nennen.“

Sie sprach wieder mit jener vollen Bestimmtheit und Entschiedenheit, mit der sie jede Auskunft über ihre Verhältnisse abgelehnt hatte.

„War es eine Manns- oder eine Frauensperson?“

„Es war ein Mann.“

Ich hatte noch eine Frage.

„Woher haben Sie diesen Ring?“

„Von meiner seligen Mutter. Ich sagte es Ihnen schon.“

Ihre Entschiedenheit hatte sich mit jedem Worte, das sie sprach, befestigt. Sie hatte wirklich eine große Willenskraft. Diese war heute nicht mehr zu brechen. Ein in ihrer augenblicklichen Lage natürlicher Trotz mußte sie vielmehr erhöhen. Gebrochen konnte sie nur werden durch die Zeit oder durch irgend ein auf sie einwirkendes Ereigniß. Ich brach das Verhör ab und nahm sie mit als Gefangene. Mit einer Ruhe, die mehr als Fassung war, ergab sie sich in ihre neue Lage. Daß ein Ereigniß mir zu Hülfe kommen werde, hoffte ich. Ich rechnete sogar auf ein bestimmtes.

Noch vor meiner Rückreise von dem Kruge hatte ich sämmtlichen Gensd’armen in der Nähe das Signalement des Mannes mitgetheilt, der mit der Antonie Hein in der Gesellschaft des Ermordeten gewesen war, die Hein bald nach ihrer Ankunft im Kruge besucht hatte und sie wahrscheinlich wieder besuchen werde, und ich hatte sie aufgefordert, scharf, aber vorsichtig auf den Menschen zu achten, insbesondere auf einen erneuerten Besuch im Kruge. Von der Gerichtsstadt aus erließ ich Aehnliches an die gesammte Gensd’armerie der Gegend. Auf die Ergreifung hoffte ich doch. In dieser Hoffnung schob ich die Wiederaufnahme des Verhörs mit der Hein mehrere Tage auf. Ich besuchte sie nicht einmal sogleich in ihrer Haft. Sie sollte, wenn sie mich wiedersah, auf eine besondere, wichtige Veranlassung schließen dürfen. Drei Tage waren indeß vergangen, ohne daß irgend etwas vorfiel. Ich mußte sie mindestens in ihrer Haft besuchen, wenn ich mir nicht, auch nur bei ihr, den Vorwurf einer Vernachlässigung ihrer Untersuchung zuziehen wollte.

Ich ging in ihr Gefängniß. Ich hatte sie allein setzen lassen, aber in eine Zelle, in der sie wenigstens eben so viel Bequemlichkeiten hatte, wie in ihrem Stübchen im Kruge des Gebirges. Auch Bücher und Schreibmaterialien hatte ich ihr zur Verfügung gestellt. Ich trat unvorbereitet bei ihr ein; sie hatte sich mit Comfort eingerichtet, mit Geschmack sogar, freilich auch, so wollte es mir wenigstens scheinen, mit einer gewissen Ostentation, als wenn sie die Dame der vornehmen Welt zeigen wolle. In dieser Einrichtung saß sie sorglos da und las in einem Buche; als sich die Thüre öffnete, sah sie gleichgültig auf, und als sie mich erkannte, wurde ihre Miene fast heiter, wie man gegen Bekannte in einer und über eine augenblickliche unangenehme Lage scherzt, für die man nicht kann, deren man aber ganz gewiß und nothwendig bald Herr werden muß.

„Sie haben mir etwas anzukündigen?“ fragte sie leicht.

„Ich habe nur eine Frage an Sie,“ erwiderte ich ihr ernst.

„Die wäre?“

„Haben Sie mir nichts zu sagen?“

„Nein, mein Herr, wahrhaftig nicht.“

Sie sprach es mit der ganzen Sorglosigkeit und Offenheit der Unschuld, und schon wollte ich mich wieder entfernen.

„Ein Wort, mein Herr!“

„Was wünschen Sie?“

„Sind Sie blos zu jener Frage hierher gekommen?“

„Ja.“

„Werden Sie noch oft so zu mir kommen?“

„Ich hoffe es nicht.“

„Sie würden es also, wenn Ihre Hoffnung Sie täuscht; ich könnte folglich noch lange, wer weiß, wie lange, ungehört und unverdammt, und doch verdammt, im Voraus verdammt, in dieser Lage verbleiben müssen! Mein Herr Criminalrichter, haben Sie auch bedacht, daß ich unschuldig sein kann, ja, daß ich für Sie, wie für Jedermann unschuldig bin, bis mir eine Schuld bewiesen ist?“

Sie war sehr ernst geworden und sprach fast strenge.

„Fräulein,“ entgegnete ich ihr, „Jeder ist der Schmied seines Glücks und seines Unglücks; Sie selbst haben einen Verdacht gegen sich erweckt, dadurch, daß Sie der Obrigkeit Thatsachen vorenthalten, über die in ähnlicher Lage Jeder, namentlich ein Unbekannter, Auskunft zu ertheilen nach den Gesetzen verpflichtet ist. Geben Sie Auskunft über Ihre Verhältnisse, nennen Sie den, der in dem Gebirgskruge Sie besuchte, und Ihre Unschuld, wenn Sie unschuldig sind, muß und wird in kurzer, in kürzester Zeit an den Tag kommen.“

„Nein, mein Herr,“ antwortete sie kalt.

Hiernach hielt sie mich nicht mehr auf, und ich verließ sie. Ich hatte Recht, aber auch ihr konnte ich dasselbe, nicht absprechen; trotzdem konnte ich sie der Haft nicht entlassen, solange der auf ihr haftende Verdacht nicht auf die eine oder die andere Weise beseitigt war, weshalb ich die gesetzlichen Mittel ergreifen mußte, den Verdacht zur Gewißheit zu bringen; wenn die Gewißheit nicht zu beschaffen war, so war er eben dadurch beseitigt.

Zunächst hatte ich ein Mittel: die öffentliche Bekanntmachung des Verbrechens, mit Beschreibung des Mannes, der zuletzt in der Gesellschaft des Ermordeten gesehen worden war, unter der Aufforderung, diesen anzuhalten, was ich bisher aufgeschoben hatte, weil es den Mann zur Flucht aus der Gegend drängen, jedenfalls seine Ergreifung in dem Kruge vereiteln konnte. Ich mußte und wollte jetzt dazu greifen. In zweiter Linie stand dann eine öffentliche Aufforderung um Auskunft über die Gefangene, die sich Antonie Hein nannte.

Das Ereigniß, auf das ich gerechnet hatte, machte das eine, wie das andere Mittel unnöthig, denn an demselben Abend lieferten zwei Gensd’armen einen Gefangenen an mich ab, dessen Figur genau zu dem Signalement des Mannes paßte, dessen Verhaftung ich schon vor vier Tagen ausgegeben hatte. Sie hatten ihn aber nicht in dem Gebirgskruge ergriffen, auch nicht in dessen Nähe, sondern drei, beinahe vier Meilen weiter, tiefer in dem Gebirge, in einem einsamen, mitten im Walde liegenden Köhlerhause hatten sie ihn aufgefunden, woselbst er sich seit fünf Tagen verborgen gehalten hatte; nur bei Nacht hatte er einen Ausgang gemacht, jede Nacht; wohin, hatte er den Köhlerleuten nicht gesagt. Gegen Morgen war er wieder zurückgekehrt, und auf solchem Rückwege hatten ihn einmal Leute gesehen. Er war vorsichtig, scheu in einem Pfade gegangen, der nach diesem Hause hinführte; eine andere menschliche Wohnung lag in dem Walde nicht. Die Gensd’armen hatten davon erzählen hören, worauf sie sich nach der Köhlerhütte aufgemacht und den Fremden gefunden hatten. Er hatte sich ohne jeden Widerstand verhaften lassen und nur nach der Ursache seiner Arretirung gefragt. Sie hatten ihm diese natürlich nicht mitgetheilt und sich nur seinen Namen nennen lassen. Er war ein Mann von achtundzwanzig bis neunundzwanzig Jahren und nannte sich Wilhelm Grote.

Der plötzliche Anblick der Gensd’armen hatte ihn offenbar erschreckt, und bei der Ankündigung seiner Verhaftung war er sehr niedergeschlagen geworden. Dies war er fortwährend geblieben und hatte sich dabei fast völlig schweigend verhalten. Das war der Rapport der Gensd’armen. Ein zweiter, wichtiger Abschnitt der Untersuchung war da. Sollte er mehr Licht, als der erste, in das tiefe Dunkel des Verbrechens bringen? Auch über jene Fremde, die sich Antonie Hein nannte?

Ich ließ den Gefangenen sofort vorführen, bevor er mit irgend Jemandem in den Gefängnissen hatte sprechen können. Ein großer, schöner, junger Mann trat in das Verhörzimmer. Er trug lockiges braunes Haar und einen krausen braunen Vollbart, welcher dem Gesichte etwas Imponirendes gab. Gleichwohl hatte es, wenn man schärfer hineinsah, einen gewissen Ausdruck der Weichheit, und dieser mochte zugleich von einem außerordentlich melancholischen Blicke der großen dunkelbraunen Augen herrühren. Er war schwarz gekleidet, und sein Aeußeres paßte genau zu dem Begleiter des Ermordeten, wie ihn die Wirthsleute in dem Städtchen in Uebereinstimmung [372] mit der Hein beschrieben hatten. Seine Haltung und sein Benehmen gehörte den besseren Ständen an, hatte aber etwas sehr ernst Reservirtes und, wie es mir schien, in diesem Augenblicke etwas Unsicheres. Ich begann mit ihm das vollständige, förmliche erste gerichtliche Verhör nach Namen, Alter, Heimath. Als letztere nannte er eine Stadt in einer benachbarten Provinz.

„Was war Ihr Vater?“ fragte ich ihn weiter.

„Prediger in dem Orte.“

.Ihr Stand?“

„Ich wurde zum Kaufmann ausgebildet, war dann längere Zeit Commis an mehreren deutschen Handelsplätzen, konnte mir eine selbstständige Stellung in Europa aber nicht gründen und wanderte nach Amerika aus. Dort fand ich noch größere Schwierigkeiten, und das veranlaßte mich, als Goldgräber nach Californien zu gehen. Von da bin ich seit einigen Wochen nach Europa zurückgekehrt.“

„Fanden Sie in Californien Ihr Glück?“

„Ich fand, was ich suchte.“

„Das heißt?“

„Ich hatte Glück im Goldfinden. Ich erwarb mir ein Vermögen.“

„Wo befindet sich dieses?“

„Ich trage es bei mir, in Papieren.“

„Sind die Papiere unter Ihren Sachen, die mit Ihnen abgeliefert sind?“

„Ich trage sie an meinem Körper.“

„Ich muß Sie bitten, mir dieselben zu geben; das Gesetz fordert es, und im Gefängnisse Ihre eigene Sicherheit.“

Ich hatte nicht nöthig, diese Motive meines Verlangens hinzuzufügen, Wie er mit voller Offenheit, wenn auch unter augenscheinlicher Abwägung jedes Wortes, geantwortet hatte, so langte er auch ohne Zögern aus seiner Rocktasche ein Packet hervor, das er mir übergab. Es enthielt amerikanische und englische Banknoten und andere Werthpapiere, zum Betrage von einigen vierzigtausend Thalern. Ich fuhr mit dem Verhöre fort.

„Sie sind seit einigen Wochen nach Europa zurückgekehrt?“

„Genau vor drei Wochen.“

„In welchem Hafen des Continents sind Sie gelandet?“

„In Antwerpen.“

„Bezeichnen Sie mir Ihre Reiseroute von da bis hierher.“

„Ich hielt mich einige Zeit in Antwerpen auf, dann bin ich in gerader Richtung hierher gereist.“

Er nannte die einzelnen Hauptorte und war hiernach auf der Eisenbahn gereist, bis zu demselben Stationsorte, auf dem auch die Hein die Bahn verlassen hatte.

„Sie waren danach nicht in Ihrer Heimath?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Ich hatte dort nichts zu thun, und meine Eltern sind todt.“

„Hatten Sie hier in der Gegend Geschäfte?“

„Nicht eigentlich Geschäfte, eine besondere Angelegenheit rief mich hierher.“

„Welche?“

Er veränderte zum ersten Male die Farbe und erröthete leise.

„Ich muß bitten, mir die Antwort zu erlassen,“ sagte er sehr bescheiden.

„Ich habe ein Recht zu der Frage,“ erklärte ich ihm.

Wieder völlig bescheiden, aber mit einer gewissen Festigkeit erwiderte er: „Ich habe einen Paß, er legitimirt mich, und ich meine, er müsse mich auch für mein Thun legitimiren, bis mir eine gesetzwidrige Handlung nachgewiesen wird.“

„Wenn aber meine Frage in Ihrem eigenen Interesse geschähe?“

„Ich werde abwarten, daß mir das klar wird.“

Er hatte nicht Unrecht darin. Sein Paß befand sich unter den Papieren, welche die Gensd’armen an mich abgeliefert hatten.

Diesen suchte ich hervor, und er stimmte in Allem mit seinen Angaben über sich, auch über seine Reiseroute. Auf seine Reise mußte ich zunächst zurückkommen.

„Auf welchem Schiffe haben Sie die Reise von Amerika nach Europa gemacht?“

Er nannte das Dampfschiff.

„Reisten Sie in Gesellschaft von Bekannten?“

„Man macht auf einer solchen Reise viele Bekanntschaften.“

„Könnten Sie mir einige Namen nennen?“

„O ja, verschiedene, amerikanische, englische und andere.“

„Auch deutsche? Auch von näheren Landsleuten?“

„Ich wüßte kaum.“

Er schien diese paar Worte doch erst nach einigem Widerstreben zu sprechen, und dann mit einem Vorbehalte, den er sich selbst machte. Gleich darauf glaubte ich eine gewisse Unruhe an ihm zu bemerken.

(Fortsetzung folgt.)




Jagddaguerreotypen.
Von Ludwig Beckmann, Maler in Düsseldorf.
1. Das Schwarzwild und seine Jagd in alter und neuester Zeit.
(Schluß.)

Jung aufgezogen, läßt sich die Sau ohne Schwierigkeit völlig zähmen, sie attachirt sich wie ein Hund an ihren Herrn und entwickelt eine merkwürdige Gelehrigkeit. Da ihre sonstigen Eigenschaften sie indeß nicht für den nähern Umgang empfehlen, sind derartige Cultivirungsversuche allerdings selten. In dem längst eingegangenen trefflichen Journal des Ober-Forstraths Hartig[1] findet sich die „Biographie eines Keilers“, aus welcher wir Folgendes beiläufig erwähnen: Ein Forstmann zu Ginzheim am Rhein hatte einen männlichen Frischling aufgezogen, der sich mit allen Hunden des Hauses auf’s Innigste befreundet hatte. Als sein Spielgefährte, ein Hühnerhund, starb, trauerte er mehrere Tage lang und mußte mit Gewalt abgehalten werden, ihn aus seiner Ruhestätte herauszuwühlen. Der Frischling wuchs zum Keiler heran und folgte seinem Herrn stundenweit auf der Fährte nach, wenn dieser ohne ihn ausgeritten war.

Sauen im Kessel.


[373] Später faßte der Keiler bei Zeiten Posto vor der Hausthüre, sobald er die geringste Anstalt zum Ausgehen oder Satteln bemerkte.

Er suchte mit den Hühnerhunden auf der Jagd einen Acker nach dem andern durch und folgte den Windhunden, bis der Hase gefangen war. Als sein Herr einer militairischen Beerdigungsfeierlichkeit in Mainz beiwohnen wollte, brach der Keiler aus und schwamm ihm durch den Rhein nach. Beim Abfeuern der Kanonen und Gewehre stand der Keiler ruhig neben seinem Herrn und kehrte andern Tags im Nachen mit ihm zurück. Nachdem der Keiler das zweite Jahr zurückgelegt hatte, wurde er, obwohl castrirt, übermüthig und richtete aus Langeweile vielfachen Unfug an. Unter Andern wollte er durchaus mit der alten Mama des Försters schäkern, allein dies geschah in so plumper Manier, daß er dieselbe eines Tages umwarf. Des lieben Hausfriedens wegen sah sich der Förster endlich genöthigt, den Keiler zu erschießen. Dies ging ihm aber so nahe, daß die Kugel den bezielten Fleck etwas verfehlte. Der Keiler wankte in den Garten und verendete auf der Grabstätte seines Jugendfreundes, des Hühnerhundes. Vier Tage nachher schickte Landgraf Ludwig VIII. einen Herrn von Firnhaber aus Darmstadt, um sich die Sau zu erbitten – allein es war zu spät, und der nachherige Oberförster erzählte diese Geschichte nie, ohne mit einiger Rührung hinzuzufügen, „daß er zu diesem Mord gezwungen worden sei!“

Streitende Keiler.

Mit Ausnahme der ältern, einsiedlerischen Keiler lebt das Wildschwein im Freien das ganze Jahr hindurch in größern oder kleinern Rudeln friedlich beisammen. Die Mitglieder einer solchen Gesellschaft halten im Fall der Noth treu zusammen, doch scheint es fast, als ob mit der zunehmenden Verfolgung der Sauen ihre Widersetzlichkeit abgenommen. So sieht man z. B. heutzutage nur noch höchst selten ein Rudel bei Annäherung der Hunde zusammentreten und, die Köpfe nach außen gerichtet, einen undurchdringlichen Kreis bilden, in dessen Mitte Frischlinge und Ueberläufer sich bergen.

Den Tag über liegen die Sauen in einer aufgewühlten Bodenvertiefung, dem sogenanntnn Kessel, dicht gedrängt beisammen und sie wissen alsdann die gegen Kälte empfindlichen Körpertheile sehr gut zu verstecken. Ein solches „eingekesseltes“ Rudel entwickelt eine enorme Hitze, und man sieht an kalten Wintertagen oft eine förmliche Dampfwolke über dem Kessel stehen. Die ältern Keiler machen sich ihr einsames Lager in Gestalt einer muldenförmigen Vertiefung und meist mit einem gewissen Comfort hinter einem Felsblock, Baumstamm etc. zurecht. Ist das Lager auf einer Waldblöße, so werfen sie das aufgewühlte Erdreich und Reisig oft lehnenförmig gegen die Wetterseite auf, füttern den Boden mit Laub und dergl.

Jäger auf der Kanzel.

Nach Sonnenuntergang erhebt sich die Sau vom Lager und trabt nach einigem „Sichern“ davon, um Nahrung zu suchen. Nach der Art und Weise, wie dies geschieht, unterscheidet der Jäger: das „Brechen“, wobei lange Furchen in’s Erdreich gewühlt werden, um zu der sogenannten „Erdmast“, den Engerlingen und andern in der Erde lebenden Insecten und ihren Larven, Würmern, den Wurzeln des Farnkrauts, Kümmels etc. zu gelangen. Nach Letztern graben die Sauen oft so tiefe Löcher, daß man sie in einiger Entfernung gar nicht sieht. Man unterscheidet ferner das „Mausen“ und „Wurmen“, wobei nur kleine Löcher gebrochen werden, das „Ueben“ oder Aufsuchen der abgefallnen Eckern und Bucheln, das „Fressen“ im Getreide, auf der Körnung, an eingegangenem Wild und auf den Kirrungsplätzen für Füchse. Aus dem Gesagten geht zunächst die Nützlichkeit der Wildsau für die Forstwirtschaft hervor, denn der Waldboden wird durch sie von schädlichem Ungeziefer gründlich gereinigt, und man pflegt sogar in Forstrevieren, wo kein Schwarzwild vorhanden, mitunter zahme Schweine zu diesem Zweck in den Wald zu treiben. Durch das Umbrechen wird der Boden überdem lockerer und für atmosphärische Einflüsse empfänglicher gemacht, und in den Furchen keimt später gar manches Pflänzchen, welches auf der hohen Laubdecke des Waldbodens nicht wurzeln könnte.

Das wäre nun Alles sehr gut und anerkennungswerth, allein unser Schwarzwild hat leider keinen Begriff von den verschiedenen Forstabtheilungen und Hauungsplänen. Es beschränkt seine Thätigkeit nicht blos auf den Hochwald, sondern besucht auch mitunter die Samenschläge und Pflanzkämpe, wo es durch Umwerfen der zarten Pflanzen viel Unheil anrichtet. Noch schlimmer ist’s, wenn ein ganzes Rudel sich darauf capricirt hat, die an den Wald grenzenden Aecker zu besuchen oder eine Wiese umzupflügen. Da müssen denn die Wildhirten das Ihrige thun, um die ungebetenen Gäste zurückzuhalten und ihnen ihren Standpunkt klar zu machen. Es bedarf daher kaum der Erwähnung, daß Sauen in Gegenden, wo die „Oekonomie“ vorherrscht, nicht wohl im Freien zu halten sind.

Die eigentliche Mast oder Feistzeit der Sauen beginnt Mitte September und endet mit Eintritt des Winters. In Jahren, wo Bucheln und Eckern gerathen sind, legen die Sauen in dieser Zeit oft einen Zoll hoch Feist am „Brustkern“ (Brustbein) auf. Außer dem Waldobst bietet ihnen der Herbst die Schwämme, Morcheln, Trüffeln, Rüben und Kartoffeln. Wie bei allen Säugethieren, erwacht [374] auch bei den Sauen zu Ende der Feistzeit der Fortpflanzungstrieb, und es beginnt nun die sogenannte Roll- oder Rauschzeit des Schwarzwildes. Der bis dahin einsam lebende Keiler tritt nun wieder zum Rudel, um dessen Besitz oft grimmige Kämpfe unter den verschiedenen Bewerbern entstehen. Die streitenden Keiler beobachten bei ihren Zweikämpfen eine höchst originelle Methode. Sie legen sich nämlich unter Schäumen und Zähneklappen mit den Schultern gegen einander und versetzen sich wüthende Schläge mit den Hauern. Wer’s am längsten aushält, ist Sieger. Man sagt, daß sie die erhaltenen Wunden durch Reiben an harzigen Fichtenstämmen curiren, und wirklich findet man mitunter Sauen, welche ein förmliches Harzschild auf den Blättern tragen. Daß aber derartige „Panzerschweine“ kugelfest seien, ist eine Fabel. – Während der Dauer der Rollzeit hat der Keiler einen unangenehmen, süßlichen Geruch, der sich sogar dem Fleisch (Wildpret) mittheilt.

An Orten,wo wenig Sauen vorhanden, macht der Keiler in der Rollzeit oft weite Wanderungen, um Bachen aufzusuchen. In Ermangelung besserer Gesellschaft gesellt er sich dann mitunter sogar zu den zahmen Schweinen, welche im Walde gehütet werden. Hartig führt sogar ein Beispiel an, wo ein Keiler sich so weit vergaß, daß er Abends mit der zahmen Heerde in den im Wald erbauten Stall ging. Die aus derartigen Mesalliancen entsprungenen Bastarde haben indeß für den Viehzüchter wenig Werth, da sie zu unruhiger Natur sind, welches bekanntlich die Fettbildung sehr beeinträchtigt. Referent sah einst einen Wurf derartiger Bastarde: die kleinen Dinger arbeiteten und hüpften den ganzen Tag an den Wänden des Stalles umher, um einen Ausweg zu suchen, und frisch geschüttetes Stroh war in Folge der unausgesetzten Bewegung in einer Viertelstunde zu Heckerling zertreten.

Einige Wochen nach der Rollzeit ziehen sich die alten Keiler wieder vom Rudel zurück. Die tragende Bache verläßt dasselbe zu Anfang Frühjahrs und „frischt“ in der Regel 5–6, mitunter an 10 Junge, welche Frischlinge genannt werden und in ihrem „bunten Rock“ gar drollige Dinger sind. Schon nach einigen Tagen läuft die kleine Gesellschaft mit der Mutter davon, die sie durch leises Grunzen lockt und zusammenhält. Bei dem geringsten Anschein von Gefahr drücken sich die flinken, buntgestreiften Thierchen platt an den Boden, die Bache sucht den Feind von den Frischlingen fortzuleiten und vertheidigt dieselben nöchigenfalls auf’s Aeußerste. Die Vermehrung der Sauen ist im Durchschnitt nicht so bedeutend, als man nach der Anzahl der Jungen glauben sollte. Zu Anfang des Winters gehen, besonders in eingezäunten Revieren, viele Frischlinge an der Bräune zu Grunde, und im Freien mag der schlaue Reineke die Wachsamkeit der Bache auch oft genug zu täuschen. – Bekannt ist der Vorfall, wo ein Fuchs mehrere Tage hintereinander einen Frischling raubte und jedesmal damit einen Felsblock oder schrägstehenden Baum erkletterte, um sich vor der Bache zu schützen.

Um das Fortwandern der Sauen in der Rollzeit zu verhindern und um fremde Gäste anzulocken, pflegt der sorgliche Jäger schon zu Anfang der Rollzeit jeden Abend etwas Korn oder Eicheln auf den sogenannten Körnungplätzen auszustreuen. Im Park körnt man schon aus dem Grunde, weil der nun einbrechende Winter den Sauen die Mahlzeiten arg verkürzt. Um die Eicheln, welche im Herbst in großen Quantitäten gesammelt wurden, frisch zu erhalten, werden sie in geräumige Gruben geschüttet und unter Wasser gesetzt. Da die ältern Sauen die Frischlinge gern vom Körnungsplatze verdrängen, so wird für letztere ein besonderer Platz eingezäunt, welcher so kleine Eingangslöcher erhält, daß die stärkern Sauen nicht hindurch können. In den meisten Parks müssen die Sauen, mit Ausnahme der drei Herbstmonate, das ganze Jahr hindurch gut gekörnt werden, was allerdings ziemlich kostspielig wird. Auch im Freien ist dies, wenn auch in weit geringerm Grade, meist nöthig, um die Sauen an das Revier zu gewöhnen und von den Feldern abzuhalten.

Neben dem Körnungsplatze befindet sich fast immer die sogenannte „Kanzel“, ein in der Nähe zwischen Bäumen angebrachter Stand oder Sitz, von welchem der Jäger, ohne von den Sauen bemerkt zu werden, die Häupter seiner Pfleglinge zählen und die nöthigen Beobachtungen über ihren Gesundheitszustand etc. machen kann. An schönen, windstillen Abenden ist es in der That ungemein interessant, das Treiben der Sauen von einer solchen Kanzel aus der Vogelperspektive zu beobachten. Da die Sauen im Freien indeß erst mit Einbruch der Dunkelheit die Körnung anzunehmen pflegen, so thut man besser, eine Kanzel im Park zu besuchen, welche hier auch in der Regel bequemer eingerichtet und mit weniger halsbrechenden Stiegen versehen sind, als im Freien.

Die Fußspur oder „Fährte“ der Wildsau unterscheidet sich von der des zahmen Schweines so wenig, daß viel Uebung erforderlich ist, sie richtig „anzusprechen“. Ebenso kann die Fährte eines alten Keilers beim ersten Anblick mit der Fährte einen geringen Hirsches leicht verwechselt werden, doch verräth sich erstere bald durch den kürzern Schritt, durch den Mangel der Fußballen und durch die weit abstehenden Hinterzehen oder das „Geäfter“. – Daher lautet der alte Waidspruch:

„Mein lieber Waidmann, mit Lust und Freuden,
Wie thust Du den edeln Hirsch von der Sau unterscheiden?
Bei hartem Boden absonderlich?
Thu mir das sagen, ich bitte Dich.“

„Der edle Hirsch zeigt in der Fährte Ballen, die Sau hingegen nit.
Auch hat die Sau ein gar vil kürtzern Schritt.
Ob sie an stumpfen Schalen oft einander gleichen,
Die Sau thut nimmermehr des edeln Hirsches Zeichen.“

Es bleibt uns nun noch übrig, des Nutzens zu erwähnen, welchen die erlegte Wildsau gewährt. Da ist zuerst die unverwüstliche Haut oder Schwarte, welche rauh die vortrefflichsten Fußmatten gibt und außerdem durch Sattler und Kürschner vielfache Verwendung findet. Enthaart und gegerbt gibt die Schwarte das feinste englische Sattelleder, welches durch die regelmäßig zu drei und vier zusammenstehenden kleinen Grübchen auf der Oberfläche leicht von Surrogaten zu unterscheiden ist. Die Borsten sind von Schuh- und Bürstenmachern gleich gesucht. Die Hauptsache aber bleibt das Fleisch oder „Wildpret“, dessen Werth schon die antike Welt zu schätzen wußte. – Die zahlreichen Sauheerden der alten Griechen gehörtet sicher der wilden Stammrace an, und von diesem Standpunkte aus gewinnt der „göttliche Sauhirt“ eine ganz andere Bedeutung. Es war eine Art Wildmeister, der mit Fangspieß und zottigen Hetzhunden das Gehege überwachte, „wo hauerbewaffnete Eber unter dem hohlen Geklüft sich gestreckt, im Schirme des Nordwinds.“ Sei dem, wie ihm sei; jedenfalls entwickelte Odysseus beim „langausreichenden Rücken des weißzahnigen Schweines“ einen sehr gesegneten Appetit. – Die römischen Gourmands beobachteten schon bei der Tödtung der Wildschweine eine an’s Grausame grenzende Raffinerie, um den Wohlgeschmack des Wildprets zu erhöhen. Unter den verschiedenen Zubereitungsarten nennen wir nur das „porcus trojanus“. Es war dies ein feister Frischling, dessen Inneres mit allerlei kleinen Thieren und scharfem Gewürz – als Anspielung auf das trojanische Roß – gefüllt war. Der Kopf des Wildschweins aber prangt noch heutzutage als Schaugericht, besonders auf englischen Tafeln. Er wird zu diesem Zweck mittelst eines glühenden Eisens seiner Haare beraubt und kohlschwarz gesengt. Nach der Zubereitung sehen wir ihn dann mit Arabesken von buntfarbigen Geleestreifen verziert, mit grünem Lorbeer garnirt, und selten fehlt die obligate Citrone zwischen den weißen Hauern. Das ist der Humor der Kochkunst. – Als besondere Delicatesse gilt der „Schweinskopf à la Tartare“, einfach gekocht und nach dem Erkalten mit einer pikanten, heißen Rothweinsauce servirt. Wir für unsern Theil ziehen ein saftiges Frischlingsziemer oder das Brustrippenstück eines Ueberläufers dem tartarisirten Kopf eines in der Regel zur Rollzeit erlegten alten Keilers vor. Das Wildpret der älteren Wildsauen ist, frisch zubereitet, oft sehr hart, man läßt es daher gern so lange an freier Luft hängen, bis es den ersten Anflug von Haut-gout erhalten.

Nachdem wir somit das Schwarzwild in naturgeschichtlicher, ökonomischer und gastronomischer Hinsicht gründlich betrachtet haben, können wir zu dem interessantern jagdlichen Thema übergehen.




Derby-Tag in London und Epsom-Wettrennen.

Nach der Lehre einer buddhistischen Secte in Indien ruht unsere Erde auf dem Rücken eines Elephanten, der von einer Schildkröte getragen wird. Dies sieht wie ein unglaubliches Wunder aus, zumal da man nicht erfährt, auf welchem Grund und Boden [375] die Riesenschildkröte kriechen mag; gleichwohl bietet das moderne England ein wenigstens eben so unglaubliches Wunder und zwar in unglaublich wunderbarer, aber massenhaftester und massivster Wirklichkeit. Großbritanniens nationaler, in der ganzen Welt vergleichungsloser Festtag mit tausend Arten der verschiedensten Fuhrwerke, mit Tausendkünstlern, Lords, Unterhausmitgliedern, Spitzbuben, Bischöfen und Verbrechern und Krüppeln aller Art, mit den wunderschönsten Damen und häßlichsten Vogelscheuchen, frechsten Dirnen und Trunkenboldinnen, mit unzähligen Tausenden Champagnerflaschen und Gin-Bullen, mit Millionen Menschen aller Stände; dieser englisch-nationale Wettrennen-Haupt- oder „Derby-Tag“ draußen bei Epsom im Süden von London mit einem zwölf Meilen langen ununterbrochenen Strome von Eisenbahnzügen, Fuhrwerken auf Rädern und Menschenbeinen – dieses monströseste Ungeheuer von Festlichkeit ruht auf zarten, schlanken, polirten Pferdehufen.

Derby-Tag! Wer sollte glauben, daß diese ruhigen, frommen, taubenäugigen, schlanken Ideale des edeln Roßgeschlechts die Mächte sein könnten, welche Parlament und Gerichtshöfe, Concertsäle und alle dreißig Theater Londons, Bureaux und Geschäfte schlössen und Millionen – ja Millionen Menschen – wie wahnsinnig – in einer Richtung hinaustrieben? daß sie mit ihren Füßchen Millionen – ja Millionen von Pfunden – umsetzen und so unzählige Familien und Menschen in ganz England in allen Schichten und Ständen – denn Alles wettet auf diese Pferde, vom ärmsten Dienstmädchen bis hinauf zum Lord-Kanzler und Erzbischof – hier mit Gold überschütten, dort aus Haus und Hof treiben in Gefängnisse, auf die Tretmühle, nach Botany-Bay oder an den Galgen? So ist es. Palmer, der berüchtigte Vergifter, war ein „Sporting-Mann“, ein Held der Wettrennen-Börse, eben so Pullinger, der als Cassirer der Union-Bank über 260,000 Pfund verschwindelte, um seinen Pferde-Wett-Pflichten nachzukommen. Die fabelhaftesten Summen, das raffinirteste Hazardspiel, die verbrecherischste Lotterie, der großartigste Schwindel, das frechste Verbrechen, die feinste criminale Bosheit hängen sich an diese niedlichen Pferdehufe, die an diesem Tage – es war heuer am 23. Mai – inmitten der massenhaftesten Schaaren und ihrer wahnsinnigsten Aufregung über den Rasen flogen. Diese kostbaren Vierfüßler sind Brennpunkte der ungeheuersten Leidenschaft, der glänzendsten Volksfeste und des nationalsten aller Feiertage.

Dicht verhüllt und verhangen in scheckige, heiter besetzte Decken und eifersüchtig verschleiert gegen die Späher-Augen des Publicums, wie die erste Odaliske in dem Harem eines Pascha mit drei Roßschweifen, werden die Helden des Tages unter ängstlichsten Vorsichtsmaßregeln, umgeben von geheimnißvollen Constablern und Gelehrten der Pferdewissenschaft – an Ort und Stelle geführt. Auch diese Ideale von Pferden können stolpern oder wiehern. Es stolpert wohl auch ’mal das eine, und ein anderes wiehert. Dies wirkt sofort magisch auf die Wettbücher, die nach solchen Zeichen zu Tausenden in den Händen des Publicums in der Nähe des Wunders (des Stolperns oder Wieherns) erscheinen, um durch geheimnißvolle Bleistiftzeichen bereichert zu werden.

Diese Wettbücher mit reinem Chinesisch für den Laien, die in den Zeitungen täglich veröffentlichten Wett-Course, die verbotenen und über das ganze Land verbreiteten Wett-Bureaux, die Wett-Börsen und die großen Central-Logen aller Jagd- und Wett-Freimaurerei, genannt „Tattersalls“, hinter dem Hydepark-Winkel zu London – diesen ganzen wissenschaftlichen, geheimnißvollen Hinter- und Directions-Grund der Wettrennen und des großen Derby-Tages lassen wir unbeachtet und halten uns mit dem ungeheueren Strome von Laien an die äußere Erscheinung des Nationalfesttages.

Er besteht nicht, wie andere gemeine oder Feiertage, aus vierundzwanzig Stunden, sondern beginnt Monate vorher und wirkt noch fort bis zum Schlusse des Parlaments im August. Ein Engländer wurde einmal auf dem Wege zur Kirche von seiner angebeteten Braut gefragt, was für’n (christlichen) Sonntag wir hätten? „Den dritten Sonntag vor Derby,“ antwortete er.

Der Junge, der uns Grünwaaren vor’s Haus bringt, gab auf meine Frage sein Alter so an: „Mein Vater sagte, ich sei früher einmal grade am fünften Mittwoch nach Derby geboren.“ (Derby-Tag ist allemal Mittwoch im Mai.) Neben mir wohnt ein siebzehn Jahre verheiratheter Häuser-Componist, d. i. ein Mann, der für andere Leute aus Steinen und fabrikmäßig vorräthigen Thüren, Fenstern, Eisengittern, Kaminen, Tapeten und Schlössern Häuser zusammensetzt. Seine Frau erzählte mir über die Gartenwand weg, daß er seit den siebzehn Jahren nie mit ihr oder einem Andern zum Vergnügen einen Ausflug gemacht habe, aber beim „Derby“ sei er dreimal gewesen und wollte heuer wieder ’nunter, auf einem zurecht gemachten Fleischerkarren mit einigen Freunden. – Man sieht, welche Ausdehnung, welche Macht dieser Tag der olympischen Spiele Englands in sich begreift.

Auf einem zurecht gemachten Fleischerkarren! Alles, was auf Rädern befestigt ist oder auf Räder gebracht werden kann, rollt an diesem Tage hinaus auf die grünen Ebenen von Epsom. Unser Katzenfleischmann, d. i. einer der täglich durch alle Straßen Londons fahrenden Hausirer, welche die Katzen und Hunde der Herrschaften mit Abfällen vom Fleischer versorgen, rieth uns am Tage vor Derby, uns doppelt zu versorgen, da er morgen eine Gesellschaft „Damen und Herren“ zum Derby fahre. Damen und Herren auf einem Katzenfleischwagen! Aber auch die obersten „Zehntausend“ sind draußen vierspännig, zwei-, drei- und einspännig in seltsamen „Baruschen, Britzka’s, Phaetons, Gigs, Bronghams, Berlinen, Droskies, Sulkies, Sociables, Dennets, Flies, Clarences, Hansom-Sicherheits-Droschken, Droschken, Omnibus“ und wie die hunderterlei Arten von englischen Fuhrwerken sonst heißen mögen. Hunderttausende kommen mit den verschiedenen Eisenbahnen. Die Nachbarschaft von fünf bis zehn Meilen ringsum brach um Mitternacht zu Fuße auf. Die Schaaren von Künstlern, Krüppeln, Verkäufern, Sängern, Musikanten etc. kamen am Tage vorher, campirten im Freien oder unter Zelten und fingen ihr „Geschäft“ mit aufgehender Sonne an.

Alles Runde wurde heut zum Rad, jedes Bret, jeder Kasten zum Wagen, jeder Invalide des Bockes zum verjüngten Kutscher. Seht die vertrockneten, verrunzelten, silberhaarigen oder kahlen, gichtischen Greise, verfallenen Patriarchen des Sattels, wie sie heute in rothseidenen Jacken, mit viel zu weiten, weißen Hüten auf den kahlen Platten, weißen, flatternden Bändern an ihren Spindelbeinen als „Postboys“, als Postjungen ihre Peitschen schwingen und jugendlich übermüthig alle das Gehänsel und Genecke, das auf dem Wege millionenfach von Bock zu Bock spielt, frisch erwidern, Champagner trinken und Hummer-Salat essen, als seien ihre Magen funfzig Jahre jünger, als sie selbst, wie sie sich betrinken und bei den vielen Stauungen der unabsehbaren Wagenmassen ihre Deichseln bald diesem Karren, bald jener Equipage in den Rücken stoßen, wie sie aber selbst bei aller Unsicherheit ihrer Balance glücklich an- und nach Mitternacht sogar zurückkommen!

Doch wir können nicht immer unterwegs bleiben. Zur Sache! Der Derby-Tag selbst! Gebt mir Papier, hinreichend zu einem ganzen Jahrgange der Gartenlaube, einen schiffbaren Fluß als Tintenflasche, hundert Briareusarme zum Schreiben, drei Mal so viel Augen, als Argus besaß, das Schilderungstalent von den fünfzig besten Dichtern aller Zeiten – und ich will Euch den Derby-Tag beschreiben. Jetzt gilt es, nur eben einige Bilderstriche aus der Mitte herauszureißen. Was ist aber Mittelpunkt in einem zwei geographische Meilen langen Bilde mit hunderttausend Gruppen von Millionen Menschen, Pferden, Eseln, Hunden, kunstgebildeten Hasen, Affen, Murmelthieren, Aethiopiern und Racen aller Farben? Mittelpunkt? O ja, der „große Stand“, auf welchem die „obersten Zehntausend“ à 1 Guinee Standgeld, wie ein thurmhohes Gebäude von lebendigen Menschenköpfen und Sonnenschirmen flattern und glänzen, der „große Stand“ ist ein Centrum, ein über Nacht wie aus der Erde gewachsenes Luftschloß von drei ungeheueren Plattformen und Balkonen über einander – gedrückt voll in jeder Höhe und Breite, à 1 Guiuee pro Person. Solcher „Standes“-Bauten und Gallerien erheben sich noch manche weit hinaus in verschwindende Ferne am Rande der Rennbahn entlang, sonnig, warm, luftig, alle überfüllt, wogend, rauschend, brüllend, jauchzend, Champagner trinkend und Gläser und Flaschen durch die sonnige Luft schleudernd. Der erste Cours ging ohne besondere Aufregung vorüber. Jetzt aber schrillten die Glocken für den Derby, den entscheidenden Wettritt. Die dreißig concurrirenden Pferde wurden aus ihren Verschlägen geführt und in Front des „großen Standes“ revidirt, examinirt und balancirt. Die unabsehbaren Menschenmassen umher murmelten dumpf, sodaß die gespannte Stille nur wie durch einen dämonischen Strom von Tönen leise unterbrochen ward. Die Wettmänner unten drängten sich schwitzend durch die Massen, um noch so viel Narren wie möglich für diese oder jene Karte des Hazardspiels zu [376] beschwindeln. Die farbigen, hellgestickten Jacken der Jockeys glänzten mit den funkelnden Rücken der dreißig vierbeinigen Concurrenten um die Wette im hellsten Lichte der Maisonne. Mit vieler Mühe wurden sie am Grenzpfahle entlang in Reih und Glied gebracht und auf ein Zeichen losgelassen.

Sie brachen los, aber mit einem „falschen Ansatze“, sodaß sie zu einem neuen zurückgerufen wurden. Endlich schossen sie aus, flogen sie langgestreckt, kaum den Boden berührend, weit hinauf die leichte Höhe der Bahn, die sich in die Ferne verlor. Auf dem Rücken des Hügels waren sie für einen Augenblick von allen den unzähligen Schaaren zu sehen, die auf beiden Seiten tobten, brüllten, wie Wahnsinnige mit Händen, Füßen, Hüten, Stöcken, Taschentüchern, Zeitungs-Flügeln um sich in die Lüfte schlugen. Welch’ ein tobender, kochender Ocean der wildesten Leidenschaften, siedend unter einem Feuer von Millionen Pfunden, die in dieser Minute ihre Besitzer wechseln sollten! Das Siegesgeschrei über die einzelnen Pferde, die mit halben, ganzen und bloßen Halslängen um den Preis rangen, pflanzte sich schnell durch die langgezogenen Menschenmassen. „Schwarze Kappe!“ „Blaue Kappe!“ „Grüne Jacke!“ „Rothe Jacke!“ „Rothe Jacke hat’s, Hurreeh!“ „Blaue Kappe erholt sich!“ „Umpire[2] geschlagen!“ „Yankees verloren!“ „Thormanby! Thormanby ist’s! Hurreeh! Thormanby gewinnt! Hurreeh für Thormanby!“ „Merry! Merry! Merry! Merry! Hurreeh!“

Nach einigen Minuien war’s entschieden. Ich hatte mich in der Nähe des großen Standes fest in gedrängte Massen einkeilen lassen. Ein improvisirter, elektrischer Telegraph war schon mit der Nachricht nach allen Richtungen Englands unterwegs und hatte auch dem Publicum des „großen Standes“ bereits verkündet, daß Thormanby, das Pferd des Mr. Merry, gesiegt und der Eigenthümer allein in Wetten (ohne die Preise) über 70,000 Pfund Sterling – etwa eine halbe Million Thaler – gewonnen habe.

Jetzt brachen die festgedrängten Massen in unabsehbarer Länge und Breite, von Kutschendächern und unzähligen Breterständen, von Stelzen und Pferderücken, von allen möglichen künstlichen Erhöhungen herunter und auseinander. Gewinner und Verlierer stürzten in Erfrischungs-Buden und fingen an, mit einander zu rechnen und zu trinken. Alles trinkt, Jeder säuft – die Einen aus Jubel über ihre Gewinne, die Andern aus Verzweiflung. Unabsehbare Damenflore in offenen Equipagen unter flatternden Sonnenschirmen, alle trinken Champagner. Jeder und Jede – der Höchste und Niedrigste – Kutscher und Lords, Bettler und Bischöfe – Alles scheint heute Champagner zu trinken, größtentheils kohlensaures Zuckerwasser mit Alkohol.

Nach dem Derby-Rennen hört alle Leidenschaft für weitere Ereignisse der Bahn auf. Hunderttausende von Körben mit eingewickelten Pasteten, Fleischklumpen, Käsekugeln und Kiepen aller Art öffnen sich auf hunderterlei Equipagen und Wagen, in unabsehbaren Lagern von Familien- und Freundesgruppen, die nach allen Seiten in’s Grenzenlose den Boden bedecken. Alles frißt, Alles säuft, Alles brüllt, Alles jubelt, Alles neckt und foppt, bettelt oder wird angebettelt, bewundert Tänzer und Tänzerinnen auf Stelzen, kunstgebildete Hunde und Affen, die auf Tischen tanzen, Hasen, die Pistolen abschießen, Kerle in schmutzigem Tricot, die Degen, Leitern und Karren auf der Nase balanciren, gefärbte Negersänger in unzähligen Compagnien, deutsche Musikanten mit schmutzigen Blechinstrumenten und den scheußlichsten Mißtönen, Legionen von Leierkasten, Solovirtuosen, ganze Musikbanden, singende und tanzende Bettler, Jungens, die sich für ’n halben Penny zwanzig Mal überschlagen oder „Karrenrad“ spielen, eine Reihe von fünf heiter bebänderten, schrecklich singenden Matrosen mit zusammen blos sieben Beinen und vier Armen, die zum Theil durch eiserne Haken an den Stummeln ersetzt werden, einen Mann mit gar keinen Beinen, der seinen auf einem Brete ruhenden Rumpf mit Hülfe der beiden Arme fortschleppt, sonstige in der ganzen Welt unerhörte Verunstaltungen, Lustigmacher aller Art, Vergnügungen aller Art, „Penny-Gaff’s“, wirkliche Theater mit 1 Penny Entrée, Jongleurs, Akrobaten, Gymnastiker, Herculesse, Riesen und Zwerge im Freien und in Buden, tausenderlei Merkwürdigkeiten und Monstrositäten. Alles, was die Welt irgendwo und irgendwie producirt und fabricirt, wird ausgeschrieen, uns unter die Nase gestoßen, ge- und verkauft. Alle Industrien der Welt blühen hier, alle Künste und Wunder des Himmels und der Erde sind für 1 Penny oder gar umsonst zu genießen. Man schießt mit Armbrust, Pistol und Büchse um Preise, wirft mit Knüppeln nach Kokosnüssen auf Stangen, reitet Esel und Pferd um 1 Penny, läßt sich wiegen, von echten Zigeunerinnen wahrsagen und bestehlen, von allerhand Verkäufern betrügen, von Taschendieben untersuchen, guckt durch Fernröhre und Mikroskope, ißt Schnecken und Shrimps, Apfelsinen und Kokosnüsse, Pasteten und „Pickles“, Süßes, Saures und Bittres, aber noch mehr Geschmackloses durcheinander und spült es mit fabelhaftem Höllengebräu. Man tobt, ras’t, jubelt und ist wahnsinnig millionenhaft und kämpft hernach zuletzt fünf Stunden lang an einer der Eisenbahnstationen, um endlich mit den mehrfach Hunderttausenden einen Platz zu erkämpfen. Die Züge kommen und gehen immer mit doppelt vollgepfropften Waggons, aber die Letzten, welche vielleicht schon um acht Uhr die ersten Versuche machten, fallen erst lange nach Mitternacht trunken und todtmüde zwischen eine doppelt überzählige Masse von Eisenbahn-Passagieren. Mancher ist froh, mit einem Billet erster Classe unter den Crethi und Plethi dritter Classe nur geduldet zu werden. Trunkene, freche Dirnen und Kerle brüllen auf den Polstern erster Classe und schrecken das anständige Publicum zurück. Die Wagen und Equipagen verknäueln sich auf dem Rückwege und werden von frechem Gesindel bettelnd, räuberisch umringt und mißhandelt. Gerechtigkeit, Furcht vor Strafe gibt’s heute nicht. Alle Policemen in langen Reihen von London bis Epsom und um die Bahn herum waren und sind betrunken und müßten fast alle arretirt werden, wenn nüchterne Wächter der öffentlichen Sicherheit aufzutreiben wären. Aber endlich sind auch die Millionen alle wieder zu Hause, reich an Erinnerungen und Abenteuern, ärmer um Taschentücher, Uhren, Ketten, goldene Pfunde, in Verzweiflung über ihre Verluste beim Wetten, glücklich über Gewinne von den kleinsten bis zu den fabelhaftesten Summen. Es ist jedesmal große Klage über die Excesse des Derby-Tages, aber Niemand denkt an „Abhülfe“, an Eingriffe in die Souverainetät dieses nationalsten Volksfestes.




Alpenbilder.
Von F. Stolle.
1. Ein Sommersonntag im Alpenstädtchen Reichenhall.
(Schluß.)

Es ist drei Uhr. Es klopft. Die Th’resi fragt, ob sie den Kaffee bringen dürfe. Die Genehmigung erfolgt. Man thut die Jalousien, die nach dem Untersberge hinausgehen, ein wenig auseinander. Alle Wetter, welche Gluth noch! Man begibt sich in das Nebenzimmer und schaut nach dem Hochstauffen. Dieselbe Entdeckung. An ein Ausgehen nicht zu denken. Man ist förmlich sonnenbelagert. Der aromatische Levantetrank mundet zu einer Cigarre vortrefflich. Eben will man wieder zur Wildermuth die Zuflucht nehmen, da bringt der Briefträger liebe Briefe aus der Heimath. Dem armen Manne steht der Schweiß auf der Stirn. Er bekommt einen Sechskreuzer zu einem Labetrunk.

Was zu Hause gleich Alles vorfällt, sobald man auf ein paar Tage den Rücken gekehrt hat! Der alte D. ist gestorben. Hab’ ihm also bei meinem jüngsten Abschied zum letzten Male die Hand gedrückt! Die Marie B. Braut mit dem F. Also doch noch! Und bei R’s. ein kleiner Erbprinz angekommen. Da wird Freude sein!

Es pocht wieder. Die Frau Wirthin ist’s. Mit dem stereotypen, aber sehr gemüthlichen „B’hüt’ Si Good!“ stellt die gute [377] Frau einen frischen Blumenstrauß mit frischem Wasser auf das Pfeilertischchen am Spiegel.

Die Frau Wirthin ist nicht ungesprächig. Aber da man von zehn Worten erst das elfte versteht, wird man nicht klug, was sie eigentlich sagen will, und bleibt uns darum nichts übrig, als perpetuirlich bejahend mit dem Kopfe zu nicken. Die Briefe aus der Heimath erkundigen sich sämmtlich, wie es in Reichenhall gefalle. Den Leuten kann geholfen werden. Annemiedl empfiehlt sich wieder mit ihrem „B’hüt’ Si Good“, und man greift nach Tinte und Feder, um die erwartungsvolle Heimath nicht länger warten zu lassen.

Der Zeiger weist auf sechs. Auch im Parterre der Wirthsleute hebt der Seiger aus und läßt seine sechs Schläge vernehmen. Die Correspondenz ist beendet. Die Jalousien werden aufgeschlagen. Welch prachtvolle Aussicht über die Gärten nach dem Untersberge! Es ist noch immer bedeutend warm. Damen unter blauen und grünen Entoutens wandeln auf dem freundlichen Fußpfade über den Streitbüchel nach Großgmain. Eine Promenade im Schatten der hohen Gradirhäuser muß jetzt sehr angenehm sein. Ich habe nur wenig Hundert Schritte dahin.

Wie rieselt das so lieblich und angenehm durch die haushohen Dornengebinde! Die Wassertheile verdampfen und immer gehaltreicher wird die Soole. Wo man hinschaut, weiße Salzkrystalle. In den Lauben und auf Bänken, im Schatten der Gradirhäuser ruhen, die salzgeschwängerte Luft athmend, vereinzelte Genesung Suchende.

Achselmannstein.

In unmittelbarer Nähe dort liegen die stattlichen Gebäude von Achselmannstein, eines der stärksten und segensreichsten Soolbäder von Deutschland, dessen Ruf seit zehn Jahren in beständigem und verdientem Zunehmen begriffen. Der Mann, welcher mit ungeheuren Kosten diesem segensreichen Heilbade seine dermalige Gestalt gab und zu seinem Rufe so wesentlich beitrug, ist ein Sachse aus dem Königreiche, Herr Steuerinspector Rink. Zahlreiche Badegäste finden in Achselmannstein ein ebenso bequemes, wie angenehmes Unterkommen. Ein freundlicher Garten mit sorgfältig gehaltenen Spaziergängen und wohlgepflegtem Baum- und Strauchwerke grenzt unmittelbar an die Badegebäude, in welchen es weder an Billard-, noch an Conversations- und Lesezimmer mit ausgewähltem Journalcyclus fehlt. An schönen Frühlings- und Sommernachmittagen finden in dem Garten von Achselmannstein kleine theatralische Vorstellungen statt, die zum Amüsement des Publicums heiter beitragen.

Ueberhaupt ist das Thal von Reichenhall vermöge seiner großartigen Salinen – die Edelquelle springt sechzehngradig aus dem Kalkgebirge –, wegen seiner von den Alpen geschützten Lage, seiner himmlisch reinen und zugleich weichen Luft – jeder Athemzug ist einen Gulden werth –, wegen seiner stets frischen Molken und Alpenkräutersäfte und seiner paradiesischen Lage zu einem Heilbade wie geschaffen. Wie Mancher und Manche fanden hier Genesung für ihre schwache und kranke Brust und für manches andere Leiden! Das Leben ist im Allgemeinen nicht theuer. Wo man in nord- und mitteldeutschen Bädern einen Thaler braucht, reicht man hier im Verhältniß mit höchstens einem bairischen Gulden (17 Silbergroschen) aus. Reichenhall ist kein Luxusbad, wohl aber ein Naturbad im wahren Sinne des Wortes. Von hier hat man mit die Auswahl unter dreißig der reizendsten Alpenpartien, von denen die meisten kaum einen Tag in Anspruch nehmen. Wer darum eine Zeit lang in diesem liebenswürdigen Erdenwinkel verlebt hat, wird nur die freundlichste Erinnerung mit in die Heimath nehmen. Darum ist wohl auch fast kein Land Europa’s, das nicht Badegäste nach Reichenhall geschickt hätte. Die Curzeit beginnt mit Anfang Mai und währt bis zum Herbst, wo die Nebelkappen über die Thäler sinken und die Häupter der Berge sich mit Schnee umhüllen.




Die Abendsonne steht über dem Plateau der sechstausend Fuß hohen Reitalp. Aber ihre goldenen Strahlen vermögen den tausendjährigen Schnee in den Schluchten und Abgründen dieses Felsenlabyrinths nicht zu schmelzen.

Dort oben auf jenen stolzen Höhen blüht das Edelweiß in seiner reinsten Schöne, duften die Alpenblumen in frischester Bergluft.

Und immer tiefer sinkt die Sonne und immer tiefer bettet die scheidende Fürstin das Thal in den goldensten Sommerabend. Mit [378] Entzücken trinkt der Blick die himmlische Landschaft. Welch ein Grün der Matten, von Gold- und Silberblüthen durchwirkt –

Die rothen Wolken ziehen an den Bergen
Und über grünes Waldmeer still dahin,
Dieweil die Firnen, wie die Wächter Gottes,
Im reichen Gold des Sommerabends glühn.

Und ringsum Stille – Duft – Frieden. Die Madonnenbilder an den Wegen stehen im rothen Golde des Abends.

Ich wandle durch blumige Auen gen Sanct Zeno. Zwei fromme Schwestern aus dem Fräuleinstift in ihrer nonnenhaften, aber kleidsamen schwarz und weißen Tracht kommen des Weges daher. Blühende Gesichter und schon geschieden von der Welt in klösterliche Einsamkeit. Aber ihre Thätigkeit ist dem segensreichsten Berufe gewidmet, der trefflichen Erziehung junger Pensionärinnen. – Aus dem Garten des Hofewirths tönen Guitarren. Ich wende mich nach der Stadt zurück, dem Abendrothe entgegen. Aus einem kleinen Hause am Wege vernimmt man Stimmengemurmel. Vater und Mutter im Kreise der Ihrigen sprechen das Abendtischgebet.

Ein freundlich Schweizerhaus mit hervorragendem Dach und umlaufender Gallerie, verziert mit reichem Schnitzwerk, umrankt von Rosen und Blattgrün, ruht im Abendgolde.

Dort oben aber, auf der Abendseite der Gallerie, laubenartig umhüllt von rothem Jelängerjelieber, im weichen Fauteuil, das Blumenhaupt auf die Alabasterhand gestützt, ruht eine junge, wunderschöne Dame, eine weiße Rose aus fernem Nordland, die, halb gebrochen, die weite Reise nicht gescheut, Genesung zu trinken im milden stillen Alpenthale. Madonnenhaft umrahmt die dunkle Lockenpracht das von Meisterhand gezeichnete Oval, rosig angehaucht vom Abendroth, und der Himmel des zwischen langen seidenen Wimpern hervorbrechenden Auges ruht bereits geistig verklärt auf der abendrothbrennenden Schöpfung.

Arme Evelina! Der Doctor hat gleich nach dem ersten Besuche gar bedenklich das Haupt geschüttelt. Du wirst den Donner deiner grünen Nordsee, wenn sie sich weißschäumend an den Felsenufern bricht, nimmer wieder hören. Dein Engel wird dich aus diesem blühenden Erdenthale unmittelbar in das Himmelsthal sanft geleiten und der kleine Friedhof von Sanct Zeno deine irdische Hülle unter seine Blumen betten.

Wunderschönes Bild, vom Abendrothe umklungen, von Jelängerjelieber umblüht! Die Schatten der Abendberge breiten sich immer länger über das smaragdgrüne Thal, sie wachsen an den Höhen. Bald glühen nur noch die goldenen Kronen. – Tiefe Stille. –

Da tönt durch Baum und Blatt und rothe Blüthen,
Wie einer schönern Gotteswelt entflohn,
Wie Engelgruß durch dieses Thales Frieden
Sanct Zeno’s frommer Abendglockenton.




Es ist dunkel geworden. Ein weicher lauer Sommerabend wiegt Thal und Städtchen in seinen Armen. Auf Achselmannstein, stehen alle Fenster offen. Kühle Abendluft zieht hinein. Man sitzt auf dem Balkon, auf den Bänken vor dem Hause. Das leise Rieseln der Gradirhäuser tönt durch die Stille des Abends herüber. Im Lesezimmer haben sich einige Zeitungstiger der Journale bemächtigt. Sie sitzen schon mehrere Stunden unbeweglich. Vergebens blühte draußen der himmlische Abend ab. Die Raisonnements der Augsburger Allgemeinen, die unerquickliche Kleinstaaterei des Dresdner Journals ist ihnen lieber, als ein Verglühn der Alpensonne. Man lasse sie. Im freundlich erhellten Speisesaal ist heitere Gesellschaft. Ein paar Tyroler singen zur Schlagcither.

Ich kehre nach dem Posthause zurück, wo Bekannte zu finden. Welch ein Anblick! Zur Rechten und Linken flammen goldene Feuer auf den Bergen. Sie rühren von Besuchern her, die sich trotz der Tageshitze nicht abschrecken ließen, die fünftausend Fuß hohen Höhen zu ersteigen.

Auf der Postrestauration ist noch viel Leben. Neue Fremde sind angekommen, die sich’s nach den Strapazen auf dem Theisendorfer Wege an der wohl versorgten Tafel bestens schmecken lassen. Bekannte erheben winkend das Töpfchen und rücken platzmachend zu. Sie sind auch nicht lange erst heim von den unterschiedlichen Tagespartieen und können nicht genug erzählen von der erschauten Pracht und Herrlichkeit. Freund A. ist ganz entzückt von einer prächtigen Abendfahrt auf dem felsumthürmten Thumsee, wo ihn der gastliche Besitzer eine ganze Stunde hat herumfahren lassen. Auf dem Hinauswege ist er bei dem Kaitl, auf dem Heimwege bei dem Moserwirthe eingekehrt. Freund M. spricht begeistert von der Schwarzberg-Klamm bei Unken, jenem tiefernsten Gebirgswunder, jener schauerlich erhabnen Alpenpartie, wie in ganz Oberbaiern, Salzburg und Tyrol keine zweite zu finden. Ein Dritter hat den Standpunkt der Sonne so glücklich getroffen, daß er die brausenden Cascaden der Wimbach-Klamm von sechs Regenbogen umblüht gesehen. Ein Vierter erzählt mit reichem Humor von fünf Crinolinendamen, die, vom Gewitter überrascht, auf dem Heuboden der kleinen Zwieselalphütte zu übernachten gezwungen gewesen.

Unter solch interessantem und unterhaltendem Gespräch ist das Töpfchen alle, ehe man sich’s versieht, und ein Abendstündchen nach dem andern fliegt rasch vorüber.

Da entsinnt man sich, daß heute eine neue Badeliste erschienen. Walli bringt sie. Welche Freude! Die liebenswürdige Familie D. aus der Heimath ist angekommen. Welch angenehme Aussicht für die nächsten Tage!

Ein Reichenhaller Stammgast am obern Ende der langen Tafel zankt mit dem Kellner, daß er ihm bereits das dritte Strafseidl gebracht. Der untere Theil der Tafelrunde, wozu wir zu gehören das Glück haben, und wo Walli die Durststillung übernommen, ist glücklicher gewesen. Durchweg das frischeste Bier. O du gemüthliche Abendkneiperei im Posthause zu Reichenhall!

Da tönt draußen im Städtchen in langgezogenen Tönen und zur Ruhe mahnend die schöne bairische Jägerretraite des hier garnisonirenden Grenzcommando’s. Man bricht auf, sich die Hand zur guten Nacht reichend. Gute Nacht, Walli!

Draußen ist indeß der prachtvollste Sternenhimmel aufgeblüht. Hoch oben, dem Zenith nah, die freundliche Wega in der Lyra Mitte; weiter gen Westen der feurige Arctur, der Bärenführer, durch den vor zwei Jahren der Komet ging. Dort immer höher steigend der Schwan, und über den Nordalpen die Cynosura, der unveränderliche Polarstern. In den Straßen ist es still geworden; nur aus den Bräu’s vernimmt man vorbeigehend noch gedämpfte Stimmen und Gläserklang.

Man gelangt an das Salzburger Thor. Da kommt es durch die Dunkelheit getrabt. Vierbeinig. Es sind die Esel des wackern Reischl, gegenwärtig Parapluiemacher, ehedem tüchtiger „Gamsjaga“. Die beiden Langohren haben Badegäste nach dem hohen Oststauffen getragen und kehren jetzt von ihrer mühevollen Tagfahrt heim. Wie galoppiren sie trotzdem behende durch das geöffnete Thor, der ersehnten Ruhestätte zu! Herr Reischl ist zugleich beliebter Chambregarnier für zahlreiche Badegäste.

Die Feuer auf den Bergen sind erloschen. In unbestimmten Umrissen wälzen sich die dunkeln Massen der Bergriesen zum Nachthimmel.

Ich trete in mein traulich Stüblein. Die verlebten schönen Stunden ziehen wie eine freundliche Fata Morgana nochmals durch die Erinnerung. Wieder eine Rose mehr eingewunden in die oft dornenvolle Guirlande des Lebens.

Das Licht erlischt. Ich werfe noch einen letzten Blick hinüber nach dem Untersberge. Hu, wie finster, zaubergewaltig schaut er daher!

Um seinen Hochthron flattern noch die Raben –
Der Kaiser träumt – der dunkle Zauber bleibt,
Bis daß die Zeit, wo auf dem Walserfelde
Der Birnenbaum der Freiheit Blüthen treibt!

Das ist ein Sommersonntag im Alpenstädtchen Reichenhall!



[379]
Die zoologischen Gärten.
Von Professor H. E. Richter in Dresden.
(Schluß.)

In Dresden wurde der Plan zu einem Thiergarten zuerst von dem dasigen „Verein für Hühnerzucht“ gefaßt, welcher 1859 in einem dazu ermietheten Garten der Ostra-Allee eine Anzahl in- und ausländischer Thiere ausstellte. So geringfügig dieser Anfang auch war, so hat er doch in der kurzen Frist von sieben Sommermonaten seines Bestehens die bedeutende Zahl von 21462 Besuchern aus allen Ständen angelockt, und bei einem geringfügigen Eintrittsgeld (von zwei, resp. einem Silbergroschen) das darauf verwendete Capital mit 171/2 Procent verzinst. Dadurch wurde man ermuthigt, einen zoologischen Garten in größerem Maßstabe nach den oben beschriebenen Vorbildern zu begründen.

Hierzu bot sich ein Platz dar, wie er nicht günstiger gewünscht werden kann. Die städtischen Behörden zu Dresden haben nämlich begonnen (s. beil. Plan), den von der sogen. Bürgerwiese am Dohnaischen Schlag südostwärts nach dem großen Garten hin sich erstreckenden Wiesengrund (bei den Botanikern als „Orobanchen-Wiese“ weitbekannt) nach den Entwürfen des berühmten Berliner General-Gartendirectors Lenné in eine Parkanlage zu verwandeln, welche auf ihrer Westseite bis zu dem böhmischen Bahnhofe hin von einem neuzuerbauenden eleganten Stadttheil (Fortsetzung des sogen, „englischen Viertels“) eingefaßt werden soll. Da, wo dieser städtische Wiesengrund aufhört, erstrecken sich noch einige im Privatbesitz befindliche Felder bis zu dem „großen Garten“, längs des an einem Damm sich hinschlängelnden „Kaitz-Baches“. Diese Felder wird der vorläufig durch Zeichnung von 50,000 Thalern begründete „Verein für den zoologischen Garten“ ankaufen und für die sonnigen, freiliegenden Anlagen benutzen. Den schattigen Theil liefert der „große Garten“ selbst, indem dasjenige dreiseitige Stück desselben, welches westlich von dem Kaitz-Bach liegt, durch das Königlich Sächsische Finanzministerium für besagten Zweck bewilligt worden ist. Der Bach wird das nöthige Wasser für die Teiche der Wasservögel, die Badebassins der Dickhäuter, die Tränkung der übrigen Thiere etc. liefern und sich dann in den städtischen Parkanlagen, neugefaßt, weiterschlängeln.

Die geneigten Leser der „Gartenlaube“, von denen sicher mindestens die Hälfte schon in Dresden war und die besagten Oertlichkeiten kennt, ersehen aus dieser Beschreibung und der beigegebenen Abbildung, daß diese beiden von Lenné entworfenen zusammenhängenden Projecte der sächsischen Haupt- und Residenzstadt eine Zierde bereiten werden, um welche sie bisher ihre Schwesterstadt Leipzig zu beneiden hatte: nämlich einen bis unmittelbar in die Stadt hineinreichenden Park. Denn in ihrem Zusammenhang mit der Bürgerwiese und dem ehemaligen Jüdenteich reicht die Gartenanlage dann fast bis an die Stadtpromenade (beim Café français) herein und erstreckt sich andererseits bis an das Ende des großen Gartens. Seiten der Stadt sind die Anlagen schon zum Theil bepflanzt, zum Theil noch in Arbeit. Seiten des Vereins sind 80 Procent der 50,000 Thaler eingezahlt und werden nach jetzt ersetzter gesetzlicher Constituirung der Gesellschaft jedenfalls die übrigen 50,000 Thaler, welche man zur Vollendung des Ganzen veranschlagt hat, bald zusammenkommen. Unerwartet dessen aber wird man mit der Umzäunung und der Uebersiedelung der schon vorhandenen Thiere (des oben erwähnten kleinen Anfangs) sofort beginnen.

Jeder Actionair hat bei zwei Actien (zu 50 Thaler jede) den Vortheil, für sich und vier Familienglieder stets freien Eintritt zu genießen. Außerdem ist bei einer so besuchten Fremdenstadt wie Dresden (jährlich etwa 80,000 Einpassirte, ohne die polizeilich Ungemeldeten, z. B. bei Verwandten auf kurze Zeit Einsprechenden mitzuzählen) und bei der großen Anzahl der allhier lediglich zum Vergnügen oder zu Erziehungszwecken sich aufhaltenden wohlhabenden Personen ein sehr reichlicher Besuch sicher zu erwarten. Das Unternehmen wird sich decken, sich halten, vielleicht sogar ganz gut verzinsen. Letzteres hängt natürlich davon ab, wie man wirthschaftet. – Ueber die Ausführung im Einzelnen wird die „Gartenlaube“ vielleicht später, hoffentlich bald und recht erfreulich, zu berichten haben!

Wir kommen nun zu der Frage: „Was bezwecken und nützen denn eigentlich diese zoologischen Gärten? Wie kommt es, daß eine Stadt die andere mit dieser Liebhaberei ansteckt?“

Zunächst hatten wohl vorzugsweise die Gelehrten das begründete Verlangen, die Naturgeschichte der Thiere lieber an lebendigen Geschöpfen, als an ausgestopften (denen ja das Wesen des Thieres, die Anima fehlt) oder gar an Abbildungen zu studiren. Mit der neuerdings um sich greifenden Popularisirung der Naturwissenschaft mußte sich auch dieses Bedürfniß einer lebendigen Anschauung verbreiten, insbesondere wo auf Schulen, Real- und gelehrten Gymnasien, Kunst- und Wissenschafts-Akademien der naturwissenschaftliche Unterricht immer umfassender und tiefergehend, immer mehr von Sachverständigen (nicht vom ersten besten Classenlehrer) vorgetragen und so immer mehr des Selbstsehens bedürftig wurde.

So ist es denn auch bei mehreren zoologischen Gärten schon Gesetz, daß unter gewissen Beschränkungen die Zöglinge der Kunstakademien, der ärztlichen oder polytechnischen Schulen etc. freien Zutritt haben. Wie dies z. B. auf die bildenden Künste wirken muß, darüber belehrte mich eine Beobachtung im Berliner Thiergarten schon vor sieben Jahren. Ein junger Künstler saß emsig vor dem Affenhaus und modellirte einen Pavian in seiner charakteristischen Sitzweise trefflich. Gewiß ist dieses Modell in eine jener Fabriken gelangt, welche jetzt solche Thierfiguren, auf’s Lebendigste nachgebildet, für wenige Groschen in Gußeisen, Zink oder Bronze verkaufen. Bald wird vielleicht auch die Zeichen- und Malerkunst nur solche Thiere darstellen, welche wirklich existiren. Dann wird aus den Bilderbüchern, wie aus gewissen Oelgemälden sogar das weitverbreitete „Nürnberger Mähschäfchen“ verschwinden, welches lediglich den hölzernen Modellen der Kinderspielzeug-Schachteln entnommen wird und niemals lebend in der Natur gesehen worden ist!

Ein solcher Einfluß der lebendigen Selbstanschauung wird mit der Zeit auch wohl noch anderen Künsten und Wissenschaften zu Nutzen kommen; z. B. der Alterthumskunde, Geschichte, Erdbeschreibung, Waarenkunde etc. Denn in unserer Zeit hängen alle Wissenschaften und Künste innig zusammen. Den Medicinern haben schon die bisherigen zoologischen Gärten kostbare Gelegenheiten geboten, theils Menschenkrankheiten an Thieren (z. B. Tuberkel, Krebs, Rückendarre), theils neue Thierkrankheiten (z. B. die ansteckenden Schimmel- und Milbenräuden der Hühner) zu studiren.

Ein anderer Nutzen, den die zoologischen Gärten schon jetzt auszuüben beginnen, ist der, die Zahl der akklimatisirten Hausthiere zu vermehren. Die Zahl der bis jetzt vom Menschen zum Nutzen oder Vergnügen gezähmten und an sein Haus gewöhnten Thiere ist sehr gering im Verhältniß zur Zahl derer, welche sich körperlich und geistig ebenfalls dazu eignen würden, wenn man sich die Mühe gäbe, ihre Eigenthümlichkeiten zu studiren und ihre Lebensweise der unsrigen anzupassen. In Deutschland z. B. zählt Dr. Weinland (in oben erwähnter Zeitschrift) als Hausthierarten höchstens nur zehn Arten von Säugethieren, zwölf bis fünfzehn von Vögeln, eine von Fischen, zwei von Insecten; von Reptilien, Weich- und Strahlthieren kein Einziges!

Zu obigen Hausthieren aber gehören außerdem noch eine Menge Abarten, die sich in anderen Ländern nutzbar oder sonst beachtenswerth machen, aber bei uns noch ganz fehlen. – Allerdings bestehen für diesen Zweck der Akklimatisation und Züchtung besondere Vereine (über welche obige Zeitschrift ebenfalls fortlaufend Aufschlüsse und Berichte mittheilt). Aber es ist doch offenbar, daß die zoologischen Gärten denselben unaufhörlich vorarbeiten, theils indem sie stets selbst neue Arten und Abarten aufnehmen, an das Klima gewöhnen und deren Lebensweise und Gemüthsneigungen studiren, theils indem sie alljährlich durch Verkaufen und Versteigern solche Arten in das größere Publicum bringen und somit dieses selbst immermehr an dem Zweck der Akklimatisation betheiligen (was zuerst die Hühnerzucht-Vereine im Großen gethan haben).

Doch alles bisher Erwähnte sind nur untergeordnete Motive, So will ich auch nicht weiter in Betracht ziehen, daß die zoologischen Gärten unter Umständen eine ganz gute Finanzspeculation darstellen und recht artige Zinsen abwerfen (z. B. der Frankfurter in einem Jahre 15 Procent, der Dresdner in sieben Sommermonaten

[380]

Der projectirte zoologische Garten in Dresden.

17½ Procent): – ein Resultat, welches man schon vermuthen konnte, in Betracht, daß die bisherigen herumziehenden Menagerien, trotz der ungeheuren Kosten des Herumreisens, des Thierbuden-Aufbaues etc., immer ihren Mann ernährt und oft kostbare Thiere angekauft haben. Aber es ist kaum glaublich, daß dieses Motiv, Geld zu gewinnen, bei den Begründern der zoologischen Gärten irgend vorgewaltet habe.

Also „was wollen denn die Leute damit?“ Ich glaube, der Grund liegt in einer tiefgehenden Geistesströmung unserer Zeit, über welche mancher Einzelne sich vielleicht selbst nicht klar ist. Dieselbe offenbart sich in dem Zudrang, welchen jetzt auch die naturwissenschaftlichen Vorträge, die Museen, die Kunstgärten und Pflanzenausstellungen allenthalben und unter den verschiedensten Classen finden. Dieselbe offenbart sich in der zunehmenden Bevorzugung des realistischen und naturwissenschaftlichen Lesestoffs in der Volksliteratur (die „Gartenlaube“ nicht ausgeschlossen). Dies ist nicht ein bloßer Drang der Neugierde oder eine (etwa durch Humboldt’s „Kosmos“ angeregte) Zeitmode. Es ist ein Gemüthsdrang, ein Ruf des Herzens, der die Leute heutzutage zur Naturanschauung treibt. Sie fühlen das Bedürfniß, mit eigenen Sinnen so viel als möglich von der Schöpfung zu erkennen und aus eigener Wahrnehmung die Naturgesetze zu begreifen. Man studirt heutzutage die Herrlichkeit des Schöpfers unmittelbar an der unendlichen Zahl und vielfältigen Pracht seiner Geschöpfe, an der wunderbaren Einfachheit seiner Naturgesetze (z. B. Gravitation, Wellengesetze, Unzerstörbarkeit von Stoff und Kraft), an der kolossalen Unermeßlichkeit des Weltgebäudes selbst. Damit fällt allerdings der alte Himmel, welcher zeltförmig die als eine Scheibe gedachte Erdfläche überwölbte, sammt seinen Bewohnern und ihren (oft sehr orientalischen) Hofsitten hinweg. Oder vielmehr, er ist schon vernichtet, und die Mehrzahl der Leute tappt nach einem neuen Glaubensfundament umher, das mit den unumstößlichen Thatsachen der neuern Naturwissenschaft besser in Uebereinstimmung gebracht werden könne und welches doch gleichzeitig das jeder Menschenbrust eingeborene und von der Vernunft dringend geforderte Sittengesetz erhalten, veredeln, befestigen soll.

[381] In dieser letzteren Richtung nun ist die Anschauung der lebenden Natur jedem Denkenden wichtiger, als die starren mathematischen Wahrheiten der Astronomie, Physik, Stöchio-Chemie. Nach der alten Schule waren die Thiere vernunftlose Dinge, rein mechanisch handelnde Wesen; sie zerfielen (wie die Menschen und sogar die Geister) in gute und böse. Die neuere Weltanschauung lehrt aus den Thatsachen, daß jedes Erschaffene gut an seinem Platze ist: daß der häßliche Aasgeier, die gefräßige Hyäne und der unersättliche Haifisch ebenso nützlich, ebenso berechtigt im Haushalt der Natur sind, wie die sanfte Taube, das fromme Lamm und der fette Karpfen. Die neuere Naturwissenschaft lehrt uns in allen Thieren bis dahinab, wo sogar die Nerven fehlen, noch ein geistiges Leben finden, dessen Richtungen und Aeußerungen immer der sonstigen Bestimmung und Einrichtung einer jeden Thierart, in individueller und socialer Hinsicht, auf’s Vollkommenste entsprechen. Also seelisches Leben und Sittengesetze durch alle Thierclassen hindurch! Keine Seelenäußerung im Menschen, die nicht, wie die körperlichen Structuren desselben, in irgend einer Thierclasse schon ihr Vorbild hätte! Also das ganze gesammte Thierreich gleichsam eine in zahllose Einzelheiten auseinandergelegte Psychologie, wie es die vergleichende Anatomie längst hinsichtlich der Körper kundgethan hat. So kommt es denn, daß wir in Beobachtung des Lebens und Treibens der Thiere recht eigentlich in einen Spiegel unseres eigenen geistigen Wesens blicken; in den Thiersitten ein Bild der Menschensitten, in den Thierstaaten ein Vorbild menschlicher Staatseinrichtungen. Wir spiegeln uns in den Thieren und lernen von ihnen.

Für diese psychologischen Beobachtungen nun, so wie für die sinnlicheren (Form, Farbe, Kleidung, Bewegung), für das wirklich wissenschaftliche Begreifen der Thierwelt bieten offenbar die zoologischen Gärten eine weit vorzüglichere Gelegenheit dar, als die bisher üblichen Menagerien oder Excursionen. Dort wird jede Thierart auf eine solche Weise untergebracht und gehegt, welche am besten ihren Gewohnheiten und Eigenthümlichkeiten entspricht. Sie sind wie zu Hause. In der Menagerie dagegen sind sie eben Zellengefangene. Wird Jemand die Menschennatur an den Zellenbewohnern [382] zu Moabit studiren? Die Unnatur leuchtet von selbst ein, ohne der rohen Behandlungsweise und der meist noch roheren Explicationen der Thierhüter zu gedenken. Auf den Excursionen gehen die Buben in Wald und Wiese herum, und fangen oder tödten eine Anzahl Schmetterlinge, Käfer und andere Geschöpfe, um sie wenig Tage darauf zu vergessen und zu Grunde gehen zu lassen. – Jetzt sieht man die Knaben stundenlang an den Behältern der verschiedenen Thierclassen stehen, deren Treiben anzusehen und deren Formen zu unterscheiden. Soll das nicht ein besseres Bildungsmittel sein? Und wird nicht, wenn Jahrzehnte lang ein solches Bildungsmittel auf die heranwachsenden Geschlechter aus allen Ständen gewirkt hat, unter Mitwirkung anderer Bildungselemente, wie sich von selbst versteht, das Volk langsam, aber nachhaltig versittlichter und einsichtsreifer werden? Muß es nicht die Toleranz (in religiösen, staatlichen und geselligen Dingen) entschieden fördern, wenn sich Jeder mit eigenen Augen überzeugt, daß der Schöpfer einem jeden Thiere seine eigenthümliche Art und Weise verliehen, Jedem seine besondere Pflicht und Sitte angewiesen hat? Muß es nicht Jedem Billigkeit für und Rücksichtnahme auf fremde Eigenthümlichkeit einprägen, wenn er sieht, wie in der Natur jedes Geschöpf auf eine andere Art, und doch den thatsächlichen Verhältnissen ganz entsprechend seine Lebenszwecke verfolgt? – Die meisten Thiere entfalten in allen denjenigen Dingen, welche in den Kreis ihres Berufes und Nutzens hineinfallen, eine unverkennbare Klugheit, Umsicht, Aufmerksamkeit, sogar Kunstfertigkeit und Ausdauer; sie lehren uns somit die Grundbedingungen zur verständigen Durchführung unserer eigenen Lebenszwecke. Eine Spinne war es, welche durch das Beispiel ihrer Ausdauer den König Bruce von Schottland vermochte, das sechs Mal verunglückte Unternehmen der Befreiung seines Vaterlandes zum siebenten Mal, und mit Glück, wieder aufzunehmen. (Walter Scott, Erzähl, eines Großvaters, Cap. 6.)

„Ach was!“ wird man hier einwenden, „solche tiefe, gemüthliche und sittliche Beweggründe führen den kleinsten Theil der Beschauer in Eure Thiergärten! Die Mehrzahl geht dahin, wie an andere Vergnügungsorte: zur Erholung, zur Zerstreuung, um etwas Neues zu sehen, um an einem anständigen Orte mit den Seinigen im Freien zu spazieren, Bekannte zu sprechen, Putz zu entfalten, zu kokettiren, oder um seine Kinder in einem gutbewachten Garten mit den Thieren zu unterhalten, damit sie nicht draußen im Feld und Wald zu Schaden kommen oder mit schlechter Gassenbrut Bekanntschaft machen!“ Das Alles kann man zugeben, ohne obigen Behauptungen im Geringsten Eintrag zu thun. Denn gilt nicht dasselbe von allen öffentlichen Concerten, ohne deshalb den principiellen Werth der Musik als Culturmittel irgend zu schmälern? Gilt nicht Aehnliches sogar von den meisten öffentlichen Festen politischer oder kirchlicher Natur, denen doch gewiß Niemand eine tiefeingreifende Wirkung auf das Volk, selbst auf die gedankenlos Mitmachenden, abstreiten wird? – Der Geist packt die Leute eben wider ihr Wissen und Wollen.

Wenn über diese grundsätzliche (principielle) Bedeutung der zoologischen Gärten irgend ein Zweifel sein könnte: so würde er sich dadurch erledigen, daß sie sofort Gegner gefunden haben, und was für welche! Denn wer waren diese, welche z. B. den projectirten Dresdner zoologischen Garten schon vor der Entstehung in meistens anonymen Zeitungsartikeln voll Erbitterung angriffen? Soweit bekannt, solche Leute, welche ein Interesse daran haben, daß das Volk roh und unwissend, eine jeder vernünftigen Freiheit unwürdige Heerde bleibe. Ihnen ist instinctmäßig Alles zuwider, was dem Volke Bildung und Intelligenz zuführt; denn ein davon durchdrungenes Volk läßt sich nicht unterdrücken oder ausbeuten.

Und wer sind die Begründer der neueren zoologischen Gärten gewesen? Neben einigen wenigen aufgeklärten hochstehenden Personen fast ausschließlich der Mittelstand und zwar in zwei Schattirungen: nämlich wenige Reiche mit großen Actienzeichnungen und sehr zahlreiche kleine Leute mit den geringst möglichen Sümmchen. So bei der Dresdner Gesellschaft, so auch (so weit wir es erfahren konnten) bei den übrigen neuerlich gegründeten Thiergärten. Das Volk hat die Sache entschieden!




Eine Gesandtschaft und ihre Folgen.[3]
Bild aus alter Zeit für die neue.
Von Arnold Schloenbach.

Es war in Besançon am Hofe Karls des Kühnen von Burgund im Frühling des Jahres 1476. Hell strahlt der prachtvollste Thronsaal seiner Zeit; in langen Reihen stehen die Helden und Freunde, die Großen und Würdenträger des gewaltigen Burgunders, harrend seines Eintritts, harrend der Schweizer Gesandtschaft, die Karl hier empfangen will. Nun tritt er auf, der schönste und prächtigste Mann seines Reiches, in eitel blanken Stahl gehüllt und darüber der Pelz eines riesigen, von ihm selbst erwürgten Bären geworfen. An seiner Seite der ebenso tapfere als weise Graf Crevecour, sein vertrautester Freund, der Einzige, der ihm widersprechen durfte, den sein Zorn nicht erschreckte, seine Liebe nicht stolz machte. – Um Karls Lippen spielte ein trotzig höhnisches Lächeln, als er rief: „Laßt die Bauern vortreten, die sogenannte Gesandtschaft. Ich höre, sie tragen fürchterliche Knittel bei sich.“ Er lachte laut auf.

Sein Lachen wurde von Crevecours ernsten Worten unterbrochen: „Sie tragen die Knittel, um damit die Wölfe und wilden Hunde todtzuschlagen, die ihnen unterwegs begegnen. – Glaubt mir, Herzog! es sind Männer. Sie sind, wie die weltbezwingenden Heerführer der Römer, hinter dem Pfluge her weggeholt von ihrem Volke. – Herr! Noch einmal erfülle ich meine Pflicht und bitte: Nehmt, was die Schweiz Euch bietet! Ihr kennt diese Kräfte nicht, wenn sie geweckt werden; sie sind furchtbar!“

Da klirrten die Sporen Karls in heftigem Fußstoß durch den Saal, seine Augen blitzten und seine Stimme erbrauste: „Ich will sie kennen lernen, diese Kräfte! Und je furchtbarer – desto willkommener! Karl von Burgund soll solchen Bauern weichen? – Die niederländischen Städte, wie zittern sie unter meinem Fuß! Lothringen beugt sein Knie, das stolze Lüttich, das mächtige Gent. Sie alle waren mächtiger als die Schweiz. Die Schweiz soll mein sein! Ich will in der Schweiz die Schlüssel zu Deutschland haben!“

Noch waren diese Worte nicht verhallt, als die Gesandtschaft eintrat; an ihrer Spitze Adrian von Bubenberg, General-Feldhauptmann der Schweiz. Hoch ragte sein glänzend weißgelocktes Haupt über seine Umgebung empor; einfach und würdevoll, schlicht und fest, bescheiden und kühn, so trat er auf, so verbeugte er sich, so trat er jetzt näher dem finstern Burgunder.

„Ihr wollt um Gnade flehen!“ zürnte derselbe ihm entgegen, mit verächtlichem Trotz um die emporgeworfenen Lippen.

„Nein, das hat die Schweiz noch nie gethan,“ antwortete Bubenberg ruhig und bestimmt.

[383] „Was wollt Ihr denn? Sprecht! Aber besinnt Euch, ehe Ihr sprecht. Ihr sollt heißblütige Leute sein; aber glaubt mir, ich bin’s noch mehr.“

Bubenberg beugte leise sein Haupt, deutete mit der Hand auf das weiße Haar und sprach: „Der Schnee auf meinem Haupte kühlt.“

Karl empfand die erste Regung einer gewissen Achtung vor der bescheidenen Würde dieses „Bauern“; doch warf er sie wieder stolz zurück und herrschte den Greis an: „Aber was wollt Ihr sonst, wenn keine Gnade?“

„Wir wollen Euch Frieden bieten, Herr Herzog!“ „Frieden bieten!“ hallte es nach aus dem Munde der übrigen Schweizer, so hallte es laut und voll durch den Saal und durch die eingetretene tiefe Stille.

„Frieden?“ murmelte Karl, als ob er überlege; dann aber fuhr er wieder auf: „Ihr – dem Karl von Burgund! Bei Gott! Das ist verdammt lustig! Wer seid Ihr denn eigentlich, Ihr Schweizer in Euren Bergen? Schaum im Kessel, der in die Höhe steigt; höchstens Kettenhunde, die sich losgerissen!“

Durch Bubenberg’s ruhiges Wesen zuckte es einen Moment lang zornig hin; dann stand er wieder einfach würdig da und so sprach er auch: „Herr Herzog! Ihr kennt unsere Geschichte nicht, sonst würdet Ihr so nicht reden. Lange Zeit wohl waren die Schweizer den andern Völkern, was die armen Ziegen an steilen Abhängen den großen fetten Heerden auf guter Weide sind. Aber die Geschichte hat sie eines Bessern belehrt: keine Macht hat jemals die Schweiz auf die Dauer unterdrücken können.“

Karl hatte mit einigem Interesse zugehört; bei den letzten Worten aber sprang er trotzig auf und rief: „Das sprach Euer böser Genius! Jetzt darf ich nicht Frieden geben, denn was keiner Macht gelungen, muß mir gelingen.“

Bubenberg näherte sich dem Stolzen um einen Schritt, und eine rührende Macht der Ruhe und Weisheit klang durch seine Worte: „Seid nicht so stolz, Herr Herzog! Ihr habt der Lorbeeren ja genug; warum wollt Ihr mehr? Ihr seid ein Mensch, Herr Herzog! seid auch dem Schicksal unterthan.“

„Ich stehe über dem Schicksal.“

„So lange Gott will! – Laßt uns in Ruhe. Was findet Ihr bei uns, das Euren Glanz und Reichthum vermehren könnte? An den Sporen Eurer Reiter ist mehr Silber, als die ganze Schweiz besitzt.“

„Ach was! Ich will kein Silber und Gold; ich will Brüderschaft trinken mit Euren Alpen!“

Da fuhr es leuchtend über das Gesicht des Greises, höher hob sich sein ganzes Wesen und feierlich ernst klangen seine Worte durch den Saal: „Brüderschaft trinken? – – doch nur in Blut! – O glaubt doch nicht, so leicht uns zu besiegen! Hart wie unser Felsen ist unser Sinn; stark wie unsere Berge unser Arm, muthig wie unsere schäumend niederstürzenden Ströme unsere Brust. Näher den Wolken und Winden, haben wir diesen ihre Listen abgelauscht, und dann vor Allem, Herr Herzog: Eure Völker kämpfen für Sold, wir für unsere Freiheit.“ Er schwieg, trat bescheiden zurück und hielt den großen Blick fest gebannt auf den kalt und stolz dastehenden Helden.

„Ihr seid ein Schwärmer!“ sprach derselbe nach kurzer Pause. – „Meinen Völkern ist ihr Fürst, was Euch die Freiheit, und wo je die Welt bewegt wurde, da that’s der Einzelne, nicht die Masse; waren ihre Fäuste auch noch stärker, als die Eurigen.“

„Die Stunde ist ernst, Herr Herzog! Laßt den Spott weg; thut das Eis von Euren Lippen und seid so gut und weise, als Ihr kühn und mächtig seid.“ Wieder trat er einen Schritt vor, aber ein leises Beben durchflog seine Gestalt, und seine Stimme zitterte, als er fortfuhr: „Ihr seid stolz, Herr Herzog! Ich will dem Stolze schmeicheln. Noch nie habe ich meine Knie gebogen; nur vor Gott! Jetzt will ich’s thun vor Euch; nicht meinetwegen, nur für mein Land, und das wird mir’s verzeihen. Ich will die alten widerspenstigen Knochen zum Gehorsam zwingen und zu Euren Füßen Euch Frieden anbieten!“

Schon wollte er sich niederbeugen, aber noch kämpfte er, während Karl hart ihm gegenüber stand, während die Ritter und Großen in einem Gemisch von Stolz, Rührung und Erstaunen ihn anschauten, Crevecour seine ernsten, bittenden Blicke zum Herzog wandte und Bubenberg’s Genossen hinzuspringen wollten, daß er nicht knieen solle. Ein Wink ihres Feldherrn bannte sie fest, und eben wollte der Greis die hohe Gestalt zum Knieen beugen, da löste Karl seinen Bärenpelz ab, warf ihn zu den Füßen des Schweizers und rief: „Da! Ich will’s Euch leichter machen!“

Bubenberg richtete sich wieder empor und sah den stolzen Burgunder mit heißen Blicken an; dann aber faßte er aufs Neue allen Muth der Demuth zusammen und nur noch mit leisem Zucken und Zögern sank er schon halb aufs Knie, als Karl mit hellem Hohne ihm zurief: „Seid doch nicht bange, die Bärenhaut beißt ja nicht!“

Diese Worte entschieden über Karl und die Schweiz. Sie schnellten Bubenberg zu gewaltigem Zorne in die Höhe und brausend ertönte sein Wort: „Ich möchte lieber auf dem lebendigen Bären knieen, als jemals vor Euch, Herr Herzog! Wer die Freiheit so verhöhnen kann, ist ihrer Demuth nicht werth. – Karl, Herzog von Burgund: die Schweiz nimmt Deinen Fehdehandschuh auf und beut Dir Krieg! – Männer des Landes! ruft aus mit mir: Krieg mit Burgund!“ Und „Krieg, Krieg mit Burgund!“ erscholl es dröhnend noch einmal, dann wandten sich die Schweizer und schritten ruhig zum Saale hinaus.

„Gebt ihnen ritterlich Geleit, nach allen Ehren des Krieges: es sind doch Männer!“ sprach Karl; dann zog er sein Schwert und rief in brausendem Jubel: „Krieg mit der Schweiz! Wohlauf nach den Alpen!“

Das war im Frühling des Jahres 1476.

Bald klopfte der Burgunder mit erzener Faust an die Thore der Schweiz; furchtbare Gewitter zogen gegen dieselbe heran; soviel Wolken und Blitze, als burgundische Schilder und Schwerter. Genf wird überfallen und sechzig seiner freien Bürger werden gerichtet. Yverdun und Granson gehen in Flammen auf; ihre Besatzung wird geschleift und ertränkt. – Da wurden auf den Alpen aufgepflanzt des Krieges Feuerfahnen, daß ihr Rauschen durch alle Körper und Seelen zuckte! Da erscholl es wie ein Orkan aus dem Munde Aller hin durch die Gaue: „Heil dem Vaterlande und seiner ewigen Freiheit! –“

Bei Granson hatte der kühne Karl eine gewaltige Stellung eingenommen; in Vauxmarcus war sein stark befestigtes Hauptlager. – Karl stand auf einer Anhöhe, mit Adlerblicken Alles überschauend, doch in fürchterlicher Erregung die Feinde erwartend, Ordonnanzen im Hintergrunde, zur Seite der treu bewährte Crevecour, Ruhe zusprechend, wo Karl unbesonnen losstürmen wollte. Noch wußte Karl nicht, wie die Schweizer sich stellen würden; doch jetzt – ha, wie flammte es da in ihm auf! die Schweizer rückten langsam, doch sicher, gerade auf sein Hauptquartier, auf Vauxmarcus zu.

„Mein Blut ras’t auf! Die Frechheit muß ich züchtigen, auf der Stelle!“ rief Karl aus und wollte die Anhöhe hinabjagen. Crevecour aber trat ihm in den Weg und meinte:

„Dämpft das heiße Blut, Herr Herzog! Der Tag muß uns kalt finden, wenn wir’s am Abend nicht sein sollen. Wir sind unbesiegbar in dieser ungeheuren Stellung; aus ihr heraus – wer weiß!“

Karl stieß das Schwert in die Scheide zurück und knirschte einen Fluch, während Crevecour fortfuhr: „Sie sind klug, diese Schweizer; sie rechnen auf Euer heißes Blut; sie wollen Euch nur reizen mit diesem Anrücken auf unser Centrum, sonst wäre es Wahnsinn. Ihr sollt heraus aus Eurer Stellung, das ist’s was sie wollen, darum bleibt.“

„Gut,“ sprach Karl ruhig, „doch gehen sie auch nur einen Schritt weit dort über die Karthause bei Granson: Graf, ich gebe Dir mein Ritterwort, dann falle ich über sie her, wie ein Wolf über die Hürde!“ Nun stand er wieder ruhig und gewaltig da; nun blickte sein Adlerauge wieder klar hinaus, während er den ab- und zueilenden Ordonnanzen seine Befehle ertheilte: „Der Oranier soll sich mehr zu den Savoyern und Italienern halten und sie in’s Centrum führen. Sie sind meine Granitmauern. – Der Bastard von Burgund soll den Campebasso im Vortrupp ablösen, und Johannes von Cleve soll zum Nachtrupp.“

Auf einmal stutzte der Herzog, schaute schärfer hinaus, – weiß schimmerte es her von ferne, als sei ein riesiges Leinentuch ausgespannt, seine Wellen schlagend im Wehen des Morgenwindes; der Herzog wandte sich halb hin zu Crevecour: „Aber was schimmert denn da? Teufel! Ich glaube gar, sie kommen in Hemdärmeln, wie zum Kornschneiden!“

[384] „Gebe Gott, daß sie es nicht in unseren Reihen thun!“ antwortete Crevecour und schaute ernst hinaus.

Und wirklich, sie kamen in Hemdärmeln heran, die Schweizer Kampfer, aber mit eisernem Schritt und todesstill; es hatte etwas Geisterartiges, dieses Vorwärtsschreiten. Die zwischen Concise und Corcelles aufgepflanzten Feldschlangen und Karthaunen bekamen Befehl zum Feuern. In demselben Augenblick knieten die Schweizer nieder, nicht um Gnade zu flehen, wie Karl glaubte, sondern zum Gebet; da flogen die Ladungen der Geschosse über ihre Häupter weg, und nun sprangen sie auf, und wie sturmgepeitschter Hagelschauer voran und voran. Graf Rosimbez rannte ihnen den römischen Schlachtkeil vor; aber vorwärts, vorwärts ging es, wie ein furchtbar unerbittliches Naturgesetz. Da auf einmal tönte es von fern her seltsam und schauerlich; es tönte den Burgundern wie tausend Sterbestimmen auf einmal. Das war das Horn von Uri!

Auf einem Schiffe in Gestalt eines Stierhorns waren vor Jahrhunderten die Männer Uri’s zur Schweiz gekommen, und seitdem gab ihr Horn das Signal zu ihren Schlachten und Gebeten. Manch’ österreichisches Banner hatte es schon in den Staub geblasen und auch hier sollte es rettend ertönen, denn der römische Schlachtkeil Karls hatte schon sich eingekeilt in die ersten Reihen der Schweizer; schon wollte der Herzog sein stets gewohntes: „Sieg! Sieg!“ ausrufen, da tönte das Horn noch lauter und fürchterlicher; da kamen erst die besten Schaaren heran, geführt von Tschudi, Halwyl, dem jungen Löwen Hans Waldmann und dem silberlockigen Bubenberg. Der schaute hinauf zum Lager Karls, als wolle er demselben den verhängnißvollen Bärenpelz vom Leibe reißen. Nun plötzlich Grabesstille, die Kämpfer umarmten sich, um desto ruhiger den Tod umarmen zu können, und nun erst begann die eigentliche Schlacht. Karl stürmte mitten hinein, immer da, wo sie am fürchterlichsten entbrannte.

„Ich stehe über dem Schicksal!“ hatte er damals der Schweizer Gesandtschaft frevelnd zugerufen; jetzt warf ihn das Schicksal in den Staub! Jetzt jagte es ihn, mit glühenden Wunden an Haupt und Brust, wild in die Flucht! Der ungeheuere Tag von Granson neigte sich zu Ende. Seine Schlacht war geschlagen zur Rettung der Schweiz! Wie einst die Römer oft urplötzlich erfaßt waren von dämonisch vernichtendem Entsetzen, wenn die Germanen gegen sie heranrückten, so war es den burgundischen Schaaren ergangen gegenüber den Schweizern. Es war der ewige Geist germanischer Freiheit, der für sie gekämpft hatte!

Auf kreuzweis gelegten Schwertern und Lanzen wurden über das Siegesfeld die kostbaren Schätze getragen, die Karl in jeder Schlacht bei sich führte: goldene und silberne Gefäße aller Art, Teppiche und Tücher der kostbarsten Stoffe, vor Allem des Burgunders goldener Thronsessel mit dem Herzogshut und dem Herzogsstabe. – Wie in den Herzen, so in den Kirchenbüchern wurde der Tag bei Granson feierlich eingetragen.

Sollen wir weiter erzählen von den Schlachten bei Murten und Nancy? Noch zweimal führte der kühne Herzog seine Schaaren gegen die Schweiz, und zweimal noch wurde er von den „Bauern“ in die Flucht geschlagen, bis ihn sein Schicksal erreichte und er als Leiche auf dem Boden lag, den er als sein Eigenthum zu erobern gekommen. Kriegskunst, Waffenreichthum und Ueberlegenheit an Kriegsschaaren und Geschützen – sie gingen zu Schande einem Volke gegenüber, das mit Muth und Kraft das Reichspanier der Vaterlandsliebe hoch hielt und für seine Ehre zu fechten und zu sterben wußte.




Blätter und Blüthen.


Venus bei hellem Tageslicht mit bloßem Auge sichtbar. „Hell, wie der Stern vorstrahlet in dämmernder Stunde des Melkens, Hesperos, der am schönsten erscheint vor den Sternen des Himmels.“ Mit diesen Worten preist Homer den glänzenden Anblick der Venus als Abendstern und vergleicht mit ihr den Glanz der Rüstung des gegen Hektor zum entscheidenden Kämpfe dahinstürmenden, göttergleichen Peliden Achilles. In der That übertrifft auch Venus an Glanz und Helligkeit alle anderen Sterne des Firmamentes; aber nur zu gewissen Zeiten ist sie uns sichtbar, bald links oder östlich von der Sonne am Abendhimmel als Abendstern, bald rechts oder westlich von der Sonne am Morgenhimmel als Morgenstern; und auch dann, wenn sie uns sichtbar ist, bietet sie nicht jedesmal denselben glänzenden, prachtvollen Anblick dar, mit dem sie uns gegenwärtig entzückt. Dieser, sowie das Sichtbarwerden der Venus bei hellem Tageslicht und mit unbewaffnetem Auge, hängt von ihrer Stellung zur Erde und zur Sonne in der Zeit ihrer Sichtbarkeit, und von atmosphärischen Zuständen ab.

Hier will ich mich nur darauf beschränken, auf die diesjährige zweimalige glanzvolle Erscheinung der Venus als Abendstern und später als Morgenstern aufmerksam zu machen. Venus hat Mitte Mai ihre größte scheinbare Entfernung (Ausweichung oder Digression) östlich von der Sonne erreicht; ihre Scheibe ist dann halb erleuchtet, wie der Mond bei dem ersten Viertel, hat aber noch nicht den größten Glanz entfaltet, welcher hauptsächlich von der größeren Annäherung zur Erde abhängt; zu der Zeit ihres größten Glanzes ist ihre Scheibe nur zum dritten Theile erleuchtet und zeigt sich uns in einem Fernrohre (selbst einem mäßig starken Opernglase) sichelförmig, aber von blendendem Glanze; dies findet in diesem Jahre am 11. Juni statt. Aber schon von Ende Mai ab bis zum 15. Juni kann man Venus mit unbewaffnetem Auge bei hellem Tageslicht erblicken. Die bequemste Zeit, sie am Himmel aufzusuchen, ist Nachmittag 3 Uhr, wo sie im Meridian oder wenigstens in der Nähe desselben, also gerade im Süden steht, für das mittlere Deutschland 63 Grad über dem Horizonte; man wird sie am leichtesten finden, wenn man sich an einem sternenhellen Abend den Ort am Himmel genau merkt, wo ein Stern oder auch die Spitze eines Thurmes oder Baumes, von einem bestimmten, willkürlich gewählten Standpunkte aus, die angegebene Höhe von circa 63 Grad in dem Meridiane hat. Venus steht gegenwärtig (Ende Mai) in dem Sternbilde der Zwillinge und rückt im Juni noch bis zu dem Krebse vor, um alsdann wieder für einige Zeit rückläufig zu werden.

Ihr Glanz aber vermindert sich bald nach dem 15. Juni, weil trotz der größeren (wirklichen) Annäherung zur Erde der erleuchtete Theil ihrer Scheibe, die Sichel, zu schmal ist, um einen großen Glanz zu entwickeln; dieser wird auch noch dadurch beträchtlich vermindert, daß Venus scheinbar immer näher an die Sonne rückt und endlich in der Dämmerung verschwindet, noch ehe sie sich zwischen Sonne und Erde stellt, wobei sie uns nur die dunkle Seite zuwendet, welche für uns ganz unsichtbar wird. Dies geschieht am 19. Juli d. J., man sagt dann: Venus ist in der unteren Conjunction mit der Sonne (♀ untere ☌ ☉, wie in den Kalendern steht). Bald darauf erscheint Venus rechts, d. h. östlich von der Sonne als Morgenstern vor Sonnenaufgang; in den ersten Tagen des August hat ihr Glanz bereits so zugenommen, daß sie unter den hellen Sternen der Zwillinge (Castor und Pollux) und über Procyon im kleinen Hunde leicht erkannt werden kann; ihren größten Glanz als Morgenstern erreicht sie in der ersten Hälfte des September; sie steht alsdann im Krebs und kann um diese Zeit ebenfalls mit unbewaffnetem Auge gesehen werden, wenn man sie des Vormittags 9 Uhr im Ortsmeridiane ungefähr 55° hoch aufsucht.

Das Sichtbarwerden der Venus bei hellem Tageslicht und mit unbewaffnetem Auge ist übrigens schon zu wiederholten Malen ein Gegenstand des Staunens, ja früher sogar des Aberglaubens bei der unwissenden Menge des Volkes gewesen; so am 5. Februar 1630 zu Tübingen, am 21. Juli 1716 zu London, 1750 und 1798 zu Paris.
v. B.




Die Seeschlange abermals – ein Phantom! Die Gartenlaube brachte in ihrer Nr. 17 nach dem in der Hafenstadt Hamilton erscheinenden Wochenblatt „the Bermudian“ die Mittheilung, welche die geehrte Redaction indeß gleich von vornherein mit einigem Zweifel aufzunehmen schien – daß nämlich in der Hungarybay endlich und wirklich die große Seeschlange zum Vorschein gekommen sei. Dieser Zweifel ist nun wohl völlig gerechtfertigt, wie unsere Leser aus nachstehenden Mittheilungen, die wir dem Professor Dr. J. J. Kaup in Darmstadt verdanken, ersehen werden. Der bekannte Naturforscher sagt darüber Folgendes:

„Die im Hamiltoner Wochenblatt gegebene Beschreibung der angeblichen Seeschlange – welche in der That nichts weiter ist, als ein Fisch – ist eine ziemlich genau zutreffende; leider fehlt eine Angabe über die Zahl der Strahlen in der Rücken-, Brust- und Bauchflosse, sowie darüber, daß die Schwanzflosse sehr rudimentär gewesen. Es ist indeß schon hiernach keinem Zweifel unterworfen, daß diese „Seeschlange“ einem schon längst bekannten Genus, – den „Heringskönigen“ – angehört, welche der bekannte Berliner Ichthyolog Elias Bloch Gymnetrus und Brunnich Regalecus genannt hat. In diesem Genus kommen Fische von 6 bis 8 bis 11, ja sogar bis 18 Fuß Länge vor, auch finden sich dieselben in jedem Meere. Da ihre einzelnen Arten höchst zarter Natur sind, so findet man höchst selten Exemplare, die nicht an einem Theile des Körpers verletzt sind; der Fisch lebt wahrscheinlich in der größten Meerestiefe, und nur sterbende Individuen werden zufällig an das Ufer gespült, wo sie, wenn nicht sogleich bemerkt, schnell in Fäulniß übergehen.

Dies ist hauptsächlich der Grund, weshalb die Wissenschaft bisher so äußerst wenig über die „Heringskönige“ zu sagen weiß; sehr wenig Museen (deren Dr. Kaup einen großen Theil aus eigener Anschauung kennt) besitzen junge Individuen, von älteren Thieren hat man nur flüchtig entworfene, meist ungenaue Zeichnungen oder Fragmente des Thieres selbst.“

Die Erzählung des Hamiltoner Wochenblatts erscheint sonach nicht als amerikanischer Humbug, wie uns die Gartenlaube vermuthen läßt, sondern trockene Wahrheit, aus der jedoch deutlich hervorgeht, daß diese neue Seeschlange keine Seeschlange (eine solche wird wohl immerdar ein Phantom bleiben, wie bisher alle Männer der Wissenschaft erklärt), sondern ein langgestreckter Fisch ist, dessen Familie den Thunfischen ähnlich, und der, nach seinen Kiefern zu urtheilen, nur kleine Fische verschlingt.



Für „Vater Arndt“

gingen im Laufe der letzten vierzehn Tage wieder ein: 100 fl. Die Studirenden des Wiener Polytechnikums – 1 Thlr. E. H. in G. – 11 Thlr. Mehrere Wiener, deren Vaterland größer ist – 18 Thlr. 15 Ngr. Dritte Sammlung der Turnzeitung.

Ernst Keil.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Hartig. Journal für das Forst-, Jagd- und Fischereiwesen zur nützlichen und angenehmen Unterhaltung, herausgegeben v. G. L. Hartig. 1806, Nr. 27, Seite 545.
  2. „Umpire“, das Pferd der amerikanischen Partei, hatte ungemein viel Gunst auf der Wett-Börse, verlor aber.
  3. Der österreichische Sigismund, der Sohn des neunten Friedrich, war nach seinen unglücklichen Kämpfen mit der Schweiz so sehr verarmt, daß er seine an beiden Rheinufern gelegenen Lande Sundgau, Breisgau, Schwarzwald und Pfirth um 80,000 Goldgulden an Karl von Burgund verpfändete. Er gedachte auch, mit dem gewaltigen Karl der Schweiz eine Macht an die Grenze zu stellen, die einst ihn rächen werde. Der Burgunder nahm bald die Verpfändung für Kauf an und schon wollte er die so erworbenen Lande als Eigenthum befestigen, um dann desto sicherer über die Schweiz herzufallen, als der schlaue Ludwig XI. von Frankreich abwehrte; scheinbar aus Freundschaft für die Schweiz, eigentlich aber aus Furcht vor der wachsenden Macht des Burgunders, seines gefährlichsten Nachbarn. Ludwig versöhnte die Cantone mit Sigismund, zahlte ihnen einen Jahrgehalt von 20,000 Franken und bewirkte, daß Straßburg und Basel dem Sigismund 80,000 Goldgulden vorschossen, damit er seine Lande wieder einlösen könne. Aber der Burgunder ließ die Ueberbringer des Pfandgeldes, als sie die Urkunden zurückforderten, in’s Gefängniß werfen. Ein Schrei der Entrüstung, des Schmerzes und Zornes durchzuckte alle Lande, namentlich die bedrohte Schweiz. Doch wie einst Oesterreich der Schweiz den Geßler gesetzt hatte, so setzte nun Karl von Burgund dem Breisgau seinen fürchterlichen Hagenbach. Der säugte des Landes Zorn zum Riesen; Hagenbach fiel unter Henkershand; die Nachbarschweiz half dem schwergeknechteten Volke, und Karl that einen fürchterlichen Schwur, daß die ganze Schweiz ihm dafür bluten solle, sobald er seine zerstreuten Heere zusammen habe. Diesem Zeitpunkt nun sah die Schweiz mit Trotz und Bangen, mit Kühnheit und Zagen entgegen, während sie sich selbst spaltete und schwächte in großen und kleinen Bundeskriegen. Manch’ gute Patrioten sehnten einen großen Feind herbei, der Alle wieder zu Eins mache unter der sausenden Wucht seines Schwertes. Dieser große Feind, dieser Friedensstifter für die Schweiz sollte Karl von Burgund werden. Indessen wollte das bedräute Land nicht leichtsinnig den Krieg herausfordern. Der Bund beschloß zunächst eine Gesandtschaft an Karl, die womöglich den Frieden vermitteln sollte. – Hier beginnt, was wir schildern wollten.