Die Gartenlaube (1860)/Heft 25
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No. 25. | 1860. |
(Fortsetzung.)
Das ruhige, klare und offene Benehmen des jungen Mannes hatte bisher den günstigsten Eindruck auf mich gemacht. Ich konnte trotz der andern Anzeichen, die gegen ihn sprachen, nicht den geringsten Boden zu der Annahme gewinnen, daß ich einen Verbrecher, gar einen Raubmörder vor mir habe. War nur ein Funke von Schuldbewußtsein in ihm, so mußte er auf die Frage, die ich zuletzt an ihn gerichtet hatte, und auf die ferneren, die er danach erwarten konnte, von vornherein ebenso gefaßt gewesen sein, wie auf die früheren, die er mit voller Ruhe und Klarheit beantwortet hatte. Ich hatte nur einen Erklärungsgrund: eine Schwäche, die erst erschrickt, wenn die Gefahr nahe herantritt. Ich mußte die Gefahr für ihn beschleunigen.
„Waren Sie auf der Reise von Antwerpen bis hierher mit Deutschen zusammen?“
„Allerdings.“
„Waren Bekannte aus der hiesigen Gegend unter ihnen?“
Er zögerte wieder mit der Antwort.
„Ja,“ sagte er zuletzt leise.
„Können Sie von ihnen Jemanden nennen?“
Er schwieg und wurde unruhiger. Die Stirn wurde ihm feucht.
„Ist Ihnen der Name Franz Bauer bekannt?“
„Ja.“
Er sprach das Wort schnell, bestimmt aus. Er sah mich dabei voll und offen an, und es schien ihm wohl zu thun, daß er das konnte. Ich wurde in meinem Verdachte wieder irre.
„Wo haben Sie ihn kennen gelernt?“
„In Californien.“
„Hatten Sie dort mit ihm in Verbindung gestanden?“
„Nein. Ich war nur zufällig einige Male mit ihm in Berührung gekommen.“
„Haben Sie mit ihm gemeinschaftlich jenes Land verlassen?“
„Nein.“
„Wo trafen Sie ihn wieder?“
„In Antwerpen.“
„Blieben Sie zusammen?“
„Wir reisten von da an gemeinschaftlich bis in die Nähe seiner Heimath.“
„Diese ist?“
„Einige Meilen von hier.“
„Erzählen Sie, wie Sie ihn verließen.“
„Wir waren auf der letzten Eisenbahnstation angekommen. Auch von da an war unser weiterer Weg der nämliche. Wir trafen auf dem Bahnhofe der Station einen fremden Lohnkutscher, der Passagiere suchte, gleichviel wohin. Wir mietheten ihn und fuhren zusammen, bis von der Landstraße ein Seitenweg zu dem Heimathdorfe Bauers abging. Er wollte den Weg zu Fuße machen und stieg aus. Ich hätte vielleicht noch eine Viertelstunde auf der Chaussee weiter fahren können, bis ich an einen anderen Seitenweg kam, der mich, gerade in der entgegengesetzten Richtung, zu meinem Bestimmungsorte führte, und den ich gleichfalls zu Fuße zurücklegen wollte. Ich stieg aber, da der Wagen einmal hielt, gemeinschaftlich mit ihm aus. Auf der Landstraße sprachen wir noch einige Worte miteinander. Dann nahmen wir Abschied. Er ging seinen Weg links in einen Wald hinein. Ich blieb noch eine Zeitlang auf der Landstraße und schlug mich dann rechts nach dem Gebirge zu.“
Er hatte das Alles wieder ohne Zögern, offen und unbefangen erzählt. Auffallend konnte, mußte mir nur Eins sein: er hatte der dritten Reisegefährtin, der Antonie Hein, mit keiner Sylbe erwähnt.
„An welchem Tage war das?“ fragte ich.
„Am Sonnabend vor acht Tagen.“
„Zu welcher Tageszeit?“
„Am Abend, etwa zwischen acht und neun Uhr.“
„Waren Sie bekannt in der Gegend?“
„Ja.“
„Waren Sie oft hier gewesen?“
„Nicht oft.“
„In welcher Angelegenheit?“
„Es sind Jahre seitdem verflossen. Ich wüßte nicht, zu welchem Zwecke ich jetzt noch sollte Auskunft darüber geben müssen.“
Ich ließ den Punkt fallen. „Ist Ihnen auch der Weg bekannt,“ fragte ich weiter, „den Franz Bauer zu seinem Dorfe nehmen mußte?“
„Nein. Ich war in dem Dorfe und auf dem Wege dahin nie gewesen.“
„Haben Sie Franz Bauer seit jenem Abschiede wieder gesehen?“
„Nein.“
[386] „Hatte Bauer damals Sachen bei sich ?“
„Er trug nur eine Jagdtasche.“
„Ist Ihnen bekannt, was er in dieser Jagdtasche mit sich führte?“
„Er hatte es mir offen mitgetheilt, wie ich ihm auch meine Verhältnisse offenbart hatte. Außer einigen Bekleidungsgegenständen trug er in der Jagdtasche sein ganzes Vermögen mit sich. Meist in Werthpapieren, weniges in Gold.“
„Hat er Ihnen das Nähere darüber angegeben?“
„Er hat mir im Allgemeinen den Betrag angegeben, auf ungefähr dreißigtausend Dollars.“
„Führte er außerdem Werthgegenstände bei sich?“
„Eine goldene Taschenuhr. Auch einen Diamantring und einen größeren Siegelring.“
Man konnte nicht offener sein, als Grote in diesen Mittheilungen war. Und Alles sprach er unbefangen und ruhig, in dem sicheren Gefühle, daß nichts davon ihn angehe. Die Stirn war ihm schon längst wieder trocken geworden. Auf einmal sollte Alles wieder anders werden.
„Wo blieb nach Ihrem Abschiede von Bauer der Wagen, in dem Sie mit ihm gefahren waren?“
„Er fuhr auf der Landstraße weiter, schon während wir Abschied nahmen.“
Die Antwort gab er noch ruhig, mit leichtem Herzen.
„Waren Sie Beide allein in dem Wagen gefahren?“
Da wurde er unruhig. Er mußte sich Gewalt anthun, um, allerdings ohne Zögern, zu antworten.
„Nein,“ antwortete er, und die Stimme wollte, trotz jener Gewalt, nicht recht heraus.
„Wer war noch bei Ihnen?“
„Eine Dame.“
„Kannten Sie sie?“
„Nein.“
Er sprach das Wort mit klarer, fester Stimme. Aber ich sah es seinen Mienen an, daß er sich dazu noch mehr Gewalt hatte anthun müssen. Und ich war überzeugt, daß dieses Nein eine Lüge war, die erste, die er sagte. Konnte er noch unschuldig sein? Ich durfte mir nichts anmerken lassen.
„Wo waren Sie mit der Dame zusammengetroffen?“
„Auf jener Eisenbahnstation.“
„Erzählen Sie.“
„Sie hatte denselben Weg zu machen, wie Bauer und ich. Den Lohnkutscher hatte sie zufällig gefunden, wie wir. So kamen wir zusammen.“
„Wie lange blieben Sie beisammen?“
„Bis zu jener Trennung von Bauer. Sie fuhr, nachdem wir ausgestiegen waren, mit dem Wagen weiter.“
„Sie kennen auch den Namen der Dame nicht?“
„Nein.“
Es war die zweite Lüge. Der Schweiß war ihm auf die Stirn getreten.
„Wie sah die Dame aus?“
„Sie war jung, groß, etwas stark. Sie war elegant gekleidet.“
„Würden Sie sie wiedererkennen?“
„Gewiß.“
„War die Dame mit Bauer bekannt?“
„Ich weiß es nicht.“
Es war die dritte Lüge. Er konnte mir nur ungewiß und nur mit Anstrengung in die Augen sehen. Aber wozu diese Lüge? Ich suchte vergebens es zu ergründen. Er kam von jetzt an aus der Unwahrheit nicht wieder heraus. Alles betraf die Dame. Und ich hatte für das Fernere einen Grund.
„Ist Ihnen der Name Antonie Hein bekannt?“
„Nein.“
„Haben Sie die Dame seit jener Zeit wiedergesehen?“
„Nein.“
Dieses Nein sprach er wieder offener, freier. Aber konnte ich ihm glauben?
„Haben Sie von dem Schicksale Franz Bauers seit Ihrer Trennung von ihm gehört?“
„Ja. Ich habe vor zwei Tagen in einer Zeitung gelesen, daß er ermordet und beraubt gefunden ist. In jenem Walde, auf jenem Wege zu seiner Heimath. Es ergriff mich heftig.“
Die Worte waren halb gewiß und halb ungewiß: es war, als wenn er halb die Wahrheit und halb die Unwahrheit spreche.
„Wo haben Sie die Zeitung gelesen?“
„Zufällig im Gebirge.“
„Wissen Sie, warum Sie hierher gebracht sind?“
„Ich kann nach diesem Verhöre darüber nicht in Zweifel sein. Man hofft von mir Auskunft über das Verbrechen gegen Bauer.“
„Liegt Ihnen der Gedanke nicht nahe, daß Sie selbst verdächtig sein könnten?“
Es war das wieder eine Frage, oder vielmehr ein Vorhalt, worauf er längst vorbereitet sein mußte. Gleichwohl wurde er auf das Heftigste davon ergriffen. Er wurde blaß, wie die Wand des Zimmers. Auf dem Stuhle, auf dem er saß, bewegte er sich hin und her. Er erhob die Augen zu mir, er schlug sie wieder nieder. Er hatte mir etwas zu sagen, er konnte sich nicht dazu entschließen.
„Sehe ich aus wie ein Mörder?“ sagte er zuletzt. Und er sprach die Worte mit dem vollsten Ausdrucke der Wahrheit.
Und er konnte mit Recht so sagen. Dieses schöne, melancholische Gesicht mit dem großen dunklen, in diesem Augenblicke zwar unsicheren, aber dennoch immer treuen Auge, es war kein Gesicht eines Mörders. Aber warum sprach er die Unwahrheit? Warum machte er sich verdächtig? Er war kein starker Charakter. Er wäre sonst schon jener Lügen nicht fähig gewesen. Welcher Gewalt hatte er sich gebeugt, beugte er sich noch, sogar bis zu dieser Zähigkeit im Ableugnen der Wahrheit? Zähigkeit ist keine Festigkeit. Konnte ich diese Zähigkeit nicht brechen? Ich hatte schon vorher die Antonie Hein in ein Nebenzimmer bringen lassen. Durch ein Fenster in der Mauer konnte man aus der Verhörstube in das Zimmer sehen. An das Fenster führte ich den jungen Mann. Einen Vorhang, der es verdeckte, zog ich zurück. Die Dame saß in dem Zimmer so, daß ihr Blick in eine andere Richtung fiel, ihr Profil aber voll zu sehen war.
„Wen sehen Sie dort?“ fragte ich den jungen Mann.
Der Anblick der Dame machte einen erschütternden Eindruck auf ihn. Er brach fast zusammen.
„Meine Reisebegleiterin!“ preßte er hervor.
Ich verdeckte das Fenster wieder. „Antonie Hein!“ sagte ich.
Er schwieg und rang nach Fassung.
„Gefangener,“ sagte ich mit Nachdruck zu ihm, „Sie kennen die Dame.“
Er war noch wie erstarrt.
„Sie haben sie wiedergesehen. In der Nacht, an dem Morgen nach dem Morde.“
Auf einmal kehrte Leben in ihn zurück. Er richtete sich auf, wie im siegreichsten Gefühle der Wahrheit, stolz, vorwurfsvoll.
„Nein, Herr Criminalrichter, ich habe die Frau nicht wieder gesehen. Bei dem ewigen Gotte nicht. Bei meiner, bei Ihrer Seligkeit nicht!“
Was war das? War es Wahrheit? Ich wurde irre, denn ich hatte keinen festen Plan mehr und mußte mich selbst sammeln.
Das Verhör brach ich ab, da ich es erst wieder beginnen konnte, wenn ich Gewißheit darüber hatte, ob er in der Sonntagsnacht bei der Hein in dem Gebirgskruge gewesen war. Darüber mußte ich vorab den Krüger vernehmen und Antonie Hein selbst. Ich ließ sofort den Krüger vorladen, stellte ihm den Gefangenen Grote vor und legte diesem in seiner Gegenwart mehrere gleichgültige Fragen vor, damit er auch seine Stimme hören solle. Nach der Zurückführung des Gefangenen befragte ich ihn dann. Er war seiner Sache nicht vollkommen sicher. Er hatte den Fremden, der die Hein besuchte, nur bei einer trüben, ungewissen Beleuchtung und nur in jener tiefen Vermummung gesehen und hatte ihn nur mit gedämpfter, absichtlich verstellter Stimme sprechen hören. Aber die Größe und Gestalt schien ihm ganz die nämliche zu sein, ebenso das Haar und der Bart. Sei ihm jener Fremde auch rascher, beinahe stürmisch in seinen Bewegungen vorgekommen, so sei dieser Unterschied durch die Eigenthümlichkeit der damaligen und der heutigen Verhältnisse hinreichend erklärlich. Sei ihm ferner damals Haar und Bart des Mannes schwärzer und glänzender erschienen, so erkläre sich auch dies aus der Beleuchtung einer Nachtlampe gegenüber der heutigen Tageshelle. In Betreff der Stimme aber sei es ihm bei jener absichtlichen Verstellung genug, daß ihm in der Stimme des Grote heute kein Ton und kein Laut [387] begegnet sei, der sich mit jener verstellten Stimme nicht in Einklang bringen lasse. So glaubte der Zeuge, unbeschadet seines Gewissens, mindestens mit hohem Grade von Wahrscheinlichkeit versichern zu können, daß der ihm vorgestellte Grote jener nächtliche Besuch der Hein sei.
Ich ließ darauf zuerst die Hein vorführen. Jener ungewisse Blick des schuldigen Verbrechers, der einem neuen Zeugen zu begegnen fürchtet und ihn doch sucht, flog durch das Zimmer und dann in mein Auge.
„Fräulein,“ sagte ich zu ihr, „wenn ich Ihnen den Mann vorstelle, der Sie im Gebirgskruge besuchte, werden Sie ferner beim Leugnen bleiben?“
Eine fürchterliche Blässe zog durch ihr Gesicht.
„Er ist hier,“ fuhr ich fort. Ich konnte es sagen, mit der Ueberzeugung des Krügers.
Sie zitterte. Sie hatte keine Antwort.
„Sie antworten mir nicht? Sie zwingen mich dadurch, ihn in Ihre Gegenwart zu bringen.“
„Um Gotteswillen nicht!“ rief sie, wie entsetzt. Alle Kraft und Kunst der Verstellung war von ihr gewichen.
Ich glaubte den Augenblick gekommen zu sehen, ihr dringende Vorstellungen machen zu können. „Ihr Reisegefährte ist in meiner Hand,“ sagte ich, „derselbe Mann, der mit Ihnen zuletzt in der Gesellschaft des Ermordeten war. Glauben Sie, daß es mir jetzt noch schwer sein werde, von Ihnen die Wahrheit zu erfahren?“
Einen Augenblick noch hatte sie mich ängstlich durchbohrend angesehen, als wenn sie in die letzte Tiefe meines Innern blicken müsse; dann auf einmal athmete sie auf, ihr Blick wurde plötzlich frei, sicher.
„Er wird Ihnen bestätigt haben, was ich aussagte,“ erwiderte sie. „Wäre es anders, so haben Sie die Güte, ihn mir gegenüber zu stellen. Ich bin gefaßt darauf und wünsche es.“
„Und soeben erschraken Sie davor?“
„Es war im ersten Augenblick. Ich bin ein schwaches Weib.“
Sie sprach diese Worte beinahe mit Hohn, so sicher war sie auf einmal, und kaum eine Minute vorher jenes Entsetzen! Durch Grote konnte ich also nichts weiter erfahren, oder wußte er nichts? Aber warum dann seine eigene Angst und seine Unwahrheiten? War sie seiner Verschwiegenheit und Festigkeit gewiß? Ich hatte ihn im Gegentheil für keinen festen Charakter gehalten, und immer fehlte noch die Erklärung für den plötzlichen Uebergang vom höchsten Schreck zu der sicheren Ruhe. Dafür war nur eins anzunehmen: Grote war ihr Reisegefährte, nicht aber der Mann, der sie im Kruge besucht hatte. Nur diesen fürchtete sie; den Anderen jedoch, ihren Reisegefährten Grote, fürchtete sie nicht, trug vielmehr ein Verlangen, ihn zu sehen, mit ihm zusammengestellt zu werden; denselben Grote, der vor Schreck beinahe zusammenbrach, als er sie sah. Auf einmal glaubte ich es zu haben: sie war Mitschuldige, wenigstens schuldige Mitwisserin des Mordes; Grote war unschuldig, er konnte aber sie und den eigentlichen Mörder verrathen. Der Unbekannte, der sie in dem Gebirgskruge besucht hatte, war der Mörder, und wer war er? Er mußte in seinem Aeußeren Aehnlichkeit mit Grote haben, nur Haare und Bart waren schwärzer, glänzender, und das war die bis jetzt anzunehmende, bisher nicht beachtete Unähnlichkeit.
Grote aber mußte ihn kennen, und von ihm mußte ich also dennoch Auskunft erhalten; darum wünschte sie mit ihm zusammengestellt zu werden, denn auch sie kannte ihn als einen nicht festen Menschen. Sie mußte eine Gelegenheit haben, ihn zu kräftigen, ihn vor Verrath zu warnen, und dies ist gerade die gefährlichste Seite der gerichtlichen Confrontationen, weshalb ich Grote um so schleuniger vernehmen mußte. Ich schickte die Hein in das Gefängniß zurück und ließ Grote wieder vorführen, dessen Charakter mir jetzt noch klarer geworden war. Er dachte nicht an die noch entferntere, er erschrak vor der nahen Gefahr. Ich legte ihm den bei der Hein gefundenen Ring vor.
„Kennen Sie diesen Ring?“
Er wurde sofort wieder unruhig. „Ich glaube,“ sagte er, „wenn ich nicht irre, so habe ich ihn an der Hand des unglücklichen Bauer gesehen.“
„Er ist im Besitz der Antonie Hein gefunden worden.“
Er starrte mich ungewiß an, denn er hatte den Namen nicht kennen wollen.
„Im Besitz Ihrer Reisegefährtin wurde er gefunden,“ fuhr ich fort.
Der Angstschweiß brach ihm schon jetzt aus.
„Erklären Sie sich den Umstand?“ fragte ich.
Er schwieg noch immer.
„Oder können Sie gar bestimmte Auskunft darüber geben?“
„Nein,“ antwortete er hastig.
„Also eine Erklärung hätten Sie?“
„Nein, ich weiß nichts davon,“ sagte er zögernder.
„Herr Grote,“ ermahnte ich ihn, „bedenken Sie Ihre Lage, bevor Sie mir weiter antworten. Sie und die Hein, jenes Frauenzimmer, das Sie hier sahen, sind die letzten Personen, die in der Gesellschaft des Ermordeten gesehen worden sind.“
„Ich weiß das nicht.“
„Sie sind in der Nähe seiner Ermordung bei ihm gewesen. Geben Sie das zu?“
„Ich kann es nicht leugnen.“
„Wenige Stunden vor dem Verbrechen.“
„Auch das ist wahr.“
„Der Ermordete ist seines ganzen Vermögens beraubt worden.“
„Ich kann nichts darauf entgegnen.“
„Sie wußten, daß er dieses bei sich trug.“
„Er hatte es mir gesagt.“
„Sie sind seitdem im Besitze eines bedeutenden Vermögens gefunden worden.“
„Ich hatte es schon früher und habe es mir redlich erworben.“
„Haben Sie Beweise dafür?“
Er verstummte.
„Aber weiter. Die Hein ist im Besitze des Ringes des Ermordeten; hat auch sie ihn ehrlich erworben?“
„Ich weiß es nicht.“
„Sie haben seit dem Verbrechen die Hein geheimnißvoll besucht?“
„Nein, nein.“
„Der Krüger hat Sie mit der größten Wahrscheinlichkeit wiedererkannt?“
„Ich war es nicht, er hat sich geirrt.“
„Er ist bereit, es zu beschwören, und wird es Ihnen in das Gesicht sagen.“
„Er schwört falsch.“
„Es war in der Sonntagsnacht vor acht Tagen; können Sie beweisen, wo Sie damals waren?“
Er starrte in einer unbeschreiblichen Unruhe und Angst vor sich hin; noch zwei oder drei Schläge, und ich mußte ihn haben. Es waren grausame Schläge, die ich nach ihm führte, Schläge einer entsetzlichen moralischen Tortur; aber rief er sie, indem er dem Rechte sein Recht nicht werden lassen wollte, nicht selber als Acte der Gerschtigkeit hervor?
„Wo waren Sie in jener Nacht?“ wiederholte ich.
„Ich habe keine Beweise darüber.“
„Ah, Sie können also das Zeugniß des Mannes nicht falsch machen; es wird aber auch anderweit bestätigt, durch Sie selbst.“
„Durch mich?“
„Als ich Ihnen vor einigen Tagen durch jenes Fenster die Hein zeigte, erschraken Sie, wie vor einem Blutzeugen.“
Er mußte wieder verstummen, und ich kam zum Schlusse.
„Erwägen Sie alle diese Momente und fällen Sie dann selbst Ihr Urtheil. Welcher Richter, welcher Geschworene wird und kann Sie für unschuldig halten?“
Der Schweiß floß ihm von der Stirn, und ich hörte fast die Tropfen auf die Erde fallen.
„Nehmen Sie dazu noch Ihr verborgenes, geheimnißvolles Herumschweifen in dieser Gegend, über das Sie keinem Menschen Auskunft geben können, und jetzt antworten Sie mir.“
Er wollte mir eine Antwort geben, aber es war kein Geständniß, ich sah es ihm an und kam ihm deshalb zuvor.
„Es gibt in der Welt nur ein Mittel, das Sie retten kann, und Sie haben es in Ihrer Gewalt.“
„Ich?“ rief er.
„Legen Sie ein offenes Geständniß ab.“
Er blickte heftig zu mir auf, denn ich hatte die richtige Seite getroffen.
„Sind Sie unschuldig, so können Sie es nur noch dadurch [388] beweisen, daß Sie durch Angabe der Wahrheit den eigentlichen Schuldigen erkennen lassen. Sie wissen die Wahrheit; ist es so?“
Seine Augen waren wieder auf mich gerichtet.
„Es ist so!“ sagten sie. Aber seine Lippen konnten es nicht aussprechen. Er war unschuldig, ich konnte nicht mehr daran zweifeln; aber er kannte den Thäter, woran ich ebenfalls nicht mehr zweifeln konnte. Welche furchtbare Gewalt aber hielt ihn zurück, den Mörder zu nennen?
„Unglücklicher, wollen Sie sich dem Beile des Henkers überliefern?“
„Ich kann nicht! Ich kann nicht!“ rief er in Todesangst.
Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen; dann sah er mich wieder an, und ich glaubte in das Gesicht eines Sterbenden zu blicken.
„Sein Sie barmherzig,“ bat er, „und lassen Sie mich abführen, es ist mir, als gehe es mit mir zu Ende, lassen Sie mich in Ruhe sterben.“
„Und Sie wollen nicht durch die Wahrheit Ihre Ehre, Ihr Gewissen retten?“
„Sein Sie barmherzig.“
Ich mußte es sein, denn er war unschuldig; aber wer war der Thäter? Durch wen sollte ich ihn entdecken? Vielleicht noch durch Grote? Er war nicht blos zähe, er hatte mehr Festigkeit, weit mehr moralische Festigkeit, als ich ihm jemals zugetraut hatte. Und es mußten sittlich anzuerkennende, vielleicht an sich gar edle Motive sein, die sie ihm gaben. Durch die Hein? Ich konnte, namentlich seitdem sie dem jungen Manne gegenübergestellt werden wollte, in ihr nur immer mehr eine moralisch verdorbene, geriebene Person finden. Was war von ihr zu erwarten? Was vermag alle Kunst des Inquirenten, wenn ihm nicht Glück und Zufall zu Hülfe kommen?
Ich hatte Signalement und Reiseroute der Hein durch die öffentlichen Blätter bekannt machen lassen und zur Auskunft über sie aufgefordert; ich erwartete Nachricht über sie, und erst wenn eine solche einging, konnte ich weiter verfahren. Es kam keine; statt ihrer aber kam am vierten Tage nach den letzten Verhören der Inspector des Gefängnißhauses zu mir.
„Die Antonie Hein ist heute Nacht entwichen,“ sagte er.
„Wie war das möglich? –“
Zu Gefangenwärtern wurden vorzugsweise Unterofficiere genommen, Unterofficiere, die sich ausgezeichnet hatten; manche wurden vom Regiment – weggelobt, und man konnte sich dann, wenn sie einmal da waren, ihrer nur wieder entledigen, wenn man sie ebenfalls hätte wegloben wollen, oder wenn sie einen dummen oder schlechten Streich gemacht hatten, und es also zu spät war. Auch unter den Gefangenwärtern des Criminalgerichts war ein weggelobter Unterofficier, ein hübscher Mensch, der gern hübsche Frauen sah. Seine Station aber war in einem ganz anderen Revier, als das, in dem die Hein saß. Sein Dienst konnte ihn gar nicht mit ihr zusammenführen, und Niemand wußte, daß er sie auch sonst gesehen hätte. Dennoch fiel mein Verdacht auf ihn, wie auch der des Inspectors. Wir forschten nach, combinirten, ermittelten Einzelnes und hatten zuletzt das Ganze: er hatte sie entfliehen lassen. Sie war wirklich eine eben so verworfene, wie geriebene Person, welcher er in seinem Leichtsinn nicht hatte widerstehen können; auch hatte er ihr außerdem vor ihrer Flucht ein Billet an den Gefangenen Grote bestellt. Er wurde für die Zukunft unschädlich gemacht, aber für die Untersuchung war der Schade einmal da. Und doch nicht. Auch ein „zwölf Jahre gedienter“ Unterofficier sollte einmal durch ein Verbrechen etwas Gutes stiften.
Schon wenige Stunden nach der Entdeckung der Flucht der Hein hatte ich Alles heraus, auch das eigene Geständniß des Schuldigen. Wohin aber war sie entflohen? Darauf kam mir zunächst Alles an. Der Gefangenwärter hatte ihr einen Wagen verschafft. Sie hatte ihm nur allgemein gesagt, daß sie zur nächsten Grenze wolle, weshalb ich nach allen Richtungen dem Wagen nachsetzen ließ; dann vernahm ich Grote über das Billet. Er leugnete den Empfang desselben nicht, hatte es aber sofort verbrannt; aber er theilte, mit allem Anschein von Offenheit, dessen Inhalt mit. Sie hatte ihn ermahnt, standhaft zu sein; Niemand könne ihm etwas anhaben. Weiter hatte in dem Zettel nichts gestanden.
„Ein neuer Beweis gegen Sie,“ hielt ich ihm vor, „daß Sie freventlich die Wahrheit verschweigen.“
„Ich kann nicht anders, so wahr ich unschuldig bin und Gott mir helfen möge,“ war seine einzige Antwort.
Die Gensd’armen und Polizeibeamten, die den Wagen verfolgt hatten, kamen zurück. Den Wagen hatte Keiner angetroffen, seine Spur aber ein Einziger, ein Gensd’arm, und zwar ein Gensd’arm, der sich klug benommen hatte, und ferner klug benahm. Er ließ sich sofort nach seiner Rückkehr bei mir melden und rapportirte Folgendes:
Er hatte die Verfolgung des Wagens in der Richtung nach dem Kruge gehabt, in dem ich die Entflohene verhaftet hatte. Erst fünf Meilen von der Stadt, erst weit jenseits des Kruges, hatte er die erste Kunde von ihm erhalten. Die Flucht hatte um Mitternacht stattgefunden; gegen Morgen war der Wagen auf dem Wege zur Landesgrenze hin gesehen worden, und er folgte dem bezeichneten Wege. Eine Meile weiter erhielt er die zweite Nachricht, nach welcher der Wagen weiter zur Grenze gefahren war, jedoch leer; nur der Kutscher hatte auf dem Bocke gesessen, im Wagen aber Niemand. Eine dritte Nachricht gab ihm den Schlüssel, indem eine Köhlerfrau ein einzelnes Frauenzimmer von jener Landstraße her quer durch Wald und Gebirge hatte eilen sehen.
Ohne einen Schritt weiter hinter dem leeren Wagen herzureiten, oder mit einem einzigen Menschen weiter ein Wort zu sprechen, war der Gensd’arm eilends zurückgekehrt, um mir das Erfahrene, aber auch Folgendes mitzutheilen, das er schon vor einiger Zeit erfahren, das aber jetzt erst auf einmal eine Bedeutung für ihn gewonnen hatte: In dem benachbarten Kreise, nicht weit von der Grenze des Gerichtsbezirks, lag ein adliges Gut, die Diburg genannt, welches einer alten freiherrlichen Familie des Landes gehörte, die aber schon seit vielen Jahren verarmt war und sich nur noch dadurch zu erhalten vermocht hatte, daß von Jahr zu Jahr mehr Stücke von dem Gute verkauft wurden. Zuletzt war nur noch das Schloß Diburg mit einem Garten, einer kleinen Holzung und einigen Morgen Ackerland da, und das so Uebriggebliebene war verfallen genug. Es war seit ungefähr zehn Jahren in dem Besitze zweier Geschwister, der letzten Sprößlinge der alten freiherrlichen Familie von Lengnau. Der Sohn hatte das Gut – wenn jene wenigen Stücke noch den Namen verdienten – von seinem Vater übernommen und die Schwester wohnte bei ihm auf dem Schlosse. Der Sohn war bei dem Tode des Vaters einige zwanzig, die Tochter dreizehn bis vierzehn Jahre alt gewesen. Beide hatten nichts als den ärmlichen Gutsrest. Der Sohn hatte auch nichts gelernt, denn dem Vater hatte es an Mitteln gefehlt, ihn einer standesmäßigen Bestimmung zu widmen. Er selbst hatte zu keiner ernsten Beschäftigung Lust gehabt, und so war er unter Jägern auf der Jagd, unter Knechten auf dem Felde, unter Rohheiten überall aufgewachsen. Er war bald der Roheste von Allen geworden, und eine Bösartigkeit des Charakters wurde ihm allgemein nachgesagt.
Der jüngeren Schwester hatte, trotz ihres sanften, weichen Gemüthes, das Unglück gedroht, nicht viel anders als ihr Bruder zu werden, eine entfernte Verwandte jedoch hatte sich ihrer angenommen und sie zu sich in eine größere Stadt gebracht, in der sie lebte. Das Fräulein hatte hier eine vortreffliche Erziehung genossen. Aber auf einmal hatte ihr Bruder sie aus der Stadt zurückgeholt und nach Schloß Diburg geführt; dort hatte sie bleiben müssen, eine Veranlassung dazu kannte Niemand. Das Fräulein war weinend und traurig zurückgekehrt, und man hatte sie in der ersten Zeit fast nur in Thränen gesehen, dann hatte sie in einem stillen Grame sich mehr und mehr abgezehrt. Sie war zur Zeit ihrer Rückkehr ungefähr neunzehn Jahre alt gewesen. Wenige Monate nach ihrer Rückkehr in das Schloß war ihr Bruder, der Freiherr, plötzlich verschwunden; Niemand wußte wohin, Niemand auch warum. Man konnte sich nur in ungewissen Conjecturen verlieren, die in seinem wilden, wüsten Sinn und in seinen öfteren Versicherungen, er werde sein Glück in der weiten Welt suchen, ihren Grund hatten. Seine Schwester war auch nach seiner Entfernung in dem alten, einsamen Schlosse geblieben, und es hieß, der Bruder habe ihr unter Drohungen verboten, das Schloß zu verlassen. Von ihm hatte man nie wieder etwas vernommen, auch hatte er seiner Schwester nicht die geringste Nachricht von sich gegeben.
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Es war im Jahre 1763, kurz nach Beendigung des siebenjährigen Krieges, als ein junger Theolog aus Zürich nach Berlin reiste, um die dortige gelehrte Welt kennen zu lernen. Er selbst war eine hochbegabte Natur voll Poesie, aber auch voll Schwärmerei und Ueberschwänglichkeit, die ihn bei seinem Hange zum Mysticismus und allem Wunderbaren früher oder später auf gefährliche Abwege führen mußte. Schon damals genügte ihm nicht das vorhandene Christenthum, er sehnte sich nach einem unmittelbaren Verkehr mit der überirdischen Welt und schrieb seinem Gebete die Kraft zu, Wunder zu thun. Er war von einem gewissen geistlichen Hochmuth nicht frei zu sprechen, den er freilich unter sanften Formen und einer liebenswürdigen Persönlichkeit geschickt verbarg, In den Nebenstunden beschäftigte er sich mit physiognomischen Studien, denen er eine große Wichtigkeit beilegte. Zu diesem Zwecke verfehlte er selten, die berühmten Männer seiner Zeit in Gesellschaft eines Freundes, des Malers Füßli, aufzusuchen, um ihre Silhouetten aufzunehmen und ihre Züge in oft mehr poetischen, als wahren Ausdrücken zu schildern. Oft verführte ihn dabei seine Freundschaft oder die Vorliebe für sein System, dem gesunden Menschenverstande zu widersprechen. Trotz dieser Schwächen war er aber eine der hervorragendsten Erscheinungen des achtzehnten Jahrhunderts, mit dem er die Liebe zur Menschheit, den Drang nach Freiheit, aber auch die Sucht nach dem Wunderbaren und Abenteuerlichen theilte. Dieser Mann hieß Johann Kaspar Lavater.
In Berlin machte der christliche Theolog die Bekanntschaft des jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, er besuchte ihn [390] in seiner bescheidenen Wohnung in der Spandauerstraße und auf seinem Comptoir, wo er als Fabrikinspector bei seinem reichen Glaubensgenossen Bernhard mit dreihundert Thalern jährlichen Gehalts in Diensten stand. Freundlich aufgenommen brachte Lavater manche genußreiche Stunde in der Gesellschaft des armen, stotternden und verwachsenen Denkers zu, der von seinem Freunde Lessing später als Typus der religiösen Toleranz in seinem unsterblichen „Nathan“ verherrlicht wurde. Bei einem bescheidenen Mahle, durch heiteres und doch tiefes Gespräch gewürzt, oder bei einer Schachpartie entfaltete Mendelssohn, bei dem sich auch Lessing oft einfand, die ganze Fülle seines sokratischen Geistes und entzückte den leicht erregbaren Lavater bis zur enthusiastischen Bewunderung, von der seine Briefe sowohl, wie seine Physiognomiken Fragmente vielfach Zeugnis, geben.
Von ihm schreibt er dem bekannten Kanonikus Breitiger in Zürich: „Den Juden Moses, den Verfasser der philosophischen Briefe über die Empfindungen, fanden wir in seinem Comptoir mit Seide beschäftigt. Eine leutselige, leuchtende Seele im durchdringenden Auge und einer äsopischen Hülle; schnell in der Aussprache, doch plötzlich durch ein Band der Natur im Laufe gehemmt. Ein Mann von scharfen Einsichten, feinem Geschmack und ausgebreiteter Wissenschaft. Ein großer Verehrer denkender Genies und selbst ein metaphysischer Kopf; ein unparteiischer Beurtheiler der Werke des Geistes und Geschmacks; vertraulich und offenherzig im Umgange, bescheidener in seinen Reden als in seinen Schriften und beim Lobe unverändert, ungezwungen in seinen Gebehrden, entfernt von ruhmbegierigen Kunstgriffen niederträchtiger Seelen, freigebig, dienstfertig; ein Bruder seiner Brüder, der Juden, gefällig und ehrerbietig gegen sie, auch von ihnen geehrt und geliebt.“
Je mehr aber Lavater Mendelssohn bewunderte und lieb gewann, desto größer wurde sein Wunsch, den jüdischen Philosophen für das Christenthum zu gewinnen. Zu der aufrichten Ueberzeugung und der Sorge um das Seelenheil des von ihm verehrten Mannes gesellte sich seine natürliche Eitelkeit. Eine solche Bekehrung hätte nothwendigerweise das größte Aufsehn in der gebildeten Welt erregt und dem glücklichen Veranlasser keinen geringen Ruf verschafft. Aber es war dies keine leichte Aufgabe, da Mendelssohn treu an dem Glauben seiner Väter hielt und alle derartige Versuche bald mit tieferen Gründen, bald mit leiser Ironie zurückwies. Der fromme Lavater liest sich jedoch nicht so bald abschrecken, er wartete auf eine passendere Gelegenheit, die sich ihm auch mit der Zeit darbot. Einstweilen verabschiedete er sich mit dem Versprechen, von sich bald hören zu lassen.
Jahre waren seit jenem Besuche vergangen, als Lavater seinen gefaßten Vorsatz endlich ausführte, indem er Bonnet’s Beweise für das Christenthum aus dem Französischen übersetzte und Mendelssohn mit einem offenen Briefe widmete, welcher folgendermaßen lautete:
„Ich kenne Ihre tiefen Einsichten, Ihre standhafte Wahrheitsliebe, Ihre unbestechliche Unparteilichkeit, Ihre zärtliche Achtung für Philosophie überhaupt und die Bonnet’schen Schriften besonders, und unvergeßlich ist mir jene sanfte Bescheidenheit, mit welcher Sie, bei aller Ihrer Entferntheit von dem Christenthum, dasselbe beurtheilen, und die philosophische Achtung, die Sie in einer der glücklichsten Stunden meines Lebens über den moralischen Charakter seines Stifters bezeigt haben, so unvergeßlich und dabei so wichtig, daß ich es wagen darf, Sie zu bitten, Sie vor dem Gotte der Wahrheit, Ihrem und meinem Schöpfer und Vater, zu bitten und zu beschwören: nicht, diese Schrift mit philosophischer Unparteilichlkeit zu lesen, denn das werden Sie gewiß ohne mein Bitten selbst thun, sondern dieselbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finden; wofern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie thun heißen – was Sokrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen und unwiderleglich gefunden hätte.“
Das war eine schwere und bittere Stunde für den armen Mendelssohn, als er diesen Brief empfing und las. Wohl durchschaute er die zweideutige Falle, welche hinter den anscheinend liebevollen Worten lauerte. Als Jude konnte und durfte er nicht die Schriften Bonnet’s widerlegen, ohne das Christenthum selbst anzugreifen, wogegen sich seine Klugheit nicht minder wie seine Duldung Andersgläubiger sträubte. Mußte ihm nicht die Rücksicht auf die gedrückte Lage seiner Glaubensgenossen die Hände binden? Seine Entgegnung, so mild auch diese ausgefallen wäre, hätte sämmtliche Zeloten aufgebracht, zu neuen Beschuldigungen und Verfolgungen gegen die Juden Veranlassung gegeben. Auf der andern Seite konnte er ebenso wenig auf die öffentliche Aufforderung Lavaters schweigen; das hieß, ihm oder vielmehr Bonnet Recht geben, seine eigene Religion verdammen, seine innersten Ueberzeugungen verleugnen. Man hatte nichts Geringeres von ihm verlangt, als sich taufen zu lassen, wenn er nicht im Stande wäre, die Beweise für das Christenthum zu widerlegen. Was sollte er thun? – Am meisten aber schmerzte ihn die Indiskretion Lavaters, die jesuitische Schlauheit, womit der Freund ihm nur die Wahl ließ zwischen Abschwörung seines Glaubens oder einem ebenso gefährlichen, als seiner Natur widerstrebenden Angriffe aus die von ihm so hochgeachtete christliche Religion.
Der zudringliche Eifer des Züricher Philosophen versetzte ihn, in die größte Verlegenheit und griff ihn so an, daß er sich dadurch eine schwere Krankheit zuzog, die ihn längere Zeit für jede Arbeit untüchtig machte. Nicht minder erzürnt waren aber die zahlreichen Freunde Mendelssohns, vor Allen der herrliche Lessing, welcher sich, damals in Wolfenbüttel befand. Er schrieb ihn, in Folge dieser Angelegenheit die charakteristischen Zeilen: „Was ist das für ein neuer Angriff, der in der Jenaischen Zeitung von Lavater auf Sie geschehen? Ich lese diese Zeitung nicht und habe sie auch in ganz Braunschweig nicht auftreiben können. Haben Sie doch ja die Güte, mir das Blatt mit der ersten Post zu senden. Noch mehr aber bitte ich Sie, wenn Sie darauf antworten, es mit aller möglichen Freiheit, mit allem nur ersinnlichen Nachdrucke zu thun. Sie allein dürfen und können in dieser Sache so sprechen und schreiben, und sind daher unendlich glücklicher als andere ehrliche Leute, die den Umsturz eines abscheulichen Gebäudes nicht anders, als unter dem Vorwande, es neu zu unterbauen, befördern können. – Ich sende Ihnen auch hierbei Ihre Briefe von Bonnet zurück. Der Narr ist mir so ekel geworden, daß ich auch nicht einmal die Wahrheit von ihm lernen möchte.“
Ermuthigt durch die vielfachen Beweise der Theilnahme von Seiten aller Aufgeklärten und der Freunde wahrer Toleranz, entschloß sich endlich Mendelssohn zu einer Antwort, die von der zarten Feinheit seiner wahrhaft humanen Bildung, von seinem Verstande und seinem Herzen ein gleich ehrenvolles Zeugniß gab. „Sicherlich,“ schrieb er an Lavater, „wenn ich auch sonst kriechend genug dächte, die Klugheit der Wahrheitsliebe und Redlichkeit das Gegengewicht halten zu lassen, so würde ich doch hier in diesem Falle alle drei in derselben Schale antreffen. Ich bin völlig überzeugt, daß Ihre Handlungen aus einer reinen Quelle fließen, und kann Ihnen keine andern, als liebreiche und menschenfreundliche Absichten zuschreiben.
„Aber leugnen kann ich es nicht, ich hätte Alles eher erwartet, als von einem Lavater eine öffentliche Aufforderung. – Sie erinnern sich der vertraulichen Unterredung, die ich mit Ihnen auf meiner Stube zu halten das Vergnügen hatte; – wenn ich nicht irre, so sind Versicherungen vorhergegangen, daß von den Worten, die bei der Gelegenheit vorfallen würden, niemals öffentlicher Gebrauch gemacht werden sollte. Jedoch, ich will mich lieber irren, als Ihnen eine Uebertretung dieses Versprechens[WS 1] Schuld geben. – Die Bedenklichkeit, mich in eine Religionsstreitigkeit einzulassen, ist von meiner Seite nie Furcht oder Blödigkeit gewesen. Ich darf sagen, daß ich meine Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen.
„Wäre nach meinem vieljährigen Forschen die Entscheidung nicht völlig zum Vortheile meiner Religion ausgefallen, so hätte sie nothwendig durch eine öffentliche Handlung bekannt werden müssen. Wäre ich gegen beide Religionen gleichgültig und verlachte oder verachtete in meinem Sinne alle Offenbarung, so wüßte ich gar wohl, was die Klugheit räth, wenn das Gewissen schweigt. – Von dem Wesentlichen meiner Religion bin ich so fest, so unwiderleglich versichert, als Sie oder Herr Bonnet nur immer von der Ihrigen sein können. Sie hätten die Bedingung der Hochachtung für den moralischen Charakter des Stifters Ihrer Religion nicht verschweigen sollen, die ich ausdrücklich in jenem Gespräche beifügte.
„Nach den Grundsätzen meiner Religion soll ich Niemand, der nicht nach unserem Gesetze geboren ist, zu bekehren suchen. Moses hat uns das Gesetz geboten, es ist ein Erbtheil der Gemeine Jakob. Alle andern Völker auf Erden, glauben wir, seien von Gott angewiesen worden, sich an das Gesetz der Natur und an die Religion der Patriarchen zu halten, – die es thun, werden tugendhafte Männer von andern Nationen genannt, und diese sind Kinder der ewigen Seligkeit. [391] Ich habe das Glück, so manchen trefflichen Mann, der nicht meines Glaubens ist, zum Freunde zu haben. Ich genieße die Wollust ihres Umganges, der mich bessert und ergötzt. Niemals hat mir mein Herz heimlich zugerufen: Schade für die schöne Seele!
„Nur die feierliche Beschwörung eines Lavater nöthigt mich, wenigstens meine Gesinnungen öffentlich an den Tag zu legen, damit Niemand ein zu weit getriebenes Stillschweigen für Verachtung oder Geständniß halten möge. Herr Bonnet kann vielleicht nur für solche Leser geschrieben haben, die, wie er, überzeugt sind und nur lesen, um sich in ihrem Glauben zu bestärken. Seine innere Ueberzeugung und ein löblicher Eifer für die Religion scheinen seinen Beweisgründen ein Gewicht zugelegt zu haben, das ein Anderer nicht darin finden kann.“
Die ausweichende Antwort Mendelssohns fand die allgemeinste Billigung und Anerkennung; selbst der berühmte Mirabeau hielt sie für werth, in’s Französische übersetzt zu werden, was er auch selbst, wenn auch nur im Auszuge, that. Lavater’s Benehmen wurde dagegen von seinen eigenen Freunden und zunächst von Bonnet getadelt, der seine Dedication mißbilligte und ihm seine Indiscretion vorwarf. Von allen Seiten angegriffen, sah er wohl sein Unrecht ein und suchte sich durch einen Brief zu entschuldigen, den er Mendelssohn durch den ehrwürdigen Spalding übergeben ließ.
Das Schreiben lautete: „Verehrungswürdiger Herr! Diesen Namen geb’ ich Ihnen mit vieler Ueberzeugung. Die redlichste Absicht hat mich gezwungen, Ihnen Bonnet’s Untersuchung zuzueignen. Bonnet selbst meint, ich sei indiscret gegen Sie gewesen, Freunde in Berlin meinen es auch. Wenn Sie es auch so ansehen, so dürfen Sie nur sagen, nur einen Wink mir oder einem meiner Freunde geben, ob und wie ich diese Indiscretion, die doch wahrlich im Grunde das nicht sein sollte, wieder gut machen soll. Ich werde zufrieden sein, wenn Sie die Sache sonst Ihrer Untersuchung würdigen werden.
„Vergeben Sie mir – was? – daß ich Sie liebe, hochschätze – Ihr Glück in der gegenwärtigen und zukünftigen Welt wünsche. Vergeben Sie mir, wenn ich den unrechten Weg eingeschlagen habe, Ihnen dieses zu bezeugen.“
Zugleich mußte Lavater eingestehen, daß er das Vertrauen seines Freundes gemißbraucht. „Ich weiß mich,“ sagte er in einem späteren Briefe, „so deutlich als möglich zu erinnern, daß ich die Versicherung an Sie ergehen ließ, Sie möchten wider das Christenthum sagen, was sie wollten, so werde ich niemals einen indiscreten, Ihnen nachtheiligen Gebrauch davon machen. Glauben Sie mir, damals war es mir genau so wie jetzt – ich möchte Alles wissen, was sich wider das Christenthum von redlichen, unparteiischen Philosophen sagen läßt. In allen Dingen, die von Menschen herrühren, kann man Nachsicht haben, aber Gott bedarf keiner Nachsicht.“
Der eben so kluge als gute Mendelssohn begnügte sich mit diesen Entschuldigungen, denen er selbst noch folgende für die Öffentlichkeit bestimmte Worte hinzufügte: „Ich erkenne,“ sagte er, „in Lavater’s Betragen seine gute Gesinnung und Freundschaft für mich, der Inhalt seiner Antwort aber zeigt, meines Erachtens, seinen moralischen Charakter von der vortrefflichsten Seite. Man findet in derselben die untrüglichsten Merkmale der wahren Menschenliebe und echten Gottesfurcht, brennenden Eifer für das Gute und Wahre, ungeschminkte Rechtschaffenheit und eine Bescheidenheit, die der Demuth nahe kommt. Es freut mich ungemein, daß ich den Werth der edelmüthigen Seele nie verkannt habe. – Ueberschwängliche Gütigkeit ist es, wenn Herr Lavater mich öffentlich um Verzeihung bittet.“
So triumphirte der jüdische Philosoph über den christlichen Geistlichen durch den Geist der Liebe, Duldung und Sanftmuth, wie ihn Jesus selbst seinen Jüngern und Nachfolgern gelehrt. Was Mendelssohn aber aus weiser Rücksicht unterlassen, that vielleicht in Folge jenes Streites mit Lavater der kühnere Lessing. Er ließ die bekannten „Wolfenbüttel’schen Fragmente eines Unbekannten“ erscheinen und züchtigte den gleißnerischen Hochmuth des Pfaffenthums, wenn auch nicht in der Person Lavater’s, so doch wenigstens an dem Ehrenpastor Götze, dessen Unduldsamkeit, Lieblosigkeit und Verdammungssucht Andersgläubiger er für immer an den Pranger stellte, so wie er der Toleranz und Humanität seines Freundes Mendelssohn ein ewiges Denkmal in seinem „Nathan“ stiftete, dessen „Geschichte von den drei Ringen“ zu dem Herrlichsten gehört, was nicht nur die deutsche Literatur, sondern die Menschheit überhaupt aufzuweisen hat.
Der bekannte Maler Professor Oppenheim in Frankfurt benutzte das kurze Zusammenleben Mendelssohns, Lessings und Lavaters zu einem vortrefflichen Gemälde, das sich jetzt in der Carlsruher Gemäldegallerie befindet und dessen Nachbildung uns von dem Künstler freundlichst gestattet wurde. Wenn auch der Holzschnitt die vielen Schönheiten des Oelgemäldes nicht wiedergeben kann, so zeigt schon die geistvolle Composition und die charakteristische Auffassung der Persönlichkeiten, wie hochbegabt der Künstler für diese Richtung der Kunst ist.
„Nervös“ kann ebensogut eine Krankheit wie ein Mensch sein und werden; bei beiden ist das Nervöse die Folge einer veränderten Thätigkeit im Nervensysteme. – Von einer Krankheit pflegt man zu sagen, sie sei nervös geworden, wenn, in der Regel neben heftigeren Fiebererscheinungen, Störungen in der Hirn- und Nerventhätigkeit (Gehirnsymptome, typhoide Erscheinungen) auftreten, wie: heftiger Kopfschmerz, Eingenommenheit des Kopfes, große Unruhe und Aufregbarkeit, Schlaflosigkeit oder Schlaftaumel und Schlafsucht, Sinnestäuschungen, Schwindel, Irrereden, Krampfzustände, Zittern, Fliegenfangen und Flockenlesen, lallende Sprache, Bewußtlosigkeit und unwillkürliche Ausleerungen. Diese nervösen Symptome, die wahrscheinlich in den meisten Fällen die Folge der Einwirkung entarteten Blutes auf die Hirnsubstanz sind, können sich zu den allerverschiedenartigsten Krankheiten (zumal zu den sogenannten Blutkrankheiten) gesellen, und diese werden dadurch also in ihrem Verlaufe allerdings nervös, niemals aber zum Nervenfieber (Typhus), denn dieses ist eine ganz bestimmte Krankheit und gleich von Haus aus Nervenfieber, ja verläuft bisweilen sogar ohne alle nervösen Symptome (s. Gartenl. 1856, Nr. 10).
Was man nun aber beim Menschen im gewöhnlichen Leben als „nervös“ und „krankhafte Nervenreizbarkeit“ (Sensibilität) bezeichnet, ist in den allermeisten Fällen, zumal bei Frauen und Kindern, nichts als „Unart, Unerzogenheit, Launenhaftigkeit, schlechte Angewöhnung und Mangel an Selbstbeherrschung.“ – Wenn z. B. einem Muttersöhnchen, dem von Geburt an aller Wille gethan und jede Unart nachgesehen wurde, etwas verweigert wird und deshalb der Bengel (der eine tüchtige Tracht Hiebe bekommen sollte) außer sich geräth, so ist „das liebe Kind zu sensibel und muß ja vor aller Aufregung (besonders von Seiten der Dienstleute) in Acht genommen werden.“ – Verfällt eine Frau in krampfhaftes Schluchzen und Zittern, wenn nicht gleich Alles nach ihrem Kopfe geht, dann hat sicherlich der Wütherich von einem Manne die Nerven der armen zart-besaiteten Frau nicht genug geschont, und diese leiden nun an Schwäche. – Behandeln Vorgesetzte ihre Untergebenen, Hausfrauen ihr Dienstmädchen, nicht selten nur einer Kleinigkeit wegen, auf brutale Weise, dann wollen sie „krankhaft reizbar und ärgerlich“, aber sonst die humansten und sanftesten Seelen von der Welt sein. – Geräth ein Dämchen beim Gewitter, beim Anblick einer Raupe oder beim Knabbern einer Maus u. s. f. in blassen Schreck und schreiende Angst, dann ist dies natürlich keine Unart, sondern nur das Zeichen einer nervösen Constitution und soll wohl gar noch von einem zarten, echt weiblichen, poetischen Gemüthe zeugen. Kurz, schon das Wort „nervös“, noch mehr aber das sogen. nervöse Gebahren vieler Menschen macht mich auch nervös, das heißt bei mir aber richtiger „grob“.
Trotzdem gibt es aber doch einen Zustand des Nervensystems, bei welchem ohne sichtbare krankhafte Veränderungen der Nervensubstanz die Thätigkeit (Sensibilität) derselben sich außergewöhnlich träge oder gesteigert zeigt, so daß man allerdings von Nervenschwäche und krankhafter Nervenreizbarkeit (reizbarer Schwäche, widernatürlich gesteigerter Sensibilität) sprechen kann (s. Gartenl. 1860, Nr. 3). Da nun dieser außergewöhnliche Zustand in allen Abtheilungen des Nervensystems (also im Geistes-, Sinnes-, Empfindungs- und [392] Bewegungs-Nervensysteme) vorkommen kann; da er ebenso die Thätigkeit der Nervencentra (des Gehirns und Rückenmarkes), wie die der Leiter (Nerven) dieser Centra betreffen und vorzugsweise auf das leichtere oder trägere Vonstattengehen der Ueberstrahlung (des Reflexes) des Thätigseins von einer Nervenpartie auf die andere Einfluß ausüben kann: so muß Nervenschwäche und krankhaft erhöhte Nervenreizbarkeit die allerverschiedenartigsten Beschwerden und Krankheitserscheinungen veranlassen können. Diese hier alle aufzuzählen, wäre äußerst unerquicklich.
Der Laie spricht von Nervosität, Nervenschwäche und sensiblem Wesen, wenn er, ohne übrigens von einem beschwerlichen Leiden heimgesucht zu sein, gegen äußere, besonders Sinnes- und Gemüths-Eindrücke empfindlicher als sonst ist, wenn er in seinem Thun und Treiben leichter ermüdet, absonderliche Gelüste und Gefühle, Neigung zum Gähnen und Dehnen, zum Erschrecken und Zusammenfahren, sogen. Idiosynkrasien und Gefühle von Ruhelosigkeit hat, von Schlaflosigkeit oder Schlafsucht (mit Aufschrecken) und Verstimmung gequält wird, wozu sich Herzklopfen, Störungen der Eßlust und Verdauung, Eingenommenheit des Kopfes, leichtes Schaudern, Frösteln und fliegende Hitze, ja sogar Krämpfe (zumal die sogenannten hysterischen bei Frauen) und Lähmungserscheinungen gesellen können. Auch ist ein solcher Nervöser zur Thränen-, Schweiß- und Urinabsonderung geneigter, sodaß diese Flüssigkeiten auf die geringsten Eindrücke hin sofort zu fließen beginnen.
Die Ursachen dieser Nervosität sind sehr verschiedenartige, scheinen aber alle durch Herabsetzung der Ernährung in der Nervensubstanz zu wirken; die einen dürften unmittelbar auf das Nervensystem und zwar durch Ueberanstrengung (Ueberreizung) schädlichen Einfluß ausüben, während die andern mittelbar durch Störungen im Ernährungsmateriale (Blut) oder Ernährungsapparate das Nervenleben schwächen. Man sieht deshalb die Nervosität heranwachsen: nach bedeutenden, das Nervensystem angreifenden, niederdrückenden Gemüthsbewegungen, wie des Grams, der Reue, nagenden Kummers, gekränkten Ehrgeizes, getäuschter Liebe, des Heimwehs, überhaupt unglücklicher Verhältnisse aller Art. Ebenso wird sie auch hervorgerufen: durch heftige Leidenschaften und starke Geistesanstrengungen (zumal mit Nachtwachen), durch lange dauernde und erschöpfende Nerven- und Schmerzkrankheiten, sowie durch Alles, was Blutarmuth (s. Gartenl. 1853, Nr. 49) zu erzeugen im Stande ist, wie starke Blutflüsse und Samenverluste, übermäßiges Stillen und andere Ausleerungen. In sehr vielen Fällen trägt auch die infame Kaltwasserwirthschaft, durch die sich Manche gerade zu stärken gedenken, die Schuld der Schwäche und krankhaften Reizbarkeit im Nervensysteme. Es ist traurig, daß Aerzte wie Laien von der unglücklichen Idee nicht lassen können, als ob Kälte ein Stärkungsmittel für den menschlichen Körper sei. Eins der heftigsten Reizmittel ist sie und erzeugt deshalb, falsch und übermäßig angewendet, gerade Schwäche (s. Gartenl. 1856, Nr. 40). – Gar häufig wird die Nervenschwäche und nervöse Reizbarkeit schon in der Jugend anerzogen und zwar durch zu zeitigen Schulbesuch, durch verkehrte, mehr das Geistige (Verstand und Gemüth) als das Körperliche entwickelnde Erziehung, durch empfindelnde romanhafte Leserei, geschlechtliche Reizung, übermäßigen Genuß starken Kaffees und Thees, frühzeitigen Genuß spirituoser Getränke, durch Ueberstudiren, Müßiggang und Verzärtelung.
Bei der Behandlung der Nervosität kommt es nun darauf an, die Ernährung der Nervenmasse gehörig zu heben, nicht aber, wie dies so häufig geschieht, durch Erregungsmittel (wie durch Spirituosa, kaltes Wasser, Gewürzhaftes etc.) die Nerventhätigkeit widernatürlich zu steigern. Denn wenn auch diese Erregung für den Augenblick die Nervenkaft gekräftigt zu haben scheint, so ist dies doch blos ein Schein, und es folgt dieser scheinbaren Kräftigung sehr bald eine um so größere Schwäche. Es verhält sich mit einer solchen Kräftigung gerade so wie mit der Stärkung eines abgematteten Pferdes durch die Peitsche. In den meisten Fällen von Nervenschwäche gibt das kalte Wasser (als Waschung, Uebergießung, Fluß- und Seebad) diese Peitsche ab und macht Nervöse immer nervöser. Und das ist und bleibt so, die Kaltwasserdoctoren und Seebadärzte mögen sich darüber erbosen wie sie wollen. Daß man nach Hebung der Nervenschwäche durch kalte Luft und kaltes Wasser eine allmähliche Abhärtung zu erzielen suchen muß, ist ganz wahr, aber eine total andere Sache.
Soll die gesunkene Ernährung der Nervenmasse gehörig gehoben werden, und dadurch die Stärkung der geschwächten Nervenkraft ordentlich vor sich gehen, so ist als oberste Regel zu beachten: das Nervensystem muß vor allen stärker erregenden Eindrücken gewahrt werden, es muß in der größtmöglichen Ruhe verbleiben und (das Hirn-Nervensystem) so oft und lange als möglich in ruhigem Schlafe verharren. Deshalb sind alle das Denken, das Gemüth, die Sinne und überhaupt die Empfindung heftig berührende Einflüsse ganz zu meiden oder, so viel es nur immer geht, zu mildern, und dahin gehört hauptsächlich auch, wie nicht oft genug erwähnt werden kann, das kalte Bad. – Wenn nervenschwache Damen fortwährend in Gesellschaften, Theater und Concerten sich herumtreiben, oder ohne ihre belebende kalte Wascherei nicht leben zu können meinen, so müssen sie nicht von ihrer Nervenschwäche curirt sein wollen. Ebenso können sensible Männer nicht erwarten nervenstark zu werden, wenn sie ihre Leidenschaften, sowie ihre Kopf oder Sinne angreifenden und sehr abspannenden Geschäfte auf kürzere oder längere Zeit zu missen nicht im Stande sind. – Natürlich müssen die psychischen Ursachen, welche auf das Nervensystem zur Zeit noch überreizend und schwächend einwirken, soweit es in unserer Macht steht, weggeräumt werden. Vergessenmachen alles dessen, was nicht zu ändern ist, Veränderung der Umgebung, des Wohnorts, der Beschäftigung, zweckmäßige Gesellschaft, gemüthliches Reisen, Land- und Badeleben u. s. f. wirkt in der Regel sehr wohlthuend auf das leidende Nervensystem ein. Daß dann nach Kräftigung des schwachen und reizbaren Nervensystems ein richtiger Wechsel von Erregung und Ruhe eintreten muß, verlangen die Gesetze des Stoffwechsels (der Ernährung), und deshalb ist vor Allem das Verhältniß zwischen Arbeiten und Ruhen, zwischen Schlaf und Wachen zu regeln.
Dem mit der größten Schonung zu behandelnden geschwächten Nervensysteme ist nun aber auch das nöthige Ernährungsmaterial, d. h. alles das, was die Nervensubstanz aufbaut (also hauptsächlich Eiweißsubstanz und phosphorhaltiges Fett), durch die Nahrung mit Hülfe des Blutes in gehöriger Menge zuzuführen. Deshalb steht die Milch als bestes Nahrungsmittel und insofern als vorzügliches Stärkungsmittel für die Nerven obenan; ihr folgen Eier (aber ja gleichzeitig das Weiße wie das Gelbe), fette Fleischbrühe und Fleisch, Breie von durchgeschlagenen (entschälten) Hülsenfrüchten. Alle reizenden Speisen und Getränke (Wein, Bier, starker Kaffee und Thee) sind schädlich. – Daß der Blutlauf durch mäßige Bewegung und kräftiges (unbehindertes) Athmen zu fördern ist, versteht sich von selbst.
Außer der Nahrung dient auch Luft, Licht und Wärme zur Kräftigung des geschwächten Nervensystems. Eine reine, frische Luft in sonniger Waldgegend, helle, warme Wohnung mit luftigem Schlafzimmer, warme Bäder (aber nicht zu lange und zu heiß gebraucht) beschleunigen die Heilung.
Wer sich bei seiner Nervosität auf ein nervenstärkendes Apotheken-Mittel oder auf ein Bad und Mineralwasser verläßt, ist verlassen. Dafür also: zuerst Kräftigung des geschwächten Nervensystems durch Hebung seiner Ernährung mit Hülfe von Ruhe, Nahrung, Luft, Licht und Wärme; dann erst allmähliche Abhärtung desselben durch Thätigsein und Kälte, sowie durch Hebung der Willenskraft.
Der Gewaltige, welcher zu Anfang dieses Jahrhunderts mit eisernem Fuße über die Weltbühne schritt, daß die Länder erzitterten und Throne schwankten und zusammenstürzten, war bei Leipzig unterlegen; die siegreichen Verbündeten zogen in dem bestürzten Paris ein, und hier wurde am 11. April 1814 in einer allgemeinen Versammlung der Minister der verbündeten Mächte, der Mitglieder der provisorischen Regierung von Frankreich und der Vertreter Napoleons jener berühmte Vertrag unterzeichnet, welcher dem größten Eroberer, den die Welt gesehen, nur die kleine Insel Elba nebst einer Pension für ihn und die Seinigen bewilligte! [393] „Ein schreckliches Beispiel der Strafe, die das Glück denjenigen vorbehält, die sich von seiner Gunst haben berauschen lassen!“
Mit diesem Vertrage waren die Vertreter Napoleons, der Herzog von Vicenza, Caulaincourt, und der Herzog von Tarent, Macdonald, zu dem gestürzten Kaiser, der in Fontainebleau ihrer harrte, zurückgekehrt und hatten daselbst einen herzlicheren Empfang, als sie vermutheten, gefunden. Es sei uns vergönnt, über diesen letzten Aufenthalt Napoleons den Lesern der Gartenlaube ein paar in dieser Ausführlichkeit weniger bekannte Scenen mitzutheilen, die wir dem nächstens erscheinenden siebzehnten Bande von Thiers’ „Geschichte des Consulats und des Kaiserreichs“ entnehmen und deren Glaubwürdigkeit nicht angezweifelt werden dürfte, da sie auf den handschriftlichen bis jetzt ungedruckten Denkwürdigkeiten Caulaincourt’s und Macdonald’s – zweier makelloser Ehrenmänner – beruhen.
Napoleon empfing – nach Thiers’ Erzählung – seine beiden Vertreter ruhig, sanfter als gewöhnlich und hatte in seinen Worten und seiner Haltung etwas Feierliches. Obwohl er alle seine Seelenstärke aufgeboten hatte, um sich unter den außerordentlichen Umständen, denen er erlegen, zu mäßigen, und obwohl er sich gleichsam auf den Flügeln seines Genie’s über die Erde emporgeschwungen, sodaß sich Caulaincourt nicht hatte enthalten können, ihm die höchste Bewunderung zu zollen, schien er in diesem Augenblicke sich doch noch höher zu erheben und von allen Dingen mit einer außerordentlichen Unbefangenheit zu sprechen. Er dankte auf’s Neue Caulaincourt, aber diesmal sehr persönlich, für alles, was er gethan, und wiederholte, der Vertrag sei genügend für seine Familie, mehr als genügend für ihn selbst, der nichts bedürfte, drückte aber nochmals sein Bedauern daüber aus, daß er nicht das Herzogthum Toscana für seine Gemahlin und seinen Sohn bewilligt erhalten habe. – „Es ist ein schönes Fürstenthum,“ sagte er, „das sich für meinen Sohn gepaßt hätte. Auf diesem Throne, wo die Intelligenz erblich geblieben ist, wäre mein Sohn glücklich gewesen, glücklicher, als auf dem allezeit den Stürmen ausgesetzten Throne Frankreichs, wo sich mein Geschlecht nur kraft eines Titels, nämlich des Sieges, behaupten kann. Ueberdies würde dieser Thron für meine Frau nothwendig gewesen sein. Ich kenne sie, sie ist gut, aber schwach und frivol … Mein lieber Caulaincourt,“ fügte er hinzu, „Cäsar kann wieder Bürger werden, aber seine Frau kann es nicht leicht entbehren, die Gemahlin Cäsars zu sein. Marie Louise würde zu Florenz noch einen Rest des Glanzes gefunden haben, womit sie zu Paris umgeben war. Sie hätte nur den Canal von Piombino zu überschreiten gebraucht, um mir einen Besuch abzustatten; mein Gefängniß wäre gleichsam in ihren Staaten enclavirt gewesen; unter diesen Umständen hätte ich hoffen können, sie zu sehen, ja ich hätte sie selbst besuchen können, und sobald erkannt worden wäre, daß ich der Welt entsagt hätte, daß ich, ein neuer Sancho, nur noch auf das Glück meiner Insel bedacht wäre, würde man mir diese kleinen Reisen gestattet haben; ich hätte das Glück wiedergefunden, dessen ich selbst mitten im vollen Glanze meines Ruhmes kaum genossen habe. Aber jetzt, wo meine Frau von Parma kommen und durch mehrere fremde Fürstenthümer wird reisen müssen, um sich zu mir zu begeben – Gott weiß es! … Doch lassen wir diesen Gegenstand; Sie haben gethan, was Sie vermochten …. Ich danke Ihnen dafür; Oesterreich hat kein fühlendes Herz …“ Er drückte auf’s Neue Caulaincourt die Hand und sprach über sein ganzes Leben mit einer seltenen Unparteilichkeit.
Er gab zu, daß er sich getäuscht habe, daß er, ganz eingenommen von Frankreich, von dem Range, den es in der Welt hatte, und von demjenigen, den es darin haben könnte, mit demselben und für dasselbe ein ungeheures Reich habe aufbauen wollen, ein leitendes Reich, von welchem alle andern hätten abhängen müssen, und er erkannte an, daß er, nachdem er diesen schönen Traum beinahe vollständig verwirklicht, es nicht verstanden habe, an der von der Natur der Dinge vorgezeichneten Grenze Halt zu machen. Darauf sprach er von seinen Generalen, seinen Ministern, gedachte Massena’s, versicherte, dieser sei derjenige seiner Feldherren gewesen, der die größten Dinge vollbracht habe, sprach von Suchet (Herzog von Albufera), von dessen tiefer Weisheit im Kriege und in der Verwaltung, äußerte einige Worte vom Marschall Soult (Herzog von Dalmatien) und dessen Ehrgeize und unterhielt sich endlich über Berthier (Fürst von Neufchatel und Wagram), dessen so richtigen Verstand, Rechtschaffenheit und seltene Talente als Generalstabschef.
Es würde zu weit führen, wollten wir hier diese denkwürdige Unterredung in ihrer ganzen Ausführlichkeit wiedergeben; daher nur noch Folgendes. Napoleon schloß die Unterredung im Ausdrucke liefen Schmerzes mit den Worten: „Es ist nicht zu leugnen, ich leide, aber die Leiden, die ich erdulde, sind nichts gegen eins, das sie alle übersteigt: meine Laufbahn zu beschließen, indem ich einen Vertrag unterzeichne, worin ich kein einziges allgemeines Interesse habe stipuliren können, nicht einmal ein einziges moralisches Interesse, wie die Erhaltung unsrer Farben oder die Aufrechthaltung der Ehrenlegion! einen Vertrag zu unterzeichnen, worin man mir Geld gibt! …. Ach! Caulaincourt, wären nicht mein Sohn, meine Frau, meine Schwestern, meine Brüder, Josephine, Eugen, Hortensia, ich würde diesen Vertrag in tausend Stücke zerreißen!“ Darauf fügte Napoleon mit einem doppelten Schmerz hinzu: „Und diese Demüthigungen sind nicht die letzten! … Ich werde durch jene südlichen Provinzen reisen, wo die Leidenschaften so heftig sind. Mögen die Bourbons mich dort ermorden lassen, ich verzeihe es ihnen; aber ich werde vielleicht den Beschimpfungen jenes abscheulichen Pöbels des Südens preisgegeben werden. Auf dem Schlachtfelde sterben ist nichts, aber mitten im Kothe und unter solchen Händen! –“
Napoleon schien in diesem Augenblicke mit Grauen nicht den Tod, dem zu trotzen er zu sehr gewohnt war,/um ihn zu fürchten, wohl aber eine schändliche Marter zu ahnen! … Da er endlich bemerkte, daß sich diese Unterredung außerordentlich verlängert hatte, entschuldigte er sich, Caulaincourt so lange zurückgehalten zu haben, entließ ihn mit noch herzlicheren Ausdrücken und wiederholte, er werde ihn wieder rufen lassen, sobald er seiner bedürfe. Caulaincourt verließ ihn tief ergriffen von dem, was er gehört hatte, und erblickte in diesen langen Recapitulationen, in diesen feierlichen Urtheilen über sich und über die Andern nur einen der irdischen Größe, nicht aber dem Leben gesagten Abschied. – Er irrte sich. Es war ein dem Leben geltender Abschied, den Napoleon zu nehmen glaubte, indem er sich in dieser Weise offen aussprach. Er hatte in der That den sonderbaren und seiner nicht sehr würdigen Entschluß gefaßt, sich den Tod zu geben. Sehr thatkräftige Charaktere empfinden selten Ueberdruß am Leben, denn sie bedienen sich desselben zu sehr, um sich versucht zu fühlen, darauf zu verzichten. Napoleon, der eins der thatkräftigsten Wesen menschlicher Natur war, hatte sonach keine Neigung zum Selbstmord; er verachtete ihn sogar als eine unüberlegte Verzichtung auf die Wechselfälle der Zukunft, die stets ebenso zahlreich als unvorhergesehen für Jeden bleiben, der die vorübergehende Last der schlechten Tage zu ertragen weiß. Gleichwohl treten in jedem, selbst auf das Muthigste ertragenen Mißgeschick Augenblicke der Niedergeschlagenheit ein, wo sich Geist und Charakter unter der Last des Unglücks beugen. Napoleon hatte an diesem Tage einen jener Augenblicke unüberwindlicher Schwäche. Nachdem der auf seine Familie bezügliche Vertrag unterzeichnet, die Ehre der Monarchen als Bürgschaft dafür verpfändet und das Loos seines Sohnes, seiner Frau, seiner Verwandten gesichert schien, glaubte er seine letzten Pflichten erfüllt zu haben. Uebrigens meinte er, bei redlichen Leuten werde sein Tod den gegen ihn übernommenen Verpflichtungen einen heiligen Charakter verleihen, und indem man aufhöre, ihn zu fürchten, werde man auch aufhören, ihn zu hassen. Während er immer mehr seine Laufbahn als geschlossen betrachtete, nicht begriff, wie er auf einer kleinen Insel des mittelländischen Meeres leben solle, wo er weiter nichts thun würde, als die warme Luft Italiens zu athmen, auch nicht einmal mehr auf Familienfreuden zählte, denn in diesem Augenblicke unheimlichen Hellsehens errieth er, daß man ihm weder seinen Sohn noch seine Frau lassen werde, gedemüthigt, einen Vertrag unterzeichnet zu haben, dessen Charakter durchaus persönlich und so zu sagen pecuniair war, müde, jeden Tag den Lärm der öffentlichen Verwünschungen zu hören, während er sich mit Grauen auf seiner Reise nach der Insel Elba bereits den Beschimpfungen eines gereizten Pöbels preisgegeben sah, war ihm einen Augenblick das Leben verhaßt geworden und er entschloß sich, seine Zuflucht zu einem Gifte zu nehmen, das er seit langer Zeit für einen extremen Fall in Bereitschaft gehalten hatte. In Rußland, am Tage nach der blutigen Schlacht von Malo-Jaroslawetz, nach dem plötzlichen Einbruche der Kosaken, der seine Person in Gefahr gebracht, hatte ihm die Möglichkeit vorgeschwebt, der Gefangene der Russen zu werden, und er hatte deshalb vom Doctor Yvan eine starke Dosis Opium verlangt, [394] um sich der unerträglichen Marter, den Triumphwagen des Siegers zu schmücken, zu entziehen. Doctor Yvan, welcher die Nothwendigkeit einer solchen Vorsichtsmaßregel einsah, hatte ihm das verlangte Opium verschafft und Sorge getragen, es in ein Beutelchen zu verschließen, damit er es allezeit bei sich tragen könne, ohne sich jemals davon zu trennen. Nach Frankreich zurückgekehrt, hatte Napoleon es nicht vernichten mögen, sondern es in seinem Reisekästchen aufbewahrt, wo es sich noch befand.
Nach den niederbeugenden Reflexionen des Tages, während er übrigens das Loos der Seinigen als gesichert betrachtete und es durch seinen Tod nicht zu gefährden glaubte, wählte er die Nacht vom 11. April, um der Mühsal des Lebens ein Ende zu machen, die er, nachdem er sie so lange gesucht, nicht mehr ertragen konnte, und er zog den furchtbaren Trank aus seinem Reisekästchen, verdünnte ihn mit etwas Wasser, nahm ihn zu sich und ließ sich dann auf dem Bett nieder, wo er auf ewig einzuschlafen gedachte.
Entschlossen, hier die Wirkung des Giftes abzuwarten, wollte er Caulaincourt noch ein Lebewohl sagen und ihm namentlich seine letzten Absichten in Betreff seiner Frau und seines Sohnes eröffnen. Er ließ ihn gegen drei Uhr Morgens rufen, entschuldigte sich, seinen Schlaf zu stören, berief sich aber auf die Nothwendigkeit, zu den bereits ertheilten Instructionen noch einige wichtige hinzuzufügen. Seine Gesichtszüge waren beim Schimmer eines fast erloschenen Lichtes kaum zu unterscheiden; seine Stimme war schwach und bewegt. Ohne zu erwähnen, was er gethan hatte, nahm er unter seinem Kissen einen Brief und ein Portefeuille hervor und sagte zu Caulaincourt, indem er ihm Beides reichte: „Dies Portefeuille und dieser Brief sind für meine Frau und für meinen Sohn bestimmt; ich bitte Sie, sie ihnen eigenhändig zu übergeben. Meine Frau und mein Sohn werden beide der Rathschläge Ihrer Klugheit und Rechtschaffenheit sehr bedürfen, denn ihre Lage wird sehr schwierig sein, und ich bitte Sie, sie nicht zu verlassen. Dies Kästchen (er zeigte auf sein Reisekästchen), soll Eugen übergeben werden. Sie werden Josephinen sagen, daß ich ihrer gedacht habe, bevor ich vom Leben schied. Nehmen Sie diese Camee und bewahren Sie sie zum Andenken. Sie sind ein ehrlicher Mann und haben gestrebt, mir die Wahrheit zu sagen … Lassen Sie uns umarmen!“
Bei diesen letzten Worten, die keinen Zweifel an dem von Napoleon gefaßten Entschlusse übrig lassen konnten, ergriff Caulaincourt, obgleich er nicht leicht zu rühren war, die Hände seines Gebieters und benetzte sie mit seinen Thränen. Er bemerkte in seiner Nähe ein Glas, welches noch die Spuren des tödtlichen Trankes trug. Er fragte den Kaiser, der ihn statt aller Antwort bat, sich zu fassen, nicht hinwegzugehen und ihn seine Agonie ruhig vollenden zu lassen. Caulaincourt suchte zu entschlüpfen, um Beistand zu rufen. Napoleon bedeutete ihn jedoch, erst bittend, dann im Tone des Befehls, nichts dergleichen zu thun, denn er wollte keinen Auftritt und namentlich sein verscheidendes Gesicht keinem fremden Auge aussetzen.
Caulaincourt war, gleichsam der Bewegung beraubt, neben dem Lager, wo dieses außerordentliche Dasein dem Erlöschen nahe schien, hingesunken, als sich Napoleon’s Gesicht plötzlich krampfhaft zusammenzog. Er litt fürchterlich und strengte sich an, dem Schmerze Trotz zu bieten. Bald kündigten heftige Krämpfe ein bevorstehendes Erbrechen an. Nachdem sich Napoleon dieser Regung der Natur widersetzt, war er gezwungen, nachzugeben. Ein Theil des genommenen Giftes wurde in ein silbernes Becken ausgebrochen, welches Caulaincourt hielt. Dieser benutzte die Gelegenheit, sich einen Augenblick zu entfernen, um Beistand zu rufen. Der Doctor Yvan eilte herbei. Vor ihm erklärte sich Alles. Napoleon forderte seitens desselben einen letzten Dienst, nämlich eine Wiederholung der Opiumdosis, weil er fürchtete, das in seinem Magen gebliebene Gift werde nicht genügen. Der Doctor Yvan zeigte sich empört über eine solche Zumuthung. Er hatte seinem Gebieter einen derartigen Dienst in Rußland leisten können, um ihm zum Entrinnen aus einer schauderhaften Lage behülflich zu sein, aber er bereute bitter, es gethan zu haben, und entwich, als Napoleon auf seiner Fordenmg beharrte, aus dem Zimmer, worin er nicht wieder erschien. In diesem Augenblicke fanden sich der General Bertrand und der Herzog von Bassano (Maret) ein. Napoleon empfahl, daß man diese traurige Episode seines Lebens so wenig als möglich bekannt werden lassen möge, während er noch hoffte, es werde die letzte sein. Man hatte in der That Grund, es zu glauben, denn er schien überwältigt und dem Ende nahe. Bald fiel er in eine Ermattung, die mehrere Stunden anhielt.
Seine getreuen Diener blieben unbeweglich und bestürzt um ihn. Von Zeit zu Zeit fühlte er heftige Magenschmerzen und rief mehrmals: „Wie schwer ist es, zu sterben, während es auf dem Schlachtfelde so leicht ist! Ach! daß ich nicht bei Arcis-sur-Aube gestorben bin!“
Die Nacht ging vorüber, ohne daß neue Zufälle eintraten. Er begann zu glauben, daß er diesmal das Ende seines Lebens nicht sehen werde, und die getreuen Personen, die ihn umgaben, hofften es gleichfalls, indem sie sich sehr glücklich schätzten, daß er nicht gestorben war, ohne doch seinetwillen sehr zufrieden zu sein, daß er lebte. Inzwischen meldete man den Marschall Macdonald, welcher, bevor er Fontainebleau verließe, dem Kaiser ohne Krone noch seine Ergebenheit zu bezeigen wünschte.
„Ich werde diesen würdigen Mann sehr gern empfangen,“ sagte Napoleon, „doch möge er warten. Ich will nicht, daß er mich in meinem jetzigen Zustande sieht.“ – Der Graf Orloff erwartete seinerseits die Ratificationen, die er zu holen gekommen war. Man befand sich am Morgen des 12. April; um diese Zeit sollte der Graf von Artois in Paris einziehen, und viele angesehene Personen fühlten sich gedrängt, Fontainebleau zu verlassen. Napoleon wollte sich ein wenig erholt haben, bevor er irgend Jemand seiner Person nahe kommen ließe.
Nach einer ziemlich langen Ermattung nahmen Caulaincourt und einer der drei Männer, die in das Geheimniß dieser Vergiftung eingeweiht waren, Napoleon in ihre Arme und trugen ihn an ein Fenster, das man geöffnet hatte. Die Luft belebte ihn merklich. – „Das Schicksal hat entschieden,“ sagte er zu Caulaincourt; „ich muß leben und abwarten, was die Vorsehung von mir will.“ Darauf willigte er ein, den Marschall Macdonald zu empfangen. Dieser wurde eingeführt, ohne von dem Geheimniß, das man vor Jedermann verborgen hielt, unterrichtet zu sein. Er fand Napoleon auf einem Ruhebett ausgestreckt, erschrak über den Zustand der Entkräftung, worin er ihn sah, und drückte ihm ehrerbietig seinen Kummer darüber aus. Napoleon stellte sich, als schriebe er den Magenleiden, von denen er zuweilen befallen ward und die bereits die Krankheit ankündigten, an der er gestorben ist, den Zustand zu, in welchem er sich zeigte. Er drückte dem Marschall herzlich die Hand. – „Sie sind ein braver Mann,“ sagte er zu ihm, „dessen großmüthiges Benehmen gegen mich ich zu würdigen weiß, und ich wünsche, ich könnte Ihnen meine Dankbarkeit anders als mit Worten beweisen. Aber was Ehren anlangt, darüber verfüge ich nicht mehr; Geld habe ich nicht, und übrigens ist es auch Ihrer nicht würdig. Aber ich kann Ihnen ein Zeichen der Achtung geben, welches Ihnen, hoff’ ich, schätzbarer sein wird.“
Darauf verlangte er einen in der Nähe seines Kissens liegenden Säbel und sagte, indem er ihn dem Marschall reichte: „Hier ist Murad-Bey’s Säbel, welcher eine der Trophäen von Abukir war und den ich oft getragen habe. Sie werden ihn zum Andenken an unsern letzten Umgang aufbewahren und später Ihren Kindern übergeben.“ – Mit tiefer Rührung empfing der Marschall diesen Beweis der Achtung und umarmte den Kaiser im Dränge innigsten Gefühls. Sie schieden, um einander nicht wiederzusehen, obwohl sie Beide noch nicht am Schlusse ihrer Laufbahn angelangt waren. Der Marschall reiste sofort nach Paris ab. Auch Berthier war abgereist, indem er wiederzukommen versprochen, jedoch in einer Weise, die seinen ehemaligen Gebieter nicht überzeugt hatte. – „Sie werden sehen, daß er nicht wiederkommt,“ sagte Napoleon traurig, aber nicht ohne Bitterkeit zu Caulaincourt.
Inzwischen hatte Caulaincourt endlich Zeit gefunden, die Ratificationen des Vertrags vom 11. April auszufertigen und sie, mit der kaiserlichen Unterschrift versehen, dem Grafen Orloff zu übergeben. Er war zu Napoleon zurückgekehrt, welcher von Marie Louise ein äußerst zärtliches Schreiben empfangen hatte. Dieses Schreiben enthielt die befriedigendsten Nachrichten von seinem Sohne, gab ihm die vollkommenste Ergebenheit zu erkennen und sprach den Entschluß aus, sich so schnell als möglich wieder mit ihm zu vereinigen. Es machte auf Napoleon einen außerordentlichen Eindruck. Es rief ihn gewissermaßen zum Leben zurück. Seiner gewaltigen Einbildungskraft schien sich eine neue Existenz eröffnet zu haben. – „Die Vorsehung hat es so gewollt,“ rief er Caulaincourt zu; „ich werde leben … Wer kann die Zukunft ergründen? [395] Meine Frau, mein Sohn genügen mir übrigens. Ich werde sie, hoff’ ich, sehen, ich werde sie oft sehen; sobald man überzeugt sein wird, daß ich nicht daran denke, mein Asyl zu verlassen, wird man mir erlauben, sie zu empfangen, vielleicht auch, sie zu besuchen, und dann will ich die Geschichte dessen schreiben, was wir gethan haben … Caulaincourt,“ rief er aus, „ich werde eure Namen unsterblich machen! …“ Dann fügte er hinzu: „Es sind noch Gründe vorhanden, zu leben! …“
Indem er sich darauf mit einer erstaunlichen Beweglichkeit der neuen Existenz zuwandte, deren Bild er sich entworfen hatte, beschäftigte er sich mit den Einzelheiten seiner Einrichtung auf der Insel Elba und sprach die Absicht aus, daß Caulaincourt selbst sowohl zu Marie Louise als zu den Monarchen gehen sollte, um die Weise zu reguliren, in welcher seine Frau sich wieder mit ihm zu vereinigen hätte. Er war nicht darauf bedacht gewesen, sich Geld zu reserviren; der ganze Schatz der Armee war für den Sold erschöpft worden. Marie Louise war noch im Besitz von einigen Millionen. Seine Absicht war, sie ihr zu lassen, damit sie den Dienst Niemandes, namentlich nicht ihres Vaters, in Anspruch zu nehmen haben möchte. Nur nachdem die Nothwendigkeit, seine Zuflucht zu diesem einzigen Hülfsmittel zu nehmen, nachgewiesen war, willigte er ein, daß man mit ihr theilen möchte. Er beauftragte Caulaincourt, sich zu ihr zu begeben und ihr wiederholt zu rathen, eine Zusammenkunft mit dem Kaiser Franz zu verlangen, welcher ihr, vielleicht durch ihre Gegenwart gerührt, Toscana bewilligen würde. Sie sollte sich alsdann über Orleans auf der Straße des Bourbonnais bei ihm einfinden. Indeß empfahl er Caulaincourt ausdrücklich, Marie Louise nicht zur Wiedervereinigung mit ihm zu drängen, sondern sie in dieser Hinsicht ihre Entschlüsse aus eigenem Antrieb fassen zu lassen, „denn,“ sagte er mehrmals, „ich kenne die Frauen und besonders die meinige! Statt des Hofes von Frankreich, so wie ich ihn geschaffen habe, ihr ein Gefängniß anbieten, heißt sie auf eine sehr harte Probe stellen! Wenn sie mir ein trauriges oder gelangweiltes Gesicht brächte, würde ich untröstlich darüber sein. Ich will lieber die Einsamkeit als den Anblick der Traurigkeit und der Langenweile. Wenn ihr Herzensdrang sie zu mir führt, werde ich sie mit offenen Armen empfangen; außerdem mag sie in Parma oder Florenz bleiben, da, wo der Sitz ihrer Regierung sein wird. Ich werde nur meinen Sohn von ihr verlangen.“
Nachdem Napoleon diese Bedenken geäußert, beschäftigte er sich mit den Einzelnheiten seiner Reise. Man war übereingekommen, ihn durch Commissare der Mächte nach der Insel Elba begleiten zu lassen, und es schien ihm besonders an der Gegenwart des englischen Commissars gelegen zu sein. – „Die Engländer,“ sagte er, „sind ein freies Volk und sie achten sich.“ – Nachdem alle diese Einzelheiten geordnet waren, trennte er sich von Caulaincourt und wiederholte ihm die Versicherungen unbedingten Vertrauens und ewiger Dankbarkeit. Caulaincourt reiste ab, um seine Mission bei Marie Louise und bei den Monarchen zu erfüllen.
Die häßliche, scharlachrothe Soldaten-Uniform mit dem scheußlichen Pelzthurm auf dem Kopfe gilt in England ungefähr ebensoviel, wie die Zuchthausjacke oder irgend ein Kainsstempel. Nur aus den niedrigsten, verwahrlostesten Schichten der englischen Hefe kauft der Werbeofficier unter falschen Vorspiegelungen und unterstützt von Bier, Gin, Tanz, Kneiperei und Tanzmusik, seine frische Waare für das schauderhaft casernirte und gefütterte, hoffnungslose, avancementsunfähige, noch mit Knute und „neunschwänziger Katze“ tractirte, gemeine Linien-Heer. Blos bis zum Corporal kann’s der gemeine Soldat bringen und dies nur unter seltenen, günstigen Umständen. Bis zur nächsten höheren Stelle gähnt eine unüberwindliche Kluft, jenseits welcher nur Söhne und Taugenichtse der Aristokratie und des großen Capitals die Officierstellen für schweres Geld kaufen, aber nicht durch Verdienst und Talent erwerben können. Deshalb sind auch die fabelhaft kostbaren Officier-Uniformen in gebildeter, civiler Gesellschaft so mißliebig, ja unmöglich, daß es keinem Lieutenant, Major oder General je einfällt, sich, wenn nicht pflichtmäßig „im Dienste“, öffentlich oder in Gesellschaft uniformirt und wohl gar mit scandalirendem, das Straßenpflaster mißhandelndem Schleppsäbel, wie es der Berliner Lieutenant so sehr liebt, zu zeigen.
Da es nun überhaupt in England verhältnißmäßig die wenigsten Soldaten gibt und die gemeinen außer Dienst nie mit Waffen ausgehen dürfen, fällt das englische Leben im Vergleich zu Ländern wie Preußen und Frankreich, wo man sich öffentlich vor Soldaten und Säbeln oft kaum retten kann, erfreulich durch seine freie, civile, uncasernirte Bewegung auf. Freilich ging daraus eine andere, langweilige, viel ödere Uniformirtheit hervor, die des merkantilen schwarzen, gebürsteten, schauderhaften französischen Hutes, dieser lächerlichen „Angströhre“ mit Backenbärtchen, steifen Vatermördern und fast immer schlecht sitzenden schwarzen, kellner- und bedientenhaften Leib- oder Oberröcken darunter. So eine dicht gedrängte Versammlung von Börsenmännern und City-Herren, von oben gesehen, gleicht einem kohlschwarzen, wimmelnden Sumpfe statt einer Schaar von Männern.
Die Trostlosigkeit dieser civilen, mercurialen Kleidungs- und Lebensweise ist zu schwer zu ertragen, als daß sich nicht wenigstens in der Jugend Sehnsucht und Streben nach freundlicheren Formen hätte regen sollen. Dieser Umstand ist nicht zu übersehen, wenn wir uns die neuen Lebensbilder, die jetzt durch die Straßen Englands ziehen und alle civilen Kreise durchdringen, hinlänglich erklären wollen. Aber wir geben einen tieferen, bedeutungsvolleren Grund zu und an. Das Vaterland war und ist wirklich in Gefahr, wie jedes Land in Europa, das unter Palmerston’s und anderer hoher politischer Herren pflegeväterlicher Zärtlichkeit den größten und energischsten Charlatan aller Zeiten wachsen und so gedeihen sah, daß Niemand mehr seiner Wäsche auf dem Zaune sicher ist.
England hat wenig, theuere und gegen Palmerston’s intimsten Zögling und Freund unzureichende Soldaten. Außerdem ist die Politik dieser kindisch gewordenen Greise, welche England regieren, dem starken, schlauen, konsequenten allgemeinen Feinde Europa’s gegenüber so schwach, so unzuverlässig, daß das in England plötzlich sich verwirklichende Wunder einer allgemeinen Volksbewaffnung nur aus diesem Umstände in seiner wahren Bedeutung sich begreifen läßt. Das Gefühl allgemeiner Unsicherheit und des Mißtrauens in die Kraft und den guten Willen der englischen Regierer, die Enthüllungen über Schwäche und Schwindeleien der Admiralität, welche sich Jahr aus Jahr ein eine ungeheuere „Canalflotte“ mit Millionen bezahlen ließ und eigentlich nur wenige Schiffe als gesund und gerüstet aufweisen kann, die täglichen unheimlichen Gerüchte von drüben, dem Lager des „Alliirten“, des Busenfreundes des englischen Regierer-Chefs, dessen Rüstungen, Kriegshäfen, Legionen und Lügen – dies zeugte chronischen, panischen Schrecken in England, allgemeine Entrüstung und allgemeine Rüstung. Freiwillige Volksheere sprangen wie aus der Erde über Nacht empor. Die regierenden Classen, ebenfalls in peinlichster Furcht vor den Folgen der Palmerston’schen Politik für Busenfreund Napoleon, hatten wenigstens so viel Einsicht, diesem Geiste allgemeiner Volksbewaffnung – den man in despotischen, militairischen Staaten als ein revolutionäres Element grimmig haßt und verfolgt – nicht nur nicht entgegen zu treten, sondern ihn zu begünstigen, durch vortreffliche Waffenlieferung zu kräftigen und ihn für sich zu gewinnen. Dies ist ihnen so sehr gelungen, daß man in den Rifle-Corps-Freischaaren ein conservativ-patriotisches Element geschaffen und erzogen haben mag, und England, von Soldaten und Marine, von Regierung und Parlament im Stiche gelassen, nun auf seine gleichsam aus Nichts geschaffenen Freischaaren sein Vertrauen zusammendrängt.
Die eigentliche Militair-Aristokratie – mit Robert Peel im Parlamente an der Spitze – spottet und höhnt zwar über diese „Soldatenspielerei“ nach Kräften, aber die bedeutendsten Herren des Ober- und Unterhauses und der Armee stehen an der Spitze dieser Spielerei und der nationalen Association, welche sich zur Förderung des Rifle-Corps-Wesens gebildet hat. Selbst Palmerston ist Mitglied dieser Association, und der Herzog von Cambridge, Chef des ganzen englischen Heeres, – florirt und fungirt als Oberst der City-Rifle-Brigade.
[396] Diese Brigade, etwa 1200 Mann stark, aus Jünglingen und Männern der City, also aus jungen Kaufleuten aller Nationen bestehend und eins der besten und ansehnlichsten Corps, hatte am ersten Sonnabend des Mai Revue und Parade vor ihrem stattlichen Oberst und zwar auf dem großen Platze vor dem Sitze der Roß-Garde in St. James-Park, dem eigentlichen Brennpunkte und Neste aller Militair-Aristokratie und ihrer „nobeln Passionen“. Diese Kühnheit der soldatenspielenden City-Kaufleute mag den nobeln Herren der Roß-Garde zu nahe getreten sein. Die englischen Zeitungen berichteten zum Theil weitläufig, mit Humor oder Entrüstung, über die Scenen vor der Parade, dem vielleicht aus 20,000 Köpfen bestehenden Pöbel, der die 1200 harmlosen jungen Kaufleute, die natürlich nicht einhauen durften, Stunden lang auf das Roheste und Brutalste drängte, stieß, mit Spott- und Schimpfreden tractirte und ihnen immer wieder jede Möglichkeit nahm, sich irgendwie soldatisch zu entfalten und zu bewegen. Erst nach langer Quälerei erschienen acht Dragoner zu Pferde, die vom Pöbel als „Reg’lars“, Reguläre, als officielle, königliche Soldaten mit Jauchzen begrüßt und so auffallend respectirt wurden, daß es diesen acht Mann mit einem Male gelang, was die 1200 Freischaaren theils mit Bitten, theils mit Drohungen ebenso vergebens versucht hatten, wie die Policemen.
Die Zeitungen schwiegen über die Gründe und Motive dieser auffallenden Erscheinung, die sich bei ähnlichen Revuen anderer Freicorps ähnlich wiederholte, so daß ein Chef, der Earl von Grosvenor, bei einer solchen Gelegenheit äußerte, er wolle seine Schaaren lieber gegen einen Feind führen, als in der Mitte solchen Pöbels des Landes friedlich paradiren. Die Sache, die bis jetzt von der freien Presse Englands mit Stillschweigen übergangen ward, ist, daß die eigentliche Militair-Aristokratie die freien Schaaren des Volkes lächerlich zu machen, in Mißcredit zu bringen, zu ermüden, mit dem unbewaffneten Volke und Pöbel in Reibung, Streit und Conflict zu bringen sucht. Sie bezahlt gute, tapfere Exemplare des Pöbels, damit Straßenjungen und Lumpenhaufen aller Art unter Führung und Anreizung derselben durch ihre Masse und Frechheit vielleicht einmal so etwas wie Bürgerkrieg hervorrufen, der ja schon drohen würde, wenn einmal einzelne entrüstete Freischaaren diesen oder jenen Spottteufel verwundeten oder gar niederschössen. Dann würde man schreien: Entwaffnung! Fort mit den Freischärlern, die nur das Geschäft und die Ehre des eigentlichen Militairs beeinträchtigen und den Bürgern des Landes mehr Gefahr bringen, als ein Feind von außen! –
So etwa speculirt und intriguirt Englands „Junker-Partei“, die sich im Wesentlichen überall gleich bleibt. Sie ist in diesem Falle nicht stark, da die Freischaaren durch ihre Officiere, die ihnen zur Wahl aus der Militair-Aristokratie selbst vorgeschlagen werden (die geringeren Officierstellen werden durch Wahl aus ihrer Mitte besetzt), mit den höchsten Ständen des Landes freundschaftlich verbunden sind und vom Ober- und Unterhause, von der nationalen Association, von der Regierung, der Presse und dem Volke gestützt und getragen werden. Gefährlich bleibt das Spiel der Junker-Partei freilich immer. Wie leicht können einmal in einem unglücklichen Augenblicke ein Paar Gewehre „von selbst“ losgehen!
Bis jetzt sind die Freischaaren in England eine herrliche, [397] malerische, patriotische, frische Erscheinung, eine Schöpfung freier Männer und Jünglinge, ein starkes, wundervolles Werk des Volks. Daß auf Bällen und Paraden, bei Wahlen und Streitigkeiten um Officierstellen, in Gesellschaften und öffentlichen Versammlungen sich Einzelne durch Renommisterei und Uniformen-Eitelkeit, Anmaßung oder Rohheit lächerlich und verächtlich machen, kann das frei und bunt zusammengesetzte Freischaarenwesen selbst noch nicht in Verruf bringen. Kern und Wesen der Sache ist und bleibt eine wie aus Nichts d. h. aus der freien Begeisterung des Volkes geschaffene freie Wehrkraft von mindestens 100,000 Mann, die durch ihren freien Dienst und ihren Patriotismus ersetzen, was ihnen an steifen Exercirkünsten und Parade-Linie fehlen mag.
Der allgemeine Feind Europa’s und Busenfreund Palmerston’s nöthigt auch Deutschland zur Verstärkung seiner Wehrkraft. Man verlangt zu diesem Zwecke so und so viel Millionen von Thalern und so und so viel Hunderttausende von jungen Arbeitern, die man für das Geld zu Soldaten machen will. Warum macht man’s nicht wie in England? Bewaffnet euch oben mit der Liebe des Volkes und erlaubt ihm nur, sich wehrkräftig zu organisiren, so seid ihr vor allen Napoleons sicher und braucht dem ausgesteuerten Volke nicht erst Millionen abzunehmen und aus freien Männern und Arbeitern Soldaten zu machen!
Die englischen Freischaaren, jetzt bereits 120,000 Mann stark, bleiben schaffend und wirkend im bürgerlichen Leben und widmen nur frei ihre Freistunden den Uebungen, die zum Schießen und Schlagen, für Wehr und Waffe nothwendig sind. Welch’ ein Unterschied zwischen dem Soldatenthum und der freien Wehrkraft des Volkes! Wir leugnen nicht, daß die jetzigen Zustände der Taktik und Strategie große Massen regulairer, geübter Truppen unerläßlich machen. Ohne diese würden Freischaaren kaum ihr Land vertheidigen können. Furchtbarer aber ist die Thatsache, daß das „herrlichste Kriegsheer“ ohne freie Wehrkraft des Volks Land und Leute weder vor äußeren noch vor inneren Feinden schützen kann.
Nebensache, aber gar nicht zu übersehen dabei ist, daß die freien, bewaffneten Männer und Jünglinge durch die Uniformen, die sich die einzelnen Corps selbst wählen, etwas Malerisches und Mannichfaltiges in das sonst ziemlich öde civile Leben bringen. London sieht tausendmal interessanter aus, seitdem Tausende von Waffenröcken freier Wehrkraft sich zwischen civilen Röcken und Leibröcken hindurch drängen. Die Uniformen haben alle etwas Aehnliches, sind aber doch hinlänglich verschieden, sodaß militairische Einförmigkeit und Steifheit vermieden ward. Kein Freicorps nahm die von der Regierung vorgeschlagene Modell-Uniform an. Nur die königlichen Westminsters und das Juristen-Freicorps bequemten sich dazu, sie für sich umzuändern. Alle Anderen wählten nach eigenem Geschmack. Die „Westminsters der Königin“ tragen sich hellgrau mit rothen Aufschlägen, bronzenen Knöpfen und sonst fast ganz ohne Putz. Das braune Lederzeug sichert Neutralität allen Farben, die den Linientruppen oft so aufgestickt sind, als sollten sie bunte Käfer darstellen. Auch die Juristen haben sich ähnlich uniformirt, wie die Westminsters.
Die „Königl. Londoner Irländischen Riflers“ machen schon mehr Staat mit ihren dunkelgrauen, reich mit Silber und grauer Seide gestickten Waffenröcken, smaragdgrünen Einfassungen und schwarzen Gürteln mit Silberschnallen. Auf der halb czakoartigen Kopfbedeckung flattern braune, glänzende Federn. Die Irländer haben’s gern etwas lustig und flatterig. Die Postbeamten rifeln in Dunkelgau mit schwarzem Besatz, dunkler Forage-Mütze, schwarzen Gurts und bronzenen Ornamenten. Aehnlich kleiden sich die „Civil-Dienst-Corps“, nur daß sie sich an die Mütze oben eine geschmacklose, lächerliche „Knuppe“ gesteckt haben. Am meisten fallen die „Sechs-Fuß-Frei-Garden“ auf; sie haben die schauderhafte englische Soldatenfarbe – gekochtes Krebsroth – für ihre Waffenröcke gewählt und sie mit Silber sticken lassen. Der Helm besteht aus lackirtem Leder, Silberbesatz und wehenden, dunkelbronzenen Federn. Das sind einige Andeutungen. Die Abbildung sagt das Uebrige. Wir gehören nicht zu den weisen, wissenschaftlichen Landesvätern, die über einen Knopf oder eine Schnalle dieses oder jenes Regiments lange und tief nachdachten und die Welt dann und wann durch einen Knopf mehr oder weniger als Reformatoren überraschten. – London und England schwärmt von verschieden uniformirten Freischaaren, die im Juli nach deutschem und schweizerischem Muster ein großes Schützenfest halten werden, wozu sich die Königin bereits angesagt hat. Alle sind von der Regierung mit herrlichen, langen Rifle-Büchsen versehen, den „Enfield-Rifles“, die in Enfield unweit London mit 100,000 Dampf-, Pferde- und noch mehr Menschenkraft seit Jahren Tag und Nacht auf das Vollkommenste und Massenhafteste fabricirt werden. Die 120–150,000 Mann werden die „Rothhosen“ sehr warm empfangen, wenn sie es wagen sollten, das Annectiren bis über den Canal auszudehnen.
Zum deutschen Turn- und Jugendfest in Coburg
Brüderlich in ernster Stunde
Ist die deutsche Jüngerschaft
Hier vereint zum großen Bunde
In dem Vollgefühl der Kraft;
Und die alte heil’ge Treue
Für das deutsche Vaterland
Schlinget wiederum auf’s Neue
Hier um uns ihr ehern Band!
Lieb’ im Herzen, Licht im Kopfe,
Manneskraft im deutschen Arm,
Bittern Haß jedwedem Zopfe,
Alle Brüder, – reich und arm;
Frisches freudiges Genießen,
Wo das Leben Blumen beut, –
Festen Muth im Kampf und Leiden
Und im Tode Freudigkeit.
Ob im schlichten Leinenkittel,
Ob an Armuth wir gewöhnt, –
Ob uns Reichthum ward und Titel,
Allen eine Losung tönt:
Vorwärts! Vorwärts! rauscht die Mahnung
Durch der deutschen Männer Reih’n:
Bald erfüllet wird die Ahnung,
Deutschland frei und einig sein!
Vorwärts! in der Eichen Sausen,
Vorwärts! tönt es auf den Höh’n,
Vorwärts! in der Wellen Brausen,
Wo die deutschen Ströme geh’n;
Vorwärts, Männer! vorwärts, Jugend!
Vorwärts Alle! Seid bereit!
Nur der Kampf bewährt die Tugend,
Stählt die deutsche Einigkeit!
Klopft dann an die rothen Hosen
Keck der Franzmann über’m Rhein,
Mag aus Angst vor den Franzosen
Immer der Philister schrei’n.
Fest wird Deine Jugend bleiben,
Deutschland, frisch und unerschlafft, –
Wie die Stürme mögen treiben,
Ewig währt die deutsche Kraft!
Wenn die Deutschen recht nur wollten
Treu und einig für und für,
Unter’m Banner schwarz-roth-golden,
Unter’m alten Reichspanier:
Hoch das Schwert in unsrer Rechten,
Jeder deutsche Mann ein Held,
Könnten wir getrost dann fechten
Gegen eine ganze Welt!
Hebt die Herzen und die Hände
Hoch zum heil’gen Schwure auf:
Wie sich auch das Schicksal wende,
Wie auch sei der Zeiten Lauf:
Jeden Fußbreit deutscher Erden
Schützen wir mit starker Hand,
Frei und einig muß es werden,
Unser deutsches Vaterland! F. G.
Eine Nacht unter Wölfen. „Vor einer Reihe von Jahren zog ich mit meiner Familie nach Wisconsin,“ erzählte mir ein alter Farmer, „und siedelte mich in einem Walde an, wo wir etwa zehn Meilen von der nächsten Ortschaft entfernt waren, und fünf Meilen von uns der nächste Nachbar wohnte. Ringsumher war Wald, und in diesem gab es so viel wilde Thiere und schwärmten so zahlreiche Indianer, daß meine Freunde im Osten, denen ich unsere Lage schilderte, ihre Besorgniß für unsere Sicherheit äußerten und erklärten, sie würden sich weniger darüber wundern, wenn sie einmal hörten, daß wir sämmtlich todtgeschlagen oder aufgefressen seien, als wenn ich ihnen meldete, daß wir noch am Leben seien. Ich selbst fühlte mich jedoch wenig beunruhigt darüber, und ebensowenig war es meine Frau, die so muthig ist, wie der beste Jäger; aber wir hatten drei Kinder, deren ältestes erst zehn Jahr alt war, und manchmal, wenn ich fern vom Hause war und das Brummen eines Bären, das Geheul von Wölfen oder den Schrei eines Panthers hörte, schlug mir das Herz bei dem Gedanken an meine Kleinen.
Zuerst erschreckte sie dies Geschrei und Geheul der wilden Thiere zur Nachtzeit sehr, und auch meine Frau sowie ich selbst fuhren zuweilen auf, wenn uns die Schreie der Panther wie Indianerrufe vorkamen; mit der Zeit gewöhnten wir uns jedoch an diese Töne und kümmerten uns nicht darum, und als ich erst ein Paar Acker um unsere Hütte entwaldet und eingezäunt hatte, hielten sich die Bestien ferner von uns, als verständen sie, daß sie da, wo Menschen sich angesiedelt, nichts mehr zu thun hätten. Ab und zu schoß ich auch ein Paar todt und lichtete dadurch ihre Reihen, so daß sie uns immer weniger belästigten. In dem ersten Jahr geriet ich zwar einmal durch einen Bären, und ein andermal durch einen Panther in Gefahr, die mich anfallen wollten, doch diese Abenteuer sind nichts gegen ein anderes, das ich im zweiten Winter zu bestehen hatte, wo ich eine Nacht mitten unter Wölfen zubringen mußte.
Es war ein kalter Morgen und der Boden ringsum mit festgefrorenem Schnee bedeckt, als ich eines meiner Pferde für meine Frau sattelte, die nach der Colonie in unserer Nachbarschaft reiten wollte, um etwas zu kaufen. Obwohl ihre eigenen Kleider sie gut einhüllten, gab ich ihr noch einen weiten Büffelrock um und bat sie beim Abschiede, ja recht zeitig aufzubrechen, weil es bei Nacht in den Wäldern vielerlei Gefahren gibt.
Den ganzen Tag über fühlte ich mich unruhig und es war mir, als könnte sich irgend etwas ereignen, und als ich die Sonne sich neigen sah und noch keine Spur von meiner Frau erblickte, griff ich unwillkürlich nach meinen Pistolen, meiner Büchse, Jagdmesser und Schießbedarf, sattelte mein zweites noch wenig zugerittenes Pferd, bat die Kinder, nicht über die Schwelle zu gehen, schloß das Haus und ritt meiner Frau entgegen, die ich bei jeder Wendung des Weges zu treffen hoffte. Immer wieder fand ich mich jedoch getäuscht, ich sah nichts von ihr und wurde immer unruhiger, je mehr Meilen ich zurücklegte.
Es wurde gerade dunkel, als die Lichter der Pflanzungen mir entgegen schimmerten; ehe ich diese jedoch erreichte, sah ich meine Frau eilig auf mich zukommen. Sie war durch einen alten Bekannten aus dem Osten, der Neuigkeiten brachte, und durch das Abendessen aufgehalten worden, die Zeit war ihr vergangen, sie wußte nicht wie, und sie war herzlich erfreut, daß ich ihr entgegenkam. Ich selbst war gleich froh, sie gesund wiederzusehen. Als ich ihr von meinen bösen Ahnungen sprach, wollte sie nichts davon wissen, sondern lachte mich aus, indem sie muthig ihr Roß vorwärs trieb.
Wir ritten im scharfen Trabe durch einen dichten, finstern, unheimlichen Wald, der unsern Weg von beiden Seiten begrenzte, und hatten etwa fünf Meilen zurückgelegt, als wir durch eine Reihe lange anhaltender Klagetöne alarmirt wurden, die von verschiedenen Entfernungen und Richtungen auf uns zudrangen, und bei denen wir uns nach unserer Erfahrung sagen mußten, daß sie von Wölfen herrührten, die sich durch den Wald einander zuheulten.
Die Wölfe dieses Landes gehören der größeren, wilderen Art an, und wenn sie sich auch einzeln nicht leicht an einen Menschen wagen, so thun sie es doch in Rudeln, wenn sie der Hunger treibt, wie es zu dieser Jahreszeit häufig geschieht, und ich war nicht ohne Besorgniß, daß uns dies begegnen könne. Wir trieben unsere Pferde zur Eile an, aber je weiter wir vorwärts kamen, desto mehr fühlte ich mich beunruhigt, denn das Geheul kam uns immer näher. Wir ritten gerade durch eine tiefe Schlucht, wo ein Paar große alte Bäume ihre Riesenzweige über ein Dickicht streckten. als ich das Geheul dicht bei uns hörte. Im nächsten Augenblick raschelte das Gebüsch, und es kamen sechs oder acht große Wölfe zum Vorschein, die rasend vor Hunger hinter uns herstürmten. Dies geschah so plötzlich und unerwartet, daß meine Frau aufschrie und den Zügel fallen ließ, worauf ihr Pferd, sich bäumend und hinten ausschlagend, sie abwarf und mitten unter die wilden Bestien schleuderte, deren Augen im Dunkeln wie feurige Kohlen glühten.
Glücklicherweise erschreckte der plötzliche Fall auch sie, so daß sie zurückwichen und meiner Frau Zeit ließen, den Büffelrock so dicht um sich zu ziehen, daß sie für’s Erste vor ihren Bissen sicher war. Gleich darauf sprangen aber die wildesten Thiere auf sie, auf mich und die Pferde los. Das meiner Frau schüttelte sie ab und entfloh, Das meine stieg und schlug in solcher Weise um sich, daß ich zu keiner meiner Waffen gelangen konnte und alle Kraft daran setzen mußte, es zu halten und sein Fortlaufen mit mir zu verhindern.
Das waren furchtbare Augenblicke der entsetzlichsten Angst, bis ich mich aus den Steigbügeln losmachen und mit einem Schrei zu Boden springen konnte. Dabei entglitt mir die Büchse und entlud sich selbst, und durch den Knall erschreckt, flog mein Pferd wie ein Blitz über den gefrorenen Schnee davon. Glücklicherweise hatte ich meine Pistolen und mein Jagdmesser gut zur Hand, so daß ich sie gleich gebrauchen konnte. Ich war furchtbar aufgeregt und konnte zuerst Nicht anders denken, aln daß mein geliebtes Weib, die Mutter meiner Kinder, unter drei oder vier dieser Bestien lag, die ihr an’s Leben wollten; so faßte ich in halbem Wahnsinn in jede Hand eine der Pistolen, deren Hahn ich rasch gespannt hatte, sprang mitten unter meine Feinde, setzte die Mündung an ihre Köpfe und schoß beide Läufe zugleich ab.
Beide Schüsse trafen Gott sei Dank, zwei Bestien rollten zurück und wälzten sich in ihrem Blute, worauf die andern, als sie dieses witterten, über sie mit Wuth herfielen, sie wörtlich in Stücke rissen und vor meinen Augen, beinahe über dem Körper meiner Frau verschlangen, was mir in kaum einer Minute zu geschehen schien. Nachdem ich mich durch ein Paar Fragen vergewissert, daß meine Frau am Leben und unverletzt war, bat ich sie, ruhig liegen zu bleiben, hob meine Büchse auf und lud sie und meine Pistolen mit größter Eile. So wie ich die erste Kugel heruntergestoßen hatte, fühlte ich mich in Versuchung, noch eine Bestie todtzuschießen, aber in diesem Augenblick hörte ich neues fernes Geheul, und da ich fürchten mußte, es werde ein zweites Rudel herankommen, bewahrte ich meine Frau für die nächste größte Gefahr und lud rasch die Pistolen. Während dieser Zeit stahlen sich die ersten Angreifer, die sich vollgefressen hatten, nach und nach hinweg, aber das Geheul der andern kam immer näher und warnte mich, auf der Hut zu sein. Ich hatte gerade meine Frau noch dichter eingehüllt, das Beste, was ich jetzt für sie thun konnte, und mich mit den Pistolen in der Hand zur Vertheidigung vor sie hingestellt, als acht bis zehn neue wilde Bestien aus dem Gebüsch hervorsprangen. Es entstand eine kurze Pause, als sie mich erblickten und mit ihren mordfunkelnden Augen anstierten, dann kamen sie unter furchtbarem Geheul immer näher und umgaben mich im Kreise, so daß der Raum zwischen ihnen und mir immer enger wurde. Endlich sprang einer, der kühner und hungriger war, als die andern, vorwärts und erhielt sogleich einen Pistolenschuß zwischen die Augen, der ihn auf den Schnee warf, worauf die andern ebenso wie vorher über ihn herfielen und ihn verschlangen. Ich hatte aber nicht Zeit, mir Glück hierzu zu wünschen, denn gleich darauf fühlte ich die nagenden Bisse einer Bestie an meinem Schenkel und konnte mich nicht enthalten, einen Schrei auszustoßen. Meine arme Frau hörte und erwiderte ihn; sie glaubte, es sei vorbei mit mir, und war eben im Begriff, aufzuspringen und dem Furchtbarsten entgegenzutreten; ich rief ihr jedoch zu, sie solle sich nicht rühren, setzte die Pistole an den Kopf meines Angreifers und streckte ihn todt zu Boden. Noch hatte ich meine Büchse als Reserve, erhob sie und entlud ihren Inhalt auf das heulende Rudel. Wie viel ich erlegte, weiß ich nicht, aber ich sah, daß sie sofort aus meiner nächsten Nähe flohen, einige hinkten und wurden beim Fliehen von den andern angefallen.
Das kam mir wie eine zweite wundervolle Rettung vor, und obwohl meine Wunde mich etwas schmerzte, hielt ich mich ruhig und fand zu meiner Freude, daß sie nicht tief und gefährlich war. Hastig lud ich meine Pistolen und die Büchse wieder, und ließ darauf meine Frau aufstehen, die mich zärtlich umarmte und Gott für unsere Rettung dankte.
„O unsre lieben Kinder,“ rief sie voll mütterlicher Zärtlichkeit aus, „wie wenig wissen sie, daß sie nahe daran waren, Waisen zu werden, allein mitten in der furchtbaren Wildniß! Komm, laß uns rasch nach Hause, zu unsern Kindern, solange noch Zeit ist.“
„Wir haben keine Zeit mehr,“ rief ich düster aus. „Horch! Da kommen mehr von unsern Feinden. Hörst Du?“
„Und kommen sie hierher?“ fragte sie zitternd.
„Ich fürchte es.“
„O Gott, was soll dann aus uns werden?“ fuhr sie jammernd fort, „ich fürchte, wir überleben den dritten Angriff nicht.“
„Ich sehe nur einen Weg der Rettung,“ erwiderte ich ängstlich. „Wir müssen auf einen Baum klettern und den Morgen abwarten.“
„Doch da frieren wir zu Tode,“ sagte sie darauf.
„Ich hoffe, das soll nicht geschehen. Jedenfalls haben wir keine Wahl. Der Büffelrock wird Dich vor der Kälte schützen, wie er Dich vor den Wölfen bewahrt hat, und ich will suchen, mich durch Auf- und Abklettern und das Aufstampfen der Füße warm zu halten.“
„Doch warum zünden wir nicht ein Feuer an?“ fragte sie rasch, und ihre Stimme wurde wieder lebendiger, als eine neue Hoffnung sie durchdrang, die ich aber leider nicht theilen konnte.
„Aus zwei Gründen nicht. Erstens haben wir keine Zeit dazu – hörst Du nicht das Geheul des hungrigen Rudels? – und zweitens fehlt uns das Brennmaterial, da die losen Zweige unter dem Schnee liegen.“
„Dann möge Gott uns helfen,“ stöhnte meine Frau, „hier scheint nichts als der Tod für uns zu sein. O meine armen, lieben Kinder! O großer Gott, laß sie nicht diese Nacht zu Waisen werden!“
Ich bat sie, Muth zu fassen und nicht zu verzweifeln, wählte einen großen Baum aus, dessen untere Zweige stark und breit waren und von unsern Feinden nicht erreicht werden konnten, half meiner Frau hinaufsteigen und kletterte ihr nach. Es war gerade Zeit dazu, denn kaum hatten wir uns in eine bequeme Stellung gesetzt, so kam ein neues Rudel hungriger, wild heulender Bestien an, die ihre Feueraugen gierig nach uns emporrichteten. Wir waren sicher, mußten aber eine lange furchtbare Nacht zubringen und auf ihr scheußliches Kampfgeheul hören, während wir schmerzerfüllt an unsre Kleinen daheim dachten. Die Nacht war entsetzlich kalt, und trotz meiner Bemühungen, mein stockenden Blut in Umlauf zu erhalten, wurde ich noch vor Morgen so benommen, daß ich mich aufgegeben hätte und gestorben wäre, wenn mich nicht meine Frau fortwährend flehend gebeten hätte, um Gotteswillen auszuhalten und sie nicht zur Wittwe und unsre Kinder zu vaterlosen Waisen zu machen.
Endlich dämmerte der Morgen, und nie wurde das Tageslicht mit größerer Freude begrüßt. Unsre Feinde stahlen sich allmählich hinweg und ließen uns allein. Sowie sie fort waren, glitt ich herunter und brachte durch Umherlaufen etwas Wärme in meine Glieder. Dann half ich meiner Frau herunter, und wir eilten nach Hause. Ich brauche wohl nicht [399] zu sagen, daß wir gerade zur rechten Zeit kamen, um unsre armen zu Tode erschreckten Kinder aus ihrer Angst zu befreien. Sie sprangen, als sie uns kommen sahen, halb sinnlos vor Freude uns entgegen und stürzten in unsre Arme.“
Zwei Momente aus dem deutschen Befreiungskriege. Als zu Anfang des Jahres 1813 in Preußen die Flammen der Begeisterung zu einer Riesenlohe emporschlugen und es nicht anders war, als wenn auf allen Straßen Alarm geblasen, Generalmarsch geschlagen würde und auf den Bergen die Flammenzeichen gebrannt hätten, als die Hoffnung durch alle Herzen sang und klang und begeistert von Kanzel und Katheder tönte – da war wohl die Freude bei den Lenkern des Staates und bei allen, die auf diesen Aufschwung durch jahrelanges Arbeiten hingewirkt hatten, groß und überwältigend. Aber mancher von ihnen konnte sich doch bei alledem einer gewissen Besorgniß nicht erwehren, was da werden sollte, falls der bevorstehende Kampf nicht schnell beendet würde. So war es der herrliche Gneisenau vor Allen, dem vor solchem Falle bangte und der, wenn auch hoch beglückt über die patriotische Erhebung, sorgenvoll äußerte: „Aber wenn, was Gott verhüte, der Krieg jahrelang dauerte, dann mag Gott wissen, was aus uns allen werden wird. Das Blut der Männer des dreißigjährigen Krieges steckt noch in uns, und eine lang genährte Erbitterung würde dann Verwilderung und durch diese eine wechselnde Zerstörung hervorrufen, unser Erbfeind aber wie damals jubeln.“
Gneisenau war es aber auch vor Allen, der mit Blücher auf die Verkürzung des Krieges durch kühne und geniale Unternehmungen hinarbeitete, und der mit Blücher und dem ganzen Hauptquartier der schlesischen Armee den Geist wach hielt, mit dem der heilige Kampf begonnen worden. Jede Ausschreitung, mochte sie noch so gering sein, wurde streng geahndet, und es kamen dergleichen eigentlich nur in Frankreich und auch nur ganz vereinzelt vor. Ja dieselben verschwinden gänzlich, wenn man sie vergleicht mit dem langjährigen Auftreten der Franzosen in Deutschland. Aber in reichster Fülle wissen die Annalen des schlesisches Heeres zu erzählen von einzelnen Zügen, Momenten, Episoden, in denen sich bald in Worten, bald in Thaten jene über alles Lob erhabene Stimmung offenbarte, unter deren Herrschaft die Freiwilligen zusammengekommen und die Landwehren organisirt worden waren. Zwei solcher Momente sind es nun, die hier hervorgehoben werden sollen, von denen der eine uns diese Stimmung, diesen Geist unmittelbar nach einer gewaltigen Schlacht, der andere am Vorabend einer solchen zeigt.
Die Strategie des Blücher’schen Generalstabes war im Begriff ihren Meisterzug zu thun. Es galt Napoleon zu täuschen durch einige zu Demonstrationen zurückgelassene Abtheilungen und mit dem Gros der Armee die Elbe plötzlich zu überschreiten. Durch dieses kühne Vorgehen hoffte man die beiden stärkern Armeen, die böhmische und die Nordarmee, vorwärts stürmend mit sich zu reißen und zum letzten entscheidenden Schlage zu concentriren. Am 3. October, eines Sonntags, fand der Uebergang über die Elbe statt, dessen Gelingen vorzüglich der wunderbaren Bravour des York’schen Corps zu danken war. Der alte Oberst Horn sollte sich vor Allen mit Ruhm bedecken; an der Spitze eines Bataillons führte er seine Truppen vor, die erste Kugel aus der feindlichen Batterie, die den Damm, der zu erstürmen, deckte, traf sein Pferd, das todt unter ihm zusammenstürzte. Rasch jedoch sprang er empor, raffte ein Gewehr eines todtgeschossenen Soldaten auf und mit dem Ruf: „Ein Hundsfott, der schießt!“ eilt er seiner Mannschaft voran. Durch einen Morast mußte man hindurch, die feindliche Batterie speit einen Kartätschenhagel, ganze Rotten werden niedergeschmettert, aber Wartenburg, der Schlüssel der feindlichen Position, wird erstürmt. Bertrand commandirte die Franzosen; er mußte jetzt zurück und 11 Geschütze und 70 Munitionswagen in den Händen der Sieger lassen. Freilich das York’sche Corps allein hatte 2000 Todte und Verwundete, und bis zum späten Abend hörte man auf der blutgetränkten Bruchwiese, wo der Kampf am härtesten getobt, den schauerlichen Klang gedämpfter Trommeln. Gewaltige Opfer hatte der Uebergang gekostet, aber der Feldzug war dadurch auch der glücklichen Entscheidung nahe gebracht.
Nach dem Kampfe nahm Blücher sein Quartier auf dem Wartenburger Schlosse. In dem großen Saale desselben, den freilich die Kugeln hart mitgenommen hatten, versammelten sich die Officiere seines Stabes zur Tafel. Da also kamen jetzt zusammen neben Blücher und Gneisenau der herrliche Grolman, der liebenswürdige Oppen, Müffling, jüngere Officiere, wie der treffliche Sohn des edlen Scharnhorst, Freiwillige, wie Eichhorn, der schon mit Schill ausgezogen war, oder wie Steffens und Raumer, die von dem Lehrstuhle auf das Schlachtfeld gingen. Herrschte nun immer in diesem Kreise Freudigkeit und heitere Laune, wie sollte sie nicht jetzt nach einem so bedeutungsvollen Siege geherrscht haben? Alle waren heiter gestimmt, der Wein war vortrefflich, das Gespräch belebt. Da nahm gegen Schluß der Tafel die ganze Festlichkeit eine bedeutende und ergreifende Wendung. Der greise Feldherr verwandelte das ganze Mahl in ein Trauermahl zum Andenken des verstorbenen Scharnhorst. Er ergriff das Wort, das ihm so sehr zu Gebote stand, und in einer alle Hörer tief erschütternden Rede gab er eine Darstellung der Verdienste des großen Kriegers und des herrlichen Menschen. Anschaulich und lebendig, wie er stets zu sprechen pflegte, floß seine Rede, und der fast unwillkürliche Schluß derselben wird uns von einem Theilnehmer des Mahls als ein wunderbares Product dichterischer Begeisterung geschildert. Am Schlusse rief er den Sohn des dahingegangenen Helden, den Lieutenant Scharnhorst, zu sich; dieser, der es liebte, seine tiefsten Empfindungen durch ein ruhiges Aeußere zu beherrschen, mußte sich dem Greise gegenüberstellen und vermochte es ebenso wenig als alle Uebrigen, die tiefe Erschütterung zu verbergen.
So wurde die Siegesfeier eine Todtenfeier Scharnhorst’s, des edeln, der wohl die Blüthe seiner Pflanzungen hatte aufgehen sehen, nicht aber die Früchte und die volle Ernte. Jetzt gedachte Blücher seiner, nach dem er von Neuem gesehen, wie sich der Geist, den derselbe in dem preußischen Heere entzündet, immer und immer glänzender bewährte.
Von Wartenburg stürmte man vorwärts, dem Entscheidungskampf von Leipzig zu. Am 11. October concentrirte sich die schlesische Armee in und bei Halle. Der Jubel der guten altpreußischen Stadt, die schon 1809 gegen Schill und dann wieder im Frühling dieses Jahres, wo Bülow hier gekämpft hatte, ihre Anhänglichkeit an das alte Vaterland gezeigt, war unbeschreiblich. Drei Tage blieb man ruhig in dieser Stellung, bis sich die Dinge, die sich um Leipzig vorbereiteten, aufgeklärt hatten. Alles vereinigte sich hier, diese Tage so unmittelbar vor der gewaltigen Völkerschlacht zu glücklichen und erquickenden zu machen. Mit größter Liebe und Herzlichkeit waren die preußischen Truppen aufgenommen worden und hatten in ihren Quartieren die beste Verpflegung. Wie mancher im Corps, Officiere, wie Freiwillige und Landwehrmänner hatten hier in Halle studirt und freuten sich, an die alten Erinnerungen wieder anknüpfen zu können, freuten sich Giebichenstein, Possendorf und den Rathskeller wiederzusehen! Ein großer Commers ward arrangirt. Viele von den ehemaligen Professoren der Universität waren noch in Halle, so daß Steffens und Carl von Raumer, jetzt in preußischer Officiersuniform, manchen alten Collegen begrüßen konnten. Auch der treffliche Heinrich von Krosigk kam jetzt wieder dorthin, wo er seine väterlichen Güter hatte.
Unter der westphälischen Herrschaft hatte er stets seine Würde behauptet und scheinbar fern von aller Theilnahme an politischen Händeln eifrig sich der Landwirthschaft hingegeben. 1811 wurde er plötzlich mit Blanc, Willisen und andern des Hochverraths verdächtig aufgehoben und nach Cassel in’s Gefängniß geschleppt. Im nächsten Jahre allerdings ließ man ihn wieder frei, aber nur gegen Caution seines ganzen Vermögens. Das hinderte ihn aber nicht, im Frühling des Jahres 1813 seine altpreußische und deutsche Gesinnung zu zeigen. Weib und Kind brachte er in Sicherheit und eilte in die Reihen der alten Cameraden, mochte Hab und Gut in die Hände des Casseler Regiments fallen. Jetzt führte er die Brandenburger Füsiliere und freudigen Herzenn trat er nun in den Kreis seiner hallischen Freunde. Natürlich eilte er auf sein Gut hinaus, das er in schrecklichem Zustande fand. Man hatte furchtbar dort gehaust, aber seine Bauern hatten gerettet und geborgen, was zu retten war, der Pachtzins war aufgehoben, Bibliothek und Weinkeller unversehrt. Zurückkehrend von dem Sitze seiner Väter, sagte er in der Freude seines Herzens zu einem Freunde: „Es stehen uns heiße Tage bevor; wenn Gott uns das Leben läßt, trinken wir nach gewonnener Schlacht auf das Wohl meiner braven Bauern.“ – Doch er war unter den Tausenden, die den Sieg über den corsischen Zwingherrn mit ihrem Blute besiegeln sollten. In der Schlacht bei Möckern, also wenig Tage später, faßte er, indem er mit seinem Bataillon auf ein französisches Bivouak stürmte, den langen Flügelmann und warf ihn mit gewaltiger Faust zu Boden. Da traf ihn Kugel und Bajonnet; sterbend winkte er noch mit dem Degen vorwärts und sagte, da man ihn wegtragen wollte: „Laßt mich und siegt!“; er schleppte sich zu einem Erdhaufen und verschied da; „wer rückwärts sähe, den hätt’ die Leiche zurückgedräut!“
Und wie ihn der glänzende Sieg bei Möckern als Opfer forderte, so auch manchen von denen, die sich in jenen Tagen der Ruhe an einem Abend auf dem Rathskeller zusammenfanden, in feierlichem Commers mit Landesvater und durchstoßener Feldmütze das hallische Studententhum zu erneuern. – Was ist es doch mit dem deutschen Studententhum für ein eigenthümlich Ding; ein Afterbild des Mittelalters hat man es genannt, und jeder hat einmal darüber gelächelt. Aber wer es aus eigner Erfahrung kennt, denkt doch nur mit Freude und Rührung daran zurück, vor allen an die hohen Feste des Studententhums, an die Commerse. Man hat sich erhoben gefühlt dabei, wie bei einem heiligen Act, und die edelsten Gefühle wurden durch sie genährt oder erweckt. So der Eindruck, den eine solche Studentenfeier unter alltäglichen Verhältnissen macht – wie muß der Eindruck gewesen sein bei diesem Hallischen Commers, der wenig Tage vor dem entscheidenden gewaltigen Riesenkampfe bei Leipzig von alten Studenten abgehalten wurde, die jetzt für die Ehre und Freiheit des Vaterlandes, für die sie wohl schon vor Jahren an demselben Platze sich begeistert hatten, ausgezogen waren! Mit welcher Andacht mochte man singen, mit welcher Andacht die Feldmützen durchstoßen! – Neben den Studirten saßen aber auch die Nichtstudirten, saßen Stabsofficiere und Landwehrmänner neben einander recht im Sinne dieses preußischen Heeres, dieses deutschen Krieges. Mitten unter der Schaar saß der Oberst von Borcke, der erste Ritter vom eisernen Kreuze, saß der Major von Schack, der Adjutant York’s, „auch der alte General Horn hat dort sein Smollis gerufen und Graf von Brandenburg sein Fiducit geantwortet.“ – Die Todtenfeier Scharnhorst’s auf Schloß Wartenburg und dieser Commers unmittelbar vor der blutigen Entscheidung in Leipzigs Ebenen – welch herrliche Momente des heiligen Krieges!
Was ist eine Decillion? Bekanntlich reichen die Homöopathen ihre Arzneimittel in äußerst kleinen Gaben dar. Um dieselben in möglichst kleine Theilchen zu zerlegen, verfahren sie ganz einfach und sinnreich auf folgende Weise. Sie mischen einen Theil des reinen Arzneimittels, z. B. einen Tropfen, mit neunundneunzig Theilen oder eben so vielen Tropfen Wasser. Dies ist die erste Verdünnung, die aber, eben so wie die nächstfolgenden, von einem echten Jünger Hahnemann’s nicht zur Anwendung gebracht wird. Ein Tropfen dieser ersten Verdünnung mit neunundneunzig Tropfen Wasser bildet die zweite, ein Tropfen dieser wieder mit neunundneunzig Tropfen Wasser die dritte, und so fort bis zur dreißigsten Verdünnung, so daß also die erste einen Hunderttheil, die zweite einen Zehntausendtheil, die dritte einen Millionentheil, die sechste einen Billionentheil, die dreißigste einen Decillionentheil des reinen Arzneimittels enthält – oder enthalten soll.
Herr Arthur Lutze in Cöthen hat vor Jahren eine kleine Schrift in die Welt gesandt, die, wenn wir nicht irren, „Hahnemann’s Todtenfeier“ betitelt ist. Der gedankenlose Haufe hat sich durch dieses Büchelchen anlöcken lassen und Herrn Lutze’s Säckel gefüllt; für den denkenden Menschen ist es als Curiosum immerhin recht ergötzlich zu lesen. Der Verfasser spricht darin ganz ungenirt und unbefangen von seinen dreißigsten Potenzen oder seinen Decilliontheil-Gaben, als wäre dies eine Sache, die sich so ganz von [400] selbst verstände, und rühmt sich, wahre Wundercuren damit verrichtet zu haben. Es gibt sicher noch Thoren genug, die in gläubigem Vertrauen an ihre Unfehlbarkeit diese dreißigsten Potenzen nach Vorschrift beriechen. Wie wenige Menschen aber mögen sich wohl die Mühe genommen haben, über die Frage: „Was ist ein Decillionentheil?“ oder: „Was ist eine Decillion?“ ernstlich nachzudenken. Laßt uns nun sehen, ob es möglich ist, uns die Größe einer Decillion (d. i. in Ziffern geschrieben eine 1 mit 60 Nullen) zur Vorstellung zu bringen.
Wir wollen als Einheit einen kleinen allgemein bekannten Gegenstand, etwa ein Sandkorn, zu Grunde legen. Es soll nun unsere Aufgabe sein, einen Raum zu finden, der eine Decillion Sandkörner zu fassen im Stande ist. Nehmen wir an, daß eine Reihe von hundert dicht aneinander gelegten Sandkörnern einen Zoll lang sei. Auf etwas mehr oder weniger wird es hierbei, wie wir später sehen werden, nicht ankommen. Demnach würde ein Quadratzoll zehntausend, ein Kubikzoll aber eine Million Sandkörner enthalten. „Ah!“ hören wir bemerken, „da haben wir ja mit leichter Mühe schon sechs von unseren sechzig Nullen bei Seite geschafft!“ Aber wir bitten die Sanguiniker, welche diese Bemerkung machten, sich noch ein wenig zu gedulden, und gehen weiter. Ein Kubikfuß enthält 1728 Kubikzoll, würde also 1728 Millionen Sandkörner in sich aufnehmen können. Eine Kubikmeile, die Meile rund zu 24,000 Fuß gerechnet, enthält 13 Billionen und 824 Tausend Millionen Kubikfuß, und würde Raum für nahezu 23,888 Trillionen Sandkörner bieten.
Für unsere Decillion verschlägt dies noch gar wenig; wir müssen uns daher nach einem weit größeren Raume umsehen. Unsere Erdkugel hat 2659 Millionen Kubikmeilen Körperinhalt. Sie würde, wenn ihre ganze Masse aus Sand bestände, 631/2 Quintillionen Sandkörner enthalten.
Die Sache fängt an, bedenklich zu werden. Je größer die Räume sind, die wir mit Sand füllen, desto langsamer scheinen wir in unserer Decillion vorzuschreiten. In dem größten Raume, den wir auf Erden kennen, in unserer Erdkugel selbst, haben wir erst die Hälfte der sechzig Nullen unterbringen können, die zu einer Decillion gehören, und wir haben damit so wenig gewonnen, daß vielmehr 27,000 Quadrillionen Erden vorhanden sein müßten, um unsere Decillion Sandkörner zu fassen.
Wo finden wir denn aber Raum für diese überirdische Größe? Natürlich müssen wir ihn außerhalb unserer Erde suchen. Es gibt viele Himmelskörper, die an Größe unseren Erdball weit übertreffen. Die Sonne z. B. ist vierzehnhunderttausendmal größer, als die Erde. Nach den bisher gewonnenen Resultaten wollen wir uns aber nicht bei ihr aufhalten. Wir wollen vielmehr mit Hülfe unserer Phantasie gleich einen unendlich viel größeren Raum schaffen.
Die Sonne ist von unserer Erde 20,300,000 Meilen entfernt. Eine Kanonenkugel, die 600 Fuß in der Secunde durchläuft, würde, mit gleicher Geschwindigkeit unaufgehalten sich fortbewegend, die Sonne von hier aus in 252/3 Jahren erreichen. Diese Entfernung nun wollen wir uns als den Halbmesser einer ungeheuren Kugel denken. Der Umfang dieser Kugel würde 1271/2 Millionen Meilen, ihre Oberfläche 51781/2 Billionen Quadratmeilen groß sein. Ihr körperlicher Inhalt würde über 35,041 Trillionen Kubikmeilen betragen. Mit Sand gefüllt, würde sie 807 Septillionen Sandkörner in sich aufnehmen können!
Aber ein wie unendlich kleiner Theil einer Decillion ist dies! Vorwärts also auf den Flügeln unserer Phantasie, wenn auch unser Vorstellungsvermögen längst schon zurückgeblieben ist! Laßt uns mit kühnem Flug uns an die äußersten Grenzen unseres Sonnensystems wagen.
Einer der äußersten Vorposten unseren großen Sonnenreichs ist der Uranus. Seine Entfernung von der Sonne beträgt 400 Millionen Meilen. Unsere Kanonenkugel, nachdem sie sich auf der Sonne ausgeruht, wird, dort wieder eingeladen, auf den Uranus gerichtet und abgeschossen. Durch nichts in ihrer Geschwindigkeit aufgehalten, erreicht sie diesen Planeten in – 500 Jahren! Nun wollen wir uns die Entfernung des Uranus von der Sonne als den Halbmesser einer das ganze Sonnenreich umschließenden Kugel denken, deren Umfang demnach aus 25131/2 Millionen Meilen, ihre Oberfläche auf 2 Trillionen Quadratmeilen, und ihr körperlicher Inhalt auf 268 Quadrillionen Kubikmeilen sich berechnen ließe. Die Zahl der Sandkörner, welche diese Kugel – unser großes Sonnenreich – in sich aufnehmen könnte, würde 62/3 Octillionen betragen.
Das ist nun wiederum nur ein winzig kleiner Theil einer Decillion. Denn 156 Tausend Millionen Sonnensysteme müßten da sein, um Raum genug für eine Decillion kleiner Sandkörnchen zu bieten. Hundert sechs und fünfzig tausend Millionen Sonnenreiche! Da hört denn doch alle menschliche Vorstellungskraft auf! Wie viel ist das, 156 Tausend Millionen? Um eine solche Anzahl winzig kleiner Sandkörnlein unterzubringen, ist ein Raum von 90 Kubikfuß erforderlich, etwa eine Kiste, die 5 Fuß lang, 41/2 Fuß breit und 4 Fuß hoch wäre! Und nun eben so viele Sonnenreiche, als Sandkörner in jener Kiste Platz finden, und diese alle mit Sand angefüllt!
Wir wollen unsere Leser nicht mit einer Weiterführung dieser Berechnung ermüden. Es sei uns gestattet, nur kurz zu bemerken, daß wir, in unserem Sonnensystem für eine Decillion nicht Raum genug findend, an Sonnen anderer Welten uns hinangewagt haben. Aus der Entfernung des prachtvollen Fixsterns Sirius, die nach Bradley und Lambert nicht unter 400,000 Erdenweiten angenommen werden darf (Erdenweite: d. i. die Entfernung der Erde von der Sonne), und den unsere Kanonenkugel erst nach 101/2 Millionen Jahren erreichen würde – aus dieser Entfernung haben wir den Halbmesser einer Kugel gebildet, und in ihr doch nur 508,814 Nonillionen Sandkörner unterzubringen vermocht, eine Zahl, die ungefähr der Hälfte einer Decillion gleich kommt.
Wie schwindelt’s dem menschlichen Verstande vor solchen Größen! Und wie viel weniger vermag die menschliche Vorstellungskraft sich ihnen entsprechende Kleinheiten zu denken! – einen Decilliontheil eines Tropfens! Mag immerhin die Logik das Vorhandensein eines Decilliontheils eines Tropfens beweisen – beweist sie doch auch, daß der schnellfüßige Achill eine Schildkröte im Laufe einzuholen nimmer im Stande ist – wer aber dürfte sich erkühnen, in einem Decilliontheil, einem Quintilliontheil, ja in einem Billiontheil eines kleinen Tropfens nach menschlichem Begriffsvermögen überall nur ein Etwas sich denken zu wollen? Sind denn die Homöopathen der unendlichen Kleinheit – des Nichts – dieser Größen sich bewußt? Wahrlich, dann ist die Vermessenheit groß, mit der sie alle die täuschen, die sich ihnen vertrauensvoll nahen. Haben sie aber, wie es wahrscheinlich ist, keine Ahnung von der Ungeheuerlichkeit dieser Größen oder Kleinheiten, dann muß uns die Gedankenlosigkeit in Erstaunen setzen, die sie bei Ausübung eines der edelsten Berufe des Menschen an den Tag legen.
Aus den Memoiren eines Stenographen. In dem denkwürdigen Jahre 1848 war ich Reichstags-Stenograph. Dieses Jahr war für die Stenographie wohl ein gesegnetes zu nennen, Ueberall Parlamente, Landtage, Vorbesprechungen zu Wahlen, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrenn etc., kurzum, wohin man blicken mochte, das Bedürfniß nach Stenographen.
Ich pflegte die mir nöthige Erholung von den Strapazen des Reichstagslebens oft in dem Hause eines Fabrikanten zu finden, welchen ich aufsuchte, wenn ich fern von Politik mich den Vergnügungen eines gemüthlichen[WS 2] Familienlebens und dem erquicklichen Verkehr mit guten Bekannten hingeben wollte. Der Herr des Hauses war gebildet und reich, und verstand es mit seltenem Geschick, die Zufriedenheit und das Wohlbehagen, die in seiner Familie heimisch waren, auch auf seine Gäste zu übertragen. Er war glücklich in seinen Kindern. Er besaß einen Sohn und drei anmuthige Töchter. Letzterer Umstand mag wohl einer der Hauptanziehungspunkte für die jüngeren Besucher seines Hauses gewesen sein. Zu den fleißigsten Besuchern desselben zählte ein junger Literat. Er war ein äußerst liebenswürdiger Mensch, hatte aber einen großen Fehler: er machte über alles Mögliche Gedichte, welche aber eben nicht an Gedankenreichthum litten, und deren Form meistens nur mittelmäßig war. Dabei war er aber so sehr von der Vortrefflichkeit seiner Reimereien überzeugt und daneben von Mutter Natur mit einer solchen Dosis Eitelkeit begabt, daß er seine poetischen Erzeugnisse bei jeder Gelegenheit und jedem, der ihn anhören wollte, oder vielmehr jedem, den er überhaupt erfassen konnte, vortrug. Dadurch war er nun wirklich der Schrecken unserer Gesellschaft geworden, und es war ganz natürlich, daß man allgemein den Wunsch hegte, den sonst recht schätzenswerthen jungen Mann von seiner Manie zu heilen. Nach langem Hin- und Hersinnen glaubte man endlich ein Mittel hierzu gefunden zu haben und benützte die erste Gelegenheit, die sich darbot, um es auszuführen.
Es war am 2. September. Man feierte den 20. Geburtstag der hübschesten unter den drei jungen Damen des Hauses. Wir wußten alle, daß unser Held uns bei dieser Gelegenheit ganz gewiß mit einer neuen Schöpfung seiner aufgeregten Phantasie bekannt machen würde; und darauf war unser Plan berechnet. Wir hatten uns nicht getäuscht. Die Gesellschaft war bereits versammelt, ich aber war nicht zugegen, als unser Dichter eintrat. Er setzte sich alsbald in die gehörige Positur und declamirte ein von ihm eigens für diesen Abend verfaßtes Gedicht. Ein aufmerksamer Beobachter hätte aus allen Gesichtern ein bedeutsames halb unterdrücktes Lächeln bemerken können. Als er geendet hatte, sprach ihm die gefeierte Dame des Hauses ihren Dank aus. „Wirklich ein recht artiges Gedicht; es hat mir schon gefallen, als unser Freund Eberhard (das war ich) es mir vor einigen Tagen vorlas.“
Diese wenigen Worte übten eine merkwürdige Wirkung auf unsern jungen Mann. Er hatte ja gerade vorher sein Gedicht ausdrücklich für eine Originalarbeit erklärt; er war sich auch wirklich vollkommen bewußt, in diesem Falle kein Plagiat begangen zu haben; – nun mußte ihn die ganze Gesellschaft für einen Abschreiber halten. Das würde auch einen minder Eiteln als ihn sehr unangenehm berührt haben. Andrerseits aber konnte er es wirklich nicht für möglich halten, daß zwei Personen, die mit einander in keiner Verbindung stehen, dieselben Gedanken haben, noch weniger aber sie in dieselben Worte kleiden würden, noch dazu in einem langen Gedicht.
Diese und ähnliche Gedanken stürmten auf ihn ein und machten ihn beinahe sprachlos. Als er sich etwas gesammelt hatte und nun nähere Aufschlüsse verlangte, wußte ihm die Dame geschickt auszuweichen und das Gespräch auf andere Gegenstände zu lenken. – In diesem Augenblick trat ich ein. „Welches Gedicht haben Sie vor einigen Tagen dem Fräulein vorgelesen?“ Mit dieser Frage stürzte der Aufgeregte auf mich zu. Ich stellte mich, als wüßte ich gar nicht, um was es sich handelte, und forderte ihn auf, mir die Sache zu erklären. Ich hörte ihn einige Zeit an, zog endlich meine Brieftasche hervor, nahm nach einigem Herumsuchen ein beschriebenes Blättchen Papier heraus und fing an, den Inhalt desselben mit vielem Pathos zu declamiren. – Es war sein Gedicht, Wort für Wort.
Für einen Psychologen müßte das Mienenspiel, mit welchem unser Dichter meinen Vortrag begleitete, höchst interessant gewesen sein. Seine Aufregung wuchs derart, daß er einer Ohnmacht nahe war, und lange Zeit ging er umher wie ein Irrsinniger. Aber das Mittel hat geholfen. Seit diesem Abend nahm unser Dichter an unserer Unterhaltung nur in strengster Prosa Theil, und niemals mehr hörten wir ihn in unserm Kreise ein Gedicht vortragen. Erst später gaben wir ihm die Erklärung, daß ich mich während der Zeit, als er sein Gedicht vortrug, im Nebenzimmer befand und Satz für Satz seiner Declamation stenographisch niederschrieb.