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Blutarmuth und Bleichsucht

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Blutarmuth und Bleichsucht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 538–540
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[538]

Bausteine zu einer naturgemäßen Selbstheillehre.

V.
Blutarmuth und Bleichsucht.

Die Blutarmuth ist einer der gefährlichsten Feinde der Menschheit, denn unmerklich beschleicht sie eine Menge von Menschen und in der Regel gerade in dem Lebensalter, wo das Blut für das Gedeihen des Körpers vom allergrößten Werthe ist, im Entwickelungs-Zeitraume nämlich, in den Kinder- und Jungfrauen- (Jünglings-)Jahren. Deshalb schreibt sich aber auch eine große Anzahl von Krankheiten des reifern Lebensalters, von denen die meisten unheilbar sind, schon aus der Jugend her und diese hätten recht wohl verhütet werden können, wenn man damals der Blutarmuth energisch entgegen getreten wäre. Darum ist es Eure Pflicht, Ihr Eltern und Erzieher, recht ordentlich auf den Zustand des Blutes Eurer Kinder und [539] Zöglinge Acht zu haben und nicht das Wohl des Körpers derselben für das ganze Leben untergraben zu lassen. – Um zu einem richtigen Verständniß der Gefährlichkeit der Blutarmuth zu kommen und sich die Erscheinungen bei dieser Krankheit gehörig deuten zu können, muß man sich stets an die Unentbehrlichkeit des Blutes für das Leben des menschlichen Körpers erinnern (s. Gartenlaube No. 39 u. 45) und bedenken, daß dasselbe alle Theile des Körpers ernährt, die Quelle der Eigenwärme ist und rothen Theilen ihre Farbe verleiht, daß sonach Blutarmuth sich vorzugsweise durch schlechtere Ernährung, geringere Wärmeentwicklung und Blässe (Bleichsucht) andeuten muß. Die schlechtere Ernährung ruft sodann eigenthümliche Störungen bald in diesem, bald in jenem Organe hervor und deshalb sind die Krankheitserscheinungen nicht bei allen Blutarmen dieselben.

Krankheitserscheinungen bei der Blutarmuth. Die auffälligsten Erscheinungen schreiben sich vom Mangel der rothen Blutfarbe her und bestehen zunächst in Blässe der Haut. Die zarte Haut ist dabei nicht selten etwas wachsähnlich glänzend, ihre Bleiche hat einen Stich in's Gelbliche oder Grünliche; im Gesicht sehen blutarme Mädchen (Bleichsüchtige) manchmal ihrer hellrothen Wangen wegen „wie Milch und Blut“ aus und es schimmern, besonders an den Händen, die blutleeren Blutadern anstatt dunkelgraublau durch die Haut blaßblauröthlich oder violett hindurch. Die Blässe zeigt sich ferner noch: an den Lippen (besonders an ihrer innern Fläche), dem Zahnfleische, der Schleimhaut, welche die Mundhöhle auskleidet, der innern Fläche der Augenlider und an der Thränencarunkel (dem rothen Hügelchen im innern Augenwinkel). – Die geringere Wärmeentwickelung bei Mangel an Blut gibt sich durch kühle Haut, kalte Füße und Hände, häufiges Frösteln und leichtes Frieren des Patienten zu erkennen. – Die schlechtere Ernährung der Körpersubstanzen ruft außer allgemeiner Abmagerung auch noch in den verschiedenen Organen Erscheinungen gestörter Thätigkeit hervor; so wird die Haut dünn und trocken, die Muskeln werden mager und schlaff, so daß leicht Ermüdung bei Bewegungen und selbst Schmerz in denselben eintritt, den man gewöhnlich für einen rheumatischen erklärt. Das schlechter ernährte Herz klopft weit leichter und stärker; die matten Athmungsmuskeln und blutleeren Lungen bedingen Kurzathmigkeit, Gähnen und Seufzen; die Schwäche des Verdauungsapparates drückt sich durch Appetitlosigkeit, Magenkrampf (oft mit Brechneigung, Beschwerden nach dem Essen, Kollern und Poltern im Leibe und Verstopfung aus; die in ihren Wänden dünnen und schlaffen Blutgefäße zerreißen leichter und deshalb kommt es bei Blutarmen leicht zu Blutungen (besonders Nasen- und Menstrualblutung) und Blutfleckenbildungen in der Haut. Am zahlreichsten und mannigfaltigsten sind aber die Erscheinungen, welche ihren Grund in schlechter Ernährung des Gehirns, Rückenmarks und Nervensystems haben, denn dadurch werden hervorgerufen: Kopfschmerzen (Migräne), Rücken- und Nervenschmerzen der verschiedensten Art, Krampfzufälle (Veitstanz, Epilepsie, Hysterie), Gemüthsverstimmungen (Trübsinn, Verdrießlichkeit, Launenhaftigkeit, Aergerlich- und Weinerlichsein), Schwäche oder widernatürliches Aufgewecktsein des Verstandes, Sinnesstörungen (wie Ohrensausen, Flimmern oder Flecke vor den Augen, Schwindel, Lichtscheu), Ohnmachten.

Die Ursache der Blutarmuth ist, wenn nicht geradezu Blut verloren geht, stets ein Mißverhältniß zwischen dem Verbrauche und dem Wiederersatze von Blut. Hinsichtlich des Verbrauches muß man bedenken, daß Verluste an guten Blutbestandtheilen (wie beim Stillen der Säuglinge, bei hartnäckigem Durchfalle, bei Eiterungen u. dgl.), ebenso wie wirkliche Blutungen blutarm machen können, und daß das Thätigsein der Organe immer mit Blutverbrauch verbunden ist. So wird bei anstrengenden Körperbewegungen, bei stärkern und andauernden geistigen und gemüthlichen Erregungen, bei Schlaflosigkeit und Schmerzen, bei fortwährenden Reizungen der Empfindungsnerven (durch kaltes Wasser, Spirituosa, geschlechtliche Ausschweifungen u. s. f.), bei sehr schnellem Wachsthum, ziemlich viel Blut verbraucht und somit können alle diese angeführten Momente Ursachen der Blutarmuth werden. Was den Wiederersatz des Blutes betrifft, so könnte dieser aus verschiedenen Gründen nicht hinreichend sein; vielleicht weil überhaupt zu wenig Nahrung genossen wird; oder weil die Nahrung eine unzweckmäßige ist und nicht die Stoffe in der gehörigen Menge enthält, aus denen das Blut zusammengesetzt ist; oder weil trotz der an Menge und Beschaffenheit passenden Nahrung diese nicht gehörig zu Blut verarbeitet wird, wie dies bei Krankheiten der Verdauungs- und Respirationsorgane, bei Mangel an Luft, Licht, Wärme, Bewegung und gewiß nicht selten beim Mediciniren der Fall ist. In sehr vielen Fällen von Blutarmuth findet sich gleichzeitig beides, ebensowohl ein widernatürlich vermehrter Verbrauch, wie ein unnatürlich geringer Wiederersatz von Blut als Ursache vor.

Blutarmuth in den verschiedenen Lebensaltern. Daß Kinder blutarm auf die Welt kommen, ist bei unserer jetzigen Erziehung des weiblichen Geschlecht nicht zu verwundern, da man die Mädchen zu viel für die kurze Zeit des Brautstandes und zu wenig für die lange Zeit des Ehestandes vorbereitet. – Im Säuglingsalter und in den ersten Kinderjahren, wo die Blutarmuth entweder von zu wenig oder von falscher Nahrung herrührt, ist sie die gewöhnliche Ursache der sogenannten Hirnkrämpfe und der krankhaften Erscheinungen, welche dem hitzigen Wasserkopfe, dem Zahnen, der Magenerweichung und der Drüsendarre zugeschrieben werden. – Der Schulzeit verdankt die Blutarmuth, und zwar in Folge der falschen geistigen und körperlichen Behandlung der Kinder, vorzugsweise der Mädchen, am häufigsten ihr Entstehen, und schon von dieser Zeit an wird sie dann sehr oft bis in die späteren Lebensjahre verschleppt. – Im Jungfrauen- oder Jünglingsalter scheint die Bleichsucht zum guten Tone zu gehören, so verbreitet ist sie hier. Es wäre aber auch wunderbar, wenn bei der unnatürlichen Lebensweise unserer Jugend natürliches Blut in deren Adern flöß. Daß auch im reifern Lebensalter das Blut nicht seine richtige Menge [540] und Beschaffenheit erlange, dafür sorgen gemeinschaftlich unsere Sitten und unsere Aerzte. – Kurz in jedem Lebensalter spielt die Blutarmuth eine so wichtige Rolle unter den Krankheiten, daß jedes Lebensalter eine besondere Besprechung in dieser Hinsicht verdient und erhalten wird. – Folgen der Blutarmuth. Zum Tode führt die Blutarmuth sehr oft in den ersten Lebensjahren und zwar unter den Erscheinungen einer Hirnkrankheit (mit Krämpfen) oder einer Magen- und Darmerweichung, oder als sogen. Drüsen- und Unterleibsschwindsucht. Nicht selten befördert hier der Arzt den Tod durch Blutegel und Calomel (das scheußlichste und doch beliebteste Mittel unserer Aerzte). In den Schuljahren legt die Blutarmuth den Grund für die spätere körperliche und geistige Schwäche, zur Schwindsucht und zum Buckligwerden. In dem Jünglings- und Jungfrauenalter geht die Blutarmuth leicht in Lungenschwindsucht über und ist Ursache der mannigfaltigsten Nervenleiden. Die Jungfrau wird durch die Blutarmuth für ihren zukünftigen Stand als Gattin und Mutter unfähig, und eine blutarme Frau kann als sensitive oder hysterische Person weder sich selbst noch Anderen das Leben erheitern.

Behandlung der Blutarmuth. Da die Ursache dieser Krankheit stets ein Mißverhältnis zwischen Einnahme und Ausgabe von Blut ist, so muß die Behandlung natürlich darin bestehen, die Blutbildung und den Blutverbrauch in ein richtiges Verhältnis zu einander zu bringen. Zuvörderst ist die Blutneubildung kräftig zu unterstützen und dazu gibt es durchaus keine andern Mittel als zweckmäßiges Essen und Trinken, sowie richtiges Athmen (s. Gartenlaube Nr. 48, S. 527). Was die Kost anlangt, so muß dieselbe vorzugsweise eine thierische sein und demnach hauptsächlich aus Milch und Ei (aber ebenso aus dem Eiweiß wie dem Dotter), aus kräftiger und fetter Fleischbrühe und weichem saftigen Fleische bestehen; stets darf dabei aber der Genuß von Wasser, Fett (Butter) und Kochsalz nicht zu sparsam sein, auch sind die festen Nahrungsmittel recht ordentlich zu kauen. Bei Pflanzenkost sind Mehlspeisen und Hülsenfrüchte den Kartoffeln, Gemüsen, Wurzeln, sauren Sachen u. dgl. weit vorzuziehen. Uebrigens muß sich die Kost sowohl hinsichtlich ihrer Beschaffenheit wie Menge nach der Verdauungskraft des Patienten richten. Darum berücksichtige man, daß reine Milch, weil sie im Magen zu Käse gerinnt, ziemlich schwer zu verdauen ist (beim Säugling ist nur Mutter- oder Ammenmilch von Vortheil), und daß flüssiges Eiweiß sehr leicht verdaut wird, während geronnenes Eiweiß äußerst schwer verdaulich ist; daß Fleischbrühe im Vergleiche zum Fleische selbst weit leichter verdaut werden kann und daß lockeres Weißbrod weniger Verdauungskraft braucht als schweres Schwarzbrod. Demnach würde sich ein Blutarmer mit schwachem Magen vorzugsweise von rohen Eiern und Fleischbrühen (Suppen) zu ernähren und lieber wenig auf einmal aber öfterer zu essen haben. Nach und nach könnte er sich an Fleisch, Milch und Brod gewöhnen. Von den Getränken läßt sich bei Blutarmuth nur das Wasser und Bier anempfehlen, jedoch darf letzteres nicht zu stark (alkoholhaltig) sein. Jedes Getränk, was Herzklopfen und sogen. fliegende Hitze macht, ist zu vermeiden. – Neben der Nahrung ist sodann das Athmen ja nicht außer Acht zu lassen und es muß hierbei ebensowohl auf die Art und Weise zu athmen, wie auf die Beschaffenheit der einzuathmenden Luft die gehörige Rücksicht genommen werden, wie dies früher schon gelehrt wurde (s. Gartenlaube Nr. 17). – Außer der Blutneubildung ist sodann die Reinigung und der Lauf des Blutes durch den Körper in Ordnung zu halten oder wo nöthig in Ordnung zu bringen. Wie dies zu erreichen ist, wurde in Nr. 48. der Gartenlaube gesagt. – Das ganze Blutbilden auf die angegebene Weise würde nun aber doch nicht zur richtigen Blutmenge führen, wenn nicht zugleich auch der Verbrauch von Blut etwas eingeschränkt würde. Deshalb muß man alle angreifenden körperlichen und geistigen Anstrengungen vermeiden, gemüthliche und geschlechtliche Erregungen umgehen, Nachtwachen und Reizmittel fliehen. Gerade dadurch, wodurch sich manche Blutarme zu nützen meinen, schaden sie sich, wie dies ganz vorzüglich mit den kalten Waschungen, Douchen und Bädern (Seebädern) der Fall ist, welche ein gar heftiges Reizmittel für die Hautnerven sind. Ebenso werden dem blutarmen Körper nicht genau angepaßte gymnastische Uebungen, so wie erregende Spirituosa schädlich. Uebrigens verlangt die Blutarmuth in jedem Lebensalter ihre besondere Diät und Lebensweise und deshalb soll nächstens eine ausführlichere Betrachtung dieser folgen. Daß man zur Heilung der Blutarmuth weder einen (Eisenmittel verschreibenden) Arzt, noch auch Arzenei nöthig hat, versteht sich von selbst.

(Ausführlichere Belehrung über den vorliegenden Gegenstand findet man in Prof. Richters Schrift über Blutarmuth und Bleichsucht, die hiermit angelegentlichst empfohlen sein soll.)

(B.)