Gegen das kalte Wasser als Stärkungsmittel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Ernst Bock
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gegen das kalte Wasser als Stärkungsmittel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 538
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Aerztliche Strafpredigten. II.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite



[538]
Aerztliche Strafpredigten.
Nr. II. Gegen das kalte Wasser als Stärkungsmittel.


Ist die Peitsche für ein mattes Pferd deshalb etwa ein Stärkungsmittel, weil sie dasselbe eine kleine Strecke weit zum schnellern Lauf antreibt? Und was wird denn wohl endlich mit dem matten Pferde, wenn es fortwährend gepeitscht wird?

Die Antwort auf diese Fragen kann sich sicherlich ein Jeder selbst geben. – Ganz so wie mit der Peitsche und einem matten Pferde verhält es sich nun aber auch mit dem kalten Wasser und einem an sogen. Schwäche und Blutarmuth (Bleichsucht) leidenden Menschen. Das kalte Wasser (äußerlich angewendet als kaltes Flußbad, Seebad, kalte Waschungen und Uebergießungen u. s. f.), – dessen heilsame Wirkungen bei gewissen Krankheitszuständen übrigens hiermit durchaus nicht weggeleugnet werden sollen, – ist blos Peitsche, d. h. ein Antreibungsmittel für den Schwachen, niemals ein Stärkungsmittel, ja anstatt die Schwäche zu vertreiben, vermehrt es dieselbe in der Regel nur, und macht den Schwachen nur noch reizbarer. Wer freilich in seiner Kurzsichtigkeit blos nach der sofortigen Wirkung des kalten Wassers urtheilt, die gewöhnlich in angenehmer Belebung und scheinbar stärkender Erfrischung besteht, der muß allerdings zu der falschen Ansicht kommen, das kalte Wasser stärke. Dann würde man sich aber auch stärken, wenn man sich durch Spirituosa ein Räuschchen antrinkt, was ja, wie bekannt, selbst den Leidenden auf kurze Zeit seine Leiden vergessen läßt, scheinbar gesund und munter macht, aber doch Katzenjammer mit Ermattung hinterläßt. Einen ähnlichen, nur langwierigen Nervenkatzenjammer erzeugt bei Schwachen die Reizung durch kaltes Wasser. Darüber wird man sich auch gar nicht wundern, wenn man die Wirkung des kalten Wassers auf die Haut bedenkt. Es bedingt nämlich die Kälte des Wassers, abgesehen von der Zusammenziehung der Blutgefäße und Fasern der Haut, eine ziemlich starke Erregung der zahlreichen Empfindungsnerven der äußern Haut und diese pflanzt sich, wie eine Nachricht durch elektromagnetische Telegraphendrähte zur Hauptstation, so hier zum Mittelpunkte aller Empfindungen, zum Gehirne hin fort. Findet nun diese Nerven- und Hirnerregung öfters statt, dann wird, wahrscheinlich durch Störung der Ernährung dieser Organe, vielleicht in Folge zu starken Nervenmasse- und Blutverbrauchs, die Erregbarkeit und Thätigkeit derselben in krankhafter Weise entweder gesteigert oder endlich auch herabgesetzt. Daher kommt es denn, daß die meisten Kaltwasserliebhaber bleich und reizbar (nervös nennt es der Laie) werden und an Kopfschmerz oder Eingenommenheit des Kopfes, Schlaflosigkeit, Herzklopfen, sowie an großer Empfindlichkeit gegen Licht und Schall; selbst an Krampfzuständen leiden, daß sie leicht erschrecken, über die Maaßen empfindsam und verletzbar sind, sich und Andere mit ihren Nerven quälen, ja sogar nicht blos in Bezug auf das Gemüth, sondern auch auf Verstand und Willen leiden. Wie Viele sind nicht schon durch Kaltwasserkuren geisteskrank und geistesschwach, ja sogar so albern geworden, daß sie die Kaltwasserkur, trotz der schlimmen Erfahrungen, die sie selbst gemacht haben, doch noch laut preisen und andern Nervösen anempfehlen. Man sollte nur in Seebädern und Kaltwasseranstalten das Unheil sehen, was das kalte Wasser bei vielen Patienten anrichten würde, wenn daneben nicht die Luft, das Licht und die Nahrung wären, um das wieder gut zu machen, was das kalte Wasser verdirbt. Und trotz dieser ausgezeichneten Hülfsmittel kommen doch noch eine weit größere Anzahl von Personen, welche Kräftigung im Seebade und in der Kaltwasseranstalt suchten, mehr verschlechtert als gebessert aus diesen Heilanstalten zurück. Ja, gingen Nervenschwache in solche Bäder und Anstalten und badeten hier nicht kalt, sondern erst warm, mit abnehmender Schwäche und steigender Kraft lau, und endlich kühl, sie würden sicherlich großen Vortheil für ihre Gesundheit davon haben. Kurz das kalte Wasser ist und bleibt geradezu Gift für Nervenschwache und Blutarme, es mögen die Kaltwasserdoctoren und Kaltwasserfanatiker reden und schreiben, was sie wollen.

Ebenso wie das kalte Wasser, so sind nun aber auch Spirituosa (Wein), Kaffee und Thee, ätherisch-ölige, gewürzhafte und balsamische Substanzen nichts als Reizmittel, die Wohl, durch sanftere oder stärkere Antreibung der Nerventätigkeit, auf kurze Zeit bei Schwachen scheinbar ein stärkeres Kraftgefühl und vorübergehend auch kräftigere Bewegungen und ein regeres Thätigsein veranlassen, niemals aber auf die Dauer Stärkung bewirken können. – Trotz alledem erben doch die falschesten Ansichten über die Stärkung des geschwächten menschlichen Körpers, sogar bei vielen Aerzten fort und fort und auf die Frage: „was ist Schwäche,“ hört man vom Laien gewöhnlich antworten: „wenn Einer in’s Seebad geht,“ während der Practicus dabei fast nur an Eisen oder Eisenwässer (Pyrmont), an China und Wein denkt. Ich möchte dagegen jedem Schwachen rathen, sich an ein abgetriebenes Pferd und an Futter und Stall, nicht aber an die Peitsche zu erinnern. Eine solche Pferdekur ist menschlicher als die jetzt gebräuchlichen Kräftigungskuren, besonders als die unsinnigen Kaltwasserkuren.

Was stärkt und kräftigt denn nun aber den geschwächten Körper? Das thut Nahrung, Luft, Licht, Wärme und Ruhe neben mäßiger und passender Bewegung, sonach also das, was die Ernährung aller unserer Körpertheile, vorzugsweise aber des Blutes, der Nerven und Muskeln, gehörig unterhält. – Die Nahrung (Speise und Trank) kann nur dann kräftigen, wenn sie in sich alle die Stoffe enthält, aus denen unser Blut und Körper aufgebaut ist, sonach: Wasser, Eiweißsubstanzen, Fett und Salz. Deshalb ist Milch (aber so wie sie die Kuh gibt, nicht etwa abgerahmt) das allerbeste und kräftigendste Nahrungsmittel, nach ihr das Ei (natürlich mit dem Weißen und lieber weich als hart) und das Fleisch mit seinem Safte; aus dem Pflanzenreiche haben hier nur die Hülsenfrüchte und Getreidesamen einen Nahrungswerth. Ganz falsch ist es, Fett und Salz so viel als möglich aus den Speisen zu verbannen; gerade diese Stoffe sind sehr nöthig zur Kräftigung. Aber auch auf die Art und Weise, die Speisen zuzubereiten und zu genießen, muß Bedacht genommen werden; weich und leicht löslich müssen sie sein, tüchtig gekaut und wenig auf einmal, aber öfterer genossen. – Auf gute reine Luft ist, da sie ja die Lebenslust (Sauerstoff) in unser Blut schafft, ebenso wie auf kräftigende Nahrung zu halten und darum muß die Wohnung, besonders aber das Schlafzimmer, stets eine solche Luft enthalten. Ganz vorzüglich ist aber Berg-, Wald- und Seeluft zu empfehlen, dagegen vor Sumpf- und Abtrittsluft zu warnen. – Sonnenlicht, welches die Entwickelung der Lebenslust aus den grünen Pflanzentheilen vermittelt, ist für den menschlichen Körper, zumal für die Nerven, ein weit wichtigeres Erhaltungsmittel, als man bisher geglaubt hat und deshalb unterstützt der Aufenthalt in sonniger Luft und Wohnung die Heilung eines Schwächlings gar sehr. – Auch die Wärme, bei der ja wie bekannt jedwede Vegetation gut gedeiht, dient zur Unterstützung der Kräftigung geschwächter Personen. – Was die Ruhe betrifft, so muß diese ebenso eine körperliche wie geistige, eine gemüthliche und geschlechtliche sein, aber natürlich nicht bis zum absoluten Nichtsthun ausarten, sondern mit mäßigem, sich allmälig steigerndem Thätigsein abwechseln. Der Schlaf, auch das Vormittags- und Nachmittagsschläfchen, ist erquickend und stärkend. Ausführlicheres hierüber findet der Leser in der Gartenlaube 1854. Nr. 23.

Nur diese sind die naturgemäßen Hülfs- und Heilmittel bei geschwächten Kräften, die aber freilich niemals so schnell kräftigen können, wie es die Schwachmatiker verlangen. Denn wer heut zu Tage viele Jahre lang in seine Gesundheit hineingewüstet hat, der möchte, wenn er endlich nicht mehr so fortwirthschaften kann, wo möglich in einigen Tagen oder Wochen vom Arzte, von Charlatanen oder durch ein Bad so reparirt sein, daß er mit ungeschwächter Kraft seine frühere schlechte Lebensweise beginnen könnte. Ueberhaupt übersteigt die Unverschämtheit, mit welcher viele Kranke gesund werden wollen, oft so alle Begriffe von Menschenverstand, daß man an der ganzen Menschheit verzweifeln möchte.

Bock.