Die Gartenlaube (1860)/Heft 28
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No. 28. | 1860. |
Thorkel hatte den kleinen Anders auf seinen Arm genommen und ihn dann auf sein Knie gesetzt. Clas hatte Gullik zur Seite geführt und sprach mit ihm heimlich. Thorkel aber sprach mit dem Knaben und mit Sigrid, freundlich plaudernd, fragend und Antwort gebend über allerlei Dinge, die des Kindes Neugier reizten.
„Willst Du denn nun wieder bei uns wohnen?“ fragte Anders.
„Ich denke, ja,“ antwortete Thorkel.
„In Deinem Hause dort drüben?“
„Ei freilich, lieber Anders.“
„Da ist es schön,“ sagte das Kind leise. „Ich war neulich einmal mit Sigrid dort, doch Dein Haus war verschlossen, und an der Thür hing ein Siegel. Sigrid sagte, der Landrichter hätte es vorlegen lassen, Du kämst wohl nimmer wieder.“
„Nun bin ich doch wieder da,“ fiel Thorkel ein, „und das Siegel schneiden wir ab.“
„Dann kommen wir und besuchen Dich, Sigrid und ich, und bleiben bei Dir.“
„Ja, ja, komm Du nur. Habt ihr denn zuweilen an mich gedacht, Du und Sigrid?“
„Ei wohl,“ sagte Anders. „Sigrid hat mir von Dir erzählt, wie keiner so schnell sei wie Du und so stark am ganzen Fjord.“
„Das lohn’ Dir Gott, Sigrid!“ sagte Thorkel, aber er sagte es halblaut und sah nach ihr hin. Sigrid sagte nichts darauf, sie legte das Netz zusammen.
„Nun willst Du wohl den Hund wieder haben?“ fragte Anders.
„Nein, nein!“ antwortete Thorkel, „der ist Dein und Du sollst ihn behalten. Das wird uns allen Glück bringen.“
„Du bist lieb,“ sagte der Knabe. „Ich will auch immer an Dich denken, so oft ich den Hund sehe.“
Eben kamen die beiden Männer zurück, und es dunkelte auf dem Fjord. Die Nebel stiegen auf, der letzte falbe Schimmer verschwand von den hohen Romsdalsfjellen.
„Geh hinein, Sigrid, sieh nach dem Feuer und mach Dich an den Tisch,“ sagte Gullik. „Du geh mit ihr, Anders. Abendluft taugt Dir nichts!“
„Komm mit uns in’s Haus,“ sagte das Kind zu seinem Freunde.
Doch Thorkel antwortete: „Geh nur voran,“ und als Anders zur Thür hinein war, wandte er sich an den Fischer. „Ist es Dir gelegen,“ fragte er, „wenn ich diese Nacht bei Dir bleibe?“
Es vergingen einige Augenblicke, während Gullik gerade aus sah und schwieg. Darauf antwortete er: „Es geht nicht an.“
Wieder eine Minute, dann sprach Thorkel: „Nimm’s nicht übel, ich fragte, weil mein Vater Dein Freund gewesen.“
Nach einem Weilchen sprach Gullik: „Weil er mein Freund war, darum will ich Dich nicht.“
Thorkel stand auf und sah umher, es war beinahe finster geworden. „Wohl,“ sagte er, „die Nacht ist da, so muß ich fort. Mag es Dich nie gereuen.“ Er ging, es sagte keiner etwas, aber Clas lachte heimlich. Bei Nacht den Bittenden von seiner Schwelle weisen, war ein schwerer Schimpf, ein Urtheil der Verachtung über Thorkel ausgesprochen, dem viele Männer sich anschließen, das aber andere auch wohl tadeln mochten. Da jener einige Schritte gegangen war, schien Reue über Gullik zu kommen. Er rief ihm nach, und Thorkel stand still.
„Kannst das Abendbrod mit uns theilen,“ sagte er.
„Behalte Deine Speise,“ antwortete Thorkel rauh und laut, „ich mag sie nicht.“ Damit verschwand er schnell in der Finsterniß, und Gullik Hansen stand schweigend, bis Clas ihm den Arm drückte.
„So ein Lump will noch trotzen,“ sagte er. „Das hast Du wacker gemacht, Gullik, alle guten Leute werden Dir Recht geben und ihm den Rücken kehren, sowie er an ihre Thür klopft.“
Der Fischer sprach nicht mehr darüber. „Komm herein und laß uns essen,“ sagte er. „Morgen früh gehe ich mit zwei Booten hinaus nach Ageröesund, denk ’s soll guten Fang geben.“
Am nächsten Tage fuhr Thorkel nach Molde hinüber, um mit dem Herrn Schiemann über seine Angelegenheit zu sprechen. Der Kaufmann wohnte in einem der besten Häuser, das er sich neu gebaut und stattlich eingerichtet hatte. Die braune Thür trug einen blanken Griff von Messing und ein blitzendes Schild von demselben Metall, auf welchem der Name des Eigenthümers stand. Die Vorflur war mit Matten belegt, große Flügelthüren führten nach beiden Seiten; aus einer derselben trat eben Clas Gorud, seinen Hut in der Hand. Da er Thorkel kommen sah, that er freundlich und nickte ihm zu.
„Du kommst eben zur rechten Zeit,“ sagte er, „Herr Schiemann sitzt drinnen bei seinem Frühstück, kannst gleich mit ihm verhandeln.“
Thorkel gab darauf keine Antwort, sondern ging auf die Thür zu, klopfte an und ging hinein. Clas blieb stehen, sah ihm hämisch [434] nach und horchte. Auf dem Sopha saß ein dürrer Herr mit langem Gesicht und starken Backenknochen, unter denen die Backen tief einfielen. Er hatte röthliches, dünnes Haar und einen röthlichen Backenbart, scharfe graue Augen und ein strenges Ansehen, das von der lang vorstehenden Nase vermehrt wurde.
Als Thorkel die Thür öffnete und guten Morgen wünschte, drehte er den Kopf hin, dankte nicht darauf, sondern fragte: „Was willst Du?“
„Ich möchte ein Wort mit Dir sprechen, Herr Schiemann,“ antwortete Thorkel.
Ter Kaufmann stemmte den Arm auf den Tisch, in der Hand hielt er ein Messer. Vor ihm stand eine Karaffe mit Portwein und ein halb gefülltes Glas, ein leeres nicht weit davon. Dabei Teller mit Fleisch und Lachs, sammt Butter und Weißbrod. Herr Schiemann nahm ein Stück davon, auch Fleisch dazu, und indem er darauf hin sah, fuhr er fort: „Hast Du nicht gesehen, daß an der anderen Thür „Comptoir“ steht? Wer mich sprechen will, muß dahin gehen. Oder kannst Du nicht lesen?“
„Lesen und schreiben, Herr Schiemann,“ sagte Thorkel. „Nimm es nicht übel. Clas Gorud sagte mir, ich möchte hier hineingehen.“
Der Kaufmann fuhr fort zu essen und trank dazu. Thorkel stand geduldig und wartete. „Ich habe schon gehört, daß Du wieder hier bist,“ begann er. „Warum kommst Du zu mir?“
„Lieber Herr,“ sagte Thorkel, „ich muß wohl. Du hast die Stelle am Torsfjord vom Landrichter beschlagen lassen, so weiß ich nicht, wohin ich soll.“
„Das mag wohl sein,“ versetzte Schiemann, „aber meine Sache ist es nicht. Gestern hat Dich Gullik Hansen von seiner Thür gewiesen, so wird es Dir bei Anderen auch gehen.“
„Ich hoffe es nicht von Dir, Herr,“ antwortete Thorkel.
„Von mir?“ fragte Schiemann, das Glas in der Hand. Und nachdem er es ausgetrunken, sprach er weiter: „Ich habe die Stelle als Pfand für die zweihundert Thaler verschrieben bekommen. Dein Vater war ein ehrlicher Mann, dem habe ich sie geborgt. Dir hat er das Geld geborgt, kannst Du es wiedergeben?“
„Ja, Herr, ich will’s wiedergeben.“
„Wann?“ fragte Schiemann. „Wie?“
Thorkel schwieg. „Es kann vielleicht bald geschehen, vielleicht auch nicht,“ antwortete er nach einigem Besinnen.
„Ja so!“ sagte der Kaufmann, „Du weißt es nicht. Was hast Du damit gethan? Wo ist es geblieben? Hast es vergeudet?“
„Gleichviel, Herr,“ sprach Thorkel, „fort ist es, ich habe nicht einen Thaler mehr davon. Aber ich bin ja jung und verstehe meine Sache. Gib mir Geduld, ich will für Dich arbeiten. Es kommt jetzt eben die Zeit für den Hering und den Segfisch. Ich will nur das Nothdürftigste haben, alles Andere sollst Du abschreiben.“
Herr Schiemann schnitt sich ein neues Stück Braten ab und sagte dabei vollkommen gleichgültig: „Ich kann Dich nicht brauchen, sieh zu, wer Dich nimmt.“
Thorkel blieb noch einige Augenblicke stehen, dann sprach er: „So vergib, Herr, daß ich anfragte, und Gott’s Gruß!“
Als er die Hand schon auf dem großen Thürgriff hatte, rief Herr Schiemann: „Komm einmal her. Thorkel Ingolf.“
Thorkel kehrte um und trat an den Tisch. Der Kaufmann sah ihn mit den grauen scharfen Augenbrauen an, als wollte er ihn durchsehen. „Wenn ich Dir keine Arbeit gebe,“ sagte er, „wird es kein Anderer thun.“
„Das mag wohl sein,“ antwortete Thorkel.
„Da Gullik nichts mit Dir zu schaffen haben will, folgen ihm alle besseren Leute, und die armen oder schlechten können Dich nicht brauchen.“
„Ich mag sie auch nicht,“ sagte Thorkel.
„Dann werden Lensmann und Voigt bald hinter Dir her sein,“ fuhr der Kaufmann fort, „und werden Dich in’s Loch stecken, wenn Du Dich umhertreibst oder bettelst.“
Thorkel’s Augen wurden größer. „Das wird nicht geschehen, Herr.“
Schiemann schwieg und musterte ihn. „Wo warst Du denn heut Nacht?“ fragte er.
„In einer von den alten Kirchenhütten, an der mein Vater auch einen Theil hatte,“ sagte Thorkel.
„Hast wohl auch heule noch nichts genossen?“
„Viel war’s nicht,“ lautete die Antwort.
„Da, iß,“ sagte der reiche Mann und schob ihm den Teller mit dem Brod und dem Rest vom Fleische hin. Dann nahm er die Krystallflasche und schenkte das leere Glas voll Wein. – „Du dauerst mich,“ fuhr er dabei fort, „warst sonst ein anstelliger Kerl, den gute Leute gern sahen. Was soll nun aus Dir werden?“
Thorkel hatte sich Brod und Fleisch genommen, und war damit beschäftigt. „Ich bin’s noch, Herr,“ sagte er.
„Aber es glaubt’s Niemand mehr von Dir. Du giltst nun als ein leichtsinniger, sündhafter Bursche, der seinen Vater unter die Erde brachte.“ Hier hielt er inne, denn Thorkel’s Augen funkelten ihn an, als wäre Feuer darin. „Willst Du mir sagen, wozu Du das viele Geld gebraucht hast?“ fragte Schiemann.
„Nein, Herr. Es wäre eine lange Geschichte und hälfe doch zu nichts.“
Schiemann stand auf und blieb vor ihm stehen, indem er ihn betrachtete. „Du bist in schlechten Händen gewesen,“ sagte er, „ich will sehen, was ich thun kann; aber Du mußt erst beweisen, ob Du es verdienst.“ Er that nun eine Reihe Fragen an Thorkel über dessen Soldatenleben und kam endlich dabei auch auf den Lieutenant Erik Meldal, über den er ihn genau ausfragte und allerlei erfuhr, das ihm wohl zu behagen schien.
Der junge Officier war schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Garnison, sondern hatte Urlaub genommen und war fortgereist, wohin, wußte Thorkel nicht zu sagen. Aber nach Allem, was er erzählte und was ihm abgefragt wurde, hatte der Lieutenant locker gelebt und beträchtliche Schulden gemacht; auch brachte Schiemann heraus, daß Erik Melval darum gewußt, daß Thorkel seinem Vater das Geld abgepreßt, und zuletzt kam noch Etwas zum Vorschein. – Herr Schiemann fragte, ob der Lieutenant nicht auch Liebschaften angefangen, und Thorkel meinte, daran hätte es ihm wohl nicht gefehlt, denn er sei der schmuckste unter allen Officieren, und da sei ein alter reicher Proprietair gewesen, aus Moß am Christiansfjord, dessen Tochter hätte er bekommen können, wenn er so gewollt.
Herr Schiemann legte ihm seine Hand auf die Schulter und lachte. „So ist er am Ende wohl dem Proprietair und seiner Tochter nachgereist?“ sagte er.
„Es mag wohl so sein,“ versetzte Thorkel.
„Ja, ja,“ rief Schiemann und nickte ihm zu. „Das ist gewiß so, und höre, Thorkel – komm her und trink noch ein Glas. Dann geh in mein Magazin, und suche Dir da einen Anzug aus, wie er Dir paßt. Einen solchen hast Du nöthig, wenn die Leute Dich mit bessern Augen ansehen sollen. Ich werde ihn Dir auf Credit geben, Du siehst also, daß ich Dir beistehen will. Dann komm wieder zu mir, ich schreibe inzwischen einen Brief an den Pastor Bille, damit er Dir seinen Rath ertheilt und Dich in seinen Schutz nimmt. Jetzt geh’ und mach’ daß Du fertig wirst.“
Während er sprach, hatte er schon an einer Klingelschnure gezogen, und es erschien ein Buchhalter, dem er seine Befehle gab und welchem Thorkel nachfolgte. Jeder nordische Kaufmann hat ein Magazin voll Waaren der allerverschiedensten Art, Kleider und Geräthe; vom Hemdenknopf bis zum Pelzrock, und von der Nähnadel und dem Angelhaken bis zur Axt und zum Webestuhl. Es dauerte gar nicht lange, so war Thorkel in einen neuen Menschen verwandelt. In Knopfjacke und Glanzhut, mit einem breiten rothbraunen Tuch um den Hals, trat er wieder herein, und als er vor dem Herrn Schiemann stand, sagte dieser: „Jetzt wird Dich Mancher schon besser betrachten; benimmst Du Dich klug, so wird’s danach auch weiter gehen. Hier hast Du den Brief. Sage dem Herrn Jöns Bille Alles, was Dich bei ihm empfehlen kann. Auf den Kopf gefallen bist Du nicht, weißt selbst zu beurtheilen, was davon abhängt, daß er nicht denkt, Du hättest noch immer leichtsinnige Streiche im Kopfe, Soldatenkniffe und den liederlichen Erik Meldal. Daß er Schuld daran hat, wenn Du schlecht wurdest, ist gewiß. Hat er nicht darum gewußt, daß Du das Geld von Deinem Vater nahmst?“
„Gewußt hat er es,“ sagte Thorkel.
„So verhehle dem Pastor nichts, und dann komm morgen wieder zu mir. Benimmst Du Dich so, daß man Dir vertrauen kaun, so sollst Du Arbeit haben, und wegen der Stelle sprechen wir weiter. Jetzt geh.“
Thorkel setzte sich in den kleinen Nachen, den auf sein Bitten ein alter Bekannter ihm geliehen, und fuhr über den Fjord zurück. Es war ein ziemlich windiger Tag, das Wasser ging unruhig und hoch, aber er regierte den Nachen mit Kraft, als wollte er sein [435] altes Ansehen behaupten, daß er der beste Schiffer sei, und er sah wohl auch, wie Clas am Ufer stand mit mehreren Anderen, die mit ihm meinten, daß Thorkel umkehren müßte, weil er es gegen Wind und Fluthwelle nicht schaffen könnte. Aber der Nachen schnitt in gerader Linie über den Fjord auf Besnies-Kirche los, und er landete Gulliks Hausstelle zur Seite an den Steinen. Darauf stieg Thorkel hinauf, und als er an dem Hause vorbeiging und an der Bank, wo er gestern gesessen, blieb er einen Augenblick stehen. Die Bank war leer, zögernd ging er weiter. Dann sah er sich noch einmal um, da stand Sigrid auf der Thürschwelle.
„Guten Tag, Sigrid!“ sagte er.
„Habe Dank, Thorkel,“ antwortete sie, hielt aber ihre Hände unter der Schürze.
„Lachst Du?“ fragte er und kam näher.
„Warum nicht?“ antwortete sie und sah lachend auf seinen neuen Anzug.
„Herr Schiemann hat ihn mir geborgt,“ fuhr er fort.
„Ei ja,“ sagte sie, „er wird Dich brauchen können.“
Da lachte Thorkel auf. „Das ist richtig, Sigrid. Hier ist ein Brief an den Pastor. Sie meinen es Beide gut mit mir.“
„Wahr’ Dich aber doch, Thorkel,“ sagte Sigrid.
„Wovor?“
„Vor Unrecht.“
„Nu, nu!“ sagte er, „traust Du mir Unrecht zu?“
Sie schüttelte den Kopf und ihre blauen Augen glänzten da bei, als schiene die Sonne hinein.
„Gib Deine Hand her, Sigrid!“ rief er freudig.
„Nein, nein!“ versetzte sie, „Vater hat es mir verboten, auch soll ich nicht mit Dir sprechen, es sei denn, daß es nicht anders geht.“
„Und es geht eben nicht anders,“ lachte er.
„Weil Jungfrau Else hier bei mir war, es ist kaum eine Stunde vergangen,“ fuhr Sigrid fort, „und ich mußte ihr geloben, daß ich Dir sagen wollte, sobald ich Dich sähe, sie müßte mit Dir sprechen und wollte heut Abend, wenn das Essen vorbei und es finster geworden, im Garten sein, gleich hier an der Ecke am Felsen.“
„Und was gibt’s Wichtiges weiter, Sigrid?“ fragte Thorkel, „Du hast mich also erwartet?“
„Freilich hab’ ich’s,“ versetzte sie. „Vater ist mit beiden Booten hinaus auf den Ageröesund, da stand ich am Fenster und sah Dich kommen. Nun aber sollst Du thun, was ich haben will, und sollst es mir schwören.“
„Das will ich, Sigrid,“ sagte er.
„Dann sollst Du Dich ruhig halten, Thorkel, dem Clas aus dem Wege gehen, der ist falsch, und meinen Vater darfst Du nicht noch mehr erzürnen, mußt suchen, daß er wieder sagt: Bist mir willkommen!“
„Wie soll ich das anfangen, lieb Sigrid?“
„Gott weiß es! aber den Gerechten hilft er. Und nun, Thorkel, hör’ an. Du bist ein stolzer Mann, dennoch sollst Du nicht widerstreben. Was ich Dir gebe, das nimm und hilf Dir und mir damit, wenn Du es kannst. Ehrlich ist es mein; nun geh hin zu dem Pastor und mach’s recht.“
Sie drückte ihm etwas in die Hand, das in ein Papier eingehüllt, und ging rasch in’s Haus und machte die Thür zu. Da er den Umschlag abnahm, sah er ein braunes Täschchen, und als er es öffnete, lagen drei Banknoten darin, eine jede von zehn Thalern. Er hielt sie vor sich und sah darauf hin; dann kam’s ihm hell, in die Augen und plötzlich rief er laut: „Gott’s Dank, Sigrid, Gott’s Dank! Ich nehm’s gern an von Dir und will’s Dir lohnen mein Leben lang.“
So steckte er das Täschchen ein und ging hinauf zum Pfarrhofe. Das war ein schönes neues Haus, geräumig und mit großen Fenstern, wie die Häuser in der Stadt. Die Stuben mit Tapeten beklebt, die Thüren weiß gestrichen, die Möbel und Geräthe wie sie Herren von Rang und Reichthum besitzen. Der Pfarrer von Besnies hatte aber auch ein schönes Einkommen, man meinte, die Stelle bringe mehr als zweitausend Thaler jährlich, und überdies hatte Herr Jöns Bille eigenes Geld und eine Frau geheirathet, die ihm auch nicht wenig zugebracht. Jungfrau Else war sein einzig Kind im Hause, seinen Sohn hatte er auf der hohen Schule in Christiania. Die Beiden mußten einmal Alles erben, doch damit hatte es wohl noch Zeit, denn Herr Bille war noch gar nicht alt, kaum fünfzig, ein kräftiger, stattlicher Mann, der sich seines Lebens freute und gern ebensowohl vornehme Gäste in seinem Hause sah, wie nach Molde hinüber fuhr und sonst umher zu den vornehmen Kaufleuten und Landherren.
Früher fuhr er auch häufig nach der Insel Otteröe auf das Gut des alten Obersten Meldal zu Gaste und blieb dort vielmals länger als einen Tag. Die Freundschaft war so groß, daß die Leute meinten, es würde auch Verwandtschaft daraus werden, wenn des Obersten Sohn Erik die Jungfrau Else Bille heimführe. Da aber der alte Herr Oberst gestorben war, und es sich zeigte, wie seine Vermögensverhältnisse zerrüttet, schien Herr Bille dies besser zu überlegen. Es entstanden Zwistigkeiten mit dem jungen Erben, Erik Meldal wurde im Pfarrhause kalt angesehen und statt, wie es anfangs geheißen, seinen Abschied zu nehmen und in Meldalsgaard die Wirthschaft zu führen, ging er plötzlich zu dem Jägerregiment zurück und überließ es seinem alten getreuen Verwalter, die andrängenden Gläubiger zu beschwichtigen.
Darüber war nun Jahr und Tag vergangen, aber seit dieser Zeit hatte die Freundschaft des Pfarrers mit dem Herrn Schiemann in Molde zugenommen. Was er an dem Obersten verloren hatte, ersetzte ihm der Kaufmann bald und besser. Herr Schiemann war ein kluger und reicher Mann, geachtet überall und mit den ersten Familien in Freundschaft. Er war Wittwer, kaum vierzig Jahre alt, hatte keine Kinder. Es gab kein Mädchen, das Nein gesagt hätte, wenn er anklopfen mochte, und daß der hoch würdige Jöns Bille zufrieden mit seinen Besuchen war, konnte der Handelsherr gewiß nicht verkennen. Wäre Jungfrau Else ebenso vergnügt ihm entgegengelaufen, wie ihr Vater mit ausgestreckten Händen, so hätte die Rechnung längst ihren Strich bekommen. Aber Else war so kalt und schwer, wie ein Lachs, wenn er aus dem Wasser gezogen werden soll, so ernsthaft, daß sie über keinen Spaß lachen mochte, und überhaupt so zurückhaltend, daß alles Mühen um ihren Beifall vergebens blieb. Je mehr die Freundschaft ihres Vaters für den reichen Freier wuchs, um so stummer wurde die Tochter, und obwohl Jöns Bille bisher dazu geschwiegen, war er doch über dieses Benehmen sichtlich aufgebracht, suchte es aber als kluger und würdiger Mann mit Milde und guten empfehlenden Worten zu vermitteln.
Eben heute, ehe Thorkel in seinem Hause anlangte, hatte er dies auch gethan, denn Else hatte ihm gestern Gelegenheit zum stärksten Mißfallen gegeben. Herr Schiemann war überaus artig und zuvorkommend gewesen, aber sie hatte seine Höflichkeiten weniger als je erwidert, hatte wie abwesenden Geistes stumm und zerstreut gesessen, und zuletzt war sie verschwunden und ließ sich nicht wieder blicken, gerade da Schiemann erzählte, daß Meldal’s Gut unter den Hammer kommen würde, denn die Gläubiger drängen darauf, und daß er es kaufen werde.
Von dem Gespräche mit seiner Tochter hatte der Pfarrer noch ein erhitztes, ärgerliches Gesicht, denn seine Vorstellungen fielen nicht auf guten Boden. Es war eine Scene entstanden, die er abgebrochen hatte, als Else zu weinen anfing, aber seine letzten Worte waren gewesen: „Du wirst vernünftig handeln und mich nicht zwingen, scharf gegen Dich zu sein. Einem Bettler und leichtsinnigen Menschen kannst Du nicht länger anhängen wollen. Du hast gehört, daß Meldal verkauft wird, es bleibt ihm also gar nichts. Hierher kommt er auch gewiß nicht wieder; willst Du etwa mit ihm in die Garnison ziehen? Dazu bist Du zu gut und ich auch. Nimm also Dein Einsehen zusammen und beweise es gegen Schiemann, daß er einer Närrin nicht den Rücken kehrt, und andere Leute auch, und ich – ich!“
Er schlug sich mit Heftigkeit mit der flachen Hand auf die Brust, und da Else, mit dem Tuch vor ihren Augen, sich entfernte, ging er mit großen Schritten im Zimmer umher, und ging noch, als Thorkel die Thür aufmachte. Da ihn der Pastor sah, rollten seine Augen. Er suchte Einen, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. Jetzt schickte ihm der Himmel ein Opfer. Er hob seinen Kopf zum Strafgericht empor und blickte den Sünder durchbohrend an. „Haha!“ rief er, „da bist Du ja! Es ist doch Thorkel Ingolf, den ich vor mir habe?“
„Ja, Herr Pastor, der ist es,“ antwortete Thorkel unerschrocken.
„Und Du gräulicher Mensch wagst es, Dich hier blicken zu lassen?“ fuhr Herr Bille mit mächtiger Stimme auf. „Kommst Du hierher zurück, damit alle rechtschaffenen Menschen mit Fingern auf Dich weisen und Dir Schimpf nachrufen?“
[436] „Wohin soll ich, Herr?“ versetzte Thorkel. „Schilt mich nicht zu sehr.“
„Es wäre Dir besser, Du gingst bis an’s äußerste Ende der Welt, ungerathner Sohn,“ rief der Pastor, „dahin, wo Dich Niemand kennt.“ Und noch lauter schreiend, denn er hatte Grund dazu, fuhr er fort: „Dich wird Gott finden und züchtigen, wie er die ungehorsamen, an der Seele verdorbenen Kinder niederwirft unter seine Gerichte, die ihres Vaters Fluch aus sich geladen haben.“
„Höre auf, Pastor,“ sagte Thorkel ruhig, „Du sprichst nicht so, wie Du sprechen sollst. Mein Vater hat mich gesegnet noch in seiner letzten Stunde und geseufzt, daß ich nicht bei ihm war. Was ich gethan habe, ist geschehen, war’s Sünde, muß ich sie tragen. Doch von dem Allen ist hier nicht die Rede. Ich komme zu Dir, um Dir einen Brief zu bringen, den Herr Schiemann in Molde mir mitgegeben hat. Hier hast Du ihn!“
Dabei zog er den Brief aus der Tasche und reichte ihn dem Geistlichen hin, auf dessen geröthetem Gesicht sich eine Donnerwolke lagerte, die wie vor einer Frühlingswärme verging. Sein aufgehobener Arm, mit welchem er diesen frechen Kerl aus seinem Hause weisen wollte, sank nieder, schweigend nahm er das Schreiben und las es, und während dies geschah, wurden seine Mienen ruhiger und milder. Darauf sah er über den Rand des Blattes Thorkel an, und wieder hinein und wieder auf, bis er endlich begann: „Du willst also umkehren von den falschen Wegen und ein ehrbarer Bauersmann werden?“
„Ja, Herr, ich will Bauer sein bis an mein Ende,“ antwortete Thorkel.
„Herr Schiemann sagt hier, daß Du ihm Vieles mitgetheilt hast über die Art, wie Du in’s Verderben gerathen, und daß Erik Meldal um Alles gewußt hat, was Du getrieben.“
„Das hat er, Herr Pastor, und war mit mir in solcher Freundschaft, daß mir auch nichts verborgen blieb, was er that.“
„So!“ rief Herr Bille, und sein Gesicht wurde freundlich.
„Du weißt also, was er getrieben, und jetzt, so steht hier, ist er fort, einem Mädchen nach?“
„Ja, meiner Seele!“ sagte Thorkel lachend, „er ist Einer hinterher, mit der er es vorhat.“
„Mein Sohn,“ sprach der Pastor würdevoll und ihn scharf ansehend, „kann man Dir auch vertrauen, daß Du die volle Wahrheit sprichst?“
„Ei ja!“ versetzte Thorkel, „ich mag mich nimmer zum Lügen gebrauchen lassen, darauf verlaß Dich, Herr. Und damit Du siehst, daß ich thue wie ich sage, so will ich Dir eine Sache anvertrauen, die sicher ist.“ Er trat ihm näher und sprach leise: „Es hat mir Jemand Nachricht gebracht, daß ich heut Abend in Deinen Garten kommen möchte, da wollte Deine Tochter mit mir reden.“
„Else?“ fragte Jöns Bille erstaunt und erschrocken.
„Wenn Du es nicht willst, werde ich nicht hingehen,“ antwortete Thorkel.
Der Pfarrer schwieg einige Minuten, aber er wurde immer freundlicher dabei, und endlich sah er sehr zufrieden aus und lachte.
„Nein, lieber Thorkel,“ sagte er, „ich sehe nun, daß Du treu bist, und darum sollst Du hingehen und sollst die volle Wahrheit sagen. Willst Du das thun?“
„Ja, Herr,“ sprach Thorkel.
„Du mußt ihr nichts verschweigen,“ fuhr Herr Bille fort. „Alles, was sie Dich fragt, sollst Du beantworten, und was Du weißt, ihr nicht verheimlichen. Und höre, Mann: Du sollst mir das nicht umsonst thun. Ich will Dir helfen vor aller Welt, Niemand soll Dir Böses nachreden. Ich sowohl wie Herr Schiemann, wir werden für Dich sorgen, daß Du zufrieden sein wirst.“
Nach einer halben Stunde kam Thorkel aus dem Pfarrhause, und der Pfarrer ging mit ihm bis an die Thüre und sagte da laut: „Komm bald wieder, Thorkel Ingolf!“
Als es Abend geworden, leuchtete das Feuer vom Heerde Gullik Hansens. Beim hellen Flammenschein saß er davor und blickte finster hinein, denn er hatte keinen guten Tag gehabt. Mit seinen beiden Booten war er außen an dem Ageröesund gewesen, hatte aber fast nichts gefangen. Lag’s an dem scharfen Winde oder an der Strömung, er dachte darüber nach; doch Andere, die nicht weit davon hielten, machten guten Fang. Ein Fischer hängt wie ein Jäger vom guten Glück und vom Zufall ab, oder vom bösen Nix, dem Neck und den Meerfrauen, die den Fisch von des Einen Netz fortjagen und in die Fallen ihrer Günstlinge führen. Es kann aber auch Hexerei dabei vorkommen. Wer sich darauf versteht, auf Bannsprüche und Verwünschungen, der kann machen, daß Unglück seinen Feind verfolgt, daß seine Thiere sterben und verderben, seine Bäume und Saaten verdorren, seine Kugel nicht tödtet, ob er das Wild auch mitten durch schösse, und daß in seine Netze kein Fisch geht. Ein Volk, das einsam lebt und wohnt in wilden Gebirgen und an wilden Küsten, Jahr um Jahr im Kampfe mit der Natur und deren Schrecken, mit Stürmen und Nebeln, dabei von alten Zeiten her mit Wundern und Sagen reich versorgt, das läßt so leicht nicht los vom Glauben an gute und böse übernatürliche Wesen und Kräfte. Gullik Hansen war ein Mann, dem es nicht an Verstand fehlte, doch in Nacht und Nebel hatte er Manches gesehen und Manches gehört, das nicht von Menschen kam, auch Manchen gekannt, dem Neck und Hexerei arg mitgespielt.
Als er mürrisch in sein Haus trat, fand er aber noch eine andere Sorge. Sein Sohn Anders lag krank im Bette voll Fiebergluth und Mattigkeit, es war ihm zur Mittagszeit plötzlich angetreten, Sigrid hatte ihn niederlegen müssen, sie saß bei ihm in der Kammer. Vor dem Fischer aber, auf dem Klotz am Heerde, saß dafür ein altes Weib, das häßlich aussah. Sie hatte nackte Füße in den Schuhen, trug einen weiten rothen Rock und eine braune Jacke. Ihre Nase war aufgestülpt, wie Clas Goruds Nase, ihre Lippen dick wie seine Lippen, und ihre Augen flogen beweglich umher wie seine Augen. Es war seine Mutter Grete, der ihr Sohn so ähnlich sah, und es war eine starkknochige feste Frau, vor der die Leute umher meist mehr Furcht als Zuneigung empfanden, denn sie galt als falsch und böse, aber auch als klug und erfahren in vielen Dingen. Wenn Einer krank war, ging er zu ihr und holte sich Rath. Sie konnte die Rose und das Blut besprechen, konnte Warzen fortschaffen und konnte Gliederschmerzen heilen. Sie machte auch Salben gegen Frost und Wunden und kochte Tränke gegen alle Krankheiten, aber das Beste that doch ihr Pusten und Streichen und was sie heimlich dabei murmelte und Kreuze machte. Es war also eine weise Frau, die häufig in die Bauerhöfe geholt wurde, aber sie wußte auch sonst noch von vielen verborgenen Dingen, sagte manchem Mädchen ihr Schicksal voraus, was ihr bestimmt sei und was nicht, was geschehen müsse, wenn Wünsche sich erfüllen sollten, und was Jeder thun solle, wenn er Schaden oder Unglück von sich abwenden wollte.
Daß die kluge Grete ihrem Sohn Clas zumeist Glück zu schaffen suchte, und daß Sigrid ihr wohl gefiel, konnte ihr Niemand verdenken. Sie war einverstanden, daß Clas diese für sich ausgesucht, auch wußte sie, was entgegen lag und fortgeschafft werden mußte. Als sie heute gekommen, war es ihre Absicht, Gullik Hansen weiter in den rechten Weg zu bringen, und leid that es ihr nicht, daß üble Dinge ihn betroffen. Daß sie kam, war aber auch dem Fischer lieb. Sie konnte nach dem Knaben sehen und Rath geben, that dies auch, strich ihm Kopf und Hände, blies ihn an, betrachtete und bekreuzte ihn. Darauf setzte sie sich an das Feuer und zog aus ihrer Tasche eine kleine schwarze Tabakspfeife. Gullik reichte ihr seinen Tabaksbeutel hin, und sie stopfte die Pfeife, brannte sie an und rauchte. Das graue Haar hing ihr unter dem Kopftuch hervor, der Feuerschein spielte über ihr Gesicht, und zuweilen beugte sie sich über den Heerd und sah in die weiße Asche, die das Birkenholz übrig ließ.
Es dauerte ziemlich lange, daß Keiner sprach. Gullik saß still und ließ sie gewähren, bis Grete endlich dreimal in’s Feuer spuckte und den Kopf zu ihm hindrehte. „Richtig ist’s nicht hier,“ sagte sie, „das Unglück hast Du im Hause.“
„Was für Unglück?“ fragte Gullik.
„Du magst es machen, wie Du willst,“ fuhr sie fort, „es wird Dich nicht verlassen, wenn Du nicht klug bist.“
„Was meinst Du?“ fragte er weiter.
„Es hat Einer Dich verflucht, möchte Dich verderben.“
„Womit?“ fragte Gullik langsam und starrte sie an.
Eben rief draußen Clas: „Willst Du von der Thür, Du Beest, Du! Ich schlage Dich todt, Du Teufelsvieh!“
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Wasserjagden.
Auch der Hochsommer hat seine Jagdfreuden, und unter diesen sind die Entenjagden so recht eigentlich für diese Jahreszeit geschaffen; denn wohlthätig erleichtert die kühle Fluth dem Jäger und dem Hunde die Anstrengung, die, bei aller Lust, an einem sengenden Juli- oder Augusttage denn doch nicht ausbleibt. Folgt mit hinaus!
Einer warmen Nacht folgt ein heißer Julitag. Klar und wolkenlos anbrechend, verspricht er von vornherein ein ungetrübter Sonnentag bleiben zu wollen. Und in der That, kein Wölkchen von irgend verdächtiger grauer Farbe beschleicht den blauen Himmelsbogen; denn höchstens steigt dann und wann ein duftig weißes, vergängliches Gebilde im blauen Aether, wie ein luftiges Elflein auf und vergeht und zerrinnt vor dem nachblickenden Auge, noch ehe man es recht wahrgenommen. Kein Luftzug kühlt die heiße Atmosphäre, die über Wasser und Schilf in flimmernder Bewegung ist, gleichsam als spiegele der See sich über sich im golddurchwobenen Aether. Bald sind von einem Theil der anwesenden Schützen die bereitstehenden Kähne gefüllt, während die übrigen die mühsamere, aber auch beutelohnendere Art des Watens im Schilfe zwischen den Treibern vorziehen. Deshalb haben sie auch ihren Anzug darauf eingerichtet, der in einfacher Blouse nebst dünner Hose und einem Paar nicht etwa wasserdichter, sondern im Gegentheil wasserdurchlassender, alter Stiefeln besteht. Das Schießzeug ist um den Hals gehängt, damit, wenn das Wasser einmal bis unter die Arme geht, nichts davon „ersäuft“.
Raschelnd gleiten jetzt die Kähne durch das Schilf und Gras, um auf die Blänke zu kommen, wogegen die andern Schützen mit den Treibleuten an den Rändern des Sees, der hier nicht allzubreit ist, vordringen. Dabei rufen sie einander zu, um beim Feuern vorsichtig zu sein, was bei der Entenjagd nothwendiger, als auf jeder andern Jagd ist, da die Schrote auf dem Wasser mit wunderbarer Wirkung abprallen. Jetzt beginnt nun auf dem reichbevölkerten See die Lust. Die Schützen im Schilfe bekommen genugsam [438] Gelegenheit, die alten Mauser[1], die, ehe sie aus dem Schilfe auf die Blänke schwimmen, sich ängstlich zu drücken suchen, so wie zwar schon starke, aber doch noch nicht flugbare Junge zu erlegen, während die im Kahne befindlichen Jäger die noch flugbaren alten und die auf dem Wasserspiegel hinflatternden oder schon aufsteigenden jungen Enten sich zum Ziele nehmen. Menschen und Hunde haben vollauf zu thun; denn schwirrend und plätschernd umgibt sie das Wassergeflügel, unter dem sich manches seltene Exemplar befindet. Der Mühe, die es kostet, sich in Schilf und Schlamm, Wurzeln und Moordecken durchzuwinden und vorwärts zu schieben, wird nicht geachtet. Förmliche Filzdecken von verschlungenem Wurzelwerk müssen oft durchbrochen werden, von denen manche so dicht sind, daß sie den Menschen tragen können, und man auf ihnen wie auf einer schwimmenden Insel steht. Dann bricht man wohl plötzlich an einer Stelle durch, und es ist wahrlich keine Kleinigkeit, bis an die Arme in solch einem Loche zu stecken, dabei das Gewehr emporzuhalten, vorkommenden Falls auch schießen zu müssen, darauf wieder zu laden etc. Wohl dem, der in solchen Fällen mit einem modernen, so überaus praktischen Lefochégewehr bewaffnet ist, das, von hinten mit fertigen Patronen zu laden, an Bequemlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt! Dazu schießt so ein Gewehr wie alle Teufel, pflegt einer meiner alten Jagdfreunde zu sagen. Aber um auf die vertracten Filzdecken zurückzukommen: durch ist man nur zu bald, aber das Herauskommen ist eine wahre Marter. Da müht man sich mit dem Körper ab, das Hinderniß zu besiegen, und schiebt das Satansgewebe wie einen mächtigen Laufkorb nur vor sich her. Herauszusteigen ist aber eine wahre Kunst, da das Loch eben nur so groß, als der Umfang unsers Körpers ist, und ringsum gibt es keinen Halt zum Widerstemmen. Während man nun ein Bein bis zum Kinn emporziehen muß, um mit demselben oben Fuß fassen zu können, wird dem andern im Wasser die Anstrengung zu groß, sodass sich des verzweifelnden Ständers[2] ein Wadenkrampf bemächtigt, der Einem fast glauben lassen möchte, es bissen sich alle untergetauchten Enten[3] auf einmal hinein. Dabei bleibt man zurück, Enten fliegen einem über den Kopf hin, nach denen unvorsichtige Schützen, im Glauben, Keinen hinter sich zu haben, schießen, daß die Schrote um Einen her im Schilfe rasseln. Endlich gelingt es, sich doch herauszuarbeiten, und glücklich aufathmend schickt man sich an, seinen vorausgekommenen Cameraden nachzueilen. Hierbei merkt man nun aber erst, daß das tückische Schicksal sich unseres einen Stiefels bemächtigt hat, der, im Schlamme versenkt, wie der Niebelungenhord für immer verloren bleibt. Der Verlust des alten Lederschlauchs würde nun eben nicht zu betrauern sein, den möchten sich die Schlammkobolde erkiesen und sich darin einnisten; aber eine andere Plage entsteht uns aus dem Unfall. Beim nächsten Schritt schon möchten wir lieber ein angeschossener Mauser sein, als noch einmal mit nacktem Fuße auf eine Stachelnuß treten, die wir erst mit der Hand herausziehen müssen, um sie zu entfernen. Nicht umsonst fertigt die heitere Schuljugend aus solchen vermaledeiten Dingern kleine Teufelchen; denn gibt es irgend eine Satansfrucht, so ist es eine solche verzwickte, schwarze, stachlige Wassernuß für die Entenjäger. Späteres Auftreten auf ein spitziges Steinchen, auf eine scharfe Muschel oder sonst so etwas achtet man kaum mehr; es wirkt vielmehr im Gegensatz zu dem früher gehabten Schmerz wie eine Erholung. Zu allem Ungemach kann es nun noch passiren, daß man das Gewehr verladet, entweder, indem man statt Pulver Schrot zu unterst nimmt, oder, und das bleibt immerhin noch der glücklichere Fall, doppeltes Pulver gibt, wovon man beim Schuß einen Schlag in’s Gesicht bekommt, daß man meint, die Funken, die aus den Augen springen, müßten das Schilf anzünden. Dennoch läßt in der Regel ein so an beiden Enden verletzter Mensch in seiner Leidenschaft nicht nach, sondern jagt fort.
So gibt es Freud und Leid; doch letzteres wird bald vergessen, ja, in der Erinnerung gibt es erst rechten Frohmuth. Jeder hat seine eigenen Erlebnisse und faßt sie besonders auf, was beim gegenseitigen Erzählen Spaß genug gibt.
Das heitere Treiben nimmt indessen seinen ungestörten Fortgang, wobei sich die Beute immer mehr anhäuft, sodaß endlich beschlossen wird, Menschen und Thieren Rast zu gönnen und die Jagd zu beendigen. Die brennenden Sonnenstrahlen des bereits herangekommenen Nachmittags trocknen bald die nassen Kleidungsstücke der Jäger, die sich umgezogen haben und jetzt im kühlen Waldesschatten sich auf die weiche Moosdecke hinstrecken, auf welcher die von ihnen mitgebrachten Mundvorräthe zum frohen Genuß einladen. Auch die Treiber und Kahnführer thun sich nun etwas zu Gute, nachdem sie die Beute des Tages herzugetragen haben, wobei es manches Interessante zu sehen gibt. Denn obwohl die Stockente das größte Contingent geliefert hat, so gibt es doch auch allerhand andere Arten von Enten, wie die zierliche, mit sammettiefglänzendem, rothbraunem Kopf geschmückte Krickente, die in raschem Fluge nicht unmelodisch flötende Pfeifente, wie die zwar schwer fliegende, aber desto behender schwimmende und tauchende, schön befiederte Tafelente und andere. Auch sonstiges Strand- und Wassergeflügel, wie die schöne, des Nachts mit eigenthümlichem, lautem, weithinschallendem Tone sich kündende Rohrdommel, Wasserhühner und Tauchergattungen sind vertreten.
Bei der Menge des Gevögels, das bei einer solchen Jagd vorkommt, gewinnt der Beobachter natürlich kaum Zeit, die Eigenthümlichkeiten der mannichfachen Geschöpfe kennen zu lernen, höchstens die Weise, wie sich die verschiedenen Arten benehmen, um sich zu drücken oder sonst der Verfolgung zu entgehen. So bemüht sich z. B. die Rohrdommel, der der Jäger oder der Hund auf den Leib rückt, durch emporgestreckten Hals, Kopf und Schnabel, mit welchem sie sich an ein Schilfrohr anschmiegt, sich dem Auge des Verfolgers zu entziehen, was recht wohl bei einem nicht ganz scharf Zuschauenden gelingen kann, da Farbe und kerzengerade ruhige Stellung ihr das Ansehen eines Pfahles oder Stumpfes geben. Viel Interesse bieten die unermüdlich arbeitenden Hunde und das häufige Schießen. Auch das gesellige Beisammensein, die heitere Heimkehr sind von besonderem Reiz, wie denn solche Jagden für jeden Jäger zu den angenehmsten gehören. Dennoch gibt es, wenn man von geselligen Annehmlichkeiten und massenhaft zu erringender Beute absieht, nichts Schöneres, als früh die Schießhütte auf Wassergeflügel zu besuchen oder des Abends auf den Enteneinfall zu gehen. Hierbei tritt das bloße Erlegen freilich in den Hintergrund, desto mehr aber ist Spielraum für die Beobachtung vergönnt. Um uns ein derartiges Vergnügen zu vergegenwärtigen, wählen wir einen Herbsttag, der schon ohnehin genug Genuß in Gottes freier Natur bietet. Noch ehe es Tag wird, begeben wir uns mit dem treuen Hunde durch den mächtigen, noch im tiefen Dunkel ruhenden Wald nach dem Saume des See’s, wo die aus Rohr und Schilf kunstlos aufgeführte Schießhütte sich befindet. Wie ein großer Schilfhaufen ragt sie empor, nach verschiedenen Seiten mit Schießlöchern versehen. Noch ist die Dunkelheit zu groß, um auf der fernen Blänke vom Waldrande aus durch das Gesicht etwas wahrnehmen zu können; man hört nur dann und wann das Quaken einer Ente. Jetzt wird es heller, aber noch vollkommen ruhig liegt der See vor uns. Nebel lagern darüber und wogen und drängen sich nach dem Walde zu. Doch wie durch Zauber sind sie plötzlich, bis auf einzelne Streifen, wie huschende Gespenster im Walde verschwunden, und rein spiegelt sich der sonnendurchhauchte, rosige Horizont in der kühlen, von den Spiegelbildern des waldbestandenen Ufers umsäumten Fluth. Massen von Enten sieht man nun sich drüben in klarer Blänke tummeln und einzelne dahin segelnde Taucher glitzernde Furchen in das nasse Element ziehen; doch in der Nähe, auf Schußweite, will sich noch nichts zeigen.
Aber nicht blos das Wasser ist belebt, auch die Luft wird nun bereits von der glücklichen befiederten Welt durchrauscht. Da zieht mit stolzen Schwingen, wie im Aether ruhig schwimmend, der Fischaar dahin, erst weite Kreise ziehend und sie dann verengernd, bis er mit scharfem Auge ein Opfer erspäht und wie ein Meteor herabstürzt, die Beute zu ergreifen. Diesmal ohne Erfolg, denn dicht vor dem Wasserspiegel breitet er die starken Flügel wie einen Fallschirm aus und zieht über die Fläche weiter. Bald jedoch hebt er sich wieder empor, das Kreisen von Neuem zu beginnen, bis er abermals niederschießt und zwar glücklicher: seine Fänge haben den Fluthen einen ansehnlichen Fisch entrissen. Mit rauschendem Flügelschlag steuert er dem Walde zu, auf einer schräg über das Wasser hängenden halb entwurzelten dürren Fichte aufhakend, [439] um dort seinen Raub zu verzehren. Sonst zieht noch die langbeschwingte, silberglänzende, gellend schreiende Möve über das Wasser hin, bald sich hebend, bald dicht über die Fläche hinstreichend, oder auch wohl einen Moment darauf ruhend, ein Fischlein dem Wasser entführend. Noch andere Fischräuber gibt es, von denen die schlauen Reiher wohl die unersättlichsten und verderblichsten sind. Einer von ihnen kommt jetzt auf Schußnähe zu unserer Schießhütte, und nicht ohne Begrüßung soll er vorüberkommen. Auf den Schuß stieben die Federn von ihm umher; dennoch rafft er sich beim Herabstürzen in der Luft noch einmal zusammen, wobei er, um sich zu erleichtern, die bereits genossenen Fische von sich gibt, an deren Zahl man ermessen kann, welche bedeutende Summe ein solcher Räuber in nur einem Tage zu sich nehmen mag. Es gelingt ihm zwar, durch dieses Manöver noch ein Stück fortzukommen, aber der Schuß war tödtlich; bald vergeht ihm die Kraft, der Tod packt ihn und stürzt ihn in das Schilf. Durch den Schuß rege geworden, sind auch Enten aufgegangen, und nachdem sie mehrmals einen Theil des See’s umschwärmt haben, kommen sie nahe genug, um uns einen Entvogel herunter schießen zu lassen. Diesen apportirt uns auf unsern Befehl sofort der Hund, damit uns die Beute nicht entgehe. Noch ehe er den Gefundenen gebracht hat, kommen abermals ein paar Enten schwirrend durch die Luft gepfiffen, von denen wieder eine unsere Beute wird. Auf solche Art erringen wir bis Vormittag noch mehrere Stück verschiedener Arten. Dann gehen wir auf dem Heimwege noch die Ränder der in die Brüche einschneidenden Buchten ab, wobei auch noch die eine oder die andere Ente sterben muß. Mit ängstlicher Gebehrde umschwärmen uns die Kiebitze, unaufhörlich ihren Namen rufend, und in schnellem, hakenschlagenden Fluge nach dem Hunde stechend. Doch unbelästigt lassen wir die reizend befiederten Geschöpfe dahinziehen, obgleich sie ein höchst schmackhaftes Wildpret geben, das bei uns jedoch nicht gegessen zu werden pflegt. Noch lange werden wir von ihnen verfolgt, bis wir im Walde aus ihrem Bereich kommen.
Nicht mindern Reiz bietet es, Abends auf den Enteneinfall zu treten; namentlich haben wir einen schönen Genuß, wenn wir uns nach dem in’s Geröhricht gebauten Tritt hinüberschiffen. Da stehen wir dem glühenden Abendhimmel oder dem über dem dunkeln Waldsaume aufsteigenden Mond gegenüber, hören den Flügelschlag und schnatternden und pfeifenden Laut kommender Enten, die auf die Blänke einfallen, daß die dadurch bewegte Fluth golden oder silbern erglänzt, je nachdem die Himmelsfärbung sich abspiegelt oder der Mond sich darin badet. Manch dröhnender Schuß rollt dann über die stille Fluth dahin und entsendet Tod unter die geflügelten Schaaren, von denen die Uebriggebliebenen kreisend die Luft durchschwirren. Die vollends einbrechende Nacht macht es endlich unmöglich, weitere Erfolge zu erzielen, und ihr Schweigen gibt uns das Geleite bis nach Hause. Nicht minder interessant ist im Spätherbst der Abendanstand in der Schießhütte auf wilde Gänse. Diese erscheinen mit einer Pünktlichkeit, daß ein Chronometer die Zeit nicht genauer bestimmen könnte, als solche lebendige Zeitmesser.
Schon ist die Sonne unter, und das Dämmerlicht liegt bereits über den stillen Gewässern. Zitternd schaukeln sich Mondsichel und Sterne in der nebelbildenden Fluth. Von hier und dort kommen die Enten, die Blänke umkreisend, ehe sie einfallen, aber obwohl manche mit singendem Flügelschlage über uns wegzieht, schießen wir doch noch nicht, denn unsere Uhr sagt uns, daß in wenigen Minuten die wilden Gänse einfallen werden. Und wir haben uns nicht getäuscht; schon hören wir sie von Weitem schnatternd angezogen kommen, und jetzt erblicken wir sie auch. Wohl könnten wir ihnen jetzt, der Nähe nach, entgegenschießen, aber obwohl wir starken Schrot geladen haben, lassen wir sie erst vorüber, um hinterher zu feuern, da es ohne diese Vorsicht noch sehr fraglich bliebe, ob wir eine der Langgehalsten herunterbrächten, man müßte sie denn so flügeln, daß der Flügelknochen zerschmettert würde.
Während auf die beiden entladenen Rohre eine unsere Beute zu werden verspricht, da sie aus der Reihe herabstürzt, steigt der Zug, der sich bereits zum Einfall senkte, wieder empor, in eiliger Flucht über den düstern Wald wegziehend, um weit, weit erst wieder auf einem andern Theil des See’s oder einem in der Umgegend liegenden kleineren Gewässer einzufallen. Es ist nun auch bereits so dunkel geworden, daß an Schießen nicht mehr gedacht werden kann; wir kehren deshalb heim. Die heruntergeschossene, ziemlich weit drüben niedergefallene Gans lassen wir, da wir nicht einmal den Hund bei uns haben, liegen, um sie am andern Morgen frühzeitig aufzusuchen, wenn sie die Wellen, vom Morgenwind bewegt, mehr an’s Ufer getrieben haben werden. Das Wasser rauschend schlagend, werden ein paar Sauen, die im Schilfe sich Nahrung suchen, durch unser Gehen flüchtig, und grunzend und schnaubend suchen sie sich jetzt von der eigentlichen Gefahr zu unterrichten, um dann durch Bruch und Moor eilend den schützenden Wald zu erreichen. Auch ein mächtig geweihter Hirsch, der sich gegen den Wasserspiegel in dunkeln Contouren abzeichnet, wird, durch die Sauen rege gemacht, flüchtig und trollt pantschend durch Moos und hoch aufspritzendes Wasser, das gegen den dunkeln Wald wie Phosphorfunken leuchtet. Dann unterbricht außer dem hin und wieder herabtönenden Schrei ziehender Vögel die Grabesstille der nächtigen Natur nichts, und nur das Auge genießt den Anblick der sich phantastisch bildenden Nebel, die am Holze hinziehen wie Geistergestalten die dunkeln alten Bäume umarmend und, indem sie den einen mit ihren weißen Gewändern verdecken, während ein anderer von den dunkeln Riesen wieder sichtbar wird, den Eindruck geben, als tanzten die lustigen Gebilde mit den düstern handfesteren Genossen einen gespenstigen Reigen.
Auch früh, als wir wiederkehren, die geschossene Gans mit dem Hunde aufzusuchen, lagern die Nebel noch über dem Gewässer, und zwar so dicht, daß man nichts von Blänke und Schilf sieht; es ist wie ein anschwellender See, der die matt durchschimmernde nächste Umgebung, den Wald, zu verschlingen droht. Nur wenige Schritte vor uns können wir die Gegenstände wahrnehmen, und es ist gut, daß wir bei Zeiten kommen, denn schon zeigt sich Reinecke, der Erzschleicher und Freibeuter, der sein Strandrecht in Anspruch zu nehmen gedenkt, um Lebendiges und Todes bei so günstiger Gelegenheit, als der Nebel bietet, zu erhaschen. Wie wird er mit hochgehaltener Ruthe flüchtig, als wir ihm bei gutem Winde so auf den Pelz gekommen sind! Leider verschwindet er im Nebel zu schnell, als daß wir das Gewehr vom Halse nehmen und dem rothhaarigen Gauch Funken auf den Pelz reißen könnten. Nach langem Suchen bringt Diane vom Ufer die Gans, die sicherlich für den spionirenden Buschklepper eine willkommene Prise geworden wäre. Indem wir zufrieden sind, unser rechtmäßiges Eigenthum dem Schelm entrissen zu haben, lassen uns die bleiernen, ruhig lagernden Nebel nicht daran denken, mehr dazu zu erjagen. Erst spät kämpft sie die emporsteigende Sonne nieder, nachdem sie lange wie die Mondscheibe matt durch den Gegner geschienen. Aber als uns erst einmal ein Stückchen blauer Himmel der neustrahlenden Sonne zur Seite gestanden, werden die wie in Beschämung zerfließenden Dunstgebilde bald bezwungen. Zum Jagen ist’s freilich zu spät geworden.
Noch manchen Tag und Abend streifen wir hinaus, obgleich es nun in der Thierwelt stiller wird, da insbesondere die Zugvögel meist schon ihre Stätten verlassen haben. Manches Mal vernahmen wir sie des Nachts, wenn sie die Lüfte durcheilten, um ein wärmeres Klima zu erreichen, und darum könnte man sie beneiden, denn die Witterung tritt nun oft sehr unwirsch auf. Rauhe Stürme durchheulen den Wald und jagen über den See dahin, daß das ihn umstehende fahle Rohr und Schilf zerzaust wird und schwirrend sich niederbeugt. Wild wird der dunkel spiegelnde See bewegt, daß das Klatschen der Wellen gegen die Ufer sich mit dem Geheul der stürmenden Luft mischt, bis die beruhigte, aber dafür eisig gewordene Luft das bewegte nasse Element erstarren macht und die letzten Reste vom Wassergeflügel vertreibt, die strichweise südwärts ziehen oder sich auf nicht zufrierende Flüsse oder warme Stellen anderer Gewässer begeben.
Starr ist wieder „das Auge des Waldes“ geworden, bis einfarbig grau umzogener Himmel silberne Sternlein geräuschlos zur Erde schüttet und damit Flur, Wald und See zudeckt. Nicht mehr schauen sich die azurblaue Himmelsdecke und die daran hinschwimmenden rosigen Wolken oder der wie ein Feuermeer flimmernde Horizont, oder der nächtliche Mond mit den buntglitzernden Sternlein im mächtigen Spiegel – die eisige Decke liegt scheidend dazwischen, bis endlich wieder der allbelebende, warme, Knospen und Keime öffnende Frühlingssonnenschein so eindringlich herniederblickt und das träumende Waldesauge aus tiefem Schlafe weckt.
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Schon lange und vorzugsweise jetzt sind die Augen Europa’s auf einen Mann, Garibaldi, gerichtet, welcher, mit seltenen Feldherrntalenten und einer außerordentlichen Energie des Charakters begabt, seine höhere militairische Laufbahn als Chef einer Escadron im Dienste der argentinischen Republik gegen den Dictator Rosas in Buenos-Ayres begann, 1848 unter Carl Albert von Sardinien ruhmreich gegen die Oesterreicher und während der kurzen Zeit der römischen Republik mit einem Heldenmuthe ohne Gleichen für diese focht. Was er auch, wiederum gegen Oesterreich, im verflossenen Jahre als sardinischer General leistete, ist noch in frischem Andenken.
Vorzugsweise in Rom, 1848, tritt dieser Mann zum ersten Male hervorleuchtend vor die Augen Europa’s; Momente aus dieser Zeit, theils auf Thatsachen, theils auf seinen eigenen kurzen Mittheilungen beruhend, bezeichneten uns schon damals den Mann so, wie wir ihn 1859 in der Lombardei und jetzt in Sicilien wieder erkannt haben. Das allgemeine Interesse, welches sich ihm zugewendet hat, läßt uns hoffen, daß unsere Leser gern einige Rückblicke auf sein Leben, welche ihn uns als Krieger und Menschen bezeichnen, lesen werden.
Garibaldi, den wir 1859 in Como als bereits ältlichen Mann, von mittler Statur, mit kurz geschorenem schon etwas grauem Bart und Haupthaar, im blauen Uniformrock mit den auf Kragen und Aufschlägen seinen Generalsrang bezeichnenden Stickereien wiederfinden, hatte immer noch den freundlichen wohlwollenden Blick früherer Zeiten in seinen vollständig antiken Gesichtszügen und klaren blauen Augen. Sein Erscheinen in Rom 1848 mochte für den, welcher an das moderne europäische Soldatenwesen gewöhnt ist, etwas Außerordentliches haben. Damals trug er, so wie sein gesammter Stab und später sein ganzes Corps, die rothe Blouse und über diese einen kurzen weißen amerikanischen Mantel. Seinen Kopf bedeckte ein spitzer Hut mit schmaler Krämpe und einer vollen schwarzen Straußfeder geziert, unter welchem sich das tiefbraune Haar hervordrängte und sein sonnverbranntes Gesicht beschattete. Sein unteres Gesicht war fast ganz mit seinem vollen röthlichen Barte bedeckt, und seine Haltung zu Pferde war, als ob er darauf geboren wäre. Ebenso, wie dieser Mann seiner Waffenerfolge wegen schon damals angestaunt wurde, riß er die Seinigen auch durch seine meisterhafte, oft spartanisch-kräftige Beredsamkeit mit fort.
Die Episode in Rom läßt sich in die Zeit vor der Belagerung, die Belagerung selbst und den Zug Garibaldi’s nach San Marino eintheilen. Daß Rom mit Stolz und Würde fiel, war nur Garibaldi zu danken. Hätte nicht Roselli, ein unentschlossener Mann, sondern Garibaldi, der sich schon in den Einöden von La Plata zum umsichtigen, entschlossenen Feldherrn ausgebildet hatte, von Anfang an den Oberbefehl gehabt, wer weiß, wie anders sich noch die Resultate herausgestellt haben würden.
Die durch die Februar-Revolution 1848 entstandene französische Republik hatte beschlossen, den nach Gaeta geflohenen Papst Pius IX. wieder nach Rom zurückzuführen und die dort am 9. Februar unter einem Triumvirat, dessen Haupt Mazzini war, constituirte Republik mit Waffengewalt aufzulösen. Am 28. April landete die französische Expedition unter Marschall Oudinot in Civita-Vecchia. Zu demselben Zwecke hatte sich auch Neapel gerüstet, und sein Heer war unter Anführung des Generals Nunziante bei Valmontone in römisches Gebiet eingefallen. Hiergegen war die ganze römische Bevölkerung aufgestanden, und Garibaldi, von den Grenzen Tirols herbeigeeilt, commandirte hier als General ein eigenes Corps von Bersaglieri (Tirailleurs), Emigranten, Studenten, Finanzsoldaten etc. in einer zwischen 2500 bis 5000 Mann wechselnden Stärke, welches die italienische Legion genannt wurde.
Die Franzosen standen damals nordwestwärts bei St. Paolo, etwa sechs Stunden vor Rom, und hatten eine Art diplomatischen Verkehrs mit dem Triumvirat. Den 4. Mai Abends erhielt die Legion, etwa 3000 Mann stark und ohne Geschütz, Befehl, sich auf der Piazza del Popolo zum Abmarsche bereit zu halten. Um 6 Uhr erschien Garibaldi und wurde mit donnernden Evvivas empfangen. Er führte nun das Corps in die Gärten der Villa Borghese und redete sie dort an. Um 8 Uhr begann der Abmarsch, wohin, wußte Niemand. Die Spione glaubten, daß er einen Streich gegen die Franzosen beabsichtige, aber am Morgen des 5. Mai stand er plötzlich vor Tivoli, 18 Miglien von Rom, in der rechten Flanke der Neapolitaner, nahm Präneste und verjagte ihre 5000 Mann starke Vorhut aus Valmontone. Nach dem stillen, raschen Nachtmarsche vom 4. zum 5. wurde den Truppen bei Tivoli Ruhe gegönnt. Garibaldi sprang vom Pferde, sein treuer Diener, ein Mohr, den er aus Amerika mitgebracht hatte, sattelte sein Pferd ab, steckte Säbel und Scheide gekreuzt in die Erde, davor eine Pike und über dieses sonderbare Gerippe hing er des Generals Mantel, legte darunter den Sattel, darüber den Bärenpelz, und der General, nachdem er seine Befehle dictirt hatte, zog nun die Blouse aus, warf sich unter dieses ihm gewöhnliche Zelt (mehr Sonnenschirm) und schlief fest ein. Die Franzosen hatten sich schon am 30. April der Stadt Rom genähert und mehrere dominirende Villen wegzunehmen gesucht, wurden aber plötzlich von Garibaldi angegriffen, verloren 20 Officiere und 600 Mann an Todten und Blessirten, 500 Gefangene und mußten auf allen Punkten zurückweichen. Dies und nun die Schlappe der Neapolitaner veranlaßte sie wieder zum Vorrücken, aber wunderbarer Weise rückte Garibaldi schon am 9. Mai mit seinen Siegestrophäen wieder in Rom ein. Später wollte der Obergeneral Roselli sich gleichen Ruhm erwerben und rückte mit einem Corps von 8000 Mann, bei welchem Garibaldi die Vorhut bildete, am 18. Mai den Neapolitanern entgegen. Allein die Unschlüssigkeit Roselli’s brachte der Expedition nur wenig Nutzen. Es kam hierbei vor, daß Garibaldi mit seiner nur 1200 Mann starken Vorhut sich mit der 5000 Mann starken neapolitanischen Avantgarde engagirte. Er forderte nun sofort die Unterstützung des Hauptcorps; Roselli aber ließ ihm sagen, daß die Truppen noch nicht „menagirt“ hätten, und ließ ihn drei Stunden im Kampfe mit der Uebermacht ausharren. Garibaldi sagte später zu seinen Vertrauten, „daß er gegen diese Antwort des Generals nur einen Blick der tiefsten Verachtung gehabt habe.“ –
Am 24. Mai zog Garibaldi mit seiner Legion wieder in Rom ein. „Man muß,“ sagt hierüber einer seiner Officiere, „diese in Mühseligkeiten und Kämpfen aller Art erprobte Legion gesehen haben, um sich eine deutliche Vorstellung von ihr zu machen. Sie trug damals noch dunkelblaue Blousen mit grünen Aufschlägen, hechtgraue weite Pantalons und Calabreser mit schwarzer Straußfeder, der Dolch im Gürtel fehlte nur Wenigen. Tornister oder Mäntel hatten sie keine. Die Reiterei trug hellblaue Spenser, weiße Kapuzinermäntel, rothe Hosen und auf dem Kopfe den griechischen Feß.
Am 2. Juni war in Rom bekannt gemacht worden, daß mit den Franzosen ein Waffenstillstand abgeschlossen sei. Aber schon an demselben Abend ließ Oudinot bekannt machen, daß sein Geschäftsträger, Herr Lesseps, seine Instructionen überschritten habe, und er am 4. den Kampf eröffnen würde. Auf diese Proclamation des französischen Generals, – „eine, wie sich nachher ergab, wissentliche Lüge“ – vertrauend, hatte der Obergeneral Roselli die nöthigen Vorsichtsmaßregeln für den 3. unterlassen. Kanonendonner weckte früh am 3. die Römer; die Franzosen hatten sich der Villa Corsini, eines die Wälle dominirenden Punktes, bemächtigt, aber Garibaldi war mit seiner Legion herbeigeeilt und suchte in übermächtiger Anstrengung die verlorenen Punkte wieder zu gewinnen. Seine nur etwa 4000 Mann starke Colonne blieb ununterstützt den ganzen Tag über im Feuer gegen fast 20,000 Franzosen, verlor 1000 Mann und 100 Officiere an Todten und Blessirten und erreichte ihr Ziel nicht. Garibaldi selbst war während des Kampfes überall; um ihn herum fielen seine bravsten Officiere, er blieb ruhig; einzig stand er da im blutigen Gefecht um die entrissene Position. Nicht Eigensinn, nicht Ehrgeiz lassen ihn die großen Opfer bringen, er fühlt die Bedeutung des Kampfes, und mit edler Seelengröße harrt er mitten unter seinen umherliegenden Freunden aus.
In seiner Begegnung gegen Officiere und Soldaten war er immer wohlwollend und freundlich; bei Versehen und Vergehen im Dienste kannte er nur den Verweis und den Tod; er hielt [441] unerbittlich streng auf Mannszucht. Bei seiner fast erhabenen Seelenruhe bedurfte es der äußersten Aufregung, um ihn in Handlungen und Worten zur Heftigkeit hinzureißen. Hiervon zwei Beispiele. Die am 3. Juni so heldenmüthig tapfere italienische Legion hatte sich bei einem Ausfalle in der Nacht vom 10. zum 11. Juni durch irgend welchen panischen Schrecken zur allgemeinen Flucht zurück nach der Porta Cavallegieri hinreißen lassen. Um das Kloster dei Formaci sammelten sich, vom Obersten Manara aufgehalten, die Flüchtlinge wieder; mitten im Gedränge erschien der General und tractirte, schäumend vor Wuth über diese Ehrlosigkeit der Legion, die Leute mit seiner büffelledernen Reitpeitsche per „Canaille“. Zwar wollte man nun wieder vorrücken, der General aber befahl umzukehren, „weil man mit so furchtsamen Leuten nichts anfangen könne.“ Einer der Letzten, die zum Thore hineinritten, warf er sich mit Oberst Manara, in seinen Mantel gehüllt, auf die Erde und schlief einige Stunden. Die sonst so tapfere Legion, tief beschämt über ihre Ehrlosigkeit, schickte am Morgen des 12. eine Deputation zu ihm und erbot sich, zur Sühne beim nächsten Kampfe in vorderster Reihe zu kämpfen. Garibaldi empfing sie stolz und würdigte sie keiner Antwort; erst nach dreimaliger Wiederkehr erhielten sie die erbetene Erlaubniß.
Bei seinem gefahrvollen Zuge von Rom über Orvieto und Arezzo nach San Marino machten eines Abends seine um ihn versammelten Officiere die Bemerkung, daß Roselli, durchaus untauglich zum Obercommandanten, Alles verdorben und dadurch Roms Fall herbeigeführt habe, was vielleicht nicht geschehen wäre, wenn man Garibaldi das Obercommando gegeben hätte. In hoher Aufregung erwiderte er: „Man wagte es nicht, das Obercommando in meine Hände zu legen, weil man mehr, als französische Kugeln, Noten fürchtete, in welchen dem Triumvirate vorgeworfen werden konnte, einen Räuberhauptmann, wie sie mich zu nennen geruhen, an die Spitze gestellt zu haben, oder einen Corsaren, wie es ihnen beliebte, als ich die Escadre auf dem La Plata commandirte. Es ist allerdings bequem, einen thatkräftigen und gefährlichen Feind so zu heißen, um der Beachtung aller völkerrechtlichen Gesetze gegen ihn enthoben zu sein. Aber man reise den La Plata auf und nieder, man wird hören, daß ich stets den Krieg regelmäßig führte, daß jede Grausamkeit verpönt, jeder Raub mit dem Tode bestraft wurde. Aehnliche Ehrentitel gaben sie mir in Tirol, obwohl ich piemontesischer General war, und gerne, wenn sie könnten, möchten sie mich auch hier zu einem Abällino stempeln. Die Herren der Regierung und der Constituante wissen übrigens recht gut, daß ich dort wie hier die strengste Mannszucht gehalten habe.“
Er ließ z. B. bei Orvieto einen Soldaten, der einer armen Frau ein Huhn gestohlen hatte und auf der That ertappt worden war, füsiliren und sprach hierbei zur erstaunten Truppe: „So bestrafe ich jeden Dieb! Sind wir Freiheitskämpfer oder Räuber? Sind wir ausgezogen, das Volk zu schützen oder zu drücken?“ – Zuweilen, aber selten, bestrafte er auch durch Belehrung und Verachtung. Bei der Besetzung von Castello Fiorentino auf dem Marsche nach San Marino hatte man einen in Civil gekleideten österreichischen Unteroffizier, welcher eine Depesche der Oesterreicher aus Cortona nach Arezzo überbringen sollte, aufgefangen. Dieser war ein Italiener aus Trient. Garibaldi befahl, ihm die Uniform, die man im Posthause aufgefunden, anzuziehen und ihn so der Colonne vorzustellen. Hier rief er seinen Leuten zu: „Wie traurig ist es, daß die Unterdrücker zur Bekämpfung unseres Volkes Italiener finden! Seht, wie gut dieser sonderbare Hut und die graue Kleidung einem Italiener stehen! Ich schenke ihm das Leben, weil er keine Kugel werth ist.“
Rom war nach heldenmüthigem Widerstande gefallen; das Triumvirat hatte trotz der Vorschläge Garibaldi’s, mit Schätzen, Geschützen und Truppen einen festeren Ort zu wählen und von dort aus die Insurrecticn Neapels zu beginnen, in abgespannter Hoffnungslosigkeit am 1. Juli capitulirt. Nur Garibaldi unterzog sich dieser Capitulation nicht. Er beschloß den Partisanenkrieg, hoffte noch auf Sympathien in Toscana und in den Abruzzen, und als letzte Rettung auf Venedig. Er zog daher seine ihm ergebene Legion aus Trastevere (dem kleineren Theile Roms rechts der Tiber) nach dem größeren Theile links der Tiber hinüber. Schon am 3. Juli Morgens um 7 Uhr hatte das Corps, bestehend aus 2500 Manu Infanterie und 400 Cavallerie, das Gebirge gewonnen und zog in Tivoli ein. Den Zug begleitete auch des Generals Gemahlin. Sie war eine Frau von ungefähr achtundzwanzig Jahren, sehr dunklem Teint und sehr zartem Gliederbau. Auf den ersten Blick erkannte man in ihr die Amazone; als solche war sie auch gekleidet; sie trug ein dunkelgrünes Gewand und einen Calabreserhut mit Straußfeder, und ritt einen kleinen Grauschimmel. Gewöhnlich hatte sie keine Waffe; nur in der Zeit der Gefahr schnallte sie einen leichten Reitersäbel um. An einem der folgenden Abende erzählte der General aus Amerika folgenden Zug von ihr: „In einem Kriege in den Wäldern und Prairien gibt es keine regulären und ständigen Colonnen: oft sind die Führer heute mit 3000, morgen kaum mit 300 Streitern umgeben. So war ich einst nach mehreren Reitergefechten nur noch 800 Mann stark, wurde aber nochmals von einem überlegenen Feinde angegriffen, gesprengt und rettete mich und 400 Mann mit Mühe in die Wälder. Meine Frau hatte auf dem linken Flügel gekämpft und wurde gefangen. In der Nacht aber entwich sie den schlafenden Wächtern, schwang sich auf ein Pferd, stürzte sich in den breiten Strom und gelangte nach acht Tagen voll unsäglicher Mühseligkeiten, Entbehrungen und Gefahren wieder zu mir.“
Als Garibaldi, noch immer nicht ohne alle Hoffnung, aus Rom zog, sagte er zu den Soldaten die bekannten echt spartanischen Worte: „Wer mir folgen will, dem biete ich Mühseligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges.“
In Tivoli befahl er vor Sonnenuntergang Aufstellung und Marsch auf der Straße nach Neapel. Aber am Abende des 4. nach eingebrochener Dunkelheit wurde querfeldein geschwenkt, und um Mitternacht Bivouak bei einer Fontana bezogen. Das Corps stand wieder nahe bei Tivoli in einer Vertiefung verborgen. Der im Partisanenkriege so gewandte General täuschte durch solche Bewegungen während des ganzen abenteuerlichen Zuges nach San Marino so Oesterreicher als Franzosen. Seine Leute fürchteten ihn ebenso, wie sie ihn liebten, und wußten recht gut, daß er sie bei Vergehungen würde füsiliren lassen, ohne die Cigarre wegzulegen. – Ebenso, wie des Generals Sicherheit in der Gefechtsführung, seine Einsicht und sein Scharfblick in der Vertheidigung Roms oft bewundert worden war, so zeigte er auf diesem Zuge eine außerordentliche Gewandtheit in der Entwickelung des Sicherheits- und Kundschafterdienstes; nur vieljährige Uebung in Kriegen und Kämpfen an der Spitze leichter Schaaren hatte ihn hierin zu einem Meister gebildet, wie es vielleicht keinen zweiten gibt.
In Terni vereinigte er sich mit dem dort stehenden Oberst Forbes, so daß trotz verloren gegangener Nachzügler und Marodeurs hier sein Corps noch 3000 Mann, worunter 450 Reiter, stark war. Dennoch verlor er bereits die Hoffnung der Insurgirung der Abruzzen, und zu seinen Hauptfeinden gehörten schon damals die gegen ihn aufwiegelnden Mönche und Priester. So hatten vorzugsweise die Kapuziner im Kloster unfern Chiusi die ganze Gegend gegen ihn aufgewiegelt. Der General beschloß deshalb, ein Beispiel hiergegen zu statuiren, und ließ die vierundzwanzig Mönche durch ein Detachement Soldaten nach dem Lager führen. Keuchend und in Schweiß gebadet, kamen die korpulenten Herren an und hörten, ohne eine Miene zu verziehen, die strengen Worte des Generals an. Dieser sagte unter Anderem zu ihnen: „Ihr habt die Flamme des Bürgerkrieges angefacht; Ihr nennt Euch ministri di Dio und seid ministri di diavolo“ etc. Schließlich befahl er, daß sie so lange als Geiseln dem Zuge folgen sollten, bis er einige durch sie verlorene Gefangene mit Waffen und Pferden wiederhabe. Wirklich folgten sie in ernster Procession fünf Tage dem Zuge.
Obgleich man glauben könnte, daß auf diesem Zuge und der eigenthümlich abenteuerlichen Lage eine gewisse Vertraulichkeit zwischen den Oberofficieren und dem Generale entstanden sein könnte, so war nicht nur dies nicht der Fall, sondern selbst seine treuesten Gefährten, die schon in Amerika unter ihm gedient hatten, näherten sich ihm stets mit Ehrfurcht, und Jeder, der ein freundliches oder gnädiges Wort von ihm erhielt, schätzte sich glücklich; – ein Beweis, welche Herrschaft dieser seltene Mann über die Gemüther auszuüben versteht.
Die Lage des kleinen Corps, welches bei Arezzo nur noch etwa 2500 Mann stark war, wurde immer bedrängter. Zwar folgten die Franzosen von Orvieto aus nicht weiter, aber die Oesterreicher drängten von Perugia aus, und in Arezzo standen ein Paar österreichische Jägercompagnien. Mehrere Oberofficiere riethen nun dem General, die Oesterreicher angreifen und die Legionäre [442] wieder einmal schießen zu lassen. Zwar hatte der General durch einen mit einer Depesche vom General Stadion in Siena an den General Paumgarten in Perugia aufgefangenen Postillion, den er mit dem Rathe frei ließ, sich nicht wieder erwischen zu lassen, erfahren, daß Ersterer nur 4 schwache Bataillone, Letzterer etwas mehr commandire und man Garibaldi’s Corps an Macht bedeutend überschätze; demohngeachtet hatte er jetzt nur noch den Plan der Rettung und sagte deshalb (was zu gleicher Zeit sein Herz charakterisirt): „Recht schön, meine Herren, aber was machen wir mit den Blessirten? Mitnehmen können wir sie nicht, und fallen sie den Oesterreichern in die Hände, so werden sie füsilirt!“
Fast ringsum von Feinden umgeben, kaum noch 2000 Mann stark, gelang es dem Talente des Generals, ein von den Oesterreichern besetztes Defilé zu umgehen, den Monte Luna zu erklimmen und die waldigen Schluchten des Metauro (in welchen einst Hasdrubal und sein Heer durch die Consuln Nero und Titus Livius Salinator vernichtet wurden, wodurch das Schicksal Hannibals in Italien entschieden wurde) zu passiren. Bei San Angelo in Bado zeigte sich endlich auch der Feind von vorne, aber außer kleinen Scharmützeln und einem Ueberfalle der Reiterei verfuhren die Oesterreicher doch sehr behutsam. Am 31. Juli des Morgens erreichte endlich die Colonne, kaum noch 1800 Mann stark, das Gebiet der Republik von San Marino. Hier beschloß Garibaldi seine Legion aufzulösen und erließ folgenden Tagesbefehl:
„Wir haben den Boden erreicht, welcher uns eine Zufluchtsstätte gewährt und sind den großmüthigen Gastfreunden die beste Aufführung schuldig. So werden wir die Achtung verdienen, die man dem verfolgten Unglück zollt. – Von diesem Augenblicke an entbinde ich meine Gefährten von jeglicher Verpflichtung und gestatte ihnen die Rückkehr in’s Privatleben, aber ich mahne sie daran, daß Italien nicht in der Schmach verharren darf und daß es besser ist, zu sterben, denn als Sclave der Fremden zu leben.
Es ist bekannt, daß er für sich die vom Senate von San Marino mit den Oesterreichern für die Legion abgeschlossene Capitulation nicht annahm, etwa 200 Leute und seine compromittirten Freunde um sich versammelte und Genua erreichte, nachdem er seine von ihm zärtlich geliebte Gattin auf der gefahrvollen Flucht, in Folge zu früher Niederkunft derselben, durch den Tod verloren hatte.
Garibaldi hat einige Eigenthümlichkeiten an sich, die seine Leute gut kennen; deshalb sind bei wichtigen Momenten die Augen aller seiner Untergebenen blos auf ihn gerichtet. Im Jahre 1848 stand er mit unverrücktem Calabreser im Feuer; 1859 trug er stets nur eine einfache Mütze. Aus seinem Benehmen ersehen seine Leute schon, wie es steht. Kommt er in die Nähe des Feindes, so hat er die Mütze so vorgezogen, daß seine Umgebung kaum die Augen von ihm sieht. Beim Beginne des Gefechts rückt er die Mütze etwas höher; je weiter der Kampf sich entwickelt, um so mehr schiebt er die Mütze auf den Kopf zurück, und wenn die Entscheidung sich nähert, setzt er sie dann in den Nacken, sodaß die ganze Stirne frei wird. Dieses Zeichen kennen seine Leute und stürzen sich mit Hurrah auf den Feind, der, dem bedeutenden Anpralle nicht widerstehend, Reißaus nimmt.
Vergleichen wir den oben mitgetheilten, in der Geschichte fast beispiellosen Zug mit seinem kühnen Zuge von Varese nach Como 1859, seine Operationen gegen die Oesterreicher, seine Handlungsweise gegen seine Untergebenen, so finden wir in ihm denselben energischen, thatkräftigen, für sein Vaterland Alles wagenden und aufopfernden Mann unverändert wieder.
Von Ludw. Storch.
- Diese Gruppen zusammen tragen gegenwärtig den Namen Louisenburg, um anzudeuten, daß eine angebetete Königin, kurz vor großen Unfällen, einige frohe und ruhige Tage hier verlebt habe. Goethe.
- Diese Gruppen zusammen tragen gegenwärtig den Namen Louisenburg, um anzudeuten, daß eine angebetete Königin, kurz vor großen Unfällen, einige frohe und ruhige Tage hier verlebt habe.
Die beiden brandenburgisch-fränkischen Fürstenthümer, durch das Aussterben der Baireuther Markgrafendynastie unter dem Markgrafen Alexander von Anspach vereinigt und von diesem 1792 an das stammverwandte preußische Königshaus abgetreten, hatten bis zum Jahre 1805 noch kein Glied der neuen Herrscherfamilie begrüßt, als sich im Frühling des zuletzt genannten Jahres in diesen Länderbezirken die frohe Kunde verbreitete, König Friedrich Wilhelm III. und die von allen Deutschen hochverehrte Königin Louise würden die Brunnencur im romantischen Alexandersbad bei Wunsiedel gebrauchen. Im ganzen preußischen Frankenlande gab sich eine freudige Aufregung kund, am meisten unter den schlichten, gemüthlichen Bewohnern des Fichtelgebirgs. Zweckmäßige Anstalten, zum würdigen Empfang der hohen Gäste und zu ihrer Bewirthung getroffen, hatten im Bade Verschönerung und Vermehrung der Gebäude und neue Anlagen zur Folge. Das Königspaar, im Mai auf einer Revue bei Magdeburg, dann auf einer Lustreise nach dem Brocken, ging von da nach Alexandersbad, wo der festliche Empfang am 9. Juni stattfand.
Königin Louise, 29 Jahre alt, seit elf Jahren Gattin und Mutter von acht Kindern,[4] stand in der höchsten Blüthe ihrer majestätischen, milden Schönheit, deren Zauber kein Herz in ihrer Nähe sich entziehen konnte. Es ist Thatsache, daß selbst alte Leute aus dem Volke bei ihrem Anblick vor Entzücken weinten, und Jedermann ihr eine fast abgöttische Verehrung zollte, die durchaus nichts Gemachtes, vielmehr der moralisch nothwendige Herzenstribut und Folge des Eindrucks ihrer mit sanfter Würde verbundenen hohen Schönheit war. Das Königspaar verweilte drei Wochen in Alexandersbad, Tage hohen Genusses für die Königin, vielleicht die glücklichsten ihres Lebens, der Silberblick desselben, hinter welchem die Nacht düster aufstieg und die ihr vom dämonischen Beherrscher der Zeit bereitete Pein, die als Alp sich schwer und schwerer auf ihre Brust wälzte, bis sie fünf Jahre später der Riesenlast erlag.
Das Alexandersbad, reizend hingegossen in eine liebliche waldumkränzte Thalmulde mit frischem Wiesenteppich zwischen felsengeschmückten, dem Fichtelgebirge zugehörigen Bergen, bietet in seiner Umgebung eine überraschend pittoreske und groteske Wald- und Bergnatur. Die Nymphe des Quells hat sich ein ausgesucht reizendes Boudoir erwählt, und die Nähe der freundlichen Bergstadt Wunsiedel erhöht die Annehmlichkeiten desselben. Die Perle der ganzen Gegend ist aber der angrenzende Berghain mit seinen unvergleichlichen Felsengebilden, den Jean Paul Friedrich Richter, das berühmte Stadtkind Wunsiedels, den „Bergthron“ und „Thronhimmel“ des Städtchens nennt.
Die Heilquelle, ein kohlensaurer Eisenbrunnen, 1734 entdeckt, aber erst 1783 durch den Markgrafen Alexander mit Baulichkeiten und Anlagen versehen, erhielt von ihm Namen und Ruhm. Jährlich stärker besucht, selbst aus weiter Ferne, bot das reizende Waldbad allsommerlich das schmucke Bild eines ungemein regen Lebens. Wer nicht des Wassers wegen kam, den lockte die köstliche Berggegend mit frischer Luft, oder die zahlreiche Gesellschaft, das starkbetriebene Farospiel und das glänzende Vogelschießen in Wunsiedel. Aber die Glanzperiode des Bads bildet die einundzwanzigtägige Anwesenheit des von einer bedeutenden Anzahl fürstlicher und hochadliger Personen umgebenen Königspaars, unter welchen der Kurfürst Friedrich August von Sachsen, der Kurfürst Wilhelm von Hessen und dessen Sohn, der Kurprinz, Schwager des Königs, der Herzog von Coburg und dessen Tochter, die Großfürstin Constantin von Rußland, die beiden Schwestern der Königin, die Herzogin von Cumberland und die Prinzessin von Solms-Braunfels, und der Gemahl der Letztern die Blicke vorzüglich auf sich zogen.
Auch noch ein hoher Fürst kam, eingeladen von der holden Königin, und brachte ihr seine Huldigung dar; und trat er auch nur im schlichten Rocke in den Zauberkreis der königlichen Anmuth und Liebenswürdigkeit, und war er auch nur der Sohn eines armen Pfarrers, dennoch überstrahlte der Glanz seines Namens fast den der Hochgebornen; es war Jean Paul Richter, jener brillante Fürst des [443] Geistes, der von Gottes reichsten Gnaden hochbegabte deutsche Dichterheros, der zu dem Städtchen da drüben an der hellen Rößla die herzlichen Worte sprach: „Ich bin gern in Dir geboren, Städtchen am langen hohen Gebirge, dessen Gipfel wie Adlerhäupter zu uns niedersehen! Ich bin gern in Dir geboren, kleine, aber lichte Stadt!“ Liebling der genialen Königin – wie er sich denn des schönen Glücks erfreuen durfte, von allen geist- und gemüthreichen deutschen Frauen geliebt und geehrt zu sein – hatte der Dichterfürst einst (1792) poetisch-genußreiche Tage am Hofe zu Hildburghausen im Umgange mit den drei durch Schönheit, Anmuth und Geistesbildung hervorstrahlenden Prinzessinnen von Mecklenburg-Strelitz, Charlotte (Gemahlin des Herzogs von Sachsen-Hildburghausen), Louise und Friderike, verlebt und ihnen als den „drei fürstlichen Grazien“ eins seiner Bücher gewidmet. Jetzt stand er der gefeierten Prinzessin als seiner angebeteten Königin gegenüber, der große echt deutsche Mann der großen echt deutschen Frau, auf’s Herzlichste von ihr und ihrer Schwester Friederike (Gemahlin des Prinzen Solms, früher die des 1796 verstorbenen Prinzen Ludwig von Preußen, Bruder des Königs) begrüßt; und die beiden hohen Damen plauderten mit dem verehrten Dichter, dem sie so viel Gutes und Schönes verdankten, von ihrem gemüthlich reizenden Zusammenleben in der kleinen thüringisch-fränkischen Residenz.
Aber wahrlich, die Aristokratie der Geburt und des Geistes war es nicht allein, die sich in Alexandersbad um die hohe Frau schaaren durfte; von ihr beglückt und sie beglückend, trat das ganze Volk mit Jubelgruß an ihren Weg. Alles, was Füße hatte, eilte in das grüne Thal der Waldquelle, eine Massenwanderung der preußisch-fränkischen Bevölkerung zum allgemeinen Freudenfeste. Die Königin sehen und ihr zujauchzen, galt den treuen Menschen für das höchste Glück. Greise und Greisinnen mußten herbeigeführt werden, um der hohen Frau einen zärtlichen Blick zuwerfen, ein Segenswort zurufen zu können; Mütter trugen ihre Kinder meilenweit, um ihnen die geliebte Landesmutter zu zeigen.
Der König verschwand fast in diesem der weiblichen Majestät und Anmuth dargebrachten Cultus. Ein Freudentag reihete sich an den andern; die Hochgefeierte lebte in einem dauernden Wonnerausch. Bald zog die Landwehr der Umgegend im Festgepränge auf, stolz den Dienst beim Königspaare zu verrichten; bald die Schützenmannschaften, „geschmückt mit grünen Reisern“, bald die Bergleute in Fackelzügen und Tänzen; bald die Schulkinder, die Beamten, die Geistlichen, die Förster und Jäger, Alle mit Sang und Klang. Lustpartien zu den schönsten Stellen des Gebirges wechselten mit Bällen, Vogelschießen und Märkten. Denn der Verkehr hatte sich rasch so ungemein gesteigert, daß in dem sonst so stillen und einsamen Waldthale wie von selbst ein Markt entstand, von den hohen Herrschaften nicht minder frequentirt, wie von allem Volke, eine aus dem allgemeinen Liebesbedürfniß erwachsene Messe, nicht der geringste Beitrag zum großen Freudenfeste, wie nicht leicht eine zweite zu Stande kommen wird. – Die Krone dieser allen Franken und Vogtländern unvergeßlichen Tage war der 15. Juni, wo das Königspaar den „Bergthron“ auf den „Bergstufen, die ihn verschönert,“ zum erstenmal bestieg.
Der mäßig hohe waldige Berg mit seinen Felsenwundern, der sich dicht an Alexandersbad allmählich erhebt und eine Stunde lang von Nordost nach Südwest dem Hauptgebirge (dem Kössein und der hohen Mätze) zustreicht, hieß die Luchsburg, von einer auf dem Gipfel in die Granitblöcke gebauten kleinen Burg, wo ein Stamm des vogtländischen Adels „vom Stegreif gelebt und sich der Reiterei genährt“. Es ist schwer begreiflich, wie die Herren in dieser Wildniß nur ein einigermaßen erträgliches Leben zu fristen vermocht. Der Sage nach Kind des zehnten Jahrhunderts, wurde die Burg, die mit der Zeit ihren Namen dem ganzen Bergrücken mitgetheilt, zu Anfang des vierzehnten von den Söldnern der Stadt Eger, der die Räubereien der Luchsburger beschwerlich fielen, zerstört, und Jahrhunderte lagen Mauertrümmer und Felsen, ein chaotisches Labyrinth, durcheinander, selten von einem kühnen menschlichen Fuße besucht, aber bis in die neueste Zeit Wohnung von Füchsen und Luchsen. Nur ein Tag im Jahre war’s, der die Wunsiedler massenweise herauflockte, und eine Stelle, die sie besonders anzog und vereinte. Dieser Tag war der in die Mitte des Juli fallende St. Margarethentag, und diese Stelle eine kolossale Granitplatte, Podium eines seltsamen Volksvergnügens, dessen Verständniß uns verloren gegangen ist. Man würde es nicht errathen, wozu die Platte diente, nämlich zum – Theater für von Lehrern des Wunsiedler Lyceums verfaßte, von ihren Schülern aufgeführte lateinische Schauspiele. Die Stadtkammer verwilligte Geld, es wurden Hütten gebaut; auch saß das nur wunsiedelisch-deutsch verstehende Publicum auf den umherzerstreuten Granitblöcken und tractirte die lateinisch recitirenden Schauspieler mit Wurst, Schinken und Bier. Zuletzt amüsirte man sich fichtelgebirgisch auf eigene Faust, so daß der Tag doch noch zum leidlichen Volksfeste ausschlug. Noch 1764 wurde der St. Margarethentag auf angegebene Weise gefeiert, und eine Inschrift des in seiner Art einzigen Podiums gibt den Festtag und die Namenschiffer eines Edelmannes aus Regensburg, der sich’s Geld hat kosten lassen, die untern Felsen des Berges mit vielen eingemeißelten Worten zu versehen.
Erst mit dem Emporkommen des Bades erwachte in den Wunsiedlern der Sinn für die giganteske Schönheit dieser Felsenwelt. Von 1788 an wurden die untern Partien von einem Stadtarzte und seinen Freunden durch mühsame und kostspielige Arbeiten geöffnet. Reiche Badegäste steuerten in die Verschönerungscasse des Doctor Schmidt, der sich dem dankbaren Geschäfte unterzog, aus dem grausig schönen Material ein großartiges, den Schönheitssinn in erhabener Weise befriedigendes Gedicht im echten Lapidarstyl zu bilden, und es war des Dichters glücklicher Gedanke, die Königin Louise zur Taufpathin dieses Wunders der Natur und Kunst zu machen. Am 15. Juni sollte die Taufe stattfinden.
Den von glücklichen Menschenschaaren umwallten königlichen Gästen trat aus der am Wege gelegenen, jetzt „Klingershöhle“ benannten Grotte ein Chor weißgekleideter Mädchen mit der huldigungsvollen Erklärung entgegen, daß der Berg von nun an „Louisenburg“ heißen werde. In den Augen der Königin schimmerten Freudenthränen; Rührung und Ueberraschung ließen sie kaum einige Worte finden. Ueber ihre Gestalt glitt ein Hauch überirdischer Schönheit. – Die Taufweihe der Louisenburg war einer der schönsten, aber auch letzten glücklichen Momente im Leben der erhabenen Frau.
An einer höhern Stelle des Berges, wo die Granitmassen und abgekanteten Blöcke sich in abenteuerlichster Weise emporschichten, und an ihrer Wand auf reizendem Plätzchen mit wildromantischer Aussicht auf die unteren Partien eine Steinbank, auf welcher später die Königin gern verweilte, den Namen „Louisensitz“ führt, wurde das königliche Paar von einem Gesange mit Musikbegleitung begrüßt. Das Lied war eine Dichtung Jean Paul’s.
Jene Tage waren der Höhepunkt im Leben der Königin. In Frühlingspracht der Gebirgsreize an der waldumkränzten Heilquelle, umwaltet von der Liebe des Gatten, der Verwandten und Freunde, gehoben von der Nähe des Dichters und der Begeisterung des Volkes, sprach sie dieses Glück in einem Handschreiben an die Wunsiedler Schützengesellschaft, die sie auch zur Schützenkönigin gemacht, aus, mit welchem sie derselben eine Fahne überreichen ließ, bestimmt die Erinnerung daran zu erhalten.
Und so schied sie im Besitz des Inbegriffs aller Glückseligkeit, der Liebe, Verehrung, Jugend, Anmuth, Schönheit und Königsherrlichkeit am 7. Juli aus diesen Thälern, begleitet von den Segenswünschen des Volkes. Aber schon zogen sich die Wetterwolken zusammen, aus welchen der verderbliche Blitz auf den preußischen Thron niederfahren sollte. Noch war der unheimliche Corse nicht zum Zenith seiner kometenartigen Laufbahn emporgestiegen. Der Zusammenstoß seiner Macht mit Preußen, das der fanatischen Begeisterung der französischen Heere für ihren Kriegsfürsten nur die erbleichten Erinnerungen an den Kriegsruhm des großen Friedrich entgegen zu setzen vermochte, stellte sich als unvermeidlich, der unselige Ausgang als kaum zweifelhaft heraus. Das unschuldige Opfer der Verkehrtheiten und Unterlassungssünden von der einen, und der Gewaltthaten von der andern Seite war – Königin Louise.
Es ist für das Verständniß beider Parteien bezeichnend, daß Napoleon’s Haß vorzüglich die Königin traf. Hier zeigen sich die Factoren in ihrer wahren Gestalt, hier lernt man den gerühmten Imperator, hier die geschmähte Königin kennen. Kein schrofferer und charakteristischerer Gegensatz, als Napoleon und Louise! Er der gewaltige Dämon mit der Fackel der Zerstörung, die er an der niedergetretenen Gluth der Revolution entzündet, in der Faust; sie der hohe Genius mir dem sanft glimmenden Stern der Liebe, der sein Licht aus Menschenglück sog, auf dem Haupte! Er mit dem lauernden, düsterglühenden Auge der Falschheit und des Hasses; [444] sie mit dem süßen, redlichen, hellleuchtenden Auge der Wahrheit und des Segens! Er der tückische Mann ohne Würde; sie das ehrliche Weib voll Hoheit! Er, der seine länder- und völkerumspinnende Macht auf die schlechten Eigenschaften, die unedlen und gemeinen Triebe im Herzen der Menschen, auf Gewinnsucht, Herrschsucht, Glanzsucht, Genußsucht, Ränkesucht und Eitelkeit gegründet; sie, die ihre herzengewinnende Macht auf die höchsten und herrlichsten Tugenden des Gemüthes und Geistes aufgerichtet, auf Liebe, Treue, Sanftmuth, Wohlwollen, Menschlichkeit: sie mußten sich hassen, diese beiden Größen, das war sittliche Nothwendigkeit. Sie waren Pole, die sich abstießen. Sie haßte ihn, wie das Böse vom Guten stets gehaßt wird: edel! Er haßte sie, wie das Gute stets vom Bösen gehaßt wird: gemein! Sie verkannte seine Mission nicht; sie anerkannte in ihm den tapfern und genialen Feldherrn, aber als Helden in ihrem Sinne konnte sie ihn nicht verehren; dazu fehlte ihm das Haupterforderniß, die Tugend. Und er vergaß sich soweit, der unritterliche Emporkömmling, daß er sie persönlich beleidigte. Damit hat er sich selbst das Urtheil gesprochen.
Und wie wahr und klar durchschaute sie ihn! In der Milde und Würde ihres Urtheils über ihn zeigt sie sich, die von ihm schwer Gekränkte, als die hohe, edle, deutsche Frauennatur, vollkommen werth der Liebe und Verehrung, die sie genoß. Dieses Urtheil ist um so wichtiger und schätzenswerther, weil es einem Briefe an ihren Vater einverleibt, also nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt ist.
„Gewiß wird es besser werden, das verbürgt mir der Glaube an das vollkommenste Wesen. Aber es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten. Deshalb glaube ich auch nicht, daß der Kaiser Napoleon Bonaparte fest und sicher auf seinem jetzt freilich glänzenden Throne ist. Fest und ruhig ist nur allein Wahrheit und Gerechtigkeit, und er ist nur politisch, d. h. klug, und er richtet sich nicht nach ewigen Gesetzen, sondern nach Umständen, wie sie nun eben sind. Er meint es nicht redlich mit der guten Sache und mit den Menschen. Er und sein ungemessener Ehrgeiz meint nur sich selbst und sein persönliches Interesse. Man muß ihn mehr bewundern, als man ihn lieben kann. Von seinem Glück geblendet, meint er Alles zu vermögen. Dabei ist er ohne alle Mäßigung, und wer nicht Maß halten kann, verliert das Gleichgewicht und fällt.“ – Schöne ahnungsvolle Seele, großes Kinderherz auf dem Königsthrone, von einem düstern Verhängniß ausersehen, dem Gluthhauch des Moloch als Opfer zu fallen!
Es gibt Landschaften, die sich leicht und anschaulich beschreiben lassen; eine Beschreibung der Louisenburg, die einen klaren Begriff von diesem in seiner Art einzigen Felsenhaine gäbe, ist selbst für den begabtesten Stylisten eine Sache der Unmöglichkeit. Es wird selbst dem Maler durch gute Abbildungen der einzelnen Partien schwer werden. Goethe sagt schon, daß diese „zahllosen, in sich zusammengestürzten und gethürmten Felsenmassen alle Beschreibung und Einbildungskraft überragen.“ Man muß dieses poetische Naturwunder selbst sehen und den Zauber, den diese Fels- und Waldgebilde in dem Beschauer wachzurufen so geeignet sind, durch das eigene Auge auf die Seele wirken lassen, um den rechten Genuß davon zu haben.
Das steht fest, daß dieses kleine Stück Schöpfung voll Majestät und Milde den Namen der Königin Louise, des Genius Deutschlands, würdig und mit Recht führt. Neben dieser allgemeinen Charakterbezeichnung des Hains behauptet sich die des Wildgrotesken, großartig Bizarren. Der erste Eindruck dieser außerordentlichen Zusammenwürflung und Gestaltung der ungeheuern Granitblöcke, Platten, Vierecke, Rhomben, Rhomboiden, Kegel, Keile, Säulen, und wie man sonst die verschiedenartig geformten Steintrümmer benennen mag, auf den Besucher ist der eines ungeheuern Erstaunens. Man erschrickt vor der großartigen Grillenhaftigkeit der Natur in diesen Gebilden; man fühlt sich von ihrer Erscheinung überwältigt und niedergedrückt, und der Geist erhebt sich erst wieder durch die Ausschau von den Gipfeln auf das majestätische Chaos, auf Wald und Flur, auf das Städtchen und die Dörfer, auf „die Adlerhäupter des Gebirges“ und in die blauende Ferne. Auch muß man den Hain öfter besuchen und sich möglichst lange in seinem Schatten, in seinen Klüften und auf seinen Gipfeln aufhalten, um sich in alle seine Reize zu versenken und jeden einzelnen mit Schwelgerei durchzukosten.
Wer sich das Herz an den Brüsten der Mutter Natur groß trinken und ihre milde Majestät sittlich erhebend auf sein Gemüth einwirken lassen will, der betrete an der Hand eines geliebten, gleich ihm mit Empfänglichkeit und Verständniß für die Poesie der Erscheinung begabten Menschen an einem sonnigen Frühsommermorgen voll Thau und Frische, oder an einem Sommerabend, wo der flammende Westhimmel durch die Fichtenwipfel Gold auf das Gestein wirft, diese Felsenstätte. Aber zwei Seelen müssen es sein, die ineinanderfluthen und sich ergänzen, damit sie sich ihre Gefühle mittheilen können. Dort wird hohe Andacht sie durchschauern und sie als eine Flamme zum Geiste der Natur, zum Gott der Liebe und Schönheit emporfittichen. – Wir machen nur die ausgezeichnetsten Partien namhaft:
Die Klingershöhle, eine phantastisch-poetische Grotte mit einem majestätischen Dache, einer ungeheuern Granitplatte. In der Nähe der Maximiliansplatz, der Theaterplatz, der Gesellschaftsplatz, dann die Schweiz mit der Insel Helgoland, einem isolirten Felsblocke, der ein Häuschen trägt und von einigem Wasser umgeben ist. Die Freundschaftsgrotte, von zwei riesigen zum Theil übereinander liegenden Rhomben gebildet. Die Eremitenhöhle, im hohen Grade grotesk und wildromantisch. Durch eine enge und niedrige Oeffnung in der geklüfteten Wand führt ein seltsam malerisch überbauter dunkler Felsenweg auf Stein- und Holzstufen zu herrlich ragenden kolossalen Felsengebilden empor. Hier erhebt sich die Granitstirn mit dem Namen des Königs Ludwig, und in der Nähe sieht man das Schiff, einen schiffsrumpfähnlichen Felsblock, auf kaum zwei Quadratfuß ebenfalls abschüssig gerundeten Raum ruhend, sodaß sein Halt unbegreiflich erscheint. Man meint, der kleinste Stoß müsse ihn in die Tiefe stürzen. Felsenstufen leiten in die alte Burg. Auch [445] in der Felsenwand am Louisensitz ladet ein Thor zum Weitersteigen auf Stufen zwischen ungeheuern Granitwänden durch Nacht zum Licht empor. Ueber der Pforte stehen zwei in die Felsenwand gehauene Zeilen:
„Bis hierher sollst Du kommen und nicht weiter. 1794.“
„Ich suchte und fand, es ging weiter. 1809. Daupeck.“
Bis an diese Wand erstreckten sich nämlich die alten Anlagen, und man hielt das weitere Empordringen in diesem furchtbaren Felsengewirre nicht für möglich. Daher die voreilige erste Zeile, deren Schöpfer es wie vielen alten weisen Herrn erging, die da wähnen, die Menschheit könne nicht weiter empor, als sie gerade gekommen sind, „die Wissenschaft müsse umkehren“. Aber der Bayreuther Hofgärtner Daupeck fand den mühevollen dunkeln Weg unter zusammengestürzten Platten und Kegeln und durch wilde Schluchten hindurch; und nun erst gelangt man zur höchsten und herrlichsten Schönheit des Hains, zu den ragenden
Gipfeln mit der köstlichsten Umsicht. Welch ein treffendes Lebensbild! Durch Nacht und Graus werden unsere Nachkommen den wenn auch mühsamen Weg aus dem furchtbaren Felsenlabyrinthe unserer politischen,religiösen und socialen Zustände zur höchsten Schönheit, zum reichsten Genuß, zur unbeschränkten Um- und Uebersicht, zur vollen Freiheit des Lebens auf seinen sonnigen Höhen empor finden.
Neue Überraschungen bietet der Felsengang, die Moosgrube genannt, der zur Mariannenhöhe mit einer künstlichen Thurmruine führt. Von ihr aus genießt man die labende Fernsicht auf die böhmischen Berge. Auf der Ebene unter dieser Höhe fand das Vogelschießen 1805 statt, welches die Königin Louise auch zur Schützenkönigin machte. Man geht eine Strecke gerade aus bis zum Bundesfelsen, zu dessen schwindelnd empor gegipfelten Geschieben man auf hölzernen Treppen steigt. Dies ist der großartigste Punkt der Louisenburg, dessen Aussicht auf wirre Felsenmassen in der Nähe und Fluren und Berghöhen in der Ferne schauerlich erhaben und schön.
Durch den Wald gelangt man zu dem eine Viertelstunde entfernten Burgstein, einer ungeheuern, gleichsam aus mehreren Stockwerken bestehenden Felsenmasse, deren Gipfel zugänglich ist. Diese letzte Partie des Hains ist mit entzückender Aussicht eine seiner schönsten und lohnendsten.
Rückwärts auf der Ostseite des Bergs geht man auf einer Felsentreppe, der Teufelsstiege, und durch eine enge, steile, mit Felsstücken überdeckte Schlucht, das Labyrinth, bis zum Münsterplatz, mit einer von gewaltigem Felsendache überschatteten, unter kolossalen Steingefügen hervorsprudelnden Quelle. Weitere Felsengänge mit Stufen sind die hochgelegene Burgschlucht und die lange Wolfschlucht, wo sich dem Besucher die höchsten malerischen Reize Schritt vor Schritt aufdrängen. Neben dem Schauer der mit Schlangenwindungen durch das Dunkel überhangender Felsen sich durchziehenden Schluchten und Klüfte liegt die Lieblichkeit heiterer Felsgestaltungen mit dem von den Ruinenmauern der Burg überragten Walde. Ist man so auf Treppen bergab und auf gestiegen, so betritt man den Jean-Pauls-Platz, der, an grillenhaft übereinander geschichtete und gethürmte Felskolosse gelehnt, vielfache reizende Aussicht gewährt.
Wir nennen noch den Platz Louisensruh und die Thränengrotte, beide der verstorbenen Königin, den Friedrich-Wilhelms-Platz, dem König gewidmet; Lisettensruh, ein Felsengipfel; den Platz der Einsamkeit, auch Beichtstuhl, Stelldichein, [446] Wort unter vier Augen genannt, das versteckteste und lauschigste Plätzchen des Hains; die Hardenbergsgrotte, der Zuckerhut etc. Doch wozu Namen, wozu Beschreibung? Sie geben keine Ahnung dieser wunderbaren Zusammenstellungen der Riesensteine. Goethe sagt davon: „Die ungeheure Größe der ohne Spur von Ordnung und Richtung übereinandergestürzten Granitmassen gibt einen Anblick, dessen Gleichen mir auf allen Wanderungen niemals wieder vorgekommen.“ Aber selbst Leute, die die Gebirge der ganzen Erde bereist haben, versichern, die Louisenburg sei einzig. Ueber der riesigen Großartigkeit des Naturgebilds liegt jetzt der Hauch des Verfalls des Menschenwerks. Solche Schöpfungen verlangen die nie rastende nachbessernde Hand, deren Schöpfung sonst leicht von den Schrecken der Natur besiegt wird.
„Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.“
Die Vernachlässigung der schönsten Partien berührt schmerzlich.
Ein anderer, auf den intelligenten Besucher verstimmend einwirkender Uebelstand ist die Trivialität der Gedanken und des Ausdrucks in Prosa und schlechten Versen, welche sich im älteren Theile der Anlagen schier auf jeder ausgezeichneten Felsenstirne zudringlich breit macht. Sind Plattheiten und Gemeinplätze schon in der gedruckten Schriftsprache keine angenehme Bekanntschaft, so läßt man sie doch auf dem vergänglichen Papier passiren, ohne allzuheftigen Anstoß daran zu nehmen; sobald sie aber mit so ungeheurer Prätension auftreten, daß sie ihre fußhohen Worte in kolossale Granitwände eingraben, soll man solche Ungebühr strafend abweisen. Unser Gefühl sagt uns, daß der Sinn, welchen die Alten mit der Bezeichnung Lapidarstyl verbanden, als der solchen Aufschriften angemessene, auch von uns festzuhalten sei: gefällige Form des Ausdrucks in gedankenreicher Kürze. In der Zeit aber, als man sich lebhaft für die Verschönerung der Louisenburg interessirte, hat jedes adlige oder reiche Individuum, welches Geld dazu hergab oder in dieser romantischen Steinwelt sein Liebchen küßte, es für Schuldigkeit gehalten, Sentenzen und Verse aus der eigenen Fabrik in dieses granitne Stammbuch einzutragen und seinen Namen oder wenigstens dessen Anfangsbuchstaben in den Tempel der Unsterblichkeit einzuschmuggeln. Aber vornehme und reiche Leute haben gerade nicht immer vornehme und reiche Gedanken, und der Adel des Namens involvirt noch lange nicht den des Geistes. Und so spielt denn die Eitelkeit in diesen Inschriften eine große selbst- aber nicht wohlgefällige Rolle. Ein adliger Herr vorzüglich hat ihr gar nicht genug thun können; wie oft erblickt man seine Namenschiffre! In der Klingershöhle sagt er uns auf einer Marmortafel in platten Reimen, daß er Gott, Tugendhafte, frohen Umgang und klugen Scherz liebe, in den Wissenschaften nur Lehren für sein Herz suche, in einer frohen Ehe unbemerkt sich seines Lebens zu freuen wünsche und werth sein möchte, nach seinem Abscheiden von guten Menschen beweint zu werden. Auch am Burgstein hingen gutgemeinte Gedanken von ihm und sein Wappen auf zwei Marmortafeln neben einander; eine verständige Hand hat beide entfernt.
Ein anderer aus Wunsiedel gebürtiger Herr berichtet uns an einem prächtigen Felsen mit riesigen Lettern in deutscher und russischer Sprache, daß er kaiserlich russischer Collegienrath sei. Und von jenem geisteshohen Wunsiedler Stadtkinde, das mit seinen vom Genius der Poesie selbst eingegebenen göttlichen Gedanken die Welt entzückt hat und, unsterblich wie sie sind, in Ewigkeit fortentzücken wird, steht keine Zeile in diesem Steinbuche, das allein würdig wäre, die erhabensten und brillantesten Sentenzen seines Geistes aufzubewahren. Nicht einmal der ihm geweihte Platz trägt seinen Namen. Und von den hochsinnigen, charaktergroßen, treuen und schönen Aussprüchen der hohen Frau, deren Namen doch diese Felsenblätter führen, ist kein einziger darauf eingegraben. Da sind die Namen von braven Consuln und Geschäftsleuten und ihren ehrenwerthen Gattinnen, sehr achtungswerthen Regierungs- und anderen Räthen, Frei- und anderen Herren und Frauen an diesen stolzen Felshäuptern haften geblieben, aber verwundert fragt sie der Besucher: was wollt ihr hier? Und vergebens sucht er die gefeierten Namen der Heroen des deutschen Volkes. Und doch wäre die Louisenburg die würdigste Walhalla für das Andenken unserer größten Geister. Nicht einmal ein Humboldtsplatz oder -Felsen ist da, und doch war Alexander der Große der Wissenschaft einst Bergbeamter dieses Gebirges; kein Goethestein wird gefunden, und doch besuchte der auch als Geognost bedeutende Dichterfürst diese Felsenmassen, von welchen er sagt: „Sie bilden ein Labyrinth, welches ich vor vierzig Jahren mühsam durchkrochen, nun aber durch architektonische Gartenkunst spazierbar und im Einzelnen beschaulich gefunden.“
Wie elektrisch würden die empfänglich aufgeregten Herzen durchzuckt werden, wenn ihnen von diesen Felsenstirnen die gewaltigen, erhabenen und tiefsinnigen Sprüche Jean Paul’s, oder die frommen, ehrwürdigen, herzlichen Worte der Königin Louise entgegenleuchteten, ebenso die Kraftgedanken unserer größten Dichter und Denker! Und wie stolz würde sich unsere Brust heben, wenn uns aus diesem Naturwunder die Namen derer entgegentönten, welche Deutschlands Culturgeschichte so groß gemacht haben! Das deutsche Volk muß wieder in die heiligen Haine seiner Vorfahren wandern; an den Cultstätten ihrer Götter, Schöpfungen ihres Geistes, müssen wir den Cultus unseres Geistes, unserer Vaterlandsliebe begehen. Und kein Hain eignet sich dazu besser, als die Louisenburg, dieser wahrhaftige Volks- und Königshain. Recht in der Mitte, im Herzen Deutschlands gelegen, gibt sie in ihrem wunderbar herrlichen Formenreichthum ein treues Naturbild des deutschen Geistes in seiner mannichfachen großartigen Gestaltung. Von der deutschen Königin, der Fürstin der Herzen, und vom deutschen Dichterfürsten, dem Beseliger der Herzen, sollten echte Goldkörner des Geistes an diesem Gestein glänzen, wie echte Goldkörner im Gestein dieser Berge.
Heil einem Volke, das eine Königin und einen Dichter gehabt hat, wie Louise und Jean Paul! Ein solches Paar ist ein unveräußerlicher Schatz, ein Volkshort, der, wenn auch versenkt, dennoch strahlt und, wenn seine Zeit gekommen, als prächtiger Doppelstern aufgehen wird, um mit seinem Glanze alles Volk zu erkräftigen und zu begeistern. Die aufflammende Kraft und Begeisterung Deutschlands streifte die Schlangenringe des ersten Napoleon Bonaparte ab, es wird und muß sich auch der Mephistopheles-Netze seines Zerrbildes erwehren; ja wie uns der Erste zu dem großen moralischen Aufschwunge von 1813 trieb, so wird uns der Zweite noch eine Stufe höher treiben auf der Leiter der Volksentwickelung. Hinauf! hinauf! Oben winken und strahlen die Sterne Louise, Schiller, Richter, Arndt!
Der 19. Juli dieses Jahres ist der fünfzigjährige Todestag der Königin Louise, und der 21. März 1863 der hundertjährige Geburtstag des Dichters Johann Paul Friedrich Richter.
Von Emma Niendorf.
Plaudereien über die Napoleoniden.
Vor Jahren hörte ich einen vom Rhein heimkehrenden Freund berichten, er habe auf dem Dampfschiffe zwei junge Leute getroffen, die sehr artig waren und vornehm schienen. Sie hatten ihren eigenen Wagen bei sich auf dem Verdecke. Jener suchte während der Fahrt sich demselben zu nähern, weil er ihre Namen zu wissen wünschte. Aber statt des Wappens, das er erwartete, fand er auf den Kutschenschlag eine aufgehende Sonne gemalt, mit den Worten: „Je monte“. Erst nachher erfuhr er, daß der Eine dieser jungen Männer der Graf St. Leu, der Andere dessen Begleiter gewesen sei. Louis Napoleon hat diese Devise, den Wahlspruch seines ganzen Gebens, wahr gemacht.
Vom Prinz Jerôme Montfort selbst hörte ich, als er von Arenenberg zurückkehrte, wohin er sich von Stuttgart aus begeben hatte, um den gerade dort verweilenden Cousin zu besuchen, daß er denselben in Büchern und Karten begraben gefunden.
„Ja, was plagst Du Dich denn mit all dem Zeug?“
„Das brauche ich.“
„Wozu?“
„Weil ich später doch noch einmal Kaiser werde. Ich weiß das gewiß!“ wiederholte Louis Napoleon.
Aus gleicher Quelle weiß ich Manches aus der Zeit des Besuchs vom Kaiser Nicolaus am Bodensee. Prinz Montfort [447] befand sich mit dem Czaren bei der königlichen Familie im Schlosse zu Friedrichshafen. Auch Louis Napoleon kam von Arenenberg herüber. Der Czar ließ ihn sehr links liegen, Louis empfand dies tief, es that ihm sehr weh. Er ist, wie seine Freunde und Bewunderer selbst von ihm sagen, der Mann, der nichts vergißt und nichts vergibt. Er hat es dem Kaiser Nicolaus in der Krim heimgegeben, wie er es dem Papste jetzt heimgibt, daß derselbe ihm den Thronerben nicht selbst hat taufen wollen.
Wer erinnert sich nicht des Adlers, welcher den Neffen und Nachfolger des großen Napoleon bei seiner Landung von England symbolisch umkreiste? Britische Journale haben damals die dabei angewendete Manipulation der Fütterung umständlich besprochen. Durch diese Anekdote ist Persigny, während der Präsidentschaft Gesandter in Berlin, hauptsächlich bekannt geworden. Er erzog und richtete diesen Adler ab, im Verein mit einem Groom des Herrn von M., des österreichischen Ministers. Durch den Stallknecht kam der eigentliche Zusammenhang der ihrer Zeit vor Gericht verhandelten Geschichte auf, welche man in diplomatischen Kreisen genau kennt. Dieser Anfang charakterisirt das ganze System. – Das ist wie für das Hippodrome berechnet. Auch der seitherige Styl officieller und officiöser Blätter paßt dahin. Ich bin ihnen bei häufiger und längerer Anwesenheit in Frankreich bis zum Ueberdruß gefolgt. Oft dachte ich, der Kaiser müsse sich schwer ärgern, wenn er es läse. Seine Feinde könnten nicht Schlimmeres ersinnen, ihm „ridicule“ zu geben. Es wird zur vollständigen Ironie. Ich möchte solchen Schwulst zuweilen die tollste Kriecherei der Lyrik heißen. Z. B. die Patrie, aus Gelegenheit einer Rundreise [5] des Staatsoberhauptes. Um mit dem Kaiser zu reisen, erklärt u. A. das Blatt, müsse man „Luchsaugen, Hirschbeine und einen Straußenmagen“ haben, um diese „eben so lehrreichen als feenhaften Course“ mitzumachen.
Wie unter Septimius Severus der Senat decretirte, es müsse sich zu Rom in jedem Hause eine Kaiserbüste finden, so trifft man im heutigen Paris in jeder Localität, ich weiß nicht, ob auf höhern Befehl oder aus Schmeichelei, ein Conterfei von Louis Napoleon. Auf mich hat es den seltsamsten Eindruck gemacht, als ich das erste Mal, in eines der Schlachthäuser tretend, in der blutigen Halle, mitten unter dem todten Fleisch, an der Wand die Büste des jetzigen Kaisers gewahrte, pomphaft mit Trophäen umringt, mit Waffen und Fahnen geschmückt. Ist die Welt wahnsinnig geworden? fragte ich mich. Soll das Hohn sein? Die italienischen Schlachtfelder haben die gräuliche Allegorie, vor der mir ahnungsvoll schauerte, nur zu sehr gerechtfertigt. Es soll mich wundern, wenn er sich nicht bald selbst das Strahlendiadem aufsetzt, welches die solenne Vorstellung des Divus, des vom Senat consecrirten Cäsars, verlangt.
Betrachten wir die Rückseite der Medaille. Es würde sich nicht ziemen, wenn ich die Persönlichkeit nennen wollte, von der man in manchen Salons zu urtheilen sich vermißt: „Er sieht aus, wie ein ausgebalgter Raubvogel.“ – Etwas Verwandtes liegt in der ganz unbefangenen Bemerkung eines Deutschen, nachdem ihm gelungen war, was er längst neugierig gewünscht, einen gewissen Löwen des Tages von Angesicht zu Angesicht zu erblicken: „Er sieht interessant aus, aber er hat auf mich den Eindruck von einem Räuberhauptmann gemacht.“
Ich erinnere mich, als Kind in einem der königlichen Schlösser Bayerns, entweder in der Residenz selbst oder zu Schleißheim, ein für den ersten Napoleon prächtig ausgestattetes Schlafgemach gesehen zu haben, in welchem er eine Nacht zubrachte, und das der Castellan mit der Bemerkung zeigte, der Kaiser habe sich nicht getraut, sich hinter die rothsammetnen von Goldstickerei strotzenden Vorhänge zu legen, auf denen seine Chiffern, seine Kronen und Wappenbilder funkelten, sondern auf dem Sopha geschlafen, weil er fürchtete, in dem schweren Baldachin möchte ein Anschlag auf das Leben lauern, eine Höllenmaschine, weil er fürchtete, seine eignen Kronen möchten ihn selbst zerschmettern, seine eignen Wappen ihn selbst ersticken. Die Reminiscenz an diesen früheren Vorgang hat einer der jüngsten Zeit mir wieder angefrischt.
Das geschah durch den Besuch, den der neue Kaiser bei einem süddeutschen Hofe machte, der ihn im guten Vertrauen auf sein Friedenswort und seine nachbarliche Gesinnung gastlich empfing. Man feierte den Geburtstag des heimischen Monarchen. Es ist noch früh am Morgen, kaum daß sich ein paar Personen in dem noch ganz verödeten innern Schloßhof blicken lassen. Unter ihnen ein bedeutender Mann am Hofe, der nach dem Appartement seines Gebieters schreitet, um vielleicht der Erste zu sein, welcher seine Glückwünsche darbringen darf. Unwillkürlich fällt sein Auge im Wandern über den Kies auf die Fenster von Louis Napoleon, welche gerade auf diesen innern Schloßhof gehen, und für den man eine Gemächerreihe mit ebensoviel modernem Luxus als Geschmack einrichten ließ. Jetzt dröhnt plötzlich ein Donner, daß die Mauern beben, die Scheiben klirren. In dem Augenblicke fährt Louis Napoleon im Hemde an das Fenster – es ist dasjenige seines Schlafzimmers – und streckt den Kopf heraus. Alles ruhig und in gewohnter Ordnung befindend, zieht er sich sogleich wieder zurück, indem er den erwähnten Herrn gewahrt und ihn mit der Hand grüßt. Die Kanonenschläge wiederholen sich in regelmäßigen Zwischenräumen – die Salven, mit denen man herkömmlich früh am Morgen das Wiegenfest des Landesvaters begrüßt. Der Kaiser, mit jähem Schreck geweckt, mochte wohl ein Attentat, eine Explosion, eine abermalige Höllenmaschine fürchten. Die Situation hat etwas sehr Drastisches. Europa, das ist der Mann, vor dem Du zitterst! … Der Moment ist nicht bekannt geworden. Nur Wenige erfuhren ihn.
Wie vorsichtig der 2. December handelt und wie weit sein Arm reicht, nur ein Beispiel. Einer meiner britischen Freunde, einer der ernstesten, gediegensten Geister, geht in diesen letzten Jahren über den Canal, um für unbestimmte Zeit in Paris wissenschaftlichen Studien zu leben. Es verstreichen Monate und Monate, und seinem Scharfsinn fehlt es nicht an tiefen Einblicken in das Räderwerk der dortigen Maschine. Allmählich stößt er aber auf Hemmnisse aller Art in seinen Angelegenheiten. Es kann ihm nicht verborgen bleiben, daß man ihn beobachtet, bewacht, daß seine Correspondenz, in welcher er von seinen Entdeckungen, seinen Ansichten über das herrschende System kein Hehl machte, von fremden Augen gelesen wird. Um sich den Verfolgungen zu entziehen und hauptsächlich seine Papiere zu retten, eilt er vor Jahr und Tag in sein Vaterland zurück. Er hat die schlagendste Ueberzeugung, ja die Beweise gewonnen, daß Louis Napoleon Plane gegen Alt-England schmiedet, sogar einen Angriff, einen Ueberfall der unvertheidigten Küstenpunkte vorbereitet. Alle diese Wahrnehmungen und dringenden Winke hat die ausgezeichnete Feder dieses Freundes in einer Broschüre niedergelegt. Allein weder in London, noch sonst irgendwo in den vereinigten Königreichen findet der sonst geschätzte Schriftsteller einen Verleger dafür. Man hat sich ja dort noch nie mächtiger in beiden Hemisphären gefühlt, als just im Augenblick, und Palmerston macht im Parlament unwiderstehliche Witze!
Von der Politik ist der Weg nicht weit zu der Kaiserin Eugenie, seit dieselbe Staatsrath hält. Die Pariser, weil es ihre Eitelkeit verletzt, daß die Gefährtin von Louis Napoleon keine Prinzessin ist, haben nicht immer Sympathie für sie entwickelt. Der Augenschein lehrte es mir bei großen Paraden, z. B. am Napoleonsfeste im August. Anfangs, wenn der Wagen der Kaiserin von St. Cloud her gefahren kam durch die Champs Elysées, rührte sich keine Stimme. Als aber der Kaiser ansprengte und, wohlverstanden, zuerst den Hut abnahm, rief die Nationalgarde: „Vive l’empereur!“ Dreimal ritt er so um den von Nationalgarden besetzten Concordeplatz, den Hut in der Hand.
Dort in der südlichen Ecke des Vendômeplatzes liegt das Hôtel du Rhin, in welchem Louis Napoleon zuerst wieder abstieg, als er nach Paris zurückkehrte. Er hatte daselbst mit der Königin Hortense gewohnt, welche erkrankt war, als ihn Louis Philippe auswies. Eine meiner Freundinnen machte bei dieser Heimkunft ein Bonmot, das sich sibyllisch bewährte: „Er ist angekommen am Fuße der Säule, und wird bald auf die Spitze hinaufsteigen.“ – Durch eines jener seltsamen Zusammentreffen, denen man in den Geschicken begegnet, und in deren Fatalismus sich namentlich die Bonaparte’s gefallen, stößt das Haus, in welchem Mademoiselle de Montijo den ersten Winter mit ihrer Mutter zubrachte, an das Hôtel du Rhin. Auch sie war am Fuß der Säule angelangt, um bald sich auf deren Spitze zu schwingen.
Ich hörte über diese Verbindung und über den Ruf der Dame manche unparteiische Urtheile von gutunterrichteten Personen. Alle stimmten darin überein, daß sich über die junge Gräfin Montijo nichts sagen lasse. Graf W., der sie noch von der Zeit vor ihrer Vermählung kannte, ihr da und dort begegnete, auch in Bädern, und durch ritterliche Wahrheitstreue den größten Glauben verdient, äußerte: „Man konnte nicht glauben, daß eine Spanierin 26 Jahre alt werden sollte ohne Abenteuer. Daher die Verleumdungen, um so mehr, als diese Heirath den Stolz der Franzosen verletzt.“ – Ueber [448] den Kaiser fügte er hinzu: „Man liebt ihn nicht – weil man ihn nicht achtet; besonders wegen seines Wandels, dem auch der Anlaß seiner Wahl entspricht: er war verliebt in Doña Eugenia, weil sie schön ist, und ließ sich mit ihr trauen, weil er sie nicht als Geliebte erlangen konnte.“ – „Mon Todo, mein Todo kommt!“ ruft die Kaiserin Eugenie, wenn sie die Schritte ihres Gemahls erkennt, springt auf ihn zu, küßt und streichelt ihn. So erzählen die in ihrem Appartement beschäftigten Frauen. Aus guter Quelle glaube ich zu wissen, daß die bangen Eltern vor einigen Jahren einen berühmten deutschen Leibarzt über den kleinen Prinzen zu Rathe zogen. Die Pariser Doctoren scheinen wegen der Teilnahmlosigkeit des Blickes einen Mangel an Sehkraft, mit einem Worte Blindheit gefürchtet zu haben. Unserem genialen Landsmann gelang es, durch glückliches Experimentiren mit einem Stabe in der Luft die Aufmerksamkeit des Kindes zu wecken: er greift nach dem Stabe – der kaiserliche Knabe ist nicht blind! Man denke sich die Wonne von Vater und Mutter!
„Sie ist’s – sie ist’s!“ rufen die Damen, sich in die Straße stellend, wenn sie vorüber fährt in ihrem vierspännigen Glaswagen, anmuthig grüßend; und Alles zieht unwillkürlich die Hüte vor der schönen Frau. Wird sie nicht gähnen im Staatsrath? Wenigstens behauptete man, daß sie in der ersten Zeit, wo sie die Krone trug, sich oft ausgesprochen, daß, wenn sie gewußt hätte, wie viel Langeweile man auf dem Throne ausstehen müsse, sie niemals Kaiserin geworden wäre. Wir sehen zum Mindesten da einen von den vielen längst verheißenen und angedrohten Fortschritten in Wirkung treten: Emancipation des Weibes. Wenn man hört, daß Eugenie im Staatsrath präsidirt, die österreichische Botschafterin bei Hofe Auffahrt hält und ihr Beglaubigungsschreiben überreicht – muß man da nicht denken, daß eine moderne Amazonenzeit anbricht?
Was die Herrschaft der Kaiserin auf weiblichem Gebiete betrifft, wollen wir sie verantwortlich machen für den verschwenderischen Kleiderluxus, den sie begünstigt, vielleicht der Industrie zu Gefallen begünstigen muß. Der kolossale Aufwand unter diesem Regiment hat etwas, das an die Verfallsperioden römischen Cäsarenthums mahnt. Damit gründet man keine Dynastien, damit vernichtet man sie nur. Die Toilette zerrüttet heutigen Tages die Familie und durch sie den Staat. Es ist Thatsache, daß die Damen gegenwärtig in Paris sich nicht mehr träumen lassen, ihre Rechnungen in den Magazinen zu zahlen, sondern froh sind, nur die laufenden Zinsen dieser Rechnungen noch zahlen zu können. Somit wäre der immer in den Vorgrund geschobene Vortheil für Handel und Gewerbe auch nicht so glänzend.
Anfangs machte sich dieser Einfluß der jungen Kaiserin dadurch geltend, daß sich die ohnehin graziösen spanischen Moden mehr in der Hauptstadt verbreiteten, die sich ihnen eigentlich schon seit der Verlobung der Herzogin von Montpensier zuneigte. Man sah von jetzt an, neben einem viel ausgedehnteren Gebrauche des Fächers, auffallend viele schwarze Toiletten in den Straßen von Paris. Zudem sandten die Pyrenäen eine Menge Gäste. Die Theater bemächtigten sich einiger Helden der Familie Montijo. Der Faubourg von St. Germain spielte in das Andalusische hinüber. Ich selbst lernte in den Salons Damen kennen, welche durch die gemeinschaftliche Abstammung von Don Guzman mit der neuen Kaiserin verwandt sein wollten und eifrig die Sonntagsmesse in der Capelle der Tuilerien besuchten. Man lernte die Castagnetten schlagen und jenen unnachahmlichen Schwung des iberischen Fächers.
Zu den wirklichen und nächsten Angehörigen der Kaiserin zählt der jetzige Herzog von Alba, welcher mit ihrer Schwester vermählt ist. Die alte Gräfin Montijo wußte derselben die beste Partie zu geben, die man in Spanien machen konnte. Ihre andere Tochter machte dann – die beste Partie in Frankreich, oder die erste doch wenigstens. Die Familie des Herzogs findet sich öfters zum Besuch in den Tuilerien ein oder begleitet die Kaiserin in die Bäder. Louis Napoleon pflegt dann eine Dame du Palais der Letzteren – die Palastdame erzählte es mir gelegentlich selbst – in sein Cabinet rufen zu lassen, um ihr den Auftrag zu ertheilen: „d’acheter des joujous pour les enfants du duc d’Albe.“ – Zuerst fiel der Herzog von Alba durch sein kleines schwächliches Aussehen in Paris auf. Daher muß er zweifelsohne derselbe sein, von dem man von verschiedenen glaubwürdigen Seiten, darunter Damen und Herren aus Madrid selbst, uns den merkwürdigen Fact verbürgt, daß dieser noch lebende Herzog Alba – schon vor seiner Geburt begraben war. Als seine Mutter ihn unter dem Herzen trug, erkrankte sie schwer. Bald blieb keine Hoffnung mehr, die Herzogin zu retten. Sie starb auf einem ihrer Schlösser, entfernt von Madrid. Als Leiche ließ man ihr, wie dies in Spanien Sitte bei Vornehmen ist, alle Kostbarkeiten, welche sie zu tragen pflegte, und deren waren nicht wenige. So ward sie in der Familiengruft beigesetzt. In einer Nacht drangen Männer aus der Umgegend oder aus dem herzoglichen Hause selbst in die Todtengenwölbe ein, den Sarg zu berauben. Am kleinen Finger der Herzogin steckte ein Diamant. Der Ring wollte nicht heruntergehen. Da sägten die Räuber den Finger ab. Von dem Schmerz geweckt, kommt die nur Scheintodte wieder in das Leben zurück. Sie richtet sich in ihren Grabtüchern auf im Sarge. Die Räuber fliehen vor dem Anblicke erschrocken, lassen aber das Grabgitter auf. Die Herzogin kehrt in ihr Schloß heim, wo man sie gleich einem Geiste empfängt. Als ihre Stunde nahte, genas sie eines Sohnes. Er soll von Kindheit an bis auf den heutigen Tag immer leichenblaß gewesen sein. Die Alabasterfarbe des gegenwärtigen Herzogs von Alba stimmt mit der Schilderung überein. Auch der Herzog von Medina Sidonia ist einmal in Paris erschienen, der vornehmste und mächtigste Grande Spaniens. Er ist ebenfalls sehr klein von Figur. Bei einem Hoffeste in den Tuilerien hörte er, wie sie spottend hinter ihm flüsterten: „Der Kleine!“ – Da wendet er sich und sagt: „In meinem Hause nennt man mich groß“ (Grand).
Wenn ich mich etwas von Doña Eugenia entfernt habe, so geschah es mit der Absicht, noch einmal zu ihr zurückzukehren, um hinzuzufügen, daß sie mir am unüberwindlichsten scheint, nicht im Staatsrathe, sondern in einem andern Reiche, in ihrem eigentlichen Reiche, das sie sich selbst erobert und gegründet hat: in dem der Blumen. Sie liebt, sie beschützt die Blüthen, ist deren Patronin im ganzen weiten Frankreich. Sie steht an der Spitze aller Blumenvereine und Blumenausstellungen. Als Huldigung für sie zaubert man die vollste Feenpracht der Flora hin. So ist die holde Frau mitten in ihrem blumenliebenden, blumenduftenden Paris, wie auf einem Blüthenthrone, die echte Blumenkaiserin.
Dieser Vorstellung entspricht die Miniature der Kaiserin, die mir Passot gezeigt, und zu der sie ihm selbst gesessen hat. Er dürfte wohl für den ersten jetzt lebenden Miniaturemaler gelten, sowie man auch das Portrait von ihr für das beste hält, das noch gemacht worden ist. Ich will es gern glauben, weil ich so nun eine ganz andere Auffassung von ihr gewann. Was mir in der Wirklichkeit einigermaßen matt erschien, ist nur die spanische Langueur. Wenn Doña Eugenia redet, dann kommt das „épanouissement“, wie sie sagen, das alle spanischen Physiognomien haben sollen, „la fleur“, wie meine Freundin Gräfin Iñes (Agnes) mich belehrt. „Im Vorbeifahren,“ behauptet Graf R., „sieht man sie nur so kalt, müde. Aber wenn sie spricht – da schmilzt alles!“ – In dieser Miniature ist es eine wahrhaft kaiserliche Erscheinung, und Geist leuchtet aus den Augen – so etwas pflegt ein Miniaturmaler gewöhnlich nicht hineinzutragen. Welche schöne Büste, welcher Schwanenhals! Ganz einfach, nur von einer Perlenschnur umwunden. Vor diesem Bilde will ich abbrechen, um nicht zu bitter, zu gellend endigen zu müssen. Die Schönheit hat immer etwas Versöhnendes. Nicht Geschichte will ich in diesen lose an einander gefädelten Anekdoten geben, nicht einmal Chronik, blos Material für den Historiker.
Der Verehrerin der Gartenlaube zur Nachricht, daß Herr Professor Bock vorläufig Leipzig nicht verlassen wird und täglich zu sprechen ist.
H. M. in L. Bedauern, von Ihrer freundlichen Offerte keinen Gebrauch machen zu können.
At. in Warschau. Der erste Jahrgang ist gänzlich vergriffen, der zweite Jahrgang ist auf antiquarischem Wege leicht zu erlangen.
S. in F. Wir können Ihnen für diesen Fall nur die „Süddeutsche Zeitung“ (in München erscheinend) empfehlen, die mit vielem Geschick und Freimuth eine gesunde nationale Politik vertritt. Die norddeutschen Blätter verfolgen mehr oder weniger dieselbe, die sogenannte kleindeutsche Richtung, und haben in neuerer Zeit viel an Frische und Entschiedenheit gewonnen.
A. F. in Moskau. Von dem „Drama in der Luft“ können wir keinen Gebrauch machen, dagegen sehen wir Ihren Artikeln über Ihre neue Heimath mit Vergnügen entgegen.
E. B. in L. Die „Schrulle“ scheint sich endlich doch Bahn zu brechen. In den höheren Kreisen der Düsseldorfer Gesellschaft werden in den lithographirten Einladungen jetzt schon Frack und Reifröcke ausdrücklich verbeten. Nur frisch vorwärts gegen alle Geschmacklosigkeiten! Hoffentlich kommt nächstens auch die Angströhre daran.
- ↑ Mauser: in der Mauser (Entfiederung) liegende Enten, welche im Juli beginnt.
- ↑ Ständer heißt beim Federwild das Bein; hier scherzweise auf den Menschen angewendet.
- ↑ Angeschossene und untergetauchte Enten sollen sich unter Wasser an irgend welchem Gegenstand anbeißen, um nicht wieder empor zu kommen.
- ↑ Sie ist überhaupt zehn Mal Mutter geworden.
- ↑ Nach Lille, September 1853.