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Die Gartenlaube (1870)/Heft 37

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1870
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 37. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Die Thurmschwalbe.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Ulrich reichte ihr bewegt die Hand. „Ja, ja, Sie haben Recht,“ sagte er. „Und ich, ich bin der Schuldigere. Ich habe nur geerntet, was ich gesäet. Schließen wir ohne Rückhalt Frieden.“

„Ja, Frieden!“ rief sie im bewegtesten Tone aus, indem sie warm seine Hand ergriff. „Zeigen wir uns die Achtung, die wir vor einander hegen, mit offener Herzlichkeit!“

Er küßte sanft ihre Hand, während sie fortfuhr: „Und nun bieten wir Alles auf, um den wahren Schuldigen zu entdecken; es ist nicht genug, daß man sagt, Sie seien es nicht; man muß auch sagen können, wer es sei!“

„Ich denke,“ fiel Graf Ulrich ein, „wer es ist, kann uns nicht dunkel sein, und der, welcher es dem Richter am besten sagen könnte, ist nicht weit. Sie haben gehört, wie der Pastor sich den Bruder des Mannes der Wehrangel nannte, und da er mir gestern Morgen anbot, seines Bruders Geheimniß – denn was konnte er anders meinen? – zu verkaufen …“

Graf Ulrich wurde hier unterbrochen. Der Richter trat heran, ihm folgte der französische Officier. Dieser hatte aus dem ziemlich mangelhaften und schwerfälligen Französischsprechen des Beamten verstanden, daß Graf Ulrich eines Verbrechens beschuldigt sei, daß das Schloß Maurach der Schauplatz einer Mordthat geworden; der Gedanke, daß er ein Geschenk seines Souveräns an einen Mann, auf dem ein solcher Verdacht gelastet oder noch laste, übergeben – er wälschte einige Worte hervor, die Graf Ulrich nicht verstand, und dabei bemächtigte er sich der Waffe wieder, die Melusine auf den Tisch geworfen, während er fortfuhr, von dem andern Säbel, dem glorreichen Säbel der Pyramiden und des Sieges von Ramanieh, zu sprechen.

Graf Ulrich wandte sich, sobald er ihn begriffen, zu seinem Schlafzimmer zurück, um dies berühmte Waffenstück herbeizuholen und dem Adjutanten zu übergeben.

„Nehmen Sie beide Waffen zurück,“ sagte er stolz, „ich bedarf ihrer nicht mehr; und Sie,“ wandte er sich gleich darauf ernst lächelnd an Melusine, „auch Sie werden kein Verlangen mehr nach dem Säbel Murat’s haben!“

„Nein,“ fiel Melusine ein, „obwohl es die beste Waffe ist, die ich sah, denn sie hat statt zum Kampf zu dienen, uns Frieden gebracht.“

„Und mich,“ fuhr Graf Ulrich fort; „mich hat sie – doch nein, nicht sie, sondern nur Ihr Verlangen nach ihr, Melusine, hat mich vom schrecklichsten Verdacht gerettet – wie soll ich Ihnen das danken?“

Sie blickte ihm bewegt in’s Auge. „Noch Dank,“ sagte sie, „Dank für eine übermüthige Laune, deren Folge war, daß ich jetzt so tief in Ihr Herz blicke?“

Der Officier hatte sich unterdeß schon mit seinen beiden Beutestücken auf- und davongemacht.




19.

Es war ein eigenthümliches und bedeutungsvolles Schweigen, in welchem nach ihren letzten Reden Ulrich und Melusine einander gegenüberstanden. Wie nach einem Sturm, wenn er dahingerauscht und vorüber ist, das Meer noch lange in hohen Wogen rollt, wogte es in Beiden fort, und Keiner fand das Wort oder suchte es nur, um dieser Bewegung einen Ausdruck zu geben. Sie hatten Frieden geschlossen. Aber es war, als ob das Gefühl der tiefen Wunden, die sie sich in dem Kampfe geschlagen, sie nicht denken lassen könne, daß es für sie noch ein anderes Schicksal geben könne jenseits des friedlichen Auseinandergehens und Scheidens, das ihnen jetzt nur noch übrig bliebe.

Eine gleichsam erlösende Wendung für Beide brachte in diesem Augenblick der freudige Tumult, der plötzlich in das Schloß hereinbrach; die Ausrufe des Staunens und des Jubels, die draußen laut wurden; der Lärm vieler Menschen, die sich die Treppe herauf und durch den Mittelsaal näherten – bis Ulrich, rasch über die Schwelle dieses Saales tretend, zu Melusine sich zurückwendend, ausrief: „Die Thurmschwalbe – Annette – dem Himmel sei Dank, da ist sie – unverletzt und heil!“

Er eilte erschüttert auf das junge Mädchen zu. Melusine flog ihr entgegen, um sie mit strömenden Thränen der Freude zu umarmen.

Annette hatte sich in ihrer energischen Erregung vor Kurzem noch so entschlossen und stark gefühlt – jetzt, da sie das Haus, wo ihre todte Mutter lag, wieder betreten, jetzt, da Alles, was sie stürmisch umdrängte, ihr den furchtbaren Eindruck des erlebten Entsetzlichen so heftig wach rief, fühlte sie ihre Kraft wieder schwinden – sie hing wie geknickt am Arme des jungen Geistlichen, den sie krampfhaft preßte, der sich, als sie unter Menschen gekommen, ihr wieder entziehen wollte und den sie festgehalten, als wolle sie ihn für ewig umklammern.

[590] „Ich sterbe, wenn Du von mir läßt!“ hatte sie leise ausgerufen.

Sie schien einer Ohnmacht nahe. Man brachte sie in Ulrich’s Zimmer und ließ sie dort sich auf einem Ruhepolster niederlegen und flößte ihr Wein ein – und dann umgaben sie Ulrich, Melusine, der Vicomte, der herbeigeeilt war, und Heinrich – der Richter hielt sich im Hintergrund, um ihr die ersten Mittheilungen nicht dadurch zu erschweren, daß sie dieselben sogleich amtlich zur Kunde genommen sähe.

Was sich aus diesen Mittheilungen ergab, die Annette, als sie sich gefaßt und gesammelt, machte – meist zu Melusine, welche vor ihr kniete und ihre Hand in der ihrigen hielt, gewendet – das war eine dunkle Geschichte von Leid, Leidenschaft und Verbrechen. Es war spät Abends am vorigen Tage, vielmehr schon Nacht gewesen – innerlich erregt und beunruhigt, wie von einer nagenden Sorge erfüllt, habe ihre Mutter nicht den Entschluß fassen können, sich zur Ruhe zu legen – endlich sei sie in ihr Schlafzimmer gegangen; nach einer kurzen Zeit habe Annette, die, ihr Haar für die Nacht ordnend, bei der Lampe gesessen, sich erheben wollen, um der Mutter zu folgen, als sich plötzlich so unhörbar wie rasch die ihr gegenüber befindliche Thür geöffnet habe – erschrocken, mit einem Ausruf der Angst sei sie emporgefahren; ihr gegenüber habe derselbe Mann, der Fremde, gestanden, der sich am gestrigen Tage schon einmal ihr genähert, um ihr einen Brief an ihre Mutter zu übergeben. Heftig, mit unterdrückter Stimme jedoch, habe der Fremde ihre Mutter zu sprechen verlangt. Wie es ihm gelungen, die unten von der Terrasse aus in den Schloßthurm führende Thür, die sie wie allabendlich gestern selbst verschlossen, zu öffnen und so in ihre Wohnung einzudringen, sei ihr ganz räthselhaft, auch seine genaue Kenntniß der Räumlichkeiten, da er über dunkle Treppen und Corridore ohne Licht und Führer den Weg heraufgefunden und sich nun nach seinen ersten Worten dem Schlafzimmer ihrer Mutter zugewendet.

Die Mutter sei, von Annettens Ruf herbeigelockt, auf der Schwelle erschienen, habe sich in ihrem Schrecken an der Thüreinfassung halten müssen, dann aber habe sie sich rasch, wie mit Hülfe auflodernden Zornes, gefaßt, sei vorgetreten – und aus dem heftigen, sich bald zu Drohungen von Seiten des Fremden, zu zornigen Vorwürfen von Seiten ihrer Mutter steigernden Zwiegespräch Beider hatte Annette trotz des Zustandes von namenloser Angst, worein dies Alles sie versetzt, das ganze Verhältniß dieses Mannes zu ihrer Mutter, das ihr so lange ein Geheimniß geblieben, erkannt und erfahren – dieser Mann war ihr Vater; er hatte trotzig darauf gepocht, daß er es sei; er hatte vielfach seine heilige Pflicht, für die Rechte seines Kindes auftreten, sie durchfechten und siegen lassen zu müssen, angerufen und betheuert; er hatte die Herzenshärte, die böse Rachsucht, den tückischen Groll ihrer Mutter, die lieber ihr Kind der Armuth und Dunkelheit überlasse, als ihre böse Leidenschaft nicht befriedige, verwünscht und verflucht. Die Mutter hatte mit Vorwürfen aus früheren Tagen geantwortet, welche Tage der bittersten Demüthigungen, der unerhörtesten Treulosigkeiten und schmählichsten Rohheiten des Mannes wider sie gewesen zu sein schienen. Und so hatte Annettens Mutter in unbeugsamem Zorne, mit tiefer Empörung und unerschütterlichen Willens dem sich nach und nach zu einer Art Raserei erhitzenden Manne gegenübergestanden und endlich ihm gedroht, sie werde durch Hülferufe Menschen herbeiziehen, wenn er nicht gehe und sie lasse.

Annettens Vater hatte hierauf, wie durch diese Drohung eingeschüchtert, sich gemäßigt und an sich gehalten. Er hatte in ruhigerer Weise ihr vorgestellt, daß, wenn jemals, sie jetzt ihr Recht geltend machen müsse, jetzt, wo der Vicomte de la Tour, der nach ihr die nächsten Ansprüche habe, nach Maurach gekommen, sicherlich in der Absicht, diese seine Ansprüche geltend zu machen, und daß es von offenbarem Wahnsinn zeuge, diesen Augenblick vorübergehen zu lassen; daß es später unendlich schwieriger sein werde, gegen die Franzosen aufzukommen, wenn diese den Besitz einmal errungen und erstritten; daß er deshalb diesen Emigranten, die er sogleich im Auge behalten, hierher gefolgt sei; und als auch diese Gründe und Auseinandersetzungen Annettens Mutter nicht erweicht, als sie hart und unbeugsam auf seiner Entfernung für immer bestanden, hatte er in fortgesetzter Mäßigung endlich nur noch von ihr verlangt, daß sie ihre Schriften herausgebe, an welchen er ein ebenso großes Recht habe wie sie, hatte selbst nach diesen Schriften gesucht, einen Eckschrank aufgesprengt und während alles dessen noch auf Annette eingestürmt, von der er verlangte, daß sie sich ankleide, um ihm folgen zu können, daß sie in ihm den Vater sehe und gehorche, daß er sie erdrosseln werde, wenn sie nicht allsogleich folge – in ihrem Todesschreck und ihrer Sinne kaum mächtig, hatte sie ihm gehorcht; da habe die Mutter im höchsten Zorn sich dazwischen geworfen und ihn von ihrem Kinde zurückschleudern wollen – nun aber sei das Entsetzliche geschehen, in neu aufflammender Wuth habe der Rasende eine Waffe gezückt – Annette konnte nicht weiter reden, als sie bis zu diesem Punkte ihrer Erzählung gekommen – sie bedeckte schaudernd ihr Gesicht mit den Händen und ein Strom von Thränen machte sich durch ihre Finger Bahn.

Daß sie in vollständiger kraft- und willenloser Gebrochenheit dann dem entsetzlichen Manne gefolgt, gab sie endlich mit abgebrochenen Worten zu erkennen – daß er ihre Handknöchel umspannend sie fortgezogen, daß ihr draußen im Wandern, Eilen, während er unaufhörlich gesprochen, als ob er in einem Rausche, im Wahnsinne rede, die Besinnung, der Muth, ihm zu widerstehen, die Willenskraft zurückgekehrt, und daß sie in der Nähe der Fähre, über die er sich retten wollte, durch ihre Drohung, die Fährleute zu Hülfe zu rufen, ihre Freiheit wieder errungen; daß er fluchend verschwunden, in Dunkel und Nacht. – –

Es war damit Alles klar und offen gelegt, über jedes Thatsächliche war Licht gegeben, wenn auch die Vorgeschichte der beiden unglücklichen Menschen, die Entwicklung ihres Verhältnisses, das zu so tragischem Ende gekommen, und die inneren Momente des Conflicts ihrer Naturen, der nun durch ein so blutiges Verbrechen gelöst war, in den Einzelheiten unaufgehellt blieb. Der Einzige, der hier ergänzen konnte, war der Pastor Lohoff. Es war offenbar, daß er einen Theil des Vertrauens seines Bruders besaß, obwohl doch nicht völlige Offenheit zwischen Beiden bestanden haben mochte; schwerlich hatte der Pastor mit Wissen seines Bruders dem Grafen Maurach sein Geheimniß zu verkaufen sich erboten, mochte dies, wie wahrscheinlich, ja gewiß, auch um das sein, daß der Vicomte und seine Tochter Erbansprüche auf Maurach besäßen und geltend zu machen gekommen. Doch mochte auch sein, daß beide Brüder diesen Schritt des Einen unter sich abgekartet. Es konnte dem Manne der Wehrangel vortheilhaft scheinen, daß Graf Ulrich, wider seine Gäste aufgereizt, sie aus dem Schlosse weise und ihnen die Schritte, welche sie zu thun beabsichtigen könnten, erschwere, die Hülfsmittel, welche er ihnen gewährte, wieder entziehe.

Aber der Pastor war nicht da – man wußte nicht, wo er war, und sowohl Annette wie der junge Geistliche fühlten ein Widerstreben, den Unglücklichen der Verborgenheit zu entziehen, in welcher er sich hielt.

Zunächst war Aller Beflissenheit Annetten zugewendet, um ihr Trost und Fassung zu geben, während der Richter einen Augenblick wahrnahm, um Ulrich verworrene Entschuldigungen zu machen und seine Trostlosigkeit an den Tag zu legen, von so gründlichem Irrthum verführt, so vermessen wider ihn aufgetreten zu sein. Es war für Annette wohlthätig, daß sie die Betheuerungen, welche der Beamte hinzufügte, nicht vernahm, was man Alles aufbieten werde, um des Schuldigen habhaft zu werden; es wäre für sie, die nur mit Schrecken daran denken konnte, ihren Vater in den Händen der menschlichen Gerechtigkeit zu sehen, und die Gott anflehte, daß er ihn seine Strafe nur in seinem eigenen Bewußtsein finden lasse, eine unnütze Pein gewesen – der Flüchtige hatte viel zu viel Vorsprung gewonnen, als daß es wahrscheinlich war, daß der in jenen Tagen noch ziemlich lahme Arm der Strafjustiz ihn erreichte. Jede Grenze gewährte ja damals noch einen zeitweiligen Schutz, jeder Heerkörper, in den man sich aufnehmen ließ, jede Fremde, in die man flüchtete, eine Art Asyl.




20.

Es waren etwa drei oder vier Tage vergangen. Ueber der unglücklichen Gräfin Ernestine Maurach oder Frau Wehrangel, wie sie sich genannt, hatte sich die Gruft ihrer Familie in der Dorfkirche geschlossen. Melusine hatte Annette in ihren besonderen Schutz genommen; sie war zärtlich besorgt und aufmerksam für sie, wie nur eine Schwester es hätte sein können. Sie umgab sie während der Stunden des Tages, sie theilte mit dem armen, die Nächte fürchtenden Mädchen ihr Lager.

So hatte Annette endlich sich selbst wiedergefunden, und war auch noch der tiefe Ernst der Trauer auf ihrer bleichen Miene, so [591] hatte, was ihre Seele an ihrem natürlichen Elemente, der harmlosen und stets frisch quellenden Heiterkeit, verloren, sich in ihr durch eine eigenthümlich muthvolle Entschlossenheit ersetzt. Eine Weile hatte sie einsilbig und wie still sinnend ihre Umgebung beobachtet, die jetzt in seltsamer Gespanntheit und Befangenheit zusammen verkehrte. Durch die Erlebnisse, die Alle so nah berührten, auch innerlich nahe zusammengeführt, fühlte sie sich in einen engen Kreis der Interessen gebunden und dann durch ihre gegenseitigen Verhältnisse wieder in eigenthümlichster Weise sich einander gegenübergestellt. Wie furchtbar aber dies auf Allen lastete, es war doch Keinem möglich, schien es, das Eis zu brechen, um sich mit voller Offenheit entgegenzutreten. Melusine sprach wiederholt mit ihrem Vater davon, daß sie nun ohne Verzug weiter wandern müßten, daß ihnen nichts übrig bleibe, als Abschied zu nehmen und einzig ihre Hoffnungen auf die französischen Aussichten zu stellen. Und wenn ihr Vater dann resignirt antwortete: „Wohl denn, so laß uns ziehen; ohne Hülfsmittel, wie wir gekommen,“ dann schien doch wieder Melusine der Muth zu fehlen; sie bat inständig den Vater, von ihrer Abreise noch nicht zu reden; sie seien Annetten, über welche doch zum Unglücke nur ihre Ankunft allein die schreckliche Katastrophe gebracht, allen Trost, alle Stütze schuldig; welche sie ihr bieten könnten, und noch bedürfe Annette ihrer. Graf Ulrich war schweigsam; er schrieb Briefe, er verkehrte mit seinem Rentmeister; gegen Melusine hatte er eine gewisse stille Aufmerksamkeit; so zurückhaltend er in Worten gegen sie war, lag doch etwas von fortwährender Aufmerksamkeit gegen sie in seinem Wesen – man hätte mehr von dem Betragen eines Bruders, als eines Liebenden darin finden können – von einem solchen verrieth sein ganzes Wesen nichts.

Eines Nachmittags, als er, Papiere in der Hand, von seinem Rentmeister zurückkam, sah er den jungen Geistlichen neben Annette auf einer Bank unter den Kastanien der Terrasse sitzen. Der junge Geistliche sah mit gerunzelter Stirn sehr düster drein; doch sah Ulrich, als er näher kam, Thränen an seiner Wimper hängen. Die Thurmschwalbe blickte ruhig Ulrich entgegen.

„Ich will es so!“ sagte die Thurmschwalbe ruhig. „Ihr habt Alle keinen Willen hier, und darum soll der meinige gelten. Du weigerst Dich, ihm zu gehorchen, Heinrich – und Du sollst sehen, daß ich Stärkere als Du unter meinen Willen zwinge – zum Beispiel den Grafen Ulrich hier, der, das wirst Du einräumen, stärker ist als Du.“

„Und wozu wollen Sie mich zwingen, Annette?“ fragte mit flüchtigem Lächeln Graf Ulrich, an den sie ihre letzten Worte gerichtet hatte.

„Daß Sie ehrlich seien, Graf Ulrich!“

„Mein Gott,“ fiel der Graf hastig ein, indem er tief erröthete, „glauben Sie denn, ich bedürfte dazu, von Ihnen gezwungen zu werden? Wenn ich zögerte, mich Ihnen gegenüber auszusprechen so geschah das ganz allein aus Scheu, den Gegenstand zu berühren; ich dachte, es sei nicht tactvoll, schon jetzt Sie mit geschäftlichen Dingen heimzusuchen, und was die Hauptsache angehe, so würden Sie stillschweigend voraussetzen, daß ich – ehrlich sei! Ich habe mir eben die letzten Abrechnungen des Rentmeisters geholt – da nehmen Sie sie – Sie können den ganzen Betrag der Einkünfte von Maurach daraus ersehen, den ich von meinem Eintreffen hier bis jetzt bezogen habe und Ihnen zurückerstatten muß …“

Annette sah ihn verwundert an, während er so sprach, dann, wie sich sofort in seinen Gedankengang findend, sagte sie: „Es ist wohl eine hübsche Summe, die Sie mir schuldig sind?“

„Immerhin ein paar tausend Thaler, wozu noch der Preis des Pferdes kommt, das ich nicht befugt war zu verschenken …“

„Und das,“ sagte Annette lächelnd, „ich Ihnen sehr, sehr hoch ansetzen werde! Ach,“ fuhr sie dann in verändertem Tone fort, „wie thöricht ist das! Sie sind so stolz und glauben, unter Ihren Willen müßte sich Alles beugen – die arme Thurmschwalbe müßte in demüthiger Bewunderung Ihrer Delicatesse sich von Ihnen baar auszahlen lassen, was Sie doch im besten Glauben an sich genommen und wofür Sie auch die Sorge und Last der Verwaltung dieser Herrschaft gehabt haben! Sie irren, Herr Graf, unsereins hat auch ein Recht, stolz zu sein und das zurückzuweisen, was ihm nicht zukommt, was er nicht will! Sie haben eine ganz andere Pflicht der Ehrlichkeit, und von der wollt’ ich reden.“

„Und welche wäre das, Sie stolze Dame?“

„Mit Fräulein Melusine zu reden.“

„Worüber?“

„O, Sie verstehen mich. Oder nicht? Muß ich Ihnen sagen, daß ich recht wohl durchschaue, was in Ihrem Herzen vorgeht, nachdem ich Melusine zu Geständnissen bewogen, die mir genug Fingerzeige gaben, um klar zu sehen? Sie sollen reden zu ihr, wie es Ihnen um’s Herz ist – das verlangt die Ehrlichkeit von Ihnen …“

Graf Ulrich hatte sich, ein wenig entfernt von ihr, auf die Bank niedergelassen. Er sah vor sich nieder, bis er nach einer Weile, noch immer zu Boden blickend, sagte:

„Ich glaube kaum, Fräulein Annette, daß Sie, so wie Sie sagen, Alles durchschauen, Alles wissen, was sich zwischen uns ereignet hat, zwischen Fräulein Melusine und mir! Was Sie aber vielleicht wissen, ist, daß ich ihr meine Hand angeboten habe und daß sie dieselbe ausschlug und ziemlich schnöde obendrein; und ich glaube, das genügt, um Ihnen zu zeigen, daß ich nicht mehr darauf zurückkommen kann.“

„In der That – genügt das?“ rief eifrig Annette aus, „genügt das, um Ihnen das hochmüthige Bewußtsein zu geben, wie männlich und vorwurfsfrei Sie ihr gegenüber dastehen; genügt das, um Ihnen Ihr Betragen zu dictiren, welches eine ganz häßlich egoistische Ausbeutung des Vortheils ist, den diese Thatsache Ihnen gegeben hat? Wissen Sie, welchen Eindruck Sie mir machen mit Ihrem abscheulichen zugeknöpften Wesen gegen Melusine? Als ob auf der Stirn geschrieben stünde: ich bin der Beleidigte, der Edle, Verkannte, der großmüthige Verzeiher; an ihr ist’s, sich zu demüthigen, und Vergebung flehend mir entgegenzukommen …“

Graf Maurach schüttelte den Kopf.

„Wenn mein Betragen diese Auslegung zuläßt –“ sagte er; aber Annette unterbrach ihn:

„Ja, ja, diese Auslegung ist die einzige, die man ihm geben kann,“ rief sie aus, „und so ist’s sehr wenig großherzig und sehr stark egoistisch, sehr männlich …“

„Dann,“ fiel er ein „bleibt mir nichts übrig, als zu gehn!“

„Gehn? Aber um’s Himmelswillen wohin wollten Sie gehn?“ fragte Annette verwundert.

„Wohin mein Schicksal mich führt – in die Welt – in Kriegsdienste, wo immer ich eine Stelle finde!“

„Ah bah,“ rief sie aus, „welche Gedanken!“

„Ich meine, sie liegen sehr nahe,“ versetzte Graf Ulrich. „Und sie enthalten zugleich die beste Antwort auf Ihre Forderung, daß ich mit Fräulein Melusine reden soll, wie Sie sich ausdrücken.“

Annette schwieg eine Weile. Dann sagte sie, den Arm plötzlich auf die Schulter des neben ihr sitzenden jungen Geistlichen legend:

„Heinrich, ich thue Dir Abbitte. Ich habe diesen Grafen Ulrich für stärker als Dich gehalten – ich sehe, er ist just vom selben Stoffe wie Du!“

Heinrich sah sie schmerzlich lächelnd an, ohne zu antworten. Graf Ulrich fragte:

„Woraus schließen Sie das?“

„Er sagt,“ versetzte Annette, „er würde es mit seinem Gewissen vereinigen können, voreilig geleistete Gelübde, die er auf sich nahm, ohne zu wissen, was er that, zu brechen, wenn ich nicht die Erbin und Herrin von Maurach wäre. Nun aber, und da er ein blutarmer Mensch sei, litte es seine Ehre, sein Gewissen nicht, seinem Herzen zu gehorchen! Und Sie, Sie sagen mit demselben Egoismus, nun, da Sie ein blutarmer Mensch seien, litte es Ihr Gewissen nicht, Ihrem Herzen zu gehorchen. Seid Ihr nicht Alle trübselige, schwache, thörichte, verächtliche Sclaven Eures Hochmuths? Der blutarmen Melusine haben Sie Ihre Hand geboten. Jetzt, da Sie blutarm sind, verbietet es Ihnen Ihr Gewissen, oder wie Sie es nennen, Melusine Ihre Hand zu bieten – o, es ist empörend, wenn es nicht so kindisch thöricht wäre! Ist es nicht, als ob in Euch Männern ein einziger Drang, Euch zu bewundern, ein jedes andere Gefühl in Euch erstickender Durst nach Großthun vor Euch selber wäre? Und wenn Ihr ihn nicht befriedigen könnt durch ein wirklich edles Thun, durch eine edle, wirklich gebotene Aufopferung, so schiebt Ihr Eure Ehre vor, diese jämmerliche Marionette, an welcher hundert Fäden hängen, die Ihr bald so, bald so zieht. Sie fordert, wie’s Euch gefällt, bald dies, bald das Opfer von Euch; das Opfer aber, das Ihr auf ihrem Altare [592] darbringt, ist nichts als Weihrauch für Euren Hochmuth! Und nun hört, was ich beschlossen habe, was ich will, was ich durchsetzen werde, da ich ja doch der einzige Vernünftige unter Euch Allen bin, obwohl genug geschehen ist, um mich um mein bischen Verstand zu bringen! Ich reise mit dem da – er ist ja viel zu schüchtern und muthlos, um so etwas selber durchzusetzen, nach Rom zum Papst, und laß ihm den dummen schwarzen Rock ausziehen, den er angezogen hat, als er noch gar nicht wußte, was er that; ich werde mit dem alten Manne in Rom schon reden, ich werde ihm Geld, viel Geld für irgend eine Brüderschaft, ein Kloster, eine Stiftung, an der sein Herz hängt, geben, und er wird ja doch Vernunft annehmen …“

„Dazu müßt’ ich doch meine Einwilligung geben,“ sagte Heinrich die Lippen fest zusammenpressend.

„Unterdeß,“ fuhr Annette, ohne auf diesen Einspruch zu achten, eifrig fort, „bleiben Sie, Graf, hier in Maurach und bleiben für immer hier, denn ich bedarf eines Beistandes und Freundes, der mir meine Herrschaft, all’ mein reiches Gut ehrlich verwaltet. Ich bedarf dessen, ich wüßte nicht einen Tag lang fertig zu werden ohne einen solchen Beistand, und ich will deshalb nicht, daß Sie je von hier gehen – ich will es nicht, hören Sie, Graf, – und soll ich die Erbin von Allem sein, um meinen Willen nicht zu haben? Aber ich will noch mehr; ich will, daß mein Reichsverweser und Statthalter ein solider verheiratheter Mann sei, den eine verständige Frau im Zügel hält; glauben Sie, ich würde einem so wilden, ruchlosen Menschen, wie Sie sind, Graf, vertrauen, wenn Sie nicht Melusine neben sich hätten? Nimmermehr, und nun gehen Sie, bieten Sie ihr Ihre Hand an, und nehmen Sie mir wenigstens die Sorge dafür ab …“

Graf Ulrich schüttelte traurig den Kopf, Heinrich aber sagte leise:

„Du bist ein Kind mit diesen Plänen, Annette …“

„Und habt Ihr bessere?“ unterbrach sie ihn aufwallend, „sprich, habt Ihr bessere? Nein, Ihr habt sie nicht, aber ich habe einen besseren im Rückhalte, wenn Ihr Euch widersetzt, um Euch Alle zu strafen …“

„Und der wäre?“ fragte Graf Ulrich.

„Der ist,“ sagte sie heftig, „und ich schwöre Euch, daß es mein heiliger Ernst ist – der ist, unsrem Pfarrer unter der Bedingung, daß er Heinrich die Lösung von seinen Gelübden verschafft, ganz Maurach mit Allem, was dazu gehört, zu einer Stiftung, einem Hospital, einem Waisenhause zu übergeben. Macht Euch darauf gefaßt, daß dies geschieht, und dann, dann habt Ihr Alle nichts, sammt und sonders, und die arme Thurmschwalbe ist dann so arm, nein, viel ärmer als zuvor. Jetzt überlegt’s, ob es Euch praktisch erscheint, bei Euren Ehrenscrupeln zu verharren!“

(Schluß folgt.)




Der letzte Krieg um den Rhein.
Nr. 3. Im Bivouac der sächsischen Truppen.

Das Leben im Bivouac, das den meisten Ihrer geehrten Leser aus Friedenszeiten bekannt sein dürfte, nimmt im Kriege, durch die Noth und den Ernst der Verhältnisse bedingt, einen ganz neuen, ursprünglicheren Charakter an. Wie viele Rücksichten, die der Friede dem Soldaten auferlegt in Bezug auf Situirung des Lagerplatzes und Herbeischaffung von Lebensmitteln, fallen im Kriege zum größten Theile weg, und das praktische Bedürfniß des Soldaten tritt in den Vordergrund. Ein Bivouac, das diesem vor Allem entsprach und das jedem Theilnehmer in der freundlichsten Erinnerung bleiben wird, war das erste Bivouac des Schützenregiments am 6. August bei Kaiserslautern.

Das Hauptquartier des Kronprinzen von Sachsen in Homburg in der Pfalz 7. August.
Nach einer Skizze von Gey.


Gegen ein Uhr langten wir hungrig und müde bei gelindem Regen in einem herrlich grünen Thalkessel an, der fast auf allen Seiten durch steil ansteigende Wiesen und Wälder begrenzt war. Kurz nach unserer Ankunft hellte sich das Wetter auf, und bei herrlichem Sonnenscheine begann sich das fröhlichste Lagerleben zu entwickeln. Nachdem im Grunde die Bataillone die Gewehre in symmetrischer Ordnung zusammengestellt hatten, eilte jeder den ihm zufallenden Theil der Arbeit auszuführen. Während die Zimmerleute theils am Berge die nöthigen Kochlöcher gruben, theils in den Wald eilten, um Bäume zu fällen, wendete sich eine Abtheilung einem nahen klaren Wasser, dem Lauterbach zu, um das zum Kochen und Trinken nöthige Wasser zu holen. Andere „fassen“ Fleisch, Reis, Salz, Brod und Kaffee, während noch Andere das Stroh zum Nachtlager herbeischaffen. Von den herbeigeschleppten Bäumen werden eiligst mit dem Seitengewehr die Aeste entfernt, und während mit unglaublicher Schnelle riesige Flammen zum Himmel lodern, entstehen unter der Hand geschäftiger Künstler an der Berglehne hin wohnliche Laubhüttem. Das fertig gewordene Mahl, gewürzt durch einen Trunk aus der Feldflasche oder ein Glas Bier, das der vielumschwärmte Marketender herbeigeschafft hat, vereinigt endlich die verschiedenen Corporalschaften, und nach demselben giebt sich jeder, dem Charakterbedürfniß nach, entweder dem Reinigen seiner Waffen und Montirung oder eifriger Unterhaltung oder auch dem Schlafe hin. Unterdessen wird es Abend, die Feuer lodern heller und heller, der Mond und die Sterne finden sich nach und nach ein und die andächtige Ruhe einer klaren Augustnacht lagert sich mehr und mehr über das rührige Treiben. Der Anblick des Lagers um diese Zeit von der Höhe, wo der einsame Posten das wachsame Auge nach allen Seiten hinsandte, war ein so rein poetischer und malerischer, noch gehoben durch die melancholischen Klänge der Retraite, daß er eine ganze Woche mühseliger Strapazen aufwog.

Einen ganz anderen Charakter trug hingegen das Bivouac, das wir zwei Tage später bei Erbach und Homburg bezogen. In [593] letzterer Stadt hatte sich Tags zuvor das Hauptquartier des Kronprinzen von Sachsen befunden. Er hatte im Gasthause zur Pfalz sein Absteigequartier genommen und ihm zu Ehren war nicht nur dieser Gasthof reich mit Fahnen decorirt wie es Ihre an Ort und Stelle aufgenommene Abbildung zeigt, sondern auch fast jede Straße der Stadt. Wir selbst mußten freilich mit einem weniger behaglichen Quartier vorlieb nehmen, am 8. August langten wir auf dem zwischen Erbach und Homburg gelegenen, offenen, Wind und Wetter ausgesetzten Stoppelfelde an, und nachdem wir bei drohendem Regen schnell und ohne besondern Humor unsere körperlichen

Im Lager des sächsischen zweiten Ulanen-Regiments.

Im Bivouac bei Habkirchen am 9.–10. August.

Nach einer Skizze von Gey.

Bedürfnisse befriedigt hatten, warf man sich zeitig auf’s Lager. Da begann nun ein Regenguß, wie ich mich wenige erlebt zu haben erinnere. Eine Stunde lang trotzte ich ihm, in meinen Mantel gehüllt, auf spärlicher Streu. Als aber der Tümpel, der sich mit der Zeit unter mir gebildet, meine eine Seite vollständig durchweicht hatte, während die andere dem strömenden Regen nicht mehr widerstehen konnte, erhob ich mich, um durch herumlaufen und gewaltsame Bewegung meine erstarrten Glieder zu erwärmen. Mehr und mehr der anscheinend Schlafenden verließen ihr nasses Lager und bald sah man in der Dunkelheit schwarze fluchende Gestalten durcheinander wogen und Schutz bei den nur nothdürftig gelingenden Wachtfeuern suchen.

Da war es der Hauptmann meiner Compagnie, der wieder zur rechten Zeit eingriff, ein Mann, der hinter rauhem Wesen eine oft wahrhaft rührende Fürsorge für das Wohl seiner Compagnie verbarg; mein Hauptmann war es, sage ich, der auch in diesem Falle durch persönliches Aushalten im Unwetter und umsichtige Anordnungen die Entsetzlichkeiten der Nacht zu mildern wußte. Zuerst ließ er ungeheure Quantitäten Holzes herbeischaffen, so daß in Kürze mehrere gewaltige Brände zum Himmel emporloderten. Um einen derselben gruppirte sich der Hauptmann mit seinen Officieren, Unterofficieren und einem großen Theile der Compagnie und ein Fässchen vortrefflichen Weines, die Frucht einer vom Geldbeutel des Hauptmanns unterstützten Requisition der jüngsten Tage, wurde angestochen, worauf der Becher stetig unter der frostigen und nassen Gesellschaft circulirte. Dem strömenden Regen zum Trotze wurden alle die poetischen, theils lustigen, theils melancholischen Soldatenlieder hervorgesucht und aus einer so großen Zahl lustiger Männerkehlen brauste manch’ kerniges Lied zum Himmel – dazu in der Mitte die lodernden Flammen ringsum die grell beleuchteten gestalten in ihren langen schwarzen Mänteln und dahinter die undurchdringliche Nacht und das Plätschern des Regens.

Der schönste Augenblick war, als der Hauptmann, nachdem einer von uns in kurzen herzlichen Worten ein begeistertes [594] Hoch auf den Vater der Compagnie ausgebracht hatte, von der Ehre sprach, die es ihm sei, an der Spitze einer Compagnie, zu deren Tapferkeit er das festeste Vertrauen habe, den Feind des Vaterlandes zu bekämpfen, und auf die siegreiche Heimkehr derselben ein dreifaches Hurrah ausbrachte, ein Hurrah, das dreimal kurz und donnernd, drohend und frohlockend zugleich zum Himmel aufstieg. Ein neues Hoch auf den Hauptmann folgte, und noch lange hielt sich der fröhliche Kreis um das wärmende Feuer, bis zuletzt der fort und fort strömende Regen jede Regung der ermüdeten Körper und Geister unterdrückte und nur noch trüb hinschleichende schlafwandelnde Gestalten mit Sehnsucht dem endlich erscheinende Tagesgrauen und mit diesem neuen Strapazen entgegenblickten.

Donnerstag den 11. August war es endlich, als wir Quartiermacher des sächsischen Schützenregiments der französischen Grenze zuschritten. Das Wetter war regnerisch, grau lag der Himmel über der hügeligen Landschaft, und die Straße war mit tiefem Kothe bedeckt. Wir selbst, eine Abtheilung von achtundvierzig Unterofficieren und Soldaten, meist früheren Freiwilligen, unter Führung eines Officiers, waren, im Gegensatz zur trüben Stimmung des Wetters, außerordentlich angeregt und besprachen lebhaft die bevorstehenden Ereignisse. Daß wir in so starker Anzahl vorgingen, hatte seinen Grund darin, daß die Massacrirung einer Patrouille durch die fanatischen Landleute bekannt geworden war, und in Folge dessen ein strenger Befehl für alle Verrichtungen in Feindesland doppelte Besetzung anordnete. Endlich war das letzte Dorf Deutschlands, Habkirchen, erreicht; dort fanden wir noch die Spuren eines Bivouacs, das kaum vierundzwanzig Stunden vor uns Landsleute von uns, das sächsische zweite Ulanenregiment, in der Nacht vom 9. zum 10. August bezogen hatten und dessen Wiedergabe Ihrem Künstler in bester Weise gelungen ist. Nun zogen auch wir unsern wackern Cameraden nach, die bereits die Grenze überschritten hatten. Ohne Aufenthalt ging es durch das Dorf, und indem wir der Saarbrücke eilenden Fußes zuschritten, malte sich mehr und mehr auf den verschiedenen Gesichtern die wachsende Spannung. Jetzt war der bairische Grenzpfahl erreicht und jetzt, es war zwanzig Minuten vor acht Uhr Morgens, einige Schritte weiter der französische; über den französischen Adler hatte eine kecke Hand die Worte geschrieben: „Provinz Lothringen“. Dies schlug in die ohnehin ernsten Gemüther wie ein zündender Strahl, und von der Bedeutsamkeit des Momentes für uns gepackt, brach beim Betreten der Brücke die junge feurige Schaar in ein dreifach gewaltiges Hurrah aus, daß die Pfeiler wankten und die rothen Wellen der Saar schneller vorbeiflohen. Dann wurde mit einer Begeisterung, wie sie eben nur der Moment geben kann, „Die Wacht am Rhein“ angestimmt, und mit erhobenem Kopfe und dem Gefühle gerechten Stolzes nahmen wir die Blicke der Verwunderung und Sorge der Bewohner des französischen Grenzdorfes Mannberg entgegen.
Ernst Htg.





Auf den Schlachtfeldern von Weißenburg und Wörth.
Von J. Leyser.

Es ist ein herrlich Stück Erde, durch welches die Landstraße von Landau über Bergzabern nach Weißenburg führt: Hügel und Thalgründe voll üppiger Fruchtbarkeit, zahllose wohlhabende Dörfer mit ihren weißblinkenden Kirchthürmen, von einem Menschenschlag bewohnt, der noch ein scharf ausgeprägtes Volksleben besitzt; im Hintergrund die Häupter des Vogesus, von Reben und Kastanienwäldern bekränzt; auf den Bergen die Burgen: dort die einst so prächtige Madenburg mit ihrer berühmten Rundsicht, weiterhin Landeck, das älteste Schloß im Lande, mit seinen Erinnerungen an den guten König Dagobert. Kein Wunder, daß der wälsche Nachbar seit Jahrhunderten lüstern herüberblickt, und doch, und wär’s nur um den Wein, das Land soll deutsch verbleiben! Länger schon fielen die Schatten zur Erde, als wir zu Schweigen, dem letzten pfälzischen Dorfe, anlangten, das wahrhaft idyllisch auf einem sanft abfallenden Hügel zwischen Reben sich erhebt.

Hier beschlossen wir zunächst unser Quartier aufzuschlagen, da wir vernahmen, Weißenburg selbst, das in geringer Entfernung, drunten im sogenannten „Weißenburger Loch“ vor uns lag, sei von Truppen überfüllt. Die ersten Spuren der Verwüstung traten uns entgegen, als wir das Fremdenzimmer des ländlichen Gasthofs betraten: eine Granate hatte die Wand durchschlagen und war an der Decke des Zimmers crepiert. Der Großvater des Hauses schilderte uns in treuherziger Weise, noch sichtbar erregt von den Erlebnissen der letzten Tage, den Schrecken der Dorfbewohner, als am Morgen des vierten August in den Weinbergen vor ihrem Dörfchen die dunkeln Häupter der gefürchteten Turcos allüberall emportauchten. Von hier aus, von den Höhen links vor Schweigen, leitete der Kronprinz das Gefecht, den Generallieutenant von Blumenthal und die Officiere des Hauptquartiers an seiner Seite, von hier aus flogen die Adjutanten nach der Front. Hier hatten anfangs die Jäger des zehnten baierischen Bataillons im Kampf gegen die Uebermacht einen schweren Stand. „Der baierische Oberst,“ erzählte jener gute Alte, „kam in’s Dorf geritten und sagte: ‚Wenn die Preußen nicht bald kommen, sind wir verloren.‘“ Und die Preußen kamen. „Es war wie eine Treibjagd,“ sagte mir ein preußischer Officier, „als die Turcos mit ihren weißem Gamaschen in wilder Flucht sich nach Weißenburg hinabwälzten und unsere Leute ihnen wacker auf den Pelz brannten.“

Wiewohl die müden Glieder nach Ruhe sich sehnten, so konnten wir uns doch den Wunsch nicht versagen, die Stadt Weißenburg im Dämmerlichte uns zu betrachten. An einer ununterbrochenen Wagenburg vorüber gelangten wir an den Festungsgürtel, der das Städtchen umschließt. Das deutsche Thor, durch welches man hier die Stadt betritt, zeigte in erschütterndem Bilde die verheerende Gewalt der deutschen Batterieen: der rechte Pfeiler desselben nebst einem Theile der Zugbrücke lag drunten im Stadtgraben, wie von einer riesigen Hand hinabgefegt. In den Straßen der Stadt, die noch vor Kurzem von Trümmern und Leichen, von Blut und Pulverdampf erfüllt waren, wimmelte es von Soldaten aller Waffengattungen und Volksstämme, Preußen, Baiern, Würtemberger. Verschiedene öffentliche Locale waren noch immer geschlossen; die Einwohner hielten sich meistens scheu in ihren Wohnungen zurückgezogen; Einzelne huschten hastigen Schrittes an den Häusern vorbei, oder ein paar Köpfe zeigten sich vorübergehend an den Fenstern, wenn eine Truppe deutscher Krieger unter wirbelndem Trommelschlag vorbeizog. Die Angesichter verriethen Angst und Niedergeschlagenheit, doch auch Verbissenheit und Trotz. Das sind die Nachkommen jener Väter, deren Notschrei einst so verzweifelnd über den Rhein tönte, als der wälsche Geier seine scharfe Fänge nach diesem gesegneten Lande ausstreckte. Im Gasthof zum „Engel“, wo wir in Gesellschaft einiger Officiere an köstlichem Rotwein uns labten, ward denn bereits die Revision der Landkarte allen Ernstes in Erwägung gezogen und die neuen Grenzen zu allgemeiner Zufriedenheit festgesetzt.

Golden stieg die Sonne aus Nebel und Dunst, als wir am nächsten Morgen zum zweiten Male aus dem reizend gelegenen Schweigen hinausschritten. Wie so still und friedlich lag’s nun vor uns, dies Weißenburg, einst eine gute Reichsstadt und reich an historischer Erinnerung!

Wir lenkten unsere Schritte zunächst nach dem Bahnhofe, vor wenigen Tagen der Schauplatz eines furchtbaren Handgemenges, in welchem Leichenhügel sich thürmten. Nur die zerbrochenen Fensterscheiben erinnerten noch an den Kugelregen, unter dem die Preußen und Baiern hier unwiderstehlich vorwärts drangen. Die zerstörten Geleise waren wieder hergestellt, ein geordneter Dienst im Gange, auf dem Perron wogte es hin und her von Soldaten, meist Landwehr, welche die eroberten Orte besetzen sollte. In der Nähe des Bahnhofes war ein Theil der Trophäen aufgestellt, welche in den stolzen Ehrentagen von Wörth genommen worden waren: vier Mitrailleusen (le géneral Dogerau, le géneral Gassendi, le géneral Perrodon, le géneral Hanique), sowie in stattlicher Reihe einige zwanzig Geschütze nebst Munitionswagen. Der Landstraße entlang, die nach Altenstatt am Saume des Bienwaldes hinführt, erhebt sich ein großer und viele kleinere Grabhügel, zum unabweisbaren Zeugniß, wie theuer der Sieg erkauft worden. Das schnaubende Dampfroß eilt an denselben vorüber, bald werden

[595] auch diese Hügel wieder einsinken; schon heute nennt uns kein Kreuz, kein Stein die Namen der stillen Schläfer in kühler Erde, bis auch an ihnen das Wort sich erfüllt:

„Der Pflüger pflügt darüber
Und fragt nicht nach dem Grab,
Der Wandrer zieht vorüber,
Schaut nicht auf Euch hinab.“

Der Nachmittag ward einem Gange nach dem Geisberge gewidmet, der im Süden der Stadt sich erhebt. Wir stehen hier auf einem Boden, den schon oft das Blut der Deutschen und Franzosen gefärbt hat. Mit einem kleinen Fort auf dem Geisberge begannen die berühmten Weißenburger Linien, die der Marschall Villars 1704 während des spanischen Erbfolgekrieges errichten ließ, und die mit ihren Wallaufwürfen und Verhauen bis zum Rhein sich erstrecken. Am 18. October 1798 wurden dieselben von den Kaiserlichen unter Feldmarschall Wurmser erstürmt, der greise General führte selbst die vereinigten Armeecorps zum Sturme gegen die Redouten des Geisberges.

Anfangs führt die Heerstraße durch üppige Pflanzungen hindurch, weiterhin war der weite Plan zertreten und zerstampft von Rosseshufen. Immer klarer ward’s uns, welche Todesverachtung, welch’ ausdauernder Muth allein im Stande waren, diese Höhen mit stürmender Hand zu nehmen, von welchen die französischen Batterieen aus die jeder Deckung entbehrenden Angreifer Vernichtung herabschleuderten. Wir verließen bald die Landstraße und nahmen ein Pappelwäldchen auf den Höhen zur Richtung, das man uns als den Lagerplatz der Turcos bezeichnet hatte. An einem Judenkirchhof mit düsteren Grabsteinen vorüber klommen wir einen öden Bergrücken empor, aus dessen Gestein nur da und dort die Reseda lutea in Prachtexemplaren sich erhob. In der Nähe der Pappeln begann ein weißer Streif von Patronenhülsen durch die grünen Kleeäcker sich zu winden, stumme Zeugen des Kampfes, der hier gewüthet, für uns ein Wegweiser, dessen Spuren uns nach dem Hofe Schafbusch führten. Zahlreiche Tornister, Helme, Patrontaschen, von welchen das Gehöfte umsäumt war, ließen auf die beispiellose Hartnäckigkeit schließen, mit der man sich hier geschlagen hatte. Im Garten, neben einem grünenden Hag, erhebt sich ein einsamer Grabhügel. Hier schläft in seinen Heldenehren, wie die Inschrift des schlichten Holzkreuzes kündet, „Major Freiherr Senfft-Pilsach vom ersten schlesischen Dragonerregiment.“ Tiefbewegt blickte ich auf den stillen Hügel des tapfern Kriegers, während aus Schenkendorf’s tiefgefühltem Liede mir’s am Ohre des Geistes vorüberrauschte:

„Das ist rechtes Glühen,
Frisch und rosenroth;
Heldenwangen blühen
Schöner auf im Tod.“

Wir betraten das Haus, das von Mennoniten bewohnt wird. Während die junge blühende Hausfrau, die mit ihren blauen Augen und blonden Haarflechten sofort die deutsche Abkunft verrieth, mit köstlicher Milch uns erquickte, erzählte der Patriarch der Familie, ein ehrwürdiger Greis, wie der General Douay todt und blutbedeckt in dies Zimmer gebracht wurde. Drüben neben den drei Pappeln, von wo er die Schlacht leitete, sei er gefallen. Die Wände der Stube zeigten tiefe Kugelspuren, durch die halbgeöffnete Thür des Nebenzimmers fiel mir ein Bild harmlosen Friedens in’s Auge, ein schlummernder Säugling. Bekanntlich wurde dem General Douay von einer Kugel aus einer baierischen Batterie der Schenkel zerschmettert, worauf augenblicklich der Tod erfolgte. In Weißenburg ging die Sage, er habe sich selbst getödtet, als er sah, daß Alles verloren sei.

Endlich stehen wir vor dem Gehöfte des Geisbergs. Ein alter herrschaftlicher Sitz, das Hauptgebäude stattlich und imposant, doch im monströs-phantastischen Barockstyl des vorigen Jahrhunderts. Das ganze Hofgut, von einer hohen Mauer umgeben, gewährt einen festungsartigen Anblick und mancher Preuße mußte hier sein Blut verspritzen, bis die schwarzweiße Fahne auf die Zinne gepflanzt werden konnte. Ich habe nie ein ergreifenderes Bild der Zerstörung gesehen. Das hohe Dach zertrümmert und brandgeschwärzt, die zierlichen Fenstergesimse zerbröckelt, das schöne Treppengeländer wie weggefegt, im Innern das reiche Wandgetäfel von Kugeln zerfetzt, die alterthümlichen Kamine zusammen gebrochen, die Mosaikböden der Zimmer von Trümmerhaufen verschüttet! Neben dem Hofe, in einem Obstgarten, ruhen gegen hundert deutsche Krieger in Einem großen Grabe aus von ihrer Todeswunde, ungenannt und ungekannt, wie tapfer sie auch gekämpft, aber werth, daß auch ihre Namen mit goldenen Lettern geschrieben stünden in den Herzen des dankbaren Volkes. Aber auch ihnen blühen mit jedem neuen Lenz die Blumen, auch über ihnen spannt sich der blaue Himmel und leuchten die goldenen Sterne.

Auf der andern Seite des Hofes hatte der Tod unter dem fünfzigsten französischen Infanterieregimente eine reiche Ernte gehalten. Ich habe nicht versäumt, unter den zahlreich umherliegenden Briefen eine Anzahl aufzulesen. Es ist mir aufgefallen, daß in keinem derselben eine Stelle vorkommt, die über die politische und nationale Bedeutung dieses blutigen Völkerduells sich verbreitete. Nirgends eine Spur von jener Begeisterung, die das Leben an eine große Idee setzt: der Imperator, der Erbe Napoleonischen Glanzes und Ruhmes, hatte sie gerufen, und in stummem Gehorsam waren sie gefolgt. Rührend ist der Brief einer Officiersfrau an ihren „cher et tendre époux“ , der mit den Worten schließt: „Adieu, mon cher époux, je t’aime et je t’adore et je t’embrasse de tout mon coeur.“ Die Hoffnung, welcher die Aermste sich hingab, ist hier auf Erden nicht erfüllt worden: „il faut espérer qu’avant qu’il soit longtemps il (Dieu) nous réunira ensemble, où nous serons en joie comme nous somme maintenant en tristesse.“ Mag ihr die ewige Liebe Wort halten dort hinter den Sternen!

Die Gipfel der Vogesen glühten im letzten Strahl der Sonne, als wir in’s Lauterthal wieder hinabstiegen; vor den Thoren der Stadt flackerten lustig die Feuer, an welchen die Soldaten ihr frugales Mahl sich bereiteten. Eben als wir in unsern Gasthof eintreten wollten, drang gedämpfter Trommelklang an unser Ohr: die Leiche eines preußischen Hauptmanns ward zu Grabe getragen, der seinen Wunden erlegen war; Helm, Schwert und Lorbeerkranz schmückten den Sarg, den vier Unterofficiere trugen; bayerische Krieger geleiteten die sterblichen Reste des geschiedenen Waffenbruders und gaben ihm den Feuergruß in die erkämpfte Gruft.

Am nächsten Tage bot sich uns eine günstige Gelegenheit, mit einem Bahnzug, der schweres Belagerungsgeschütz vor die Mauern Straßburgs führte, nach Sulz zu gelangen. Von Sulz nach Wörth dehnen sich die letzten Ausläufer der Vogesen. Bei Weißenburg im tief sich öffnenden Thal der Lauter thut die Pforte nach dem Elsaß sich auf; bei dem Liebfrauenberg treten die Vogesen weiter zurück, und es erweitert sich hier die wellenförmige Ebene, auf der die Landstraße nach Wörth allmählich emporsteigt. In sämmtlichen Dörfern, durch die wir wanderten, zahlreiche Lazarethe. Da und dort auf den sanft abfallenden Hügeln verlassene Lagerplätze. Ein einsames Grab neben der Heerstraße, von einem alten Nußbaum überschattet, trägt auf seinem Kreuz die Inschrift: „Siebente Compagnie des achtundfünfzigsten Regiments. Unterofficier Hinkel.“ Bei dem Dorfe Dieffenbach erreicht der Weg seine höchste Steigung, wir stehen unwillkürlich still, denn vor uns liegt die blutgetränkte Wahlstatt, auf der unsere tapferen Legionen ausruhten nach fünfzehnstündigem heißen Ringen.

Langsam senkt der Weg sich hinab. Wir stehen vor Wörth. Die Sauer und die Sulz umschließen das Städtchen und bilden gleichsam eine Insel (Wörd); daher sein Name. Rechts am Ort der Kirchhof, von einer starken Mauer umgeben, steckenweise von Kugeln zertrümmert; vor demselben ein Wall von Tornistern und Helmen. Wir betreten den innern Raum. An der Mauer neben dem Eingang ein großes Grab, in welchem die Opfer ruhen, die in den Lazarethen ihren Wunden erlegen; daneben einzelne Hügel voll Officieren. Wir notirten die Namen der Lieutenants Hengo und Post vom sechsten Infanterieregiment. Auf einem andern Kreuze, das aus Brettchen zusammengenagelt war, auf denen noch der Gepäckschein klebte „von Coblenz nach Rastatt“, stand: „Hier ruht in Gott unser Mitbruder A. W. Werner. Vierte Compagnie des sechsundvierzigsten Infanterieregiments. Friede seiner Asche.“ Auf einem Blechschild: „G. Pfeffer, Lieutenant im siebenunddreißigsten Infanterieregiment. Rupprecht vom westpreußischen Grenadierregiment Nr. 6. Lieutenant Tabor. v. Bomsdorf. “ Links von dem Orte steigen jene Weinberge hinan, in welchen die Zuaven und Turcos sich festgesetzt hatten. Dreimal stürmten hier die Unsrigen ohne alle Deckung unter dem heftigsten Kugelregen, nachdem sie zuvor die angeschwollene Sauer durchwatet. Im Hofe des Schulhauses lagen die erbeuteten Waffen hoch angehäuft, [596] darunter ein Berg von Kürassen, Helmen und Pallaschen, an jene beiden Kürassierregimenter erinnernd, die bei Morsbrunn unter dem Kreuzfeuer der preußischen Infanterie in den Staub sanken.

Im Städtchen selbst schien Alles wieder in die Geleise des alltäglichen Verkehrs treten zu wollen; die entflohenen Einwohner waren nach ihren Wohnungen zurückgekehrt, die Verwundeten, die noch vor wenigen Tagen alle Häuser, selbst die Straßen, erfüllt hatten, waren größtentheils hinweggebracht, doch flatterte vor zahlreichen Lazarethen das rothe Kreuz. Vorerst galt’s, für die Nacht einen Schlupfwinkel zu finden. Wir hatten uns bereits mit dem Gedanken eines offenen Bivouacs vertraut gemacht, als der Apotheker des Städtchens, ein Herr Trautmann, die irrenden Wanderer aufnahm. Dann suchten wir den Etappencommandanten auf, Lieutenant Pietsch aus Polkwitz, und es gereichte uns zur besten Empfehlung, daß ein Berichterstatter der Gartenlaube unter der kleinen Karawane sich befand. Herr Pietsch erbot sich in freundlichster Weise, uns hinauszubegleiten auf’s Schlachtfeld. Als wir am letzten Hause von Wörth standen, zog ein penetranter Leichengeruch an uns vorüber; ein Blick auf das Gitterthor eines Grundstücks zeigte uns ein Blatt mit der Aufschrift: „Es sollen hier keine Todten mehr beerdigt werden.“ Zweihundertundfünfzig Mann sind hier bestattet. Der Weg nach Fröschweiler steigt langsam hinan, eine halbe Stunde weit, zuerst Weinberge, weiterhin freies Feld, links und rechts in Thäler abfallend, ein coupirtes Terrain, das dem Vertheidiger die furchtbarste Position bot. So weit das Auge reichte, zeugten die in bunten grausigen Gruppen hingestreuten Tornister, Patrontaschen, Helme, zerbrochene Waffen von dieser mörderischen Schlacht, gegen die Königsgrätz nach der Aussage der Soldaten ein Kinderspiel gewesen. Ueberall ragen hier die unheimlichen Hügel empor, manche mit Kreuzen bezeichnet, während anderwärts der Griff eines Infanteriesäbels hervorragt, des Kreuzes Stelle vertretend. Inschriften lauten: „5 Officiere der preußischen Armee, gefallen am 6. August 1870.“ „37. Regim. 1 Prem.-Lieut., 2 Sec.-Lieut., 2 Unteroffic., 31 Mann. 47. Regim. 7 Mann. 50. Reg. 3 M. 6. Reg. 9 M. 9. Reg. 2 Mann.“ Wir kamen an eine Schlucht, über die der Feind geflohen war; unten waren die Flüchtigen in entsetzlichem Knäuel über einander gestürzt, während verheerend die deutschen Geschosse einschlugen; der tiefe Graben war mit Armaturstücken angefüllt, zwischen denen das hinabrinnende Bächlein mühsam seinen Weg suchte, während sich die dichten Weiden im Abendwind leise darüber hin und her bewegten.

Der hereinbrechende Abend lud zur Rückkehr. Nochmals ließ ich meine Blicke über das weite Todesfeld schweifen.

„Ein Kirchhof liegt gebreitet,
Kein’ Mauer faßt ihn ein.“

Ein tiefes Weh durchzuckte mich, da ich gedachte, wie viel Bande hier zerrissen wurden, wie viel Frag’ und Jammer um diese Gefallenen in der Ferne erschallen wird. Wie ein Garten Gottes lag die weite Thalmulde vor mir, in’s Abendroth getaucht: rechts Morsbrunn und Elsaßhausen, wo jene stolzen Kürassiere, meist riesige Söhne der Normandie, aus ihren Verhauen zum Gefecht sprengten; weiterhin Gunstatt, von wo die Artillerie der Würtemberger so vortrefflich geschossen und wo die Badenser das Gepäck des Marschalls Mac Mahon erbeutet; drüben das Blachfeld bei Gersweiler, wo der Kronprinz die Schlacht geleitet; im Hintergrunde dunkelgrüne Wälder.

Ich frug auf dem Heimwege unsern Führer, was es mit den vielerzählten und vielbestrittenen Grausamkeiten auf sich habe, deren man die Turcos, „Hyän’ und Schakal zugleich“, beschuldige. Einen Fall konnte uns Herr Pietsch verbürgen. Als ein preußisches Bataillon zurückgehen mußte, blieb ein Mann verwundet in Wörth liegen; als es wieder vordrang, waren dem Armen von Soldaten jener afrikanischen Horde die Augen ausgestochen. Mein Gewährsmann hat den so grausam Verstümmelten in seinem gräßlichen Todeskampfe gesehen. Drunten im Orte gingen zwei schwarz gekleidete Damen an uns vorüber, Mutter und Tochter; sie geleiteten die Leiche des seinen Wunden erlegenen, durch Meuchelschuß gefallenen Sohnes in die Heimath. Als die Schlacht längst gewonnen war, ritt ein Zug Dragoner in Wörth herein, aus einem Hause fiel ein Schuß und verwundete den Führer (einen Herrn v. Waldau) tödtlich; der Thäter ist nicht ermittelt worden.

Im gastlichen Trautmann’schen Hause fanden wir uns bei einer Tasse Thee noch eine Stunde zusammen, die Geschicke unseres Volkes und seiner Hoffnungen für die Zukunft erwägend. Die dienstthuende Tochter des Elsaß sprach ein so correctes Deutsch, daß mein werther Freund W. sich nicht entbrechen konnte, sie in seinem unerschöpflichen Humor zu apostrophiren: „Lenchen, Du herrliches Lenchen, Du sprichst ja ein Deutsch, wie ich’s bei Dienstmädchen meiner Heimath nie gehört habe – ja, deutsch müßt Ihr Alle wieder werden, deutsch um jeden Preis!“

Am nächsten Morgen stiegen wir nach einem Besuch der Lazarethe nochmals gen Fröschweiler hinan. Dieses Dorf hat unstreitig die Gräuel der Verwüstung am meisten erfahren. Ein verheerender Kugelregen der Mitrailleusen, Granaten und Chassepots war von hier auf unsere Truppen herniedergesaust, bis es den deutschen Batterien gelang, das feindliche Feuer zum Schweigen zu bringen. Zahllose französische Armaturstücke lagen um das Dorf, dessen vordere Häuser durchlöchert wurden wie ein Sieb; andere Gebäude waren völlig niedergebrannt; von der Kirche und dem Thurme standen nur noch geschwärzte Mauern, das brennende Dachwerk war in sich zusammengestürzt, die Emporen und Säulen der innern Kirche in ihrem Sturze mit sich fortreißend. In einer Oeffnung des Thurmes hatte ein Rothkehlchen sich angesiedelt und war nebst seinen Jungen, denen es fröhlich Nahrung zutrug, wunderbarer Weise verschont geblieben. Neben der Kirche steht ein schloßähnliches Gebäude mit schönen Anlagen. Hier hatte Mac Mahon sein Hauptquartier. Der Eigenthümer der Besitzung, ein Herr v. Türkheim, schilderte uns den „unüberwindlichen“ Marschall als äußerst sanft und freundlich, Damen gegenüber selbst schüchtern. Hinter Fröschweiler breitet sich eine Hochebene aus; hier nahmen die tapferen Baiern Aufstellung, als sie den schon erschütterten französischen Heerhaufen in die Flanke fielen und wesentlich zur Entscheidung des Tages beitrugen.

Wir wanderten noch eine Stunde weiter, gen Reichshofen zu; überall gewahrten wir in weggeworfenen Monturstücken die Spuren der wilden Flucht. Im nahen Walde kamen wir an die Stelle, wo Füsiliere des zweiundachtzigsten und achtundachtzigsten Regiments fünf Mitrailleusen genommen hatten; geleerte Patronenhülsen lagen in Menge umher. Die Wirkung dieser „Höllenmaschine“ ist nicht zu unterschätzen und auch muthige Soldaten empfanden ein gewisses Grauen, wenn sie dem unheimlichen Knattern und Rauschen dieser Geschosse gegenüberstanden, das ein Officier mit dem Hinabfallen einer schweren Ankerkette verglich. Endlich gelangten wir an den Saum des Waldes, dort, wo die Landstraße sich nach Reichshofen hinabzieht. Hier setzten wir unserer Wanderung ein Ziel. Vor uns breitete sich das frische, romantische Wald- und Bergland des alten Vogesus aus mit seinen starken Felsen und gefallenen Burgen. Wir gedachten unserer tapferen Streiter, die in zwei siegreichen Schlachten bewiesen hatten, daß das deutsche Schwert noch nichts an seiner Schärfe verloren hat. Durch diese grünen Thalgründe waren sie vor wenigen Tagen hinabgezogen unsere besten Segenswünsche sandten wir ihnen nach. Hinter sich ließen sie rauchende Trümmer und weite Leichenfelder; mit sich nahmen sie unsterbliche Lorbeeren.




Im Lager unserer Heere.
Von A. v. Corvin.
Dritter Brief.


Pont à Mousson, 22. August.

Als ich am zehnten dieses Monats von Saarbrücken fortritt, reichte man mir Ihren Brief vom siebenten August auf das Pferd, in dem Sie die in einem mir noch nicht zugekommenen Briefe enthaltenen Instructionen für die Correspondenz wiederholen. Ich verstehe vollkommen, was Sie wollen; allein es ist sehr schwieg, Ihnen zu genügen, denn für „geschlossene Bilder und Schilderungen“ hat man in dem sehr wilden Feldleben selten Muße. Umgeben von lärmenden Soldaten im Bivouac, ohne irgend einen vernünftigen [597] Platz zum Schreiben, halbverhungert und durstig, ermüdet von körperlichen Strapazen, kann die elastische Natur nicht immer ihren Humor und ihre Gemüthlichkeit bewahren. – Ob Ihnen genügen wird, was ich Ihnen geben kann, weiß ich nicht. Ich halte es für das Beste, wenn ich Ihnen ruhig erzähle, was mir passirte, wobei es an Schilderungen, Charakteristiken etc. nicht fehlen wird; allein ich kann das nicht Alles sondern und in sich selbst abgerundete Artikel daraus machen. –

Letzte Woche war es mir absolut unmöglich, Ihnen einen Brief zu rechter Zeit zuzusenden. Bedenken Sie, daß wir im fremden Lande, die Posten noch nicht hergestellt und die Feldpostbeamten nicht immer so gefällig sind Briefe zu besorgen. –

Transport französischer Gefangener.
Nach der Natur aufgenommen von W. Schaal.

Ich hatte mich in Saarbrücken zu meiner Excursion ausgerüstet. Ich kaufte das einzige Pferd, welches feil war. Es war dies ein fünfthalbjähriger Brauner, der noch nicht geritten war und die schauderhafte Eigenschaft hatte zu „kleben“, das heißt sich stets an Pferde und Wagen anzudrängen, was auf einer mit Geschützen und Militärfuhrwerken aller Art erfüllten Straße äußerst fatal und gefährlich ist. Ein ganz kleines Päckchen, in welchem meine Schreibmappe den größten Platz einnahm, war in Wachstuch eingeschlagen hinten an den Sattel geschnallt und vor demselben lag mein Regenmantel. Und was für einer! Eben angekommen bei Herrn Süßkind in Saarbrücken, gefüttert mit Seide, weit und leicht und bezahlt mit sechszehn Thalern. Reitstiefeln gab es nicht mehr; aber derselbe süße hebräische Deutsche verkaufte mir ein Paar bis über die Kniee reichende Reitgamaschen, die noch jetzt meine Wonne und ein Gegenstand allgemeinen Neides sind. Hätte ich diese nicht, wäre ich längst als Strauchdieb festgehalten worden.

Haben Sie sich je mit einem Vierjährigen gequält? wenn nicht, so verzichten Sie auf die Erfahrung. In Schweiß gebadet kam ich in Forbach an, und als ich den kostbaren Seidengefütterten vom Sattel nahm, glich er dem Kleidungsstücke einer Mumie. Die ganze Pastete war zusammengeklebt und beim Entblättern schälte sich der Gummi ab. Ich ließ also das nutzlose Ding in Forbach und verließ mich auf eine ebenfalls gekaufte rothe wollene Decke. Außerdem besaß ich drei wollene Hemden, einige Paar Strümpfe und Schnupftücher und einen ungefütterten blauen Tuchpaletot. Eine Feldflasche war in ganz Saarbrücken nicht zu haben.

[598] Am andern Morgen ging die Reise nach St. Avold. Unterwegs traf ich reitende Feldgeistlichkeit, mit der ich schon in Forbach spirituell Verkehr gepflogen und nach Wahrheit geforscht hatte, – da, wo man sie finden sollte, in vino. Der katholische Pfarrer, der seinen polnischen Küster bei sich hatte, war ein munterer junger Mann, dem seine wie ein Achtgroschenstück große Tonsur ganz pfiffig stand. Er war ein eifriger Wahrheitsforscher und bedauerte unendlich, daß er meinen Drang nach schnellem Fortschritt nicht befriedigen, respective nicht reiten konnte, wie seine nicht im Seminar erzogenen ketzerischen Collegen. Er fuhr übrigens im allerbequemsten Wagen und war mit Hundertthalerscheinen wohl versehn.

St. Avold ist ein reizend in sehr fruchtbarer, hügeliger Gegend gelegenes Städtchen, welches die Einwohner ringsum hartnäckig St. Afort nennen. Die Leute dort hatten sich noch nicht von ihrem Schrecken erholt. Sie hatten alle Fensterläden und Thüren geschlossen (es war übrigens Sonntag, glaub’ ich) und sahen merkwürdig verstört aus. Die Rohheit einzelner Soldaten hatte die Einwohner erschreckt. In einem Hause, gegenüber meinem Gasthof, „requirirte“ ein Soldat bei einem wunderhübschen Mädchen Tabak und als sie ihn nicht verstand, hielt er ihr die Pistole auf die Brust. Ich tröstete sie und versicherte ihr, daß sie keine Angst zu haben brauche, denn kein Soldat in der Armee würde auf eine Frau schießen.

Als ich am Morgen aufbrach, um nach Faulquemont zu reiten, traf ich vor der Stadt die reitende Corps-Artillerie des zweiten Corps und schloß mich der zweiten Batterie an, deren Hauptmann und Offiziere sehr liebenswürdig waren. Wir wurden im Hause einer Frau einquartiert, welche geradezu vor Angst ihren Kopf verloren hatte. Leute aus den vorliegenden Orten, meistens übrigens deutsch, waren im vollen Lauf gekommen und hatten geschrieen: „Wir sind verloren, die Preußen kommen, rette sich wer kann!“ Zugleich war das Gerücht ausgesprengt worden, daß die Preußen nicht nur alle junge Männer, sondern selbst Kinder von zehn Jahren mitnähmen, und ein wilder Schrecken ergriff die ganze Bevölkerung. Alle junge und selbst alte Männer rissen aus; man sah nichts als Frauen, die theils vor Angst zitterten, theils mit Haß auf die Soldaten blickten. Unsere Wirthin hatte ihren einzigen Sohn nach Metz geschickt. Als wir so freundlich mit ihr redeten, fiel ihr ein Stein vom Herzen, und mit der allergrößten Bereitwilligkeit sorgte sie für alle unsere Bedürfnisse. Wir mußten ihr die Bezahlung dafür aufzwingen.

Der Marsch am nächsten Tage nach Mainvillers war nicht lang. Wir kamen bei guter Zeit in’s Bivouac und richteten dasselbe in einem Obstgarten, mit sorgsamer Schonung der Obstbäume ein, während die Geschütze auf dem Felde daneben standen. Im dem Häuschen einer armen Frau auf einem Boden, zu dem wir auf einer Leiter hinaufklettern mußten, machte man für die Offiziere der Batterie und für mich eine Streu und wir schliefen ganz ausgezeichnet. Zum Mittagsessen hatte uns der Bursche pommersche Milchklöße und darauf grüne Bohnen mit Speck gekocht, die uns ganz köstlich schmeckten.

Am nächsten Tage passirten wir das königliche Hauptquartier in Herny. In Lugny begegneten wir einem Zuge, den ich anfangs für eine Menagerie hielt, die zu einem Jahrmarkt zog; allein die Fahne mit dem rothen Kreuz und die Inschrift auf den übrigens sehr hübschen Wagen belehrten mich, daß es die „Sanitäts-Gesellschaft der Pariser Presse“ war, die ich vor mir hatte. Etwa vierzig junge Leute in phantastischem Krankenwärter-Costüm wurden von einem Dutzend katholischer Geistlicher in ihrem gewöhnlichen Costüm begleitet. Die Letzteren machten Gesichter, als hätten sie eine faule Auster gegessen, und waren so tief in ihre stummen Betrachtungen versunken, daß sie meinen artigen Gruß nicht erwiderten. Die Faselhänse waren ganz gemüthlich über die Postenkette hinaus kutschirt und natürlich angehalten worden. Sie waren darüber sehr empört und der Ansicht, daß man sie, laut der Genfer Convention, wieder höchst artig über die Vorposten hinaus zu ihrer grrrande Nation und Armee bringen solle. Sie stellten das dem Könige vor. Polizeirath Stieber, der immer Spitzbube- und Mördergedanken hat, und Chef der Feldgensd’armerie ist, zitterte, daß unter den jungen Menschen vielleicht ein Fanatiker sein möchte, welcher nach dem Könige Schießversuche anstellen könnte, und ich muß gestehen, daß ich diese Furcht keineswegs ungerechtfertigt finde. Der König überließ denn auch die Angelegenheit Herrn Stieber, und dieser fand es keineswegs für zweckmäßig, so viele scharfäugige Pfaffen wieder zurückkehren zu lassen. Man dirigirte die gemischte Krankenpfleger-Gesellschaft nach Saarbrücken, wo sie reichliche Gelegenheit finden werden, Franzosen und die Bekanntschaft mit den „Barbaren“ zu pflegen, von denen sie durch ganz brutale Tapferkeit bis jetzt in jedem Gefecht geschlagen worden sind.

Unser nächstes Quartier war in Cheminot bei einem wohlhabenden Bauer. Als ich in den Hof trat, sah ich ihn mit einem langen Messer in der Hand in der Mitte stehen. Ich war überrascht, denn neben ihm, ebenfalls mit Messern, nur von kleineren Dimensionen, standen drei Weiber, alt wie die Parzen, aus deren Augen ein solcher Haß herausfunkelte, daß sie mich an durch Hunde gestellte wüthende Katzen erinnerten. Sie sannen Mord; da sie aber nicht den Muth hatten, Preußen abzuschlachten, so mordeten sie einstweilen Hühner und Tauben, und stellten sich aus Politik sehr eifrig; eine Politik, die ihnen sehr widerwärtig war, deren Nothwendigkeit ihnen aber hin und wieder durch eine drohende Geberde des Hausherrn in Erinnerung gebracht wurde. – Dieser Hausherr war in seinem Aeußern durchaus Bauer. Er trug eine blaue Blouse, benagelte dicke Schuhe und keine Strümpfe; allein sein Haus und Gehöft konnte sich mit dem manches adeligen Gutsbesitzers messen. Er hatte das Haus selbst gebaut und sehr schön eingerichtet. Obwohl er seine Betten, Vorhänge und sonstige Kostbarkeiten nach Metz in Sicherheit gebracht hatte, so sah man doch an den marmornen Kaminen und an den großen aus Nußbaumholz geschnitzten Schränken, daß der Mann nicht nur Geld, sondern auch Geschmack hatte. Seine Scheunen waren wohlgefüllt und in seinem Stalle hatte er ein gutes Dutzend kräftige Percheronpferde, wovon ihm die bösen Preußen bereits sechs genommen hatten. Er war ein Philosoph. Anstatt mit dem Schicksal zu hadern und sich in fruchtlosen Lamentationen zu erschöpfen, gab er sich alle Mühe, die Wuth der Feinde durch freundliche Bereitwilligkeit zu versöhnen. Das gelang ihm auch, und unsere Freundlichkeit versöhnte sogar die drei Höllenkatzen so weit, daß die Schwarzäugigste von ihnen in den Garten ging, um für uns Mirabellen und Johannisbeeren zu holen. –

In einem Quartier in diesem Dorfe wollten die Weiber den einquartierten zwei Soldaten den Hals abschneiden; als jedoch andere dazu kamen, verbargen sie die Messer unter ihren Röcken. Die Sache wird wohl nicht so ernst gemeint gewesen sein, wie sie mir ein Soldat darstellte; allein das ist sicher, daß die Weiber am wüthendsten sind. Franzosen sind gewöhnlich sehr geizig, um einen armseligen Franken können sie für ein Pfund Lärm machen; vollends die Weiber! Ein poulet oder ein lapin aus ihrem Stall genommen durchbohrt ihnen das Herz, und ihre Lamentationen schallen durch Berg und Thal. Die jungen Mädchen hielten sich alle versteckt; man sah nichts als alte Weiber.

Mainvillers war der letzte Ort, in welchem deutsch gesprochen wurde. Die Kinder auf dem Lande können alle deutsch, allein sie wagten nicht es zu reden, weil es ihnen von den Pfaffen verboten war. In den Schulen wurde die deutsche Sprache nicht gelehrt, so daß sie nur von Wenigen geschrieben werden kann.

Wir mußten schon gegen zwei Uhr Morgens aufbrechen. Der Marsch wurde beeilt, denn es hieß, daß man sich in der Front schlage. Ich hatte mich in den Marketenderwagen gesetzt, denn mein Pferd war gedrückt und nicht zu reiten. Der Pferdehändler, der mir Pferd und Sattel verkaufte – für hundertfünfzig Thaler – hatte mir nicht gesagt, daß der Sattel nicht der gewöhnliche des Pferdes war. Derselbe war zu eng und das Pferd bekam am Widerrist eine dicke Geschwulst, die alles Reiten außer Frage stellte. Ich war freilich unglücklich darüber, denn nun konnte ich nicht, wie ich wollte, vorauseilen. Auf unserem Wege konnten wir von Weitem ein großes Fort von Metz und auch die Kathedrale sehen.

Unser Marsch ging nach Pont à Mousson, einem Städtchen von zehntausend Einwohnern, welches in der Mitte zwischen Metz und Nancy an der Mosel liegt. Während wir geraume Zeit vor dieser Stadt hielten, passirten uns lange Züge französischer Gefangener und Verwundeter, die sich von den Schlachten herschrieben, welche in der Nähe von Metz am Vierzehnten und am Sechszehnten stattgefunden hatten.

Pont à Mousson ist eine hübsche, alterthümliche Stadt, welche von der Mosel durchflossen wird. Am östlichen Ufer derselben erhebt sich ein ziemlich hoher Hügel, auf dem die stattliche Ruine [599] eines Schlosses steht. Das Städtchen wimmelte von Soldaten, und ich fand mit Mühe ein Bett in einem kleinen Zimmerchen, in welchem bereits zwei Ordonnanzen (in einem Bette) und ein Courier aus Berlin schliefen, welchen sich General Sheridan mitgenommen hatte. Der tüchtige amerikanische General befindet sich nämlich beim Heere, er war aber nach der Front zu vorgegangen, und ich bekam ihn nicht zu sehen. –

Die Krankheit meines Pferdes quälte mich sehr, denn sie machte es mir absolut unmöglich, schnell vorwärts zu kommen. Hätte ich Geld genug gehabt, würde ich in Pont à Mousson augenblicklich eines gekauft und von verwundeten Officieren, oder sonst, wohlfeil bekommen haben; allein von dem Gelde, welches mir von Postamt zu Postamt nachlief, war noch nichts in meine Hände gekommen, und wo neues hernehmen, wenn ich mich ausgab, war mir gänzlich unerfindlich. In der allerschlechtesten Laune, geradezu unglücklich, mußte ich am Achtzehnten herumbummeln. Endlich gelang es mir, die Bekanntschaft eines Intendanturraths zu machen, der einen Wagen und Platz darin hatte und so liebenswürdig war, mir denselben anzubieten. Er wollte nach Buxières, wohin eine Anzahl von Proviantcolonnen beordert waren. Da er aber erst um sieben Uhr fortwollte, so zog ich das Anerbieten eines andern Herrn derselben Classe vor, welcher eine Stunde früher aufbrechen wollte und dem noch ein Wagen folgte. Dieser letztere gehörte einem jungen Feldprediger, der im Verkehr mit der Welt (er war lange Hauslehrer gewesen) die praktische Weisheit ergründet hatte, daß Jeder sich selbst der Nächste ist. –

Nach vielen Irrfahrten mancherlei Art kamen wir endlich in Buxières an, wo wir die dorthin bestellten Colonnen auf dem Felde fanden. Der Ort zeichnet sich durch eine sehr schöne große Besitzung aus, welche die Farm St. Marie des Baraques heißt. Auf den zierlichen aber ganz unnützen Eingangsthürmen liest man Namen der Farm und Namen des Baumeisters. In der Mitte des Gebäudes steht eine Statue der Jungfrau mit der Inschrift: „Ave Stella Matutina“. Der Besitzer dieser Farm mißbrauchte die aufgezogene neutrale Johanniterfahne, um den Franzosen die Bewegungen unserer Truppen zu verrathen. Auf der That ergriffen erschoß er einen Major und wurde aufgehängt. Seine Farm wurde ausgeplündert, und was nicht fortgebracht werden konnte, wurde zerschlagen.

Ein gefälliger, aber sattelscheuer Mehlwurm – ich meine Verpflegungsmensch mit gelbem Vorstoß an der Uniform und goldenem Portepee – lieh mir ein Pferd und ich besuchte das Schlachtfeld vom 16., welches zwischen den Orten Thionville, Mars la Tour und Gorze lag. Die Gegend bei Gorze ist sehr schön, allein das Terrain ist für militärische Operationen außerordentlich schwierig. Die Hügel sind dort steil und überall ziehen sich dichte Buchwaldungen hin. Auf dem Wege von Gorze nach Rézonville, welches an der Straße von Metz nach Verdun liegt, ist jedoch eine Art Plateau, von dem die Abhänge in breiteren Flächen abfallen. Die Franzosen versuchten es hier, durchzubrechen, um die obengenannte Straße zu erreichen, wie ich mir denke um nach Chalons zu eilen und sich dem rasch vordringenden Kronprinzen in den Weg zu werfen. Die am Angriffspunkt befindlichen Truppen waren schwach, allein das brave elfte Regiment eilte zu Hülfe und focht hier mit einem – ich kann nicht sagen beispiellosen Heldenmuth, da derselbe von deutscher Seite überall gleich war, aber mit solcher Energie und Wirksamkeit, daß der Fortschritt des Feindes gehemmt wurde, bis weitere Hülfe herankam. Von den dreitausend Helden dieses Regimentes blieben nur tausend übrig; vierundvierzig Offiziere waren kampfunfähig, unter ihnen der Oberst v. Schöning, der Oberstlieutenant v. Klein und der Major v. Ising, die indessen nur zum Theil schwer verwundet wurden. Auch das sechsundfünfzigste Regiment hat viel gelitten. An diesem Wege nach Rézonville lagen die braven Elfer in schauerlichen Massen, gegen welche an dieser Stelle die Zahl der gedeckt aufgestellten Franzosen gering erschien. Man sah nichts als Nadelflinten und Helme auf dem Boden. Das Feuer war hier ganz entsetzlich und kam aus den Wäldern, wo man den Feind nicht sehen konnte. General v. Blumenthal, der sich rücksichtslos aussetzte, verlor drei Pferde unter dem Leibe, ohne selbst verwundet zu werden. – Die beiden Garde-Dragonerregimenter versuchten eine Charge; allein sie mußten erkennen, daß die Zeit der Cavallerie vorüber ist; gegen die Chassepots können sie nicht aufkommen. Diese beiden Regimenter verloren so viele Leute und Pferde, daß aus ihnen ein Regiment gemacht wurde. Unter den todten Offizieren war Rittmeister Prinz Reuß, Graf Westehlen (ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig schreibe). Die Zahl der Todten und Verwundeten von unserer Seite beläuft sich auf mehr als viertausend. Alle unsere Soldaten sind darüber einig, daß das Chassepotgewehr besser ist, als das Zündnadelgewehr, und es ist in der That ein Glück, daß die Franzosen es erst so kurze Zeit im Gebrauch haben und noch nicht recht damit umzugehen wissen, und ferner, daß die Preußen mit ihrem Zündnadelgewehr das Mögliche leisten, da sie ruhig zielen und schießen, während es bei den Franzosen Regel ist, so viel Kugeln als möglich über den Feind zu schütten.

Als ich am 22. wieder über das Schlachtfeld kam, waren die Todten vom 16. noch nicht beerdigt, und die Elfer namentlich lagen noch; aber ihre Gesichter waren bereits schwarz.

Es war schon spät, als die Colonne, der ich mich angeschlossen hatte, sich nach Rézonville in Bewegung setzte, und finster, als wir dort ankamen. Der Ort lag voll von Verwundeten von der Schlacht, die am Tage vorher dort stattgefunden hatte und die ich versäumen mußte, weil ich kein Pferd hatte. Man sieht übrigens von einer Schlacht immer nur einzelne Momente und nie genug, um unmittelbar darauf eine getreue Beschreibung zu geben. Der Correspondent, der das unternimmt, ist in den meisten Fällen ein Humbug. Das frische Schlachtfeld dagegen ist wie ein aufgeschlagenes Buch, in welchem man die Geschichte der Schlacht in Leichenschrift lesen kann. Ich habe übrigens keinen Correspondenten irgend eines Blattes am 19. auf dem Schlachtfelde gesehen, mit Ausnahme eines kleinen beweglichen Mannes mit der Johanniterbinde und einem Fernrohr so lang wie er selbst, der etwas Kriegscorrespondenzliches an sich hatte, obwohl nichts Kriegerisches oder Militärisches.

Mit Mühe und Noth fand ich mit mehreren Intendanturbeamten ein Lager aus einer Streu auf einem Kornboden, und ich hörte mit Interesse, daß König Wilhelm die Nacht vorher auf demselben Boden zugebracht hatte, während die Prinzen unten in der Scheune sich aufhielten. Der praktische Feldprediger hatte natürlich sogleich Besitz von der einzigen Matratze genommen, die auf dem Boden lag.

Die Fenster waren zerbrochen und die Thür blieb fortwährend offen stehen, so daß man in der sehr kalten Nacht vor Frost klapperte. Ich fing auch an egoistisch zu werden und hielt eine Tags vorher gekaufte Flasche Wein zärtlich im Arm und trank sie heimlich, denn gestern hatte ich nichts als ein Stück Brod gegessen und in Rézonville war nichts zu haben, weder für Geld noch gute Worte.

Unserem Quartier schrägüber, am Anfange des Dorfes, brannten zwei Häuser im Innern, wo große Kornvorräthe aufgehäuft gewesen waren. An den glühenden Haufen kochten sich die Soldaten Kaffee. – Ringsum, so weit das Auge sehen konnte, campirten deutsche Truppen auf dem Schlachtfelde. Ich lieh mir ein Pferd, um wenigstens den Haupttheil desselben zu bereiten, und brach zu diesem Ende um acht Uhr auf.

(Schluß folgt.)




Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Ein Schlachtentag.
Zweiter Brief.

Ich schreibe Ihnen diesen Bericht aus einem kleinen lothringischen Dorfe Doncourt, zwei Meilen hinter Metz auf dem Plateau zwischen Mosel und Maas. Nach allen Seiten hin, um mit militärischem Kunstausdrucke zu sprechen, coupirtes Terrain, eine Gegend mit scharfen Hebungen und Senkungen, mit Schluchteinschnitten und scharf aufsteigenden Thalrändern, mit Dörfern, kleineren Waldparcellen und weiten Ackerflächen bedeckt und von breiten mit Pappeln bepflanzten Alleen durchschnitten; in der Ferne am Horizonte die blauen Contouren der Ausläufer der Ardennen.

[600] Seit Donnerstag den 18. August ist das Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl in Doncourt, einem Dorfe, wie alle lothringischen Dörfer, halb Stadt, halb Düngerhaufen, der eben durch das offene einzige Fenster unserer Stube seine balsamischen Düfte entsendet. Eine gewisse Wohlhabenheit in den lothringischen Dörfern ist nicht zu verkennen, wenn dieselbe auch durch die Nöthen des Krieges sehr in’s Schwanken gekommen sein mag. Ob Reinlichkeit eine Nationaleigenschaft französisch-lothringischer Bevölkerung ist, wage ich nicht zu behaupten; der Krieg ist ein Ausnahmezustand, nach welchem keine Bevölkerung zu beurtheilen ist. Bisher habe ich wenig davon gemerkt, die Leute haben überall Marmorkamine mit vergoldeten Spiegeln, aber dabei schlechte


Recognoscierung des Prinzen Friedrich Karl bei Rohrbach.
Originalzeichnung von C. Rechlin.


Wäsche, und dann sind die Reinigungsapparate, diese charakteristischen Fühler für den Civilisationszustand einer Bevölkerung, im allerschlimmsten Zustande.

Mit großer Mühe habe ich mir einen alten kleinen wackeligen Tisch erobert, um darauf schreiben zu können, in einem kleinen einfensterigen Zimmer sind rings an den Wänden die Strohlager aufgeschüttet – das Lederkissen, welches mir beim Ausmarsche von Berlin meine hochverehrte Freundin Frau B… verehrt hat, thut als Kopfkissen die vortrefflichsten Dienste; auf dem Fensterbrette stehen eine alte Lampe mit ranzigem Oel und die schönen Reste eines café au lait, der nicht zu genießen war; um den Kaffee durchzuseihen, mußten wir uns eines Strumpfes bedienen – aber zur Beruhigung füge ich bei: er war neu. Das Brod ist drei Tage alt; Butter ist natürlich ein unerhörter Luxus. Nun glaube ich an Lagen und Verhältnisse, wo man selbst Talglichte als eine Borchardt’sche Delicatesse begrüßen kann – und nach meiner nun gewonnenen Ueberzeugung gäbe es für Ehefrauen, deren Männer in Bezug auf Essen und Trinken allzu sehr verwöhnt sind, nichts Wünschenswertheres, als einen Krieg.

Alles will ich gern tragen, nur Ruhe – ein ganz klein wenig zum Arbeiten, um die verehrten Leser der Gartenlaube mit Nachrichten nicht im Stiche zu lassen. „Ruhe ist nur im Escurial“, aber in Doncourt nicht: unter mir, in einem Gewürzladen, in dem weiter nichts mehr als Stiefelwichse sich befindet, verlangen die Soldaten das Unmöglichste – Cigarren, Rindertalg, Siegellack, Hosenträger, Nähnadeln, Kalender, grüne Seife; die Frau versichert: „Je ne comprends pas!“ sie ruft das in allen Stimmregistern, aber die Soldaten verlangen, daß die Franzosen jetzt Deutsch verstehen sollen; der Disput entwickelt sich zum Spectakel, und so bleibt mir nichts Anderes übrig, als die enge Treppe hinabzustürzen und um jeden Preis Frieden zu schaffen.

Es hieße Kugeln nach Metz bringen, wollte ich die großen Waffenerfolge, welche die zweite Armee in der letzten Woche über die Franzosen errungen hat, noch wiederholen. Deutschland und Europa kennt sie. Die Idee, Metz zu umgehen und die Franzosen im Rücken dieser gewaltigen Festung anzugreifen, ist gelungen.

[601]

Prinz Friedrich Karl, Commandeur der zweiten Armee,
mit dem Chef seines Generalstabes, General Stiehle.
Originalzeichnung von Professor W. Camphausen in Düsseldorf.

[602] Bisher hatten sie immer noch ihre Angriffsfront gegen Deutschland stehen, durch diese Umgehung wurden sie zur Umkehrung derselben auf ihre naturgemäße Rückzugslinie nach Chalons und Paris zu gezwungen. Diese Rückzugslinie wurde ihnen durch die heißen blutigen Kampftage des 16. und 18. August, wo sie den Vorstoß nach Verdun machen wollten, durch den Prinzen Friedrich Karl abgeschnitten, und wenn diese Zeilen nach Deutschland gelangt sein und aus den Schnellpressen der Gartenlaube hinaus in alle Welt gegangen sein werden, dann hat sich sicherlich das Schicksal dieser so großen und wahrhaft vortrefflichen Armee erfüllt: entweder hat sie die preußische Cernirung zu durchbrechen versucht und ist geschlagen worden, oder aber sie hat sich in Metz, wo Hunger und Krankheiten zu wüthen begonnen haben, nicht mehr halten können und sich ergeben.

Man hatte am Morgen des 17. August, also nach dem Tage von Vionville, geglaubt, daß die Schlacht fortgesetzt werden würde. Der Oberbefehlshaber Prinz Friedrich Karl hatte am 16. Abends die blutige Wahlstatt erst um zehn Uhr Nachts verlassen, war am nächsten Morgen vier Uhr bereits wieder auf dem Schlachtfelde und blieb beobachtend in der Nähe desselben bis zum Nachmittage des 17., wo er in sein Hauptquartier Buxières zurückkehrte. Die Franzosen schienen keine Lust zu haben, den Kampf am nächsten Tage wieder aufzunehmen, es war ihnen am 16. zu fühlbar geworden, was brandenburgische und preußische Hiebe sind. Das brandenburgische dritte Armeecorps, dessen Generalcommandeur der Prinz bis vor Kurzem war, hatte acht Stunden lang gegen eine zweifache Uebermacht allein ohne alle Reserven im Feuer gestanden, bis das zehnte Armeecorps des Nachmittags eintraf und durch seine energischen Angriffe auf den rechten französischen Flügel dem dritten Armeecorps Luft machte.

Ehre, dreimal Ehre für Brandenburg! Aus zwei S, aus Sand und Sumpf, ist diese von allen Gegenden unseres herrlichen Vaterlandes am wenigsten begünstigte Provinz der Mittelpunkt und Kern des preußischen Staates geworden. Der Bewohner der Mark muß Alles und Jedes im Schweiße seines Angesichts dem undankbaren Boden abringen, aber dieser tägliche elementare Kampf um das Dasein stählt die Kraft, übt die Widerstandsfähigkeit und verleiht jene knorrige Zähigkeit, die namentlich dem heftigen Angriffe der Franzosen gegenüber am Tage von Vionville von solch glorreichem Erfolge war. Die hartnäckige Widerstandsfähigkeit jener vom Sand überschwemmten Gegenden im Norden Deutschlands, von der die Hohenzollern im Anfang viel zu leiden hatten, haben sich diese nutz- und dienstbar zu machen gewußt; mit Brandenburg haben sie ihre herrlichste Siege erfochten und die größten der Familie, der große Kurfürst und der große König, waren so echte rechte Naturen von märkischem Schrot und Korn, die niemals klein zu kriegen waren. Aus den Gräbern der heldenmütigen Officiere und Mannschaften bei Vionville auf der Höhe sprossen deine blutigen Lorbeeren, o Brandenburg!

Am Morgen des 18. August früh vier Uhr war allgemeiner Aufbruch aus dem Hauptquartier voll Buxières. Der Tag war kaum herauf, die Nebel lagen noch rings auf den Höhen und durch den Morgen ging ein fast schon herbstlicher Zug. „Die reiten in einen blutigen Tag,“ mußte man sich sagen, als der Höchstcommandirende und die Suite das Hauptquartier verließen; dasselbe war für den Prinzen ein einstöckiges Haus mit zwei kleinen nothdürftig meublirten Stuben, für den Generalstab ein Haus von nicht größerem Gelasse und für die Adjutanten und Ordonnanzofficier eine größere Scheune. Ich und mehrere Herren von der Armeeintendantur kamen in einem Wagen einige Stunden später nach. Wir nahmen die Straße nach Mars la Tour. Auf dem Wege dorthin begegneten wir bereits den Spuren des Kampftages von Vionville. An der Chaussee, in den Gräben, auf dem Felde lagen todte Pferde zerschossene Helme, zerbrochene Gewehre, geöffnete Tornister mit zerstreutem Inhalte. Rings umher deutete die aufgewühlte Erde an, daß hier crepirte Granaten ihre Schuldigkeit gethan hatten; in einiger Entfernung fand man die Splitter und die Zünder, und diejenigen, die davon getroffen waren, die stöhnten vielleicht noch von den Schmerze oder rangen mit dem Tode, oder sie hatten die Fahne des Lebens in der Jugend vor dem grausamen Tode schon gesenkt. So ein geöffneter Tornister mit allen Spuren des Lebens desjenigen, der es vielleicht bereits hat lassen müssen, so einzeln verstreut, gleichsam der niedergesunkene Bote und Erzähler von all dem Todesleiden und Schlachtengrauen, das dahinter liegt – das ist ein gar seltsam tief die Seele bewegendes Ding. Da liegt das Wenige, was ein Soldatenleben braucht: ein Hemd, ein Paar Stiefel, Bürsten, Putzzeug, ein Soldbuch, ein paar verknitterte Briefe aus der Heimath und in einem halbzerrissenen Couvert eine Photographie, das Bild eines jungen, hübschen Mädchens, und in das Tornisterfutter ist sauber kalligraphisch der Name des Besitzers eingeschrieben: „Zierath, 9. Compagnie, 24. Regiment.“ Das Daliegen des Soldatenstückes ist der Beweis, daß der frühere Besitzer all das Tornister- und Schanzzeug des Lebens abgeworfen hat und dahin gegangen ist, wo Aller Heimath ist.

Wir kamen auf die Höhe, wo sich die Wege rechts nach Tronville und geradeaus nach Vionville und Rezonville scheiden; ein Wegweiser stand wohl da, aber die Franzosen hatten die Namen von demselben ausgewischt. Die Sonne stand an einem wolkenlosen Himmel; da, wo vor achtundvierzig Stunden ein Geschützfeuer wüthete, wie es vielleicht in der Weltgeschichte noch nicht erhört war – denn mit solchen Geschossesmassen haben noch nie zwei Mächte sich begegnet wie jetzt die beiden größten Militärstaaten der Welt –, wo die Schlacht am wüthendsten getobt hatte, da war jetzt Stille und Friede. Unten vom Kirchthurme von Vionville herauf schlug die Uhr wie zu allen Zeiten, und links an der Straße grub man die Gräber für die braven Officiere des vierundzwanzigsten und vierundsechszigsten brandenburgischen Regiments, und siehe – es waren nicht wenige.

Auf der Höhe hielt der Prinz mit seinem Stabe, Ordonnanzofficiere mit Befehlen entsendend und Meldungen empfangend: Drüben auf den Höhe von Flavigny war eine lange Cavalcade zu bemerken; es war König Wilhelm mit seiner Suite. Rings friedliche Stille, kein Schuß war zu hören; nur die Aasgeier tummelten sich mit lautem, fröhlichem Geschrei in der Luft, ihr Festtag war angebrochen. Wir standen an einer Stelle der Straße, die noch schwarz gefärbt war; am 16. August war an derselben ein französischer Munitionswagen in die Luft gegangen und hatte vierzehn in der Nähe befindliche Pferde auf einmal getödtet. Hunger und Durst stellten sich bei uns ein; wir lechzten nach einem Trunk Wasser, und nirgends rings umher eine Quelle oder ein Brunnen; in Vionville unten war ein einziger, und ich unternahm es, mit ein paar geleerten Flaschen versehen, Wasser herbeizuschaffen. Als ich in das Dorf hinabkam – welches Bild der Verwüstung und des Grauens! Die Wohnungen waren zerschossen, kein Fenster, kein Fensterladen, keine Thür mehr ganz; auf der Straße, in den Gräben lagen verstreut zerrissene Uniformstücke, Waffenröcke, Epaulettes, Tornister, Kochgeschirre, Säbel, Gewehre, Käppis, Feze; vor den Häusern und in den Häusern lagen auf Strohsäcken oder meistens auf blankem Stroh die Verwundeten vom vorgestrigen Tage, nur erst nothdürftig verbunden; sie stöhnten in deutschen und französischen Schmerzeslauten oder riefen die Vorübergehenden um Brod, um Wasser an, und dabei drohten die zerschossenen Dächer jeden Augenblick über den Unglücklichen zusammenzustürzen. Franzose oder Deutscher, das war ganz gleich, es war ein Schmerzensschrei, ein Schrei um Barmherzigkeit, derselbe Jammer, dieselbe Noth und das gleiche Bedürfniß. „Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.“ Wehe, wehe, wehe demjenigen, über den all dieses vergossene Blut, all dieses Schmerzenswimmern, alle diese Leichen, der ganze Fluch der darniedergetretenen Civilisation und der brutal zerstörten friedlichen, glücklichen Existenzen einst kommen werden!

In einem Hause des Dorfes sollte frisches, reines, gutes Wasser sein. Ich ging mit meinen Flaschen hinein, füllte diese und brachte sie mit vollem Inhalte und wiederholt so lange, bis dem Bedürfnisse genügt war. Bei einem zweiten Gange wurde ich trotz meiner großen Eile aufgehalten und noch dazu durch eine Scene der widrigsten Art. Aus einer Nebengasse des Dorfes, die ich passiren mußte, ertönte plötzlich ein wilder Lärm. Stimmen wurden in wirrem Durcheinander laut, sehr deutsche Laute: „Die alte Hexe, das Aas, das Scheusal, sie muß gehängt werden!“ Damit deuteten die Soldaten, von denen der Tumult ausging, durch ein offenes Fester ebener Erde. Neugierig gemacht, trat ich näher und frug die Soldaten, was es denn da drinnen gäbe.

„Sehen Sie nur, dort das alte Weib, das geknebelt am Boden liegt, das hat auf dem Schlachtfelde vorgestern Verwundeten die Augen ausgestochen, anderen die Finger abgeschnitten und die [603] Ringe abgezogen. Und der Kerl, dort in der Ecke, der auch an Stricke gebunden ist, hat uns verrathen. Auf dem Kirchthurme von Vionville hat er eine Fahne geschwenkt, um die Franzosen von unseren Bewegungen zu unterrichten.“

Ich ging in die Stube, wo die Beiden waren. Der Mann lag auf der Erde und mit dem Gesicht nach dem Boden zu; weder Verwünschungen noch Stöße der Soldaten konnten ihn bewegen, sein Angesicht zu zeigen; nach dem Aeußern zu schließen, gehörte er der ärmeren Classe an, die allerdings so leicht zu fanatisiren ist. Das Weib lag auf der Seite, ein Gesicht mit herabhängenden Haaren, an welchem die Grenze zwischen Weiblichem und Männlichem aufhörte, ein Gesicht achtzigjährig, spitz und böse von Haus aus, würdig einer Macbeth’schen Hexe.

Ich hielt mich nicht lange auf, sondern füllte meine Flaschen an der Quelle und machte mich auf, nach der Höhe zurückzukehren. Auf dem halben Wege begegneten mir vier Reiter, die den Weg links nach Viot ritten und nach den Höhen von Flavigny zu hielten, ein Militär und mehrere Civilisten. Beim Näherkommen konnte ich erkennen, daß es Civildienerschaft mit Handpferden war. Der Militär trug die Uniform der halberstädtischen Kürassiere, den weißen Rock mit gelbem Kragen und gelben Anschlägen. Es war Graf Bismarck, der zu der Suite des Königs stieß.

Glücklich brachte ich meine Flaschen auf die Höhe zurück; mit Cognac vermischt, mundete der Labetrunk uns ganz außerordentlich. Bisher war Alles ein friedliches Genrebild des Krieges, das sollte sich jetzt ändern; der Tag sollte doch blutig werden; es war auch ein Achtzehnter, und diese Monatstage waren immer für die Waffenthaten der preußischen Armee bedeutungsvoll und entscheidend. Links von der Straße her, aus nördlicher Richtung wurde plötzlich Kanonendonner vernehmbar und in der Ferne sah man weiße Rauchwolken am blauen Himmel emporsteigen. Auf eine Meldung hin stieg der Prinz an Spitze seines Generalstabes zu Pferde, und fort ging es querfeldein, wohl eine Meile lang bald Trab, bald Galopp. Der Kanonendonner kam näher, der Geschützesrauch ward immer dichter. Auf einer Höhe blieb der Prinz halten. Links in nördlicher Richtung lag ein Dorf, über dessen übrige Häuser das hohe Schieferdach eines dreistöckigen Hauses weit emporragte. Die Franzosen hatten auf einer andern Straße als bisher in nordwestlicher Richtung von Metz die Rückzugslinie gewinnen wollen und waren nun auf diesem Marsche abermals von den preußischen Truppen angegriffen worden. Um das vorliegende Dorf St. Marie aux Chênes entbrannte der Kampf. Das zehnte Armeecorps unter General von Voigts-Rhetz war engagirt. Der ganze Bereich um das Dorf ist in eine Rauchwolke gehüllt, man sieht nur das hohe Schieferdach und den Kirchthurm hervorragen, das Avanciren unserer Infanterieabtheilungen nach dem Dorfe zu, das Aufblitzen unserer Geschütze, die hundertsiebenzig in eingehender Linie aufgefahren sind. Von St. Marie geht die Straße und zu beiden Seiten eine Ebene in allmählicher Steigung aufwärts nach einem auf der Höhe liegenden Dorfe St. Privat; dort sind die französischen Batterieen aufgestellt. In St. Marie haben sich die Franzosen festgesetzt; die einzelnen Gehöfte sind von Steinmauern umgeben, und aus jeder dieser steinernen Umhegungen, aus jedem Hause hat der Feind ein Bollwerk zu machen verstanden, hinter welchem hervor er seine Kugelmassen in die aufgelöst mit unerschütterlichem Muthe vorgehenden preußischen Bataillone sendet. Die Bataillone avanciren, plötzlich sieht man in den Mannschaften eine Lücke entstehen, eine Granate hat eingeschlagen, und die Eisenstücke derselben fliegen in tausend Splittern ringsum weit umher. Die Bataillone weichen nicht zurück. Von der Höhe von St. Privat herab läßt sich zwischen den einzelnen, unregelmäßigen Kanonenschlägen ein donnerndes Rasseln vernehmen, das sind die Mitrailleusen, die ihre Kugelsaat von dort zugleich als Flankenfeuer herabsenden. Die Bataillone wanken nicht. Der einzelne Mann ist nur noch ein Punkt, den man verschwinden sieht – so weit sind die Franzosen schon aus ihren Stellungen unter lautem Kanonendonner und das Gewehrfeuer übertönendem Hurrah geworfen. Endlich sind die Geschütze aus der französischen Position durch unsere wackere Artillerie zum Schweigen gebracht; dieselbe war bis in unsere Schützenlinie vorgegangen, hier Position zu nehmen und hat sich an diesem Tage dreifach mit Ruhm bedeckt; auch die „Mademoiselles“ verstummten, der Feind zieht sich aus St. Marie zurück.

Eine Zeit lang steht die Schlacht, das heißt keiner der Gegner vermag über den andern einen besonderen Vortheil zu erlangen. Mit unerschütterlicher Ruhe übersieht der Oberbefehlshaber den vor und unter ihm tobenden Kampf; von denen, die da unten gegen die Feinde vordringen, kennt kaum Einer den Zusammenhang des Ganzen, in welchem er ein wirkender Theil ist, einen vollkommenen Ueberblick hat nur der Feldherr und seine Generalstabsofficiere allein; von der Stätte aus, an welcher er hält und das Ganze überblickt, werden die Truppenmassen in Bewegung gesetzt. Theils beobachtet er mittels eines Fernrohrs selbst, theils erhält er durch die Ordonnanzen, die mitten durch den heftigsten Kugelregen kommen und gehen, die Meldungen, wie die Sachen stehen, wonach er wiederum durch den Chef seines Generalstabes die Befehle ertheilt, wann, in welcher Anzahl und von welchen Stellen die Truppentheile vorgehen sollen. Der Prinz reitet weiter; er hat den Befehl gegeben: St. Privat soll genommen werden. Die Sachsen, die preußischen Gardedivisionen vor! Die Sachsen machen eine sehr gelungene Flankenbewegung. Die Garde, mit der ihr eigenen Bravour und dem ihr innewohnenden Pflichtbewußtsein, eine Elitetruppe zu sein, geht in der Front die ansteigende Ebene hinan gegen die französische Stellung von St. Privat vor. Der persönliche Muth, das Bewußtsein, daß die Chassepots auf große Entfernungen am erfolgreichsten wirken, das Bestreben, um jeden Preis auf dreihundert Schritte nahe und zu einem Bajonnetangriff zu kommen, beflügelt ihre Schritte. Es ist ein blutiger Weg, den die Garde macht, der Commandeur des ersten preußischen Infanterieregiments, der brave Oberst von Röder, sinkt von todbringender Kugel getroffen, kein Stabsofficier bleibt unverwundet, bei dem ersten Garderegiment sowohl, als bei den übrigen – die meisten Officiere sind todt oder verwundet – und wer zählt die Mannschaften, deren Blut dieses Feld des Todes trinkt!

Aber dennoch, auch die Position von St. Privat wird genommen und die Franzosen werden mit ungeheuren Verlusten an Todten, Verwundeten und Gefangenen nach Metz zurückgeworfen. Das Tosen des Kampfes verstummt, die Sanitäts-Detachements, die Johanniterwagen jagen nach dem Schlachtfelde, um die Verwundeten von den Verbandplätzen zurückzuholen; viele von ihnen schleppen sich gegenseitig, oder allein, auf einen abgebrochenen Stab gestützt, von dem Schlachtfelde in die zunächstliegenden Dörfer. Die Regimenter kehren mit zerschossenen Fahnen zurück. Das übrig gebliebene Häuflein vom Gardeschützen-Bataillon führt ein Fähnrich, an der Queue reitet ein Officier, den zerschossenen Arm in der Binde. Die Nacht steigt hernieder und breitet ihr mit goldenen Sternen gesticktes Leichentuch über die Todten, die für Vaterland und Ehre in den Tod gesunken sind.




Ein Tag in Pont à Mousson.

Pont à Mousson, das reizende Städtchen an der Mosel mit achttausend Einwohnern, in dem ich nun schon seit acht Tagen verweile, ist berufen, eine Hauptrolle in dem gegenwärtigen deutsch-französischen Kriege zu spielen; hier hatte der König von Preußen auf längere Zeit sein Hauptquartier aufgeschlagen, hier vollzog sich zuerst der Uebergang der Mittelarmee unter Prinz Friedrich Karl über die Mosel, und dieser Punkt mußte sorgfältig gehütet werden, da für den Fall eines unglücklichen Ausganges der Operation gegen Metz Alles nach dieser Stadt und auf die einzige hier befindliche Moselbrücke gedrängt hätte. Der letztere glücklicherweise nicht eingetretene Fall wäre ein namenloses Unglück für die Stadt geworden, und die Opfer, welche in die Mosel gedrängt und in den engen Straßen erdrückt und getödtet worden wären, unzählbar gewesen. In Pont à Mousson hatte der König sein Hauptquartier während der fünftägigen Schlachten, die um Metz, namentlich bei Mars la Tour geschlagen wurden.

Pont à Mousson ist in diesen für die Weltgeschichte entscheidenden Tagen mit Militär aller Waffengattungen, welches kommt und wieder weiter marschirt, aufgefüllt; zahllose Transporte und Bagagewagen ziehen in langer Reihe über die schmale Brücke [604] der Straße nach Gorze und Metz zu, und ebenso viele Fuhrwerke, angefüllt mit Verwundeten, begegnen ihnen auf demselben Wege, so daß man jetzt den ganzen Straßenverkehr eine einzige Stockung nennen könnte. Zwischendurch bewegen sich Militär- und Gefangenenzüge, und nur selten bemerkt man einen Civilisten; freilich haben sich die Letzteren, vornehmlich die besser situirten Einwohner, aus der Stadt entfernt, die Läden sind zum größten Theil geschlossen und blickt man durch die geöffnete Thür eines Schlächter- oder Bäckerladens, so sieht man nicht etwa Waarenvorräthe, sondern Soldaten, die sich dort einquartiert haben. Nicht anders sehen die Fenster der verschiedenen Etagen aus, die Gardinen sind daraus entfernt, die Fensterläden schmutzig und zum Theil zerbrochen, und überall blicken Soldatenköpfe heraus. Und nun erst in den Häusern – wie sehen die Zimmer aus! Wo sonst die waltende Hausfrau für Ordnung und Sauberkeit gesorgt, mit ängstlicher Sorgfalt die Möbel abstäubend und zurechtrückend, da haust jetzt der Soldat; kein Kanapee ist ihm zu gut, um sich nicht mit den Stiefeln darauf auszustrecken, kein Mahagonitisch zu schade, um nicht seinen Kaffee darauf zu kochen, seine Knöpfe daran zu putzen; er richtet sich in den besseren Zimmern häuslich ein, während der Besitzer der Wohnung mit der Küche oder einem Kämmerchen sich begnügen muß. Der Civilrock hat aufgehört eine Bedeutung zu haben, nur der Waffenrock ist noch maßgebend in diesem unglücklichen Lande, das ist eben der Krieg, und der einzige Trost für den Menschenfreund, der mit Schaudern aus diesen Jammer, dieses Elend herabsieht, ist der, daß die deutschen Armeen nicht freiwillig und etwa eroberungssüchtig in dieses Land gezogen, daß sie vielmehr gezwungen worden sind, die Grenze zu überschreiten; man hat sie von Paris aus gewaltsam invitirt, die französischen Provinzen heimzusuchen mit den Schrecken des Krieges.

Die Mairie in Pont à Mousson.


Die eigene Sicherheit auf feindlichem Boden macht es der Armee zur Pflicht, strenge zu sein gegen die Bewohner der Städte, die sie passirt, und so läßt sich die Proclamation erklären, welche in Pont à Mousson veröffentlicht wurde. Einige Artikel daraus lauten, wie folgt:

„Innerhalb zwei Stunden müssen die Waffen aller Art, welche sich in der Stadt befinden, nach dem Rathhause geschafft werden.

Nach dieser Zeit werden Patrouillen in die Häuser gesendet, und die Bewohner, welche noch im Besitz von Waffen, welcher Gattung sie auch seien, betroffen werden, werden verhaftet und nach der ganzen Strenge der Kriegsgesetze behandelt.

Alle Ansammlungen sind untersagt.

Die Thüren und die Jalousieen oder Fensterläden müssen Tag und Nacht offen bleiben.

Die Stadt muß in der Nacht erleuchtet sein, und zwar jedes Haus durch mindestens ein brennendes Licht.

Bis neun Uhr Abends müssen alle Gasthöfe, Kaffeehäuser und öffentlichen Orte von den Einwohnern verlassen sein.

Jeder Einwohner, dem es einfallen sollte, sich dem Durchmarsch der Truppen, durch welche Mittel es immer sei, zu widersetzen, wird unverzüglich verhaftet und erschossen werden.“

Wie strenge diese Maßregeln auch erscheinen mögen, so sind sie doch äußerst nothwendig, wie einige weiter unter angeführte Fälle beweisen werden.

Einen eigentümlichen – einen traurigen Eindruck macht der Marktplatz von Pont à Mousson, der über und über mit Wagen voll Verwundeter angefüllt ist; der Boden ist bedeckt mit Stroh, auf welchem die durchziehenden Sachsen bivouakirt hatten, und die vis à vis dem Rathhause nebeneinander liegenden Hôtels, Croix blanche, Hôtel de Cygne, Hôtel de Commerce etc. sind geschlossen und verlassen. Die Mairie (Rathhaus) ist ein schönes großes Gebäude in der Mitte des Platzes, und gar bunt sind die Scenen, die sich hier in den Räumen der ersten Etage, dem Sitz der Mairie, jetzt täglich abspielen. Ueber eine breite Treppe gelangt man zu einem großen Saal, in dessen Mitte an einem Tische der Etappencommandant placirt ist, während links eine Unmasse Waffen, die von den Einwohnern abgeliefert wurden, aufgehäuft liegen. Ebendaselbst befindet sich der bekannte Berliner Staatsanwalt Simon von Zastrow, der hier als Etappen-Auditeur fungirt, und die Fälle sind unzählbar, die ihm zur Schlichtung vorgetragen werden. Hier nur einen:

Ein französischer Bauer wird ihm vorgeführt, er soll preußischen Verwundeten die Finger abgeschnitten haben, um Ringe zu stehlen. Der Mann ist bereits gräßlich zugerichtet, hat blutunterlaufene Augen, zerrissene Kleider, zerschundene Hände und sieht einem wilden Thiere ähnlicher, als einem Menschen. Zähneklappernd betritt er den Saal, vorgeführt von zwei Gensd’armen, die der französischen Sprache nicht mächtig sind, während er kein Wort Deutsch versteht, eine Verständigung zwischen ihnen ist daher unmöglich, und sie stoßen ihn die Treppe hinauf; er betheuert dem Auditeur seine Unschuld und zum Glück für ihn waren keine genügenden Zeugen für seine Schandthat zu schaffen, die Sache beruhte nur auf einem Gerüchte, das nicht mehr zu erweisen. Es machte einen peinlichen Eindruck, als Herr von Zastrow auf Befragen des Commandanten, was hier zu thun sei, erklärte: „Hier giebt es nur zwei Fälle, entweder todtschießen oder freilassen,“ und mir wurde leichter um’s Herz, als man sich für die letztere Alternative entschied; der Mann wurde wieder abgeführt und verließ mit schlotternden Knieen den Saal der Mairie, um nach kurzer Zeit zu seiner eigenen Sicherheit in’s Gefängniß zu wandern. Noch immer in Ungewissheit über sein Schicksal, hatte er doch Veranlassung genug, für sein Leben zu zittern, im Hinblick auf das furchtbare Exempel, welches die Truppen einige Tage früher ebenfalls an einem Bauer in Gorze statuirt hatten, der auf Verwundete gefeuert hatte, und den man dafür an einem Baume hängend und von fünfundvierzig Kugeln förmlich durchlöchert fand.

Neben der Mairie spielen die Lazarethe augenblicklich eine große Rolle, und welcher Segen letztere für die Menschheit sind, hatte ich im Kloster der barmherzigen Schwestern zu beobachten Gelegenheit. Dieses Kloster, dessen momentane Bestimmung durch eine am Thurme befestigte weiße Fahne mit rothem Kreuz gekennzeichnet ist, befindet sich am Ende der Rue de l’Hôpital, und durch eine kleine Thür gelangt man über einen schmalen Corridor in die inneren Räumlichkeiten. Rechts von letzterem befindet sich zunächst die Küche, ein Muster von Sauberkeit und Ordnung, bedienstet von den Frauen Schwestern dieses Klosters, die sich opferwillig den schweren Pflichten dieses Hauses unterziehen; in allen Zimmern, in allen Corridoren sieht man diese Damen emsig beschäftigt, theils die Bedienung der Kranken, theils die Verrichtung der verschiedenen häuslichen Arbeiten besorgend. Das sehr große Gebäude umfaßt einen prächtigen Garten, angefüllt mit den schönsten Pflanzen, sowie zahlreichen Obstbäumen, zwischen welchen man jetzt leicht verwundete oder auf dem Wege der Besserung befindliche Officiere lustwandeln sieht. Ich betrat einen der vielen großen luftigen Säle; es lagen schwer Verwundete darin, unter ihnen Baron von Rhaden, Gatte der berühmten Berliner Sängerin Pauline Lucca. Und wie hier im Lazareth, so steht es in allen Häusern Pont à Mousson’s aus; die Stadt ist ein einziges großes Krankenhaus [605] für Verwundete. Fast an allen Häusern bemerkt man weiße Fähnchen mit rothen Kreuzen darauf, ein Zeichen, daß Verwundete hier liegen, und es darf den Einwohnern zum Ruhme nachgesagt werden, daß sie dieselben, gleichviel ob deutsche, ob französische Soldaten, mit gleicher Sorgfalt pflegen. Frauen und Männer hatten noch vor kurzer Zeit den ausmarschirenden feindlichen Truppen von ihren Fenstern aus grimmig nachgeschaut – jetzt, wo diese theils auf Krücken gestützt, theils den Arm in der Binde oder den Kopf verbunden bleich und krank in die Stadt zurückkehrten, standen sie in ihren Hausthüren, schauten mitleidig auf sie herab, und jeder beeilte sich, ihnen hülfreich beizustehen. Wo das Unglück beginnt, da schwindet der Haß und macht nur Einem Gefühl Platz, dem Gefühl des Mitleids.

Das Kloster der barmherzigen Schwestern, jetzt deutsches Lazareth, in Pont à Mousson.
Nach der Natur aufgenommen.

So hat denn Pont à Mousson sein früheres freundliches Gesicht gänzlich verloren, die Bewohner sind meist geflüchtet, das Militär florirt, die Läden geschlossen, der Verkehr gestört; selbst die Stränge der Kirchenglocken sind auf Befehl der preußischen Verwaltung abgeschnitten und die Treppen zu den Thürmen abgebrochen. Diese Maßregel war eine Nothwendigkeit, da die Bewohner anderer französischer Ortschaften, zum Beispiel Gorze, die Thürme erstiegen, von dort aus die Stellung und Zahl der deutschen Truppen erspäht und dann dem Feinde verrathen haben, da auch die französischen Bauern von Paris aus aufgereizt worden sind, im Falle einer Niederlage sofort im platten Lande hinaus Sturm zu läuten. Das ist das traurige Bild einer sonst blühenden Stadt, ist Pont à Mousson im Kriege!



Aus den Tagen des Kampfes.
Wochen-Rapport Nr. 3 und 4. [1]

„Rache für Sadowa!“ – Wir mögen in den Geschichten aller Völker suchen, wir finden kein zweites Beispiel von so ungeheuerlicher Anmaßung, wie sie in diesen drei Worten ausgedrückt ist. Rache für einen fremden Sieg, nur aus dem Grunde, weil er größer ist als einer, den Frankreich je erfochten! Frankreich hat, im Bunde mit Italien, drei Monate gebraucht, um das alleinstehende Oesterreich in zwei Schlachten von sehr schwankender Entscheidung mit Hülfe einer kaiserlichen Lüge zum Frieden zu zwingen. Preußen hat, alleinstehend, gegen dasselbe Oesterreich und den kriegsmäßigsten Theil der deutschen Bundesarmee Krieg geführt und nach sieben Tagen die Entscheidungsschlacht von Königsgrätz geschlagen. Und dieser Sieg auf deutschem Boden über den ehemaligen Gegner Frankreichs ist eine Beleidigung der französischen Nation, für die sie um Rache schreit! Wo die Ehrgier bis zu solcher Raserei ausartet, da herrscht kein „europäisches Gleichgewicht“ mehr, da ist keines Volkes Friede mehr sicher. „Rache für Sadowa!“ schrie ganz Frankreich, ein Hohn, der alle Großmächte Europas zur Züchtigung solchen Frevels hätte aufwecken müssen. Sie schwiegen, sie sahen, in den schlappen Mantel der Neutralität gehüllt, dem ausbrechenden Rachekrieg gegen Deutschland zu. Gut! Wir bedürfen ihrer nicht. Deutschland hat’s allein vollbracht, es hat den Franzosen ihr Sadowa geliefert, und das heißt Metz!

Die Bedeutung dieser dreitägigen Schlacht ist die einer zweiten Auflage von Leipzig, selbst nach dem Datum der drei Schlachttage, nur daß diesmal der August die Ehren des October in Anspruch nahm. Ja, den Achtzehnten wollen wir preisen, er war nun zum vierten Male den deutschen Waffen hold: am 18. October 1813 Leipzig, am 18. Juni 1815 Waterloo, am 18. April 1864 Düppel und am 18. August 1870 Metz.

Die drei Schlachten vom 14., 16., und 18. August werden von den Franzosen nach Courcelles, Vionville und Gravelotte benannt; die [606] Deutschen benennen sie nach Pange, Mars la Tour und Rezonville. Durch sie ist der großartigste Plan in Moltke’s Haupt vollständig durchgeführt auf dem blutigsten Schlachtfelde des Jahrhunderts. Anstatt die weisen Lehren, welche der französische Feldherr seinen Soldaten in gemüthlichem Bivouacgeplauder ertheilte, daß hinter der Mosel die Maas und dann Chalons und dann Paris und hinter diesem ganz Frankreich zur Vertheidigung die Mittel biete, selbst zu beachten, hat er sich von der deutschen Raschheit überflügeln lassen, und bald standen drei deutsche Armeen mit sechszehn Armeecorps zwischen ihm und dem Endziel des deutschen Siegeslaufs, Paris.

Die Schlacht am Achtzehnten wurde, wie wir schon berichtet haben, unter des Königs eigener Führung geschlagen. Die Franzosen schienen anfangs den Zweck dieser Schlacht nicht zu erfassen; als sie aber im Verlaufe derselben die Absicht des Gegners erkannten, da begann ein Rasen der Verzweiflung, das sich in Strömen deutschen Blutes auszutoben suchte. Selbst der König gerieth, wie bei Königsgrätz, in das Bereich der feindlichen Granaten, eine Gefahr, der er nur durch Roon’s Vorsorge eiligst entrissen wurde. Ehe er nach seinem Hauptquartier, dem vier Meilen entfernten Pont a Mousson, zurückkehrte, ordnete er für alle Kämpfer des Achtzehnten einige Ruhetage an.

Diese verbrachten die Truppen in folgenden Stellungen um das nun völlig eingeschlossene Metz: auf der östlichen, deutschen Uferseite der Mosel das erste Armeecorps (von Manteuffel), auf der westlichen oder Pariser Seite nördlich das zwölfte Armeecorps (die Sachsen); die Eisenbahn von Metz nach Diedenhofen (Thionville) besetzend; südlich daneben das Gardecorps, noch südlicher das neunte, ganz im Süden, auf dem eigentlichen Schlachtfelde des letzten Sieges das sechste und das siebente Corps: in Reserve auf der Pariser Straße das dritte und zehnte Corps, und auf besonderem Ehrenplatz zunächst dem Feind das zweite Corps auf den von ihm erstürmten Höhen. Das vierte Corps war zu einer besondern, damals noch nicht bekannten Bestimmung commandirt, die sich aber seitdem aufgeklärt hat. Das vierte Corps ist mit dem zwölften und dem Gardecorps zu einer neuen, der vierten Armee unter dem Kronprinzen von Sachsen, vereint worden.

Dieser Kranz deutscher Armeen öffnete die ehernen Arme zur Umschlingung der alten geraubten freien Reichsstadt Metz, während die Kronprinzen von Preußen und Sachsen mit ihren Armeen auf dem Wege nach Paris weiter vorrückten, zugleich aber auch das Heer Mac Mahon’s nicht aus den Augen verloren. Dieser geschlagene Mann hatte nach den Niederlagen bei Metz sich über Verdun in das berühmte Lager von Chalons rückwärts concentrirt. Auch der alte Fuchs mit seinem Jungen war dem Bau entschlüpft, ehe die deutschen Waidmänner ihn völlig umstellt hatten; Napoleon zog sich in sein Schloß Mourmelon zurück. Als aber die Deutschen sich vor Metz nicht sämmtlich festhalten ließen, sondern ihre getheilte Macht hinreichte, um mit der einen Hälfte Bazaine in die größte Mausefalle der Weltgeschichte einzusperren und mit der andern Hälfte den Sturmlauf nach Paris fortzusetzen, verließ Mac Mahon Chalons, und zwar so hastig, daß er den größten Theil des Lagers nicht mehr bergen konnte, sondern niederbrennen mußte, und wandte sich erst nordöstlich nach Rheims, das der Sammelpunkt für das zweite, das Rettungsheer Frankreichs zu werden schien. Paris konnte von dort seiner Hülfe sicher sein. Da sehen wir ihn plötzlich nördlich nach Rethel hin streben, offenbar in der Absicht, Sedan und damit die noch freie Eisenbahn nach Thionville zu erreichen, um von da die Entsetzung von Metz und Befreiung Bazaine’s zu wagen: Aber auch auf diesem Wege ereilte ihn das Verhängniß in Gestalt deutscher Soldaten. Nach einem am 27. August stattgefundenen Reitergefecht gegen französische Chasseurs unweit Buzancy, südlich von Stenay, das auf jene Gegenden nach der belgischen Grenze hin aufmerksam machte, bekam am Neunundzwanzigsten die Avantgarde unseres zwölften Armeecorps das fünfte französische Armeecorps bei Nouart zu packen. In das so begonnene Gefecht wurden auch das vierte norddeutsche und das erste baierische Armeecorps hineingezogen. Die Franzosen wurden am folgenden Tage von Beaumont bis über die Maas bei Mouzon und die Höhen von Vaux zurückgedrängt; die Deutschen hatten am Einunddreißigsten bereits Carignan besetzt und somit die ganze Mac Mahon’sche Armee von Thionville abgeschnitten und zum Rückzug nach Sedan gezwungen, wo ihrer leicht das Schicksal Bazaine’s in Metz harren kann.[2]

Auch der bereits begonnene Festungskrieg verspricht nach der Ansicht der Kriegskundigen Großartigeres zu liefern als je da war. Metz, mit seinen je zwei starken Forts auf jeder Seite der Mosel, Tigeomont und St. Quentin auf dem linken, St. Julien und Quelen auf dem rechten Moselufer, besitzt jetzt mit der eingesperrten französischen Armee von mindestens noch hundertfünfzigtausend Mann ohne Zweifel die stärkste Besatzung, die je eine Festung aufzuweisen hatte, so daß z. B. das militärische Weltwunder Sebastopol gegen die hier in Action gesetzten Waffen und gegen die Stärke dieser Festung vollständig verschwindet. Gelingt es aber dem Marschall Bazaine nicht, durch die deutschen Armeecorps, die sich jetzt gegen ihn befestigen und eine von Deutschen vertheidigtes Circumvallationslinie gegen seine Angriffe bilden, sich durchzuschlagen, wird die Welt das Schauspiel erleben, daß ein Heer von voller Kriegsstärke sich dem Sieger auf Gnade und Ungnade ergeben muß. – Um die Belagerung mit allem Nachdruck zu betreiben, wurde aus den Rheinfestungen schweres Geschütz nach Metz und gleicherzeit auch nach Straßburg geschafft, das nach Metz die Augen aller Betheiligten auf sich zieht.

Nach den jüngsten Nachrichten wird Straßburg nun bald die längste Zeit französisch gewesen sein; aber leider wird von der „wunderschönen Stadt“, wenn die Beschießung in der bisherigen Weise fortgesetzt werden muß, um den Commandanten zur Uebergabe zu zwingen, uns nicht viel mehr als ein Steinhaufen voll Blut und Asche übrig bleiben; selbst der Stolz und Zorn der Deutschen seit hundertneunzig Jahren, das Münster, wird kaum zu retten sein. Bibliothek und Bildergallerie mit unersetzlichen Schätzen sind bereits verbrannt. Die Noth der Bewohner ist furchtbar, schon Hunderte sind verwundet und todt. Dennoch konnte der Bitte des Bischofs, der am 28. August persönlich dem Chef unseres dortigen Generalstabs, Obristlieutenant von Lesezinsky, die Klagen Straßburgs vortrug und bat, den Auszug der Bürgerschaft oder wenigstens der Frauen und Kinder aus der Stadt zu bewilligen, nicht entsprochen werden, da es von Bedeutung für die Folgen des Krieges ist, ihn möglichst rasch zu beenden.

Außer Straßburg und Metz sind es nur Toul, Bitsch, Pfalzburg und Thionville, vor welchen noch deutsche Belagerungs- oder Beobachtungstruppen stehen und deren Fall von dem Straßburgs mit abhängt.

Zur Säuberung des Elsaß ist bei Hagenau ein frisches preußisches Armeecorps zusammengezogen; die badischen Truppen ziehen weiter mit nach Frankreich hinein; eine Anordnung, die ausdrücklich deshalb getroffen worden sein soll, um die verbitterte Stimmung der Elsässer zu schonen.

So handeln die Deutschen in der Vollgewalt der Sieger! Und wie führen sich dagegen die Befehlshaber, die Regierung, Presse und die einzelnen Franzosen, bei all’ ihrer Ohnmacht und Schmach in Frankreich wie in Deutschland auf. Die Niederträchtigkeit, das offene und unbefestigte Kehl in Brand zu schießen, ist selbst von der nicht deutschen Presse mit Entrüstung betrachtet worden. Mit Recht schrieb deshalb General Werder dem Commandanten von Straßburg: „Eine solche Kriegsführung, die unter zivilisirten Nationen unerhört ist, muß mich veranlassen, Sie für die Folgen dieses Acts persönlich verantwortlich zu machen. Außerdem lasse ich den verursachten Schaden abschätzen und durch Contributionen im Elsaß Ersatz suchen.“ Die Entschuldigung dieses Commandanten: „er habe nicht gewußt, daß Kehl nicht befestigt sei,“ war mehr als eine zur französischen Tagesordnung gehörige Lüge, sondern gemeinster Hohn, denn das Zusammenschießen Kehls ist seitdem erst recht in Zug gekommen.

Auch die Unverletzlichkeit der Parlamentaire gilt in diesem heutigen Frankreich nicht mehr. Vor Marsal wurde der Parlamentair des bairischen Corpsführers, des Generallieutenant v. Bothmer, der Hauptmann v. Hanfstengel, nachdem seine Aufforderung zur Uebergabe von dem Commandanten schroff zurückgewiesen war, auf dem Rückwege von den Kugeln aus der Festung verfolgt und niedergeschossen. Ja noch mehr! Nach den Schlachten vom 16. und 18. lagen über dreitausend schwerverwundete Franzosen auf dem Schlachtfelde, von den Ihren in Stich gelassen. Um für sie Hülfe zu schaffen, wurde Oberstlieutenant v. Verdy als Parlamentair nach Metz gesandt; aber trotz roth und weißer Binde und Parlamentairflagge empfing man ihn mit Kugeln und schoß seinen Trompeter vom Pferde. Dasselbe geschah bis jetzt allenthalben, wo deutsche Parlamentaire das Friedenszeichen gegen den Feind trugen, sogar vor Straßburg in demselben Augenblicke, wo der Bischof von dem deutschen Officier Abschied genommen und sich weit genug von ihm entfernt hatte, um dem förmlichen Rottenfeuer nicht mit getroffen zu werden, das die hochgehaltene Parlamentairflagge durchlöcherte.

Daß die Franzosen auf Verbandplätze, Ambulanzen, Aerzte und Verwundete geschossen, auch das ist leider zur Genüge erwiesen. Diese Unthaten und die himmelschreiende Barbarei, mit welcher friedliche Arbeiter, Einzelne und Familien, um Hab’ und Gut gebracht und unter rohesten Mißhandlungen aus dem Lande getrieben werden, während Tausende von französischen Familien ruhig in Deutschland fortleben und Tausende von Gefangenen und Verwundeten mit Anstand behandelt und Sorge gepflegt werden – das sind Thatsachen, die auch zur Geschichte der Civilisation gehören und in ihren Büchern ewig verzeichnet stehen werden. In Metz haben Bestien von Weibern den deutschen Gefangenen in’s Gesicht gespuckt, Turcos haben sie mit Peitschen gehauen, Saphisofficiere haben ihr Geld und ihre Uhren gestohlen unter den Augen der Commandanten! Ja, in Straßburg haben Turcos einem badischen verwundeten Officier den Kopf abgeschnitten und auf der Säbelspitze als Trophäe durch die Straßen getragen. Vergiftet sind Gefangene worden, die Augen hat man ihnen ausgestochen. Einen baierischen Jäger fand man mit abgeschnittener Zunge, viele Soldaten mit abgehauenen Händen, Alles Schandthaten der französischen Söhne der Wüste! Und endlich gar die „Hyänen der Schlachtfelder“! Nach allen Nachrichten waren die in Böhmen Samariter gegen die französischen, die das „Prestige“ eines Corsen und die „Mission“ einer Spanierin groß gezogen!

Was haben wir nun in diesen wenigen Wochen allernächsten Verkehrs mit dem französischen Volke gelernt? Daß es ein Verbrechen am Vaterlande wäre, länger zu dulden, daß auch nur ein einziges deutsches Dorf unter den Kanonen dieser Rotte leben müsse! Es ist übergenug, daß Kehl die Folgen dieser Nachbarschaft hat erfahren müssen. Hochverrath ist’s [607] fortan noch zu predigen, daß der deutsche Krieg nur der mißregierenden Dynastie gelte, über welche hin man der bethörten großen Nation die Bruderhand reichen müsse. Nein, das deutsche Volk kämpft gegen das Volk Frankreichs, um dessen Uebermacht für immer zu vernichten!

Wahrlich, es mußte Schweres, Ungeheures über uns kommen, um uns Deutschen, uns treuesten Anbetern kosmopolitischer Völkerversöhnung den ewig geschwungenen Becher allgemeinster Menschenliebe aus der Hand zu reißen. Aber es ist auch geschehen und unser Haß macht uns keine Schande. Ja, heute noch würden wir zu einem milderen Urtheil über den Feind gestimmt werden können, wenn wir dort wirklich eine große, menschenwürdige Erhebung sähen, wenn das Volk seine Dränger von sich stieße, wenn es Gericht hielte über zwanzigjährige Verbrechen an seiner Würde, wenn es dastünde, wie das geknechtete Deutschland im Jahre Dreizehn dastand. Aber nirgends zeigt sich etwas Anderes, als die Verkommenheit eines in Grund und Boden verwahrlosten Geschlechts – oben und unten und überall. Wo das Volk aufsteht, ist es nicht zu ehrlichem männlichem Kampfe, sondern zu Mord und Raub, zu bübischer Mißhandlung Verwundeter und feiger Meuchelei der Masse gegen den Einzelnen. Und in den Höhen, die der Thron einst mit seinen Strahlen beleuchtet, herrscht der gemeine Abfall: die Ratten verlassen das Schiff! Die einst im Rath der Krone saßen und die in den Finanzen wühlten, wohin man blickt, nur Ratten, Ratten! Wer’s noch kann, bringt sein Liebstes in Sicherheit, aber nicht wie die Frauen von Weinsberg, sondern in kluger Flucht und im Portefeuille und Portemonnaie – hier Frau Ollivier, dort Prinz Plonplon – lauter Ratten, Ratten! Selbst die französischen Centralbehörden fühlen das Schaukeln des großen Schiffs „Paris“ – sie schwimmen nach Tours, und Andere schwimmen nach Calais, überall Ratten! –

General v. Blumenthal,
Generalstabs-Chef der dritten Armee.


Unser Wochenrapport kann nicht schließen, ohne wenigstens mit einigen Worten das Treiben der hohen Diplomatie beachtet zu haben. Die deutschen Fortschritte werden allerdings nicht ohne Neid und nicht ohne Besorgnisse wegen entstehender Uebermächtigkeit der Deutschen betrachtet. Daß aber ein Zusammengehen der übrigen vier Großmächte, Englands, Italiens, Oesterreichs und Russlands, bereits gesichert und namentlich, daß dasselbe dahin gerichtet sei, jede Gebietsverkleinerung Frankreichs zu hintertreiben, ist wohl eine verfrühte Nachricht; was aber wäre der europäischen Diplomatie unmöglich? Sie wird allerdings Deutschlands und Frankreichs Angelegenheit auf den grünen Tisch zu legen suchen, um sie nach ihrer Weise zu „ordnen“. Dem steht nur die Kleinigkeit entgegen, daß für die Diplomatie selbst eine neue Zeit anbricht, denn die alte Diplomatie, deren Haupt, Lehre und Führung seit dem westphälischen Frieden nur in Paris zu suchen war, ist vernichtet, seitdem es dem deutschen Michel gelang, Frankreich zu der ersten Geige, die es im „europäischen Concert“ spielte, den Fiedelbogen zu zerbrechen. Das Deutschland von 1870 hat keinen Wiener Congreß von 1815 zu befürchten. So hoch hat diese größte Zeit der Weltgeschichte Deutschlands Volk und Heer, Fürsten und Staatsmänner gehoben, daß fortan eine andere, als eine deutschnationale Politik für sie eine Unmöglichkeit ist; die gegenseitige Gefälligkeit der Cabinete auf Kosten der Völker hat ein Ende, und eben damit ist der alten feilen Diplomatie Grund und Boden entzogen. Die neue Staatskunst geht den Wünschen der Nation voraus, dafür legt das erste Zeugniß ab: die Einsetzung deutscher Generalgouverneure in Elsaß und Lothringen, und das Verheißen deutscher Gesetze in diesen fortan deutschen Ländern. Die Nation aber spricht bereits in einer Zuschrift an den Schirmherrn des deutschen Reichs ihre Gesinnung und Meinung aus, deutsches Recht von keiner Macht beeinträchtigen zu lassen. Gute Nacht, Congreß! Vor dem alten Giftpfuhl der Diplomatie hält fortan zum Heil der Völker Deutschland Wacht.




Blätter und Blüthen.


„Straßburg eine deutsche Stadt.“ Unter diesem Titel schrieb der Dichter des „Camoens“ und des „Columbus“, unser geschätzter Mitarbeiter Herman Schmid schon vor Jahren ein Drama, welches damals überall gefiel, aber bald wieder von der Bühne verschwand; denn auch die frische Luft, der es sein Leben verdankte, war nur allzu rasch wieder verweht. Die Sorge, den Franzosen zu mißfallen und die eigenen Gemüther nicht in Wallung zu bringen, unterbrach es im ersten Anlauf. Das war im Jahre 1849. Wie anders ist der Lauf der Zeiten geworden und wie herrlich hat er sich zum Bessern gewendet! Weil es aber Pflicht der deutschen Theater ist, auch von ihren erhabenen Bühnen herab zum Volke zu sprechen, würdig der großen Gegenwart, in welcher wir leben, und weil es ihre Aufgabe ist, gerade jetzt mitzuschüren am Sturme der unbesiegbaren Begeisterung, der uns die Errungenschaften der blutigen opferreichen Kämpfe – einer ränkevollen Diplomatie zum Trotz – erhalten muß, so freut es uns berichten zu können, daß Schmid’s Drama von verschiedenen Theatern in Deutschland wieder hervorgesucht worden ist und zur Aufführung vorbereitet wird. Es sind dies das Münchner Hoftheater, das Darmstädter Hoftheater, das Thaliatheater in Hamburg und das Stadttheater in Nürnberg. Wohl werden auch die übrigen größeren Bühnen Deutschlands, diesem Beispiele folgend, gerne zu dem Drama greifen, welchem die Eigenschaft, wirklich „zeitgemäß“ zu sein, vor Allem zuerkannt werden muß und dessen Wirkung auf das deutsche Volk den patriotischen Absichten des begabten Verfassers gewiß entsprechen wird.

Von Interesse dürfte das Handbillet sein, welches kurz nach dem Erscheinen von „Straßburg eine deutsche Stadt“ König Ludwig der Erste von Baiern an den von ihm hochgeschätzten Autor schrieb, und welches – von der vaterländischen Gesinnung wie von der bekannten eigenthümlichen Stilweise des königlichen Briefschreibers ein genügendes Zeugniß ablegend – also lautet: – „Ein in Straßburg Gebohrener spricht tief ergriffen seine Anerkennung aus dem Verfasser des Trauerspiels ‚Straßburg‘. Soeben ich es zu lesen geendigt und Thränen drangen aus meinen Augen. Ernste Wahrheit in herrlicher Dichtung zeigen Sie uns. Ja, Straßburgs Verlust ist ein Trauerspiel, welches nicht verklungen. Dieses dramatische Werk ist des Verfassers des Camoens würdig. Man kann nur wünschen: fahren Sie fort. Der Ihnen wohlgewogene Ludwig. München, 19. November 1849.“




Vom Schauplatze des Friedens. Während auf französischem Boden unsere tapferen Soldaten für ihres Vaterlandes Ehre und Wohlfahrt bluten und kämpfen, geschehen doch auch hinter den Bergen noch merkwürdige Dinge. In dem Reservelazareth für Verwundete in Diez (Nassau) hat ein protestantischer Geistlicher – der zudem noch nicht einmal das formelle Recht dazu hatte – es verboten, daß den Soldaten die Gartenlaube zum Lesen gereicht würde, „er dürfe es nicht dulden, daß solche Blätter den Verwundeten verabfolgt würden.“ (!!!)

Wir wollen hoffen – und mögen es nicht fromme Wünsche bleiben –, daß außer den anderen Früchten, die Deutschland von diesem blutigen Kriege ernten wird, auch der Fortschritt der Humanität und des freien geistigen Denkens zu den goldenen Früchten gehören möge, die unser theures Vaterland über sein vergossenes Herzblut trösten und von den unwürdigen Fesseln befreien werden, in denen es leider nur zu lange geschmachtet. Wenigstens würde es für den unglücklichen Verwundeten auf seinem Schmerzenslager kein tröstlicher Gedanke sein, solche Früchte emporwachsen zu sehen aus dem Saatfelde, das auch er mit seinem Blute getränkt.



[608] Der Führer der zweiten Armee. Während die beiden Kronprinzen von Preußen und Sachsen sammt dem General Steinmetz mit dem sich beständig „nach rückwärts concentrirenden“ Theilen der französischen Armee so verhängnißvolle Fühlung hielten, daß es ihnen gelang, schon in diesen Tagen den letzten vernichtenden Schlag auf das Haupt des unglückseligen Mac Mahon zu führen, um sich nun wohl im Siegeszuge gegen Frankreichs Hauptstadt, gegen Paris, zu wenden, liegt die zweite Armee des deutschen Heeres unter dem Oberbefehl des Prinzen Friedrich Karl heute, da wir diese Zeilen schreiben, noch um die Mauern der Festung Metz, wie ein eherner Ring, festgeschlossen und zur erdrückenden Umarmung Bazaine’s bereit. Aber nicht wie einen Belagerer, der durch Geduld überwindet, sondern wie einen tüchtigen heißspornigen Reitergeneral hat Meister Camphausen in Düsseldorf den Sieger von Mars la Tour für unsere heutige Nummer dargestellt, und als solcher lebt Prinz Friedrich Karl auch zunächst in der Vorstellung Aller, die seine Erfolge im letzten schleswig-holstein’schen Feldzuge vor Augen haben. Als solcher ist er auch der Liebling der Soldaten, welche von jeher ihre Bewunderung vor Allem dem persönlichen Muthe schenkten und welche noch immer die persönliche Hingebung des Feldherrn an Alles, was soldatisch heißt, mit Liebe und Begeisterung erwidert haben. Einem solchen Manne gehört unter allen Umständen das Vertrauen der Armee und er vermag sie unwiderstehlich zum Siege mit fortzureißen, wie das Blücher, Ziethen, Schill u. A. gethan. Aus diesem Grunde ist es auch begreiflich, daß man gerade den Prinzen Friedrich Karl, der bei Königsgrätz zehn Stunden lang so gewaltig mit der österreichischen Armee gerungen, berufen glaubte, mit seinem tapfern Heere die ersten Lorbeeren um die siegreichen deutschen Fahnen zu winden. Aber die Verhältnisse ergaben es anders, und erst, nachdem die Schlachten bei Weißenburg, Wörth und Forbach geschlagen waren, gönnte das Geschick auch dem Führer der zweiten Armee einzugreifen und sein Feldherrntalent an den blutigen Tagen von Mars la Tour, Gravelotte und Noizeville zu beweisen.

Neben dem wohlgetroffenen Portraitbild des Prinzen, einer wahrhaft künstlerischen Leistung Camphausen’s, wird auch die weitere Illustration aus der geschickten Hand Rechlin’s den Beifall unserer Leser haben. Sie stellt den Prinzen und sein Gefolge auf einer Recognoscirung bei Rohrbach vor, einem Dorfe wenige Stunden von der Festung Bitsch.


Der Generalstabschef der dritten Armee. Vier Männer des preußischen Heeres haben als die stillen Lenker der Schlachten um die deutschen Siege in Frankreich sich das höchste Verdienst erworben. Es sind die Leiter der Generalstäbe Moltke, Sperling, Stiehle und Blumenthal. Zu dem Bildniß des Letzteren, das wir heute mittheilen, fügen wir, im Raum beengt, vor der Hand nur nachstehende biographische Skizze.

Leonhard von Blumenthal ist ein Brandenburger Kind, zu Schwedt an der Oder am 30. Juli 1810 geboren. Seine Laufbahn zweigte von der gewöhnlichen des Officiers nur dadurch ab, daß er als Secondelieutenant des Garde-Reserve-Infanterie-Regiments mit großem Erfolg drei Jahre die allgemeine Kriegsschule in Berlin besuchte und ebendeshalb 1846, bereits Premierlieutenant, zur topographischen Abtheilung des Generalstabs berufen wurde. Im Jahre 1849 wurde er Hauptmann im großen Generalstab der Armee, in welchem er nun nach seinen Verdiensten seine Beförderungen erlebte. Er nahm an den Kriegen von 1849 und 1864 in Schleswig-Holstein Theil, ward 1866 Chef des Generalstabs der zweiten Armee des Kronprinzen im österreichischen Kriege, am Ende desselben Commandeur der vierzehnten Division in Düsseldorf und steht im gegenwärtigen deutschen Kriege gegen Frankreich wiederum an des Kronprinzen Seite als Chef von dessen Generalstab. Das Verhältniß beider Feldherren kennzeichnet am Schönsten die Thatsache, daß der Kronprinz sich weigerte, das ihm von seinem königlichen Vater verliehene eiserne Kreuz zu tragen, wenn nicht der General von Blumenthal in derselben Weise ausgezeichnet werde. Dies geschah – und ehrt alle Drei.

Prolog zur Siegesfeier des zweiten September.
Am Abend des 3. September im Neuen Theater zu Leipzig gesprochen
von Fräulein Rosa Link.

Gott hat gerichtet! Unser ist der Sieg!
Voll Lorbeern blühn die Gräber unsrer Todten.
Der uns gehetzt in diesen heil’gen Krieg,
Er liegt geächtet heut’ vor uns am Boden. –
Vier Wochen sind’s – nicht Deutschlands blos, es sind
Der ganzen Weltgeschichte größte Wochen!
Der Anfang: Siegesspiel für Frankreichs Kind,
Das Ende: Frankreichs Kron’ und Thron zerbrochen!
Europas Mächtigster – er ist vernichtet –
Und unser ist der Sieg! Gott hat gerichtet!

O glaubt’s, daß an dem deutschen Himmel Gott.
Es also schrieb mit seinen Sternenlettern:
Er ließ die Ausgeburt von Sünd’ und Spott
Durch seiner Deutschen Rächerarm zerschmettern.
Daß nicht die Lüge herrsche in der Welt,
In edlem Pfuhl hinsterbe jede Tugend,
Hat er das deutsche Volk so hoch gestellt
An Manneskraft und Heldenmuth der Jugend.
Ein neues Glück zog in die Welt herein,
Das Glück: der deutschen Erde Kind zu sein!

Wohl pocht voll Stolzes heut das deutsche Herz,
Doch tausend thränenvolle Wimpern beben
Und auf den Lorbeer senkt den Flor der Schmerz
Um tausend hingemähte Blüthenleben!
Den stummen Opfern und dem Gram erschalle
Kein Laut, – o ehrt der Sitte still Gebot:
Erhebt Euch von den Sitzen Alle, Alle!
So ehren wir der Unsern Heldentod.
Das Vaterland soll nimmer ihrer Namen
Und nimmer seines Danks vergessen!0 Amen.

Euch aber, die Ihr hoch das Schwert noch schwingt,
Zu Roß und Fuß zerstampft die Feindeserde,
Weit hinter’m Rhein „die Wacht am Rhein“ noch singt
Und sehnend denkt der Lieben heim am Heerde –
Euch Allen, den in Gottes Hut Gesunden,
Euch Allen in Gefahren Tag und Nacht,
Und Allen Euch, Ihr Kranken und Ihr Wunden,
Euch sei ein dreifach donnernd Hoch gebracht:
Ein dreifach Hoch für Deutschlands Heldenehre
Den deutschen Führern und dem deutschen Heere!
 Friedrich Hofmann.


Kleiner Briefkasten.

P. in Wien. Ihre Einsendung ist leider so unzeitgemäß als möglich. Wir danken bestens und ersuchen Sie, wieder darüber zu verfügen.

Einer, der aus besonderen Gründen nicht mit in’s Feld ziehen kann etc. Wir sind beim besten Willen nicht im Stande, Ihren Wünschen zu entsprechen. Geben Sie uns doch Ihre Adresse an, damit wir das Manuscript Ihnen wieder zustellen können.

Antwort auf verschiedene Anfragen. Verfasser des in Nr. 35 unseres Blattes abgedruckten Artikels: „O Straßburg, o Straßburg etc.“ ist Herr Consul Dr. Karl Andree in Dresden, der, wie wir bereits gemeldet, uns 1859 mit diesem vortrefflichen Beitrag erfreute.

K. L. in R. Schon die nächste Nummer wird Sie überzeugen, daß die Gartenlaube nicht in „Lager- und Schlachtberichten aufgegangen ist“.


Für die Verwundeten und die Frauen und Kinder unserer unbemittelten Wehrleute.

gingen wieder ein: Zweiter Beitrag der Gartenlaube 100 Thlr.; Quitzow in Leipzig 100 Thlr.; Ertrag einer Lotterie zum Besten deutscher Krieger, von den beiden Orten Katzhütte u. Oelze aus d. Thüringer Walde 106 Thlr.; Professor Schellenberg auf Johannishof bei Dresden 100 Thlr,; aus Gunnebo bei Westerik in Schweden 80 Thlr. (u. zwar von Jude aus Weimar 6, A. Lurmann 21 u. Gust. Lurmann aus Westphalen 21, G. Eichelberg 10, Fr. Graumann 4, L. Mannstädt 10, G. Lohoff aus Westphalen 4, C. Wieder aus der Rheinpfalz 2 u. O. Essen aus Oldenburg 2 Thlr.); Ertrag eines vom Gesangverein Liederkranz in Schandau veranstalteten Concerts, unter Mitwirkung der mecklenburger Opernsängerin Frl. C. Lorch, Musikal.-Händler Challin, Pianisten Hoppe a. Berlin, Musikdir. Schildbach 39 Thlr.; ein Theil des Personals von J. V. Limburger jun. in Leipzig 50 Thlr.; Fr. B. f. Monat August 1 Thlr.; O. R. W., Monat August 1 Thlr.; Sammlung der Classe II. B. der Fortbildungsschule in Leipzig 4 Thlr. 7½ Ngr.; W. C. in Offenburg 2 Thlr.; Bernhard’sche Riege in Leipzig 4 Thlr.; monatlicher Beitrag von Str.-Exped. W. B. Ngl. Bch. 1 Thlr. 20 Ngr.; Richard Lange in Glashütte 30 Thlr.; Goethel in Borstendorf 1 Thlr.; Elise B. in Florenz 20 Thlr.; L. L. in St. 1 Thlr.; A. Büttner in St. Petersburg 10 Thlr.; Apotheker Oberth in Bukarest, durch H. in St. 6 Thlr.; vom Leibgrenadier Richard Meyer, welcher, bis jetzt durch Krankheit gehindert, an den Waffenthaten seiner Cameraden theilzunehmen, auf diese Weise zu helfen sucht 4 Thlr.; Albr. Helling in Manchester 2 Thlr.; erste Sammlung des patriotischen Jungfrauen-Kränzchens in Bleicherode 1 Thlr.; fünfte Wochensammlung des Personals von Schelter und Giesecke 27 Thlr. 22 Ngr.; vom Geschäftspersonal J. G. B. 3 Thlr. 12 Ngr.; Insp. Ernst Klein in Lindewiese 3 Thlr. 25 Ngr.; Krutwig in Antwerpen 10 Thlr.; Ressource in Zwönitz 10 Thlr.; E. Grüner, Leser d. Gartenlaube u. der Kegelclub in Zwönitz 19 Thlr.; zweiter Beitrag der Schachspieler im Café Felsche 2 Thlr.; Fritz Mayer in Leipzig 10 Thlr.; Doctor Robert Götze in Gothenburg 15 Thlr.; aus Freude über die Befreiung von einer großen Sorge 10 Thlr.; dritte Wochensammlung der Klinckhardt’schen Buchdruckerei 5 Thlr. 7 Ngr.; L. K. Golhausen 10 Thlr.; D. a. G. 2 Thlr.; Klatschrose 3 Thlr.; Luftbude St. Thomä in Leipzig 1 Thlr.; von Tante R. in L. 5 Thlr.; Kupfergeld aus d. Conditorei G–s 3 Thlr.; Ch. Herold in Genf 1 Thlr. 18½ Ngr.; O. Thienemann 1 Thlr.; vierte Wochensammlung der Drugulin’schen Druckerei 3 Thlr. 2 Ngr.; A. Quantz, Göttingen 1 Thlr., nebst einem Originalabdruck der Marseillaise, mit Stempel der französischen Republik. Wer bietet darauf und wie viel? – Von drei Deutschen aus dem südlichen Rußland 25 Rubel; zwei deutsche Familien in der Provinz Overyssel (Holland) 20 fl. holländisch; Charles und Alfred Maßmann in Soden 2 fl. rh. – Quittung über eingesandte Schmucksachen später.


Aus Oesterreich gingen abermals ein: Linz, immer und immer wieder oben an: durch Dr. Dürrnberger eine dritte Sammlung von 162 Thlr. und durch denselben wackern Landsmann eine vierte Sammlung von 14 Thlr. 60 Frcs u. 2 Ducaten; von einer Verbannten in Siebenbürgen 2 fl.; Carl Noback in Budweis 15 fl.; M. L. Winter in Prag 25 fl.; Ehrenhaus in Gmunden 30 fl.; Reißenberger in Hermannstadt 5 fl.; Josephine Grosse 3 fl.; Fritz Grosse 2 fl.; C. Appel in Olmütz 1 fl.; von einer deutschen Frau E. L. in Prag 10 fl.; eine Gesellschaft siebenbürger Sachsen in Kronstadt 45 fl. 12 kr.; Turnverein Dornbirn, Vorarlberg, 80 fl.; Lotterie der Gesellschaft Saxonia in Wien 28 fl.; Selma Gräfin Thurn in Hermannstadt 50 fl.; Jos. Götzger in Wien 10 fl.; aus Bistritz in Siebenhürgen mit den Worten: „Es giebt das Herz, es giebt das Blut sich zu erkennen!“ 164 fl. u. 2 Ducaten; aus Klagenfurt 6 Thlr. Die Redaction. 


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Mangel an Raum verhinderte uns, den dritten Wochenbericht in der vorigen Nummer der Gartenlaube einzureihen; wir lassen ihn nun mit dem vierten verbunden nachfolgen.
  2. Auch das hat sich bereits erfüllt, und in so ungeheurer, so überwältigend großartiger Weise, daß das nun wahrlich sieggewohnte deutsche Volk dennoch wie vor einem Wunder vor der neuen Zeitung steht. Sie lautet:
    „Kaiser Napoleon gefangen!

    Die französische Armee hat capitulirt!

    Der Königin Auguste in Berlin.

    Vor Sedan, den 2. September, ½2 Uhr Nachmittags. Die Capitulation, wodurch die ganze Armee in Sedan kriegsgefangen, ist soeben mit dem General Wimpffen geschlossen, der an Stelle des verwundeten Marschalls Mac Mahon das Commando führte. Der Kaiser hat nur sich selbst mir übergeben, da er das Commando nicht führt und Alles der Regentschaft in Paris überläßt. Seinen Aufenthaltsort werde ich bestimmen, nachdem ich ihn gesprochen habe in einem Rendezvous, das sofort stattfindet. Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!

    Wilhelm.“

    Die Darlegung des Zusammenhangs der Actionen vor Sedan und der jüngsten Kämpfe vor Metz und Straßburg müssen wir uns für den nächsten Wochenrapport aufheben.