Die Gartenlaube (1872)/Heft 11
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No. 11. | 1872. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
Erst am Ausgange des Dorfes hielt Lucie in der halb unwillkürlichen Flucht inne, wußte sie doch selbst kaum, wovor sie eigentlich floh, oder wollte es sich vielmehr nicht eingestehen; aber die bloße Vorstellung schon, daß die scharfen Augen Franziska’s und die des Pfarrers auf ihr ruhen würden, wenn die Thür sich öffnete und jene hohe finstere Gestalt eintrat, drohte sie um alle Fassung zu bringen. Der bloße Gedanke an die Nähe dieses Mannes weckte Alles wieder auf, was im Laufe der letzten Monate eingeschlummert war, so daß sie nur noch bisweilen, wie an einen schweren, ängstlichen Traum daran zurückdachte, die räthselhafte Angst, das quälende Weh, den ganzen finsteren Bann, der sie bereits wieder magnetisch umfing. Sie wollte diesem Banne entfliehen und ahnte nicht, daß sie eben dadurch erst in den gefürchteten Zauberkreis eintrat, daß die Gefahr, die sie hinter sich wähnte, vor ihr lag.
Am Fahrwege angelangt überblickte Lucie vergeblich die ihr sichtbaren Windungen desselben, weder Bernhard, noch der Kutscher mit den Pferden war zu entdecken. Sie beschloß, dem Bruder ein Stück entgegenzugehen, verfehlen konnte sie ihn ja hier nicht und es lag ihr vor allen Dingen daran, dem Pfarrhause so lange als möglich fern zu bleiben.
Das junge Mädchen war schon einige Minuten lang bergabwärts gestiegen; der Weg, der Fräulein Reich so viele Mühe gekostet, machte ihren leichten Füßen nicht die geringste Beschwerde, als sie auf einmal Schritte hinter sich vernahm. Sie wandte sich um und blieb einen Moment lang in zitterndem Schreck stehen, aber auch nur einen Moment, da entdeckte sie bereits, daß es blonde Haare seien, die auf den dunklen Mantelkragen des Fremden herabfielen, der in diesem Augenblick, schon aus der Ferne grüßend, den Hut zog. Lucie athmete tief auf. Graf Rhaneck! Sie hatte ihn, durch Gang und Haltung getäuscht, für einen – Anderen gehalten, es war seltsam, wie er in Beidem diesem Anderen glich.
Mit wenigen raschen Schritten war Ottfried an ihrer Seite. „Das sind in der That halsbrechende Bergpartien hier oben! Wer doch auch Ihren Elfenfuß hätte, mein Fräulein, der so leicht über diese Steine hinweggleitet, wie über eine bethaute Wiese. Wir armen Sterblichen haben es nicht so gut wie die Elfen, uns hält die nasse Erde unerbittlich fest, und wahrlich, nur die Hoffnung, ein solches Feenkind zu erreichen, konnte mich veranlassen, Ihnen auf diesem entsetzlichen Wege zu folgen.“
Mit dieser kecken Galanterie schloß er sich ihr ohne Weiteres an und blieb, als habe er ein Recht dazu, dicht neben ihr. Lucie wich unwillkürlich etwas seitwärts, so daß der Raum zwischen ihnen weiter ward.
„Mich erreichen?“ fragte sie ziemlich kühl. „Wußten Sie denn überhaupt, daß ich hier sei?“
Der Graf lächelte. „Ich sah Sie bereits vor einer halben Stunde, Sie traten soeben mit ihrer Begleiterin in’s Pfarrhaus, als wir nach dem Dorfe zurückkehrten. Schon hatte ich alle Hoffnung aufgegeben, Sie zu sprechen, als mir der Zufall unerwartet sich so hold erwies.“
Er hätte hinzufügen können, daß er sich in der Nähe Franziska’s, die er in gleicher Weise wie Bernhard, aber mit größerem Rechte den „Cerberus“ nannte, nicht an sie gewagt, dagegen den ersten besten Vorwand erfunden hatte, seinen Vater zu bestimmen, allein vorauszufahren, und ihn noch einige Stunden in N. zu lassen, aber er unterließ wohlweislich diese Auseinandersetzungen und begehrte statt dessen, zu wissen, welchem Zufall er das Glück verdanke, Fräulein Günther hier zu sehen.
Lucie erzählte, etwas einsilbig und zurückgehalten, daß sie von A. kämen, welcher Unfall sie betroffen und daß sie im Begriff stehe, ihren Bruder aufzusuchen, der wahrscheinlich noch drunten im Thale sei. Bei der Erwähnung Bernhard’s verfinsterten sich die Züge des Grafen auffallend, und er warf höhnisch die Lippen auf.
„In Bezug auf Herrn Günther erlauben Sie mir wohl eine Frage, mein Fräulein. Ihr Herr Bruder hat mich vor einiger Zeit mit einem Briefe beehrt, der – darf ich fragen, ob Sie überhaupt davon unterrichtet sind?“
„Ich? Nein!“ Lucie sah ihn verwundert an; sie begriff nicht, wie Bernhard, der sich bei jeder Gelegenheit so eingenommen gegen den Grafen zeigte, dazu kam, an ihn zu schreiben. Ottfried lächelte wieder, diesmal aber mit dem Ausdrucke tiefster Befriedigung.
„Ich ahnte es! Dann fällt die Sache natürlich nicht auf Sie, und ich will Sie nicht weiter damit behelligen, obgleich ich allen Grund hätte, die Grausamkeit anzuklagen, die mir Ihren Anblick Monate lang entzog! O mein Fräulein –“
Er war jetzt völlig wieder in dem alten Fahrwasser und ließ auf’s Neue alle jene Künste der Schmeichelei und Galanterie spielen, mit denen er einst auf dem Balle das sechszehnjährige [170] Mädchen bezaubert hatte. Aber seltsam, das einst so bewährte Mittel wollte nicht mehr wirken, seit damals im Walde eine fremde Hand das Netz zerrissen, das er mit seinen Schmeichelworten um das Herz des unerfahrenen Kindes gewoben, seit diese Hand sich so ernst gebietend auf ihren Arm gelegt und sie weggerissen hatte aus der gefährlichen Nähe. Vielleicht war es auch eine unbewußte Vergleichung, bei der Ottfried verlor, denn wenn er auch jetzt das ganze Feuer verschwendete, das seinen matten Augen noch zu Gebote stand, sie kamen doch nicht auf gegen jenen dunkelglühenden Blick, der sich strafend, und doch mit so räthselhaft zwingender Gewalt in das Innere des jungen Mädchens gesenkt. Franziska hatte Recht. Lucie war eine Andere geworden seit jenem Tage; mit Gleichgültigkeit, ja mit Widerwillen wendete sie sich von einer Sprache ab, die sie einst mit so vielem Vergnügen angehört.
Dem Grafen entging es nicht, daß die junge Dame heute auffallend kühl und ernst aus den blauen Augen schaute, daß sie ihren Schritt auffallend beschleunigte und nur sehr einsilbige Antworten gab; aber an dem Eindrucke seiner Persönlichkeit zu zweifeln, fiel ihm natürlich nicht ein. Er schob dies veränderte Wesen gänzlich auf Einschüchterung von Seiten des Bruders und der Erzieherin und wurde allmählich kecker in Ton und Worten. Er klagte leidenschaftlich über die lange Trennung, verschwur sich hoch und theuer, daß keine Macht der Erde ihn zwingen werde, Rhaneck zu verlassen und nach der Residenz zurückzukehren, wenn er nur die Hoffnung habe, sie öfter sehen und sprechen zu dürfen, und war eben im Begriff, seine frühere Liebeserklärung, wenn auch mit Rücksicht auf den feuchten Lehmboden diesmal ohne Fußfall, zu wiederholen, als Lucie ihn auf einmal unterbrach.
„Ich bitte, schweigen Sie davon, Herr Graf! Ich will das nicht hören!“
Ottfried stutzte, er hatte diesen entschiedenen Ton gar nicht in dem jungen Mädchen gesucht. „Sie wollen es nicht hören?“ wiederholte er langsam, während sich ein leiser Hohn in seine Stimme mischte. „O mein Fräulein, könnten Sie wirklich so hart sein, mir jetzt ein Gehör zu verweigern, das ich doch einst bei Ihnen fand?“
Lucie erröthete, aber es war die Röthe der Scham und des Unwillens, die ihr das Blut in die Wangen trieb; zum ersten Male empfand sie jetzt das Beleidigende in dieser Art von Annäherung, das bisher ihrer Unerfahrenheit völlig entgangen war; aber mit dem Bewußtsein der Beleidigung kam auch der Stolz.
„Ich werde doch wohl die Freiheit haben, zu thun, was mir beliebt!“ entgegnete sie mit vollster Heftigkeit, „und ich erkläre Ihnen jetzt, Herr Graf, daß ich Sie nicht länger anhören mag. Verlassen Sie mich!“
Lucie irrte sehr, wenn sie glaubte, den Grafen dadurch zurückzuscheuchen; er war nicht der Mann, sich durch eine wenn auch noch so entschiedene Abweisung schrecken zu lassen, und der unerwartete Widerstand, der plötzlich hervorbrechende Trotz des jungen Mädchens, das er schon ganz in seinen Banden wähnte, gab ihr nur einen Reiz mehr in seinen Augen.
„Wie allerliebst Ihnen der Trotz zu Gesichte steht!“ sagte er mit malitiösem Lächeln. „Sie vergessen nur, daß wir allein sind und daß ich nicht der Thor sein werde, Ihnen zu gehorchen, wenigstens nicht, ohne vorher diesen reizenden kleinen Mund geküßt zu haben, der auf einmal so harte Worte spricht.“
Er beugte sich zu ihr nieder; aber in demselben Moment war Lucie auch schon drüben auf der andern Seite der Straße; glühend vor Zorn und Entrüstung blieb sie hier einen Augenblick stehen. Sie befanden sich gerade in jenem Punkte, wo der kürzere und freilich auch gefährlichere Weg, der von N. herab über die „Wilde Klamm“ führte, in die Fahrstraße mündete; seitwärts durch die Tannen schimmerten die weißen Mauern eines Gebäudes, der Wallfahrtskirche, die sie schon beim Heraufsteigen bemerkt hatten und die kaum hundert Schritte abseits vom Wege lag. Der Blick des jungen Mädchens überflog den letztern, ob der Bruder noch nicht nahe, und als nichts dort zu erblicken war, faßte sie rasch ihren Entschluß. Ohne ein Wort, ohne einen Blick weiter kehrte sie plötzlich dem Grafen den Rücken und schlug den Seitenpfad ein.
Ottfried stand anfangs betroffen von dieser Bewegung, die er sich nicht zu erklären wußte; gereizt folgte er ihr nach Verlauf von einigen Secunden, aber es war bereits zu spät. Aus den Tannen heraustretend, gewahrte auch er die vor ihm liegende Kirche und sah gerade noch, wie Lucie die Stufen hinaufschritt und in das offene kleine Gotteshaus eintrat.
Der junge Graf biß sich auf die Lippen. Er war doch zu sehr Katholik, zu sehr von Vater und Oheim in den Formen seiner Religion geschult, um nicht, wenn auch nur äußerlich, den Ort zu respectiren, wohin sich das junge Mädchen vor ihm geflüchtet. Mußte diese – unbequeme Kirche auch gerade hier am Wege liegen! Aber das Zurückbleiben hätte der Niederlage auf ein Haar gleich gesehen, und diesen Gedanken ertrug Ottfried nicht. Seine Weltgewandtheit kam ihm dabei zu Hülfe; er trat gleichfalls ein, bekreuzigte sich in vorgeschriebener Weise, machte dem Hochaltar eine ehrfurchtsvolle Verbeugung und gesellte sich dann zu Lucie, indem er ruhig und artig, als sei nicht das Geringste vorgefallen, als sei ihr Gespräch nur eine harmlose Plauderei und das Benehmen, das er sich erlaubt, nur ein flüchtiger Scherz gewesen, fragte, ob Fräulein Günther nicht auch finde, daß die Kirchen hier zu Lande sehr schön seien.
Sie sah ihn im ersten Augenblick ganz fassungslos an. Wenn sie auch fühlte, daß er sofort den Ton geändert und daß sie hier wohl vor weiteren Zudringlichkeiten sicher war, diese Art, das Vorgefallene gänzlich zu ignoriren, verletzte sie fast noch mehr, als eine Erneuerung seiner Unverschämtheit es gethan hätte; ohne ihn einer Antwort zu würdigen, wendete sie ihm den Rücken.
Die Kirche war völlig leer, die Andächtigen hatten sie bereits sämmtlich verlassen und soeben trat auch der Priester aus der Sacristei, wo er die gottesdienstlichen Gewänder abgelegt hatte, hinter ihm kam der Meßner, der mit einem verwunderten Blick die Fremden maß und dann an ihnen vorüberging, um die Kirche zu verlassen und sich in seine dicht daneben gelegene Wohnung zu begeben; Benedict, der noch einige Minuten in der Nähe des Altars verweilte, wendete sich jetzt ebenfalls dem Ausgange zu.
Als sei der Blitz vor ihm niedergefahren und habe ihm für Minuten Sprache und Bewegung geraubt, so regungslos stand er da beim Anblick der Beiden, die er wohl unter Allen auf Erden hier am wenigsten vermuthet. In dem Moment, wo er Lucie erblickte, sah er auch den Grafen an ihrer Seite, und Alles, was dies Wiedersehen sonst vielleicht wach gerufen, erstarrte in einer tiefen tödtlichen Bitterkeit, aber die Hand ballte sich krampfhaft unter dem dunklen faltigen Gewande Das also hatte seine Warnung gewirkt!
Ottfried war nicht minder peinlich berührt durch das unerwartete Zusammentreffen. Der Zufall schien sich heute ganz und gar gegen ihn verschworen zu haben, aber er war gewohnt sich in ähnlichen Lagen rasch zu fassen und fühlte, daß er seine Niederlage hier um keinen Preis verrathen dürfe. Auf Luciens eigene ihm wohlbekannte Scheu vor dem düsteren Mönche bauend, grüßte er nachlässig und sagte scheinbar mit vollkommener Ruhe:
„Entschuldigen Sie, Hochwürden! Fräulein Günther wünschte auf einige Minuten hier einzutreten, Sie gestatten uns doch die Besichtigung Ihrer Kirche?“
Lucie erbleichte, diese kecke Unverschämtheit raubte ihr für den Augenblick nicht allein die Fassung, sondern auch die Kraft, sich dagegen zu erheben. Noch bleicher als sie aber war der junge Priester geworden, der Blick, der sie jetzt traf, war voll eisiger niederschmetternder Verachtung und doch barg sich tief dahinter etwas wie verzweifeltes Weh. Ohne auch nur ein einziges Wort an sie zu richten, wandte er sich dem Grafen zu.
„Unser einfaches Gotteshaus bietet keine Merkwürdigkeiten! Mir scheint, Herr Graf, Sie hätten draußen hinreichende und für Sie passende Unterhaltung genug gefunden, um die Kirche entbehren zu können!“
Was der Blick begonnen, das vollendete der schneidende Ton dieser Worte, sie gaben Lucie die Besinnung und die Sprache zurück, sie fühlte dunkel, daß sie Alles ertragen könne, nur nicht die Verachtung auf diesem Antlitz.
„Graf Rhaneck spricht die Unwahrheit!“ erklärte sie entschlossen, aber mit bebender Stimme, und es war nicht Ottfried’s Nähe, die sie jetzt erbeben machte. „Ich habe mich hierher flüchten müssen vor seiner Zudringlichkeit. Ich hoffte, die Kirche würde mir Schutz gewähren – Graf Rhaneck ist mir dennoch gefolgt!“
Ein Aufflammen brach glühend und leidenschaftlich hervor [171] aus den Zügen, die eben noch wie zu Stein erstarrt schienen, in der nächsten Secunde stand Benedict bereits neben dem jungen Mädchen und legte schützend die Hand auf ihren Arm.
„Mein Fräulein!“ rief Ottfried, schwankend zwischen Zorn und Verlegenheit, „Sie geben meinen harmlosen Galanterien eine eigenthümliche Auslegung. Hätte ich ahnen können, daß Sie einen Scherz –“
„Genug!“ unterbrach ihn Benedict mit dumpfer, noch mühsam beherrschter Stimme. „Das Fräulein steht unter meinem Schutze. Verlassen Sie die Kirche, Graf Rhaneck!“
Ottfried wurde blaß vor Wut bei diesen im Tone eines Befehls ihm zugeschleuderten Worten.
„Herr Pater Benedict,“ Sie haben das seltene Glück, stets unangreifbar zu sein, und pochen darauf, wie es scheint. Früher schützte Sie das Gewand, jetzt der Ort, wo wir stehen. Hüten Sie sich, auch meine Geduld könnte ein Ende erreichen.“
Benedict trat dicht an ihn heran. „Sie werden dies Gewand und diesen Ort ehren, wenn Sie auch die Nähe einer Frau nicht zu ehren wußten. Noch bin ich Priester und ich weise Sie als solcher von der Schwelle meiner Kirche, sie dient nicht Ihrem Zeitvertreib.“
„Noch sind Sie es!“ Ottfried nahm seine Zuflucht zum Hohne, denn er wußte aus Erfahrung, daß diese Waffe den Gegner am schärfsten traf. „Ueben Sie nur ja noch heute Ihre Priestergewalt, es möchte das letzte Mal sein, daß man Ihnen erlaubt, im Namen der Kirche zu sprechen, die Sie in Ihren Predigten so unverantwortlich preisgaben, und die mein Oheim hoffentlich vor Angriffen zu schützen wissen wird.“
Die Lippen des jungen Priesters zuckten verächtlich. „Das Strafgericht des Prälaten kommt Ihnen wohl sehr gelegen, Graf Rhaneck? Lassen Sie den Hohn! Wir stehen hier auf geweihtem Boden, sonst –“ er vollendete nicht, aber der Blick, der die Worte ergänzte, machte Lucie zusammenschauern, das war wieder jenes furchtbare Auflodern, das sie einst im Tanze von der Seite des Grafen emporgeschreckt und von dem Ottfried spottend behauptet, „der Fanatiker wolle ihn damit in die fernste Tiefe schleudern.“ Jetzt flammte jener Blick wieder in dem dunklen Auge und die Tiefe – war nicht weit!
Ottfried mochte wohl fühlen, daß er in diesem Streite den Kürzeren ziehen werde, und zog es deshalb vor, ihn zu endigen. Er erklärte kurz und hochmüthig: „Wir sprechen uns noch, Herr Pater Benedict!“ und verließ dann wirklich die Kirche, erst draußen ließ er seinem Grimm die Zügel schießen. Der Wind hatte sich inzwischen gelegt, aber das Gebirge begann sich zu umschleiern. Tief und tiefer senkten sich die Wolken in’s Thal herab, während die höher gelegenen Berge schon in einer dichten Nebelschicht verschwanden. Der Graf blickte den Weg hinunter, es fehlte nur, daß jetzt auch noch dieser Günther erschien, um ihn zur Rede zu stellen! Wenn Ottfried ein solches Zusammentreffen auch nicht gerade fürchtete – als er Lucie hinabbegleitete, stand es ja jeden Augenblick zu erwarten – so wünschte er es doch jetzt noch viel weniger. Was blieb denn am Ende diesem Menschen gegenüber übrig, wenn er sich mündlich Unarten erlaubte, wie er es bereits schriftlich gethan! Fordern konnte man ihn doch nicht. Graf Rhaneck und der Sohn eines Unterförsters! Also that man am besten, die etwaige Begegnung zu vermeiden, besonders nach dem, was jetzt geschehen war. Mit einem erbitterten Blick nach der Kirche zurück wandte sich der junge Graf an den Meßner, der vor seinem Hause stand und nach dem Wetter sah. „Giebt es keinen Weg nach N. zurück, als diesen hier?“
Der alte Mann kam näher. „Gewiß, Euer Gnaden! Der Fußweg da bringt Sie in der halben Zeit nach dem Dorfe.“
Der Gebirgsbewohner dachte natürlich nicht daran, daß der Weg, den er stets mit solcher Gemüthsruhe ging, für die verwöhnten Füße eines Städters bedenklich sein könnte. Ottfried war aber nicht in der Stimmung, viel danach zu fragen, ob der Pfad bequem oder unbequem sei, er winkte dem Meßner mit der Hand einen vornehm nachlässigen Dank zu und verschwand zwischen den Felsen, in der angewiesenen Richtung.
Benedict war an der Seite des jungen Mädchens in der Kirche zurückgeblieben. Er hatte Recht, es war nur ein einfaches kleines Gotteshaus, gleichwohl hatte es die Andacht der armen Gebirgsbewohner mit Allem geschmückt, was ihren dürftigen Mitteln nur zu Gebote stand. Noch schwebte der Weihrauchsduft durch den dämmernden Raum, das trübe Tageslicht draußen fiel gedämpft durch die schmalen, längst erblindeten Kirchenfenster und hüllte Altar und Seitenpfeiler in ein mystisches Halbdunkel, während die Wölbung oben schon im tiefen Schatten verschwamm. Verblaßte Bilder, halbverwischte Inschriften ringsum an den Wänden, dazwischen Todtenkränze, reich mit Bändern und Flittergold aufgeputzt, und statt der Blumen, die der rauhe Herbst hier oben nicht mehr zu geben vermochte, frisches Immergrün zu den Füßen des Madonnenbildes. Ueber dem Hochaltar aber schwankte dunkelroth die Ampel mit dem ewigen Lichte, die Ketten, welche sie trugen, verschwanden im Dunkel der Wölbung, es sah aus, als schwebe ein großes glühendes Auge da oben, das unverwandt auf die Beiden niederblicke.
Der junge Priester hatte nicht gefragt, wie Lucie hierhergekommen und welcher Zufall sie allein mit dem Grafen zusammengeführt, ihm genügte es, daß dies Beisammensein ein erzwungenes war, und daß sie sich davor in seinen Schutz geflüchtet. Dies Wiedersehen riß ja ohnedies die letzte Hülle von der Wahrheit, die mit jeder Stunde, mit jedem Tage hier oben sich deutlicher vor ihm erhob, daß es umsonst gewesen war, all dies Fliehen und Kämpfen, daß er hier in der Ferne und Einsamkeit noch tiefer im Banne der Leidenschaft lag, als drunten im Stifte. Dies junge Wesen, das so gar nicht fähig schien, die Tiefen seines Innern zu verstehen oder auch nur zu ahnen, das mit seinen blauen Kinderaugen nur in eine Welt voll Sonnenschein und Freudenglanz blickte, dessen blumiger Weg so weit ab lag von der Bahn, die der finstere einsame Mönch von jeher gegangen, es hatte gleichwohl eine Gewalt über ihn errungen, vor der jede andere Empfindung machtlos zusammensank, vor der jede Willenskraft sich ohnmächtig beugte.
Lucie stand scheu und ängstlich neben ihm, sie ahnte freilich nichts von dem Sturme, der sich unter dieser kalten Verschlossenheit barg, aber sie hatte freier geathmet in der Gegenwart Ottfried’s, selbst da, wo sein Wesen sich ihr in seiner ganzen Widerwärtigkeit enthüllte. Die Empörung darüber rief ihren ganzen Trotz und Stolz wach, gezittert hatte sie vor ihm auch in jenem Augenblicke nicht, aber hier, in dem sichern Schutz des blassen strengen Priesters, da zitterte sie. Es gab nur ein Auge, das im Stande war, ihr Furcht zu machen, und das Auge war jetzt wieder auf sie gerichtet, und sie wieder in dem alten Bann.
Das leise Beben des jungen Mädchens entging Benedict nicht.
„Fürchten Sie nichts, mein Fräulein!“ sagte er fest. „Ich bleibe an Ihrer Seite, bis ich Sie in sicherer Obhut weiß. Der Graf wird Sie nicht weiter behelligen!“
Lucie hob unwillkürlich das Auge empor, es war etwas in seiner Stimme, was ihr Angst einflößte, und in seiner Miene fand sie denselben Ausdruck wieder, der sie in den Worten erschreckt hatte; stand doch eine tiefe drohende Falte auf seiner Stirn, die sie niemals dort gesehen.
„Es thut mir leid, daß Sie dem Grafen meinetwegen so feindlich gegenübertraten,“ sagte sie leise. „Er wird es Ihnen schwerlich verzeihen.“
Benedict lächelte verächtlich. „Beruhigen Sie sich! Die Feindschaft zwischen Graf Rhaneck und mir datirt nicht erst von heute. Er hat mich von jeher mit seinem Hasse beehrt!“
„Aber“ – Lucie stockte und sie konnte doch die Frage nicht zurückhalten – „was meinte er mit seinen räthselhaften Worten, es sei zu Ende mit Ihrer Priestergewalt? Wollen Sie nicht mehr Priester bleiben?“
Ein Ausdruck tiefster Bitterkeit überflog seine Züge. „Ob ich will? Meine Gelübde sind unauflöslich! Unsere Kirche giebt ihre Geweihten niemals frei, es ist nur die Frage, ob ich mich noch ferner zu ihnen zählen darf!“
Erschreckt und fragend richteten sich die Augen des jungen Mädchens auf ihn, er schüttelte finster das Haupt.
„Meinen Sie etwa, ich hätte eine Todsünde begangen? Ich habe gepredigt, wie es mich die Begeisterung des Augenblicks und ein warmes Herz für meine unterdrückten Brüder lehrte, nicht wie Roms Kirche es vorschreibt. Das fordert Sühne, man hat im Stifte bereits über mich zu Gericht gesessen, ich weiß es! Ich habe nur noch mein Urtheil zu empfangen.“
„Und was kann man Ihnen denn anthun?“
„Alles!“
Lucie machte eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens. [172] „Mein Bruder sagt,“ begann sie schüchtern, „es sei gefährlich, die Herren im Stifte zu reizen. Wenn Sie sie gereizt haben – o mein Gott, so kehren Sie doch nicht zu ihnen zurück! Bleiben Sie hier oder fliehen Sie! es kann Sie ja in’s Verderben bringen.“
Sie hatte keine Ahnung davon, daß die unbewußte Angst, welche sie auf einmal mit dem Gedanken seiner Gefahr überkam, sich auch in ihrer Stimme verrieth, daß sie dabei die Hand wie flehend auf seinen Arm gelegt; erst als die seinige diese Hand plötzlich umschloß, wollte sie zurückweichen, aber er gab sie nicht mehr frei.
„Schon zwei Mal habe ich heute die gleiche Warnung erhalten, die dritte und letzte kommt aus Ihrem Munde. Ich kann auch dieser letzten nicht folgen, ich kann nicht, Lucie! Aber – ich danke Ihnen!“
Das junge Mädchen schauerte leise zusammen unter diesen weichen bebenden Lauten, unter dem Klange ihres Namens, den sie zum ersten Male von diesen gefürchteten Lippen vernahm, sie hatte nicht den Muth, ihm die Hand zu entziehen.
„Herr Pater Benedict –“
Sie vollendete nicht, denn sie fühlte, wie seine Hand zuckte und die ihrige plötzlich fallen ließ.
„Pater Benedict!“ wiederholte er langsam. „Sie haben Recht, mein Fräulein, mich daran zu erinnern, wer ich bin. Ich stand im Begriff, es zu vergessen!“
„Heißen Sie denn nicht so?“ fragte Lucie betreten.
„Im Kloster, im Mönchsgewande – ja! Man läßt uns ja nicht einmal den Namen, der uns an die Zeit der Freiheit erinnern könnte! Auch ich habe den weltlichen Namen ‚Bruno‘ mit dem heiligen ‚Benedictus‘ vertauschen müssen, gesegnet ist dieser Tausch für mich nicht gewesen!“
Er schwieg plötzlich, auch Lucie wagte keine Erwiderung. Draußen jagten düstere Wolkenschatten vorüber und die Nebel legten sich dicht und dichter um das kleine Gotteshaus. Durch eines der offenen Kirchenfenster wehte der Luftzug herein und flüsterte leise in den welken Blättern der Todtenkränze, dunkler glühte das ewige Licht in der zunehmenden Dämmerung und warf seinen rothen Schein auf die Stufen des Altars, an dem die Beiden standen.
„Sie lieben das Kloster nicht?“ fragte Lucie endlich leise.
„Ich hasse es!“
Das junge Mädchen hob mit einem Anfluge von ihrem früheren Trotze das Haupt. „Und warum sagen Sie sich denn nicht los davon?“
Die dunkeln Augen des jungen Priesters hefteten sich fest auf ihr Antlitz, noch ahnte sie nicht, was diesen Blick so seltsam aufglühen machte.
„Würden Sie sich so leicht von einem Bande lossagen, an das ein Schwur Sie fesselt, oder einem Manne vertrauen, der es gethan? Würden Sie zum Beispiel diesem Manne hier am Altare Ihre Hand reichen für das Leben?“
Lucie schwieg, betroffen durch die seltsame Frage und mehr noch durch den Ton derselben. Es klang etwas daraus wie Todesangst, wie das athemlose Forschen eines Verurtheilten, der in einem einzigen Worte Begnadigung oder Verdammniß erwartet.
„Ich weiß nicht!“ stammelte sie endlich. „Ich –“
„Sie würden es nicht thun!“ ergänzte er, aber die Stimme war auf einmal matt und klanglos geworden. „Ich wußte es! Schrecken Sie doch nicht so vor mir zurück!“ fuhr er mit ausbrechender Heftigkeit fort, als sie in der That, erschreckt durch sein räthselhaftes Wesen, einen Schritt zurückwich. „Ich will ja diese Hand nicht an mich reißen! Dem Priester Roms ist ja ewig versagt, was den Dienern Ihrer Kirche gewährt wird. Der Altar, an dem sie frei und offen vor aller Welt ihr Weib empfangen, er steht auf ewig zwischen uns und jedem Lebensglück. Uns ist nur die Wahl gestellt zwischen Entsagung oder Verbrechen, und wenn man nicht entsagen kann und das Geliebte nicht entweihen will, dann bleibt nur Eines übrig – der Untergang!“
Regungslos stand Lucie vor ihm, entsetzt, betäubt von der Ahnung, die jetzt endlich in ihr aufdämmerte. Allmächtiger Gott, was war das? Sollten diese Worte ihr gelten?
Sie blieb nicht lange im Zweifel, der Strom hatte seine Ufer einmal gebrochen, und nun zwang ihn auch nichts mehr zurück in die alten Grenzen, aber selbst in diesem jähen Hervorbrechen eines mondenlang streng behüteten Geheimnisses war noch etwas von dem Zügel, den die Nähe des Altars und die Gewohnheit steter Beherrschung dem Priester auferlegte. Wie fest gewurzelt stand er auf seinem Platze, drei Schritte von ihr entfernt, und machte auch nicht den leisesten Versuch, sich ihr zu nähern.
„Ich habe Sie geliebt, Lucie, von dem ersten Moment an, wo Sie ahnungslos, wie ein jauchzendes Kind, an mir vorüberflogen. Was es war, das mich wie mit Naturgewalt gerade zu Ihnen zog, deren ganzes Sein und Wesen so fernab liegt von dem meinen, ich weiß es nicht, aber diese Liebe ist mir zum Verhängniß geworden. Ich habe dagegen gekämpft mit der ganzen Willenskraft des Mannes, mit der ganzen Gewissensangst des Priesters, ich bin davor geflohen bis in die fernste Einsamkeit, es war alles umsonst! wie ein Dämon hing sich diese Leidenschaft an jeden meiner Gedanken, stahl sie sich in jeden meiner Träume und wühlte jede Faser meines Innern auf, wenn ich scheinbar kalt und verschlossen meiner Umgebung gegenüberstand. Was ein Mensch nur ringen und streiten kann, das habe ich gethan, aber es giebt eine Grenze auch für die menschliche Willenskraft, und die meinige hat jetzt ihr Ende erreicht! Ich unterliege!“
Er wartete vergebens auf eine Antwort. Lucie hatte beide Hände vor das Gesicht geschlagen, die blendende Helle, welche auf einmal niederfloß, traf sie mit der ganzen schmerzenden Gewalt wie der erste Lichtstrahl den blind Gewesenen. Geliebt von diesem Manne! Ihr galten die Regungen dieser dämonischen Tiefe, die sich so jäh ihr und nur ihr allein entschleierte! Es war das zweite Mal in ihrem Leben, daß man es wagte, dem jungen Mädchen von Liebe zu sprechen. Einst hatte Graf Ottfried vor ihr auf den Knieen gelegen und um Erhörung gefleht, und während seine Schmeichelworte ihr Ohr betäubten und ihre kindische Eitelkeit in dem Triumphe schwelgte, tönte die rauschende Musik aus dem hell erleuchteten Ballsaal herüber, wo die Paare vorüberschwebten. Hier – rauschte nur der Wind in den Todtenkränzen und das ewige Licht glühte nieder auf die Beiden, die eben jener Ort für ewig trennte, der sonst zwei Menschen eint für das ganze Leben. Hier kniete Niemand vor ihr, aufrecht stand jene hohe Gestalt ihr gegenüber, und die dunkelglühende Leidenschaft, welche ihr entgegenfluthete, hatte nichts gemein mit den Tändeleien des Grafen. Schien es doch fast, als sei sie dem Hasse verwandt, als sei jedes dieser Worte, die dumpf und gepreßt von seinen Lippen kamen, nur dem innern Widerstreben abgerungen, das sich noch immer empörte gegen die „Naturgewalt“, die ihn zu ihr zog. Und doch wühlte es ihre ganze Seele auf bis in die tiefsten Tiefen. Ihr war, als sänke die ganze Vergangenheit hinab auf Nimmerwiederkehr und mit ihr auch das Kind, das bisher spielend Alles hingenommen, Alles weggelacht und weggescherzt hatte, als sei das ganze Leben nur eine sonnige Wiese, über die man hinwegtanzen könne, und was sich statt dessen vor ihr erhob, so ernst, so geheimnißvoll und feierlich, das war nicht jene Liebe, die sie sich geträumt, aber es nahm mit räthselhafter Gewalt ihr ganzes Wesen gefangen. Der Schatten, den jene dunkle Gestalt von jeher auf ihren Weg geworfen, gewann jetzt Form und Leben, sie wußte jetzt auch, weshalb sie diese Augen geflohen hatte und daß die Flucht umsonst gewesen war. – Es war todtenstill in dem düstern Raume, langsam verließ Benedict seinen Platz und trat an ihre Seite.
„Sie schweigen?“ sagte er ruhiger, aber tonlos. „Ich wußte es, daß mein Bekenntniß Ihnen nur Schrecken und Abscheu einflößen konnte, aber einmal mußte die Last herunter von der Brust! Vielleicht gehe ich nun leichter in die Entscheidung, die meiner wartet, und dem Verurteilten ist ja noch ein letztes freies Wort erlaubt. Ich habe Ihren Frieden gestört, aber glauben Sie mir, Lucie: was ich ertragen habe, ehe es so weit kam, ist wohl die paar Thränen werth, welche Ihnen diese Stunde kostet, die vielleicht schon morgen vergessen ist. Leben Sie wohl!“
Es schien, als wolle sich beim Abschied die frühere Weichheit noch einmal Bahn brechen, aber das Lebewohl überfluthete schon wieder die ganze Bitterkeit des Mannes, der sich unverstanden wähnte. Er wandte sich stürmisch ab und ließ sie allein. Aber mit seiner Entfernung löste sich auch der Bann, der das junge Mädchen regungslos gefesselt hielt, sie fuhr auf und machte eine Bewegung, ihm nachzueilen.
„Bruno!“
Ich war in Nancy. Die Equipage eines meiner militärischen Freunde der preußischen Besatzung stand mir zur Disposition; durch sie und in ihr lernte ich die Umgegend kennen. Den Trainsoldaten als Kutscher auf dem Bock, erregte ich oft das Mißvergnügen der „braven Landleute“, die, nicht ahnend, welchen friedfertigen Absichten meine Rundfahrt diente, in mir den Helden in Civil vermuthen mußten. Oft begegnete ich wild drohenden Blicken und selbst Verwünschungen, und es war besonders die
vorgerücktere Altersstufe der ländlichen Schönen, welche sich zu solchen Extravaganzen hinreißen ließ. Nur bei einer derselben schien das christliche Gefühl von Haß und Rache noch nicht zum Durchbruch gekommen zu sein, da sie mir gegenüber gewissermaßen die Rolle eines Rettungsengels übernommen hat.
In einem der Dörfer, deren weiße nüchterne Häusermassen aus einem Gemisch von Erde, Regenwasser und Mist hervortauchten, sollten die Pferde verschnaufen. Für’s Erste suchten wir vergebens nach einem Unterkommen, bis endlich die übelriechende Straße eine Wendung machte, das Dorf sich einen kleinen Hügel malerisch hinaufzog und aus grünen Gehegen die Firma eines marchand de vin entgegenleuchtete. Wir hielten vor derselben. Eine reinliche Wirthin erschien, und nachdem ich Wein bestellt, ging ich in das hübsche Gärtchen, welches sich terrassenförmig hinter dem Hause ausbreitete. Ich fand nur einen Tisch, welcher von drei Bauern, nicht sehr Vertrauen erweckenden Individuen, bereits eingenommen war, und bot ihnen einen „bon jour, Messieurs“, welcher auch freundlichst erwidert wurde. Einige fernere Bemerkungen über den schönen Garten und den prächtigen Tag ließen jedoch in mir den Deutschen erkennen, denn die drei neuen Freunde sahen sich mit eigenthümlichen Blicken an und ein kurzes oui! oui!und Schweigen war der weitere Ausdruck ihrer Liebenswürdigkeit.
Die Wirthin kam mit dem Wein; ich glaubte, sie würde denselben auf den vor mir stehenden Tisch setzen, und schickte mich an zu bezahlen, aber sie ging vorüber mit dem Bemerken, „daß noch mehr Plätze in dem Garten seien“. Es war wonnevoll unter den grünen Gebüschen, was auch die unzähligen Wespes zu empfinden schienen, die sich durch den süßen Duft meinen Biscuit de Rheims angezogen fanden. Doch nicht lange durfte ich diesem Genuß der Ruhe mich hingeben, denn noch einmal [174] plötzlich erschien die Herrin des Hauses mit einer ängstlichen, verlegenen Miene, und im Vorbeigehen flüsterte sie schnell: „Dépêchez-vous, Monsieur – n’y restez pas“ (Eilen Sie sich, mein Herr – bleiben Sie nicht hier!) und verlor sich in den Gehegen.
Was sollte das bedeuten? Hatte sie Bemerkungen gehört? War es auf einen Ueberfall abgesehen? War es eine ernstliche Warnung oder ein schlechter Scherz? Jedenfalls wirkte die Mahnung auf mich. Ich verließ sofort meinen Platz und mit etwas gequält langsamen Schritten ging ich an dem Tische der drei Individuen, welchen ich passiren mußte, vorüber. Mein abermaliges „Bon jour, Messieurs!“ wurde jetzt ignorirt.
Als ich wieder in meiner Wagenecke saß und den Kutscher bedeutete, etwas zu eilen, ihm dann den Grund hiervon mittheilte, sagte der ehrliche Pommer: „So, so, dat soll woll sin.“
Das war wieder einmal eine Probe von der schon so oft besprochenen Unsicherheit in den occupirten Landestheilen Frankreichs, und ich muß gestehen, daß es mir zuletzt wie jedem andern Deutschen vom Civil in Frankreich erging, und daß ich anfing, mich daselbst ziemlich unbehaglich zu fühlen.
Ich eilte nach dem Elsaß, wo ich doch einer viel freieren Anschauung der Dinge und Verhältnisse, wie sie wirklich sind, begegnete. Ich erinnere mich dabei namentlich eines Mannes, der in der Nähe von Straßburg lebt und der auch Ihnen bekannt ist. Er ist, wie Sie wissen, ein Stück von einem Schriftsteller, von einem Poeten, und was er mir über das Elsaß und seine Bewohner bei meinen häufigen Begegnungen mit ihm sagte, schien mir bedeutend genug, es sofort zu notiren. Ich gebe es Ihnen darum auch hier wieder, so wie er es gesprochen. Dadurch behalten die Mittheilungen des alten Herrn ihre Unmittelbarkeit und erscheinen Ihren Lesern hoffentlich ebenso interessant, als mir.
„Es ist schon lange her“, erzählte mein wackerer Gastfreund im Elsaß, „daß ich als blutjunger Student in meinen Mußestunden zu dem Judenthore Straßburgs hinauseilte an das Ufer eines der Arme der grünen Ill. Dort hauste in einem alten Mühlengebäude der feurige und redliche deutsche Patriot Dr. Wirth mit seiner Familie in der Verbannung. Längst ruht er im Grabe und hat den Tag nicht heranbrechen sehen, der der Gegenstand seines tiefsten Sehnens und seines beharrlichsten Wirkens gewesen. Wie ein Seher saß er da in der mit Geisblatt und wilden Reben umsponnenen Laube, am Ufer des Flusses, umringt von einigen lauschenden Freunden. Deutschlands Größe, Freiheit und Einheit war immer das Centrum, um das sich seine begeisterte Rede bewegte. Seine Augen blitzten, die Stirnadern schwollen und alle Muskeln des männlichen, von edlen Leiden durchfurchten Antlitzes bewegten sich. So dachte ich mir fast den kühnen Doctor des sechszehnten Jahrhunderts, der mit dem Schwert des Geistes die Fesseln seiner Zeit zerschlug. Die fieberbleiche Gattin des Patrioten und Alle hörten ihm still mit lange verhaltenem Athem zu. ‚Ich sage Euch,‘ rief er mit lauter Stimme, ‚Deutschland wird eins und frei werden. Aber viele Opfer werden zuerst noch bluten und fallen. Und wenn auch ich, wie mir scheint, es nicht erlebe, so will ich dennoch nicht laß werden, darauf zu zeigen – und auch Ihr sollt es nicht.‘
So sprach er, indem er die letzten Worte an einige deutsche Studenten richtete, die der Politik halber sich nach Straßburg geflüchtet hatten und dort ihre akademische Zeit vollenden wollten. Und jetzt sich zu mir wendend, sagte er mit leuchtendem Blicke: ‚Mein junger Freund und Poet in deutscher Zunge, auch das Elsaß, das herrliche Land, ist deutsch; ich habe es bereist nach mancher Richtung hin, auf seiner Ebene, in seinen lieblichen Thälern und schattigen Bergen, überall hin habe ich mit Freude deutsche Art gefunden. Ja noch mehr, Ihr mögt staunen, wie Ihr wollt, das Elsaß ist in seinen Sitten und Gebräuchen, in seiner Sprache, in seiner Kleidung und Leben noch deutscher als manche Provinz unseres Vaterlandes, und es sollte an den Schwanz des gallischen Hahnes gebunden bleiben?!‘
Das war zu arg für mich. Das Elsaß sollte deutscher sein als Deutschland selber? Welch eine Behauptung! freilich aufgestellt durch einen Mann, den ich nicht allein als einen Wahrheit und Freiheit liebenden, sondern auch als einen hellsehenden Mann hochzuschätzen die Gelegenheit hatte. In der Vacanz, später in einem täglichen Berufsgeschäfte, in meinen Ausflügen durch das Elsaß – denn diese Behauptung kam mir nicht mehr aus dem Sinne – erkannte ich, daß das Elsaß sich durch unzählige Merkmale vom französischen Volke unterscheide.
Ich kam auch öfters nach Deutschland; und so sehr ich nicht allein durch meine Schulbildung, sondern auch durch meine innige und herzlichste Ueberzeugung an Frankreich hing, überall begleitete mich der Satz des Dr. Wirth, und ich erkannte in Begleitung eifrigen Studiums der Geschichte und der Ethnographie, daß über einen großen Theil Deutschlands – ich spreche nicht von einigen abgelegenen Gauen – ein großer Pinsel gegangen ist, der nicht allein das Aroma, sondern auch die Ursprünglichkeit der mannigfaltigen Formen und Farben des Volkslebens in eine Farbe zusammengetalkt hat. Ist es ein Uebel, ist es eine gleichgültige Sache oder ein Segen? Die Antwort auf diese Frage gehört nicht hierher. Jedenfalls ist ein gutes Stück Poesie dahin in den Gegenden, wo die am allerwenigsten poetische Göttin, die Mode, ihre uniformirende Herrschaft aufgeschlagen hat.
Aber, um wieder auf das Elsaß zurückzukommen, kann ich nach langer Anschauung und Erfahrung mit Zuversicht behaupten: Doctor Wirth hat Recht. Das Elsaß ist hinsichtlich seiner Sitten und Gebräuche, seiner Sprache, seines Charakters, in den von den Städten entfernten Gegenden deutscher als manche Gegend Deutschlands selbst. Oder vielmehr war es bis zu dem letzten Decennium. In den letzten zehn Jahren ist für die Französirung unserer zwei Departements mehr als in der ganzen Vergangenheit gethan worden.
In den Städten herrschte, besonders in denjenigen Kreisen, wo man sich um die Erwerbung der Civilämter bemühte, ein wunderliches Gebräu von Franzosenthum und Deutschthum. Ein ursprünglicher Bewohner des Elsasses, in dessen Familie die deutsche Sprache gesprochen wird, stellt seinen Kamm mit derselben Entschiedenheit gegen Deutsche und Franzosen. Es giebt oder gab viele französische Beamten, die die deutsche Sprache wenig oder gar nicht verstanden. Das gab von beiden Seiten im Geschäftsverkehr ärgerliche Auftritte. Da schimpfte der Elsässer auf den ‚Wälschen‘, wie er ihn spottweise nannte. Es war kein Wunder. Einnehmer aus dem Innern Frankreichs kamen, um die Abgaben einzucassiren, in die Dorfgemeinden des Elsasses und Deutschlothringens und hudelten die Leute hitzig aus, wenn dieselben bei vorkommenden Differenzen sich nicht in der französischen Sprache erklären konnten. Da fielen manchmal von Seiten der Ersteren Schimpfwörter, wie tête carrée, tête de choucroûte, die, wenn sie von den Bauern verstanden worden wären, den Schimpfenden hätten tüchtige Prügel zuführen können.
Am allerärgsten trieben es aber die meisten Inspectoren der Primärschulen. Trotz des jedesmaligen officiellen Versprechens der Präfecten bei ihrem Amtsantritte, die provinzielle Sprache und Sitte zu ehren, haben jene Unterbeamte die meiste Schuld, daß die deutsche Sprache in den Volksschulen immer spärlicher getrieben wurde. Die Lehrsprache war allein die französische. Und wenn ein Lehrer nicht seinem Gewissen eher gefolgt wäre, als dem heftigen Drängen der Inspectoren, so wäre der deutsche Unterricht fast ganz weggefallen. Die Pfarrer, besonders die protestantischen, nicht weil sie anti-französisch gestimmt waren, hatten für die größere Berücksichtigung der deutschen Sprache Kämpfe mit den Lehrern und, in Folge dessen, mit den Schulobern, ja mit den Präfecten zu bestehen, die sie ohne Grund der Deutschthümelei verdächtig machten.
Die Erlernung der französischen Sprache war nothwendig, aber nothwendiger blieb unterdessen die Erhaltung der deutschen Sprache für Schule, Kirche und Haus. In den letzten Jahren wurden auch die Schulen mit Lesebibliotheken bedacht.
Was waren aber das für Bücher? Die deutsche Literatur war von diesen Bibliotheken ausgeschlossen. Die Lieferung dieser Bücher war in den Händen einiger Buchhändler-Speculanten, die ungeheure Summen gewannen, weil sie um einen Spottpreis alle Ladenhüter zusammenkauften, und Crethi und Plethi an die Gemeinden um einen hohen Preis verkauften. Der Buchhändler Mame in Tours hat dabei Hunderttausende profitirt. Neben manchen guten Büchern findet man in diesen Bibliotheken den traurigsten Schund abgeschmacktester Lectüre, mittelmäßigstes Zeug, hier und da selbst weitschweifige elende Romane. In den [175] protestantischen Schulen sind von katholischen Bischöfen genehmigte Bücher anzutreffen, in welchen der Ultramontanismus verherrlicht und jede andere Glaubensrichtung herabgesetzt wird. Ja es wurde sogar in einer evangelischen Schule durch einen Schulinspector eine biblische Geschichte in französischer Sprache eingeführt, in welcher als Anhang die Geschichte der Maria und der Heiligen steht, welche durch den Ortspfarrer nur nach schweren Kämpfen beseitigt werden konnte.
Jesuitischer Einfluß war offenbar hier zu erkennen. Die katholische Geistlichkeit, weil sie eine Macht im Lande war, wurde geschont und beschützt, die protestantische bei jeder Gelegenheit herabgesetzt; besonders wenn ein gewissenhafter Pfarrer für die deutsche Sprache in der Schule eiferte, da war gleich der Schulinspector bei der Hand, um dem Lehrer, der ganz von demselben abhängig war, zu bedeuten: ‚Nach dem Pfarrer habt Ihr nichts zu fragen.‘ Es wären hier in dieser Hinsicht zum Beweise haarsträubende Thatsachen anzuführen. Nur eine unter vielen, um zu zeigen, wie weit die Propaganda mit der französischen Sprache getrieben wurde.
In einer Dorfschule des Unterelsasses konnte wenigstens die Hälfte der Schulkinder, die den Confirmandenunterricht besuchen sollten, nicht mehr recht deutsch lesen. In den zehn, ja fünfzehn Jahren war es immer schwerer geworden für den Geistlichen, sich im Religionsunterricht verständlich zu machen – ein trauriger Nothstand, der aber fast überall anzutreffen war. In einer Unterrichtsstunde richtete einmal der Pfarrer eine Frage an einen seiner Schüler, die derselbe mit ‚Oui, Monsieur‘, beantwortete. Da solche Antworten schon öfter vorgekommen waren, so wurde der Pfarrer unwillig, und er sagte dem Knaben: ‚Rede doch deutsch! Merke Dir’s, es wird hier noch deutsch gesprochen.‘
Da versetzte der Junge: ‚Ja, Herr Pfarrer, aber der Schulmeister hat uns befohlen, nicht allein auf der Gasse unter uns Cameraden, sondern auch daheim bei unseren Eltern französisch zu sprechen.‘
Das war dem Pfarrer zu arg. Er wußte doch, daß in seiner Gemeinde nirgends in den Familien französisch gesprochen werden konnte, aus ganz einfachen Gründen. Deshalb, nachdem er sich von der Richtigkeit des durch den Lehrer ertheilten Gebots versichert hatte, sagte er einfach zu den Kindern: ‚In der Schule habt Ihr dem Herrn Schulmeister zu gehorchen. Aber so lange Eure Eltern nicht die französische Sprache verstehen, so redet mit ihnen, wie Euch der Schnabel gewachsen ist.‘
Dieses wurde dem Lehrer hinterbracht. Er klagte bei dem Schulinspector, einem Elsässer, der schon oftmals bei demselben Pfarrer herzliche Gastfreundschaft und Nachtherberge gefunden hatte. Der Inspector klagte bei dem Präfecten. Der Pfarrer mußte sich verantworten, was ihm leicht war; hatte er doch keines der bestehenden Reglements überschritten. Aber von jener Zeit an war er, mehr als je, eine persona ingrata; und nur treue Pflichterfüllung und energische Handlungsweise behüteten ihn vor Versetzung an eine geringere Stelle.
So war es im Elsaß und Deutschlothringen beschaffen, als durch die Umwälzung der neuesten Zeit die deutsche Sprache wieder zu ihrem Rechte kam. Eine seltsame Erscheinung trat hier zu Tage: die der alten Ordnung der Dinge auf das Servilste unterthänigen Lehrer, die, den besondern Instructionen ihrer Inspectoren gemäß, die deutsche Sprache am allernothdürftigsten in ihren Schulen unterrichtet hatten, sind jetzt auch die unterhänigsten Diener der neuen Ordnung der Dinge. Sie lassen jetzt mit eben der Willigkeit die französische Sprache fallen, wie sie einst die deutsche hatten fallen lassen. Ein psychologisches Räthsel ist das aber für Denjenigen nicht, der die Lage der Dinge kennt. Die Lehramtszöglinge wurden in den Lehrer-Seminarien oder écoles normales, wie sie hießen, wie willenlose Knaben behandelt. Man muß es sagen, sie wurden zum Gehorsam gegen die bestehende Behörde dermaßen dressirt, daß sie ohne Ueberzeugung der jedesmaligen Richtung der bestehenden Regierung mit Eifer dienten. Ehrenvolle Ausnahmen sind gewiß in guter Anzahl vorhanden. Aber es sind nur Ausnahmen. Wenn je, was schwer zu glauben ist, Frankreich die verlorenen Länder wieder erränge, so wären die oben Bezeichneten, weil ohne Charakterbildung und Ueberzeugung, die Ersten, die mit derselben Geläufigkeit der früheren Ordnung der Dinge huldigen würden.“
Soweit die Mittheilungen meines Freundes, der mir, als ich sein gastliches Haus verließ, das Versprechen gab, von seinen Erfahrungen noch mehr an die Gartenlaube gelangen zu lassen – eine Zusage, die er hoffentlich bald erfüllen wird.
Das in der vorigen Nummer beschriebene Abenteuer hatte wenigstens die heilsame Folge, daß in Zukunft kein Renommist es mehr wagte, sich als „Pantherjäger“ anzukündigen. Versuchte er es, so traf ihn der Fluch der Lächerlichkeit. Bonbonnel blieb unbestritten im Besitz seines wohlverdienten Ruhmes. Man gewöhnte sich mit der Zeit daran, die Pantherjagd als eine ihm eigenthümlich zugehörige Sache anzusehen. Für die Andern hatte sie aufgehört, Modesache zu sein.
Einige Jahre waren seit dem Bekanntwerden von Bonbonnel’s Jagdabenteuern verflossen, die Pantherjagd hatte längst aufgehört die Gemüther zu beschäftigen, als sich mir durch einen Zufall die Gelegenheit bot, mich selbst in ihr zu versuchen. Ich befand mich in einer sonst fast nie von Reisenden besuchten Gegend, in der Nähe von Bu-Sada, am südlichen Abhang des Atlasgebirges, zwischen El Aghuat und Biskara, jedoch nördlicher als beide Orte und noch nicht in der Wüste. Der dort hausende Araberstamm, die Ulad Nayl, berühmt durch seine schönen Mädchen, die Tänzerinnen, Sängerinnen und Courtisanen der Wüste, bewohnt abwechselnd die niederen Gegenden am Fuße des Gebirges (oft sogar dringt er tief in[WS 1] die Wüste ein) und die Ausläufer des Atlas, im Winter die ersteren, im Sommer die letzteren. Es war Spätsommer und der Stamm lagerte noch auf den Hügeln, den letzten Sprossen der Atlaskette. Die Ulad Nayl hatten mich freundlich aufgenommen. Ich nahm Theil an ihren Falkenjagden, an ihren Gazellenhetzen. Meine europäischen Waffen und die größere Sicherheit des Schusses, die den geübten europäischen Jäger immer dem Araber gegenüber auszeichnet, erweckten ihr Vertrauen. So kam es denn, daß sie mir eines Abends beim Kußkussu ihr Leid klagten und mich aufforderten, ihnen mit meiner Büchse einen Freundschaftsdienst zu erweisen. Den Gegenstand ihrer Klagen bildeten die Verheerungen, welche ein Panther allnächtlich in einigen ihrer Herden und zwar denjenigen, die am meisten „landeinwärts“ weideten, anrichtete. Sie sagten „landeinwärts“, denn die Wüste gilt ihnen als ein „Meer“. Ihrer Aufforderung, mein Glück in der Pantherjagd zu versuchen, war ich zwar gern bereit zu folgen. Nur gestand ich ihnen, daß ich kein „Bonbonnel“ sei und daß ich eines andern Schutzes, als der Laubhütte, bedürfe. Ich hatte mich niemals in dieser Jagd versucht, konnte somit kein unbedingtes Vertrauen dazu haben, daß ich den Panther auf den ersten Schuß tödten würde. Zudem besaß ich gar keine Explosionskugeln. Es wäre also Wahnsinn gewesen, mich in einer einfachen Laubhütte der Wuth des angeschossenen Raubthieres auszusetzen. Aber da wußten die Araber Rath. Sie erboten sich, mir ein „Silo“ (Erdhütte mit Schießscharten) zu bauen.
Als das Silo fertig war, schlug ich mein nächtliches Standquartier in demselben auf. Jede Nacht wurde die Mutterziege, deren Junges mit mir im Silo war, an einen Baum festgebunden, um durch ihre Antwort auf das Schreien des von mir gezwickten Zickleins den Panther anzulocken. Die Araber ließen mich [176] jedesmal bei hereinbrechender Dunkelheit allein. Die Nähe vieler Menschen verscheucht unfehlbar das Raubthier, es müßte denn durch Hunger auf’s Aeußerste getrieben sein.
Indessen, es vergingen acht Tage, ohne daß sich ein Panther zeigte. Jeden Morgen kamen die Ulad Nayl zu mir und klagten, daß der Panther wieder in der letzten Nacht Schafe und Ziegen erwürgt habe. Ich machte ihnen begreiflich, daß ihr Verfahren eigentlich recht unsinnig sei. Wie konnten sie erwarten, daß der Panther sich an meine einzige Ziege machen werde, wenn sie eine ganze Herde in seiner Nähe ließen? Nur mit Mühe gingen sie auf meinen Vorschlag ein, ihre Herden, wenigstens für die Dauer meiner Jagd, von den fruchtbaren Gegenden weg und in die Wüste zu treiben. Es war freilich sehr schwer, sie dort zu ernähren, denn das Futter mußte ihnen dahin gebracht werden.
Nun ist eine Fütterung des Viehes bei den Arabern etwas Unerhörtes. Daher der Widerstand, auf den mein Vorschlag stieß, und die Schwierigkeit, die sich, als er endlich angenommen worden war, seiner Ausführung entgegensetzte; denn „Heu“ giebt es nicht in diesen Gegenden. Das Gras, immer abgeweidet, erlangt keine Länge. Die kurzen Halme abzumähen und deren genug zu sammeln, um die Herde zu ernähren, war nahezu unmöglich. Dazu gehört eine so mühevolle Arbeit, wie sie der Araber nie unternimmt. Es blieb also nichts übrig, als das Vieh mit dem Laub kleiner Sträucher zu füttern, an denen die Abhänge des Atlas Ueberfluß haben. Eigentlich litt die Herde Hunger und die Araber warteten mit Ungeduld das Ende meiner Pantherjagd ab, um ihr Vieh wieder durch die gewohnten Weidegründe treiben zu können.
Indessen ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn noch weitere acht Tage vergingen, ohne daß irgend ein Erfolg erzielt wurde. Der Panther zeigte sich zwar jede Nacht; denn jetzt hatte er keine Herde mehr in der Nähe, die er überfallen konnte, und weit in die Wüste dringt er nicht gern; aber ich konnte nicht zum Schusse kommen. Ich durfte nämlich nur dann schießen, wenn ich meines Schusses vollkommen gewiß sein konnte. Jeder andere Schuß hätte den Panther auf ewig aus der Nähe meines Silos verscheucht. Dieses Thier ist viel zu klug, um ein zweites Mal einem Silo nahe zu kommen, aus dem er einen Schuß gehört hat. Verfehlte ich den Panther, so war die Folge, daß das erste Silo verlassen und ein zweites in einer größeren Entfernung von jenem gebaut werden mußte. Daraus wäre neue Verzögerung entstanden, die die Araber schwerlich ertragen hätten.
Für mich war es gleichfalls eine nicht geringe Geduldprobe, den Panther so nahe zu wissen, ja ihn zu sehen, ohne auf ihn schießen zu können. Aber jedesmal bot er sich so ungünstig für den Schuß dar, daß es Leichtsinn gewesen wäre, abzufeuern. In der ersten Nacht wartete ich bis etwa elf Uhr. Mein Zicklein, von mir von Zeit zu Zeit in’s Ohr gezwickt, gab die schönsten Signaltöne und die Mutterziege antwortete ihr mit heller Stimme. Plötzlich verstummte es, ein krampfhaftes Zittern überkam alle seine Glieder und dann stand es wie gelähmt da; ich mochte es noch so energisch zwicken, es gab keinen Laut mehr von sich. Ebenso war es mit der Mutterziege. Alles dies verkündete die Nähe des Panthers, aber noch verrieth kein Rauschen der Zweige, kein Schrei, kein Ton seine Annäherung. Ich hatte mein Auge auf die Mutterziege, es war die vierte Nacht im zweiten Mondsviertel, also um elf Uhr ziemlich hell, da auf einmal hörte ich ein Getöse, wie wenn ein schwerer Baumstamm gefallen wäre. In demselben Augenblick sah ich eine dunkle Masse auf die arme Ziege stürzen; es war der Panther, der aus großer Entfernung sie mit einem einzigen Satz erreicht hatte. Das arme Thier gab keinen Laut von sich.
Ich hielt meine Büchse in der Schießscharte, bereit loszufeuern, sowie ich die Augen des Raubthiers sehen würde, denn ich wußte, daß nur ein Schuß in der Nähe der Augen ihn schnell tödten konnte. Aber noch ehe ich Gelegenheit bekommen, seine Augen zu sehen, war der Panther auch schon fort und mit ihm die Ziege; er hatte sie fortgeschleppt und verzehrte sie im benachbarten Gehölz. Lange blieb er mir nahe, das merkte ich am Zittern meines Zickleins; endlich erholte sich dieses. Der übrige Theil der Nacht verging ruhig.
Als am Morgen die Araber kamen, waren sie sehr unangenehm enttäuscht, meine Jagd von keinem Erfolg gekrönt zu sehen. Aber diese Enttäuschung sollte ihnen noch öfter werden.
Jeden Abend brachten sie mir ein neues Zicklein und seine Mutter, drei Mal noch schleppte mir der Panther die Ziege fort. Endlich fiel ich auf den Plan, sie sowohl am Fuß, als am Hals anzubinden und zwar sehr fest. Jetzt entführte sie das Raubthier zwar nicht mehr, aber es bot sich stets in so ungünstiger Stellung dar, daß ich nicht wagen durfte, zu schießen.
Schon wollten die Araber an der Jagd verzweifeln, besonders da bereits die Nächte nach dem Vollmond vergangen waren, ohne einen Erfolg zu bieten, die gute Jagdzeit war fast vorbei. Nur bei Mondschein konnte ich Aussicht haben, mein Ziel zu sehen. Die ungeduldigen Araber baten mich sehr, die Sache bis zum nächsten Vollmond aufzugeben, und ihnen zu gestatten, ihre Herden wieder an die alten Weideplätze einzutreiben, aber auch mein Eifer war erwacht; ich bestand darauf, noch eine Nacht mein Glück zu versuchen. Ungläubig zwar, aber doch ohne großes Widerstreben gaben die Araber nach.
Sie ließen mich also noch diese achte Nacht mit meinem Zicklein im Silo allein. Einer von ihnen sagte mir beim Gutenachtsagen: „Wenn’s auch heute nichts wird, dann glaube ich nicht, daß Du ein Schütze bist!“ Obgleich selbst nicht sehr hoffnungsvoll, so reizten mich doch diese Worte, ihm eine Wette zu bieten. „Was wettest Du?“ „Mein ganzes Haus,“ antwortete er, „gegen Dein Haus.“ „Das will ich nicht,“ entgegnete ich, „aber ich will Dir etwas sagen. Wir wetten meinen Hengst gegen Deine Stute!“ Er hatte nämlich eine prächtige Stute und wäre deshalb auch nie hierauf eingegangen, wenn er geglaubt hätte, ich würde den Panther erlegen. Aber er dachte, umsonst zu einem schönen Hengste, denn ich besaß ein herrliches Thier, zu kommen und nahm die Wette an.
Diesmal kam der Panther erst gegen zwei Uhr Morgens. Mit gleicher niederschmetternder Wucht fiel er auf die arme Ziege, ich verlor ihn aus meiner Schießscharte nicht aus dem Auge. Ich sah seine Krallen, die die Ziege zerfleischten; plötzlich sah ich auch seinen Kopf. Zwei feurige Kohlen leuchteten in der Richtung auf das Silo, gerade auf meine Schießscharte zu; es waren die Augen des Panthers. Kaum hatte ich sie gesehen, so zielte ich mitten zwischen die Augen.
Was nun erfolgte, war das Werk eines blitzschnellen Augenblicks. Ich schoß und sah, daß der Panther getroffen war, aber unglücklicher Weise hatte auch er meinen Schuß gesehen; er war nicht todt. Nur eine Explosionskugel vermag ihn augenblicklich zu tödten. Eine solche hatte ich nicht, meine Kugel konnte ihn zwar tödtlich verwunden, aber noch blieb ihm die Kraft, auf mich zuzuspringen. Mich hatte er zwar nicht sehen können, wohl aber den Schuß aus dem Silo. Ich hatte seine feurigen Augen im Moment gesehen, wie sie gerade in der Richtung auf das Silo zu die Nacht durchglühten. Im Silo war also sein Feind. Auf dieses sprang er nun zu und zwar in zwei Sätzen, jeder von dreißig Fuß wenigstens.
Es war mir plötzlich, wie wenn ein Haus über meinem Haupte einstürzte. Ich hörte ein Getöse gleich dem einer umstürzenden Locomotive. Ich fühlte das Krachen und Brechen der Erdhütte. Sie brach zusammen und im Nu lag ich unter einem Schutt von Erdmassen wie begraben; begraben, jedoch glücklicher Weise nicht ganz, denn ich lag an der Scharte und diese war, wenigstens zum Theil, offen geblieben, durch sie konnte ich Luft schöpfen. Ueber mir, nur durch eine nicht allzu dicke Erdschicht von mir getrennt, lag der sterbende Panther. Sein Todeskampf dauerte noch etwa zwei Minuten. Aber diese zwei Minuten waren für mich eine Ewigkeit banger Erwartung und tödtlicher Angst, denn seine kräftigen Tatzen wühlten im Erdreich so tief, daß ich jeden Augenblick fürchtete, sie die dünne Schicht durchdringen zu sehen und von ihnen erreicht zu werden. Er wand und wälzte sich auf der Erdschicht, warf rechts und links große Erdmassen herunter und drohte fast durch das Gewicht seines Körpers die Schicht ganz einzudrücken. Dabei stieß er entsetzliche Töne aus, anfangs tiefe, wie ein zorniges Gebrüll, dann hellere katzenähnliche, endlich ein dumpfes Todesröcheln. Jetzt noch eine letzte krampfhafte Bewegung, die die ganze Erdschicht erzittern machte. Ich fühlte den Boden erbeben; ich hörte einen unbeschreiblichen Tumult über mir, wie wenn ein wüthender Kampf ob meinem Haupte stattfände. Dann folgte ein gellender Schrei wie der eines Raubvogels. Darauf noch ein letzter heiserer Sterbeton und es war vorbei. Todtenstille herrschte über mir, der Panther war todt.
[177] Aber ich war wie lebendig begraben. Wäre die Schießscharte nicht unverletzt geblieben, an die ich zufällig mit dem Kopfe zu liegen kam, so hätte ich ohne Zweifel das Schicksal meines armen Zickleins getheilt, das die einstürzenden Erdmassen erstickt hatten.
So blieb ich bis zum Morgen liegen. Ich schlief sogar, unglaublich, aber wahr, einen Augenblick ein und zwar kurz vor Sonnenaufgang. Plötzlich weckte mich das Geschrei jubelnder Stimmen. Es waren die Araber, die den Tod des Panthers mit Jubeltönen begrüßten. Aber wo war der Jäger? Sie sahen das eingestürzte Silo und mußten glauben, ich hätte dort mein Grab gefunden. Aber mein Geschrei belehrte sie vom Gegentheil. Sie entdeckten die Schießscharte und reichten mir etwas zu essen. Mich befreien, das konnten sie erst, nachdem sie Schaufeln aus ihren Zelten geholt hatten. Endlich brachten sie dieselben und ich feierte meine Auferstehung.
Nun ging’s daran, den Panther zu besichtigen. Es war ein schönes, großes Thier von etwa dreihundert Pfund Gewicht, ein vollkommen, aber eben erst ausgewachsener männlicher Panther, sehr wohlgenährt und von riesiger Körperkraft. Der Schuß hatte ihn links am rechten Auge getroffen, den Knochen zerschmettert und war in’s Gehirn eingedrungen. Er hätte bei jedem kleineren Thier augenblicklich tödten müssen. Aber, wie gesagt, nur eine Explosionskugel vermag dies bei solch kräftigen Körpern. Es mag vielleicht Manchem unbegreiflich scheinen, wie ein so tödtlich getroffenes Thier noch Kraft behielt, einen Sprung zu machen. Aber die Erfahrung hat diese Möglichkeit alle afrikanischen Jäger gelehrt. Darum und aus keinem andern Grunde mußte die „Balle Decisme“ erfunden werden.
Im Triumph wurde nun Jäger und Wild in’s Zeltlager der Ulad Nayl zurückgebracht. Die Beschreibung der Festlichkeiten, die jetzt erfolgten, übergehe ich. Die Araber glaubten allgemein, ich müsse einen Talisman besitzen, um so richtig getroffen zu haben. Es war unmöglich, sie von der Wahrheit zu überzeugen. Sie selbst sind gewohnt, so viel Pulver unnütz zu verschießen, daß sie gar nicht begreifen können, wie ein Jäger so an sich zu halten vermag, daß er nur dann schießt, wenn er seines Schusses, in so weit dies überhaupt möglich, vollkommen gewiß sein kann. Geduld, Berechnung, Ruhe und Sicherheit im entscheidenden Augenblick, diese Dinge bildeten den Talisman, dem ich den Glücksschuß verdankte. Aber es wäre leichter gewesen, die Araber von einer Eisenbahn im Monde zu überzeugen, als davon, daß so einfache Dinge ein solches Resultat erzielt hätten.
Nur Ein Mann freute sich nicht über den glücklichen Ausgang meiner Jagd. Das war Ammen, der Araber, welcher seine Stute gegen meinen Hengst gewettet hatte, daß ich den Panther nicht schießen würde. Ammen hätte zwar nun, wie dergleichen schon öfter vorgekommen, sich der Erfüllung seiner Pflicht durch schleunige Flucht auf seiner Stute entziehen können, um erst nach meiner Abreise zu seinem Stamm zurückzukehren. Die Araber glaubten allgemein, daß er dies thun werde; einige behaupteten sogar, er habe es schon gethan. Aber Ammen war eine ehrliche Haut. Das, was die Araber für seine Flucht gehalten hatten, war nur ein letzter Ritt gewesen, den er auf seiner geliebten Stute machen und mit welchem er gleichsam von ihr Abschied nehmen wollte, ehe er sie mir auslieferte. Dies letztere that er wirklich.
Ich sah ihn mit tiefbetrübtem Gesicht, die Stute am Halfter, vor mich treten. „Allah,“ so sprach er, „hat es so gewollt, daß dieses Thier, mein ganzes Hab und Gut, nun Dir gehören soll. Nimm es und Gott gebe Dir Glück dazu, mehr Glück, als mir fortan beschieden ist. Denn mein Leben ist gebrochen!“
So schwer empfindet ein Araber den Verlust eines Lieblingspferdes, namentlich wenn es von so edler Race ist, wie Ammen’s Stute, denn edle Pferde sind in Nordafrika sehr selten. Jedoch, wie sehr mich auch der Besitz der Stute unter anderen Umständen gefreut hätte, ich konnte es nicht über’s Herz gewinnen, sie Ammen zu rauben. So viel sie mir auch gelten mochte, ihm galt sie unendlich viel mehr. Sie war sein Leben, seine Ehre, denn ein edles Pferd verschafft dem Besitzer oft hohes Ansehen. Ich wußte, daß er, hätte ich auf den Wettpreis bestanden, von nun an sein Haupt nicht mehr unter seinen Stammesgenossen hätte erheben können. Spott und Verachtung wäre sein Loos gewesen. Ich gab ihm seine Stute zurück. Der ehrliche Mann traute seinen Ohren kaum. Endlich begriff er es, und nun war des Jubels und des Preisens meiner Großmuth kein Ende. Ich besaß fortan in Ammen einen treuen erprobten Freund, der schwur, sein Leben für mich zu lassen. Ich glaube, er hätte seinen Schwur im Nothfalle gehalten.
Ich mußte noch acht Tage bei den Ulad Nayl bleiben, um den Festlichkeiten beizuwohnen, die sie mir zu Ehren veranstalteten. Dann verließ ich diesen Stamm. – Seitdem habe ich nie wieder Gelegenheit zu einer Pantherjagd gehabt.
Wir erzählen diesmal von einem Liebling des Volkes. Seine außerordentliche Befähigung, Lieder pfeifen zu lernen, hat dem Dompfaffen den Weg selbst über Meere in ferne Welttheile und Länder gebahnt. Um seinen Besitz buhlen bei uns auf dem Vogelsberg Hunderte von Händlern und Auswanderern. Die Erzieher und Pfleger der jungen Dompfaffen wetteifern mit einander in Hingebung und Sorgfalt. Man muß Augenzeuge gewesen sein, um die Gewissenhaftigkeit und die aufopfernden Bemühungen würdigen zu können, welche in den Dompfaffenschulen walten. Dort sitzt der alte Leinweber an seinem Webestuhl, und sein einziger Gedanke, der ihn von seiner Arbeit ablenkt, umschwebt das kleine Nest mit den hülflosen Vögelchen. In vielen Fällen theilen Frau und Kinder mit dem Manne die Sorge um die zarten Nestlinge. In einem Tassenschälchen befindet sich das Futter, welches aus Sommerraps, der mit den Zähnen fein zermalmt und mit Speichel vermischt wird, und aus zu Brei bereitetem hartgesottenem Hühnereigelb besteht. Ein Federkiel oder ein Hölzchen, in welches vorn eine löffelartige Rinne geschnitten ist, dient dazu, den Vögelchen in regelmäßigen Zwischenräumen von einer halben oder dreiviertel Stunde mehrere Gaben Futters zu reichen. Reinlichkeit wird als Grundbedingung angesehen, unter welcher der junge Vogel gedeiht. Nach der Fütterung deckt man die Kleinen mit einem wollenen Lappen zu. An rauhen Tagen wird der Ofen mäßig erwärmt und das Nest in dessen Nähe oder auch in ein auf demselben angebrachtes Kästchen gesetzt. Scheint die Sonne warm zum Fenster herein, so findet das Nest seinen Platz auf dem Fenstergesimse, wo jedoch die Strahlen nicht unmittelbar die Vögelchen treffen, sondern durch Erwärmung der Decke wirken. Die Erfahrung hat den Pfleger gelehrt, den Pfleglingen die geeignete ihnen zusagende Temperatur zuzuführen; ebenso weiß er das Quantum des Futters richtig abzuwägen und die Pausen ohne Uhr einzuhalten. Ein vortreffliches Mittel wird hier zu Lande angewendet, um etwa im Kropfe sitzen gebliebenes und zu einem Klümpchen verhärtetes Futter, welches die Ursache von Entzündung und dem unausbleiblichen Tod sein würde, zu entfernen. Man gießt dem Vogel einige Tropfen Thran ein, worauf Erbrechen erfolgt. Sollte Durchfall bei einem der Jungen sich zeigen, so wird dieses unverzüglich allein gesetzt und sehr warm gehalten, denn es würde sonst das Nest beschmutzen, und die Feuchtigkeit wäre ein Verderben für die Geschwister, welche außerdem von der Krankheit noch angesteckt werden würden.
Unter solcher unausgesetzt treu und gewissenhaft vollzogenen Pflege und Wartung gedeihen die jungen Dompfaffen vortrefflich, und es kommt in der That nur selten vor, daß eins derselben stirbt. Täglich decken die aus den Kielen sich entfaltenden Federn als immer breiter werdende Fähnchen die Blößen des Körpers, und bald sind die Vögel flügge, das heißt, das Gefieder deckt den ganzen Körper, obwohl das Schwänzchen erst zur Hälfte gewachsen und die Schwungfedern noch nicht ihre vollkommene Länge erlangt haben. Wenn nun die Decke vom Neste oder dem Kästchen, worin sie sich befinden, gehoben wird, so schnurren sie mit den Flügeln und streben, dem engen Behälter zu entrinnen. Noch kurze Zeit, und sie sind reif, in Käfige versetzt zu werden. Sobald sie allein zu fressen vermögen, werden sie strenge von [178] einander abgesondert. Am besten ist es, wenn man die Männchen in verschiedene Zimmer vertheilt; da es aber oft an Raum mangelt, so gebieten die Umstände die Anhäufung mehrerer Männchen in einem Zimmer, wobei übrigens vermieden werden muß, daß sie sich gegenseitig sehen können. In manchen Wohnungen der Vogelsberger Dompfaffenzüchter sind sogar in den Viehställen Käfige mit jungen Dompfaffen angebracht. Die Männchen vermag man erst mit Sicherheit zu unterscheiden, wenn die rothen Federn an der Brust und der Kehle zum Vorschein kommen. Um die Ausscheidung der Weibchen, denen die Freiheit gegeben wird, vornehmen zu können, zieht man den Jungen sämmtlich einige der Brustfedern mit schnellem Ruck an verschiedenen Stellen aus. Wachsen röthliche Federn nach, so hat man ein Männchen vor sich, während der Nachwuchs brauner Federn untrüglich für ein Weibchen spricht. Es kommt zum Aerger des Pflegers vor, daß in einem Neste nur Weibchen sind, zu seiner Freude aber auch, daß der umgekehrte Fall, freilich weit seltener, sich ereignet, nämlich, daß die ganze Brut in Männchen besteht.
Der Standort des Käfigs befindet sich in leichtem Dämmerlicht, da, wo der Vogel nur die nächste Umgebung überblicken kann und nicht durch die zerstreuenden Erscheinungen der freien Welt abgelenkt wird. Im Zimmer selbst sind ebenfalls auffallende Auftritte ferne zu halten, namentlich ist der Vogel vor Schrecken und Aergerniß zu bewahren, wozu er seinem reizbaren Naturell zufolge sich sehr geneigt zeigt. Zu jeder Tageszeit darf ihm das auserwählte Lied vorgepfiffen werden, wiewohl der frühe Morgen und die späten Nachmittagsstunden besondere Berücksichtigung verdienen. Kein Kunstinstrument kommt im Entferntesten dem menschlichen Munde als lehrendes Mittel gleich. Mit dem runden, vollen Ton muß das Lied rein und deutlich in einem Zug von Anfang bis zu Ende vorgepfiffen werden. Dabei nähert sich der Pfeifende dem Gitter des Käfigs unmittelbar, so daß der Dompfaffe gänzlich gefesselt dem Vortrage lauscht. Neben Deutlichkeit, Reinheit des Tons und Tactmäßigkeit ist Festhalten der Tonhöhe unbedingt geboten, welche zwar der musikalisch Gebildete leicht zu treffen versteht, welche dagegen bei der geringsten Unsicherheit von Seiten eines Anderen mit Hülfe der Stimmgabel gesucht werden muß. Das Lied darf nicht zu umfangreich oder zu complicirt, die Melodie muß faßlich und behaltbar, einfach, in mittlerer Tonlage sich bewegend und von ansprechender Wirkung sein. Der heitere und ernste Charakter des Liedes eignet sich in gleicher Weise für den Lehrling, nur wird man in der Wahl des Tempos immer Rücksicht nehmen müssen auf das bedächtige, etwas schwerfällige Auftreten und Wesen des Dompfaffen, welches sich auch im Vortrage nicht verleugnet. Die getragenen Melodien werden unstreitig am schönsten und charakteristischsten wiedergegeben, vorzüglich die lyrisch-wehmüthigen Weisen, weil in dem Tone des Vogels selbst Anklang und Verwandtschaft liegt.
Uebrigens nimmt man in dieser Beziehung mannigfache Unterschiede zwischen den Lehrlingen wahr. Während der eine in der allermechanischsten Weise nachpfeift, legt der andere einen gewissen Schmelz und geheimen Zauber in seinen Vortrag, welcher in der Eigenartigkeit seines Stimmorgans begründet ist. Es erscheint dieser Umstand unabhängig von dem Ausdruck, welcher dem Vogel durch die ästhetische Betonung und andere geschmackvolle Beobachtungen im Vortrag von Seiten des Lehrers beigebracht wird, und ist schwerer zu schildern als durch aufmerksames Zuhören herauszufinden. Ich bin weit davon entfernt, den gelehrten Vogel für fähig zu halten, die in einer Melodie ausgedrückte Empfindung der menschlichen Seele nachfühlen zu können, nein, so hoch versteigen sich meine Begriffe von der Thierseele nicht, ich weiß vielmehr und spreche es mit untrüglicher Sicherheit aus, daß das gelernte Lied des Vogels einzig und allein auf mechanischer Nachahmung beruht. Dennoch pfeift nach menschlicher Auffassung der eine Dompfaffe empfindungsvoller als der andere, natürlich immer nur unbewußt. Hier kann man eben so gut wie bei den Sängern unter den Menschen von sympathischen und nichtsympathischen Stimmen reden.
Der Lehrmeister unseres Dompfaffen hat aber noch andere Regeln zu beobachten, als diejenigen, welche ich bereits angegeben habe. Ich will nicht unerwähnt lassen, indem ich auf vorhin allgemein Ausgedrücktes hinweise, daß in dem Zimmer oder in der Nähe desselben keine schreienden oder singenden Vögel geduldet werden dürfen, auch sollen sich die menschlichen Hausbewohner des Pfeifens während der Lehrzeit des Dompfaffen gänzlich enthalten, weil zu befürchten ist, derselbe fasse Einzelnes auf und mische es in das zu erlernende Lied ein oder werde doch wenigstens irre gemacht. Mit der vollständigsten Isolirung des Lehrlings legt man den ersten Grund zu günstigem Erfolg.
Wenn schon die lernende Amsel zum Absetzen inmitten der Melodie geneigt ist, so zeigt sich diese Unart nicht weniger bei dem Dompfaffen. Der Grund des Absetzens und Pausenmachens kann in Erschrecktwerden liegen, gewöhnlich aber ist er Folge mangelhaften Vorpfeifens. Ohne Ausnahme muß das Lied gerade durchgepfiffen werden. Viele Lehrmeister glauben aber dadurch sicherer und rascher an das Ziel zu kommen, wenn sie dem, wie man zu sagen pflegt, steckenbleibenden Schüler an der Stelle des Anstoßes forthelfen. Der Lernende meint, er müsse hier auch wiederholen und wird dadurch ein sogenannter Radbrecher, der nie das Lied in einem Zug und Fluß durchpfeift. Daß es dem einen Exemplar leichter fällt, das Lied nachzupfeifen, als dem andern, bestätigt die Erfahrung. Es giebt gänzlich unfähige Lehrlinge, an denen Zeit und Athem verschwendet werden; man macht Bekanntschaft mit mittelmäßig Begabten, bei denen Fleiß und Ausdauer endlich zum Ziel führen; es ragen aber auch wunderbar talentvolle Vögel weit über ihre Brüder hervor, welche gleichsam spielend die Melodie tief in sich aufnehmen und mit staunenswerther Gewandtheit, Treue und Anmuth wiedergeben. Sie sind sogar im Stande, mehrere kleine Liedchen zu erlernen und nie dieselben zu vermengen.
Mein Bruder Adolph in Gladenbach hatte vor mehreren Jahren zwei Dompfaffenmännchen gezogen, von denen er sich das größere und stärkere zum Liebling in der Wohnstube erkor und mit größter Sorgfalt unter Beobachtung der besten Erfahrungsregeln in die Lehre nahm. Den kleineren, schwächlich, ja fast kränklich aussehenden Vogel versetzte er mit dem Käfig in die Küche, von wo aus dieser das Lied nur gedämpft aus der Stube her vernahm. Eines Tages aber überraschte der zurückgesetzte, in seiner trefflichen Begabung verkannte Dompfaffe meinen Bruder mit der Wiedergabe der ganzen Melodie, welche er nach Aussage meiner Schwägerin und der Köchin heimlich leise eingeübt hatte. Gerade dieser Vogel legte einen eigenthümlich zauberhaften Reiz in Stimme und Betonung. Ich vermuthe, daß die Entfernung, aus der er das Lied hörte, zur Bildung des zarteren und wehmüthig klingenden Tones wesentlich beitrug. Dieser Ausdruck paßte nun auch zu dem rührenden Liede:
Eines Christen Tod
Weiß von keiner Noth,
Zur Befestigung des Erlernten wird dem Dompfaffen auch nach Verlauf der eigentlichen Lehrzeit noch immer täglich die Melodie vorgepfiffen. Namentlich muß dies alljährlich zur Zeit der Mauser oder des Federwechsels geschehen, wo der Vogel eine Zeit lang schweigt und zum Vergessen hinneigt.
Was das Wesen und Betragen des Dompfaffen im Käfig betrifft, so ist der Grundzug seines Charakters, wie schon angedeutet, Launenhaftigkeit und große Reizbarkeit. Er zeigt bei seiner Zu- oder Abneigung gegenüber gewissen Persönlichkeiten unverkennbare Eigenartigkeit. Die Gewohnheit macht ihn vielfach zum Sclaven, weshalb ihn die geringste Veränderung in Aufregung versetzen kann. Merkwürdiger Weise begegnen ihm Personen, an die er sich nie anschließen mag und deren erster ihn abstoßender Eindruck dauernd wirkt. Dagegen tritt er Anderen heiter bis an das Gitter entgegen und giebt durch unzweideutige Beweise sein Wohlgefallen und sein Zutrauen zu erkennen. Worin die Ursache liegt, daß er dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen mehr huldigt als dem männlichen, wüßte ich nur mit der Hinweisung auf das sanftere Auftreten des ersteren zu erklären. Die Ausprägungen seiner Empfindungen sind sehr sprechend in seinem Benehmen. Dem Freunde und [179] Wohlthäter begegnet er mit Bücklingen und Wendungen zur Rechten und Linken, sowie mit der Bereitwilligkeit, auf Commando oder Aufforderung sein Liedchen zu pfeifen; dem Verhaßten dagegen haucht er mit geöffnetem Schnabel entgegen, indem er sich im Zorn wie ein Bolzen aufbläst und so eine wahrhaft gegnerische Stellung einnimmt. Wird er gar von dem Gegenstande seiner Abneigung geneckt, so steigert sich die Erregung nicht selten zu einem solchen Grade, daß Krämpfe ihn befallen und zu Boden werfen. Selbst die zärtlichsten Schmeicheleien und auserlesensten Leckerbissen vermögen selten den eigensinnigen Vogel versöhnlich zu stimmen. Die Gewohnheit vermag es am ersten, ihn umzustimmen. Sein Gedächtniß ist vorzüglich, und er unterscheidet genau die verschiedenen ihm bekannten Erscheinungen.
Mein Bruder hatte seinen Dompfaffen, welchen er dem Vater geschenkt, ein ganzes Jahr nicht gesehen, dennoch erkannte der in freudige Aufregung versetzte Vogel seinen alten Pfleger augenblicklich wieder und begrüßte ihn mit nicht enden wollender Wiederholung seines Liedchens. Wie sehr der Dompfaffe die einmal gewohnte Erscheinung liebt, geht aus folgendem Erlebniß hervor.
Ein Müller pfiff seinem Dompfaffen stets mit der weißen Kappe auf dem Kopfe vor. Daran gewöhnte sich der Vogel so sehr, daß er, in andere Umgebung versetzt, förmlich zu trauern anfing und trotz aller dringenden Ermunterungen seiner neuen Pfleger das Pfeifen hartnäckig verweigerte. Da kam die Tochter des Hauses auf den Gedanken, sich eine weiße Nachtmütze ihres Vaters aufzusetzen und vor den Käfig des Vogels zu treten. Wie vom Zauber gerührt, erhob der Dompfaffe seine Stimme und stellte sich vor Freude ganz ungeberdig. Man sieht hieraus, daß die Dompfaffen unter Umständen ebenso gut um den Finger zu wickeln sind, als die Männer; es müssen nur unsere Schönen den Männern gewisse Lieblingsneigungen und unschuldige Gewohnheiten lassen, auf denen sie wie die eigensinnigen Dompfaffen bestehen.
Der Handel mit gelehrten Dompfaffen gewinnt immer mehr an Ausdehnung. Sehr auffallend ist es indessen, daß in unseren Gebirgsgegenden (Vogelsberg) in dem einen Dorfe kein einziger Einwohner sich um Dompfaffen kümmert, während in anderen ein großer Theil der Ortsbürger sich der Pflege und Abrichtung derselben leidenschaftlich widmet. Vorzugsweise sind es besondere Familien, in denen dieses Geschäft als Erbschaft seit vielen Jahrzehnten sich erhält. Die Buben müssen in Rücksicht hierauf schon frühzeitig den Mund zum Pfeifen spitzen und am Unterricht ebenso aufmerksam wie die Vögel theilnehmen.
Die meisten Züchter verkaufen ihre Dompfaffen nach vollendeter Lehrzeit umherreisenden Großhändlern, welche selten mehr als zehn Gulden oder sechs Thaler für den besten Vogel geben. Wenn ein Leinweber im Laufe des Jahres acht bis zwölf Männchen großfüttert und pfeifen lehrt, so gehört er noch nicht zu den bedeutenderen Kleinhändlern, von denen manche zwanzig bis fünfundzwanzig Stück an die Großhändler jeden Winter verkaufen. Der Preis des Vogels richtet sich nach feststehenden Regeln. Pfeift er auf Commando, setzt er die Melodie nirgends ab und trifft er durchweg den Ton sicher, so ist sein Werth entschieden. Pfeift er gar zwei Lieder ohne Fehler, so steigt sein Werth um Wesentliches. Endlich entscheidet auch die größere oder geringere Beliebtheit und Schönheit der Melodie. Um den Anforderungen hierin zu entsprechen, bestellen die Großhändler alljährlich bei den Kleinhändlern die Lieblingsmelodien ihrer Abnehmer in England. Es werden nämlich in der einen Gegend oder Stadt diese, in der andern jene Lieder vorgezogen. Danach richtet sich natürlich der Lehrmeister um deswillen gern, weil die Höhe seines Verdienstes davon abhängt.
Hat nun der Großhändler Hunderte von Dompfaffen erhandelt, so begiebt er sich auf die Reise und schlägt seine Waare in großen Städten mit Gewinn los. Immer aber muß er nicht geringe Procente abrechnen, weil auf der Reise nicht blos Vögel zu Grunde gehen, sondern auch mehrere durch die veränderte Lebensweise und den Wechsel der Umgebung derartig verstimmt und übler Laune werden, daß sie schweigen oder wenigstens nicht auf Commando pfeifen. Um diesem Uebelstande vorzubeugen, setzt der Händler Zeit und Mühe daran, sich unterwegs mit den Pfleglingen recht vertraut zu machen und ihre Eigenheiten zu erforschen, nach welchen er seine Behandlung einzurichten hat. Diese Sorgfalt wird vorzugsweise den sortirten besten Vögeln zugewendet. Dennoch bleibt manche Aergerniß erregende Erfahrung nicht aus. Für ausgezeichnete Exemplare erhält der Großhändler drei, vier, ja in einzelnen Fällen sogar fünf Pfund Sterling. Die mittelmäßigen oder gar geringen Exemplare werden dagegen auch gebührend gering bezahlt. Der Gewinn fällt nicht ein Jahr wie das andere aus, weil eben die Umstände den Erfolg des Unternehmens bedingen. Die Händler wissen die Eigenheiten der Engländer nicht genug hervorzuheben. Ihre Vorliebe zu gewissen Melodien bestimmt sie, mitunter wirklich verschwenderisch zu lohnen, während der kleinste Mangel sie veranlaßt, so wenig zu geben, daß der Einkaufspreis nebst den Transport- und Fütterungskosten nicht gedeckt wird. Unstreitig ziehen die englischen Großhändler, von denen die unsrigen ganz abhängig sind, den größten Gewinn. Diese Engländer verkehren mit den Deutschen mittelst Dolmetscher, welche sie selbst bestimmen. Die Unkenntniß der englischen Sprache und der Mangel an ausgedehnten Verbindungen sind Ursache, daß die deutschen Händler gewissen englischen Firmen unterthan bleiben, von denen sie mit Leichtigkeit ausgebeutet werden können. Ohne Gewinn kehren aber unsere Händler nicht zurück. Sie sind doch zu geriebene Burschen, als daß sie nicht durch Erfahrungen klug würden und die Fehler in der Behandlung ihrer Vögel zu vermeiden bestrebt sein sollten. Immer noch werden jedoch die Dompfaffen unterwegs zu eng eingekerkert und zu wenig rein gehalten.
In neuerer Zeit haben sich bei uns Kleinhändler zu Großhändlern emporgeschwungen, welche den Fremden bedeutende Concurrenz machen In Rücksicht auf den Umstand, daß der Handel mit Dompfaffen ein nicht geringer Erwerbszweig bei einem Theile unseres Gebirgsvolks geworden ist, und in Erwägung, daß diese Vögel durchaus nicht zu den nützlichen gehören, auch keineswegs durch ursprünglichen Gesang in der Freiheit ergötzen, wird möglichst schonend gegen das Contingent der Dompfaffenhändler verfahren. Mögen diese gelehrigen Vögel fort und fort unsere schönen Volksweisen gleich unserer fröhlichen Schuljugend erlernen und sie über Berg und Thal, Fluß und Meer in die Ferne und Fremde hinübertragen!
Fünfhunderttausend Familien, zusammen wohl zwei Millionen Menschen hat in Spanien allein die Inquisition verschlungen. Von diesen sind Tausende aus dem Lande vertrieben, Tausende eingekerkert und an die Galeeren geschmiedet, Tausende mit dem Schwert gerichtet oder erdrosselt und 31,912 lebendig verbrannt worden. Seine Glanzzeit feierte dieses „Heilige Amt“ unter den Großinquisitoren Diego Perez, Cisneros, Torquemada (der allein 105,285 Personen verurtheilte und über sechstausend lebendig verbrennen ließ) und dessen eifrigstem Jünger und Nachfolger Peter Arbues von Epila.
Bis zum Jahre 1867 konnte man sich noch der tröstlichen Ansicht hingeben, daß diese furchtbare Geißel der Menschheit ein Wahnzustand gewesen sei, der wie die verwandte Erscheinung der Hexenprocesse, am Lichte einer gesunderen und helleren Zeit seinen Untergang für immer gefunden habe. Dieser Trost ist dahin. Wir müssen zu der niederdrückenden Ansicht gelangen, daß die Inquisition ein wesentlicher Machttheil der Hierarchie sei, die nur bestehen könne, wenn sie, um die Suprematie in Sachen der Religion zu behaupten, zur höchsten geistlichen und weltlichen Gewalt greife; dazu gehört es aber vor Allem, nicht nur zu verhindern, daß irgendwo der menschliche Geist sich unabhängig entwickele, sondern rücksichtslos dafür zu sorgen, daß alle Geister in eine feste Form eingeschraubt werden, wie der Jesuitismus sie erfunden hat und allein anzulegen versteht. Daß dies auch noch heute des Papstthums Ziel sei, dafür konnte kein schlagenderer Beweis geliefert werden, als Pius der Neunte ihn der Welt in’s [180] Gesicht schleuderte, indem er
kraft seines Amtes den blutigsten Ketzerrichter, ein Scheusal, dessen Name seit Jahrhunderten mit Fluch beladen in der Geschichte steht, unter die Heiligen der katholischen Kirche versetzte.
Mit dieser Heiligsprechung hat der Papst mit dem Geiste des Christenthums ebenso gebrochen wie mit dem Bildungsberufe der Menschheit. Er hat das schändlichste Verbrechen, das gegen den Grundbegriff der Gottheit begangen wurde, als höchste Tugend belohnt und damit sich zum Genossen des Verbrechers erniedrigt. – Aber ist denn das überhaupt so etwas Neues in der jesuitischen Kirchenherrschaft? Waren es nicht deutsche Kirchenlichter, die um die Zeit einer neuen Aufloderung ihres Machtgefühls – als die katholische Frauenwelt sich abgewöhnen mußte, vor dem Bilde der „unbefleckten Empfängniß“ öffentlich zu erröthen, weil die ehelosen Geistlichen dieselbe täglich auf der Kanzel abhandelten – in ihren Versammlungen es wagen durften, der Pariser Bluthochzeit Lobreden zu halten? Ist das entsetzliche Lehrbuch der Moraltheologie des Jesuiten-Paters Gury noch immer nicht bekannt genug? Wer es nicht kennt, der kaufe sich heute noch Keller’s Beleuchtung desselben*, um zu erfahren, was heute noch möglich, ja was noch immer nicht unmöglich geworden ist im Bereiche des Jesuitenregiments.
Es ist eine weltgeschichtliche Merkwürdigkeit, daß an demselben Tage, an welchem dem deutschen Staate, der an der Spitze des Protestantismus steht, der Vernichtungskrieg vom pfaffenmächtigsten Staate Europas angekündigt ward, auch das Concil zu Rom die Unfehlbarkeit des Papstes zu seinem höchsten und letzten Beschluß erhob. Unter dem Waffenlärm in den zwei größten Heerlagern der Welt verscholl kaum gehört der ultramontane Siegesjubel. Aber das von allen Feinden des deutschen Geistes dem Untergange geweihte deutsche Reich erstand nach blutigem, sieggekröntem Ringen zu neuer Hoheit und Macht, und der erste große geistige Kampf, dessen Sturmwellen weit über Deutschlands Grenzen hinausschlagen, gilt der freien
* Verlag von H. R. Sauerländer in Aarau, 1869.
[181] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
Schule, der Errettung der Bildung des Volks aus der Pfaffengewalt.
Auch dieser deutsche Kampf war längst in der Nation vorbereitet durch Schrift und lebendes Wort und Lied. Da, im rechten Augenblicke, trat auch die bildende Kunst bewaffnet auf den Kampfplatz, und so weltgeschichtlich wie Concil und Krieg und Volksvertretung griff ein Bild in den Kampf der Zeit ein, blitzartig grell das Furchtbarste beleuchtend, das ein Papst des neunzehnten Jahrhunderts der gesammten Christenheit, der Bildung und dem Gewissen desselben geboten hatte.
Das ist die Bedeutung von Kaulbach’s Ketzerrichterbild, seinem Peter Arbues von Epila in der Verrichtung des „heiligen Amts“, für das er selbst nun mit dem Heiligenschein begnadet worden ist.
Ein solches Bild ist werth in jedes deutsche Haus getragen zu werden. Und weil die „Gartenlaube“ es heute den Hunderttausenden ihrer Leser vorlegt, so fügen wir für diese auch eine einfache Erklärung desselben bei.
Auf der Freitreppe vor dem Palast des Inquisitionstribunals zu Saragossa steht der Inquisitor Peter Arbues, als blinder Greis, geleitet von zwei Mönchen, einem häßlichen alten, und einem schönen jungen, letzterer durch die Geißel, die er unterm Arme trägt, ebenfalls als Fanatiker bezeichnet, wenn man auch noch einen Zug von Mitleidsfähigkeit aus dem Gesichte herausfinden kann. Arbues ist, wie er hier vor uns steht, keine Porträtfigur, er war ein sehender und kräftiger Mann, als ihn sein Verhängniß ereilte; hier steht der Inbegriff des blinden Fanatismus vor uns, der den von ihm ganz Umstrickten mit unbarmherziger Verfolgungswuth jedes Andersgläubigen erfüllt und bis zur Mordgier hetzt, mit welcher seine Umgebung die gemeinste Raubgier verbindet, genau wie die Geschichte der Inquisition dies nachweist. Den Stift, der dieses Antlitz zeichnete, hat der tiefste Ingrimm geführt: es ist die lauernde Hyäne, die mit den krallenden Fingern der Linken ihrem Opfer droht, während die Rechte, vom tückischen Mönch geleitet, mit dem Krückstock in die Richtung hintastet, wo die von ihm zum Feuertod verdammte Familie kniet.
[182] Und über diesem Haupte schwebt, in seiner leisen Andeutung erst recht contrastirend, der Glorienschein des „Heiligen“.
Die Mitte des Vordergrundes nimmt im Bilde die verurtheilte Ketzerfamilie ein: Vater und Mutter, eine Tochter, zwei Söhne und die alte Dienerin. Ihre edlen Gestalten, ihre vornehme Tracht und die Reichthümer an Münzen und Geschmeide, die, vor ihnen am Boden und auf der ersten Treppenstufe liegend von einem Mönch in die geschürzte Kutte gesteckt und gierig eingeheimst werden – Alles deutet auf die Höhe der Bildung und des Lebensglücks hin, die ihr Verbrechen war. Im Antlitz des Vaters prägt sich die Ueberzeugung von der Vergeblichkeit jeder Bitte und jedes Widerstands und damit die männliche Entschlossenheit aus, das Unvermeidliche würdig zu tragen. Sein Töchterlein, ein blühendes Mädchen, vergräbt den Kopf mit den vollen halbaufgelösten Zöpfen an des Vaters Brust; die Mutter, aus deren Antlitz selbst die furchtbare Verzweiflung des Augenblicks die Weihe der Schönheit nicht verscheuchen kann, kniet mit auf dem Rücken gefesselten Händen am Boden. Ihr Blick ist furchtbar: die weitaufgerissenen Augen starren in’s Leere, und gewiß ist auch ihr weit offener Mund todtenstumm. Desto schneidender dringt uns der Wehschrei ihres kleinen Lieblings in’s Herz, des Knaben, der der Mutter Kniee umklammert und Rettung erfleht von der selbst unrettbar Verlorenen. Die alte Dienerin ist das Bild völliger Vernichtung, sie verkriecht sich, als ob Das sie ihrem Schicksal entreißen könnte. Ueber all die geliebten Häupter der Seinen emporragend sehen wir die einzige, aber großartig versöhnende Erscheinung des ganzen Bildes: den älteren Knaben, der dem lauschenden Inquisitor in prophetischer Begeisterung sicherlich nichts Geringeres als seinen Fluch vor Gott und den Sieg des freien Glaubens in der rächenden Zukunft verkündet. Auch räumlich nimmt dieses herrliche Knabenhaupt die Mitte des Bildes ein, wir kehren immer zu seinem Anblick zurück, wenn Alles, was rings ihn umgiebt, uns mit steigender Empörung über die Möglichkeit solcher Menschenunthaten erfüllt hat. So die beiden Mönche, welche in der Abgestumpftheit vor den täglichen Mord- und Gräuelscenen die Stricke halten, an welche die Knieenden gebunden sind; so der Zug der fackeltragenden Mönche, welcher im Hintergrund zur Verherrlichung des Autodafé dahinschreitet, das dort begangen wird. Wir sehen durch Flammen und Rauch vier Martersäulen, an welchen Ketzer verbrannt werden, während ein Mönch den Brand schürt oder einen neuen Scheiterhaufen vorbereitet.
Je länger wir das Bild beschauen, je mehr Neues finden wir darin, und selbst im anscheinlich nebensächlichen Ausschmuck erkennen wir den tiefen Sinn, wie in der Madonnenstatue mit den Schwertern im Herzen, die neben dem Portal der Inquisition und über dem Haupte des Inquisitors die Hände wie im bittersten Schmerz über die Verbrechen ringt, die vor ihr im Namen ihres Sohnes verübt werden; ebenso ganz im Vordergrund die Bibel und der Kelch des Abendmahlsgeräths, um jeden Zweifel, daß hier gegen Andere, als gegen Ketzer verfahren werde, unmöglich zu machen. Selbst das Crucifix im Mönchszuge und auf der Brust des „heiligen Arbues“ reden eine deutliche Sprache; durch die Morisken und Juden aber, die hinter der christlichen Familie am Boden knieen und die Hände ringen, ist Land und Zeit angedeutet, dem die Blüthe dieser Glaubensschandthaten angehört.
Mag die Kunstkritik sich noch so sehr dagegen ereifern, mehr solcher Kunstwerke in ihr ästhetisches Bereich aufzunehmen: hier ist die Rede von einer geschichtlichen That, die allein mehr werth ist, als sehr viel Inhalt sehr vieler Bildergalerien. Darum Ehre dem muthigen Meister mit seinem deutschen Herzen und glücklichen Erfolg seiner zermalmenden Lehre im gesammten Pfaffenthum! Deutschland wird seinen Sieg gegen jedes Verdummungsbündniß ausfechten; – ob und wann auch Spanien? Es ist eine trostlose Thatsache, daß der Inquisition noch ein sehr spätes Opfer fiel: ein liberaler spanischer Schullehrer, Namens Ripoll, ist als Ketzer, weil er dem Deismus anhing, zu Valencia mit den wesentlichen Formen eines Autodafé hingerichtet worden, und wann? Am 31. Juli 1826!
Auf den Stufen einer einsamen Waldcapelle bei Hilgenberg fanden am Morgen des 26. August ein Landmann und sein Söhnlein die blutbesudelte, halbentkleidete Leiche eines jungen Mannes. Der Alte sandte den Kleinen in das nächste Dorf, während er den stillen Mann bewachte. Unter dem Hemde des Todten fand sich um dessen Leib eine seidene Binde, anscheinend das Fragment eines Frauenshawls, gebunden, die eine breite klaffende Stichwunde überdeckte. Die Section ergab, daß der Stich mitten in’s Herz gedrungen, daß die That vor wenigen Tagen geschehen sein müsse und daß der Todte unmittelbar nach dem Genusse starken Weines verschieden sei. Geld und Pretiosen fanden sich nicht vor; nur ein Siegelring mit adeligem Wappen stak am Zeigefinger so fest, wie mit ihm verwachsen. Alles sprach übrigens laut dafür, daß nicht die Stätte um die Capelle, sondern der Raubstein, eine in der Nähe befindliche Bergkuppe mit einer zur Ruine gewordenen Warte, der Schauplatz einer blutigen That war; Blut färbte dort den schuttbedeckten Boden der Trümmerrunde; Blut klebte an den Steinen ringsumher, Speisereste, die Spuren menschlicher Tritte, ein zweiter Streifen des bunten Shawls und ein feingearbeiteter Frauenhandschuh fanden sich da vor. Am Handschuh waren Blutspuren, die als Menschenblut analysirt wurden. Niemand kannte den Todten. Der Wirth einer nahen Waldschenke aber gab an, der Todte sei derselbe fremde Herr, der zwei Tage vorher in der Schenke übernachtete und vor dem Verlassen des Wirthshauses eine dem Schenkwirth zur Aufbewahrung gegebene goldene Uhr sammt Kette und Schlüssel, eine rothe Brieftasche und grünseidenen Geldbeutel in Empfang nahm. Gerüchte allerlei Art durchschwirrten die Luft. Man vermuthete in dem Ermordeten einen Gast der nächsten Badeorte.
Endlich wurde in dem Verunglückten der vermißte Hermann von P. erkannt, der von seiner Frau Albertine geschieden lebte und mit Frauenspersonen zweideutigen Rufes Umgang pflog. Unter den Papieren des Verstorbenen fand sich ein in französischer Sprache und von Frauenhand geschriebenes und mit A. unterzeichnetes Briefchen mit abgerissener Adresse und dem Datum: „Bl. den 21. Juli“. In diesem Blättchen wird dem unbekannten Adressaten in ernst gehaltenen Worten eine Zusammenkunft gestattet. In dem Worte „Correspondenz“ waren ganz eigenthümliche Schreibfehler. Die bisherige Meinung, es liege ein Raubmord vor, wurde allmählich schwächer, um so mehr, als ein freilich geistesschwacher Bauernbursche angab, er habe einen feinen Mann und ein schönes Mädchen am Raubstein gesehen, und als man ferner im Opferstock bei der Waldcapelle den vom Waldwirth wiedererkannten Beutel fand, gefüllt mit Silber- und Goldmünzen und mit einem Streifen Pergament, auf dem mit verstellter Handschrift die Worte standen: „Bestattet den Todten! Gott lohnt!“
Auch der Arzt in S. und seine Ehefrau erzählten: am vierundzwanzigsten August sei eine junge schöne Dame gekommen, habe eine Schnittwunde an der untern Fläche der rechten Hand verbinden lassen und den Dienst mit einem Ducaten bezahlt. Am Gartenzaun sei sie von einem alten Bauersmann erwartet worden, der bald hastigen Laufes zurückgekommen sei und die Frage, ob er die Dame kenne, mit den Worten beantwortet habe: „Was? Dame? Gott kennt sie!“ und forteilte. Ein Nachbar, der die Fremde schon vor dem Eintritt in des Arztes Haus ungesehen beobachtete, erzählte, die Dame habe heftig geweint, der Alte aber die Worte gesprochen: „Das Weinen macht ihn nicht wieder lebendig; vor mir sind Sie sicher; ich schweige wie das Grab.“
Den Handschuh hatte man. Nun galt es auch die Hand zu finden. Eine flüchtige Tänzerin und eine Harfenvirtuosin wurden mühsam erforscht, doch es ergaben sich keine Anhaltspunkte; auch war ihnen der Handschuh viel zu enge. Man mußte mit dem Handschuh, um ihn als wichtiges corpus delicti unbeschädigt zu erhalten, sehr vorsichtig umgehen. Bei dieser Vorsicht kehrte sich, als die Virtuosin den Handschuh abzog, die innere Seite des Handschuhs heraus und siehe da! unter dem [183] Rande erblickte man einen Namensstempel: „Wilhelm Tieffe“. Noch immer war die Hand nicht gefunden, wohl aber fand sich plötzlich der zweite Handschuh mit dem gleichen Namensstempel. Adelheid, die Tochter des reformirten Predigers in Blumenau, erlegte ihn zu Gericht mit dem Beifügen, daß bei dem Gutsherrn in Blumenau eine Frau v. P. im Sommer längere Zeit auf Besuch gewesen sei, mit der sie oft Musik gemacht habe; bei der Abreise habe sie der Jungfer beim Einpacken geholfen, und weil dieser Handschuh, da der zweite fehlte, nicht des Mitnehmens werth gehalten worden, habe sie, Adelheid, denselben blos im Scherze als ein Andenken sich zugeeignet.
Ferdinand v. P., der Bruder des Ermordeten, war mehrere Monate nach Auffinden der Leiche nach Wien gekommen und auch in das Haus der Eltern seiner Schwägerin Albertine. Er schien von dem Liebreiz seiner anmuthigen Schwägerin ganz überrascht, die ihn aber kalt und gemessen behandelte. Der Vater der Albertine, Oberst S., erzählte gesprächsweise, daß seine Tochter im Sommer in Blumenau war. Ferdinand v. P. brachte nun absichtlich seiner Schwägerin bei, daß die Predigerstochter auf eine ganz eigene Weise durch den Besitz eines Handschuhs bei der Untersuchung über Hermann’s Tod betheiligt sei. „Um Gotteswillen! Die Arme! sie ist unschuldig!“ rief Albertine, bebte, erblaßte, fiel in Ohnmacht und erklärte, nachdem sie wieder Fassung errungen: „Ich muß fort, ich muß die Unglückliche retten.“
Ferdinand, der bereits Verdacht auf seine Schwägerin geworfen, bestärkte sie in ihrem Vorhaben und Albertine reiste mit ihrer Mutter ab, bat um eine Unterredung mit dem Untersuchungsrichter mittelst einiger Zeilen, in denen das Wort „Correspondenz“ vorkam und merkwürdig! – dieses Wort wies ganz dieselben eigenartigen orthographischen Fehler, welche sich in dem Briefchen aus Bl. gefunden hatten. Die Schriftzüge waren unbezweifelt dieselben. Es war auch constatirt worden, daß Albertine wirklich jene Dame war, die im Sommer lange auf dem Gute in Blumenau zu Gaste war und daß sie eben am 24. August spät Abends nach Hause gekommen. Albertine wurde bei ihrer Vernehmung immer ängstlicher und beklommener. Die Aerzte und der Bauernbursche erkannten sie als jene damals gesehene Dame, worüber Albertine bei der Confrontation auf das Heftigste emporschrak. Sie wurde verhaftet. Einer der sachverständigen Aerzte meinte die Spur einer wohlgeheilten Schnittwunde an der inneren Fläche der rechten Hand mehr zu fühlen als zu sehen; der zweite und dritte Arzt erklärten, sie sehen und fühlen nichts. Der Hausarzt des Gutsherrn in Bl. erklärte, daß Albertine nach dem Vorfalle am Raubstein sehr abgespannt und deprimirter Gemüthsstimmung gewesen sei und Blumenau bald verlassen habe, während es doch ihre Absicht gewesen sei, bis October zu bleiben.
Albertine entgegnete dem Untersuchungsrichter auf die an sie gestellten Fragen: „Wohlan! Ich will keine Antwort erlügen, solcher Frevel ist unter meiner Würde, aber schweigen darf und werde ich.“ Dabei beharrte sie selbst dem von Amtswegen ihr beigegebenen Vertheidiger gegenüber, dem sie auch die Erklärung wiederholte: „Ich will mein Gewissen mit keiner Lüge beflecken, es ist belastet ohnedies, die Wahrheit aber wird mir keine Macht entreißen.“ Nur bei Vorweisung der blutigen Seidenbinde bebte sie zurück mit dem Ausruf: „Weg damit – um Gottes willen! ich kann kein Blut mehr sehen!“ Der verhängnißvolle Handschuh paßte wie gegossen an die zarte Hand Albertinens. Auf die Aufforderung, Beweise zu ihrer Rechtfertigung zu erbringen, entgegnete sie: „Ich kann solche nicht bringen, der Schleier, der eine unheilvolle Begebenheit deckt, darf mit meinem Willen nicht gelüftet werden. Für die Welt bin ich abgestorben, nur im Kerker oder im Grabe kann ich Ruhe finden.“ Immer enger zogen sich die Maschen des Netzes zusammen, es zeigte keine Lücke, Alles sprach gegen die Beschuldete, nichts für sie, es sei denn der Adel des Benehmens, der auch anerzogen sein, ihre ruhige Ergebung, die auch erheuchelt sein konnte, und die Unvereinbarlichkeit, daß diese holde Erscheinung einer solchen Unthat an ihrem wenn auch geschiedenen Mann, dem Vater ihres Kindes, fähig gewesen sei, daß in diesen schönen Formen eine so häßliche Seele wohne, endlich daß trotz aller Nachforschungen kein eigentliches Motiv des Verbrechens erhoben werden konnte.
Die unvermuthet im Hause des Obersten S. vorgenommene Untersuchung der Zimmer und Behältnisse der Tochter ergab ein für letztere vernichtendes Resultat. Es fand sich ein Päckchen vor und in diesem die goldene Uhr mit Kette und der Trauring, welche Gegenstände die vertraute Dienerin Albertinens, Agathe, als diejenigen erkannte, die Hermann v. P. immer zu tragen pflegte. Der Waldwirth erkannte auf seinen Eid hin sofort Uhr, Kette und Schlüssel. Auch Rechnungen über von Wilhelm Tieffe gelieferte Handschuhe fanden sich vor. Die Erhebungen über Albertinens Charakter und Vorleben lauteten zwar vortheilhaft, aber nicht wesentlich entlastend. Man rühmte ihren edlen, mit Herablassung und Wohlthätigkeit glücklich gepaarten Stolz, ihre Bildung und Geistesgaben, vor Allem ihre grenzenlose Hingebung und ihren Gehorsam gegen die würdigen Eltern. Zum Vorwurf wurde ihr allgemein ihr Hang zum äußern Glanz gemacht, dessen Befriedigung ihr selbst Geldverlegenheiten bereitete. Die Dienerin gab an, daß Hermann v. P. und Albertine anfangs glücklich lebten, daß aber Albertine ihren Mann verließ wegen seiner Untreue, um so mehr, weil der Gegenstand derselben eines der bei ihr bediensteten Mädchen war. Es erfolgte die gerichtliche Scheidung. Oberst S. gab keine Wiedervereinigung zu, obgleich die junge Frau ihrem Manne im Stillen doch noch zugethan gewesen sei. Albertine, sagte die Zeugin ferner aus, sei heftigen Temperaments und habe ihrem Manne bei einem Streite einmal mit Erstechen und Erschießen gedroht. Sie selbst, Agathe, habe manchmal Maulschellen von ihrer reizbaren Herrin erhalten, die ihr ihre Gebieterin dann oft mit Thränen abbat. Mit Aufwand aller Mühe wurde die Untersuchung geführt. Es gelang sogar, jenes Mädchen aufzufinden, welches am 24. August jenen Brief brachte, der Albertine zu einem Rendezvous mit einem großen schönen Herrn lud. Das Mädchen erkannte sofort Albertine als jene Dame. Nur der alte Mann, von dem der Arzt in S. und dessen Frau erzählt hatten, er war und blieb unentdeckt.
Endlich nach zwei Jahren kam es zur Schwurgerichtssitzung. Der Proceß hatte ungewöhnliche Bedeutung erlangt. Albertine erschien geführt von ihrem Vertheidiger, Marmorblässe bedeckte ihr edelgebildetes Antlitz. Ihre schwarzseidene Kleidung war ebenso einfach wie anständig. Der Vorlesung der Anklage folgte sie mit Aufmerksamkeit, und Manches schien ihr überraschend und tief erschütternd auf die Seele zu fallen. Bei der Verhandlung kam ein weiterer belastender Umstand zu Tage. Agathe gab an, während ihres Aufenthalts in Blumenau habe ihre Dame oft und gern ein buntes Seidenkleid getragen, es wurde das schottische genannt. Vor der Abreise von Blumenau habe sie an diesem Kleide Flecken wie von Blut bemerkt und dies ihrer Herrin gemeldet. Diese erschrak, wurde verlegen und sagte kurz abbrechend: „Du bist nicht gescheidt.“ Die Dienerin brachte nun das Kleid zur eigenen Ansicht. Frau v. P. wehrte ängstlich den Anblick ab und rief: „Schaffe es weg! Zertrenne das Kleid! Ich schenke es Dir.“ Die Dienerin machte sich später ein Leibchen aus dem Stoffe, das die Dame nie leiden mochte. Ein Strickbeutel existire noch von diesem Stoffe, und sie habe denselben mitgenommen. Die meisten Zeugen erkannten, daß die Dame eben ein solches schottisches Kleid an jenem Augusttage getragen hatte.
Der Vertheidiger that sein Möglichstes. Dräuend hatten sich die Wolken über das Haupt der Angeklagten zusammengezogen, nicht ein Lichtpunkt zeigte sich. Die Geschworenen zogen sich zur Berathung zurück. Noch bevor der Zeiger abgelaufen, sollte der Wahrspruch verkündet werden zur Sühne eines der schwersten Verbrechen, die das Gesetz kennt. Ein Wahrspruch, niederschmetternd wie der Blitz auf die Schuldbeladene.
Während die Geschworenen beriethen, erhob sich auf der Galerie plötzlich ein Lärm; ein wohlgekleideter Mann machte sich hastig Bahn in dem Gedränge. Im Nu hatte er die Brüstung erreicht und mit donnernder Stimme rief er hernieder: „Bei Gott dem Allgerechten, ich verlange Gehör! Die Angeklagte ist unschuldig!“
Der Spruch wurde vertagt. Der Unbekannte war der Bergrath Max v. N., ehemals Officier und als solcher von achtbaren Einwohnern des Schwurgerichtsstädtchens gekannt. Er entwickelte unter vollständigem Beweis seiner Freundschaftsverhältnisse mit den geschiedenen Ehegatten Hermann und Albertine v. P. umständlich den wahren Sachverhalt also:
Die am 24. August 18.. stattgefundene Zusammenkunft der genannten Ehegatten am Raubstein hatte den Zweck der Wiedervereinigung, wobei außer den getrennten Ehegatten [184] v. P. und ihm, dem Zeugen, auch ein alter Mann, welcher Hermann als Führer gedient hatte, zugegen. war. Das mehrstündige Gespräch drehte sich immer um das gleiche Thema: Hermann wünschte die Wiedervereinigung mit Albertinen, und diese berief sich auf den Willen ihres Vaters, welcher derselben entgegen sei. Es wurde Mittag, Hermann ließ Erfrischungen auspacken. Er trank immer mehr von dem feurigen Weine und wurde heftiger, bis zur Brutalität. Albertine warf ihm einen strafenden Blick zu und sagte endlich: „Herr v. N., ich gehe.“
„Also Du gehst?“ schrie Hermann in höchster Erregung. „Wohlan, geh’ hin, verstoße mich, wirf mich zurück in dieses Leben, das mir eine Hölle ist! Leben? Nein! in den Tod wirfst Du mich! Geh’, aber erst sieh mich sterben!“ erhob das Messer gegen seine geöffnete Brust, stieß zu und – lag blutend und leblos am Boden.
Albertine war neben ihm hingesunken, ihre rechte Hand blutete. Im Momente des Todesstoßes hatte sie in das Messer gegriffen, eine ausspringende Klinge hatte sie verletzt. Der Gedanke, daß ihr Mann ohne Segen der Kirche in ungeweihter Erde vermodern sollte, war Albertine schrecklich und hätte ihr selbst, wie sie versicherte, den Tod gegeben. Der alte Führer hatte den Einfall, daß man den Schein hervorrufe, als habe den Unglücklichen ein Anderer erstochen, und so wurden der Leiche die Pretiosen und das Geld abgenommen, mit Ausnahme des ohne Verstümmelung nicht zu erlangenden Ringes. Die Oberkleider wurden in eine Grube hinter der Ruine gebracht, die Leiche aber zur Capelle geschafft, wo sie eher dem Zugang der Menschen erreichbar schien. Der Alte führte Albertine zu einem Arzt. Auf dem Wege durch die menschenleere Wildniß äußerte Albertine, daß ihr theurer Vater nie erfahren dürfe, wie sehr sie an ihm und ihrem gegebenen Worte gefrevelt habe; sie werde schweigen bis in’s Grab und bis auf’s Blutgerüst. Er, Zeuge, und der Führer Florian K. im Dorfe Z. mußten ihr versprechen, zu schweigen, so lange der Vater lebe.
Albertine, vom Präsidenten vernommen, erzählte nun den Hergang in vollster Uebereinstimmung mit den Angaben ihres Retters; auch der alte Führer lebte noch und bestätigte diese Angaben. Selbst die Oberkleider des Todten fanden sich in der Grube. – Das späte Erscheinen des Bergraths rechtfertigte sich durch die Verhältnisse seiner Lebensschicksale. Er nahm im Herbste jenes Jahres seinen Abschied und kehrte zum Bergfach zurück, zeichnete sich aus, erhielt den Ruf, eine bergmännische Expedition nach Brasilien zu begleiten, von welcher er eben zurückkehrte, als die Zeitungen verkündeten, daß vor den Assisen die Anschuldigung der Albertine v. P. (deren Vater eben gestorben) wegen Gattenmord verhandelt werde.
Wir haben den vorstehenden Criminalfall in Kürze, aber actengetreu wiedergegeben, weil er verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden, und weil er geeignet ist, das Interesse des großen Publicums für das Rechtsleben anzuregen und zu nähren.
Entgegnung zum „Aberglauben des Soldaten im Kriege“. In mehreren Artikeln der Gartenlaube haben wir die Behauptung gefunden, der Soldat habe den Besitz von Karten für verhängnißvoll gehalten und diese vor dem Gefecht weggeworfen.
Wir Unterzeichnete, den verschiedensten Armeecorps während des Feldzugs angehörend und durch monatelanges Zusammenleben genau mit der Anschauungsweise der Soldaten bekannt, halten die obige Behauptung für unrichtig und können es nicht unterlassen dagegen anzukämpfen, daß man unserm Volke einen Aberglauben andichtet, welcher in der That wohl nur bei Wenigen existirt.
Es wurden nicht nur die Karten während des Gefechts sorgsam verwahrt, sondern Einer der Mitunterzeichner hat sogar gesehen, wie einzelne Soldaten ihren verwundeten Cameraden im Feuer die Karten zum späteren Gebrauch abgenommen haben. Ein Anderer bezeugt, daß er vor Metz, wenn er nicht durch Dienstgeschäfte verhindert war, täglich zwölf Stunden lang gespielt habe. Am siebenten October, dem Tage des bekannten großen Ausfalls, wurden er und seine Cameraden in dem Augenblick, als gerade die Karten ausgegeben waren, durch das Alarmsignal gestört. Es hinderte dasselbe jedoch nicht im Geringsten, daß Jeder seine empfangenen Karten aufbewahrte und mitnahm, um das Spiel nach der Schlacht fortzusetzen, was auch wirklich geschah.
Wenn etwa da und dort Karten weggeworfen wurden, so geschah es meist wohl deshalb, weil so ungefähr die Hälfte der Blätter fehlte, und der erfinderische Geist der Soldaten nicht mehr ausreichte, das Spiel wieder zu ergänzen.
Von der Erfahrung Ihres geehrten Berichterstatters, des Herrn Christian Sell, welcher im Felde nur einmal Soldaten Karten spielen sah, weicht die unsrige auch insofern ab, als wir die Soldaten tagtäglich und unter allen Umständen nicht nur im Cantonnement, sondern auch auf Feldwache, vor und nach Gefechten mit Kartenspielen beschäftigt gesehen haben, und im Interesse der Wahrheit bezeugen wir, daß das Spiel beim Soldaten schließlich zur wahren Leidenschaft wurde, weil es fast das einzige Mittel war, ihn die Jämmerlichkeit und Langeweile seines Lebens vergessen zu machen. Einer der Unterzeichner, der früher einen entschiedenen Widerwillen gegen das Kartenspiel hegte, hat es sogar nothgedrungen im Felde erlernt, und wir glauben deshalb, daß diese beiden letzten Punkte der Bemerkung Ihres geehrten Herrn Correspondenten „und es ging auch so“ (d. h. ohne Kartenspiel) jedenfalls den Charakter einer in der ganzen Armee gemachten Erfahrung nehmen dürften.
Mit der Bitte, obige Zellen nicht als müßige Bemerkungen, sondern als aus der Quelle ernster Wahrheitsliebe entsprungen ansehen und den betreffenden Artikel gütigst modificiren zu wollen, zeichnen wir
Hannoverisch Münden, den 18. Februar 1872.
hochachtungsvoll
- W. Martin, hess. Feld-Art.-Reg. Nr. 11, 11. Armeecorps.
- H. Paar, 1. hess. Inf.-Reg. Nr. 83, 22. Div.
- W. Dettmar, 3. hann. Inf.-Reg. Nr. 79, 10. Corps.
- T. Gieße, hess. Füsilierreg. Nr. 80, 21. Div.
- K. Roth, 1. bad. Grenadierreg. Nr. 109, 14. Corps.
- E. Paulus, 22. Div., 11. Corps.
- L. Wellendorf, 8. Div., 4. Corps.
- R. Schladitz, 4. M. Jägerbat., 7. Div.
- W. Klingemann, 7. westph. G.-Reg. Nr. 56, 10. C., 20. Div.
- Studirende der Forstakademie zu Münden.
Das Riesengeweih von Amboise. Wir erhalten von einem Officier folgende pikante Zuschrift: „In Nr. 36 der Gartenlaube heißt es in einem Artikel über Moritzburg, daß sich in Amboise in Frankreich ein Riesengeweih von zehn Fuß Höhe befinde, dessen einstiger Träger unter Pipin in Schwaben erlegt worden sei. Ich selbst lag im Monat Februar 1871 mit unserem Bataillon längere Zeit in genannter Stadt und hatte hier Gelegenheit, das allerdings kolossale Geweih, welches in dem einen Rampenthurm des alten Schlosses aufgehängt war, zu bewundern. Während meiner dortigen Anwesenheit wurde das Geweih von der Stelle, an welcher es notorisch so viele Jahre gehangen, entfernt und ging in den Besitz eines hohen Jagdfreundes über. Es wurde sorgfältig verpackt nach Tours und demnächst nach Deutschland gesendet, traf aber an seinem Bestimmungsort nicht unverletzt ein. Leider stellte es sich bei dieser Gelegenheit, wie wir Officiere aus hohem Munde hörten, heraus, daß das Geweih kein natürliches, sondern aus Holz, das nunmehr morsch geworden, überaus kunstfertig und naturgetreu geschnitzt war. Dies diene den Freunden derartiger Curiositäten hiermit zur Berichtigung obiger Notiz.“
„Schön Israel in Algier“. Wir bemerken nachträglich unseren Lesern, daß das Bild in Nr. 8 der Gartenlaube, welches die diesen Zeilen vorgesetzte Unterschrift trägt, dem thätigen und durch seine echt künstlerischen Bestrebungen höchst anerkennenswerthen Verlag der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin entnommen ist, die schon jetzt eine große Auswahl von vorzüglichen Photographien bietet und deren eifrigstes Streben es ist, der classischen wie der modernen Kunst durch sorgfältige Reproductionen möglichste Verbreitung zu geben.
Zwei Ausnahmen von der Regel. Bisher suchten wir unsere vermißten Soldaten in Frankreich und verschollene Landsleute jenseits des Oceans; diesmal helfen wir einen vermißten französischen Soldaten und einen in Amerika Verschollenen in Deutschland suchen.
1) Moritz Mertian aus Paris, ein zwanzigjähriger französischer Freiwilliger, machte als Husar bei der 5. Escadron des 5. Regiments, der Escorte des Marschalls Bazaine, die Schlacht bei Rézonville mit und wurde durch einen Säbelhieb in die rechte Seite des Halses verwundet. Man sah ihn nach Rézonville zurückreiten, um ein Lazareth zu suchen. Von diesem Augenblick an ist er verschollen, weder im Lager vor, noch in Metz, noch auf dem Schlachtfeld ward er gefunden. Die letzte Hoffnung der Eltern ist nun die, daß ihr Sohn krank und gefangen noch irgendwo in Deutschland liege. Es wird uns versichert, daß die trauernde Mutter Beweise führen kann, an deutschen Gefangenen und Kranken in Paris treue Sanitätspflicht erfüllt zu haben. Der vermißte junge Mann schrieb sich gewöhnlich Mertian d’Anthes. Seine Monturstücke trugen die Nummer 2256. Er war sehr groß, von blondem Haar und braunen Augen. Vielleicht ist es doch möglich, den Eltern über sein Schicksal Gewißheit zu bringen, wenn auch nur die des Todes.
2) Vor etwa sechs Jahren wohnte im „Schwarzen Adler“ zu Schöneberg bei Berlin ein Schlossermeister Petri; um die jetzige Adresse desselben bittet dringend O. G. Oliver zu Vallejo in Californien.
Berichtigung. In einem kleinen Theil unserer Auflage ist in voriger Nummer auf der fünften Spalte, Zeile 21 von unten, „Messe“ statt „Vesper“ stehen geblieben. Wir bitten diesen Satzfehler zu entschuldigen.
Ernst K…el in Hamburg. Auf Gedichteinsendungen geben wir stets zwei bestimmte Antworten: entweder das fragliche Poem wird abgedruckt, oder es wandert einfach ohne alle weitere Benachrichtigung in den Papierkorb. Wir haben dies in der Gartenlaube vielleicht zwanzig Mal schon erklärt und verbitten uns nunmehr ernstlich alle Reclamationen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: in in