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Die Gartenlaube (1879)/Heft 4

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 4.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)


Der Ball fand statt. Es waren gegen zweihundert Einladungen ergangen. Doris widmete sich den Vorbereitungen mit vollem Eifer: Erich ließ sie in Allem gewähren. Jedermann hatte mit größter Beflissenheit sein Erscheinen zugesagt. Bei Rechting’s amüsirte man sich immer; bei Rechting’s gab es ausgezeichnetes Büffet und vorzüglichen Sect; bei Rechting’s fand man die heiterste Gesellschaft, die hübschesten jungen Frauen, die neuesten Toiletten und den angenehmsten Whisttisch.

Die Säle waren gefüllt und die Festlust hoch im Schwange. Die Geheimräthin von Wandelt war mit Elschen gekommen. Die Tochter glich der vortheilhaften Schilderung, die Doris dem Präsidenten von ihr gemacht hatte, und die Mutter der Bemerkung, welche jene über sie hingeworfen. Frau von Wandelt war an Gestalt, Geist, Gemüth und Tact um das Endchen zu kurz gekommen, das sie sich überall anzusetzen bemüht war. Sie trug mit Vorliebe einen Perlmutterschmuck, der den Eindruck von Perlen machen sollte. Die Magerkeit ihres Leibes umgab sie mit schweren Stoffen, die man irgendwo schon an einer Prinzessin gesehen haben wollte. In neuester Zeit trug sie Gefallen daran, sich ihr Haar in einer Titusfrisur arrangiren zu lassen. Trotz aller dieser Eigenschaften, die eine komische Figur hinreichend ausgestattet hätten, spielte sie in der Gesellschaft eine gewisse Rolle. Ehe man sie lächerlich fand, fürchtete man sie.

Sie war allein mit Else da. Ihren „lieben Mann“ hatte sie entschuldigt. Er wäre gern mitgekommen, wie sie behauptete – die Hummeraspics und die schweren Rheinweine mundeten ihm nirgends so gut als hier – aber der Arzt habe ihm gerade die Luft der Salons und die schweren Weine verboten. Und dann würde er in neuester Zeit immer so aufgeregt, wenn er im L’hombre verlöre. Als Frau habe sie gegen den Staat die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß nicht vor der Zeit dem Staate ein so vortrefflicher Beamter, wie ihr Mann, verloren ginge. Darum sitze er jetzt zu Hause und lege sich seine Patience darauf hin, ob sie und Else sich auch gut amüsirten.

„Das ist der hübscheste Ball, den Sie gegeben haben, meine theuerste Freundin,“ sagte sie zu Doris. „Dieses Silber – dieses Tischzeug — dieses Krystall! Und nichts davon geliehen! Diese himmelblauen Livréeen – und immer zwei davon auf dem Kutscherbock! Sie sind doch die glücklichste Frau der Erde!“

„Ich bin das Alles von Jugend auf so gewöhnt,“ antwortete diese. „Ich wüßte nicht, wie das anders sein könnte.“

„Und wie reizend sie wieder aussieht, die charmante Frau! Die Robe mit den Points d’Espagne und der gestickten Taille! Das sitzt alles wie ein Panzer. Natürlich wieder Paris! ‚Siehst du,’ predige ich jeden Tag, den Gott der Herr giebt, meiner Else, ‚siehst du, Frau von Rechting müßte dein Vorbild sein. Das ist die Frau von Chic. Der strebe nach! Man hat nur dann im Leben etwas erreicht, wenn man die Welt vom Standpunkt einer Equipage aus betrachten kann, aber mit zwei Domestiken drauf.' Kommt denn heute der Herr Bankpräsident nicht?“

„Gewiß, wir haben ihn natürlich eingeladen. Er hat nicht abgesagt.“

„Der Mann ist entzückend.“ Dann, nach einer Pause, sagte sie mit halber Stimme, halb schmeichelnd, halb bittend: „Wie wäre es, meine liebste Freundin? Sie kennen ihn genau. Else vortreffliches Kind – ich die beste Schwiegermutter. Thun Sie etwas für Ihre Freunde, die Ihnen so sehr ergeben sind!“

„Sehr gern, Frau von Wandelt, aber ich weiß nur nicht, wie ich das könnte.“

„Giebt die Gelegenheit, überlegen Sie sich’s! Schildern Sie uns ihm in unserer stillen Anmuth. – Aber wo ist denn meine Tochter?“

„Fräulein Regina hat sie unter ihre Fittige genommen,“ bemerkte Doris.

„Regina? Dagegen habe ich nichts, das ist wenigstens keine Nebenbuhlerin. Man muß junge Mädchen von Concurrentinnen stets fern halten.“

Else schien an diesem Abend Glück zu machen. Erich kam zur Geheimräthin und brachte ihr seine Elogen über die reizvolle, minnigliche Anmuth, in der sich Else heute ganz besonders zeige. Es wäre der Mutter zwar lieber gewesen, wenn Lideman ihr das gesagt hätte, aber eine Mutter nimmt das Lob ihres Kindes von Jedermann an – selbst von einem Ehemann.

Die Geheimräthin hatte bei solchen Festen ihren ständigen Bostongeneral, einen jovialen älteren Militär. Er saß bei ihr und zog Erich damit auf, daß er nach jungen Mädchen ausschaue. Er würde beim Souper Frau von Rechting davon pflichtschuldigste Meldung machen. Die Geheimräthin ließ ihn immer reden und spielte währenddem tapfer ihre besten Karten gegen ihren General aus. Wußte sie doch Else unter der schützenden Obhut von Fräulein Regina, in der sie keine Gefahr für die Wirkung ihrer Tochter sah.

Aber immer war Elschen doch nicht an deren Seite. Da hatte ein junger hübscher Mann seine Schritte nach dem stillen Boudoir der Frau von Rechting gelenkt, das am Ende der [58] rauschenden Festgemächer gelegen war. Ein trauliches Gemach, mit Teppichen belegt und von allen Seiten dicht verhangen, zur geheimen Zwiesprache bestimmt. Eine matt geschliffene Lampe mit ihrem träumerischen Lichte inmitten von üppigen Blattpflanzen – hübsche Bilder, Statuetten. Elschen hatte sich unter irgend einem Vorwande von ihrer Beschützerin losgemacht und ging langsam dem Gemache zu. Von Zeit zu Zeit sah sie sich um, ob ihr niemand mit Schritten oder Augen folge. Mit Schrecken hatte die Mama die Wahrnehmung gemacht, daß ihre Tochter beim Contretanz nicht unter den Tanzenden gewesen war. Else einen Contretanz sitzen geblieben! Endlich kam sie und wurde von der Mama gescholten, scharf inquirirt.

„Wo warst Du? Hast Du die Fanfaren – die Trompeten nicht gehört?“

Da wurde das hübsche unschuldige Kind etwas verlegen.

„Wir haben uns in dem Zimmer von Frau von Rechting das neue reizende Oelbild ‚Ich schnitt’ es gern in alle Rinden ein’ angesehen. Weißt Du, Mama? O, es ist zu hübsch.“

„Wir – wer wir?“

„Nun, eben ich – und – und Fräulein Desancto,“ fiel sie schnell ein.

Von dem schwarzen Fracke, den man neben ihrer himmelblauen Ballrobe durch die Portièren an ihrer Seite bemerken konnte, von dem sagte sie ihrer Mutter nichts. Diese dachte nur an den Präsidenten, der etwas verspätet erschienen war.

Präsident Lideman neigte nicht zur Offenheit; er kannte die Welt und deren Indiscretionen zur Genüge. Unsere Zeit hat das Schweigen verlernt, Reden ist die Parole, gleichviel ob man über Politik spricht, über alle Dinge, die man nicht versteht, oder ob man die Geheimnisse seiner besten Freunde ausplaudert, die ihnen eine dunkle schwere Stunde erpreßt hat und von denen Schicksale und Existenzen abhängen. Wer schweigt, gilt für dumm, und alle Welt will heutzutage geistreich sein. Unter dem Fluche dieser Sucht leiden wir, denn sie gerade verflüchtigt den Geist. Je weniger Gedanken im Kopfe, desto mehr Worte auf den Lippen – und selten über die Sachen, stets nur über Personen. Aber bei aller Zurückhaltung und Vorsicht ging Lideman doch immer und überall direct auf seine Ziele los, mochte es sich um sein Herz, oder um irgend eine Bilanz, eine Speculation handeln. Er war in Allem der raffinirte Geschäftsmann, der sich durch keine unbequemen Gewissensscrupel in seinem Handeln hemmen oder beirren ließ.

Heute am Ballabend war sein Wesen von etwas wie von einem festen Entschlusse, einem Wagniß beherrscht. Die volle Bewegung der Gesellschaft, der Glanz, der über den Räumen lag, die gehobene Stimmung, die am Ende jeder Gesellschaftsabend mit sich bringt, die rauschende Musik, die Lichter, die Blumen und die hübschen Frauen und Mädchen – dies Alles spannte die ganze Muskelkraft seines leidenschaftlichen Wollens. Er hatte wiederholt gesucht, sich Doris zu nähern, aber stets wurde sie ihm entführt, ob durch Zufall oder Absicht, dazu ließ ihm die Ueberlegung keine Zeit; dazu hätte er denken müssen – und denken, wo Alles um ihn in Gefühl, Rausch, Lockung, Hoffnung sich auflöste! Endlich war es ihm gelungen, Doris in einer Gruppe von älteren Damen zu finden. Er bot ihr den Arm.

„Gnädigste Frau, die Gesellschaft hat mich mit der beneidenswerthen Aufgabe betraut, ihren Schmuck, ihren entflohenen Liebling ihr zurückzusuchen.“

Doris schien in der besten Laune; sie lachte und bemerke, daß das eigentlich eine Beleidigung sei.

„Weil ich Sie vielleicht der besten Gesellschaft, dem Alleinsein, entziehe, gnädigste Frau?“

„Nein, weil es nach Ihren Worten scheinen möchte, als umgäbe ich mich mit Personen, die so wenig innere Ressourcen haben, daß sie das Fehlen meiner unscheinbaren Persönlichkeit sogleich als eine Leere fühlen müßten. Uebrigens war ich auf dem Wege, meiner geselligen Pflichten mich zu erinnern.“

„Darf ich Ihnen den Arm anbieten, gnädigste Frau?“

„Ich nehme nie den Arm eines Mannes, der nicht seine silberne Hochzeit gefeiert hat,“ erklärte Frau von Rechting.

„Ah, für so eine kleine Gunst eine so lange Leidenszeit!“

„Nun, haben Sie sich meinen Vorschlag von neulich überlegt, Herr Präsident?“

„O, sprechen Sie mir nicht davon!“

„Warum denn nicht?“

„Warum? Weil – weil! Man betet an; man glüht in seinem Herzen; man ringt mit allen Mächten der Leidenschaften und – eine Partie! So schnöde abgewiesen werden –“ Er hauchte diese Worte mehr, als er sie sprach. Um so tiefer hatten sie Doris getroffen. Sie trat einen Schritt von ihm zurück und ernst, gemessen, wenn auch nicht unfreundlich, sprach sie:

„Sie erzählten mir an einem unserer letzten Abende so interessante Dinge über Ihre Thätigkeit als einer der Commissäre der letzten großen Ausstellung. Da werden Sie gewisse Gegenstände bemerkt haben, an denen ein kleiner Zettel hing, mit den Worten: Hors de concours.“

„Ja, ja, aber was soll das?“ drängte Lideman.

„Und gerade solche Gegenstände hat auch die Gesellschaft, und an jeder verheiratheten Frau hängt ein solcher, wenn auch unsichtbarer Zettel mit der Inschrift: Hors de concours.“

Um diese Warnung, diese Zurechtweisung ihm noch fühlbarer zu machen, nahm sie den Arm ihres Mannes, der sich gerade in der Nähe befand. Der Präsident sah ihr nach, als preßten sich zwischen seinen Lippen die Worte hervor: O, diese Frau! Sie treibt mir das Blut zum Herzen. Sie sehen – von ihrem Athem berührt zu werden – unter dem Zauber ihres Blickes zu stehen und denken zu müssen: Alles auf der Welt ist durch die Wünschelruthe deines Reichthums dein eigen – Alles, nur sie nicht! Dann stampfte er leise mit dem Fuße auf, um seinen inneren Willen zu bethätigen, seinen Entschluß zu verschärfen und zu stählen. Und doch – doch! O, kräusele nur deine holden Lippen zu spöttelnder Rede! Mich wirst du in meiner Zuversicht nicht irre machen, von meinem Ziele nicht abbringen.

Lideman fühlte sich durch die Abweisung der jungen Frau nicht aus dem Felde geschlagen. Er ärgerte sich nur über seine Unvorsichtigkeit. Wenn Doris ihrem Manne davon sprach, war da nicht seine Stellung den Beiden gegenüber erschüttert? Und dann mehr als das. Nach seinen Grundsätzen konnte sich ein Mann in einem Verhältnisse zu einer Frau Allem aussetzen. Jeder Mann – so lautete sein Grundsatz – verdient den Erfolg, den er bei einer Frau erringt, und jede Frau ist gerade so viel werth, wie sie ihm die Chancen eines solchen verschafft. Eines nur galt ihm als Verbrechen – die Lächerlichkeit. Fast wollte es ihn bedünken, als ob er sich dessen schuldig gemacht hätte. Das konnte er nicht so hinnehmen. Er mußte eine Genugthuung dafür haben, und nun kam zu seinen vollen zitternden Pulsen und zu seinem Raffinement auch noch das Rachegefühl, diese furchtbare Waffe eines Mannes einem Weibe gegenüber, das, nichts ahnend von solcher Verderbtheit, ihm in ihrer Unbefangenheit die Mittel zur Ausführung, zur Erreichung seines Zieles bietet. Ob Doris ihren Mann von dem Zwischenfalle unterrichtet hatte? Dann war ihm allerdings der Boden entzogen. Eben kam Rechting auf ihn zu. Lideman schlug das Herz. Wenn er Aufklärungen forderte! Nein. Lideman sollte die Geheimräthin zu Tisch führen. Erich trug ihm diese Bitte scherzend vor. Doris hatte also geschwiegen. Er hätte jetzt die Geheimräthin auch noch geküßt, wenn es Erich verlangt hätte.

Es kam nach Mitternacht jener Moment, wo die Festräume sich leeren und die Vorzimmer sich füllen, wo dieselben Menschen, die eben das Vergnügen vereint hatte, die sich mit dem holdesten Lächeln begegnet waren, die in Versicherungen des Glückes über das beiderseitige Zusammensein und dessen Reize sich erschöpft hatten, nach dem Augenblicke haschen, der sie wieder aus einander führt, wo über ein verwechseltes Tuch, einen verirrten Gummischuh oder einen zu spät gekommenen Kutscher Flammenblicke und Zornesworte geschleudert werden; jener Moment, sagen wir, der uns belehrt, daß man die Gesellschaft nicht nach dem Salon, sondern nur nach dem Vorzimmer beurtheilen darf.

Von einem ähnlichen Gedanken schien Erich beherrscht, als seine Gäste vor ihrem Abzug noch einmal vor ihm und Doris defilirten, Beiden dankgerührt die Hand drückten und nun draußen im Vorzimmer die wilde Jagd des Aufruhrs losging. Seine Züge trugen einen gespannten Ausdruck, und seine Lippen umspielte ein Zug von Ironie. Als die Letzte der Geladenen – es war natürlich die Geheimräthin – vorüber war und die Salonthüren sich geschlossen hatten, athmete Erich tief auf, als ob er sich einer recht schweren Last entladen wollte.

„Ich weiß nicht,“ sagte Doris zu ihrem Manne, „das war [59] ein recht seltsamer Abzug der Gesellschaft heute, nicht wie sonst – so heiter und lustig.“

„Vielleicht hat es auch seinen Grund“ – war Erich’s Bemerkung.

„Was willst Du damit sagen, Schatz?“

Statt aller Antwort schlang er seinen Arm um die Taille seiner Frau und zog sie mit nach dem Boudoir, in welches wir vorhin Else und einem Unbekannten gefolgt waren. Er zog sie mit sich nieder – durch die Portièren sahen Beide, wie die Diener die Lichter auslöschten.

Erich schien nach einem Worte zu suchen, und Doris sah ihren Mann fragend an.

„Die Lichter werden heute diese Zimmer zum letzten Male beleuchtet haben,“ nahm er plötzlich das Wort.

Doris schien das nicht zu verstehen.

„Wie kommst Du darauf? Und hier? Das war doch nie Deine Gewohnheit, nach einem Balle in der durch Licht und Menschen gerade nicht besser gewordenen Luft noch zu verweilen –“

„Aber hier möchte gerade der rechte Ort sein, um Dir eine Eröffnung zu machen. Ich war sie Dir im Grunde schon längere Zeit schuldig, aber ich fand das rechte Wort, den rechten Augenblick nicht, auch nicht den Muth, weil ich Dir keinen Schmerz bereiten wollte. Lieber trug ich’s allein, so schwer es mir auch wurde und so räthselhaft Dir mein Benehmen auch manchmal vorgekommen sein mag. Ich sah alle die Folgen voraus – ich wußte, welche einschneidende Consequenz es für unsere gesammten Verhältnisse haben würde.“

„Du folterst mich, Erich – sprich, was ist es? Gerade heraus!“

„Du warst reich, Doris; Du bist es nicht mehr.“

Die nähere Erklärung war einfach: ihr Vermögen, das bis auf einen ganz geringen Theil bei einer Bergwerksgesellschaft von ihrem verstorbenen Vater angelegt war, sei durch den Zusammenbruch derselben ohne Rettung verloren.

Doris starrte ihren Mann regungslos an. Mit der Schnelligkeit der Inspiration legten die Folgen dieser Eröffnung sich ihrer Urtheilskraft klar vor. Ihr Gesicht war bleich geworden und unterschied sich in der Farbe kaum von dem Atlasgewande, das sie trug.

„Ich wußte, welchen Eindruck es auf Dich machen würde, und darum zögerte ich so lange.“

„Und, Erich, es ist nicht ein bloßer Scherz von Dir – nein, nein? Und auch kein Vorgeben, mit dem Du verhüten willst, daß ich zu viel Aufwand mache?“

„Dann würde ich andere Mittel gesucht haben, liebe Doris, als Dich um ein Nichts zu erschrecken.“

„Ich – ohne Vermögen! Das ist zu furchtbar. Das ertrage ich nicht.“

„Wir müssen, Doris, und es wird auch gehen, wenn uns nur nicht der rechte Wille und die Kraft fehlen, es auszuführen. Mir freilich wird es weniger schwer werden als Dir, die von Jugend an im Genusse des Reichthums gelebt hat. Und – wenn ich es Dir offen sagen soll – ich für meinen Theil beklage den Verlust gar nicht so sehr.“

Sie sah ihn in jäher Ueberraschung an.

„So lange Du an Deinem Vermögen einen Rückhalt hattest,“ fuhr er fort, so lange gehörtest Du mit Deinen – verzeihe, wenn ich das Ding bei seinem rechten Namen nenne! – Deinen luxuriösen Gewöhnungen und Neigungen mir und meinem Herzen nur halb. Die andere Hälfte von Dir gehörte der Welt – dem Vergnügen. Von dem Augenblick an, wo es mir obliegt, für Dich, für unser Kind zu sorgen, erst von da an bist Du mein – ganz mein, wie ich Dir von je zu eigen war.“

Zur Bekräftigung des Gesagten schlang er die Arme um sie und küßte sie auf ihre Lippen. Doris hatte nur noch Thränen.

„Und Alles ist verloren?“ stammelte sie.

„Alles!“

Rechting sagte das fast ärgerlich.

„Ich begreife, Erich, wie Du unter dem Geheimnisse gelitten haben magst – es ist nur ein neuer Beweis Deiner Liebe. Ich gestehe Dir, daß ich Dir in Herzen und Gedanken oft Unrecht gethan habe. Was soll denn nun mit uns werden?“

„Das will ich Dir sagen. Wir werden diese große prächtige Wohnung hier verlassen und jenes stille bescheidene Gartenhaus vor dem Thore beziehen, das Einzige, was ich von meinem Vater her besitze.“

„Dieses öde, einsame, schmucklose Haus,“ schaltete Doris ein.

„Natürlich werden wir unsere Equipage abschaffen – die Diener – überhaupt unseren Haushalt auf das Einfachste beschränken.“

„O, das wird ja ein herrliches Leben werden, wenn ich durch die Vorstadt herein bei Wind und Wetter zu Fuße trotte und den Kohl im Korbe nach Hause tragen muß. Wie höhnisch werden mich die Leute angrinsen! In meinen Ohren höre ich es schon tönen: ‚Seht doch diese – die elegante Frau! Früher auf Gummirädern, nun in Gummischuhen!’“

„Immer nur Aeußerlichkeiten! Doris, wann wird der Augenblick kommen, der Dir den Sinn dahin wendet, wo allein alles dauernde Glück verborgen ruht – in das Innere, in die Tiefe der Menschenbrust?“

„Tadle, schmäle immerhin! Schilt mich – ich werde mich nie in andere, kleinere Verhältnisse gewöhnen. Ich liebe den Reiz, den Glanz, die Schönheit und Fülle des Lebens. Es ist die Atmosphäre, in der ich athme. Warum hast Du mich so gewähren lassen? Warum hast Du Dich um mein Vermögen nicht gekümmert? Dir stand es zunächst zu. Bin ich so sinnlos, daß ich auf Deine Mahnungen nicht gehört hätten? Und unser Kind! Das hast Du nicht bedacht in Deinem Egoismus, der da wünschte, daß es mit dem Meinigen zu Ende ginge.“

„Ja wohl! Es ist besser, Liddy ist arm an Geld und Gut, als daß ihr Kinderherz der Liebe entbehrte, die ihr in diesem Treiben verkümmert und entzogen würde. Doris, liebe Doris, ergeben wir uns darein!“

Die Angerufene hörte diese bittende, fast flehende Mahnung seines Herzens nicht. Mit einer heftigen Bewegung machte sie sich von ihrem Manne los und eilte im rauschenden Ballgewande nach dem Zimmer, wo die Kleine ruhig schlafend im Bettchen lag. Was sie hier hätte finden müssen, Trost und Erhebung, Muth und Selbstvertrauen – sie fand es nicht. Sie sah vor ihrem geistigen Blicke nur die Welt und ihre Zukunft wie einen öden, leeren Raum, in den sie vergebens ihr Ich einzufügen suchte.

Und Rechting war es, als hätte sich mit diesem Abend und dieser Eröffnung zwischen ihm und seiner Frau ein Schatten eingefunden, der sie auf dem künftigen Lebenswege zu begleiten drohte.




4.

Es war ein sehr bescheidenes Haus, welches Rechting’s nun bewohnten. Erich’s Vater hatte es von seinem Schwiegervater, einem wohlhabenden Leinwandhändler, geerbt, der es sich als Sommerplaisirhaus gebaut hatte, um sich des Abends mit seiner Familie darin von den Strapazen des Tages zu erholen, Rosen und Reben zu ziehen und bei saurer Milch als Abendbrod es sich im Schooße seiner Familie wohl sein zu lassen. Damals lag das Haus weit vor dem Thore der Stadt, und die Familie ersparte durch dasselbe Sommerreisen und kostspielige Landaufenthalte auswärts. In den dreißig Jahren seit dem Tode des biederen Leinwandherrn hatte sich die Stadt gereckt und gestreckt; die Grundstücke um das Haus herum wurden bebaut, die einfachen Landhäuser niedergerissen und durch Prachtbauten ersetzt; nur der Rechting’sche Besitz blieb, wie er gewesen war – und freilich, das Haus mit der schmucklosen Front, dem altmodischen Giebeldache, den niedrigen Fensterstöcken, die noch nicht mit Spiegelfenstern ausgefüllt waren, mit seinem bescheidenen Vorgärtchen, das noch durch einen Holzzaun nach der Straße abgeschlossen war, das nahm sich inmitten der reich ornamentirten Façaden, dem Säulenschmucke, den vergoldeten Balcons rechts und links recht armselig aus. Es machte den Eindruck eines armen Waisenkindes unter schön geputzten Kindern reicher und vornehmer Eltern.

Hier hatte nun der Assessor sein Domicil aufgeschlagen. Die Equipage war abgeschafft worden, er und seine Frau bedienten sich der Omnibus, er, um nach dem Amte zu fahren, sie, Doris, um ihre Einkäufe in der Stadt zu machen. Bei dem vereinfachten Haushalte hatten die Lieferanten verschmäht, die Sachen in’s Haus zu bringen, wie sie das sonst thaten. Man hatte auch keine Dienerschaft mehr; diese war auf eine Magd und ein Kindermädchen beschränkt. Doris ging im unscheinbarsten [60] Anzuge. Sie hatte bis auf einen ganz geringen Theil alle ihre kostbare Garderobe verkauft. Erich hatte dagegen Einspruch zu erheben versucht; mit ihm verbündete sich Regina, aber gerade dieses Abmahnen bestärkte Doris in ihrem Entschlusse. Sie wurde eigensinnig, bitter in ihrer Stimmung.

„Du sagst ja selbst, daß wir uns auf völlig neue Verhältnisse einrichten müssen. ‚Dein Kleid entspreche deinem Leben und Denken’ – sagt das Wort eines Weisen, dem ich folge. Was sollen mir jetzt diese Zeugen einstiger Herrlichkeit? Arme Leute brauchen sich nicht mehr zu schmücken; für diese genügt ein Leinwandkleid. Und es ist besser so, Erich; ich würde durch diese Roben nur an das Einst erinnert werden und – man muß doch einmal vergessen.“

„Eine Perle von einer Frau!“ rief die Nachbarschaft, die gar bald erfahren hatte, warum der Eigenthümer des „Planetenhäuschens“ den bisherigen Inwohner desselben ausgemiethet hatte. Das Haus hieß in der Umgegend so, weil das Planetensystem, allerdings in sehr fragwürdiger Weise, über dem mittleren Fenster aufgebracht war. Darum hatte es auch Herr Warbusch zu seiner Wohnung erwählt und hatte lange Jahre darin gehaust, bis der Assessor dem bisherigen Miether, dem alten einsamen Junggesellen, die Wohnung zu kündigen veranlaßt war. „Ein Juwel,“ sagte man von Doris, „ein Weib, das man für alle anderen Frauen als mustergültiges Beispiel hinstellen muß, wenn man die schöne Frau früher stolz zurückgelehnt in die Kissen ihres Wagens hier vorüberfahren sah und sie nun beobachtet, wie sie ihre eigene Equipage fährt, das heißt den Wagen ihres Kindes, und sich an die feine Promenade setzt und Handarbeiten macht und dabei den Schlaf ihres Kindes behütet, wie es eine gute Mutter thun muß!“

Das hätte Doris nun nicht nöthig gehabt – den Kinderwagen hätte ebenso gut das Kindermädchen ziehen können, wenn es überhaupt nöthig war. Denn hinter dem kleinen Landhause war ein ziemlich großer Garten, welcher der kleinen Liddy Luft und Licht in hinreichendem Maße zugeführt hätte. Aber es war in dem Gebahren von Doris in den neuen Verhältnissen ein Übereifer, ein Bestreben, das über jedes Maß hinaus ging, und das nur die schmerzliche Erinnerung an die Vergangenheit, die innere Unbefriedigtheit und Vergrämung bloßlegte. Jede andere Frau von demüthigerem und ergebenerem Charakter würde es vermieden haben, die Orte aufzusuchen, wo sie ihren früheren Gesellschaftsgenossen begegnen mußte. Allerdings – und darin hatte sie wieder recht – brauchte sie das Auge der Welt nicht zu scheuen – sie und ihr Mann waren völlig intact aus den früheren glänzenden Verhältnissen in das Dunkel gegangen. Doris aber war gewohnt, zu glänzen, bewundert zu werden. Da sie das nicht mehr im Salon genießen konnte, that sie es an der offenen Heerstraße. Sie wollte der Welt zeigen, warum sie nicht mehr zu ihr gezählt werden konnte; sie wollte hier ein Beispiel der vollsten Selbstbescheidung geben und verrieth nur ihren Hochmuth, ihre Gefallsucht, ihre Lüsternheit nach dem Verlorenen. Die Weltdame kokettirte mit der Mutter.

Rechting hatte für sich und seine Frau alle gesellschaftlichen Verpflichtungen, die nicht mehr im Bereiche seiner Mittel lagen, abgebrochen. Regina unterließ nicht, ihn auf das Gefährliche dieser Maßregel aufmerksam zu machen. Der Contrast gegen das Sonst sei bei Doris zu unvermittelt – die Klugheit gebiete, doch hier und da Ausnahmen zu machen – Ausnahmen, die selbst mit beschränkten Mitteln auszuführen seien. Rechting entgegnete darauf, daß ein Princip darin festzustellen nöthig sei, denn gerade diese Ausnahmen seien der versteckte Weg zur Regel. Doris müsse sich in das Unabänderliche fügen.

„Dann machen Sie es, wie Sie wollen,“ versetzte Regina. „Ich will nichts mehr darüber sprechen – Ihr Männer seid alle in dem unverbesserlichen Hochmuth befangen, daß ein Frauenherz eine Weidengerte sei, die sich fügen und formen lassen müsse, wie es gerade nur immer bon plaisir ist. Ein Frauengemüth ist ein Ding, das sein eigenes Gesetz hat und seine eigene Art will, die Ihr Alle nicht ergründet. Ihr wollt Selbstständigkeit bei einer Frau haben, und verlangt, daß sie in Allem Euer gefügiges Werkzeug sei, unterthan Eurem Willen, wie Euren Launen, Ihr wollt aber zu gleicher Zeit ein weiches, sanftes Herz, und greift jeden Augenblick mit brüsker Hand hinein, den Schlag desselben hemmend, seine Lebensfähigkeit beschränkend. Aber das Alles sind Dinge, die Euch hundertmal schon und viel besser gesagt worden sind, ohne daß es etwas gefruchtet hätte. – Komm, Doris – Du sollst nicht wie eine Nonne in Deinen vier Mauern eingesperrt sein; Du sollst mit der Schönheit und dem Reize der Welt wieder in Berührung kommen. Ich habe hier zwei Concertbillets – es sind keine gekauften, denn sonst bekäme Dein Mann wieder die Angst. Es sind Freibillets, die ich meiner Kunst verdanke. Einen Violinspieler, der an seiner Geige sich einen Buckel gespielt hatte, habe ich wieder für’s Leben aufgerichtet, daß er jetzt Flügelmann in einem preußischen Garderegiment werden könnte. Komm mit mir, Doris! Wir wollen den herben Mann einmal allein mit seinem Actenkram zu Hause lassen. Nun – willst Du?“

Doris warf einen prüfenden Blick auf ihren Mann. Der rauchte seine Cigarre, holte ein Buch vor und sagte kein Wort. Sie hatte gehofft, er würde sie auffordern, mit Regina zu gehen. Er that es aber nicht.

„Ich danke Dir, Regina,“ sagte Doris. „Du weißt ja, wie ich die Musik liebe, aber –“ Ihre Lippen preßten sich bei diesen Worten zusammen. „Du bist so gut, Regina, daß Du mir eine Freude machen wolltest, und eine solche wäre es gewesen, aber Erich scheint es nicht zu wollen. Ich gehe nicht – ich unterwerfe mich seinem Willen – wie es ja meine Pflicht ist.“

Die Thränen standen ihr in den Augen. Sie wollte es aber nicht zeigen und ging eiligst aus dem Zimmer.

„Regina, Sie reizen Doris gegen mich auf,“ sagte Erich mit finsterer Miene.

Regina schreckte bei diesen Worten zusammen, wie Jemand, der durch einen äußern Anruf zu dem innern Bewußtsein einer Gefahr gebracht wird. Sie wurde das Wort den ganzen Tag über nicht wieder los. Sollte Erich Recht haben? Wäre sie nur deswegen auf Doris’ Seite getreten, damit sie die Kluft zwischen den beiden Gatten erweiterte und aus dem Abgrunde ihres Glückes für sie eine Hoffnung aufstiege? Das nicht – von dieser Schuld durfte sie sich vor Gottes Augen, der in ihr Herz schauen konnte, lossprechen. Für Doris sprach das Weib in ihr; die Parteinahme für sie ging aus der Opposition gegen den Mann hervor, der in diesem Falle hart verfuhr. Vielleicht fühlte sie die Macht nur zu sehr, die Erich über ihr Herz gewonnen hatte. Um diese einzudämmen, suchte sie nach einem Grunde, um ihm einen Vorwurf machen zu können, um sich zu ihm in einen Gegensatz zu bringen. Sie bedachte nicht, daß die Gefahr einer Frau einem Manne gegenüber da beginnt, wo sie diese abwehren will, wo das Streitgefühl in ihr erwacht, und Regina befand sich mit ihrem Herzen in dieser Phase.

Jenes Wort Erich’s aber hatte in ihrem beiderseitigen Verhältnisse keine Folge. Ein Augenblick des Unmuthes hatte es erzeugt – der nächste Tag hatte es ihn und sie vergessen lassen. Erich begegnete ihr weiter mit der gleichen Freundlichkeit, demselben Vertrauen wie zuvor.

(Fortsetzung folgt.)




Bei den Kapuzinern in Palermo.[1]

In seinen „Italienischen Reisebildern“ aus den vierziger Jahren hat Dickens zu verschiedenen Malen hervorgehoben, daß die Italiener sich ihrer Todten mit einer gewissen auffallenden Eile und in den unteren Classen mit großer Lieblosigkeit entledigten. In letzterer Beziehung wird namentlich auf jene schauerliche Begräbnißweise hingewiesen, welche in verschiedenen Städten Italiens, besonders auch zu Neapel noch an der Tagesordnung ist, daß die Todten, hier und da ohne Sarg, in eine gemeinsame Grube geworfen werden, von denen im Ganzen 365 vorhanden sind, für jeden Tag des Jahres ein, die mit ihrem

[61]

Der Mumienkeller in Palermo.
Nach einer Photographie gezeichnet von Hansen.

schauerlichen Inhalte einmal in jedem Jahre zur Aufnahme neuer Leichen sich öffnet, um dann bis zum nächsten Jahrestage geschlossen zu bleiben.

Im geraden Gegensatze zu dieser Begräbnißweise, welche den Hinterbliebenen nichts zurückläßt, an das die Trauer äußerlich sich knüpfen könnte, steht die Bestattung im Kloster der Kapuziner zu Palermo, welche unter den reichen Familien der sicilianischen Hauptstadt gebräuchlich ist. Während man dort des Todten für immer sich entledigt, wird er hier künstlich gewissermaßen im Leben festgehalten und bleibt als Leiche auf der Oberwelt den Blicken der kommenden Geschlechter noch nach Jahrhunderten zugänglich.

[62] Was die Gelegenheit zu dieser eigenthümlichen Bestattungsweise gegeben hat, ist auch bei uns in Deutschland nicht unbekannt, nämlich die Eigenschaft gewisser Gewölbe, Leichname durch Austrocknung der Verwesung zu entziehen und zu mumificiren. Solche Eigenschaft besitzt z. B. der bekannte Bremer Bleikeller, in welchem einige Leichen in mumificirtem Zustande als Merkwürdigkeiten gezeigt werden. Aber nur im südlichsten Theile Italiens ist es, der Eigenart des dortigen Volks entsprechend, möglich, mit Hülfe eines solchen Gewölbes einen ganzen „Kirchhof“, oder richtiger eine Ausstellung vieler Tausender von Leichen zu veranstalten, die noch täglich vermehrt wird.

Wir fahren am Dom und dem Palazzo reale vorüber, zur Stätte des Todes, zu den Kapuzinern, steigen eine breite Steintreppe hinab und treten in einen riesigen, hochgewölbten Kellerraum, dem zahlreiche Fenster ausreichendes Licht gewähren. Keine Spur von dumpfer Luft, von Modergeruch ist wahrzunehmen. Doch welch ein Anblick bietet sich unserem Auge! An den Wänden, in drei-, vierfachen Reihen über einander Tausende von mumificirten Leichen! Die Haut ist bald gelblich, bald bräunlich, selbst schwärzlich, lederartig, aber die Gesichtszüge sind fast alle noch erkennbar, nicht selten durch einen ausgeprägten, unzweideutigen Gesichtsausdruck einen bestimmten Eindruck hervorrufend, sodaß wir sagen: dieses Gesicht lächelt; dieser Mund ist schmerzlich, jener zum Weinen verzogen; auf diesem Gesichte spiegelt sich tiefer Friede, auf jenem Unruhe; aus diesen Zügen spricht der Haß, aus jenen die Wuth. So glaubt man nicht Todte, man glaubt Lebende vor sich zu haben, und dieser Eindruck wird wesentlich durch den Umstand erhöht, daß die Leichen nicht etwa in Leintücher eingehüllt, in liegender Stellung sich befinden; nein, alle sind mit den Gewändern, welche sie im Leben getragen, bekleidet; die zahlreichen Kapuzinerleichen mit der Kutte, die Laien mit ihren Festkleidern, die Frauen und Mädchen (letztere durch Kronen ausgezeichnet) in häufig kostbaren Gewändern, mit Spitzen geschmückt und Glacéhandschuhe an den Händen. Der uns begleitende Kapuziner, durch lange Gewohnheit gegen jedes Gefühl des Grauens abgestumpft, bewegt mit dem Finger die vorstehende Zunge eines vor dreihundert Jahren verstorbenen Ordensbruders und sagt lächelnd: „Mit der hat er gepredigt.“

Die tiefe Stille, welche herrscht, wird plötzlich durch lautes Gespräch, durch Gelächter unterbrochen. Die Angehörigen eines Knabenpensionates werden durch den Raum geführt; sie gehen vielleicht an den Ueberresten ihrer Verwandten vorüber, aber die Majestät des Todes ist durch den trügerischen Schein des Lebens verscheucht; selbst das jugendliche Gemüth empfängt keinen ernsten Eindruck von den hier schauerlich zur Schau gestellten Todten. Die jungen Leute scherzen und lachen; sie theilen einander ihre Wahrnehmungen und ihre Urtheile über diese und jene Leiche und über deren „Costüme“ mit; kurz sie benehmen sich gerade in derselben Weise, welche für die Besucher eines Wachsfiguren- oder Raritätencabinets angemessen und natürlich erscheint. Wir sind zufällig in der Nähe einer der zahlreichen, mit Kapuze versehenen Leichen stehen geblieben, und der begleitende Mönch macht uns bemerklich, daß diese Leiche trotz des Ordensgewandes keineswegs eine Kapuzinerleiche sei. „Sie sehen,“ setzt er hinzu, „es fehlen die Sandalen. Seine Familie“ – der stete Aufenthalt, ich möchte sagen, der fortdauernde „Umgang“ mit den Leichen hat den Kapuziner schließlich so weit gebracht, daß er von denselben nicht wie von Todten, sondern geradezu wie von lebenden Personen spricht – „seine Familie,“ fährt er fort, „ist im Laufe der Zeit ausgestorben, da aber sein Platz einmal bezahlt ist, so muß er hier bleiben; nun waren seine Kleider allmählich so defect geworden, daß es mit denselben nicht weiter ging; deshalb haben wir ihm aus Barmherzigkeit (‚per carità’) ein Kapuzinergewand angezogen.“

Dann werden wir auf eine unter Glas befindliche Knabenleiche aufmerksam gemacht, welche, mit einem ebenso modernen wie eleganten Anzuge nebst Glacéhandschuhen bekleidet, einen Strohhut in der Hand hält. „Sehen Sie,“ sagt unser Mönch, „die Mutter that viel für das Kind; als es starb, befand sich die Familie in nur mäßigem Wohlstande; später haben sich die Verhältnisse sehr gebessert, und vor einem Jahre hat die Mutter dem Knaben diesen neuen Anzug angeschafft, auch zur besseren Erhaltung den Glaskasten besorgt.“

Unter Anderem bemerken wir einen jungen Mann und ein junges Mädchen in Hochzeitskleidern; beide sind an ihrem Hochzeitstage verunglückt, und in Folge dessen tragen sie nun für alle Zeiten ein „hochzeitlich Gewand“. Auf Befragen erfahren wir, daß die „carità“ der Kapuziner in Folge Aussterbens oder der Verarmung von Familien nicht selten in Anspruch genommen wird, und im Laufe des Gesprächs wird uns klar, daß – was übrigens nur die nothwendige Folge der seltsamen Bestattungsweise ist – die Palermitaner Familien, welche ihre Todten öffentlich ausstellen, um Erhaltung, beziehungsweise Neubeschaffung anständiger Kleidung für ihre verstorbenen Angehörigen sich zu kümmern haben, ähnlich wie wir, die wir unsere Todten der Erde übergeben, von Zeit zu Zeit genöthigt sind, für Erhaltung oder Wiederbestellung der Grabstätte oder des Denksteins unserer Todten zu sorgen. Die ursprünglich beschaffte Kleidung verwittert natürlich im Laufe der Jahre und gewährt einen häßlichen, ärmlichen Anblick; das kann die reiche, angesehene Familie nicht dulden; der Sohn oder der Großsohn muß seinem vor vielleicht zwanzig, vierzig Jahren gestorbenen Vater oder Großvater einen neuen Anzug machen lassen; da die Sache nichts Ungewöhnliches ist bei dieser eigenthümlichen Bestattungsweise, so wird sie von den Familien naturgemäß in derselben Weise behandelt, wie wenn das gleiche Bedürfniß bei einem lebenden Familienmitgliede vorläge – das Resultat aber bleibt: Statt den Kreisen des Lebens entrückt, über dieselben emporgehoben zu sein, verbleibt der Todte innerhalb derselben; er hat gleich den Lebenden Bedürfnisse, die nichts weniger als überirdischer, vielmehr sehr irdischer Natur sind – es sind Bedürfnisse zur Befriedigung der gemeinen Lebensnothdurft eines Todten!

In den weiten Sälen, welche die Wohnung der Todten bilden, bemerken wir noch, anfangs nicht ohne geheimes Grauen, eine nicht unbeträchtliche Anzahl großer Katzen: bei näherer Erkundigung aber bitten wir den Thieren das Mißtrauen, welches sie uns während eines Augenblickes einflößten, ab; sie üben zum Schutze der Todten strenge und wirksame Polizei gegen Ratten und Mäuse.

Die reichen Familien Palermos, welche auf diese Weise in der Kapuzinergruft ihre Todten unterbringen, veranstalten sonach zugleich mit denselben eine dauernde Ausstellung, welche am Allerseelentage ihren Glanzpunkt erreicht; dann findet Gottesdienst bei prächtiger Erleuchtung statt, und die Familien statten ihren verstorbenen Angehörigen einen Besuch ab; bei den reichen und auf Aeußerlichkeiten Gewicht legenden Familien sind die Besuch-empfangenden gewiß ebenso festlich gekleidet, wie die Besuch-abstattenden.

So zeigt sich auch an dieser ernsten Stätte, wie der Geschmack am Aeußerlichen bei den Süditalienern Alles beherrscht; selbst der strenge Tod hat diesem Geschmack seinen Tribut nicht versagen können. Was wir bei den Kapuzinern finden, das ist ein lügnerisches Mittelding zwischen Tod und Leben, dem jede Wahrheit fehlt, ein Scheingebilde, wie so Manches im Leben einer Bevölkerung, welche den Schein über die Wirklichkeit stellt, dem Scheine lebt und schließlich dem Scheine stirbt. Ernste Arbeit vieler Jahre wird die erziehende Hand an dieses Volk legen müssen, um es zum Ernste des Gefühls und Denkens heranzubilden. Oder wäre es unabänderliche Bestimmung, daß die Bewohner der gesegnetsten Länder niemals des vollen Segens der Cultur theilhaftig werden?

Korell.


Mikrokokken und Bakterien.


Genau vier Jahrzehnte sind verflossen, seit der Professor der Physiologie an der Universität zu Lüttich in Belgien, Thomas Schwann, den Satz aufstellte, daß der thierische Körper aus einer unendlichen Masse kleiner bläschenförmiger mikroskopischer Gebilde, die sich an einander legen und gegenseitig breit drücken, den sogenannten thierischen Zellen, bestehe. Seit dieser Zeit wurde der Erforschung jener kleinsten Formentheile eine immer größere Sorgfalt zugewandt und die Lehre von den Zellen zu einer vollkommenen [63] Theorie ausgebildet. Man ist zu der unumstößlichen Ansicht gelangt, daß das Leben der Zelle überhaupt die Grundlage aller Lebensfunctionen im Pflanzen-, im thierischen und menschlichen Organismus bilde.

Nicht nur für den gesunden Körper, auch für den erkrankten wurde das Leben der Zelle als Basis angenommen, welche Anschauung insbesondere von dem berühmten Arzte und Naturforscher Rudolph Virchow vertreten wird. Derselbe schuf unter dem Namen Cellularpathologie eine neue Lehre von der Erkrankung der zelligen Gebilde im menschlichen und thierischen Organismus. Verschiedene Arten krankhafter Umwandlung ließen nach dieser Theorie für viele Leiden die Ursachen in den Veränderungen der Zellen erblicken. Diese wissenschaftliche Richtung reichte jedoch zur Erklärung mancher Krankheitsprocesse, besonders zur Ergründung der Ursachen epidemischer Krankheiten nicht aus. Man suchte deshalb in jüngster Zeit nach anderen Krankheitsursachen und fand, durch geeignete Untersuchungsmethoden und treffliche optische Vergrößerungsinstrumente unterstützt, daß die Ursachen vieler, besonders der in Rede stehenden Krankheiten auf Einwanderung von Pilzkeimen in den menschlichen Organismus beruhen. Diese durchleben im Körper des Menschen und der Thiere ihren Entwickelungsgang, indem sie sich zu Millionen und Milliarden vermehren, wodurch Reizzustände und Zersetzung der Säfte in den feinsten Geweben des menschlichen Körpers hervorgerufen werden. Nimmt die Vervielfältigung dieser organisirten mikroskopischen Gebilde so enorm zu, daß der Körper für ihre Beherbergung nicht mehr ausreicht und sie die Säftebildung und Ernährung zu sehr beeinträchtigen, und sind nicht die geeigneten Mittel erkannt, jene Pilzkeime durch Gegengifte zu vernichten, so tritt Siechthum und unter Umständen der Tod ein.

Alle bis jetzt als Krankheitserreger erkannten Pilzformen gehören der Gattung der Spaltpilze oder Schizomyceten an. Im Weltreiche ist ihnen ihre Stellung von den Systematikern zwischen Thier- und Pflanzenreich angewiesen, denn sie wachsen wie die niedrigsten Pflanzen, wie die Algen und Pilze, freilich in bedeutend kleineren Formen, haben aber anderseits zur Zeit ihrer Fortpflanzung, indem sie sich in kleine Stäbe und Punkte auflösen, eine eigentümliche schnellend-taumelnde Fortbewegung, welche sie den Infusorien ähnlich macht. Daher kommt es, daß ein Theil der Naturforscher diese Gebilde dem Pflanzenreich, ein anderer Theil sie dem Thierreiche in seinen niedrigsten Entwickelungsformen zuzählt, viele aber sie weder dem Pflanzen- noch dem Thierreiche zusprechen, sondern für sie ein ganz neues Reich geschaffen haben.

Bei der kaum faßbaren Verbreitung dieser Gebilde im Weltall ist solche Absonderung für sie nicht unbegründet; in jedem Athemzuge, den wir thun, mit jedem Schluck Wasser, welchen wir zu uns nehmen, mit vielen Speisen, die wir als Nahrung zur Erhaltung des Lebens uns zuführen, wandern Tausende und Abertausende solcher Gebilde in den Organismus ein, freilich meist ohne Schaden anzurichten, denn nur bestimmte Gattungen dieser niederen Geschöpfe sind darauf angewiesen, im menschlichen und thierischen Organismus ihr Fortpflanzungsgeschäft auszuüben und durch ihre enorme Vermehrung dort Krankheiten hervorzurufen. Man nennt diese mikroskopischen Lebewesen Bakterien und Mikrokokken. Die Bakterien (Fig. 1a) zeigen sich unter dem Mikroskope, bei

Fig. 1. Verschiedene Bakterien- und Mikrokokkusformen.
(Vergrößerung 700fach linear.)

einer 700fachen linearen, das heißt circa 490,000fachen Flächenvergrößerung, als bewegliche Stäbchen von etwa 1 bis 2 Millimeter Länge und circa 1/5 Millimeter Breite, in Wirklichkeit also von 1/700 bis 1/350 Millimeter Größe. Die Mikrokokken sind weit kleinere, bewegliche Pünktchen (Fig. 1b), welche zu den Bakterien in einer verwandtschaftlichen Beziehung stehen. Der wirkliche Durchmesser einer Mikrokokke variirt zwischen 1/1000 und 3/1000 eines Millimeters.

Die Bakterien vermehren sich durch fortwährende Zweitheilung und sind entweder frei, oder in Reihen an einander gekettet, oder zu gallertartigen Klümpchen vereinigt, welche man mit dem Namen "Zoogloea" bezeichnet (Fig. 1c). Es finden sich in diesen Zoogloea-Massen sowohl rundliche Gebilde (Mikrokokken) als auch Stäbchen (Bakterien), welche sich theils in Ruhe befinden, theils sich drehen und winden und zu bestimmten Zeiten aus ihrer Gallerthülle herausschwärmen. Bei diesem Ausschwärmen hat man häufig die Beobachtung gemacht, daß die Bakterien, sobald sie ausgeschwärmt sind, in spiralige Schlangen, sogenannte Spirillen (Fig. 1d) umgewandelt erscheinen und ungemein hurtig über das Sehfeld des Mikroskopes vorüberhuschen. Wie jene Umwandlung vor sich geht, und welche Bedeutung sie für den Lebensact dieser niederen Gebilde hat, ist bis jetzt noch nicht endgültig gefunden worden.

Die erwähnten Geschöpfe sind meist farblos, äußerst durchsichtig und von unendlicher Kleinheit, wodurch die Untersuchung ihrer Lebensbedingungen bislang sehr erschwert wurde. In neuerer Zeit aber wurden die einschlägigen mikroskopischen Arbeiten durch die Anwendung der Anilinfarben bedeutend erleichtert. Wenn man nämlich zu einem Tröpfchen Flüssigkeit, welche Bakteriengebilde enthält, eine Spur Anilinfarbe zugiebt, so saugen die Bakterien das Anilin sofort mit großer Behendigkeit auf und färben sich je nach der benutzten Farbe grün, blau, roth oder braun. Dadurch werden sie in ihrer Form sehr genau sichtbar und können nicht nur gezeichnet, sondern auch nach der Methode photographirt werden, welche wir vor einiger Zeit (Nr. 41, 1876) in der "Gartenlaube" beschrieben und abgebildet haben.

Die natürliche Uebertragung der Bakterien geschieht vornehmlich durch Feuchtigkeit, besonders durch verdunstendes Wasser. Die kleinen Wesen werden bei der Verdunstung zahlreich mit in die Luft emporgerissen und lassen sich dann, dem menschlichen Auge unerkennbar, als Bakterienwolken da und dort nieder, entweder in harmloser Weise ihr Fortpflanzungsgeschäft in der Natur ausübend, oder den Organismus der Menschen und Thiere befallend, wodurch dann gewisse Krankheiten hervorgerufen werden. Von der leichten Uebertragbarkeit der Bakterien kann man sich einen Begriff machen, wenn man ein mit bakterienhaltiger Flüssigkeit gefülltes Glas mit einer Platte bedeckt; wenn nach einiger Zeit die Unterseite derselben sich mit Dunst beschlagen hat, so kann man mit dem Mikroskop leicht die Bakterienkeime in demselben wieder nachweisen.

Wie sehr die Luft mit Bakterienkeimen und Mikrokokken angefüllt ist, beweist unsere Fig. 2. Dieselbe zeigt eine Anzahl

Fig. 2. Faulendes Blut.
(Photoxylographie-Vergrößerung 700fach linear.)


[64] Blutkörperchen von Schafblut, welches eine Zeit lang im Freien gestanden und der Fäulniß ausgesetzt wurde. Es bildeten sich in diesem Blute eine Unmasse rundlicher Pünktchen von verschiedener Form und Größe. Das nach der Natur photographirte und auf Holz übertragene Bild giebt einen charakteristischen Begriff der so sehr gefährlichen Mikrokokken, welche von den Forschern vornehmlich als Träger der Fäulniß bezeichnet werden.

Daß die Ansteckung bei vielen sogenannten epidemischen Krankheiten auf der Uebertragung von Mikrokokken und Bakterien durch Vermittelung der Luft oder des Trinkwassers beruht, wird von dem größten Theile der Aerzte zugegeben. Die hervorragendsten Vertreter der Ansicht, daß die Infectionskrankheiten auf Übertragung der erwähnten mikroskopischen Gebilde beruhen, sind der Professor der Botanik Dr. Hallier in Jena und der Professor der pathologischen Anatomie Dr. Klebs in Prag. Ersterer hat durch mannigfache Untersuchungen und Experimente für viele Krankheiten der Thiere und Pflanzen, Letzterer für mehrere Krankheiten des Menschen Mikrokokken- und Bakterienformen als Krankheitsursache nachgewiesen. Zu diesen Krankheiten gehören auch solche, deren infectiöse Natur man bisher nicht geahnt hatte, z. B. der Gelenkrheumatismus, eine bekanntlich sehr gefürchtete Krankheit, weil in ihrem Gefolge oft unheilbare Herzfehler entstehen. Professor Klebs hat nun gefunden, daß bei dem Gelenkrheumatismus an den Klappen des Herzens sich Tausende und aber Tausende von Bakterien und Mikrokokken ansetzen, welche die Tätigkeit der Herzklappen beeinträchtigen. Auch für die berüchtigte Syphiliskrankheit will Dr. Klebs den specifischen Parasiten in einer eigentümlichen Bakterienform nachgewiesen haben; auf der jüngsten Naturforscherversammlung zu Cassel hat er die bezüglichen mikroskopischen Präparate vorgelegt.

Uebrigens ist schon in früheren Jahren eine Betheiligung der Bakterien bei verschiedenen Krankheiten erwiesen worden. So ist es z. B. schon lange bekannt, daß bei Lungenfäulniß (gangraena pulmonum) in dem Auswurfe und in den erkrankten Partien Körnchen und Stäbchen, sowie wellig hin und her gewundene Spirillen vorkommen. Außerdem hat man in der Harnblase des Menschen Bakterien in den verschiedensten Entwickelungsstadien gefunden. Der verstorbene berühmte Professor Traube in Berlin hat vor mehreren Jahren gezeigt, daß die Bakterien in der Harnblase sich massenhaft vermehren und den Harnblasenkatarrh in Eiterung umwandeln. Die Bakterien können von der Harnblase aus in die Nieren einwandern und bewirken daselbst eine Nierenentzündung, wobei zuletzt die ganze Niere zu Grunde

Fig. 3. Fäulnißproducte bei Blasenkatarrh.
(Vergrößerung 600fach linear.)

geht. In Fig. 3 sehen wir das mikroskopische Bild der Spur eines Tröpfchens Urin von einem am Blasenkatarrh Erkrankten. Es finden sich in diesem Bilde sowohl kleine Haufen von Bakterien wie auch rosenkranzförmige und gehäufte Massen von Mikrokokken, ebenso in Reihen gegliederte pilzfädenförmige Bakteriencolonien; die größeren Gebilde sind abgestoßene Zellen aus der Blasenwand, während die dunkleren rundlichen Formen Eiterkörperchen darstellen.

Weiter wurden von solchen Gebilden durchsetzte Geschwüre im Magen und im Darmcanal beobachtet, wo die Bakterien bis in die Blut- und Lymphgefäße eindrangen, so z. B. bei der sogenannten Darmmykosis, welche meist Leute befiel und tödtete, die mit schmutzigen Roßhaaren oder Schweineborsten zu thun hatten und wahrscheinlich beim Essen die Pilzkeime ihrem Körper einverleibt hatten. Auch konnte man solche in der Darmschleimhaut bei Cholerakranken, besonders aber als Krankheitserreger bei der Pyämie und Septichämie (Blutvergiftung) in Hospitälern und Kriegslazarethen nachweisen. Die Bakterien gelangen aus der umgebenden Luft auf die Wunden, verwandeln eine gesund aussehende Verletzung in einen übelriechenden Eiterherd und wandern von da in den Körper ein, wo sich dieselben zu Milliarden vermehren und die Blutvergiftungserscheinungen bedingen. Da, wo durch Bakterien hervorgerufene Eiterung und Entzündung sich festsetzt, zerfallen die Gewebe. Auch für die so sehr gefürchtete Diphtheritis ist es durch vielfache Untersuchungen wahrscheinlich gemacht, daß ihre Entstehung eine Folge von Uebertragung und rascher Vermehrung von Bakterien ist, welche durch ihre unbegreiflich rasche Entwickelung den rapiden Verlauf und den leider oft vernichtenden Ausgang erklären.

Bis in die feinsten Einzelheiten und auf das Genaueste ist der Entwickelungsgang der Bakterien bei der Carbunkelkrankheit nachgewiesen, welche unter dem Namen „Milzbrand“ bei Thieren häufig beobachtet und von diesen oftmals auf den menschlichen Organismus übertragen wird.

Um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß diese mit dem Mikroskope entdeckten Keime auch wirklich bei diesem oder jenem Thiere Krankheitserscheinungen hervorrufen, wird eine möglichst kleine Spur des Krankheitsstoffes dem Thiere eingeimpft; erkrankt dasselbe dann und findet man in dessen Blut wiederum in weitaus größerer Anzahl die gleichen Bakterienformen vor, so ist der Beweis erbracht, daß in der Bakterie wirklich die betreffende Krankheitsursache besteht. In vollkommenster Weise wurde dies bei der scheußlichen Milzbrandkrankheit nachgewiesen, und sind es hier besonders die verdienstvollen Arbeiten des Kreisphysikus Dr. Koch zu Wollstein, welche den unumstößlichsten Beweis für die parasitäre Ursache jener Infectionskrankheit abgegeben haben. Da aber eine neue Theorie immer Zweifler findet, was Herr Dr. Koch auch voraussah, so hat derselbe durch Verbindung seines Mikroskops mit einem photographischen Apparate die Krankheitskeime in ihren Entwickelungsstadien sofort nach der Natur photographirt, sodaß ein Einwand gegen die Objectivität der betreffenden Forschung nicht mehr gemacht werden kann.

Fig. 4. Milzbrand.
(Photoxylographie-Vergrößerung 700fach linear.)

Fig. 4, nach der Natur von Dr. Koch photographirt, zeigt, auf Holz übertragen, Blut eines am Milzbrande verstorbenen Thieres. Man sieht hier die Milzbrandbakterien, in Reihen geordnet, zwischen den Blutkörperchen stäbchenförmig liegen; die tellerförmigen Gebilde sind die bekannten Träger des Lebens, die Blutkügelchen, welche durch die Bakterienstäbe allmählich zerstört und verdrängt werden.


[65] Die Entwickelung jener Organismen in einem geimpftem Individuum ist eine so schnelle, daß, wenn man z. B. ein Kaninchen am Ohre mit einer Nadel sticht, welche in Milzbrandblut eingetaucht war, schon nach vierundzwanzig Stunden alle Organe des Versuchsthieres Milzbrandbakterien enthalten, ja sogar nach achtundvierzig Stunden alle Gewebe von Milliarden von Milzbrandstäbchen vollgepfropft sind. Der Tod tritt ein, entweder indem auf mechanische Weise die feinsten Blutadern, die sogenannten Capillaren, mit Milzbrandbakterien sich verstopfen und dadurch ihrer Function der Ernährung des Körpers enthoben werden, oder indem jene Gebilde alle vorhandenen Nährstoffe zu ihrer eigenen Erhaltung aus den benachbarten Geweben aussaugen und dadurch diese zum Leben unfähig machen, oder aber auch, indem durch dieses eigenartige Thier-Pflanzenleben im Innern des Organismus zersetzende Fäulniß eintritt und auf diese Weise gleichsam das Thier oder der Mensch von innen heraus verfault und abstirbt.

Bei einer weiteren berüchtigten, den Menschen befallenden Krankheit, dem Typhus recurrens (Rückfalltyphus), sind ebenfalls Bakterien unumstößlich nachgewiesen worden, und zwar von dem Arzte Dr. Obermeier in Berlin, nämlich die sogenannten Spirochäten, schlangenartige Bildungen, welche das gesammte Blut des Erkrankten durchsetzen. Es in sehr wahrscheinlich, daß schlechte und halbverfaulte Nahrungsmittel die Entstehung dieser Gebilde befördern. Obermeier fand im Blute solcher Typhuskranken massenhaft jenen spiralig geformten Parasiten, welchen wir in Fig. 5 abgebildet haben. Derselbe schlängelt sich zu Tausenden zwischen den Blutkörperchen hindurch und ist bei steigendem Fieber in größerer Anzahl vorhanden, als bei sinkendem. Die Botaniker theilen auch diese parasitische Form den Bakterien zu und halten dieselbe für eine Abart jener. Es ist jedenfalls leicht begreiflich, daß Gebilde, welche so massenhaft im Blute vorkommen, wie die in Fig. 4 und 5 wiedergegebenen, die Lebensthätigkeit herabsetzen und das Leben beeinträchtigen müssen.

Fig. 5. Rückfalltyphus.
(Photoxylographie-Vergrößerung 700fach linear.)

Noch nicht erwiesen, aber höchst wahrscheinlich sind parasitäre Krankheitsursachen in Form von Mikrokokken und Bakterien bei den Masern, dem Scharlachfieber und den Blattern, welche Krankheiten bekanntlich alle durch directe Uebertragung vom Menschen auf den Menschen Verbreitung finden. Bei einer weiteren Gruppe von Krankheiten findet eine Uebertragung des Krankheitsstoffes vom Kranken auf den Gesunden nicht direct statt, sondern die Bedingungen zur Entstehung des Giftes liegen mit großer Wahrscheinlichkeit in den Bodenverhältnissen, indem unter gewissen Temperaturen sich die Krankheitskeime erst entwickeln und durch die Luft dem Menschen zugeführt werden. Während man die erste Gruppe von Krankheiten die „contagiösen“ nennt, bezeichnet man die zweite Gattung von Krankheiten mit dem Ausdrucke die „miasmatischen“. Zu diesen gehören außer dem Unterleibstyphus: die Cholera, das gelbe Fieber, die Pest und das Wechselfieber.

Fragen wir, was die ärztliche Kunst bis heute gegen jene schrecklichsten Feinde der Menschheit, die Bakterien, zu thun vermocht hat, so können wir mit Befriedigung auf die in so kurzer Zeit gewonnenen Resultate zurückblicken. Der ärztliche Heilschatz besitzt nämlich in zwei Präparaten, der Carbolsäure und der Salicylsäure, specifische Mittel zur Tödtung der Bakterien und Mikrokokken. Die heilsame Einwirkung der genannten Medicamente bei Diphtheritis, bei Gelenkrheumatismus, bei der pyämischen Blutvergiftung, beim Typhus, bei Lungengangräne und vielen anderen verwandten Krankheiten scheint allenthalben auf Zerstörung der Bakterien zu beruhen. Entschieden erwiesen ist solches bei den Wundkrankheiten. Es wird wohl heutzutage kaum einen rationellen Arzt mehr geben, welcher auf der Höhe seiner Wissenschaft steht und der nicht die sogenannte antiseptische Wundbehandlung, das heißt die directe Anwendung bakterienzerstörender Medicamente auf die Wunde verordnen würde. In der That sind die bezüglichen Resultate so erstaunlich, daß man mit Fug und Recht sagen darf, bald werden die früher bei Operationen und Wunden so allgemein gefürchteten accidentellen Wundkrankheiten zu den größten Seltenheiten gehören. Das hervorragendste bezügliche Verdienst gebührt dem englischen Chirurgen Dr. Lister zu Edinburg, welcher auf die Idee kam, während des Wundverbandes die der Wunde benachbarte Luft mittelst Carbolsäure von den Bakterien zu reinigen und nur in einem die Bakterien tödtenden Carboldunste den Verband vorzunehmen. Durch diese Methode ist besonders in den jüngsten Jahren in der kriegschirurgischen Praxis Tausenden und aber Tausenden von Menschen das Leben gerettet worden, ohne dieselbe wären viele der geretteten Verwundeten im russisch-türkischen Kriege dem Tode durch Blutvergiftung nicht entronnen.

Außer specifischen Heilmethoden ist es aber auch vornehmlich die sich immer mehr ausbreitende Lehre von der öffentlichen Gesundheitspflege, welche die Krankheitsursachen zu ergründen und dieselben zu beseitigen sucht. Reinhaltung der Luft und des Bodens, Beschaffung gesunder Wohnungen und gut ventilirter Schulräume, Canalisation der Städte, strenge Controle der Nahrungsmittel, besonders der Milch, des Weines, der Gemüse, der Fleischpräparate, sowie aller anderen zu Markte gebrachten Producte, Beschaffung gesunden Trinkwassers in den Städten sind die Aufgaben, welche die öffentliche Gesundheitspflege auf ihre Fahne geschrieben hat. Alles dieses wird dazu beitragen, die fäulnißerregenden Keime zu zerstören und epidemische Krankheiten von Stadt und Land fernzuhalten, besonders jene Seuchen, welche in früheren Jahrhunderten in Folge des engen Zusammenwohnens der Menschen und der dadurch bedingten enormen Vervielfältigung der Krankheitskeime mit einer solchen Heftigkeit auftraten, daß viele Städte die Hälfte ihrer Einwohner verloren und ganze Länderstriche entvölkert wurden.

Nachdem die so sehr gefürchteten und seither unerklärt gewesenen Begriffe „Contagium“ und „Miasma“ nun zum Theil als ein greifbares, durch das Mikroskop nachweisliches Etwas in den Ansteckungsorganismen erkannt worden sind, wird es der beharrlichen Forschung auch gelingen, allmählich die Träger der Ansteckungsstoffe, die Bakterien und Mikrokokken, zu vernichten.

Dr. St.




Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
Von C. Michael.
(Schluß.)


5. Unsere Kinder als der Eltern Erzieher.

Glaubt ihr etwa, unsere Kinder sind nur unsere Schüler? Nein, sie sind fast ebenso oft unsere Lehrmeister, und das Erziehungswerk zwischen Eltern und Kindern beruht mehr auf Gegenseitigkeit, als man gewöhnlich annimmt. Habt ihr nicht schon oft von einer Frau, welche einst eine vergnügungssüchtige, launenhafte, verwöhnte junge Balldame war, sagen hören: Wer hätte je gedacht, daß dies eine so gute Mutter werden könnte?

[66] Oder von einem zuvor als Egoist Verschrieenen: Welches Wunder hat diesen Mann in den zärtlich aufopferndsten Vater umgewandelt? Kein Wunder war es; ihre Kinder haben sie einfach dazu erzogen, wenn auch unbewußt.

Freilich die Liebe, die urewige erhabenste Lehrmeisterin der Menschen, muß vorhanden sein, wenn solche Wunder bewirkt werden sollen, aber – Gott sei Dank! – die Liebe zu den eigenen Kindern ist ja dasjenige Gefühl, welches zu allerletzt erst ertödtet wird im Menschenherzen; und solange dies noch lebendig ist, erziehen auch die Kinder ihre Eltern, leise und unmerklich, von Jahr zu Jahr. Denkt nur darüber nach, ihr Väter und Mütter, ob es nicht so ist!

Hier ein Beispiel: Dein Jagdhund hat einen kleinen Fehler begangen und wird dafür unbarmherzig mit der Peitsche gestraft. Da fällt dein Blick, du junger Vater, von dem winselnden Thiere hinüber auf dein Söhnchen, das, an allen Gliedern zitternd, daneben steht, und mit den großen thränenschweren Kinderaugen fast noch mehr, als mit den Lippen fleht:

„Papa, lieber Papa, schlage doch den guten Hector nicht! Es thut ihm ja so weh; bitte, bitte, schlage ihn nicht!“

„In den Winkel fliegt da die Peitsche, und das Kind wird auf den Arm genommen – darauf möchte ich wetten.

Wohl sagst du beschwichtigend: „Weißt Du, der Hector ist ungezogen gewesen, er hat die Strafe verdient,“ aber doch wirst du nie wieder den Hund in des Kindes Gegenwart strafen, und wenn du es draußen thust, meilenweit vielleicht von deinem Hause: beim ersten Schlage stehen die milden frommen Kinderaugen wieder vor dir, und die unbedingt nöthige Strafe artet nie wieder aus in einen Act brutaler Rachegier gegen das wehrlose Geschöpf.

Hast du eines der beliebten Kraftworte, die selbst deine Frau dir nicht abzugewöhnen vermochte, nur ein einziges Mal von den Lippen deines Kindes nachsprechen gehört, so wird es kaum wieder über die deinigen kommen. Wie könntest du dem Kinde verbieten auszusprechen, was es den Vater sagen hört?

Dein Sohn kommt nun zur Schule. Da bringt er daheim bald mancherlei Fragen vor, über welche er Auskunft wünscht. Bald betreffen dieselben einen geschichtlichen oder geographischen, bald einen naturwissenschaftlichen oder Kunst-Gegenstand. Da heißt es anfangs: Das hat der Papa wieder vergessen, oder: Er kann sich im Augenblick nicht darauf besinnen, oder auch: Er hat heute keine Zeit, dir das zu erklären etc., aber wenn diese Antworten gar zu oft kommen, macht sich auf dem intelligenten Gesichte des Kindes ein Zug des ungläubigen Staunens bemerklich, daß der Papa gar so viele Dinge wieder vergessen hat.

Und nun sitzt dieser vergeßliche Papa immer häufiger, heimlich, über einem Geschichtswerk oder dem Conversationslexikon, und siehe da – plötzlich hat er Zeit, dem Sohne die Fragen zu beantworten und die Zweifel zu lösen.

Die Lesepassion, die mit dem zwölften bis vierzehnten Jahre bei jedem geweckten Kinde ausbricht, sucht nach allen Richtungen ihn Befriedigung. Damit nun das Kind nicht in unbewachten Momenten schädliche und unpassende Lectüre erwischen möge, werden die aus dem Französischen übersetzten Romane sorgfältig weggeschlossen, so sorgfältig, daß eines Tages der Vater einen derselben ungelesen wieder fortträgt und den Verleiher bei dieser Gelegenheit zugleich beiläufig fragt:

„Haben Sie nicht auch etwas Interessantes, was für die Jugend paßt?“

„O gewiß!“ lautet die Antwort; der Katalog wird vorgenommen und durchgelesen, und – der Vater bringt diesesmal Bücher mit nach Hause, die er nicht einschließen braucht, nein, die er sogar mit Vergnügen von den Kindern vorlesen hört, wenn der Winterabend die Familie um den großen runden Tisch versammelt. Statt im Bierhaus oder in der Kegelbahn, sitzt nun der Vater daheim im bequemen Lehnstuhl, die Cigarre in der Hand, und läßt seine Blicke rundum schweifen, von der fleißig arbeitenden Mutter zu den hübsch ruhig spielenden kleinen Kindern, bis sie zuletzt an dem blühend frischen jungen Vorleser haften bleiben. Er denkt des Tages, da dieses Kind ihm zurief: „O, schlage den guten Hector nicht!“ und er bemerkt mit Erstaunen, was sein Kind aus ihm gemacht hat.

Dieser Vater ist nur ein Beispiel von vielen. Sollte es dem verknöcherten Geldmann, dem vertrockneten Gelehrten, dem leichtsinnigen jungen Officier nicht ähnlich ergehen? Laßt sie aber Alle gute Väter werden, und sie werden dadurch zugleich auch gute, brave und glückliche Menschen. –

Die Mutter aber, die wird erst recht erzogen durch ihre Kinder. Mit dem ersten Schrei des Säuglings beginnt diese Erziehung zu Geduld, Selbstverleugnung, Fleiß, Ordnung, Consequenz, mit einem Worte zu all den Eigenschaften, die einer braven Hausfrau und Mutter unerläßlich sind. Im Elternhaus, in der Schule oder Pension wird nur der Grund gelegt zu allen diesen Tugenden, aber ausgebildet, vollendet können sie nur werden durch den Einfluß geliebter Kinder. Darum auch vermissen wir so häufig diese echt weiblichen Tugenden an unverheiratheten oder kinderlosen Frauen. Diese fühlen auch meistens selbst, daß ihnen Etwas fehlt, was sie ausschließlich von Kindern empfangen können, und suchen deshalb Ersatz dafür bei adoptirten oder verwandten kleinen Kindern, die sie bemüht sind gleich eignen an sich zu fesseln. Wo es gelingt, da wird solch ein Mädchen keine „alte Jungfer“, und ob sie siebenzig Jahre zählte. Sie, die sich Mutterglück und Freuden unter erschwerenden Umständen, mit vollem Bewußtsein und heiligem, festem Willen erkämpft hat, verdient gewiß deren Genuß noch weit mehr, als die wirkliche Mutter, welcher die Natur alle diese Freuden von selbst entgegenbrachte. Nie habe ich vor einem weiblichen Wesen höhere Achtung empfunden, als vor einer freiwilligen Pflegemutter!

Beispiele reden auch hier, beim Capitel über die Erziehung der Mutter durch die Kinder, die lebendigste Sprache:

Denkt euch eine junge Mutter in feiner, duftiger Balltoilette, wie sie dem Kinde, das sich mit weicher Zärtlichkeit an sie schmiegen will, ängstlich wehren muß. „Greife mich nicht an! Du zerdrückst mein Kleid, du[WS 1] zerzausest mein Haar, geh mir aus dem Wege!“

Wenn das arme kleine Wesen dann, schüchtern in eine Ecke gedrückt, zu der „schönen“ Mama hinüber sieht, die es nicht küssen und herzen darf – da klopft ihr plötzlich das Herz im Busen, als wolle es das seidene Kleid zersprengen, und mitten in allen Ballfreuden kann sie den traurigen Abschiedsblick ihres Kindes nicht vergessen. Sie überlegt es zweimal, ehe sie die nächste Einladung annimmt; sie überlegt es jedesmal reiflicher, bis sie sich klar geworden ist, wo fortan ihre Freuden zu suchen und zu finden sind.

Die Köchin einer jungen Haushaltung gilt für recht brav und zuverlässig, aber nur so lange, bis das erste Kindlein zum ersten Male erkrankt. Dann aber, wenn so viel, oft Tod und Leben des Lieblings von gewissenhafter Zubereitung seiner Nahrung abhängt, dann geht die Mutter doch selbst in die Küche und bemüht sich, das Krankensüppchen gerade so zu bereiten, wie es das Kind am liebsten ißt, oder wie es der Arzt verordnet hat.

Und bei dieser Gelegenheit sieht sie wohl auch in die anderen Töpfe und bemerkt allerlei, was wohl besser oder sparsamer eingerichtet werden könnte. Zuletzt lernt sie, daß, hier wie überall, „Tadeln“ nicht allein genügt. „Besser machen“ – das mußt du können, junges Frauchen. Dann erst bist du die Herrscherin in deinem Hause und nicht die Sclavin deiner Dienstboten. –

Auf dem Spaziergange erzählt die Mutter zuweilen den Kindern eine Geschichte, oder plaudert mit ihnen und giebt ihren tausend wißbegierigen Fragen geduldig Audienz. Zuweilen thut sie das, aber heute ist sie übler Laune. Da fällt ihr nichts zu erzählen ein; die Kinder sollen ihr nicht so vor den Füßen trippeln; zuletzt ruft sie wohl gar ein unwilliges: „Laßt mich!“

Still, mit gesenktem Köpfchen, schreiten die Kinder eine Weile neben ihr her. Aber der lustige vierjährige Lockenkopf, der Aelteste, hält es nicht länger aus:

„Mama, hast Du Kopfweh?“ fragt er schüchtern, „oder bist Du traurig?“

„Nein, mein Kind; warum denn?“ fragt die Mutter zurück.

„Du siehst so böse aus, gar nicht so wie sonst.“

„Nein, liebes Kind!“ ruft da die Mutter im alten freundlichen Tone und denkt dabei: Ich bin nur nicht bei Laune und lasse es diese armen Kinder entgelten, die keine Schuld daran tragen. – Laut aber ruft sie: „Wißt Ihr was, hascht mich einmal; wer kann die Mama fangen?“

Und dahin fliegt sie über den Rasen, die Kinder jubelnd hinter ihr drein, wie erlöst von einem schweren Banne, und weit fort, hinauf in die Wolken, flattert die böse Laune: weg ist sie.

[67] Zum Schluß noch einiges zum Capitel der Ordnung! Wenn auch in den ersten Ehejahren der Sinn für strenge Ordnung noch nicht so ausgebildet gewesen wäre: sobald die Kinder heranwachsen, bemüht man sich, ihnen darin das beste Beispiel zu geben. Wie beschämend, wenn du dem Töchterchen zurufst: „Räume Deine Sachen auf!“ Und sie erwidert: „Aber dieses Tuch, diese Handschuhe, dieses Buch ist von Dir, wo soll ich denn das hinlegen?“

Oder wie fatal, vor den Kindern einen verlegten Gegenstand suchen zu müssen!

Auch auf das Verhältniß der Gatten zu einander wirken die heranwachsenden Kinder oft sehr günstig ein. Schroffe Aeußerungen, heftiges Widersprechen wird in Gegenwart des Kindes von beiden Seiten vermieden. Und da dasselbe, je älter, um desto häufiger in der Eltern Gesellschaft zu verweilen pflegt, so muß auch Zank und Streit immer mehr unterdrückt werden, bis er zuletzt ganz abgeschafft wird. –

Und wie mild, wie nachsichtig, wie bescheiden werden wir Mütter durch unsere Kinder! Das ist ihr letztes Erziehungswerk an uns, denn dies vollbringen sie, wenn sie selbst schon halb erwachsen sind. Hörst du in einer größeren Gesellschaft unbarmherzig den Stab brechen über einen jugendlichen Fehltritt, und eine der Frauen sitzt stumm dabei oder wagt es gar, ein schüchternes Wort der Entschuldigung vorzubringen, dann sei überzeugt, das ist eine Mutter, die auch einen erwachsenen Sohn hat und die mit heimlichem Beben denkt: Gott behüte ihn mir! Wer da steht, sehe wohl zu, daß er nicht falle!

Wie laut und heftig äußert man sich gegen Erziehungsfehler Anderer, wie stolz und zuversichtlich meint man, die Klippen spielend umschiffen zu können, an denen Jene gestrandet sind, wie fest ist man überzeugt, die Kinder genau nach dem uns vorschwebenden Ideale modeln zu können! Aber warte es nur ab, du stolze, junge Mutter, die da glaubt, ihr Kind sei schon über alle Berge, weil es im dritten Jahre keinen Zucker nascht und ohne Weinen allein im Zimmer bleibt! Ja, warte es nur ab, auch du wirst noch gar demüthig und bescheiden, auch du lernst an vielen, vielen zerstörten Illusionen über andere Eltern mild urtheilen. –

Hatte ich Recht, in der Ueberschrift als unsere wirksamsten Erzieher und Veredler – unsere Kinder zu bezeichnen?




Pater Gregor.
Ein Seelengemälde von E. Werber.

Das Andenken dieses Mannes brennt in mir wie ein ruhiges, stummes, düsteres Feuer. Zuweilen, am Tage und unter den Menschen, fühle ich es nicht, aber in der Nacht und in den Einsamkeiten, da macht es mir heiß. Pater Gregor, dein Bild steht unverrückbar in meiner Erinnerung. Aber es ist recht so. Bleib in mir, du Mann von Feuer!

Pater Gregor war ein Kapuziner, und ich war auch einer. Unser Kloster, eines der ältesten, hing am schmalen, grasigen Abhange eines viertausend Fuß hohen Felsengebirges. Aus kleinem Anfange nach und nach auf unregelmäßige Weise vergrößert, bot es, vom Thale aus gesehen, einen malerischen Anblick. Hinter der hohen Mauer erhob sich unter braunen Ziegeldächern das zwei Stock hohe, weiß angestrichene Gebäude; nicht ganz in der Mitte glänzte auf dem schlanken, dunkelrothen Thürmchen der kleinen Mönchscapelle eine vergoldete Kugel und über ihr ein Kreuz. Hinter dem Kloster stieg das Gebirg jäh hinan, so jäh, daß die Tannen, welche es hier und dort streifenweise bedeckten, stets eine über der andern standen. An der Mönchscapelle lehnte, größer und höher als diese, aber ohne Thurm, die Kirche, mit frommer Armuth geschmückt. Die Kirche war für Jedermann offen, und diese Seite des Klosters hatte keine Mauer. Man gelangte zu ihm auf zwei steilen, steinigen Pfaden, die sich vor einem runden Platze vereinigten, wo ein zweihundertjähriger Kastanienbaum seine Aeste beinahe bis zum Eingang der Kirche hinüber streckte. Hier befand sich die niedere Klosterpforte von braunem Holze in einer kurzen, durch ein Vordach geschützten Gallerie, zu welcher sechs Stufen emporführten. Durch diese Pforte gelangte man in den langen, mit Backsteinen gepflasterten Gang, dessen Fenster auf den Blumengarten gingen, welcher sich beinahe bis zur Felsenwand erstreckte. In der Felsenwand hatten Schnee und Regen tiefe Rinnen ausgewaschen, in welchen im Sommer nach heftigen Gewittern, aber besonders im Frühling, wenn die Sonne den Schnee küßte, die Wasser herabrauschten und zwischen den Granitblöcken hervorsickerten. Dann hörte ich in ruhelosen Nächten aus meiner Zelle vielfältige Wasserstimmen, und sie vermischten sich mit den Stimmen, die nach und nach in meiner Seele sich erhoben und mir bange machten. Die Felswand hatte einen zerrissenen Kamm, und unterhalb des Kammes traten mehrere große Blöcke hervor und schauten mit furchtbarer Grimasse auf das Kloster und das enge Thal hinab. Einer ganz besonders, zwischen zwei andern Felsen eingeklemmt, gewaltig, schwarz und geborsten, war wie der Rachen eines versteinerten Ungethüms.

Auf der Thalseite und rechts waren wir von zehntausend Fuß hohen Schneebergen umgeben. So groß, so gewaltig stehen sie dort, als könne keine Welt mehr dahinter sein! Links tritt ein schwarzer zackiger Fels mit fünf Nasen trotzig in das Thal herein, und neben ihm stürzt ein dunkler Wildbach tosend über Felsblöcke und Geröll. Jene Schlucht erschien mir immer wie der Eingang zum Reiche der Verdammten. Wenn ich lange gespannt dorthin geblickt hatte, dann dürstete ich nach der Holdseligkeit! Wir hatten eine Holdseligkeit im Kloster – eine junge Muttergottes. Sie hing in schwarzem Rahmen im unteren Gange, zwischen dem heiligen Franziscus mit der Kapuzinerkutte und dem Apostel Paulus. Die Fenster des Ganges befanden sich in einer Nische und hatten aus vielen runden, mit Blei eingefaßten Glasstücken zusammengesetzte Scheiben, welche nicht viel Licht in den Gang hereingossen, aber das Muttergottesbild brauchte nicht viel Licht, denn es war selber hell und strahlend.

Die heilige Maria ging über’s Wasser, und die Wellen hielten ganz ruhig unter dem Zauber von Maria’s frommem Herzen. Sie hielt ihr Röcklein mit der Rechten, und ihre rosigen Füßchen spiegelten sich im Wasser; auf ihr lichtblaues Gewand fiel unter einem röthlichweißen Kopftuche das schöne goldbraune Haar, und über ihrem Scheitel schwebte der zarte Feuerschein der Heiligkeit. Ihre Stirn erglänzte von Unschuld, und auf ihrem Munde lag die himmlische Liebe. Maria ging mit gesenktem Blicke, und es quälte mich, ob ihre Augen wohl blau oder schwarz waren. „O, wenn sie die Lider doch einmal aufschlüge!“ dachte ich.

Als ich in jenes Kloster, eine Filiale des Hauptklosters, eintrat, war ich sechsundzwanzig Jahre alt und seit acht Jahren Kapuziner. In meinem zwölften Jahre trat ich in ein geistliches Seminar und sechs Jahre später in den Kapuzinerorden. Die Kapuziner beschäftigen sich mit Gebet, Predigt und Beichtehören, mit Brodaustheilung für die Armen, mit dem Besuche der Kranken und dem Studium der Wissenschaften. Die Filiale im Gebirge war eine mühsame Station; zuweilen wurden die Patres in der Nacht zu Kranken und Sterbenden auf einsame Gehöfte und Hütten gerufen, im Schnee und Regen. Nicht Alle hielten diese Mühsale aus; da ich jung und kräftig war, sandte man mich dorthin an die Stelle eines kränklichen Paters. Es waren nur vierzehn Kapuziner in der Filiale; der Stellvertreter des Priors war Pater Gregor. Als ich ihn zum ersten Male sah, ging mir ein Zittern durch alle Nerven, aber es war nicht das Zittern der Furcht, sondern das der Anziehung. Er machte weniger den Eindruck eines Mönches, als den eines Mannes, der schwer gelitten und der eine ungeheure Gewalt über sich selbst hat. Seine großen, dunkeln, tiefliegenden Augen hatten den durchdringendsten Blick, den ich je gesehen. Pater Gregor schlug, wenn man mit ihm sprach, die Augen langsam auf, aber waren sie einmal offen, dann hefteten sie sich auf das Gesicht des Sprechenden mit einer Gewalt und einer Feuertiefe, die nicht Jeder ertragen mochte. Pater Gregor sprach wenig, aber was er sprach, war voll Kraft und trauriger Hoheit. Er war mittelgroß und kräftig gebaut, allein sein Nacken war gebeugt. Er trug den Kopf wie Einer, der gern an den Tod denkt. In seinem Gesichte war Alles schön und bedeutend, der Knochenbau

[68] fein, die Stirn mächtig, die Nase edel, der Mund reich und fest, aber in manchen Augenblicken verschwand dies Alles vor der Gewalt seiner Augen. Wenn er einem Redenden zuhörte – und er verstand es, zuzuhören – dann war es, als ob er nicht mit dem Ohre, sondern mit dem Auge hörte. Manche seiner Befehle gab er nicht mit Worten, nur durch einen Blick und eine Handbewegung.

Pater Gregor war in seinem fünfunddreißigsten Jahre in den Orden getreten und stand jetzt im fünfzigsten; die gebeugte Haltung seines Kopfes und sein ergrauender Bart ließen ihn älter erscheinen, als er war. Er predigte nicht gern und nicht oft; dagegen war er ein eifriger Beichtehörer und Besucher der Kranken. Wenn wir um Mitternacht zum Gebete in der Capelle zusammentrafen, war Pater Gregor der Einzige, auf dessen Zügen die Spur des Schlafe nicht lag, und kam er von einem mühseligen Gang im Gebirge zurück, so war sein Schritt so fest und würdevoll wie immer. Manche Tage las er viel, zuweilen blickte er mit unbeschreiblichem Ausdruck zu den Bergen hinüber, wo die Spitzen und Grate schwarz oder dunkelroth aus dem Schnee ragten. Pater Gregor hatte eine Vergangenheit, aber Keiner erfuhr sie je – er hatte sie in seiner Seele begraben. Es muß entsetzlich sein, wenn die Todten aufstehen. Ich glaube, in Pater Gregor’s Seele standen sie manchmal auf und versuchten seine Stärke, denn er hatte Tage, wo er den Kopf noch tiefer als gewöhnlich trug, und wenn er dann die Augen langsam aufschlug, so war es, als ob sie sagten: Es ist begraben. –

Ich litt seit einigen Monaten an einem seltsamen Heimweh, am Heimweh nach dem Unbekannten. Ich hatte nichts von der Welt gesehen; die Gleichgültigkeit, mit der ich stets zugehört hatte, wenn Einer oder der Andere der Patres von weltlichen Verhältnissen sprach, hatte mich an dem Tage verlassen, an welchem ich dem Pater Gregor zum ersten Male gegenüber gestanden. Da schlug ein Gewitter in meine Seele. O, hinter jenen Bergen, die ich niemals überschritten, lag gewiß in süßem Dufte ein Paradies voller Wohlgerüche, voll Farben und Musik. Pater Gregor war darin gewesen – ich fühlte es. Das Schweigen, welches auf ihm lag, verbarg, was er geschaut und gehört hatte, allein es verbarg nicht, daß er geschaut und gehört hatte.

Wie war ich arm in meiner Unerfahrenheit! Und wenn der Himmel vielleicht nicht so war, wie meine fromme Seele ihn noch glaubte, wenn im Vertrauen auf ein anderes, besseres Leben ich dieses versäumte! Wenn die Welt vielleicht nicht so schlimm war, wie man mir gesagt! – Ich hatte im Beichtstuhle stets so unschuldige Sünden bekennen und sie so aufrichtig bereuen gehört. Die Menschen waren außer dem Kloster gewiß nicht schlimmer, als die Menschen im Kloster. Wenn ich meine Lebenskraft und mein Leben an einen Wahn vergeudet hätte! O – wenn ich einmal zu dieser Erkenntniß käme – ich müßte wahnsinnig werden!

Diese Gedanken arbeiteten in mir wie die Wasser in den Felsenschichten, wenn sie dieselben lockerten. Eine heimliche Verzweiflung schüttelte mir manchmal das Herz, und die düstere Umgebung des Klosters goß alle ihre Traurigkeit in meine Seele. Die Kapuziner haben keine Orgel und keinen Gesang; nie hörte ich andere Musik, als das Heulen des Südwindes; wenn er aus der Schlucht hervor raste, und der ärmliche Ton unseres Glöckleins läutete mir nur Schwermuth in’s Herz.

Pater Gregor bemerkte, daß etwas in mir vorging: er zeigte mir zwar keine besondere Theilnahme, aber sein Auge ruhte oft mit erkenntnißvollem Blicke auf mir. Wenn er mir einen Auftrag gab, so schien mir seine tiefe Stimme weicher zu klingen als wenn er zu den Anderen sprach, und eines Tages sagte er zu mir:

„Pater Josias, ich meine, Ihr sitzet zu viel und brütet über den Büchern! Ich will Euch eine andere Beschäftigung geben: helfet dem Bruder Anton bei der Gartenarbeit!“

Darauf reichte er mir die Hand und drückte sie und dieser Druck sagte: Ich verstehe Dich.

Pater Anton war der glücklichste aller Kapuziner; er liebte die Blumen, wie ein Vater seiner Kinder liebt, und sein Leben verfloß in Gebet und Blumenduft. Er hatte ein fünf Fuß hohes, freistehendes Rosenspalier gezogen, welches durch die ganze Länge des Gartens lief, und wenn in manchen Stunden durch den Einfluß der Atmosphäre diese Rosen ganz besonders stark dufteten, dann sagte er: „Die Rosen beten!“

Es ergriff mich, aber ich glaubte ihm nicht. Der Rosenduft drang ganz anders in meine Sinne. Es war kein Gebet, es war ein stiller Rausch. Pater Anton war nicht mit mir zufrieden.

„Er hat heftige Hände und thut den Blumen weh,“ sagte er zum Pater Gregor.

Da rief mich dieser zu sich. Er hatte mich am Vormittag vor der Maria, welche über’s Wasser geht, stehen gefunden und seine Hand leise auf meine Schulter legend gesagt:

„Pater Josias, studiret Ihr die Malerei?“

Ich hatte nichts darauf geantwortet, sondern war gesenkten Blickes in’s Oratorium, wie wir die Capelle nannten, gegangen, wo ich das Vorgebet zu sprechen hatten. Aber meine Augen trübten sich; die Buchstaben im Brevier wurden wie Feuer, Feuer schoß auch in meinen Kopf; meine Hände wurden eiskalt und schwach, und meine Stimme erlosch.

„Pater Josias, Ihr fühlet Euch unwohl; geht in Eure Zelle hinauf!“ sagte Pater Gregor.

Taumelnd erstieg ich die Treppe, und in meiner Zelle warf ich mich mit dem Angesicht auf den Boden.

„Weh!“ schrie es in mir, „ich bin verloren. In wessen Gewalt bin ich? Engel, an die ich nicht mehr glaube, kommt mir zu Hülfe! Maria, die über’s Wasser geht, nimm mich an der Hand, damit ich nicht ertrinke! Schlage Deine Augen auf und zerschmettere mich mit einem Blick voll himmlischen Zornes! Und von Deinen Lippen nimm die Süßigkeit hinweg, die mich vergiftet!“

Ein Krampf in der Brust verschlang das Uebermaß meines Seelenleidens; ich erhob mich und riß das Fenster auf. Die Berge waren von einem blaßgoldenen Dufte überhaucht, ihre Schrecknisse gemildert, ihre herben Formen verschleiert. Das that mir wohl. Das Herz wurde mir weich, und ich konnte weinen. O Thränen, wohlthätige Löserinnen der Qual!

Als ich am Nachmittage in Pater Gregor’s Zelle trat, stand er sinnend am Fenster. Ich fühlte, daß die Stunde gekommen war, in der ich sprechen mußte, und es war mir recht.

„Ihr leidet, Pater Josias?“ fragte er mit theilnehmendem Tone.

„Ja, ich leide.“

„Woran leidet Ihr?“

„An einem Weh, das keinen Namen hat.“

Pater Gregor griff gesenkten Blickes in seinen langen Bart.

„Es ist kein körperliches Weh, nicht wahr?“ fragte er.

„Nein, Pater Gregor. Ich bin krank im Gemüth.“

„Seit wann?“

„Verzeihet die Kühnheit, mit der ich Euch jetzt antworten werde. Ich bin krank, seit ich Euch sah.“

Pater Gregor blieb eine Weile stumm, dann sagte er:

„Erkläret mir das!“

„Ihr habt den Menschen im Mönch erweckt.“

„Ich erinnere mich nicht, jemals mehr mit Euch gesprochen zu haben, als mit den andern Patres.“

„Ihr thatet es nicht – es ist wahr, aber Ihr seid mächtig, auch wenn Ihr schweiget. Es ist etwas ganz Besonderes über Euch ausgegossen, etwas, was sonst die Mönche nicht haben – Pater Gregor, ich fühle, daß Ihr das Leben draußen in der Welt mit allen Euren Kräften genossen habt – und das hat mich zum Nachdenken geführt und hat mir Zweifel an meinem Beruf zum Klosterleben und eine brennende Sehnsucht nach jenen irdischen Paradiesen in’s Herz gepflanzt, die mir für immer verschlossen sind.“

„Die irdischen Paradiese!“ wiederholte er sanft. „Pater Josias, kannst Du mir sagen, was Du Dir unter einem Paradiese vorstellst?“

„Das Gegentheil vom Kloster.“

„Du bist ein aufrichtiger Kapuziner, Pater Josias. Also, eines Deiner Paradiese wäre zum Beispiel: Die Freiheit der Bewegung?“

„Ja!“

„Ein anderes: Die Geltung Deiner Person?“

„Ja!“

„Noch ein anderes: Die geistige Freiheit?“

„Ja!“

„Dann: Der Verkehr mit den Menschen, die Vergnügungen, die Reisen, das Gewühl, die feinen Sitten, die Künste, die

[69]

Wallfahrtscapelle Schüsserlbrunn in Steiermark.
Nach einer Original-Zeichnung von Robert Zander in Wien.


[70] Freunde und – das Weib? – Du hast nicht mehr den Muth ‚Ja!’ zu sagen?“

Ich schwieg.

Pater Gregor ging ein paar Mal auf und ab, dann stellte er sich dicht vor mich und fragte:

„Bist Du ehrgeizig?“

„Ich weiß es nicht.“

„Prüfe Dich: wenn Du wüßtest, daß Du einmal Prior würdest, ein Mann von Würde und Macht, der viele Fäden in seiner Hand hält und Großes zum Gedeihen der Menschen und der Kirche damit schaffen kann, würde das Kloster Dich dann mehr befriedigen?“

„Aber mein Herz, mein Herz!“ rief ich.

„Dein Herz? Du darfst ja alle Menschen lieben. Sind alle Menschen nicht genug für Dein Herz?“

„Pater Gregor, was bekomme ich von ihnen?“

„Ah, Du verlangst Erwiderung. Wenn Dir ein Kranker, dem Du Hülfe geleistet und Trost zugesprochen, die Hand küßt und Dich segnet, so ist Dir das nicht genug? Du willst, daß er Dich mehr liebe, als alle Anderen, daß er sich in Dir vergesse, wie Du Dich in ihm vergaßest? Du denkst, draußen in der Welt liebt man die Menschen nicht umsonst. Du denkst, dort findet jedes Gefühl eine Erwiderung, jeder Liebesbeweis eine Anerkennung. Pater Josias, Du hast noch nichts vom Leben genossen; Du bist jung und dürstest nach – nach den Genüssen. Ich begreife das. Aber Du weißt, daß Du ein Gelübde auf Leben und Tod geleistet hast, und daß Du das Kloster nur durch die Flucht verlassen kannst.“

Als ich schwieg, sagte er:

„Sieh mich an! Siehst Du, was die Paradiese, nach welchen Du lechzest, aus mir gemacht haben? Ich will Dir sagen, was man in jenen Paradiesen findet: Leiden, Leiden, Leiden!“

„Aber ich leide hier auch! Und hier bin ich einsam.“

„Und Du wähnst, draußen sei man nicht einsam? Je mehr Du fühlst, je mehr Du denkst, desto einsamer bist Du draußen.“

„Aber die Freunde? Die Familie?“

„Die Freunde!“ sagte Pater Gregor bitter, „die Freunde sind Vampyre, die Dir das Blut bis zum letzten Tropfen aussaugen und Dich, wenn Du nichts mehr zu geben hast, elend am Wege liegen lassen. – Die Familie? Du meinst Frau und Kinder? – Das habe ich nie gehabt.“

„Wolltet Ihr es nicht haben?“

„Pater Josias, man kann im Kloster alles haben, was im Kloster zu finden ist, in der Welt aber ist manches, was man nicht haben kann.“

Er trat an’s Fenster.

„Komm,“ rief er leise und zeigte mit dem Finger nach den Bergen hinüber; „dort hinaus geht Dein Verlangen, nicht wahr?“

„Ja,“ sagte ich seufzend.

„So fliehe! Aber merke Dir Eins. Draußen in der Welt gedeiht der Mittelmäßige und der Schlechte; der Erleuchtete und der Edle leidet. Wie im Fieber wird Dich’s in die Freundschaft hineinreißen und – in die Liebe. Aber sei klug! Zertheile den Strom Deiner Gefühle in viele dünne Bäche, gieb heute ein Stück von Deinem Herzen und morgen eins – niemals das ganze! Damit, wenn Du Deine Paradiese alle durchkostet hast und als ein Kranker und ein Bettler aus dem Taumel plötzlich erwachst und Dich in einer Wüste befindest, Du Dir sagen kannst: Nun, ich habe ja auch nichts Ernsthaftes gewollt.“

„Ich verstehe Euch nicht, Pater Gregor.“

Da sah er mich an, und sein Blick verwirrte mich.

„Es giebt Menschen,“ sagte er, „die nichts halb thun, noch halb sein wollen; sie haben ganze Gedanken, ein ganzes Wort und ein ganzes Herz. Man sollte glauben, solchen Menschen müsse alles gelingen, nicht wahr? Aber es gelingt ihnen nur selten etwas; sie scheitern an der Halbheit der Andern. Wer wenig einsetzt, verliert wenig; aber wer alles einsetzt, verliert alles. Bist Du ein solcher Mensch, dann behalte den Durst in Dir und versuche nicht, ihn zu löschen! Jeder Mensch, der denkt und fühlt, leidet, wo er auch sei. Aber hier leidet man weniger; man leidet sanfter, als draußen in der Welt.“

„Pater Gregor, sind denn die Paradiese nicht so, wie ein junger, eingeschlossener Mönch sie träumt?“

„Die Paradiese sind gar nicht, Pater Josias. Du weißt, daß es in der Wüste schöne Trugbilder giebt, die dem Wanderer als Wirklichkeit erscheinen; man nennt ein solches Trugbild eine Fata Morgana. Jedes irdische Paradies ist eine Fata Morgana. Man genießt es wohl, aber nur im Verlangen, im Traume, nicht in Wirklichkeit!“

„Verzeihet mir, eine Frage, Pater Gregor! Ist – die Liebe auch eine Fata Morgana?“

„Die schönste und die entsetzlichste von allen! – Sie hat ein holdes Gesicht und zauberhafte, flammende Augen, die Dir die Seele aus dem Leibe trinken.“

„Aber es giebt doch eine edle, eine hohe Liebe?“

„Pater Josias, wenn die Gottheit in den Aether haucht, so entflammt er sich und wird eine Seele; wenn die hohe Liebe zu einem Menschen kommt, so geht der unsterbliche Theil in ihm auf. Aber auch der Schmerz! Das Größte und das Beste gedeiht nicht auf der Erde; darum gedeiht auch die hohe Liebe nicht auf ihr. Es kommen böse Menschen, Krankheiten, Unglücksfälle aller Art und der Tod und löschen sie aus. Die Poeten sagen, die Liebe sei stärker als der Tod; wissen können es nur Jene, welche gestorben und wieder auferstanden sind.“

„Glaubet Ihr fest an die Auferstehung?“

„Mönch, was fragst Du mich da? Was kann es Dir nützen, ob ich daran glaube oder nicht? Bist Du ein Starker, so gehe frei! Bist Du ein Schwacher, so nimm den Stab und stütze Dich darauf! Hast Du nicht genug an diesem Leben, so hoffe auf ein anderes!“

Er schlug die Arme über einander und sagte nach einer Weile: „Was willst Du nun thun? Fliehen oder bleiben?“

„Ich will mich prüfen, Pater Gregor –“

„Ah, Du bist unentschlossen.“

„Gebt mir Zeit!“

„So viel Du willst!“

Ich machte eine Bewegung, um mich zu entfernen; da nahm er mich bei der Hand: „Blicke zuweilen hinauf zu jenen wilden Einsamkeiten, wo Adlernester hängen, und dann hinab in’s Thal, wo die Sperlinge und Hühner den fetten Boden aufwühlen und sich mit Klaue und Schnabel um einen Regenwurm streiten – und dann frage Dich, was Du wohl lieber sein möchtest, ein Sperling oder ein Adler!“

„Pater Gregor, gestern Nacht, als ich nach dem Gebet wieder in meine ,Zelle trat, sah ich am Himmel einen Stern, wie ich noch keinen sah. Er hatte kalte grüne und heiße rothe Flammen. So seid Ihr! O saget mir, wie kam Euch der Entschluß, Kapuziner zu werden?“

Er streckte beide Hände vor sich auf die Fensterbrüstung und sagte, seinen abgründigen Blick in’s Weite heftend:

„Ich verließ in einer Nacht, wo mich der Ekel erfaßte, die Stadt, in der ich lange gelebt hatte. Ein brauner Nebel kam herab und verbarg mir den Pfad, auf dem ich ging. Hinter mir schimmerten festliche Lichter, vor mir gähnte die dunkle Nacht.

Mein Kopf war heiß und wirr, mein Herz kalt und müde, und ich ging ohne Ziel und ohne Hoffnung. Ich dachte nur: du gehst eben, bis du zusammenbrichst; entweder stirbst du dann, oder es wird klar in dir. – So wanderte ich, nur wenig ruhend, sieben Tage und sieben Nächte. Endlich, in der siebenten Nacht brach ich zusammen. – Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in diesem Thale; die Sonne Gottes hatte die zackigen Berggipfel entzündet. Ueber mir schwebte im grünblauen Himmel eine Wolke, die eine tiefe, trichterförmige Oeffnung hatte, daraus Gold und Feuer quoll, und mir gegenüber schimmerte im Dufte das Kloster. Ein Adler flog mit wildem Schrei in den Trichter der Wolke hinein, und dann fing sanft die Klosterglocke zu läuten an. Es war, als schliefen bei diesem Tone alle meine Schmerzen ein. Eine mitleidige Stimme sagte dicht an meinem Ohre:

‚Esset einen Bissen Brod und nehmt einen Schluck Milch!’

Jetzt sah ich eine Bäuerin neben mir knieen und mir einen Topf mit Milch reichen; ich trank davon, aß auch ein wenig Brod.

‚Was ist das für ein Kloster dort oben?’ fragte sich sie.

‚Ein Kapuzinerkloster. Die Mönche haben ein hartes Leben hier im Gebirge. Sie thun den Armen und den Kranken viel Gutes.’

Als die Frau, die ein Stück Brod neben mich gelegt hatte, gegangen war, schlief ich ein, und ich erwachte erst, als die Klosterglocke zum Abendgebet läutete. Da stand ich auf und blickte um mich – und da ich den Wall von Bergen sah, der das Thal

[71] von der Welt abschließt, da fühlte ich mich stark. Und als ich wieder zum Kloster hinblickte, da fühlte ich, als würden meine Arme und meine Brust von Stahl! Dort will ich den Tod erwarten, sagte ich mir und schritt festen Schrittes zum Kloster hinauf. Und als ich droben unter dem Kastanienbaum stand, warf ich über jene Berge hinaus der Welt meine Verachtung zu.

‚Lebet wohl, Ihr Eitlen,’ rief ich, ‚Ihr Verdächtigen, Ihr Kleinen und Erbärmlichen, Ihr hochmütigen Neider, Ihr niedrigen Hasser und Verleumder, Ihr Treulosen, Ihr Feinde ohne Größe noch Muth! Jetzt bin ich befreit von Euch. Ihr reichet nicht zu den Adlern herauf.’ –

Und so,“ setzte er leiser hinzu, „so ward ich ein Kapuziner.“

„Habt Ihr hier den Frieden gefunden, Pater Gregor?“ fragte ich zögernd.

Da sah er mir mit seinen Feueraugen in die neugierige Seele hinein: „Ich habe nur die Einsamkeit gesucht, und diese habe ich hier gefunden,“ sagte er.

„Pater Gregor,“ bat ich, „gebt mir eine rauhe Arbeit, die mich ermüdet!“

Er griff wieder in seinen Bart und sagte dann: „Es fließen beständig die Wasser am hintern Felsen herab; grabe längs der Gartenmauer eine Rinne, damit sie sich nicht stauen, sondern frei hinunter fließen! Und – studire nicht so eifrig die Malerei! Gehet jetzt, Pater Josias, und wenn Ihr wieder in innere Nöthe gerathet, so saget es mir!“

„Wie kann ich Euch für so viel Güte danken, Pater Gregor?“

„Ich thue nichts für Dank, Pater Josias, aber wenn Ihr ein dankbares Gefühl für mich hegt, so bringet es zum Ausdruck, indem Ihr mich nichts mehr über mein Leben, noch über meine Seele fragt!“

Darauf entließ er mich mit einem stummen Gruße.

Ich schlich wie ein Träumender in meine Zelle. Die Sonne ging hinter Wolken unter und die Nebel umfingen langsam die Bergspitzen; dann kam die Dämmerung und das Abendgebet. Als ich in die Capelle trat, waren die Mönche schon versammelt.

„Pater Josias, könnt Ihr jetzt vorbeten?“ fragte Pater Gregor.

Ich öffnete das Buch und las; er selbst las die antwortenden Strophen; seine Stimme klang noch tiefer und reicher als sonst und kräftigte mir die Seele, und als das Gebet zu Ende war und ich zu ihm hinüber blickte, sah ich, daß sein Gesicht von Blässe überhaucht war. Aber es war keine Schwäche. Denn als er aufstand und den Blick erhob, war er der Mann, vor dem die Mönche ihren Blick zu Boden schlugen.

Mit Hacke und Schaufel ging ich am nächsten Tage hinter den Garten; ich grub tiefer, als es nöthig war, und legte die Rinne mit Steinen aus, damit diese Arbeit recht lange Zeit erfordere. Ich fand Gefallen an dieser Beschäftigung, und hätte ich nicht die braune Kutte auf mir gehabt, ich würde für Augenblicke mich frei geglaubt haben. Der Duft der Tannen drang zu mir her; zarte weiße und gelbe Alpenblumen hoben mir zur Seite ihre Sternenköpfchen aus dem Grase, und über meine Schaufel schlüpften schillernde Eidechsen. Ich trank die Luft, als wäre sie Wein, und oftmals hätte ich laut hinausrufen mögen: Süße Natur, ich liebe dich. Und ich preise mich selig, daß ich lebe und dein Kind bin.

Aber diese Arbeit ermüdete mich nicht, sie that das Gegentheil: sie erfrischte mir das Blut und stärkte meine Glieder, und wenn ich zum Gebet in die Capelle trat, dann sank mir ihre Armuth und die Blässe der Mönche schwer auf’s Herz. Wie viele von ihnen, fragte ich mich im Stillen, haben gekämpft, wie ich kämpfe? Wie viele haben sich in Ergebung ertödtet, wie viele sind in Erbitterung gealtert! Wie viele von ihnen sind glücklich, und wie viele sind elend! Und wie viele hat die Zeit stumpf und kalt gemacht!

Pater Gregor war gegen mich nicht freundlicher und nicht strenger, als gegen die Anderen, und hätte ich von jener bedeutungsvollen Unterredung mit ihm nicht einen feurigen Stachel in der Brust behalten, ich würde sie für einen Traum gehalten haben. Nichts an ihm zeigte, daß er noch eine Erinnerung daran habe.

Nach vierzig Tagen hatte ich die Abzugsrinne beendet. Als ich den letzten Stein in die Erde gedrückt, setzte ich mich nieder: „Jetzt mußt du Abschied nehmen von der Natur,“ sagte ich mir. Und da die Dinge, welche wir verlassen müssen, in der Abschiedsstunde immer am schönsten sind, so kam jetzt ein Zwiespalt in mein Herz, ein grausamer Zwiespalt. – Leben, Leben, du ziehst mich an dich mit weichen, unsichtbaren Händen und bethörst mir die Seele, wie eine sanfte Musik. Ich sitze unterhalb des Klosters; die Dämmerung kommt; Niemand sieht mich; die Sehnsucht und das böse Gewissen werden mir Flügel geben – ich fliehe aus diesem trostlosen Kerker und bin frei. Aber du Mann dort oben hinter der Klostermauer, du gebeugtes Haupt, du Feuerauge, du geheimnißvoller Pater Gregor, du fesselst mich. O, entsetzlich litt ich in jener Stunde! Aber als sie vorüber war, nahm ich Hacke und Schaufel auf die Schulter und stieg zum Kloster hinan. Und in der Nacht, die auf jenen Abend folgte, hatte ich ein seliges Einschlafen.

Mein Kerker schien mir am nächsten Tage weniger düster, und ich war ruhig im Gemüth. Während vierzig Tagen hatte ich nicht ein einziges Mal zu Maria, die über’s Wasser geht, hingeblickt. Wenn ich an dem Bilde vorbeiging, schloß ich die Augen; das Herz klopfte mir entsetzlich, und alle meine Nerven geriethen in Erschütterung. Und wenn ich das Bild dann hinter mir hatte, athmete ich tief auf, wie Einer, der einer Gefahr entging. Und doch – ich wage kaum es zu sagen, obschon mein Gefühl kein unheiliges war – hatte ich eine Empfindung, als ob Maria unzufrieden mit mir sei, weil ich sie nicht mehr ansah. Dann bat ich sie im Herzen um Verzeihung.

(Schluß folgt.)




Zur socialen Selbsthülfe.


Ein halbes Jahr etwa ist es her, daß in der „Gartenlaube“ die Mahnung an die deutschen Arbeitgeber erging, durch positives, auf Hebung der Arbeiter gerichtetes Wirken das Ihrige zur Herbeiführung des socialen Friedens zu thun. Eine ähnliche Aufforderung richtete in der Reichstagssitzung vom 17. September 1878 der durch seine humanitäre Wirkthätigkeit bekannte Elsässer Industrielle Jean Dollfus an das Bürgerthum, und eine Reihe von Stimmen unterstützte in der Tagespresse jene Mahnrufe. Daß sie Anklang fanden, wer will es bezweifeln? Sprachen die von Einzelnen gesprochenen und geschriebenen Worte doch nur die Empfindungen von Tausenden aus!

Man würde sich aber täuschen, wollte man glauben, daß die bisherige Agitation viel mehr gethan habe, als das Interesse für die Arbeiterfrage zu festigen bei denjenigen, die schon vorher ein Herz dafür hatten, zu werben bei einem Theile derjenigen, welche bisher der Sache gleichgültig gegenüberstanden. Der gute Wille ist gewiß gefördert, der große Schritt vom Gedanken zur That aber ist es, worauf es ankommt, und die That darf, wenn der Zweck, um den es sich handelt, in einigermaßen befriedigender Weise erreicht werden soll, keine vereinzelte sein. Dasjenige, was bereits früher von einzelnen Arbeitgebern gethan worden ist, war ja gar nicht unbedeutend, der Erfolg aber war ungenügend, weil die Allgemeinheit fehlte und die Gemeinsamkeit, ohne welche ein großer Theil der in Angriff zu nehmenden Aufgaben gar nicht zu lösen ist; ich erinnere nur an Pensionscassen, Veranstaltungen zur Förderung der Erziehung der Handwerkslehrlinge und Aehnliches. Einen wirklich praktischen Erfolg kann die Bewegung also erst dann gewinnen, wenn die Masse des Bürgerthums und besonders der Arbeitgeber zu gleichzeitigem und, wo dies nöthig ist, zu gemeinsamem Vorgehen angeregt wird.

Ein bedeutsamer, viel versprechender Schritt in dieser Richtung ist nun soeben gethan worden. An die deutschen Arbeitgeber wie an alle Freunde des Arbeiterstandes ist ein Aufruf ergangen zum Beitritt zu einem Verein, der sich „die geistig-sittliche Hebung und die möglichste Sicherung der materiellen Existenz der Arbeiter“ zur Aufgabe macht. Neben einer Anzahl von Vereinen und Vereinsvorständen haben diesen Aufruf unterzeichnet hervorragende Politiker, welche Interesse und Verständniß für die sociale Frage haben, darunter der Feldmarschall Graf Moltke, durch Wohlfahrtseinrichtungen für ihre Arbeiter bekannte Industrielle und Landwirthe und einige sonstige bewährte Freunde des Arbeiterstandes. Alle Theile Deutschlands, alle kirchlichen, politischen und wirthschaftlichen Richtungen, die extremen ausgenommen, sind hier durch rühmlich bekannte Namen vertreten.

Zu dem diesem Aufrufe beigegebenen Statutenentwurfe für den Verein, der den Namen „Concordia, Verein zur Förderung des Wohls der Arbeiter“ tragen soll, heißt es in § 1: „Zweck des Vereins ist Beförderung aller auf Erhöhung des Wohles der Arbeiter gerichteten Bestrebungen.“ § 2 lautet: „Der Verein sucht diesen Zweck zu erreichen: 1) dadurch, daß er den Arbeitgebern Anregung und Anleitung zur Schaffung von Einrichtungen giebt, welche geeignet sind, die Arbeiter in geistig-sittlicher, wie in materieller Beziehung zu heben. Die Thätigkeit des Vereins hat sich daher im Speciellen auf Gründung, Hebung und Förderung von allgemeinen und fachlichen Fortbildungsschulen, Bildungsvereinen, [72] Bibliotheken und Lesezimmern, Kranken-, Invaliden-, Wittwen- und Waisencassen, Consumvereinen, Menagen, Sparcassen, sowie Baugenossenschaften etc. zu beziehen. 2) Dadurch, daß er die Bildung der zur Lösung der genannten Aufgabe erforderlichen Arbeitgeber-Verbände sowohl anregt, wie unterstützt und die nöthige Verbindung unter denselben herstellt. 3) Dadurch, daß er eigene Schöpfungen zum Wohle der Arbeiter von sich aus, soweit möglich und das Bedürfniß sich herausstellt, in’s Leben ruft. Der Verein wird u. a. eine eigene Zeitschrift herausgeben, welche auch dazu benutzt werden soll, eine gewisse Vermittelung auf dem Arbeitsmarkt eintreten zu lassen. 4) Dadurch, daß er die Interessen des Vereins den öffentlichen Behörden gegenüber vertritt.“

Der neue Verein soll nur in einzelnen Ausnahmefällen und nur dort, wo es sich um Maßregeln handelt, die von Einzelnen oder von kleinen Verbänden nicht ausgeführt werden können, den Arbeitern unmittelbar zu Gute kommende Einrichtungen schaffen; seine Hauptthätigkeit wird vielmehr darin bestehen, zu derartigen Einrichtungen die Arbeitgeber anzuregen, ihnen dabei mit gutem Rath zur Hand zu gehen und insbesondere die theilweis zur Lösung der hierher gehörenden Aufgaben nöthige Bildung von Verbänden zu befördern, z. B. von Gewerken oder Verbindungen der Arbeitgeber verschiedener Gewerbe innerhalb gewisser Bezirke. Er soll also, wie ähnlich die „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung“ auf dem Gebiete der freiwilligen Bildungspflege, so auf demjenigen der freien Tätigkeit für das Arbeiterwohl ein Mittel- und Stützpunkt werden.

Wie jedes Neue, so wird auch der Verein „Concordia“ gewiß Gegner finden, nicht nur unter den Socialdemokraten, die ja naturgemäß jedem Unternehmen, welches den Zweck verfolgt, Arbeiter und Arbeitgeber einander zu nähern, ihnen also ihr wirksamstes Agitationsmittel, den Classenhaß, raubt, feindlich entgegentreten werden, sondern auch unter dem nichtsocialistischen Bürgerthume selbst. Gegen billige Einwände wie die, daß wir schon zu viel Vereine hätten, daß die Arbeitgeber so wie so das Mögliche thäten, und was sonst dergleichen meist von der Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit eingegebene Einwürfe sind, brauche ich wohl kein Wort der Abwehr hier vorzubringen, dagegen will ich doch nicht versäumen, zwei scheinbar stichhaltige Gründe, welche unzweifelhaft von der einen oder andern Seite gegen das Project werden vorgebracht werden, von vornherein zurückzuweisen. Man wird behaupten, die Agitation des Vereins werde dahin führen, daß bei den Arbeitern unrealisirbare Hoffnungen geweckt würden, wodurch statt der erhofften Aussöhnung der Classen umgekehrt eine verschärfte Spannung eintreten könnte, und man wird ferner hervorheben, daß bei der voraussichtlich noch lange nicht beendeten, schwer auf Landwirthschaft und Industrie lastenden Geschäftskrise die meisten Arbeitgeber gar nicht in der Lage seien, größere Geldopfer für Wohlfahrtseinrichtungen zu bringen, wie der Verein sie anregen will.

Die zuerst ausgesprochene Befürchtung könnte gerechtfertigt sein, wenn innerhalb des Vereins die Theoretiker einen herrschenden Einfluß gewinnen sollten; aber, wie der erste Anstoß von Männern der Praxis ausging – nämlich vom Mittelrheinischen Fabrikanten-Verein – so wird auch die spätere Leitung des Vereins unter die Aufsicht von Praktikern gestellt werden, sodaß die in Rede stehende Gefahr von Seiten etwa der Vereinsbeamten (Generalsecretär, Redacteur etc.) gar nicht eintreten kann. Gegenüber dem Einwande aber, daß man in einer Zeit, in der viele Arbeitgeber kaum das Nöthigste und manche nicht einmal dies verdienen, nicht auch noch den Geschäftsinhabern große Ausgaben zumuthen könne, mache ich darauf aufmerksam, daß mehrere der wichtigsten und wirksamsten Maßregeln, die der Verein anregen soll, den Arbeitgebern materielle Opfer von Belang gar nicht auflegen, so die Inslebenrufung freier Innungen, so die auf Heranbildung eines moralisch und technisch tüchtigeren Handwerkerstandes gerichtete Verbesserung der Lehrlingserziehung durch die Meister, so die Schaffung von Bildungs- und ähnlichen Vereinen, welche, indem sie die Arbeiter mit den Arbeitgebern und mit den anderen Classen überhaupt als Gleichberechtigte zu gemeinsamer Arbeit und wohl auch zu gemeinsamer Erholung zusammenführen, in vortrefflicher Weise geeignet sind, dem Classenhaß entgegen zu wirken, – und so noch manches Andere.

Selbst die momentan ungünstig gestellten Arbeitgeber finden demnach schon jetzt in mehrfacher Beziehung bei dem Verein „Concordia“ nützliche Anregung und Anleitung; bessern sich später ihre Verhältnisse – und das dürfen wir doch nicht nur hoffen, sondern mit Bestimmtheit erwarten – dann werden sie auch an die kostspieligeren Einrichtungen, welche die günstiger Situirten alsbald zu treffen vermögen, herantreten können.

Jeder für diese Zwecke ausgegebene Betrag wird, die zweckentsprechende Verwendung vorausgesetzt, dem Arbeitgeber reiche Zinsen tragen. Je tüchtiger in technischer Beziehung der Arbeiter wird, auf je höhere Stufen der Sittlichkeit und Bildung er steigt und je mehr das Gefühl des Classengegensatzes und Neides demjenigen der Gemeinsamkeit weicht, desto mehr wird die Leistung des Arbeiters für den Arbeitgeber an Werth gewinnen.

Zum Schlusse bemerke ich noch, daß der Mittelrheinische Fabrikantenverein, dessen Bureau in Mainz ist, bis zur definitiven Constituirung die Zeichnungen und Beiträge für den neuen Verein entgegen nimmt. Die von der Mitgliedschaft handelnden Paragraphen des Statuts lauten: „§ 3. Mitglied des Vereins kann jeder im Besitze der staatsbürgerlichen Rechte befindliche großjährige Deutsche, und jede, gesetzliche Zwecke verfolgende Körperschaft werden. „§ 4. Die Höhe des jährlichen Beitrag jedes Mitglieds beruht auf Selbsteinschätzung. Der geringste Satz beträgt jedoch fünf Mark. Mitglieder, welche einen Jahresbeitrag von mindestens fünfundzwanzig Mark zahlen, erhalten das Vereinsblatt kostenfrei zugesandt.“

Möge der neue Verein überall die Sympathie finden, die er verdient, möge er die sich sonst nur allzu oft im Interessenkampfe feindlich Gegenüberstehenden zusammen führen zu gemeinsamem humanitären Wirken! Wird dieses Ziel erreicht, so wird die sociale Frage, wenn auch nicht vollständig gelöst, so doch ihres staats- und gesellschaftsgefährlichen Charakters entkleidet werden.

Fritz Kalle.




Blätter und Blüthen.


Die Wallfahrtscapelle „Schüsserlbrunn“ am Hochlantsch in Steiermark. (Mit Abbildung S. 69.) Tiefe Stille herrscht in der erhabenen Natur. Die sinkenden Strahlen des Abendlichtes geben den klaren himmelhohen Kalkwänden den letzten rosigen Schimmer, einem entweichenden Leben vergleichbar. An dem umdüsterten Abendhimmel steigt der Vollmond empor; sein zitterndes Licht kämpft mit den auf- und niederwallen Thalnebeln. Wir befinden uns in Obersteiermark in einsamer Felsschlucht an jener Stelle, wo der nach Norden gekehrte Gipfel des sechstehalbtausend Fuß hohen Hochlantsch wild zerrissen, theils senkrecht, theils überhangend, abstürzt. Solche Terrains müssen vereinsamt sein; sie bieten weder dem Menschen noch der Thierwelt Schutz und gesicherten Aufenthalt. Trotz des Verlassenseins gewährt diese wilde Einöde dem forschenden Auge des Touristen eine liebliche Unterbrechung und dem Naturfreund ein Bild abgeschiedenen stillen Friedens.

Wenn wir auf der Sohle der Thalschlucht drunten vor jenen gigantischen Steinzinnen des Hochlantsch stehen, so finden wir, von hier aus freilich unnahbar, in beiläufig zwei Drittel der Höhe eine schüsselartige Aushöhlung inmitten der Felsenwände. Klein in der Anlage, gegenüber den Größen und der Erhabenheit der Natur, ist diese Felsenschüssel von Menschenhand auch kleinlich benutzt. In winziger Form an und auf dem Felsen klebend, überrascht uns eine Wallfahrtscapelle mit einigen Miniaturhütten und dem Bilde des Gekreuzigten, von einem roh gezimmerten Tisch nebst Bank umgeben. Eine keineswegs regelrecht in den Felsen gehauene Stiege führt von schwindelnder Höhe herab zu diesem sonst allerwärts abgeschlossenen und völlig unnahbaren Punkte. Ein schneidender Contrast mit den umgebenden Bergriesen, schwebt das schmucklose Kirchlein mit armseligen Hütten droben auf seichter, windumbrauster, wahrscheinlich durch herabsickernde Feuchtigkeit entstandene Nische.

Durch viele Jahre lebte in dieser Einsamkeit ein alter Einsiedler, bei dem der ermüdete Wanderer oder die während des Sommers zahlreich dort verkehrenden Wallfahrer nothdürftige Erquickung bei köstlichem Trinkwasser und Brod fanden. Aber auch dieses fromm abgeschiedene Höhenleben schützt nicht vor den Segnungen der Cultur. Der gegenwärtige Nachfolger jenes Eremiten entbehrt des romantischen Beigeschmacks seines Vorgängers: der Mann schenkt außer dem Krystallnaß des hier sprudelnden Felsenquells auch – Branntwein, wahrscheinlich um einen Theil der frommen Besucher in gehobene Stimmung zu versetzen. Ebenso wenig wie mit seinem Eremitencharakter, bringt ihn dieser Umstand in Conflict mit seiner gleichzeitigen Stellung als Meßner und Vorstand der ihm anvertrauten Andachtsstätte. Wer je diese Stelle betreten hat, dem wird der Blick in die grausig schwindelnde Tiefe und die durch einander wogende Bergwelt für immer unvergeßlich sein.

Schüsserlbrunn ist von der Südbahnstation Mixnitz ab am leichtesten zu erreichen. Ein zweistündiger Marsch durch das herrliche grüne Gebirgsthal führt zum Fuße des Hochlantsch, eines jener steierischen Berge, welche von Localunkundigen, selbst wenn sie die geübtesten Bergbesteiger sind, nie ohne Führer betreten werden sollten. Der jähe Absturz des Berges auf der Nordseite, von weiten, trichterförmigen Rissen bis in den Gipfel hinauf durchzogen, bietet ohne sichere Leitung dem Wanderer ungewöhnliche Gefahr. Was den Aufstieg und Besuch der Wallfahrt Schüsserlbrunn von fast allen Alpenpartien wesentlich unterscheidet, ist der Umstand, daß die Erreichung des Ortes unmittelbar vom Thale aus von keiner Seite möglich ist. Will man die unvergleichlichen Reize dieser Partie genießen, so darf man sich die Mühe nicht verdrießen lassen, einen ansehnlichen Aufstieg bis unter den Berggipfel zu unternehmen, um von da ab zu der der Frömmigkeit geweihten Felsennische in luftiger Höhe zu gelangen.

Z – r.


Kleiner Briefkasten.

E. H. in W. und andern Fragestellern Folgendes zur Nachricht: Die bei J. J. F. Popp in Heide in Holstein, „Specialist (??) für Magen- und Darmkatarrh“, Hülfe Suchenden erhalten 20 Pulver für 15 Mark zugesandt, welche laut chemischer Untersuchung nur Schwefeleisen, ein schwarzes, schweres, in Wasser nicht lösliches Pulver enthalten. In den Magen gebracht, löst sich in Folge der Einwirkung der Magensäure das Schwefeleisen unter Entwickelung von Schwefelwasserstoffgas, bewirkt sehr lästiges, übelriechendes Aufstoßen und kann, öfter genommen, in kurzer Zeit die besten Verdauungsorgane verderben. Das Kilo Schwefeleisen ist für circa 60 Pfennig im Handel zu haben.

Ein langjähriger Abonnent in Quellendorf. Das vorzüglichste Futtermittel für insectenfressende Vögel sind immer frische Ameiseneier; wenn solche nicht mehr zu erlangen sind, füttert man diese Vögel einfach mit einem Gemisch entweder aus getrockneten Ameiseneiern und fein geriebenen Möhren nebst einigen Mehlwürmern, oder aus Ameiseneiern und Weizenkleie mit geriebenen Möhren zu gleichen Theilen, wozu man wohl auch ebenso viel gekochtes und fein zerhacktes Rinderherz oder mageres Rindfleisch zusetzt. Manche Vogelliebhaber geben auch gequetschten Hanf hinzu. Fernere Zusätze sind altbackenes, in Wasser geweichtes und gut ausgedrücktes Weizenbrod (Weißbrod, Semmel oder Wecken), Quarkkäse (frischer weicher, nicht saurer Käse), feines Mohn, Mais-, Bohnen- oder Erbsenmehl, Weizengries, hartgekochtes Hühnerei, Eiconserve, Eierbrod u. a. m. Vergl. das „Handbuch für Vogelliebhaber“ (I. fremdländische, II. einheimische Stubenvögel) von Dr. Karl Ruß in Steglitz.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Nachdem wir in unserer vorigen Nummer einen orientirenden Artikel zur Feuerbestattungsfrage veröffentlicht, dürften im Anschluß daran die obigen Mittheilungen über eine eigenthümliche Beisetzungsweise nicht unwillkommen sein, welche zwar weniger eine culturhistorische als locale Bedeutung hat, immerhin aber als ein Beitrag zum Register der bestehenden Bestattungsformen dem allgemeinen Interesse sich nahe legt.
    Die Redaction.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zu