Die Gartenlaube (1889)/Heft 6

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1889
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 6.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.) Roman von W. Heimburg.


Gegen mittag hatte der Beckersche Diener ein Schreiben an den Herrn Major von Tollen abgegeben, nebst einem Hasen und einer Empfehlung von Frau Becker; den Hasen habe der Herr heute früh geschossen. Die Hausfrau hatte dem Ueberbringer beides selbst abgenommen.

Der Major war grimmiger Laune heute; er ärgerte sich über den Herrn Sohn, der es mehr als je an Rücksicht für ihn fehlen ließ, und die Damen mußten es ausbaden. Rudi war wieder erst in der Nacht um ein Uhr heimgekommen, klagte heute früh über Kopfschmerzen und befand sich infolge dessen in sehr gereizter Stimmung.

„Was mag es nur sein?“ fragte ängstlich die Majorin, nachdem sie den Diener abgefertigt hatte. Dabei betrachtete sie angelegentlich das elegante Couvert.

„Mama,“ sagte Lore sanft, „wenn Du es nicht weißt, ich kann es Dir nicht verrathen; ich denke aber, es ist das Begleitschreiben zu dem Braten.“

Das vergrämte Gesicht der alten Dame ward roth vor Verlegenheit.

„Ach Gott,“ seufzte sie, „wenn nur Frau Becker nicht –“

„Um mich anhält für ihren Adalbert, Mama? Ich würde mich nicht wundern.“

„Ist es denn eine Beleidigung, wenn eine Mutter, die ihren Sohn liebt, das Mädchen seiner Wahl zu gewinnen sucht für ihn?“ rief Frau von Tollen.

„Mama, Du mußt bei der Sache bleiben, bitte, Mama! Es ist eine Dreistigkeit, wenn sie es wagt, nachdem ich –“

Lore brach ab, sie sah an dem Gesichtsausdruck ihrer Mutter, sie sollte nicht verstanden werden.

„Ich muß das Schreiben abgeben,“ sagte Frau von Tollen resolut und legte den Hasen auf das Fensterbrett. „Wozu spreche ich noch? Es wird sich ja finden, was sie will.“

Lore mußte lächeln; sie wußte es am besten, welch einen Aufwand von Muth die Mutter brauchte, um dies, gerade dies Schreiben in die Hände ihres Mannes zu legen. Er langte auch nicht ganz zu, der Muth; die Majorin kam wieder zurück in die Küche.

„Rieke!“ rief sie aus dem Fenster in den Garten hinaus, „komm einmal her!“ Sie hatte den Brief auf einen Teller gelegt und übergab ihn nun dem kleinen Dienstmädchen. „Den trage zum Herrn Major hinauf; aber erst eine reine Schürze – so – er sei eben abgegeben worden.“

Sie nahm auf einem Stuhle Platz neben dem Küchentisch, an dem Lore stand und Aepfel schälte, rein mechanisch; sie war


Faschingslust. Nach dem Oelgemälde von Sophie Meyer.

[86] schon wieder weit, weit von hier, auf dem Wege nach M. „Lore, mein Gott!“ seufzte die alte Dame.

Die Tochter wandte ihr das blasse Gesicht zu.

„Du bist so gleichgültig, Lore!“

„Wegen Rudi, Mama? Nein, sicher nicht,“ betheuerte das junge Mädchen. „Ich schlafe keine Nacht, mir ist zu Muthe wie vor einem Gewitter, weißt Du, so schwül und bang – aber es ist eben nichts anderes zu thun, als abzuwarten. Und dann –“ sie beugte sich zärtlich zu dem Haupte der Mutter nieder und küßte ihr die Stirn, „dann tragen wir das Schwere wieder treu mit einander, Mütterchen, wie so manchmal schon.“

„Wenn’s aber zu schwer wird, wenn es meine alten Schultern nicht mehr aushalten?“

„Ich helfe Dir ja, Mama, habe Vertrauen, es kommt auch wieder ein Sonnenstrahl dazwischen, warte nur ab!“ Ihre Augen lachten sekundenlang, sie wußte so ganz sicher, welche Sonne scheinen würde. Und als ob ihr dies Bewußtsein neuen Muth gebe, fragte sie. „Sind denn heute keine neuen Nachrichten von Herrn von Benberg für Rudolf gekommen?“

„Doch!“ erwiderte die Mutter, „er bombardirt ja förmlich den armen Jungen. Gestern zwei Briefe und vorhin schon wieder einer, Rudi hat ihn aber ungelesen in die Tasche gesteckt. Was kann’s auch helfen?“

„Wo ist Rudi denn?“

„Bei Papa.“

Das Dienstmädchen klapperte jetzt auf ihren Holzpantoffeln die Treppe wieder herunter und lief in den Garten.

„Nun hat er den Brief,“ flüsterte Frau von Tollen, „und eben kommt auch Rudolf herunter.“

Der junge Offizier trat bald darauf in die Küche zu Mutter und Schwester. „Gott sei Dank!“ murmelte er, „das ist ja nicht mehr zu ertragen mit dem Geschimpfe, hoffentlich bringt ihn der Brief auf ein anderes Thema, ich bin heute nach allen Richtungen hin ‚gerissen‘ worden. – Den Hasen da hat wohl Becker geschickt?“ setzte er fragend hinzu, „er wollte heute früh hinaus.“

Lore bejahte.

„Na, da giebt’s doch wenigstens endlich mal keinen Kälberbraten zum Sonntag,“ brummte er.

„Mein Herz, ich kann nicht Feldhühner und dergleichen kaufen,“ sagte Frau von Tollen zerstreut.

„Ja doch, Mama! Lieber Gott, Du nimmst auch alles übel.“

„Ach nein, Rudi, das habe ich mir schon längst abgewöhnt –“

Sie flog plötzlich vom Stuhle empor, der Major rief nach ihr mit wahrer Donnerstimme.

Die Geschwister waren jetzt allein. „Na, das wird ein schöner Radau werden,“ sagte der Lieutenant und nahm den Platz der Mutter ein.

„Gar nicht! Warum denn?“ fragte Lore, ohne in ihrer Beschäftigung einzuhalten.

„Hm! Du wirst Dir wohl denken können, was die Dame will.“

„Annähernd – aber es gehören immer zwei dazu, Rudolf; sie hätte sich das sparen sollen.“

„Meinetwegen, mir kann’s gleich sein!“ erwiderte er verdrießlich und erhob sich. In der niedrigen Thür wandte er sich noch einmal um. „Es geht lustig zu da oben, hörst Du?“ bemerkte er achselzuckend. Des Majors Stimme klang bis zur Heiserkeit entstellt herunter.

„Es hat alles mal ein Ende,“ sagte Lore, obgleich sie einen Schein bleicher geworden war. „Mich dauert nur Mama – Papa, denke ich, ist meiner Ansicht.“

Nach einem Weilchen ging sie hinauf. Als sie an der Thür zu ihres Vaters Zimmer vorüber kam, rief der alte Herr just: „Meine Töchter mögen heirathen, wen sie wollen, aber verkuppelt sollen sie nicht werden! Das Mädel mag mir selber sagen, daß sie ihn will, dann werde ich’s glauben – eher nicht – basta! Die Melitta aber fliegt bei Gott im Himmel die Treppe hinunter, läßt sie sich hier blicken, und wenn ich der Mörder meiner einzigen Schwester werden sollte. Kunkeleien dulde ich nicht!“

„Aber, Tollen!“ bat weinend die Gattin.

„Schweig! Der alten Zigeunermutter da, der Beckern, werde ich antworten, ich – verstehst Du? Schöner Kerl das, der sich unter die Schürze der Mutter steckt! Kann der Laps denn nicht selbst sein Heil versuchen? Nein, da heißt’s: ‚Mein Sohn, der zu bescheiden ist, um sich hinter dem Rücken des Vaters der Tochter zu nähern, möchte durch ein kurzes Wort erfahren, ob es dem hochverehrten Herrn Major und dessen liebenswürdiger Frau Gemahlin genehm ist, wenn er sich um die Hand des Fräulein Leonore bewirbt.‘ Verfluchter Frauenzimmerkram! Der Kerl hat nie in der bunten Jacke gesteckt, sonst wäre er ehrlich gekommen und hätte nur gemeldet: ‚Ich liebe das Mädel – kann ich sie kriegen oder nicht?‘ Und dann – dann würde ich ihn ebenso ehrlich die Treppe hinunter geworfen haben, daß er sich die Knochen einzeln hätte aufsuchen können, der Protz, der Pomadentopf.“

Lores schönes Gesicht war plötzlich eitel Sonnenglanz. Sie lief eilig die Treppe hinauf und in ihr Stübchen. Der herzige, gute alte Papa! Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. Sie blickte nach dem Gymnasium hinüber und dann in die Ferne hinaus, die dunstig und verschleiert vor ihr lag. – Guter, lieber Papa! Nie wieder wollte sie murren, wenn er schalt und brummte, nie wieder! Und zu ihm gehen wollte sie heute noch und sagen: „Papa, ich liebe Einen, der wird zu Dir kommen und Dich kurz und bündig fragen, ob er ‚Dein Sohn‘ heißen darf. Und ein ganzer Mann ist er, ein guter, ein kluger Mann, der Doktor Ernst Schönberg.“

Sie ertappte sich auf einmal auf halblautem Singen. – Wenn doch Käthe käme! Sie mußte ihr ja Grüße bringen, sie mußte erzählen können, ob er sehr betrübt gewesen, daß sie nicht selbst kam. Und heute nachmittag in der Dämmerung würde sie zu seiner Mutter schlüpfen. – Sie ward wie mit Blut übergossen bei dem Gedanken und ihr Herz klopfte rasch, es ist ein banges Gefühl für ein junges Mädchen, das zum ersten Male unter die Augen der zukünftigen Schwiegermutter tritt. Sie wußte, die alte Pastorin war eine abgöttisch liebende Mutter und würde sie scharf ansehen als diejenige, von der ihres Sohnes Glück und Wohlergehen abhinge; – wenn sie ihr doch gefallen möchte! Sie ging an ihr Blumenbrettchen, wo eben die letzten Monatsrosen blühten, und bog jede einzelne herunter, um sie zu betrachten. Die wollte sie abschneiden für die alte Frau.

Wenn doch Käthe erst da wäre! Aber Käthe kam nicht. Als man bereits beim Mittagessen saß, erschien der kleine Junge, der Pagendienste bei Fräulein Melitta versah, und meldete, Fräulein Käthe äße bei Fräulein von Tollen Mittagbrot, die Herrschaften möchten nicht warten. – Es war das etwas so Unerhörtes, daß ein allgemeines Staunen erfolgte, denn Käthe und Tante Melitta mieden einander wie Sonne und Mond.

„Was giebt’s denn heute beim gnädigen Fräulein?“ fragte der Lieutenant mit einem Anflug von Humor und goß sich aus des Vaters Flasche Rothwein in die Suppe, um die „Kraftbrühe“ einigermaßen genießbar zu machen, wie er zu sich selbst sagte.

„Klump und backen Beeren,“ erklärte schmunzelnd der Junge.

Lore wunderte sich innerlich, vor Klößen und Backobst lief Käthe sonst davon.

Der Kleine ward entlassen. Der Major saß in stiller Wuth über die Verschwendung seines Rothweins da, und niemand sprach ein Wort. Lore bemühte sich, durch freundliches Wesen die drückende Stimmung zu bannen, umsonst. Der alte Herr aß hastig und trug sein grimmigstes Gesicht zur Schau, Frau von Tollen blieb stumm, der Sohn spielte mit Messer und Gabel und war ungeheuer förmlich beim Zureichen der Schüsseln oder dem Ablehnen der dargebotenen. Schließlich faltete der alte Herr, noch bevor er abgegessen, die Serviette zasammen, brummte ein kurzes: „Mahlzeit!“ und hinkte zur Thür hinaus.

„Papa fühlt sich nicht wohl,“ sagte die Mutter entschuldigend. „Ihr dürft ihm das nicht übelnehmen.“

Sie wußte kaum, daß sie es sprach, sie kannte diese Redensart längst auswendig. Seit einer Reihe von Jahren hatte sie täglich Veranlassung, sie anzuwenden, und sie that es mit nimmermüder Geduld.

Der Lieutenant stand auf und pfiff ein paar Takte, zog sein Cigarrenetui aus der Tasche und setzte sich ans Fenster. „Es ist mir bloß schleierhaft, wie Ihr das aushaltet, ohne überzuschnappen,“ erklärte er und vertiefte sich, während das kleine Dienstmädchen den Tisch abräumte, in die Lektüre des Wochenblattes.

Lore nahm ein leichtes Tuch um und ging in den Garten. Der Himmel hing voller Wolken, aber die Luft war still und fast warm. Sie spazierte in den engen Wegen umher und lenkte endlich ihre Schritte dem Gitterpförtchen in der alten Mauer zu und [87] trat, dasselbe öffnend, hinaus. Da blieb sie stehen und schaute auf eine bestimmte Stelle im nassen Grase.

Es war wohl schlecht von ihr, daß sie heute den Zank und die Oede des väterlichen Hauses nicht mit aller Schwere empfand? Sie konnte es nicht, sie meinte in ihrem vom Sonnenglanz der Liebe erfüllten Herzen, es müsse noch alles gut werden, alles! Wie ein Wanderer kam sie sich vor, der jetzt noch in Dunkelheit und Nacht auf schlechten Wegen dahinzieht, der aber sicher weiß, am Ende dieses Weges liegt ein schönes Ziel, und nach der Nacht kommt der Morgen in funkelndem Sonnenlicht. Sie schlang den Arm um den Stamm einer Birke, die, dicht am Wasser stehend, ihren Laubschmuck noch trug, aber brennend gelb verfärbt, als sei jedes einzelne Blatt vergoldet. Sonderbar leuchtete der Baum in den grauen Herbstnachmittag hinein, so golden wie die Hoffnung des jungen Geschöpfes unter ihm in die düstere Gegenwart. Sie war so vertieft, daß sie nicht merkte, wie langsam Blatt auf Blatt hernieder taumelte; sie merkte auch nicht, wie aus der Gitterthür das kleine Dienstmädchen schoß, mit verstörtem Gesicht und Augen ganz irr vor Entsetzen.

„Fräulein Lore! Fräulein Lore!“ keuchte sie und faßte die junge Herrin an der Schulter. „Grundgütiger! Kommen Sie doch – unsere gnädige Frau –“

Lore fragte nicht; sie starrte das Mädchen erschreckt an, dann lief sie in das Haus.

„Da unten!“ schrie das Mädchen ihr nach, „im Salon!“

Lore riß die Thür zu dem bezeichneten Raum auf; sie sah nichts in der ersten Sekunde, als den Bruder, der am Fenster stand, die Hände in den Hosentaschen, unbeweglich.

„Was ist geschehen?“ wollte sie fragen, aber der Mund schloß sich wieder – dort vor dem Sofa an der Erde, den Kopf auf dem Polster, die Hände in das graue Haar gekrallt, lag die Mutter.

„Mama,“ sagte Lore, „liebe Mama, sprich doch!“

Die alte Frau richtete sich empor. Lore erschrak, als sie in das veränderte Antlitz der Mutter schaute; – sie glich einer Irren.

„Das ist mir recht geschehen!“ schrie sie auf, „das habe ich verdient um meine Kinder! Auf das Herz treten sie mir, die ich sie auf Händen getragen! Warum denn nicht wenigstens gleich todt – todt!“

Und sie ließ sich in den Stuhl fallen und schlug die zitternden Hände vor das Gesicht.

Der Sohn wandte sich plötzlich auf dem Absatz und ging der Thür zu.

„Rudolf!“ schrie die Majorin so schrill und bang, daß er stehen blieb. Sie war aufgesprungen und hatte ihn am Arm gepackt, ihre Augen hingen mit Todesangst an seinem Gesicht, aus dem jede Spur von Farbe verschwunden war. „Rudolf, um Gotteswillen, was willst Du thun?“ flüsterte sie.

Der junge Offizier wandte sich ab, als könne er diesen Blick nicht ertragen, diese Worte nicht hören. „Aber Mama,“ murmelte er, „was denkst Du denn?“

„Mama,“ bat Lore, mit gefalteten Händen auf sie zutretend, „sage mir, sage mir doch wenigstens, was ist geschehen?“

Die Majorin hielt noch immer des Sohnes Hand. „Der Benberg!“ sprach sie flüsternd weiter, mit den nämlichen angststarren Augen, „der Benberg, Lore, der hatte für den Major von Machwitz Gelder ausbezahlt bekommen, während der auf Urlaub – ich glaube, Machwitz hatte Pferde verkauft und die Leute angewiesen, an Benberg zu zahlen, und – weil Rudi in Noth war, hat er es Rudolf auf vierzehn Tage angeboten, verstehst Du – hat es ihm angeboten – -“

„Benberg hat es Dir angeboten, Rudolf?“ fragte Lore.

„Ja doch – ich glaube – ich weiß selbst nicht, wie es kam – –“ murmelte der Bruder.

Lore hatte kein Wort mehr; sie stand wie ein Bild aus Stein, nur ihre Lippen zitterten leise.

„Der Benberg war es, Lore,“ wiederholte die alte Frau.

„Aber für ihn doch, für ihn!“ stammelte das Mädchen. „Was nun? Was soll geschehen?“

„Die Sache ist leider schrecklich einfach –. Wenn ich bis morgen abend das Geld nicht zur Post gebe, so“ – er zuckte die Schultern, fuhr sich dann mit den Händen hinter die Ohren und riß den Waffenrock auf, daß die Berlocken seiner Uhrkette klirrend auf die Erde flogen.

„Sei doch nur ruhig!“ wisperte die alte Dame, die offenbar kaum wußte, was sie that, „daß es Papa nicht hört; sei doch ruhig!“

„Rudolf,“ fragte Lore, „was kann Benberg geschehen?“

„Er wird kassirt! Aber es darf so weit nicht kommen –.“

„Das hast Du alles heute erst erfahren, Rudolf?“

„Erfahren? Was heißt erfahren? Daß das Geld Benberg nicht gehört, wußte ich; aber es war ja absolut kein Risiko –. Machwitz hatte vier Wochen Urlaub, und bei mir hieß es: entweder – oder. Verstehst Du? – Ich gab ihm einen Ehrenschein, daß in drei Wochen die Summe wieder in seinen Händen, – da plagt den Machwitz der Teufel, daß er vierzehn Tage früher wiederkommen will. Voilà tout! Das letztere habe ich allerdings erst heute früh erfahren, und zwar durch einen Brief und zwei Depeschen. Benberg scheint den Kopf verloren zu haben.“

„Wie viel ist es denn?“

„Viertausend Mark ungefähr.“

„Mein Gott, Rudolf, und keine Idee, wie Du helfen kannst?“

„Keine! Als ob ich sonst – – lächerlich!“

„Becker giebt Dir das Geld; Rudolf, geh’ zu Becker!“ sagte Lore. „Ihr seid ja gute Freunde jetzt –“

Der Lieutenant schüttelte den Kopf. „Mir giebt er keinen Heller, Lore, mir nicht.“

„Soll ich vermitteln, Rudolf? Ich will ihn bitten, ihn anflehen – der Eltern und Benbergs wegen, den Du unglücklich gemacht hast!“

„Danke schön – bemühe Dich nicht! Du wirst es begreiflich finden, daß der Mann, dem Du auf die unartigste Weise von der Welt einen Korb gabst, nicht thöricht genug sein wird, Deinem Bruder sechstausend Mark vorzustrecken. Diesen Edelmuth würde selbst der einfältigste, dümmste Geselle nicht ausüben.“

„Glaubst Du das sicher, Rudolf?“

„Ich habe den Beweis! Vor dem Ballabend war Becker bereit, mir eine Summe zu leihen; als ich aber am andern Morgen zu ihm kam, da war es ihm zufällig nicht gelungen, das Geld flüssig zu machen; er vertröstete mich auf einige Tage später. Mißzuverstehen war das nicht.“

Lore holte tief Athem. „Freilich,“ sagte sie langsam, „dann kann ich Dir nicht helfen!“

„Ich verlange auch kein Opfer von Dir,“ erwiderte er und verließ das Zimmer.

Die Majorin sah ihm stumm nach und wandte dann ihre Blicke auf Lore. Es war ein jammervoller Anblick, diese alte, bis ins Herz getroffene Frau. Lore lief hinüber zu ihr und schlang die Arme um sie.

„Mein Muttel! Mein armes, gutes Muttel!“ flüsterte sie, „ängstige Dich nicht so furchtbar, fasse doch Muth, irgend eine Hilfe muß sich ja finden lassen!“

„Ja, aber wo? – Es ist gut, Lore, laß mich nur, ich muß zum Vater. Sieht man es mir an, daß ich aufgeregt bin? Oder – geh’ Du doch lieber, sag’, ich hätte mein altes Migränekopfweh, ich läge – –. Ich will alles noch versuchen – weißt Du, ich gehe zu Tante Melitta, ich muß hinaus.“

„Ich gehe mit Dir, Mama.“

„Nein, bleib’ hier!“

Lore blieb. Sie saß beim Vater in der verräucherten Stube und spielte Schach mit ihm. Der alte Herr war bedeutend besserer Laune als heute mittag, er machte Witzchen und freute sich, als er seine Tochter endlich matt gesetzt hatte.

Lore konnte von ihrem Platze aus die Straße sehen und auch die gegenüber liegenden Häuser. Dicht neben dem Gasthofe, auf dessen allsonntägliche Tanzbelustigungen der alte Herr so wüthend war, lag ein sauberes einstöckiges Häuschen mit spiegelblanken Fensterscheiben, hinter denen schneeweiße Gardinen leuchteten. Dort wohnten Engels, ein altes Ehepaar, das in dem Rufe stand, sehr wohlhabend zu sein. Die alte Frau war das Muster einer braven bürgerlichen Hausehre; der Mann dasjenige eines harmlosen Philisters. Sie und Tollens pflegten sich mit freundlichem Kopfnicken zu begrüßen, wenn man, wie es Sitte war in Westenberg, abends nach Tische ein wenig auf der Bank vor der Hausthür saß.

Die Majorin hatte oft geäußert, wenn die beiden Alten da so einträchtig saßen, er im Schlafrock mit der langen Pfeife, das Käppchen auf dem silberweißen Haar, sie in schwarzer Wollschürze, ein Strickzeug in den nimmermüden Händen: „das sieht aus wie das Glück und die Behaglichkeit selber, Lore.“ – Freilich, Tollens hatten sich das Glück nur immer von weitem angesehen.

[88] Aber was fiel denn der Mutter ein, da drüben in das Haus zu gehen? Lore sah es ganz deutlich, sah, wie eben die braunlackirte Hausthür sich hinter der Gestalt der Majorin schloß. – Gott im Himmel, sie suchte bei Engels das Geld zu bekommen!

Lores Hand zitterte plötzlich, sie warf an paar Figuren um. „Verzeih’, Papa, es ist so schwül hier.“

„Das kommt von dem Schandwetter,“ brummte der alte Herr, „ich merk’s seit drei Tagen schon in meinem Bein. Meinetwegen mach’s Fenster auf!“

Lore öffnete das Fenster. Der Vater hatte recht, es war eine unnatürliche Wärme draußen und dabei ja ruhig – – die Stille vor dem Sturme. Ihre Augen hafteten an dem Hause drüben. War es denn nicht unrecht von der Mutter? Wie, wenn die guten Leute ihrer Bitte willfahrten, ihr sauer erworbenes Geld darliehen? Betrog sie dieselben nicht? Sie war eine Borgerin, die keinerlei Sicherheit bieten konnte; sie hatte das nicht überlegt, die Mutter, sie war in ihrer Todesangst dorthin gegangen.

Kling! Der Ton einer Hausglocke scholl, und über die Schwelle des Engelschen Hauses kam die Majorin. Lore meinte, ihr Gesicht sei noch nie so kalkweiß gewesen. Sie sah nicht nach rechts noch links, sie ging den Weg nach der Kirche hinunter.

„Da läuft ja die Mutter!“ rief der alte Herr, der aufgestanden war und über die Schulter der Tochter sah, „ich denke, sie hat Kopfweh? Das weiß der Himmel, man ist jetzt wie verrathen und verkauft in seinen eigenen vier Pfählen! Wenn ich nur wüßte, was Ihr vorhabt! Sag’ mal, Lore, Ihr macht doch hoffentlich keinerlei Hopphei zu meinem Geburtstag? Hör’, Lore, Du weißt, das kann ich nicht vertragen!“

„Nein, Papa, ich weiß nichts,“ betheuerte das Mädchen. „Mama geht ja doch öfters an die frische Luft, wenn sie Kopfweh hat.“

„Lüg’ Du und der Deibel!“ rief der Major zwischen Ernst und Scherz, „sie liegt für gewöhnlich dabei wie ein Hamster auf der Klappe. Es ist gut – mach’s Fenster zu und komm her, meinetwegen nehmt Affen aus!“

Die Dunkelheit brach rasch herein, Lore zündete die Lampe an. Der Major las, des Schachspiels müde, die Zeitung, und sie stieg erst nach der Küche hinunter, um das Abendbrot zu besorgen, und ging dann hinauf in ihr kleines Stübchen und begann an Ernst Schönberg zu schreiben, Käthe würde ihr ja seine Adresse bringen.

Sie mußte sich ihre Angst von der Seele schreiben. – Wenn er hier wäre, wenn sie sich aussprechen dürfte – – aber das konnte sie ja nicht, konnte doch die Schande ihres Hauses nicht erzählen! War Rudolf weniger schuldig als der, der, um ihn zu retten, ein Verbrechen beging? – Sie zerriß den Brief in lauter kleine Stückchen. „Mein Gott!“ – Sie war doch fürchterlich, diese Lage, in die der Leichtsinn eines Menschen sie alle gestürzt!

Wenn doch die Mutter daheim wäre!

Draußen hatte sich wirklich der Sturm aufgemacht, er legte sich fauchend gegen die Scheiben der Mansardenfenster und sauste durch die Aeste der Linden auf dem Schulhofe drüben. Und durch den Sturm verzitterten die Glockenklänge der Uhr von St. Marien.

Sieben Uhr! Kam denn keines? Rudolf nicht, die Mutter und Käthe nicht? – Sie wollte eben hinunter, um nachzusehen, ob die Lampe in der Eßstube brenne, da that sich die Thür auf und jemand trat über die Schwelle, den Lore allerdings nicht vermuthet hatte.

„Um Gott - Tante Melitta! Und wie siehst Du aus!“ rief sie.

Das alte Fräulein hatte das Tuch von dem grauen Haupt genommen und dabei ihre Haube mit herunter gerissen; die zierlichen Seitenlöckchen hingen ihr, vom Winde zerzaust, um das Gesicht, das einen so wunderbaren Ausdruck von Angst und Entschlossenheit trug.

„Sei doch still, Lorchen, daß Dein Vater nichts merkt,“ wisperte sie. „Laß mich sitzen, Kind, ich will mit Dir reden – Du weißt ja wohl, wie es steht und daß etwas geschehen muß, rasch geschehen muß?“

„War die Mutter bei Dir, Tante? Hast Du sie mitgebracht?“

„Sie sind alle unten.“

„Auch Käthe? – Warum kommt Käthe nicht? - Wollen wir nicht hinunter, Tante?“

„Bleib’ doch sitzen, Lore, ich muß mit Dir erst sprechen,“ flüsterte Tante Melitta. „Siehst Du, Deine Mutter ist bei Hinz und Kunz gewesen, um das Geld aufzutreiben – die reine Thorheit, Lore, Euch borgt kein Mensch einen Silbergroschen, geschweige solche Summe. Aber die arme Frau ist halb irr vor Angst. Rudolf lieh sich ein Pferd von Beckers und ritt nach Zeppke zum alten Schmettow, aber, mein Gott, der hat selbst drei Söhne in der Armee, man kann’s ihm ja nicht verdenken, wenn er ‚Nein!‘ sagt, und so auf den Stutz –; heutzutage hat einer die Tausende auch nicht so liegen. Da machte ich mich vorhin auf und ging zu Beckers.“

Fräulein Melitta brach ab und trocknete sich die Stirn mit dem Taschentuch.

„Tante!“ kam es angstvoll von den Lippen des Mädchens. „Sie wollen’s geben, Kind,“ fuhr das kleine Wesen auf dem Stuhle fort, „wenn Du nur erlauben willst, daß er sich Dir nähern darf – weiter nichts vorläufig, ich schwöre es Dir, Lore.“

„Tante!“ rief das Mädchen entsetzt, „bist Du wahnsinnig? Wie kannst Du mir so etwas sagen? Giebt es keine Spur mehr von Ehrgefühl in unserer Familie?“

„Lore, ich bitte Dich, Du weißt nicht, was Du redest. Es ist ja nicht um den Hans Liederjahn, den Rudi, der möchte meinetwegen sich die Kugel vor den Kopf schießen, von der er vorhin sprach – aber der andere und seine Mutter, und vor allem Deine eigene arme Mutter, die dabei zu Grunde gehen wird.“

„Tante, mit meinem Leben, wenn’s sein muß – nur das nicht!“

„Ach, Lore, das sind schöne Redensarten, es klingt wie aus einem Roman, das können wir nicht brauchen. Du sollst Dich ja nicht verloben heute und morgen, Du sollst ihm nur die Hoffnung lassen.“

„Aber das kann ich nicht! Erbarmt Euch doch! Ich wäre schlechter denn schlecht, thät’ ich’s. Ich bin nicht im Stande, ihm die geringste Hoffnung zu geben, Tante.“

„Das wird sich ja alles finden, vorläufig mußt Du Dich zwingen, mußt – sage ich. Man ist verpflichtet, seiner Familienehre zu Liebe noch andere Opfer zu bringen – hörst Du, Lore? Ueberlege Dir das; überlege, was Deine Eltern, was Deine Mutter für Dich gethan! Eltern und Kinder sind darauf angewiesen, sich gegenseitig zu helfen. – Lore, ich bitte Dich, mache nicht so erschrecklich starre Augen!“

Das Mädchen war unter dem Strome dieser flehenden Worte förmlich zusammengeknickt. „Nein!“ stammelte sie, „lieber will ich sterben.“

„Nun, dann sieh Deinen Bruder als Sträfling oder – wenn’s Glück gut ist, wenn er nach Amerika entkommt, so sieh ihn nie wieder, laß Deine Mutter und Deinen Vater zu Grunde gehen, und sei glücklich dabei, wenn Du es kannst!“

Das alte Fräulein eilte in vollster Verzweiflung der Thür zu.

„Schicke mir Käthe herauf!“ bat Lore.

„Käthe? Was soll Käthe? Die ist unzurechnungsfähig, sie versteht nicht mal, um was es sich handelt, das launische Ding. Kommt sie da heute zu mir, spricht kein Wort und setzt sich wie ein Stock an das Fenster, wo Du immer sitzest. Ich frage sie, kriege aber keine Antwort, sie guckt immer nur das Schönbergsche Haus an, als habe sie es noch nie gesehen; ich bringe ihr ihr Lieblingsbuch, den Gothaischen Kalender, da sagt sie, es interessire sie durchaus nicht, zu wissen, ob Herr von so und so Fräulein von so und so geheirathet, und wieviel Kinder er habe, es sei langweilig. – Gott im Himmel, was soll aus Euch verzogenen Gören werden!“

„Schicke mir Käthe!“ wiederholte Lore.

„Sei doch nur verständig, Kind!“

„Quäle mich nicht todt!“ rief das Mädchen wild und fuhr sich mit der Hand in das weiche Blondhaar, „ich kann nicht, bei Gott, ich kann nicht, Tante Melitta!“

„Du willst nicht!“

„Ja, ich will nicht.“

„Nun, so komme, was da kommen muß!“

Das alte Fräulein ging und Lore blieb allein. Es war eiskalt in dem Zimmer, denn der kleine Windofen ward nur höchst selten geheizt, aber ihre Wangen glühten trotzdem. Sie horchte nach der Thür hin, Käthe mußte ja kommen – ja, jetzt! Langsam, Stufe für Stufe – was hatte sie denn nur? Endlich trat das junge Mädchen ein.

[89]

Aus einer altdeutschen Stadt.
Nach dem Oelgemälde von F. Knab.

[90] „Ach Käthe, Gott sei Dank, Du bist es!“

„Ja, ich bin’s – und – ein recht hübscher Tag heute,“ antwortete diese und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Thür.

„Ja, es ist sehr traurig, es ist furchtbar, Käthe, aber –“

„Na, nimm’s nicht übel, Lore, wenn man vor solche Wahl gestellt wird –“

„Was denn Käthe?“

„Ich meine: Familienschande – oder Opfer, dann weiß man doch, was man zu thun hat.“

„Käthe, Du sagst das? Du?“

„Ja!“

„Und weißt, daß ich ein Wort brechen, mein und sein Glück preisgeben müßte?“

Lore fand keine Antwort, und auch Käthe schwieg. Sie blieb in ihrer Stellung, die Augen gesenkt, und wippte mit den Fußspitzen. „Käthe,“ sagte Lore endlich, „Du kannst gehen!“

„Schön! Adieu!“

„Nur die Adresse möchte ich noch.“

„Ich weiß sie nicht.“

„Hast Du ihn denn nicht gefragt danach, Käthe?“

„Nein. – Gute Nacht!“ Sie wandte sich langsam. „Wenn Benberg sich nur nicht eine Kugel vor den Kopf schießt,“ sagte sie über die Schulter zurück, „ich glaube, er thut es.“

Die Thür klappte hinter ihr zu und Lore wußte nicht, ob sie wache oder träume. Sie setzte sich auf den Stuhl am Bette und wollte nachdenken, aber es ging nicht. „Warum denn ich?“ sprach sie einmal laut, dann sank sie wieder in sich zusammen.

Es mußte schon spät sein, als sie emporschrak, die Lampe brannte trübe und es fröstelte sie. Ob sie denn schon zu Bette, die andern? Sie sah nach der unförmlichen silbernen Taschenuhr über ihrem Bette, welche ein Erbstück des Großvaters war, das sie sich vom Vater erbettelt hatte, damit sie die Zeit nicht verschlafe. Die Zeiger wiesen auf elf Uhr.

Ob die Mutter wohl schlief?

Sie ging leise aus der Stubenthür und lauschte über das Treppengeländer. Unten war es still und dunkel, nur der Wind klapperte mit den Läden. Schon wollte sie wieder zurücktreten, da klang es wie ein Stöhnen in ihr Ohr. „Der Sturm!“ flüsterte sie, aber sie wagte nicht, sich zu rühren, ein unsagbares Grauen erfaßte sie, alle Schauergeschichten, wie sie das Volk hier zu Lande sich erzählt, traten vor ihre erregten Sinne. – So stürmt es, wenn einer sich selbst das Leben genommen, sagen die Leute, dann fliegt seine arme Seele mit dem Nacht-Raben über das finstere Land und muß ewig mit ihm fliegen durch Sturm und Grauen zur Strafe seiner Sünde. Sie sah plötzlich mit furchtbarer Deutlichkeit den Lieutenant Benberg vor sich, wie sie ihn gestern gesehen auf der Photographie, die sie in Rudolfs Koffer gefunden; schlank, den Ueberrock aufgeknöpft, aber es war ein blasses ernstes Gesicht, furchtbar blaß sogar, und er lag auf einem Kissen, mit geschlossenen Augen. Todt – Rudolfs wegen und – sie – sie hätte ihn retten können!

„Barmherziger!“ – Jetzt schrak sie zusammen: wieder ein Stöhnen durch das Toben des Sturmes. Aber im nächsten Augenblick befand sie sich schon auf der Treppe und stand im Flur des ersten Stockes.

„Mama?“ fragte sie. „um Gottes wissen, Mama, wo bist Du denn?“

Es war so dunkel hier unten, Lore konnte nicht die Hand vor Augen sehen, und dennoch fand sie die Mutter gleich und schlang niederkniend die Arme um die Gestalt, die da auf der Kammerschwelle des Sohnes hockte.

„Mama!“ schluchzte Lore, „arme liebe Mama!“ Und sie sprang auf und zog die alte zitternde Frau zu sich empor. „Komm, komm – Du frierst; komm in Dein Bett, ich bleibe bei Dir.“

„Ob er wohl schläft, Lore? Ob er noch hier ist?“

„Ich will nachsehen Mama, aber erst komm in Deine Stube!“ Sie trug die Mutter fast hinein und legte sie auf das Bett und rieb ihr die kalten Füße.

„Mein Herz, Lore, mein Herz! Es ist, als wolle es stille stehen,“ klagte die Majorin. Dann lag sie wieder stumm, und die Tochter hielt ihre Hand, am Bette sitzend.

„Schlaf doch, Mama, schlafe doch!“

„Ach – schlafen! – – Lore, ich muß immer denken, wie Rudolf mit dem Pferde gestürzt war und sie ihn uns für todt brachten – weißt Du noch?“

„Ja, Mama!“

„Großer Gott, warum hast Du ihn damals nicht zu Dir genommen?“ murmelte die alte Frau und setzte sich im Bette hoch und rang die Hände in einander. „Der arme kranke Mann da drüben,“ fuhr sie fort, wie zu sich selbst redend, „übermorgen ist sein Geburtstag, und da hat er heimlich zu Krügers geschickt und hat für Euch Billets bestellt zum Trompeterkonzert, damit Ihr doch eine Freude habt an dem Tage. Und nun? Wie soll’s nur werden? – Lore, weine doch nicht, Du kannst ja nichts dafür. – Ach, Lore, mein Rudolf, mein Lockenköpfchen, mein Goldjunge – zum Diebe hat er sich gestempelt, zum gemeinen Diebe und nie sehe ich ihn wieder! Um Jesu willen, Lore, er wird doch sein Wort halten und wird mir die Hand geben zum Abschied?“

„Mama, ich verstehe Dich nicht!“

„Lore, er kann doch Benberg nicht im Stiche lassen? Nun hat er an Machwitz geschrieben, daß er Benberg bestohlen habe – verstehst Du? Benberg soll thun, als habe er keine Ahnung – er kommt mit einer Rüge weg, und – Rudolf geht nach Amerika – heute nacht noch. Aber,“ fuhr sie flüsternd fort mit unheimlich starren Augen, „das sagt er ja nur so, Lore, er fährt auch nach Hamburg, und da kauft er sich einen Revolver und dann geht er an ein stilles Fleckchen, und am andern Tage finden sie ihn. Siehst Du, Kind, als Dieb – als Dieb kann ein Tollen nicht leben, niemals! Mein Bruder hat’s auch so gemacht. – Lore, schreie nicht, Papa hat so leisen Schlaf. – Ach, ich wollte, ich wäre todt!“

Das Mädchen hatte sich vor dem Bette niedergeworfen und barg ihren Kopf in die Kissen. Die Mutter kam ihr in diesem Augenblick wie eine Sterbende vor.

„Mama – Mama!“ murmelte sie, und nun hob sie das verstörte Gesicht. „Mama – ich will, ich will!“ schrie sie auf. Und wieder sank ihr Kopf in die Kissen. „Schlafe, schlafe – ich komme gleich zurück,“ flüsterte sie dann.

„Du kommst gewiß wieder?“

„Ja, Mama!“

„Horche doch an seiner Thür – ging sie nicht eben? Er ist gewiß fort! Ach, Allmächtiger, und ich habe ihn nicht mehr gesehen!“

Lore sprang auf und schlich über den Flur zu des Bruders Thür. Da drinnen klangen Schritte, er war wach, er ging auf und ab. Sie faßte plötzlich die Klinke. „Mach auf!“ rief sie halblaut, „ich bin es, Lore.“

Die Thür öffnete sich; der Bruder stand vor ihr in Civilkleidung, ein kleiner, noch offner Handkoffer neben ihm am Boden.

Das Mädchen überfiel ein starkes Zittern, so daß sie auf der Schwelle niedersank.

„Was willst Du?“ fragte er.

„Und Du?“ flüsterte sie, und ihre Zähne schlugen auf einander.

Er antwortete nicht. Er nahm ein paar Photographien von dem Tische und wickelte sie in Papier. Sie hatte bei dem Scheine der dünnen Stearinkerze die Bilder erkannt, er mußte sie vom Schreibtische der Mutter drunten im Salon genommen haben, es waren die Porträts der Eltern, Käthens und das ihrige.

„Rudolf!“

„Ja, es ist nicht anders, Lore, geh nur schlafen,“ murmelte er.

„Nein! Du sollst nicht fort!“ rief sie und sprang auf die Füße, „ich will es nicht, ich könnte es nicht mit ansehen, wenn Mama –. Bleib hier – ich will – Becker –“

Er stutzte, es flog etwas Erlösendes über sein Gesicht. „Nein,“ sagte er dann niedergeschlagen, „um meinetwillen nicht.“

„So geh! Aber ich – ich nehme ihn doch!“ brach es verzweiflungsvoll von ihren Lippen.

Er ließ sich mit einem Seufzer auf den nächsten Stuhl fallen.

„Morgen früh, ganz früh,“ fuhr Lore fort, „kannst Du zu ihm gehen und ihm sagen – – nein – warte, er möcht’s nicht glauben. Hast Du Papier?“

Sie stand an dem Tische und zog unter den verschiedensten Gegenständen die noch offene Schreibmappe hervor, schob mehrere fertige Briefe zurück, rückte das Tintenfaß heran und schrieb mit fliegender Feder:

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 „Geehrte Frau Becker!

Gestatten Sie, daß ich an Stelle meines Vaters Ihr geehrtes Schreiben beantworte, indem ich Ihnen sage, daß es mir eine Ehre sein wird, wenn Ihr Herr Sohn sich bei Papa um meine Hand bewirbt.
 Leonore von Tollen.“

Sie faltete das Billet und schob es in ein Couvert. Dann ergriff sie einen zweiten Bogen:

„Es ist alles aus, Ernst! Vergieb mir; werde glücklich ohne mich und verdamme nicht Deine arme
  Lore.“

Sie schloß auch dies Couvert, adressirte dann beide Briefe und ahnte nicht, daß sie dieselben in ihrer furchtbaren Aufregung verwechselte. Den einen mit der Adresse der Frau Becker übergab sie dem Bruder, den andern behielt sie noch in der Hand.

„Ich gehe zur Mutter, Rudolf.“

Er schlang plötzlich den Arm um sie und begann zu weinen. „Lore,“ sagte er, „ich will mich ändern, bei Gott, ich will –“

„Zu spät für mich!“ dachte sie, und sie machte sich los von ihm und ging. Sie tastete die Treppe hinunter und legte das Schreiben, das die Adresse: Herrn Doktor Ernst Schönberg z. Z. in M. trug, auf den Küchentisch; das Dienstmädchen wußte, daß es die dort befindlichen Briefe nach dem Postkasten zu tragen habe, wenn sie am frühen Morgen die Semmeln beim Bäcker holte. Eine Marke für den Brief hatte Lore nicht, sie dachte auch gar nicht daran. Dann ging sie wieder hinauf und setzte sich an das Bette der Mutter. „Schlaf ruhig, Mama, Rudi bleibt bei uns.“

„Er kann ja nicht, Lore, er kann nicht!“

„Doch, Mama; es kommt alles in die Reihe. Rudi geht zu Becker morgen früh – der will es arrangiren.“

„Lore!“ rief die Mutter erschreckt.

„Was denn, Mama?“

„Um Gott, Lore, Du wolltest – –?“

„Ja – es wird schon gehen.“

„Liebst Du ihn denn, Lore?“

„Ich? – Mama, es wird schon gehen.“

„Lore, Herzenskind, ich meinte immer, der Doktor Schönberg – –“

„Doktor Schönberg? Ach nein, Mama.“ Sie sprach es, als sei es nicht ihre eigne Stimme.

„Lore, es sind nicht immer die glücklichsten Ehen, die die Liebe schließt; glaube es mir, Herzenslore!“

Die alte Frau nahm des Mädchens Hände und zog sie an sich, und ein heißer Thränenstrom erleichterte das geängstigte Herz. Lore fühlte die rinnenden Thränen auf ihrem Gesicht; sie selbst konnte nicht mehr weinen, in ihr war alles kalt und todt.

Sie schliefen beide nicht bis zum grauenden Morgen, dann endlich schlummerte die alte Frau ein. Lore blieb am Bette sitzen, unbeweglich. Erst als sie drunten die Thür gehen hörte, hob sie den Kopf und starrte mit glanzlosen großen Augen in das Gesicht der Mutter, als müsse sie sich besinnen, dann sprang sie auf und eilte in die Küche hinunter.

Der Brief war fort.

Sie lief wie wahnsinnig durch den Garten, zur Pforte hinaus, an das Wasser. Dichter Nebel lag über der Landschaft, die Luft war ruhig und voll herbstlichen Duftes, an der Birke aber hing nicht eins der goldschimmernden Blättchen mehr; der Sturm hatte sie sämmtlich herabgeweht. Das kleine Dienstmädchen kam, um Wasser zu schöpfen, und wunderte sich, ihr Fräulein dort an der Erde knieen zu sehen, den Kopf gegen den Stamm des Baumes gelehnt und die Hände ineinander geschlungen.

„Nein – die Vornehmen!“ murmelte sie und ging mit gefüllten Eimern zurück, und ihre singende Stimme scholl grell durch den Nebel:

„Kühler Reif kam über Nacht,
Nahm den Blumen ihre Pracht,
Ihre Schönheit auch dabei,
Glücklich, wer ist frank und frei.“


(Fortsetzung folgt.)




Hausgymnastik für Mädchen und Frauen.

Die Gefahren für die Gesundheit, welche das moderne städtische Leben mit sich bringt, treffen nicht alle Schichten der Bevölkerung in gleichem Maße. Auch zwischen den Geschlechtern besteht nach dieser Richtung hin ein wesentlicher Unterschied: der Mann tritt in den Kampf gegen diese Gefahren viel besser ausgerüstet als die Frau. Leibesübungen, welche die Gesundheit stärken, ziemen dem Mann, und schon der Knabe übt sich darin und sucht in klug angeregtem Ehrgeiz seine Genossen zu übertreffen. Unsere Mädchen dagegen werden in allerlei nützlichen Beschäftigungen unterrichtet, bei denen das Stillsitzen nothwendig ist. Anstand, Sitte, gute Erziehung und andere an und für sich hochzuschätzende Güter haben auf dem Gebiete der weiblichen Leibespflege gewisse Vorurtheile erzeugt, die schon dem kleinen Mädchen, das noch ein Kind ist, freies Umhertummeln verbieten, die es in enge Kleider einschnüren und leider so oft verkümmern und verwelken lassen.

Das sociale Leben der Gegenwart hat nach dieser Richtung hin die Frau in eine ungünstige Lage gedrängt, und es ist dringend zu wünschen, daß sie aus derselben befreit werde, daß ihr das Recht zu theil werde, sich gesund und kräftig zu entwickeln.

Einsichtige Pädagogen haben das längst erkannt und im Mädchenturnen ein Mittel gegen diese Vernachlässigung der weiblichen Erziehung gefunden und dieses warm empfohlen. Die Aerzte schließen sich ihnen rückhaltlos an, sofern das Mädchenturnen nicht eine bloße Nachahmung des Turnens für Männer bildet, sondern dem Wesen der Frau angepaßt wird.

Leider sind gerade auf diesem Gebiete die Vorurtheile noch zu bekämpfen, die in den meisten Kreisen gegen das weibliche Turnen herrschen, sowie die Gleichgültigkeit der Massen, welche jeder noch so guten Neuerung abhold ist. Auch das Schulturnen gewinnt in Mädchenschulen nur langsam an Boden. Aus diesen Gründen ist es besonders willkommen, daß zwei hervorragende Turnlehrer, Stabsarzt Dr. med. E. Angerstein und G. Eckler in Berlin, eine Anleitung zu körperlichen Uebungen für Gesunde und Kranke weiblichen Geschlechtes herausgegeben haben. Das Werk „Hausgymnastik für Mädchen und Frauen“ (Berlin, Verlag von Th. Chr. Fr. Enslin) zeichnet sich nicht allein durch treffliche gemeinverständliche Darstellung, sondern vor allem dadurch aus, daß es die Frauen lehrt, wie sie, ohne an die Oeffentlichkeit zu treten, in zweckmäßiger, die Gesundheit fördernder Weise zu Hause turnen können. Die Hausgymnastik ist für Frauen und Mädchen schon aus dem einen Grunde ungemein wichtig, weil sie selbst die übertriebensten Ansprüche des konventionellen Anstandes, wir möchten beinahe sagen: der Prüderie, vollkommen wahrt. Es kann doch kein noch so peinliches Gefühl verletzt werden, wenn die Tochter unter der Aufsicht der Mutter oder diese allein zu Hause turnt. Der Nutzen, den ihnen diese Uebung bringt, ist dagegen ein unermeßlicher: die Hausgymnastik fördert nicht allein. die Gesundheit, mehr noch als der Tanz, dessen gesundheitlicher Werth doch fraglich bleibt, sie verleiht der heranwachsenden Jungfrau auch gerade Haltung, guten Wuchs und jene Leichtigkeit und Anmuth der Bewegungen, die im späteren Leben so oft schmerzlich vermißt werden. Die Hausgymnastik bringt den Frauen in der That nicht allein Gesundheit, sondern auch Geschicklichkeit und die wahre Schönheit, die auf der natürlichen Haltung des Körpers beruht.

Welche Mutter würde wohl diese Güter ihrer Tochter vorenthalten wollen, welche Frau nicht bestrebt sein, sie zu erhalten?

Wir empfehlen unseren Leserinnen, nach den Angaben von Angerstein und Eckler die Hausgymnastik zu versuchen; sie werden sich bald von der Wahrheit unseres Ausspruches überzeugen.

Die Hausgymnastik für Frauen und Mädchen ist recht einfach gestaltet. Sie kann selbst ohne alle Apparate ausgeführt werden; denn die Freiübungen des deutschen Turnens bieten eine große Auswahl zweckmäßiger Körperbewegungen, die sich für Mädchen und Frauen eignen.

Wir wollen nur einige Beispiele anführen, um zu zeigen, wie mit anscheinend ganz kleinen Mitteln große Erfolge erzielt werden können.

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Fig. 1. Handbeugen und -strecken.

Unsere Figur 1, die dem oben erwähnten Werke entlehnt ist, veranschaulicht eine sehr einfache Uebung: das Handbeugen und -strecken. Die Hände werden dabei, mit gestreckten Fingern oder zur Faust geballt, beziehungsweise mit Hanteln beschwert, soweit als möglich aufwärts gebeugt, dann gestreckt (in die Ausgangshaltung zurückgebracht), hierauf abwärts gebeugt etc. Man nennt dies: „Handbeugen aufwärts und abwärts“; man kann es auch seitwärts ausführen und durch ein schnelles Hin- und Herbeugen der Hände das sogenannte Handschwingen üben.

Ebenso giebt es auch Uebungen für die Finger: das „Fingerbeugen und -strecken“, sowie das „Fingerspreizen“.

Diese Bewegungen, die so einfach sind, können bei regelrechter Ausführung großen Nutzen bringen. Das Handgelenk und die Finger werden dadurch kräftig, frei und gelenkig gemacht und diese Vorzüge bilden die Grundlage zu der „geschickten Hand“, welche den Frauen nicht fehlen soll. Ferner sind sie treffliche Vorbeugungsmittel gegen den Schreibkrampf sowie die Ermüdung der Hände, die durch andauerndes Schreiben, Zeichnen, Nähen, Sticken etc. verursacht wird. Man versuche dieses einfache Mittel und man wird staunen, wie sehr die Muskeln der Hände dadurch erfrischt und belebt werden!

Fig. 2. Kniebeugung.

So wie die Hände werden auch die Arme, die Muskeln des Rumpfes und der Brust durch zweckmäßige Bewegungen gestärkt, und wie hübsch die Kinder mit den Beinchen turnen können, beweisen unsere Bildchen, die nach Photographien, also nach dem Leben geschnitten sind. Es gelangen hier die Uebungen „Kniebeugung“ (Fig. 2), „Wechselkniebeugen“ (Fig. 3) und „Knieheben vorwärts“ (Fig. 4) zur Wiedergabe. Sie gehören in die Gruppe derjenigen Uebungen, welche gegen einen Schrecken der Mütter – gegen kalte Füße der Kinder, viel wirksamer sich erweisen als die wärmsten Filzpantoffel und Pelzschuhe.

Mädchen und Frauen dürfen aber auch Uebungen mit einfachen Geräthen vornehmen, unter denen in erster Linie die Stabübungen zu erwähnen sind, Man nimmt hierzu einen geraden, vollkommen glatten, astfreien runden Holzstab von 2 bis 3 Centimetern Dicke. Die Länge desselben soll der Schulterhöhe des Uebenden entsprechen. Besenstiele, Rouleauxstangen u. dergl. können gelegentlich als solche Stäbe benutzt werden. Diese Uebungen kräftigen die den Brustkasten umgebenden Muskeln, erweitern die Brusthöhle und befördern in hohem Grade die Athmungsthätigkeit. Sie sind auch ein Mittel gegen gebeugte Haltung und besonders empfehlenswerth ist das „Gehen mit Stabhaltung rücklings“, welches wir nebenstehend in Fig. 5 wiedergeben. Der Stab wird quer über den Rücken gelegt und mit beiden gebeugten Armen gehalten, die zur Faust geballten Hände sind nach vorn gerichtet. Der Kopf wird aufrecht gehalten, die Schultern werden kräftig nach hinten gezogen. Aus dieser Haltung wird mit mäßig großen Schritten langsam vorwärts gegangen. Die Muskeln der Beine müssen kräftig angespannt werden. Beim Niederstellen des Fußes soll die Spitze den Boden zuerst berühren.

Es ist dies eine Uebung, welche von der Kaiserin Augusta warm empfohlen wurde, wie dies Professor C. Euler in dem Artikel „Kaiser Wilhelm I., ein Freund des Turnens“ (vergl. „Gartenlaube“, Jahrgang 1888, S. 319) unsern Lesern mitgetheilt hat.

Fig. 3. Wechselkniebeugen.

Die Hausgymnastik weiß auch für Mädchen Spiele zu empfehlen, unter denen namentlich Uebungen mit dem Federball, die in jedem größeren Zimmer vorgenommen werden können, die größte Beachtung verdienen. „Unter allen Bewegungsspielen,“ schreiben mit Recht Angerstein und Eckler, „gehört das Ballspiel in seinen verschiedenen Formen zu den vorzüglichsten. Beim Werfen und Fangen des gewöhnlichen Balles, sowie beim Schlagen des Federballes ist der ganze Körper in Thätigkeit; da wechseln kleine, genau beherrschte Bewegungen mit lebhaften und ausgedehnten Drehungen und Wendungen; ja selbst Lauf und Sprung müssen plötzlich ausgeführt und ebenso schnell gehemmt werden. Im Ballspiel findet der Körper die schönste Gelegenheit, Anstand, Zierlichkeit, Kraft und Maß der Bewegung in vollkommenster Vereinigung zu üben und sich anzueignen.“ – Die Turngeräthe, die in dem Buche empfohlen werden, sind sehr einfach. Nothwendig ist deren Anschaffung jedoch nicht; schon die Freiübungen an und für sich dürften für die meisten Fälle genügen und außerdem können im Bedarfsfall Stühle und Tische die Stelle von Turngeräthen vertreten. Auch dafür gegen die Verfasser praktische und leicht ausführbare Winke.

Fig. 4. Knieheben vorwärts.

Wir glauben, durch diese Beispiele genügend das Wesen und die Bedeutung der Hausgymnastik für Mädchen und Frauen angedeutet zu haben. Vor einem Uebermaß ist auf diesem Gebiete besonders zu warnen, wie auch der Entwickelung des Körpers durch zeitweilige Ruhe Rechnung getragen werden muß. Mehr als der Mann wird die Frau genöthigt sein, die Entscheidung, ob sie turnen darf, dem Arzte zu überlassen; aber auch in dieser Hinsicht findet sie in dem erwähnten Werke einen treuen und warnenden Lehrer und Rathgeber, da ja einer der Verfasser selber Arzt ist.

Fig. 5. Stabhaltung rücklings.

Durch diese Zeilen konnten wir nur eine Anregung geben; die Aufgabe verständiger, für das Wohl ihrer Töchter besorgter Mütter muß es sein, den Rath in That zu übersetzen. Möchte die „Hausgymnastik für Mädchen und Frauen“ ein deutsches Familienbuch werden! Sie würde in den weitesten Kreisen den größten Nutzen stiften und namentlich unter den Mädchen große und vortheilhafte Wandlungen hervorrufen. Wir würden bei der richtigen Befolgung der trefflichen Rathschläge mehr Mädchen mit blühenden Wangen, mit gerader Haltung, mit leichtem sicheren Gang, mit der natürlichen Anmuth in den Bewegungen sehen, als dies heutzutage besonders in den Großstädten der Fall ist.


[93]

Hermann Wißmann.

Mit Porträt nach einer Photographie von Carl Günther in Berlin.

Deutschland darf mit Stolz auf eine Reihe berühmter Afrikaforscher zurückblicken, welche sich um die Erforschung des dunklen Welttheils unvergängliche Verdienste erworben haben. Die Reihe der Veteranen hat zwar der Tod gelichtet: Nachtigal ruht in Kamerun und Pogge in San Paulo de Loanda; indessen sind jüngere Kräfte an deren Stelle getreten und von diesen hat sich Hermann Wißmann am meisten ausgezeichnet. Sein Name wird jetzt vielfach genannt; denn der kühne Durchquerer Afrikas scheint dazu berufen zu sein, in den Fragen, welche durch die neuesten Ereignisse in Ostafrika aufgeworfen worden sind, eine hervorragende Rolle zu spielen.

Hermann Wißmann wurde am 4. September 1853 in Frankfurt an der Oder als Sohn eines dortigen Regierungsbeamten geboren. Schon als Knabe zeichnete er sich durch Muth und Entschlossenheit aus und wählte die militärische Laufbahn. Im Jahre 1873 wurde er Offizier und stand bei einem mecklenburgischen Infanterieregiment in Rostock. Die großartigen Reisen Livingstones, Schweinfurths und Stanleys erregten damals allgemeines Aufsehen, und namentlich die Werke der beiden letzten Forscher waren ebenso durch die Neuheit des Stoffes, die Fülle der Erlebnisse, die Größe der überwundenen Gefahren wie durch die meisterhafte Darstellung dazu angethan, selbst in ferner stehenden Kreisen eine förmliche Begeisterung für die Entdeckungen im dunklen Welttheil zu erwecken. Das Lesen derselben entfachte auch in Wißmann den ersten Wunsch, in das Herz von Afrika einzudringen und mit zu arbeiten an dem Werke der Erforschung des noch so wenig bekannten Welttheils.

Da fügte es der Zufall, daß Pogge nach seiner Rückkehr von der berühmten Reise im Lundareiche sich in Rostock aufhielt und hier mit Wißmann bekannt wurde. Da Pogge sich mit neuen Reiseplänen trug, so bot sich ihm Wißmann als Begleiter an, und in der That sollte sein Wunsch erfüllt werden.

Der junge Offizier meldete sich bei dem damaligen Vorsitzenden der Afrikanischen Gesellschaft in Berlin, dem leider 1885 verstorbenen Dr. Nachtigal, und erfuhr von ihm die Bedingungen, unter denen er als Geograph für die nächste Expedition in Aussicht genommen werden könnte. Topographische Aufnahmen waren ihm bereits geläufig, aber Wißmann mußte noch sechsmonatigen astronomischen und meteorologischen Studien in der Seemannsschule zu Rostock obliegen. Auf der Universität studirte er Zoologie und Geologie und fand in Dr. Kersten, dem früheren Begleiter des in Afrika ermordeten Barons von der Decken, einen bewährten Rathgeber. Endlich kam das so heiß ersehnte Angebot. Dr. Pogge und Wißmann sollten eine Reise nach Westafrika zu dem Mnata-Jamwo antreten, falls sie glaubten, die ihnen gesteckten Ziele mit der verhältnißmäßig sehr geringen Summe von 20000 Mark erreichen zu können. Pogge entschied sich zusagend. Von einem „Millionär“, der ihm nach einer Anekdote, die unlängst in den Zeitungen gedruckt wurde, das viele Geld zu der ersten Afrikareise gegeben haben soll, weiß Wißmann nichts zu berichten. Im Gegentheil, die beiden Reisegefährten mußten schon bei der Ausrüstung sparen. Sie verzichteten sogar auf Zelte, Reisebetten und Moskitonetze, und auch die Ausrüstung in Waffen war gering; sie bestand in drei leichten Expreßdoppelgewehren und zwei Schrotgewehren für die beiden Weißen, sowie sechs Chassepotkarabinern für ihre Leute, zu denen später noch Steinschloßflinten traten, die sich auch als Waren im Innern brauchbar erwiesen. Es wurden den beiden Forschern von der Gesellschaft für jedes weitere Jahr noch 20000 Mark ausgesetzt, aber sie waren bald so weit ins Innere vorgedrungen, daß sie auf die nächste fällige Summe nicht rechnen konnten.

Am 19. November 1880 verließen Pogge und Wißmann Hamburg, und am 7. Januar 1881 war mit Loanda ihr erstes Ziel erreicht. Nachrichten, die sie in Afrika, namentlich von dem heimkehrenden Dr. Büchner, erhalten hatten, zwangen sie, ihren Reiseplan zu ändern, und so marschirten beide durch unbekannte Länder; sie erreichten als die ersten Weißen Lubuku, „das Land der Freundschaft“, und wurden von den Einwohnern als Geister zweier verstorbener Häuptlinge begrüßt, die aus dem Geisterwasser, das heißt dem Meere, heimkehrten. Begleitet von Leuten des Balubastammes, den Baschilange, deren Bedeutung für die Zukunft Centralafrikas eine sehr große zu werden verspricht, erreichten sie Nyangwe, die westlichste Araberstadt am Kongo, von der einst Stanley seinen Zug zur Erforschung des Riesenstromes angetreten hatte. Hier trennten sich die beiden Gefährten. Pogge kehrte nach Lubuku zurück, Wißmann zog nach Osten.

Am 14. November 1882 erscholl von den Lippen seiner Leute der Ruf: „Baharr! Baharr!“ (das Meer). Der Indische Ocean lag vor den Blicken der Reisenden; Wißmann war der erste Deutsche, der Centralafrika durchquert hatte, und der erste Reisende überhaupt, der dies in der Richtung von West nach Ost zu thun vermochte. Am nächsten Morgen stand er beim Küstenstädtchen Saadani an dem Gestade und netzte sich nach der Sitte afrikanischer Völker Stirn und Schläfe mit dem Salzwasser des unendlichen Meeres.

Der Ruf Wißmanns war mit einem Schlage begründet, der kühne Offizier zählte nun zu den berühmtesten Afrikaforschern. Die „Gartenlaube“ hat in ihrem Jahrgang 1883, Nr. 7, über diese erste Afrikafahrt Wißmanns mit Pogge zusammen ihren Lesern ausführlichen Bericht erstattet.

Schon im Jahre 1883 wurde ihm von Leopold II., dem hochherzigen König der Belgier, der Auftrag zu theil, das südliche Kongobecken zu erforschen, und am 16. November verließ er wieder die Heimath. „Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost“ hat Wißmann das Werk betitelt, in dem er seine erste Reise beschreibt – und unter der deutschen vom Prinzen Friedrich Karl gestifteten Fahne sollte auch die zweite Expedition deutscher Offiziere Ruhmreiches auf schwarzer Erde vollbringen, so daß unsere Armee auch auf diese Siege, die unter Wißmann errungen wurden, stolz zurückblicken kann. Wißmanns Begleiter auf diesem zweiten Zuge gehörten sämmtlich dem deutschen Heere an: Stabsarzt Dr. Ludwig Wolf, Hauptmann Curt von François, Lieutenant Franz Müller und Hans Müller, Lieutenant im preußischen Feldjägerkorps und Forstreferendar, das waren die Mitglieder des Wißmannschen Stabes, und als treffliche Werkmeister schlossen sich ihnen der Schiffszimmermann Bugslag und die Büchsenmacher Schneider und Meyer an.

Sie sind nicht alle heimgekehrt. Der Büchsenmacher Meyer starb schon am 26. März 1883 in Malange am perniziösen Fieber. Wißmann, Wolf, François und Franz Müller trugen den Sarg zur letzten Ruhestätte, die neben dem Grabe des im Jahre 1870 gestorbenen Afrikareisenden Eduard Mohr errichtet wurde. Kaum ein Jahr darauf wurde am Luluaflusse in der neugegründeten Station Luluaburg Franz Müller selbst zu Grabe getragen. Drei Salven wurden als Ehrengruß dem verstorbenen Soldaten übers Grab gefeuert. In demselben Augenblick brach mit einem heftigen Donnerschlag ein Gewitter los, wie es nur die Tropen kennen. Der den ersten Schlag verursachende Blitz hatte einen Urwaldriesen getroffen, welcher mit lautem Krachen und Geprassel zur Erde stürzte. Es war, als ob die Natur sich dem letzten Scheidegruß an den Dahingegangenen anschließen wollte.

Die überlebenden Mitglieder der Expedition hatten die ihnen gestellte Aufgabe, die Erforschung der Zuflüsse des Kassai, in glänzendster Weise gelöst. Um 12½ Uhr am 9. Juli 1885 erblickten sie eine weite Wasserfläche, mit der sich der Kassai vereinigte; es waren die Fluthen des Kongo. Durch die Ferngläser und Krimstecher sahen sie am Ufer eine Station und über ihr eine blaue Flagge mir goldenem Stern lustig im Winde flattern. Gewehrsalven knallten zum Gruß: zwei Europäer, von bewaffneten Schwarzen umringt, standen am Ufer. Was sollte das alles bedeuten? Die Kassaifahrer trafen mit zwei Beamten des Kongostaates zusammen und hier erhielten die kühnen Reisenden die erste Kunde, daß ein Kongostaat, von dem sie, innerhalb seiner Grenzen rastlos arbeitend, keine Ahnung gehabt hatten, inzwischen gegründet worden war!

Die Geschichte dieser Erforschungsreise wird ein wichtiges Kapitel in der Geschichte dieses jüngsten unter den räumlich größten Staaten bilden. Die Erforscher selbst haben sie in dem trefflichen Werke „Im Inneren Afrikas“ (Leipzig, F. A. Brockhaus) beschrieben. Wißmann ging im September 1885 schwer krank vom Kongo nach Madeira. Kaum hatte er sich erholt, so trat er wieder im Auftrage des Königs der Belgier eine Expedition an und durchquerte in den Jahren 1886 und 1887 zum zweiten Male Afrika von der Mündung des Kongo zu der des Sambesi. Auf dieser Reise war er Zeuge gewaltiger Wandelungen, die im Innern vorgegangen waren. Ortschaften, die er früher im blühenden Zustande kennen gelernt hatte, waren niedergebrannt, wohlhabende Stämme verarmt, friedliche zu kriegerischen, raublustigen Haufen umgewandelt worden. Die Araber waren vom Osten her in jene Gegenden eingedrungen und hatten die schändliche Sklavenjagd eingeführt. Hier lernte Wißmann das „Raubthier“ Afrikas kennen, und wir wissen alle, daß er jetzt wieder bereit ist, gegen die Araberwirthschaft zu Felde zu ziehen. Seine jüngst erfolgte Berufung in das deutsche auswärtige Amt ist ein glänzender Beweis dafür, welches Vertrauen man in den Kreisen der Leiter unserer auswärtigen Politik in die Thatkraft und in die Erfahrungen Wißmanns setzt. Noch wissen wir nicht, welche besonderen Aufgaben ihm an Afrikas Ostküste vorbehalten sind; aber wir werden überzeugt sein dürfen, daß er in seiner amtlichen Stellung erst recht in der Lage sein wird, seine hohen Fähigkeiten auszunützen und zu seinem alten Ruhme neue Lorbeeren hinzuzufügen. C. Falkenhorst.




[94]

Anvertraute Kinder.

Skizze aus dem Familienleben von Hans Arnold.

Eine „Jugendliebe“ ist ja an und für sich etwas durchaus Achtbares, wofür sich jeder und jede eine gewisse romantische Anhänglichkeit bis ins späteste Alter bewahrt. Aber eine Jugendliebe kann auch manchmal recht unbequem werden, wenn sie als Strohfeuer ab- und als solides Ofenfeuer noch nicht ganz ausgebrannt ist.

Der Hofrath Brocker hatte eine Jugendliebe gehabt. Seine Frau fand sich mit der reiferen Jahren eignen Seelenruhe in die Thatsache, daß sie nicht als „Julie die Erste“ im Herzen ihres Gatten thronte, und wendete nichts dagegen ein, wenn er an besonders schönen Sommertagen sich mit einem Senfzer der Zeit erinnerte, wo er die blonde Martha bei Heuduft und Nachtigallenschlag angeschwärmt hatte. „Man muß froh sein, wenn die Männer noch auf so harmlose Verrücktheiten verfallen,“ meinte die Hausfrau in vertraulichen Gespräch mit einer Freundin. Neuerdings hatte sich aber die Sachlage geändert. Die alte Flamme, die jahrelang wie ein unerreichbarer, schöner Stern am Himmel des Hofraths geleuchtet hatte, rückte näher und war da, ehe man sich dessen versah.

Die einst holde Martha war zum größten Glück ihrem alten Verehrer nicht treu geblieben, sondern hatte vor nunmehr – wir wollen aber nicht ungalant sein, also sagen wir: vor nunmehr einer ganzen Reihe von Jahren sich auch in den heiligen Ehestand begeben, und zwar hatte sie einen Stabsarzt geheirathet. Wie es das wechselvolle Leben mit sich bringt, wurde Frau Martha mitsammt ihrem Stabsarzt, oder besser der Stabsarzt mitsammt seiner Martha, nach derselben Stadt verschlagen, wo Hofraths mit einer blühenden Kinderschar ihr friedliches Dasein führten.

Hofraths hatten inzwischen auch schon den halben Weg bis zur silbernen Hochzeit zurückgelegt – kurz, die beiden Jugendgenossen konnten sich bald mit Fug und Recht Altersgenossen nennen.

Frau Julie, trotzdem sie gänzliche und verachtungsvolle Gleichgültigkeit gegen Frau Martha zur Schau trug, war dennoch recht gespannt auf den Anblick der Vielbeseufzten. Ein Gefühl seliger Befriedigung schwellte daher ihre Brust, als die Stabsärztin sich beim ersten Besuch als eine etwas beleibte, stark rothbäckige und durchaus nicht mehr jugendliche Erscheinung erwies, die allerdings durch Stirnlöckchen und einen Rembrandthut die deutliche Absicht bekundete, zwanzig Jahr jünger zu scheinen, als sie wirklich war.

Diesen Grundsatz zufolge hielt sie auch ihre ältesten Kinder in Pensionen und Kadettenhäusern verborgen und zeigte nur diejenigen, die das elfte Jahr noch nicht überschritten hatten – es waren ihrer drei. Milly, ein zehnjähriges Schulpflänzchen, Eduard, ein achtjähriger, und Fritz, ein fünfjähriger Junge. – Der Stabsarzt, den seine muntere Ehehälfte nur selten zu Wort gelangen ließ, war ein kleiner, sehr schmächtiger Herr mit einem Schnurrbart, der für einen dreimal so großen Mann ausgereicht hätte. Er schien das unbeschreibliche Glück, Martha errungen zu haben, übrigens mit vieler Fassung zu ertragen.

Als das stabsärztliche Ehepaar das Haus wieder verlassen hatte, wandte sich Frau Julie mit einem strahlenden Lächeln an ihren Mann.

„Na, weißt Du –“ meinte sie vielsagend.

Der Hofrath räusperte sich verlegen.

„Sie sieht noch ganz gut aus!“ bemerkte er kleinlaut.

Die Hausfrau zuckte die Achseln. „Liebe ist blind", sagte sie ironisch, aber ich kann Dir sagen, der Anblick hat mir eine Last vom Herzen genommen!“

Infolge der Zerstörungen, welche die unerbittliche Zeit an der Schönheit Frau Marthas angerichtet hatte, gestaltete sich denn der Verkehr ganz friedlich, wenn sich auch die beiden Frauen nicht gerade sympathisch wurden. Julie, die ihre achtunddreißig Jahre frei und offen bekannte und dem Himmel dankte, daß kein Mensch mehr jugendliche Ansprüche an sie erhob, ermangelte jedes Verständnisses für die tändelnde Art der Frau Stabsärztin, verurtheilte die Löckchen und den Rembrandthut und hatte für die Neuigkeit, daß die Freundin des Hauses jetzt Reitstunde nähme, nur die spöttische Bemerkung: „Sie macht’s wohl, wie in dem Kinderlied:

‚Wenn sie älter werden,
Reiten sie auf Pferden‘ –.“

Weniger harmlos als diese Sportleidenschaft zeigte sich die Neigung Frau Marthas, ihrem früheren Verehrer bisweilen bemerklich zu machen, daß er doch am Ende mit ihr besser gefahren wäre! Sie erzählte in seiner Gegenwart von beispiellos kleinen Summen, mit denen sie die Wirthschaft bestritt und noch Ersparnisse machte – sie bemerkte beim Erblicken einer im hofräthlichen Hause beschäftigten Plättfrau: „Ach, dazu nehmen Sie fremde Hilfe? Ich plätte alle meine Gardinen selbst!“ und rief bei dem Hofrath, der wie alle Männer sehr leichtgläubig war, bisweilen mißmuthige Stimmungen darüber hervor, daß doch seine Frau sich nicht so einzurichten verstände wie andere Frauen.

Auch in Bezug auf Kinderzucht wollte die Jugendliebe Besseres leisten als ihre Nachfolgerin im Herzen des Hofraths. Sie nahm bei ihren häufigen Besuchen Gelegenheit, um Rath und That kräftig in die Leitung der Kinder einzugreifen – sie versicherte, daß ihre Kinder dies oder jenes allerdings sich nicht erlauben dürften! – Daß Kurt noch nicht ohne Aufsicht seine Schularbeiten anfertigte, veranlaßte sie zu verwundertem Kopfschütteln, und als das zweijährige Minchen einmal in Gegenwart der Stabsärztin schrie und herausgebracht wurde, klopfte die Hausfreundin Frau Julie auf die Schulter. „Disciplin, Liebste, Disciplin! Das hilft nun nichts! ohne Disciplin bringen Sie die Kinder nicht zurecht!“

„Das sage ich ja auch immer,“ bemerkte der Hausherr ärgerlich, der es allerdings noch nie gesagt hatte, und warf seiner Frau einen Blick zu, der Minchens Geheul zum Kapitalverbrechen stempelte.

Daß auf diese Weise die Gefühle in der Brust der Hofräthin nach und nach eine etwas grimmige Färbung annahmen, wird ihr wohl niemand verdenken können! Heute eben hatte sie, bei ihrer Flickarbeit sitzend, viel über die Annehmlichkeit dieses Verkehrs nachgedacht, als der Hausherr ins Zimmer trat. Er hustete ein paar Mal und ging auf und ab, ehe er seinen gewöhnlichen Platz einnahm – ein untrügliches Zeichen dafür, daß er etwas zu sagen hatte, was ihm nicht ganz leicht wurde. Seine Frau „ließ ihn kommen“, wie der Kunstausdruck heißt – sie war nicht in der besten Laune, weil ihr Frau Martha gestern abend wieder eine Rede über Erziehung gehalten hatte, mit der Aufschrift: „Einfach und streng – das sind die Grundsätze, bei denen meine Kinder aufwachsen.“ – Heute beim ersten Frühstück hatte nun der Herr des Hauses einen kurzen und gedrängten Nachtrag zu dieser Rede geliefert, in welchem er sich mißmuthig über die mangelhafte Dressur seiner Nachkommenschaft aussprach.

„Stabsarzts treten heute eine kleine Reise ins Gebirge an!“ bemerkte der Hofrath, das Gespräch einleitend.

Die Hausfrau schwieg. Die gehoffte Anknüpfung hatte sich nicht ergeben.

„Sie sind recht in Verlegenheit, wo sie mit den Kindern hin sollen,“ fuhr der Hofrath fort, „da sie der Köchin auch für den Tag erlaubt haben, nach Hause zu fahren!“

„Das hätten sie lieber nicht thun sollen!“ bemerkte Julie trocken.

Der Hausherr kratzte sich hinter den Ohren.

„Es wäre wohl eigentlich nur freundschaftlich,“ begann er zögernd, „wenn wir ihnen anböten, die Kinder auf die eine Nacht und den Tag herüberzunehmen – was meinst Du, Julie.“

„Ich habe morgen Wäsche!“ erwiderte Julie und lächelte beglückt – zum ersten Mal im Leben freute sie sich über diese Thatsache.

„Ach, das ist fatal – das ist sehr fatal!“ rief der Hofrath, „was machen wir denn nun? Die Wahrheit zu sagen, Julie, ich habe es Stabsarzts schon versprochen, und es wäre mir unendlich peinlich, jetzt wieder nein zu sagen!“

Julie legte ihre Arbeit zusammen und stand auf.

„Ach so, Du hast es schon versprochen!“ meinte sie gedehnt, „das hättest Du mir gleich sagen können – nun, dann hilft es ja wohl nichts!“

„Es sind doch keine ganz kleinen Kinder,“ flehte der Hausherr, der seiner sonst stets so guten Frau den innerlichen Aerger ansah, „und sicher vortrefflich erzogen – Martha spricht ja so verständig über Kindererziehung.“

Die Hausfrau sah ihm voll ins Gesicht.

[95] „Thu’ mir nur den einzigen Gefallen und sage wenigstens nicht ‚Martha‘ – wenn Du wüßtest, wie albern jedem Unparteiischen diese aufgewärmte Mondscheinsonate vorkommt, dann würdest Du sie einmal gründlich kalt werden lassen! Und was die ‚bodenlos‘ artigen, vortrefflich erzogenen Kinder betrifft, so will ich sie doch erst mal sehen; bisher haben wir sie nur auf Minuten erblickt, und wenn unsere stumm knixend hereinkommen, wenn Besuch da ist, und sofort zur andern Thür wieder hinausmarschiren, sind sie auch artig.“

Die Hausfrau verließ etwas stürmisch das Zimmer, um sehr wider Willen die Betten für die erwarteten Gäste herzurichten. Das kleinste fünfjährige Kind beschloß sie in mütterlicher Fürsorge, trotz inneren Grolles, mit Minchen zusammen in ihr eignes Schlafzimmer zu nehmen, die beiden andern wurden untergebracht, wie und wo es eben ging, denn ihre „eignen“ deswegen aus der gewohnten Ordnung zu bringen, fiel der Mutter nicht ein.

Nachdem der passive Widerstand der Dienstmädchen beseitigt war, die darüber murrten, daß ihnen am Waschtage noch ein außergewöhnlicher Zuwachs zu ihren Arbeiten erblühte, hatte die Hausfrau auch den bösen Geist im eigenen Herzen zur Ruhe gesprochen und ging noch einmal in ihres Mannes Arbeitszimmer, wo er, gebeugt von seiner Schuld, am Schreibtisch saß. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Karl!“ sagte sie, schon wieder heiter, „ich bin nicht mehr böse! Es war mir nur im ersten Augenblick etwas unbequem!“

„Das wußt’ ich!“ meinte der Hausherr gerührt, „Du bist ja meine gute Alte! Und ich wette, die kleine Schar wird Dir noch Spaß machen – Du liebst doch Kinder!“

„Eigne!“ erwiderte Frau Julie lakonisch und war im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als sie noch einmal stehen blieb. „Versprich mir nur eins, Karl! – Wenn die Stabsarztskinder ebenso ungezogen sind wie unsere – bloß ebenso! – dann wirst Du mir von morgen an glauben, daß ich Haus und Erziehung so gut verstehe wie Deine dicke Freundin mit dem Rembrandthut!“

Karl lachte. „Das gilt!“ sagte er, „aber Du wirst nicht recht behalten – unsere werden doch noch ungezogener sein!“

Die Hausfrau lächelte vor sich hin und begab sich ins Kinderzimmer, um ihren dreien mitzutheilen, daß sie auf vierundzwanzig Stunden Logirbesuch bekämen. Wie altes Neue, so wirkte auch diese Aussicht auf die Kinderschar wie die Säure, die zu Natron ins Brausepulver geschüttet wird.

Der neunjährige Kurt putzte seine Waffen und suchte alle Bleisoldaten hervor, um sie für den erwarteten Eduard in Parade aufzustellen, Anna zog ihrer Puppe das beste Kleid an, und nur das Kleinste zeigte sich ungastlich, indem es irrthümlich glaubte, es solle sein Bett hergeben, und sich weinend darüber hinwarf.

Der Abend kam und die Gäste mit ihm. Sie wurden in die Kinderstube geführt. Milly, die älteste, führte den Zug, hinter ihr kam der achtjährige Eduard, und in dessen Kittel verbarg sich der kleine Fritz, der sich entsetzlich unbehaglich zu fühlen schien und auf alle freundlichen Fragen und schalkhaften Ermunterungen seitens der Gastgeber nur ein unverständliches Grunzen als Antwort hatte.

Die Kinder des Hauses entwickelten sofort eine wahrhaft glühende Freundschaft für die Gäste und flehten mit gerungenen Händen um die Erlaubniß, mit ihnen in einer Stube, und zwar womöglich „auf der Erde“, schlafen zu dürfen, was für Kinder merkwürdigerweise ein heißerstrebtes Sehnsuchtsziel ist. Die Mutter verwies dieses Verlangen mit dem kurzen, kräftigen Wort „Dummheiten“ für immer in das Reich der unerfüllten Träume, eine Entscheidung, deren Weisheit sich sehr bald zeigte. Die Leidenschaft zwischen Kurt und Eduard schlug nämlich nach etwas über zehn Minuten in ihr Gegentheil um; ein rasender Faustkampf entspann sich, der mit dem unparlamentarischen Ausdruck „Du Schafskopf!“ gekrönt und beschlossen wurde, worauf man die beiden Uebelthäter mit Gewalt auseinander riß.

Anna war inzwischen auch sehr von ihrer neuen Freundin beleidigt worden, die beim Erblicken ihrer Spielsachen immer nur gesagt hatte: „Meine sind viel hübscher! – Ach solch eine Puppe hast Du? Die kann ja nicht mal die Augen zumachen!“ – eine Feststellung, infolge deren Anna sich nun wie um eine der einfachsten Segnungen der Kultur betrogen erschien.

Minchen schlief schon, und so hatte der kleine Fritz keine gleichgestimmte Seele zur Verfügung. Er fiel daher, anderer Zerstreuungen ermangelnd, vom Stuhl, schlug mit dem Kopf auf und schrie entsetzlich, worauf die Mutter den Vorschlag machte, ihn und alle übrigen Kinder ins Bett zu bringen.

Fritz, von namenloser Blödigkeit befallen, wollte sich nicht ausziehen lassen und rief etwa zwanzig Minuten hindurch in langgezogenen Jammertönen: „Johanne, Johanne!“ bis er sich unter der trügerischen Vorspiegelung, daß die ersehnte Johanne kommen würde, sowie er im Bett sei, der Schlummerstätte überweisen ließ.

Als aber die Hausfrau ihn gebettet hatte und verlassen wollte, krallte er sich mit Zetergeschrei in ihr Kleid ein: „Hier ist’s ja finster!“

„Sieh’ doch,“ ermahnte die Gastfreundin, „das kleine Kind schläft ja hier auch im Finstern!“

„Ich schlafe nicht hier – hier ist’s finster!“ kreischte der Junge unbeirrt.

„Du sollst ein Nachtlicht haben! beruhigte die Hausfrau, „leg’ Dich nur jetzt hin!“

Als das milde Licht des Nachtlämpchens durch den Raum strahlte, verstummte Fritz. Frau Julie blieb noch bei ihm sitzen, bis er eingeschlafen war, begab sich dann in die anderen Zimmer, in denen heute ziemlich kein Raum ohne Bett war – „das reine Nachtlager von Granada!“ wie die Hausfrau bitter bei sich bemerkte – und als sie sich überzeugt hatte, daß alles in sanftem Schlummer lag, ging sie zu ihrem Mann, um nach des Tages Last und Hitze noch ein ruhiges Lesestündchen mit ihm zu feiern.

Eben hatte sie das Buch zurecht gelegt, als der unverkennbare, klatschende Tonfall nackter Füßchen auf dem Gange sich hören ließ und die Thür weit aufgerissen wurde. Vor Angst laut schnatternd und weinend stand der kleine Fritz im Nachtgewande da.

„Was hast Du denn?“ frug die Hausfrau etwas verstimmt, „warum schläfst Du nicht?“

„Das kleine Kind brummt so!“ wehklagte Fritz, „ich fürchte mich vor dem kleinen Kinde!“

Die Hausfrau sah ihren Mann vielsagend an, nahm den kleinen Heulbold auf den Arm und trug ihn wieder in die Schlafstube, um ihn über Minchens Ungefährlichkeit zu beruhigen, die etwas geschnarcht hatte.

Eine neue Viertelstunde verging, während deren Frau Julie, von Ungeduld verzehrt, auf dem Bett des furchtwimmernden Gastes saß. Sowie sie den Jungen eingeschlafen glaubte und sich vorsichtig und leise zu erheben begann, schrie er wieder los, und als endlich der Hausherr unwillig herbeieilte und mit etwas barschem Ton dem Ebenbild seiner ersten Liebe gebot, jetzt den Mund zu halten, schlug Fritz in wilder Wuth und Angst mit den Füßen um sich. „Ich will nach Hause – ich will nach Hause – Ihr seid unartig!“ brüllte er; kurz, es bot sich alle Aussicht auf eine recht angenehme Nachtruhe!

„Disciplin!“ sagte Frau Julie nachdrücklich.

Der Hausherr wollte sich so leicht nicht geben. „Ein fünfjähriges Kind!“ meinte er entschuldigend.

„Als Minchen neulich schrie, war sie um drei Jahre jünger!“ gab Julie schnell zurück.

Karl schwieg beschämt.

Das einzige Opiat, welches sich in diesem Fall empfohlen hätte, nämlich eine Tracht Prügel, durfte natürlich ohne schnöde Verletzung des Gastrechts nicht angewendet werden, und so mußte das hofräthliche Ehepaar Geduld üben, bis Fritz sich müde und fast stimmlos geschrieen hatte und in den tiefen, süßen Kinderschlaf versank, in dem auch die greulichsten Unbände sofort wie rosige Engelchen aussehen.

Die Nacht ging übrigens besser hin, als man erwarten durfte. Am andern Morgen erhob sich die Hausfrau zu früher Stunde, um den Kindern in Anbetracht des Waschtages, selbst das Frühstück zu bereiten. Nach dem Grundsatz: „Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken“ … umschlich sie vorsichtig Fritzens Lagerstätte und rief die schulpflichtigen Mädchen zum Aufstehen an. Milly öffnete schlaftrunken die Augen mit der Bemerkung: „Meine Mama hat einen viel hübscheren Schlafrock als Du, Tante!“

„Erst könntest Du ‚Guten Morgen‘ sagen!“ schlug die Hausfrau etwas scharf vor.

Milly starrte sie an.

„Ach!“ sagte sie wegwerfend und legte sich auf die andere Seite.

Anna war indeß tugendhaft aufgestanden und ermahnte den Gast, artig zu sein.

[96]So bin ich nie!“ bemerkte sie weise. Diese Worte hatten einen heftigen Streit zur Folge, in dem Anna bald den kürzern zog und nur den zweifelhaften Vortheil errang, ihren Wortschatz um ein paar recht kräftige Ausdrücke vermehrt zu sehen.

Julie beklagte nur im Stillen, daß ihr Mann nicht anwesend sei, um diese neue Beweisführung mit anzuhören. Sie verließ die Stube, nachdem sie etwas energisch Ruhe geboten hatte, und wollte die Jungen wecken. Diese aber hatten bereits in glückseliger Kampflust die Betten verlassen und schlugen sich jubelnd die Kopfkissen um die Ohren, „aus Spaß!“ wie Kurt der Mutter entgegenschrie, um jeder etwaigen Einmischung erfolgreich zu begegnen. Zum Frühstück erschien auch der Vater, und seine gebietende Persönlichkeit endete einen wilden Kampf, der sich eben zwischen Eduard und Milly um ein bestimmtes, von beiden ersehntes Brötchen entspann.

„Bei uns giebt es früh Kaffee!“ bemerkte Milly mit einem ausdrucksvollen Blick auf ihre Tasse Milch.

„Bei uns nicht!“ sagte der Hofrath, von der Zeitung aufblickend.

„Aber Du trinkst ja welchen, Onkel!“ fuhr Milly fort.

Die Hausfrau goß den Gästen schweigend Kaffee ein und sah ihren Mann an, der sich die größte Zeitungsbeilage vor das erröthende Antlitz hielt.

„Einfach und streng!“ sagte sie halblaut.

„Die Semmel ist ja nicht geschmiert!“ rief Eduard zornig, „ich esse keine trockene Semmel!“

„Es ist hier doch keine Butter, Eduard!“ moralisirte Milly mit einem Anflug von Verachtung gegen die mager besetzte hofräthliche Tafel, „es giebt nicht bei allen Leuten Butter zum Frühstück.“

Die Hausfrau überhörte diesen zarten Wink und belustigte sich heimlich über die erstaunten, offenen Münder ihrer beiden eigenen, die immer erwartungsvoller von den Gästen nach dem Vater sahen, ob es nicht bald „einschlagen“ werde.

Als die Schuljugend abgetrollt war, wurden die beiden Kleinsten besorgt. Fritz hatte sein Heimweh ausgeschlafen und hing sich mit einer ebenso rührenden wie unbequemen Liebe an die Hausfrau, die er bei jedem Schritte mit den Fragen begleitete: „Was machst Du denn da, Tante? was ist denn das, Tante?“

Die Tante bezwang ihre Ungeduld, um im Tone eines Fabelbuches zur Unterhaltung und Belehrung der Jugend dem Knaben ihre Beschäftigungen auseinanderzusetzen, die heute des Waschtages wegen recht mannigfaltiger Natur waren. Um elf Uhr kamen die Schulkinder heim, die leider, des Mittwochs wegen, für den Rest des Tages einer mehr ihnen selbst angenehmen als der Hausfrau erwünschten Freiheit genossen.

„Tante, wir haben Hunger!“ erklärte Eduard schon in der Thür.

„Im Eßzimmer steht Frühstück für Euch,“ bedeutete die Hausfrau.

„Da stehn ja bloß Butterschnitten!“ murrte Eduard, „meine Mama legt uns Wurst und Käse aufs Brot!“

Frau Julie sah ihren Gatten nur lächelnd an.

Sofort ging nun die furchtbare Frage: „Was sollen wir jetzt machen?“ wie ein böser Geist bei den Kindern um. Jedes Spiel verlor nach fünf Minuten seinen Reiz, und der einzige, der Ausdauer entwickelte, war Eduard, dem ein Pfennig aus den Händen gerollt war und der seit einer halben Stunde weinend unter allen Möbeln umher kroch, um den verlornen Schatz wieder zu finden.

Da der Entschwundene ein „neues“ blitzend blankes Geldstück gewesen, erwies sich jeder angebotene Ersatz als unzulänglich, und die Hausfrau verhinderte auch weitere dahingehende Bestrebungen mit den Worten: „Laß ihn doch, da hat er etwas vor!“

Das „Glocke und Hammer“-Spiel, welches inzwischen hervorgesucht worden war, verfing bei den Fremden auch nicht. „Bei uns giebt es immer etwas zum Gewinnen,“ meinte Milly, „um nichts mögen wir nicht spielen!“

Die Hausfrau schwebte in ernstlichster Gefahr, an zurückgetretenen Ohrfeigen zu erkranken, und stimmte bei jeder neuen Ungezogenheit der Gäste immer innerlich an: „Ach, wenn Du wärst mein eigen!“ . . .

Die Stunde des Mittagessens brachte eine gewisse Erlösung insofern, als doch immerhin die Anwesenheit des Vaters etwas hemmend wirkte. Allerdings erklärten die Gäste mit liebenswürdiger Offenheit: „Erbsensuppe essen wir nicht!“ und verlangten Bier oder Wein – indem sie nebenbei erstaunt fragten: „Ach, Ihr trinkt Wasser?!“ – aber immerhin ging der Anfang leidlich vorüber.

Als die süße Speise kam, erwies sie sich zur Beschämung der Hausfrau als nicht ganz ausreichend, und die Mutter selbst verzichtete freiwillig auf ihren Antheil, während Kurt vom Vater durch ein Gebot, desgleichen zu thun, in der Selbstbeherrschung geübt wurde. Er gab auch keinen Ton von sich, aber eine männliche Zähre stahl sich über seine Wange, die von Eduard mit ausgestrecktem Zeigefinger und dem Ruf: „Der weint!“ roh ans Licht der Oeffentlichkeit gezerrt wurde.

Kurt, der auf der Höhe menschlichen Ertragens angelangt war, als er die Speise an sich vorübergehen sah, stürzte, die Heiligkeit des Gastrechtes außer Augen setzend, mit geballten Fäusten auf den Verräther seiner tiefsten Seelenregungen und prügelte ihn, trotz allgemeiner entsetzter Rufe von Vater, Mutter und Geschwistern, weidlich durch, so daß beide junge Herren schließlich als quiekender, zappelnder Knäuel bis an die Thür rollten und durch ein energisches „Hinaus!“ des Vaters gemeinsam Landes verwiesen wurden.

Vor der Thür tobte der Kampf noch ein Weilchen weiter, dann hörte man Eduards wutherstickte Stimme: „Ich bleibe nicht bei Euch!“ und während Kurt dick verweint und zerzaust wieder eintraf, fiel draußen die Flurthür krachend ins Schloß.

„Wo ist Eduard?“ riefen die Anwesenden Kurt entgegen.

„Fortgerannt!“ erwiderte er lakonisch.

„Der Junge wird doch nicht weit laufen?“ meinte die Mutter besorgt.

„Laß ihn nur,“ beruhigte der Vater, „er geht schlimmstenfalls nach Hause!“

„Da ist niemand!“ bemerkte Milly, die schon aus Mitgefühl mit dem Bruder die Lippe bedenklich verschob, „es ist alles zugeschlossen!“

„Ich werde hingehen und ihn wiederholen,“ sagte der Vater ärgerlich, der jede Unterbrechung oder Verzögerung seiner Mittagsruhe aufs tiefste verabscheute, stand vom Tische auf und verließ mit einem kurzen und gereizten: „Gesegnete Mahlzeit!“ das Zimmer.

„Siehst Du!“ wehklagte indeß Milly, zu Kurt gewendet, „Du hast ihn so gehauen, unartiger Junge, Du bist schuld, wenn er sich verläuft! Wenn das meine Mama gewußt hätte,“ setzte sie altklug hinzu, „dann hätte sie uns ganz gewiß nicht hergeschickt.“

„Schade, daß sie es nicht gewußt hat!“ dachte Frau Julie innerlich und hob die Tafel auf.

Inzwischen kam ihr Mann von der nur wenige Häuser entfernten Wohnung des Stabsarzts zurück.

„Da ist der Junge nicht!“ sagte er etwas bekümmert, „aber er wird schon wieder kommen; solch ein achtjähriger Schlingel geht nicht verloren! Komme jetzt, Julie, wir wollen Mittagsruhe halten.“

„Nein, Karl!“ sagte Julie mit Entschiedenheit, „das kann ich nicht! Die Kinder sind mir anvertraut, und wenn eines derselben fortgelaufen ist, so muß es sich erst wieder finden, eher kann ich unmöglich Ruhe haben!“

Es begann nun eine angstvolle Treibjagd auf den verschollenen Eduard. Sein Name wurde in allen Tönen und Tonarten „zum Skandal“ die Straße herabgerufen, alle Nachbarhäuser wurden durchforscht, selbst die Schule, obwohl Eduard diese gern mied, mußte sich eine Haussuchung gefallen lassen – der Junge war weg!

Frau Julien brach nun wirklich der Angstschweiß aus. Ihr Sohn hatte den Entlaufenen geprügelt und schreckliche Bilder tauchten vor ihrer Seele auf. Die Ueberanstrengung des ganzen Tages, verbunden mit dieser Sorge, hatte den höchst ungewöhnlichen Erfolg, daß die Hausfrau plötzlich in heißen Thränen zerfloß und dadurch so deprimirend auf ihre Umgebung wirkte, daß die großen Kinder auch anfingen zu weinen – Kurt am geräuschvollsten, da er sich als Urheber des Unheils ansehen mußte. – Wenn man bedenkt, daß Eduards natürliche Eigenthümerin während dieser Zeit seelensfroh mit ihrem Gatten und mehreren guten Bekannten eine Vergnügungspartie machte, so wird man zugeben, daß die Aufgaben in diesem Falle etwas ungerecht vertheilt schienen.

Die Dienstmädchen, welche stets einen gewissen Wonnegrusel fühlen, sobald ein Unheil in der Luft schwebt, umkreisten wie drohende, krächzende Raben das Haupt der armen Hausfrau und erzählten Anekdoten aus ihrer Vergangenheit, wo Jungen, die sich verlaufen hatten, auf entsetzliche Weise zugerichtet oder gar nicht wieder gekommen waren.

[97]

Unwiderstehlich. Nach dem Oelgemälde von E. Daelen.
Photographie im Verlag von Franz Hanfstängl in München.

[98] Der Hausherr beruhigte seine Nerven durch eine Tracht Prügel, die er an Kurt verabfolgte, der, ohnehin tief gebeugt, sich nun in eine wahre Dachtraufe verwandelte und vor Schluchzen nicht mehr hörte und sah.

Die beiden einzigen, die an dem allgemeinen Jammer nicht theilnahmen, waren Fritz und Minchen, die in unheimlicher Artigkeit still zusammen am Boden saßen, bis eine düstere Ahnung die Mutter zum Hinsehen trieb, wo sich denn ergab, daß beide dem Sport huldigten, sich Kurts „türkische Bohnen“ langsam und sorgfältig in Nasen und Ohren zu stecken, ein Spiel, welches nie aufhört, seinen unerklärlichen Zauber auf kleine Kinder auszuüben.

Inzwischen begann der Abend hereinzudämmern, und die Lage wurde wirklich kritisch. Kurt verschaffte der betrübten und verwirrten Familie noch eine neue Aufregung, indem er aus der Ecke, wo er seinen Kummer nach Kinderart rasch ausgeweint hatte, plötzlich hocherfreut rief: „Da ist er ja!“ und bei der allgemeinen Sorge für den Augenblick jedem eine Bergeslast vom Herzen wälzte.

„Wo denn?“ schrie alles durcheinander.

„Hier!“ sagte Kurt strahlend, „Eduards blanker Pfennig!“

Die Enttäuschung wirkte wirklich zerschmetternd auf alle Anwesenden, da jeder sich im Augenblick von der allerdings unwahrscheinlichen Annahme hatte blenden lassen, daß der vermißte Eduard, seinem Pfennig gleich, unter einen Schrank gekollert sein könnte.

Der Vater, in welchem jetzt auch die Angst um den anvertrauten Eduard mehr und mehr zu steigen anfing, begab sich inzwischen auf die Polizei, um die obrigkeitlichen Mächte zur Herbeischaffung des Verlorenen aufzubieten. Jeder kleine Junge, dem er unterwegs begegnete, wurde hoffnungsvoll von ihm fixirt, und kein Anblick der Welt hätte ihm in diesem Augenblick erfreulicher sein können als Eduards Straßenjungengesicht. Aber „nicht in dem Wald, nicht auf der Flur fand sich von Eduard eine Spur“, und der Vater kehrte, gebrochen an Leib und Seele, von Angst und Aerger zerwühlt, nach Hause zurück.

Hier waren inzwischen, als unheimliches Symptom der hereinbrechenden Dunkelheit, die Lampen gebracht worden, und die Mutter machte den Vorschlag, zu Abend zu essen und zu Bett zu gehen, der von den Kindern erfreut angenommen wurde, mit Ausnahme von Milly, deren Schwesterherz blutete, und die unter krampfhaftem Schluchzen erklärte, „die ganze Nacht aufbleiben zu wollen!“

Die Hausfrau ging, Kurt an der Hand, der im Verdachte stand, den abendlichen Reinigungsprozeß manchmal etwas oberflächlich zu behandeln, nach dem Schlafzimmer des Jungen, welches neben dem für die kleinen Gäste bestimmten Raum lag.

O Wunder – aus diesem Logirzimmer ertönten sanfte, gleichmäßige Athemzüge! Frau Julie stürzte, die Lampe in der Hand, hinein und riß die Decke von dem einen Bett – da lag der gesuchte Eduard – wie ein dickes, unordentliches Kleiderbündel, eine Faust noch zum Angriff oder zur Vertheidigung geballt, und schlief, als wenn er nie mehr etwas anderes zu thun gedächte. Die Mutter traute zuerst ihren Augen nicht, rüttelte dann aber etwas unsanft den schmerzlich Vermißten, der sich langsam ermunterte, verwundert umhersah und sich dann allmählich aufrichtete.

Kurts lautes Geschrei der Verwunderung und Freude lockte nun alle Mitglieder der Familie herbei, und der Vater, der eben von der Polizei kam, war über die friedliche Lösung des Knotens von den widerstreitendsten Empfindungen zerrissen, da er einerseits sehr froh war, daß der Schlingel da – andererseits empört, daß er – der Vater – so unnütz abgejagt worden sei.

Auf scharfes und strenges Inquiriren nebst angedrohten Ohrfeigen beichtete dann Eduard, daß er in der Absicht, seine Gastfreunde zu erschrecken – die ihm ja auch vortrefflich gelungen war! – die Flurthür aufgemacht und von innen wieder zugeschlagen habe, um den Glauben zu erwecken, er habe das Weite gesucht. Dann hatte er sich heulend einfach in sein Bett versteckt, war eingeschlafen und hatte den durch ihn entfachten Sturm der Außenwelt an sich vorüber brausen lassen, ohne auch nur etwas davon zu hören.

Ob bei dieser Wendung des Gespräches nicht doch ein gewaltsamer Eingriff seitens des entrüsteten Hausherrn erfolgt wäre, muß ewig dahingestellt bleiben, denn in dem Augenblick, wo sich die väterliche Hand – entschieden nicht zum Segnen – erhob, tönte an der Thür die Stimme der Köchin, die halb erfreut, halb enttäuscht über den zahmen Verlauf der Sache die Meldung machte: „Eine Empfehlung von der Frau Stabsarzt, und sie läßt um die Kinder bitten – die Herrschaften wären eben zurückgekommen!“

Mit nicht allzu schmeichelhafter, freudiger Eile wurde diese Bitte gewährt, die Kinder des Hauses, welche sich schon lange genug „besucht“ fanden, schleppten mit ungewöhnlichem Diensteifer Mäntel und Hüte der kleinen Gäste herbei. Fritz stürzte glückselig in die Arme seiner Johanne, die ihn nach Hause tragen mußte, was die Hausfrau „recht unnöthig“ fand, und Eduard und Milly waren auch schnell zum Fortgehen gerüstet.

Fritz gab den allgemeinen Gefühlen beim Abschied erschöpfenden Ausdruck, indem er mit biederer Offenheit sagte: „Bei Euch war’s nicht hübsch – wir kommen nie mehr zu Euch!“ was der Hausfrau ein stilles Dankgebet entlockte.

Als die wilde Schar abgezogen war, Eduard durch den Wiederbesitz des Pfennigs gänzlich in sein geistiges Gleichgewicht gebracht und die „eignen Kinder“ wieder ruhig schlafend in ihren Bettchen lagen, sah die Hausfrau ihrem Mann lachend ins Gesicht. „Nun Karl? tauschest Du mit den Kindern Deiner Jugendliebe?“

„Nein!“ sagte der Hausherr aus tiefster Seele, „wenn ich mir denke, daß das hätten meine sein können, da wird mir schwarz vor Augen!“

Das freundschaftliche Verhältniß zwischen den beiden Familien erlitt von diesem Tage an eine segensreiche Abkühlung, die Stabsarztskinder hatten schauerliche Berichte von den Mißhandlungen und Entbehrungen geliefert, die sie bei Hofraths hatten erdulden müssen, und die Hofräthin auf einige spitze Reden Frau Marthas über diesen Punkt entsprechend scharf erwidert – so war die Sache nicht wieder ins alte Geleis zu bringen.

Zum Glück hatte der vierundzwanzigstündige Besitz der Stabsarztskinder den Hofrath derartig ernüchtert, daß er kein Verlangen trug, die alten Beziehungen wieder in das zarte Stadium zu bringen, und seine Frau konnte sich von dem Tage an mit Befriedigung sagen, daß die letzte Liebe in ihrem Fall doch dauerhafter war – als die erste!




Blätter und Blüthen.

Franz Xaver Gabelsberger. Unsere Zeit, die so wenig Zeit hat, sie hat sich auch die Mittel geschaffen, Zeit zu gewinnen. Tagereisen unserer Väter legt sie im dampfbeflügelten Bahnzug in wenig Stunden zurück, mit der Geschwindigkeit des Blitzes trägt sie im elektrischen Draht die Worte von einem Ende der Erde zum andern, ja selbst den geringen Zeitverlust, der mit dem Schreiben, Aufgeben, Ausfertigen und Bestellen eines Telegramms verbunden ist, erspart sie noch und redet von Mund zu Mund durch den Fernsprecher, das Telephon. Und wie umständlich, wie zeitraubend das Entwerfen eines Briefes, eines Berichts in der landesüblichen Kurrentschrift! Wir machen es kürzer, wir stenographiren! Die Stenographie ist ein rechtes Kind der Gegenwart, entsprungen aus den Bedürfnissen des parlamentarischen Systems, wie es seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts in unseren deutschen Staatsverfassungen allmählich zur Geltung kam; genährt von dem Geist der Eile und Hast, des Strebens nach möglichster Ersparniß an Zeit und Raum, an geistiger und körperlicher Kraft, hat sich die Stenographie zu einer der bedeutsamsten Erscheinungen unseres Jahrhunderts gestaltet. Der Mann, den man unbeschadet der Rechte früherer Geschwindschreiber, von dem alten Tiro an, der Ciceros „Quousque tandem“ mit wenigen Haken schrieb, als den Erfinder der Stenographie bezeichnen kann, Franz Xaver Gabelsberger, ist gerade vor hundert Jahren, am 9. Februar 1789, zu München geboren.

Es war um das Jahr 1817. Da sitzt der etwas kränkliche bayerische Kanzlist in seinen Freistunden beim Schein der Lampe und macht sich ein System von Schriftzeichen zurecht, bequem, leichtfließend, um in den Sitzungen des bayerischen Ministeriums den Vorträgen der Redner mit dem Nachschreiben besser folgen zu können.

Die Schaffung einer bayerischen Ständeversammlung giebt ihm die erste Gelegenheit, seine Erfindung auch öffentlich zu erproben; welch ein Siegeszug von da bis heute, wo in 50 deutschen und außerdeutschen Parlamenten die Reden der Volksvertreter ausschließlich oder doch theilweise nach seinem System festgehalten werden, wo über 500 Gabelsberger Stenographenvereine mit rund 15 000 Mitgliedern bestehen und Hunderttausende außerhalb derselben sich der nützlichen Schriftzeichen bedienen, ja, wo sogar eine förmliche Akademie, das k. sächsische stenographische Institut in Dresden, sich die Pflege der Gabelsbergerschen Stenographie zur Aufgabe gemacht hat! Man kann den Geist der Zeit, von welchem die Stenographie ein äußeres Anzeichen ist, beklagen, man kann sich zurücksehnen nach den [99] schönen Zeiten, da man noch langsamer, bedächtiger, gemüthlicher lebte und schrieb – trotzdem wird man dem genialen Erfinder der Gabelsbergerschen Stenographie an seinem hundertjährigen Geburtstage den Zoll ehrenvollen Gedächtnisses nicht versagen dürfen. S.

Aus einer altdeutschen Stadt. (Mit Illustration S. 89.) „Die statt im Teütschen land seind gemeinlichen wol bewart von natur oder kunst, denn sie seind fast zu den tiefern wässern gesetzt, oder an die berg gegrundfestet, vnd die auff der freyen ebene ligen, seind mit starcken mauren, mit gräben, bollwercken, thürmen, schütten, vnd anderen gewehr umbfaßt, das man jnen nit bald kan zu kommen“; also schreibt Sebastian Münster in seiner Kosmography vom Jahre 1567, S. 465[WS 1] und zeichnet mit diesen wenigen Worten ein getreues Bild der altdeutschen Stadt, wie sie ihm und seinen Zeitgenossen entgegentrat und wie sie sich in einzelnen wenigen Fällen mehr oder minder verändert bis auf unsere Tage herab erhalten hat.

Um die altdeutsche Stadt richtig zu verstehen, müssen wir vor allem eingedenk sein, daß sie in der Hauptsache eine vergrößerte Burg ist. Nähern wir uns einer solchen, so stoßen wir zuvörderst auf die Letzen, d. h. die äußersten Vertheidigungswerke und Mauern, hinter denen der gedeckte Gang in die Thore des Vorwerkes führt. Die äußeren Thore werden durch die Ziegeln, die eigentliche äußere Mauer mit ihren Wachhäusern, mit einander verbunden. Der zweite gedeckte Gang hinter der äußeren Mauer hieß der Zwinger, war von Wirthschaftsgebäuden umgeben, diente als Turnierplatz und führte wieder zu einem Thore. Hinter dem Zwinger erhob sich die dritte innere eigentliche Hauptmauer und hier stand neben dem Hauptwartthurm oder Bercfrit der Palas, das Wohnhaus der Männer. Ueber die Gräben, mochten sie trockene oder von Wasser ausgefüllte sein, führten Zugbrücken und aus den Thürmen sprangen dort und da von Sparrenköpfen gestützte Erker vor, deren Boden man ausheben konnte, um den Feind mit Steinen, siedendem Wasser und Pech und Unrath zu überschütten. Natürlich durfte auch der Brunnen nicht fehlen; er besaß in den meisten Fällen ein Schöpfwerk: „so ein eimber begunde in gân, der ander ûz gie“.

Sehen wir uns nun in der meist in der Ebene gelagerten Stadt um, so finden wir die wenigen Häuser der Burg in vermehrter Anzahl, schmal, tief, mit einfachen oder Treppengiebeln massenweise an einander geschoben. Dem Palas entspricht etwa das Rathhaus, der Burgkapelle entsprechen die hochemporstrebenden Kirchen. Die Befestigungen sind wesentlich dieselben, nur weiter ausgebreitet und mit mehr Thürmen versehen und der innere Burghof wird zum luftigen Marktplatz.

Unser Künstler, der bayerische Hofmaler Ferd. Knab in München, 12. Juni 1834 zu Würzburg geboren, war erst Konditorlehrling, dann zwei Jahre Schüler des Architekten C. Heideloff in Nürnberg und lebt seit Ende der fünfziger Jahre der Architektur- und Landschaftsmalerei. Besonderen Reiz haben für ihn die Stilformen der Spätrenaissance, welche er auch in unserem Bilde zur Anschauung brachte.

Auch eine Königin. Der Fasching ist für den fröhlichen Rheinländer die Brausezeit, wo die sonst in dem festen Gefüge der gesellschaftlichen Ordnung gebannten Geister losgelassen werden zu fröhlichem Thun. Den Reigen eröffnen in dem „heiligen“ Köln die sogenannten Dreikönigs-Maskenbälle; den Patronen des Tages zu Ehren sind hier selbstverständlich Könige in allen Hautschattirungen, den König aus Kamerun nicht ausgenommen, zahlreich vertreten; noch fehlt es aber an einer Königin. Da wird bei den Klängen der Festpolonaise ein kunstvoll verzierter Kuchen, der Königskuchen, hereingebracht und vor den Augen der Gäste in lauter kleine mundgerechte Stückchen zerschnitten, jeder Tänzer führt seine Dame an dem süßen Backwerk vorbei, von dem dieselbe ein Stückchen erhält, das sofort hastig in dem kleinen Mündchen verschwindet – gilt’s doch zu prüfen, ob nicht etwa ein kleiner länglichrunder Gegenstand darin befindlich – eine besonders gekennzeichnete Bohne. Denn diese ist’s, deren Besitz der glücklichen Finderin die Würde der Königin des Festabends verleiht. Unter allgemeinem Jubel der bunt maskirten Schar wird ihr eine goldene Krone auf das Haupt gedrückt und ein besonderer Thronsitz angewiesen, auch steht ihr das Recht des Vortanzes zu. Goldene Geschmeide, mitunter von hohem Werth, bilden ein bleibendes Andenken für die „Bohnenkönigin“.

Um die Erde auf dem Zweirad. Eine Reise um die Erde ist heute keine Seltenheit mehr. Leute, die Geld und Zeit in Ueberfluß haben, pflegen sie zur Zerstreuung zu unternehmen. Man kann auch auf den großen Dampfern und den Blitzzügen, welche Amerika und Europa durcheilen, ganz bequem reisen. Um eine solche Fahrt handelt es sich in dem Werke, das uns vorliegt, nicht; in dem zweibändigen mit vielen Illustrationen geschmückten Buche „Um die Erde auf dem Zweirad“, das bei Ferdinand Hirt und Sohn in Leipzig erschienen ist, wird uns nach dem englischen Original[WS 2] die seltsame Fahrt geschildert, welche der Amerikaner Thomas Stevens vor einigen Jahren gemacht hat. Er war am 22. April 1884 von San Francisko aufgebrochen und kam am 17. Dezember 1886 in Yokohama an, wo er sich nach Amerika einschiffte. Die Wegstrecke, die er dabei thatsächlich auf dem Stahlrad zurückgelegt hat, wird auf etwa 21 600 Kilometer geschätzt. Diese gewiß an und für sich außerordentliche Leistung wird noch durch die Gefahren erhöht, denen der kühne „Reiter“ ausgesetzt war und die er glücklich zu überwinden wußte. Die Reise quer durch die Vereinigten Staaten und der Ritt durch Europa bis nach Konstantinopel sind im großen und ganzen als eine rein touristische Leistung zu betrachten. Als ein Bravourstück ist aber der weitere Ritt anzusehen. Durch Kleinasien und Persien ist Stevens bis zu den Grenzen von Afghanistan vorgedrungen, mußte jedoch hier umkehren und kam über den Suezkanal nach Karatschi, von wo er seinen „Ritt“ quer durch Indien bis Kalkutta unternahm. China bereiste er in einem weiten Bogen auf der Strecke von Kanton bis Shanghai. Das Staunen, mit welchem der Anblick des Stahlrosses die Völker des Orients erfüllte, und die Bewunderung, die man dem merkwürdigen Reiter zollte, waren die besten Bundesgenossen Stevens’. Trotzdem schwebte er oft in Lebensgefahr und sein amerikanischer Helm schützte seinen Kopf vor wuchtigen Hieben, die gegen ihn geführt wurden.

Stevens zeichnet sich aber auch durch eine gute Beobachtungsgabe aus und seine Reisebeschreibung gewinnt dadurch einen höheren Werth. Wir erhalten in dem Werke nicht allein die Schilderung eines Bravourstückchens, wie es bis jetzt von keinem anderen Touristen oder Radfahrer ausgeführt wurde, sondern auch eine Fülle belehrender, den Blick erweiternder Notizen. Völker und Länder gleiten kaleidoskopisch an uns vorüber und zwar in einer Beleuchtung, wie sie noch von keinem anderen Reisenden gegeben werden konnte. Darum fand das Werk nicht allein in Radfahrerkreisen lebhaften Beifall, in gewissem Sinne ist es auch eine Schrift, welche die reifere Jugend mit Nutzen lesen kann. *

Wanderungen eines Meteoriten. An den Ufern des Baches Bendengo, der die brasilianische Provinz Bahia durchströmt, wurde im Jahre 1784 einer der größten Meteorsteine der – Erde von einem Kuhhirten entdeckt. Gelehrte Reisende hatten den Meteoriten besucht und Stücke von ihm abgeschlagen, die chemisch untersucht wurden oder als Raritäten in Museen wanderten. Berlin, München, Wien und London sind mit Theilchen des großen Himmelskörpers versorgt worden. Man sollte denken, daß der Meteorit, nachdem er einmal auf die Erde herabgefallen war, seine Wanderungen endgültig beschloß und am Bache von Bendengo ruhen würde, bis ihn der Rost gefressen. Aber die Menschen ließen ihn nicht ruhen. Zunächst vermuthete man, daß in dem himmlischen Steine Silber enthalten sei, und wollte ihn nach der Stadt Bahia bringen. Vierzig Ochsen wurden vorgespannt, aber man brachte den Koloß nur 150 Schritt vorwärts. Neuerdings aber wurde er dennoch in das Nationalmuseum von Rio de Janeiro gebracht. Er wiegt gegenwärtig noch 5343 Kilogramm. Silber enthält er nicht, sondern 91,90% Eisen, 5,70% Nickel etc.

So hat der Meteorstein seine Geschichte, aber welche Wanderungen er in den Himmelsräumen durchgemacht und wann er zur Erde gefallen, darüber fehlt jedwede Auskunft. *

Heimathstätte für Heimathlose. (Mit Illustration S. 100.) Wir gehen über die Heide von Sylt – die Insel ist so still und man muß sagen öde wie nur immer möglich – hie und da weiden Schafe auf den mageren Triften, Schwalben und Lerchen fliegen auf und Möven schweben mit dem Klagegeschrei eines kleinen Kindes sturmverkündend über dem Rothen Kliff – unten, am Fuß desselben donnert die Brandung, die Nordsee verschlingt brüllend den großartigen Strand mitsammt den kleinen Festungen, welche die Badegäste aus dem weißen Sande aufzuführen pflegen – Strandgüter aller Art, die Hummerkisten der englischen Fischer, zerbrochene Planken und Ruder, Rammpfähle und Rettungsbojen, Tonnen und Flaschenposten aus dem Atlantischen Meere, buntbemalte Gallionbilder, todte Tümmler werden von der Fluth ans Land geworfen, wieder verschlungen und wieder ausgeworfen. Da seht! Auch der Leichnam eines Menschen kommt angeschwommen – der Mann hat lange mit den Wellen gekämpft, man erkennt es an den krampfhaft geballten Fäusten, an den angstvoll zusammengezogenen Lippen; endlich ist er dem übermächtigen Element erlegen – die gewaltige Fluth hat ihn geknickt wie einen Strohhalm – jetzt ist er gelandet, aber todt.

Wie heißt er? Woher ist er? Wohin fuhr er? – niemand weiß es. Er wird aufgelesen und auf dem kleinen Friedhof von Westerland, der den obigen Namen trägt, begraben, heimathlos, namenlos.

Nichts steht auf dem hölzernen Kreuzlein als eine Nummer, und der Tag und der Ort, an dem ein Mensch ertrunken gefunden ward:

I.
Den 3. Oktober 1855.
W. St.

Oder:

XIV.
Den 26. November 1863.
R. St. –

Es erinnert das an die Katakomben der Jesuiten, deren Persönlichkeit und Name in ihrem Orden gleichfalls untergeht und die im Gedächtniß der Nachwelt nur als Pater I und Pater II fortleben.

W. St. ist Westerland Strand; R. St. ist Rantum Strand – der westerländer Friedhof dient nur für die in Westerland und Rantum angetriebenen Leichen, während List, am Nordende der Insel, seit dreiundzwanzig Jahren seinen eigenen Friedhof für Schiffbrüchige hat und in Keitum für dieselben eine besondere Abtheilung auf dem allgemeinen Friedhofe besteht. Jede Sylter Gemeinde hält in einem Häuschen beständig einen Sarg in Bereitschaft, in welchem die Verunglückten gebettet und auf eine jener drei Heimathstätten übergeführt werden.

Bis vor drei Jahrzehnten verfuhr man auf Sylt anders. Es war Sitte, die angetriebenen Leichen in den Dünen zu verscharren, nicht bloß ohne Sarg, sondern auch ohne Sang, wie die Leute dort sagen, das heißt: ohne Predigt und religiöse Ceremonie. – Erst in dem oben angegebenen Jahre 1855 ummauerten die Westerländer das Plätzchen hinter den Dünen mit aufgeworfener Erde und bestimmten es zu einer Heimathstätte für Heimathlose. Neununddreißig Heimathlose, also mehr als einer auf das Jahr, hatten bis zum vergangenen Sommer hier eine Heimathstätte gefunden, die auf den beiden andern, jüngeren Friedhöfen Beerdigten nicht gerechnet – sanft ruhen sie, vom Rauschen des Meeres eingewiegt, alle ihre Kreuzchen sind bekränzt, und Schiffchen, aus Binsen geflochten, schwanken als harmlose Angedenken auf den Gräbern.

Zwei Jahre nach Ummauerung des Friedhofes, im Jahre 1857, wurde, auf Anregung eines Altonaer Arztes, das Seebad von Westerland eröffnet; und seitdem ist die Insel Sylt ein Lieblingsruheplatz, eine Heimstätte des Friedens auch für die Lebendigen. Tausend kranke, überreizte Menschenkinder zieht es im Sommer nach diesem äußersten Fleckchen deutscher Erde; Badegäste aller Stände und jeden Alters legen den langen Weg durch Schleswig-Holstein oder den geraden Weg von Hamburg über Helgoland und Föhr zurück, um ein paar Wochen in dieser [100] weltfernen Einsamkeit zu ruhen, des Morgens mit den Wellen zu kämpfen und dann in dem weichen Dünensande gleich müden Schiffern ausgestreckt zu schlummern oder den würzigen Duft der rothen Heide und den feuchten köstlichen Hauch, den die weite See aus jeder Woge über die Insel entsendet, zu athmen.

Carmen Sylvas Denkstein auf dem Friedhofe der Heimathlosen zu Westerland auf Sylt.
Nach einer Photographie von P. E. Nickelsen, Westerland auf Sylt.

Der Sommer 1888 führte auch Rumäniens Königin nach dem Seebad von Westerland, die begnadete Dichterin Carmen Sylva, auf deren edles Gemüth der eigenartige Friedhof der Heimathlosen einen tiefen Eindruck übte. Fast täglich führte ihr Weg sie zu der stillen Heimstätte der namenlosen Opfer des Meeres und mit den schönsten Blumen schmückte sie die Gräber. Aber nicht allein bei den Todten weilten ihre Gedanken; die stillen Schläfer hatten für immer Frieden gefunden, ihnen war wohl; wo aber weilten und weinten die Eltern, die Frauen, die Kinder der im Kampfe mit den Stürmen und Wogen des Meeres Unterlegenen? Das dichterische Gemüth der Königin malte ergreifende Bilder, und sie folgte einer schönen edlen Regung, als sie beschloß, ihrer Theilnahme für die Angehörigen der Todten durch ein sichtbares Zeichen Ausdruck zu geben. Sie wählte hierfür einen einfachen Gedenkstein, einen mächtigen, unbehauenen, grauen Granitblock, der bald nach ihrer Abreise eingeweiht wurde. Einfach ist die Zueignung der Königin: „In Gedanken an die fernen Witwen und Waisen gewidmet von Carmen Sylva. Westerland, den 17. August 1888“, und in schlichter Weise wurde dieselbe in das Fundament des Steines eingemauert. Kein äußeres Schriftzeichen verräth die hohe Stifterin, zieht von der Theilnahme für die Todten ab, an welche die ernste vom Hofprediger Dr. Kögel verfaßte Inschrift gemahnt:

„Wir sind ein Volk, vom Strom der Zeit
Gespült zum Erdeneiland
Voll Unfall und voll Herzeleid,
Bis heim uns holt der Heiland.
Das Vaterhaus ist immer nah,
Wie wechselnd auch die Lose –
Es ist das Kreuz von Golgatha
Heimath für Heimathlose.“

Die Liebe hört nicht auf! Auch der Denkstein auf dem einsamen Friedhofe von Sylt giebt Zeugniß davon.

Der Lohn eines Erfinders. Nach den napoleonischen Kriegen hob sich der Straßenbau, welchen Napoleon mit umfassend praktischem Blicke bereits in allen seinen Kriegswirren außerordentlich gefördert hatte, auf dem europäischen Festlande und in England an Ausdehnung und technischer Vervollkommnung auf eine außerordentliche Höhe. Der Engländer Mac Adam erfand oder vielmehr übertrug aus seinen in China gemachten Erfahrungen auf die europäischen Verhältnisse die nach ihm benannte und allgemein eingeführte Methode, das Macadamisiren, und theilte dieselbe, nach Europa zurückgekehrt, 1812 der englischen Regierung mit. Aus Dankbarkeit wurde ihm hierfür seitens des englischen Parlaments eine nach damaligem Geldwerth glänzende Nationalbelohnung von 12 000 Pfund Sterling zuerkannt.

Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 1 auf S. 68:

Da der Spieler nach Inhalt der Aufgabe schon in den ersten 4 Stichen sein Spiel mit Schneider verliert, so ist aus diesen 4 Stichen auch leicht zu ersehen, daß der Spieler in Mittelhand sitzt und Eichel-Solo spielt. Es folgt aber auch weiter daraus, daß Vorhand kein r, die Hinterhand aber kein s und die g7 blank hat, und außerdem 6 r und drei Trümpfe, also außer eD und sW noch ein kleines e besitzen muß. Hieraus ergiebt sich folgende Kartenvertheilung: Skat eK, g8.

Spieler in Mittelhand: eW, gW, rW, eO, e8, e7, gD, rD, sD, s7.
Vorhand: eZ, gZ, gK, gO, g9, sZ, sK, sO, s9, s8.
Hinterhand: sW, eD, e9, rZ, rK, rO, r9, r8, r7, g7.

Es war übrigens sehr richtig, daß Hinterhand im 2. Stich energisch mit rZ vorgeht und im 3. Stich, nachdem das Spiel bereits gewonnen war, nicht etwa eine Mittelkarte wimmelt, sondern durch das Werfen der g7 dem Genossen einen bedeutsamen Wink giebt, wodurch dann die Niederlage des Spielers mit Schneider herbeigeführt wird.




Kleiner Briefkasten.

(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

K. T. in B. Mit Vergnügen haben wir in Ihrer Zuschrift gelesen, daß Fritz Martins Bild „Königin Luise mit den Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm“ in Ihren Kreisen Gefallen erregt hat. Da Sie sich näher dafür interessiren, so theilen wir Ihnen noch mit, daß der Künstler bemüht war, ein Bild der Königin Luise zu schaffen, wie sie wirklich war. Er hat sich zu diesem Zwecke an dasjenige Porträt der hohen Frau gehalten, das nach dem Ausspruche des Sohnes, Kaiser Wilhelms I., das ähnlichste ist, nämlich das im k. Schlosse zu Berlin befindliche Porträt von Grassi, außerdem an die vorhandene Todtenmaske. Ebenso sind die beiden Prinzen nach gleichzeitigen Zeichnungen gebildet. Auch der Schreibtisch ist historisch. Er ist heute noch im Hohenzollernmuseum zu Berlin zu sehen.

Abonnentin in Algoa Bay (Südafrika). Prinz Georg von Preußen ist geboren am 12. Februar 1826.

K. V. S. Wir empfehlen, wie allgemein bekannt ist, keine Geheimmittel.

Heinrich K. in Mannheim. Wenden Sie sich gefl. an den Bezirksfeldwebel, der Ihnen die beste Auskunft geben kann.

Dr. Perrot in Mainz. Wir haben in dem Beitrage „Eine Eisenbahnreise im Jahre 1893“ in Nr. 30 des vorigen Jahrganges lediglich eine allgemeinverständliche Plauderei über die vorgeschlagene Reform des Eisenbahnwesens und den sogenannten „Zonentarif“ gebracht, nach den Darlegungen des Engelschen Buches; aber wir haben uns nicht mit der Frage beschäftigt, wem die Priorität dieser Vorschläge gebührt, und können darauf auch nicht eingehen. Wenn Sie dieselbe für sich in Anspruch nehmen, so liegt es uns fern, Ihnen das Recht dazu zu bestreiten; eine Polemik über diesen Gegenstand gehört aber nicht in unser Familienblatt, sondern in eine Fachzeitschrift.

Dr. O. B. in Frankfurt a. M. Wir bitten um gefl. Angabe Ihrer näheren Adresse, damit wir Ihnen brieflich antworten können.


Inhalt: Lore von Tollen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 85. – Faschingslust. Illustration. S. 85. – Hausgymnastik für Mädchen und Frauen. Von C. Falkenhorst. S. 91. Mit Abbildungen S. 92. – Hermann Wißmann. Mit Porträt. S. 93. – Anvertraute Kinder. Skizze aus dem Familienleben von Hans Arnold. S. 94. – Unwiderstehlich. Illustration. S. 97. – Blätter und Blüthen: Franz Xaver Gabelsberger. S. 98. – Aus einer altdeutschen Stadt. S. 99. Mit Illustration S. 89. – Auch eine Königin. S. 99. – Um die Erde auf dem Zweirad. S. 99. – Wanderungen eines Meteoriten. S. 99. – Heimathstätte für Heimathlose. S. 99. Mit Illustration S. 100. – Der Lohn eines Erfinders. S. 100. – Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 1 auf S. 68. S. 100. – Kleiner Briefkasten. S. 100.


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Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Digitalisat der BSB München (die Stelle beginnt in der sechsten Zeile von unten)
  2. Around the World on a Bicycle (London 1887–1888) Band 1 Internet Archive, Band 2 Internet Archive