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Die Gartenlaube (1893)/Heft 14

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1893
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[221]

Nr. 14.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
1.

In dem Gartensaale im Flügel des pfalzgräflich Birkenfeldschen Schlosses waren die Glasthüren weit geöffnet. Draußen auf dem großen Kiesplatz, den hohe glattgeschnittene Taxushecken gleich Wänden einfriedigten, lag eine milde Septembersonne. Eben knirschte der Sand unter dem kräftigen Tritte eines hochgewachsenen Herrn; dieser kam quer über den sonnigen Platz und betrat über die flache Treppe von wenigen muschelförmig weit geschwungenen Stufen den Gartensaal, als ob er rasch hindurch wollte. Er stockte aber, sah sich um und wieder um und zog dann die geraden Brauen mit einem belustigten Frageblick in die Höhe.

„Was giebt’s denn hier Wendel?“ sagte er zu dem ältlichen Manne in dunkler Hausoffiziantenlivree, der eben die Einrichtung des Raumes vollendet zu haben schien.

Der Haushofmeister der Pfalzgräflichen Hoheit kam mit devotem Dienerschritt heran, um dem Kavalier Rede zu stehen. Er schien es nicht ungern zu thun: das schöne, heitere, vornehm sorglose Antlitz des jungen Herrn mit dem gutmüthig spöttischen Zug unter dem dunklen Bärtchen verrieth einen Mann von der Art, der das Vertrauen und die Ergebenheit der Dienerschaft gewiß niemals zu fehlen pflegt.

„Die Frau Obersthofmeisterin hält die Lesestunde,“ erklärte Herr Wendel und machte eine Pause, während die Blicke beider noch einmal über die beiden halbkreisförmigen Doppelreihen der weißen geschweiften Sessel mit den etwas verblichenen Seidenbezügen flogen. Aber auch Tische waren in gewissen Abständen zwischen die Sessel vertheilt, und auf diesen Tischen standen Körbchen mit Garnknäueln und lag allerlei weibliches Handarbeitsgeräth. Neben demjenigen Armstuhl, welcher eine Art Ehrenplatz oben in der Mitte zwischen den Sesselreihen einnahm, lag auf einem Tische ein großes Buch, schwarz gebunden und von ehrwürdiger Dickleibigkeit. Der jüngere Herr hatte, wie gesagt, diese ganze Einrichtung überflogen mit dem scharfen Auge, in dessen Tiefe dabei ein Funken lustigen Spottes glomm. Auch der etwas erhöhte Platz war ihm dabei nicht entgangen, hinter dem Sitze der Vorleserin, und auf ihm der tiefere, größere, weiß und goldene Sessel, dessen Schnörkellehne oben die Pfalzgrafenkrone trug.

Vogelkantate.
Nach einem Gemälde von P. Meyerheim.

[222] „Ja, die Frau Obersthofmeisterin halten heute wieder die Lesestunde,“ sagte Wendel noch einmal. „Sehr erbaulich, Herr von Nievern. Ein paarmal schon haben Hoheit die Frau Pfalzgräfin geruht, eine Weile zuzuhören. Wie Sie bemerken, muß immer ein Sessel für sie gesetzt werden.“

„Ja, den Sessel sehe ich,“ meinte Herr von Nievern trocken.

„Es geht aber sonst ganz zwanglos, ganz – wie soll ich nur sagen? – nun, ganz familiär zu,“ redete der alte Hausoffiziant weiter. „Die Frau Pfalzgräfin wünscht, daß die Damen sich unter sich und wie zu Hause fühlen ... sie bringen ja auch, was die Verheiratheten silld, ihre Kinder, will sagen die jungen gnädigen Herrschaften mit. Drinnen im grünen Sälchen wird ein goûter serviert ... die jungen Herrschaften bekommen Konfekt und Milch.“

Jetzt saß das Lächeln des Herrn von Nievern gleichsam in dem Grübchen des hübschen festen Kinns. „Trinken die Damen auch Milch?“ fragte er.

„Nein, wenn die Lektüre beendet ist, wird Thee herumgereicht,“ belehrte Herr Wendel ernsthaft. Seine Augen wanderten dann nach der großen Uhr über der mittleren Saalthür, und er fügte hinzu: „Dreiviertel auf sechs! Jetzt müssen die Damen bald hier sein.“

Parbleu, schon so spät!“ meinte Herr von Nievern, und er schritt nun rasch auf eben jene Thür unter der Uhr zu, die von dem Flügel in den Mittelbau des Schlosses führte. Haushofmeister Wendel folgte ihm ehrerbietig, um die Thür vor ihm aufzustoßen und sich mit einer Verbeugung daneben aufzupflanzen, während der Hofherr hindurchschritt. Merkwürdig, daß er es fertig brachte, dabei, während seine ganze Person diensteifriger Respekt war, doch noch eine Frage an den Mann zu bringen: „Gnädiger Herr haben jetzt Vortrag bei der Frau Pfalzgräfin?“

„Ja, vortrefflichster der Haushofmeister“ – mit angenommenem Ernst und übermüthigem Augenblitz – „immer vorausgesetzt, daß Hoheit ihren ergebenen Diener nicht samt seinem Vortrag zum Teufel schickt, um Muße für die fromme Lektüre mit Milch zu gewinnen.“

„O – ah – gnädiger Herr scherzen!“ Der Haushofmeister verbeugte sich, etwas betreten lächelnd, hinter dem Herrn her, den sein federkräftiger Schritt jetzt davontrug. Er schloß die hohen Flügelthüren hinter jenem und sah dann die leeren wartenden Sessel für die Erbauungsstunde und besonders den mit der Krone kuriosen Blickes an. Der wird ja nun wohl leer bleiben – das waren so seine Gedanken dabei.

Eine halbe Stunde später waren aber die andern Stühle wenigstens zum großen Theile besetzt, und wo sich noch ein leerer fand, da bedeckten ihn beinahe die weiten Falbelröcke der Damen, und die Köpfe mit den Lockenscheiteln neigten sich über die Lücke gegeneinander mit Bewegungen des Beifalls, wenn die Frau Obersthofmeisterin oben am Ende einmal eine Pause im Lesen machte. Und die „Betrachtungen über den Nutzen, so die heilige Kirche durch ihre Sakramente denen Seelen gewähret“, waren von dem geistlichen Verfasser glücklicherweise in ziemlich kurze Kapitel eingetheilt. Wenn die Obersthofmeisterin mit einem zum Schluß gelangt war, legte sie das Buch offen neben sich auf den Tisch, und das war dann das Zeichen für den Beginn einer anfangs noch mit mäßigen Stimmen geführten Unterhaltung, die aber allgemach etwas lebhafter wurde und zuletzt auch hier und da ins Weltliche hinüberschattierte. Immerhin aber lag doch eine gewisse leicht feierliche Dämpfung über dem ganzen Verein der zu diesen Erbauungsstunden Eingeladenen.

Diese Einladung war eine Ehre, besonders für die weiter unten sitzenden Damen, von denen einige, wie die Kammerräthin, die Prokuratorin und die Schultheißin, nicht einmal von Adel waren. Sie sahen besonders erbaut aus und hörten mit einer völlig hingenommenen Ausschließlichkeit zu, als Personen, welche sich dem Heile, das ihnen unter so ehrenvollen Umständen entgegengebracht wurde, ganz kritiklos hingaben. Der Adel weiter oben ließ die Sache schon etwas mehr an sich herankommen. Man hörte zwar auch mit schicklichem Ernste zu, aber man begab sich doch nicht aller Urtheilskraft; wie zum Beispiel die Frau von Wartenberg dem Fräulein von Oettingen jetzt zuflüsterte, die Obersthofmeisterin sei einmal wieder greulich verschnupft heute, worauf das Fräulein die Augen zum Himmel hob, als wollte sie sagen, es gehöre christliche Geduld dazu, den durch die Nase gehaltenen Vortrag überhaupt anzuhören.

Durch die Nase sprach sie allerdings, die arme Obersthofmeisterin, und zwar durch eine nicht eben schöne, dünne, vorn geröthete. Wenn sie an chronischem Schnupfen litt, so war das kein Wunder. Das Hofleben fordert, wie alle wissen, die es kennen, eine unerhörte Abhärtung und Verleugnung aller körperlichen Menschlichkeiten, ja sozusagen des Körpers überhaupt. Jung war sie auch nicht mehr, die Obersthofmeisterin von Kallenfels, sondern in dem Alter, in dem eine Frau bürgerlichen Standes, oder die in der Familie lebt, sich erlanben darf, eine Matrone zu sein. Aber so gut wurde es der Obersthofmeisterin nicht. Mageren langen Körpers, auf dem die Hoftoiletten recht gut zur Geltung kamen, war sie eine jener ton- und farblosen Naturen, denen das Leben alles mögliche Säuerliche bietet, weil sie dabei nur wenig die Miene verziehen. Ihr Amt bei der ziemlich jung verwitweten Pfalzgräfin war keine Sinekure; es erforderte ihre Gegenwart bei allem, was der Hof vornahm. Sie saß mit der Hoheit in der Karosse, und so oft der durchlauchtigsten Dame eine fliegende Hitze ankam, wurde auf der Seite der Obersthofmeisterin und ihres wahrscheinlich daher empfindlichen linken Ohres ein Wagenfenster geöffnet, wenn nicht gar auf beiden Seiten die Scheiben niedergelassen und einem heillosen Zugwind Eingang gewährt wurde. Vom langen Stehen auf den Steinplatten des kleinen Empfangssaales hatte die Obersthofmeisterin eine Steifheit im linken Beine davongetragen, die ihren am Hofe heimlich bespöttelten Stelzengang verursachte. Der Aufenthalt in einem kaum geheizten Kabinett neben dem Schlafzimmer der Fürstin, morgens vor dem Lever derselben, war für sie und die Ehrenfräulein an Wintertagen auch nicht angenehm. Da sie sich aber niemals beklagte und alles mit demselben trockenen Anstand ertrug, so bestand die willkürliche Annahme, daß sie die Kälte nicht fühle. Ueber ihre rothe Nasenspitze und die bläulichen Finger wurde von seiten der Jugend gekichert, keinem Menschen aber fiel es ein, diese Eigenthümlichkeiten mit einem Mangel an körperlichem Behagen bei ihr irgend in Verbindung zu bringen.

Eben war das zweite Kapitel beendet, und die Damen bedienten sich der Freiheit, nun auch ihrerseits ihre Zungen mäßig gebrauchen zu dürfen. Dagegen gönnte man den Händen einige Ruhe, die während der Vorlesung keineswegs müßig waren, sondern sich in einer diesen Erbauungsstunden angemessenen Weise mit der Anfertigung von Kleidern für Arme beschäftigten.

Eine der Damen hielt eben ein Kinderkamisol, an dem sie sich bethätigt hatte, in die Höhe und schüttelte jetzt das Kleidungsstück wie ermuthigend, da es ihm irgendwo zu fehlen schien.

„Mich dünkt, Sie haben die Aermel verkehrt eingesetzt, Fräulein von Motz,“ sagte ihre Nachbarin, eine noch hübsche Frau mit zartem verblühten Gesicht und kühler Stimme.

„Ach, Frau von Biberen, machen Sie mich nicht unglücklich! Das alles noch einmal auftrennen!“ rief Fräulein von Motz in halb scherzhafter Verzweiflung. „Polyxene hatte mir neulich den einen Aermel eingesteckt, mit Heftnadeln, damit ich mich danach richten könnte, aber die Nadeln sind herausgerutscht .. “

„Wo mag Fräulein von Leyen denn heute bleiben?“ warf eine Dame von gegenüber dazwischen.

„Sie kommt gewiß noch,“ meinte Fräulein von Motz und wandte einen hilflosen Blick von dem Machwerk in ihren Händen nach der Gartenseite des Saales.

„Wahrscheinlich wenn wir uns mit dem Sakramente der Ehe beschäftigen,“ sagte Frau von Biberen, deren scharfes Züngelchen gefürchtet war. Fräulein von Motz, noch ziemlich jung, aber vorausbestimmt zur alten Jungfer mit ihrem Knörzlein von Nase in einem dicken apfelrunden Gesicht, Fräulein von Motz war demnach durchaus nicht schön, aber eben so wenig bösartig. Sie ließ die spitze Bemerkung der Frau von Biberen unbeachtet und schaute unverwandt nach ihrer Freundin aus, um dann einige Augenblicke später mit einem Seufzer der Erleichterung vor sich hinzumurmeln: „Da ist sie.“

Ueber den Kiesplatz vor dem Saale kam in stolzer Haltung ein schlankes blondes Mädchen geschritten, den Arm über der Schulter eines ebenso schönen hellhaarigen Knaben. Sie hatten beide etwas vornehm Unbekümmertes, wie sie, so nahe der fürstlichen Behausung, noch mehr miteinander als mit der Versammlung drinnen beschäftigt schienen, die aber auf die Herankommenden desto aufmerksamer war. Die Damen machten fast sämtlich lange Hälse. „Wieder in dem dünnen Fähnchen!“ flüsterte eine – es war die Prokuratorsfrau – zu ihrer Nachbarin. „Das kennen wir nun auch.“

Indessen hatten Polyxene von Leyen und ihr kleiner Vetter Ludwig von Leyen sich draußen auf der Rampe vor der Glasthür, die zu dem grünen Sälchen führte, getrennt. Denn der zwölfjährige [223] Junker Ludwig mußte hier unter die Kinder, so wenig das auch dem kräftig aufgeschossenen Jungen behagte. Fräulein Polyxene guckte erst noch einmal durch die Scheiben der Thür und sah, wie er der kleinen Gesellschaft eingereiht wurde, dann trat sie durch die nächste Thür bei den zur Erbauungsstunde versammelten Damen ein.

Zu spät kam sie nun einmal, aber Verlegenheit und Schuldbewußtsein deswegen zu zeigen, lag nicht in Polyxenens Natur. Sie schritt erst mit ihrem leichten sichern aufrechten Gang hinter der einen Sesselreihe hin bis in die Nähe der vorsitzenden Obersthofmeisterin und machte der eine gefällige wohlabgemessene Verbeugung und dann nahm sie ihren Platz zwischen Fräulein von Motz und Frau von Biberen ein, beide freundlich begrüßend.

„Sehr glücklich, Sie noch zu sehen, liebe Leyen,“ sagte Frau von Biberen, die niemand etwas schenkte. „Wissen Sie auch, daß Sie einen großen wichtigen Theil der heutigen Erbauung versäumt haben?“

„Ist schon so viel gelesen? Da hätte ich wohl besser gethan, gar nicht mehr einzutreten,“ meinte Polyxene, mit einem Anflug von Schalkheit und der Miene eines großen Schulmädchens. Sie setzte sich ehrbar zurecht, zog aus einem großen seidenen Retikül, den sie am Arme getragen hatte, ihre Arbeit, wurde aber zunächst von Fräulein von Motz flüsternd um Hilfe angegangen von wegen des unglücklichen Aermelsitzes. Und jetzt begann auch die Obersthofmeisterin ein neues Kapitel, so daß die beiden jüngern Damen wenigstens vollauf zu thun hatten, ihre Aufmerksamkeit schicklich zwischen dem frommen Werke ihrer Hände und dem geistlichen Ohrenschmause zu theilen. –

Und die Frau Pfalzgräfin? Der erhöht stehende Sessel mit der Krone hinter der lesenden Obersthofmeisterin blieb heute leer, Herr Wendel hatte richtig vermuthet. Die Frau Fürstin befand sich indessen im Hauptbau des Schlosses im blauen Kabinett und nahm den Vortrag ihres Landforstmeisters, des Herrn von Nievern, entgegen. Kabinett hieß das hohe stattliche Gemach nach Versailler Muster. Welcher westdeutsche Hof hätte sich wohl damals, im Jahre 1716, dem Einflusse des französischen entzogen! Der Birkenfeldsche insbesondere folgte ihm aus der Entfernung wie ein Planet bescheidener Größe der Sonne; es war schon zu Lebzeiten des Pfalzgrafen so gewesen, und seine Witwe blieb um so mehr in diesem Geleise, als es kaum irgend etwas gab, was ihrer Natur besser entsprochen hätte als diese Art Nachahmung aus der Ferne, wobei der weibliche Eigenwille doch noch freien Spielraum behielt.

Sie war kein übles Weibchen, Frau Sabine Eleonore; auch eine Pfälzerin, aus der Veldenzer Linie des Hauses. Recht hübsch auf den ersten Blick, nur daß das glatte Gesicht vielleicht allzuglatt war. Ein Puppenmäulchen, zu kurzes und zurückweichendes Kinn und ebensolche Stirn, und hohe schwache Augenbrauen, das waren die Mängel, die aber meist nur der merkte, der von den leuchtenden Farben des Antlitzes, des Halses und der Arme nicht geblendet wurde. In ihrer ersten Jugend war dieser Schmelz ein echter und großer Reiz der Pfalzgräfin gewesen; jetzt half die Kunst ein wenig nach, aber es war doch auch noch viel vom Eigenen da. Daß sie deshalb an Schönheit mit allen Göttinnen des Olymps verglichen wurde, war die kleine Pfalzgräfin gewohnt und sie betrachtete das als einen schuldigen Tribut. Aber seltsam: der Mann, der jetzt in ehrerbietiger Haltung zwar, doch ohne alle Steifheit in einiger Entfernung von ihr mit seinen Papieren an einem Tischchen saß, hatte ihr fast niemals Huldigungen dieser überschwenglichen, wenn auch damals ganz gewöhnlichen Art dargebracht. Und trotzdem war die fürstliche Frau ihm nicht ungnädig gesinnt, ganz im Gegentheil. Er hatte ihr nämlich dennoch von jeher die Empfindung zu geben gewußt, daß kein Reiz ihrer Person an ihm verloren sei und daß er gewisse Feinheiten – der Toilette sogar – besonders zu würdigen wisse.

Heute trug Frau Sabine Eleonore graue Seidengewänder wie gewöhnlich – die Farbe paßte zu ihrem Witwenstand, und diese sanften und diskreten Halbtrauertöne waren auch zugleich diejenigen, welche während der kürzlich verflossenen letzten Jahre des großen Königs Ludwig die Herrscherin von Versailles, die Gattin seines frommen Greisenalters, die kluge Frau von Maintenon, stets beliebt hatte. Der viereckige tiefe Ausschnitt der steifen Taille ließ den Hals und den Ansatz des Busens frei; um die weiße Kehle aber war wieder eine schwarze Spitzenkrause gelegt. Und die Pfalzgräfin Sabine, deren französische Kammerfrau dieses letztere kleine Raffinement heute zum ersten Male angebracht hatte, hatte deutlich gesehen, wie im Anfang einmal, kurz nach seinem Eintritt, der Blick des Herrn von Nievern auf dem Stückchen Hals zwischen dem Kleiderausschnitt und der schwarzen Krause wenn auch ohne Dreistigkeit, denn solche lag ihm fern, so doch immerhin mit einer gewissen Billigung geruht hatte.

Etwas mehr als ein solcher Blick wäre hier ganz undenkbar gewesen, denn es ging bei diesen Vorträgen, die der jugendliche Landforstmeister seiner Herrin von Amtswegen hielt, mit fast steifem Dekorum zu. Aber freilich konnte er, wenn er wollte, schon darin eine leise Gunst seiner Landesherrin spüren, daß er diese Vorträge überhaupt zu halten berufen wurde. Denn es war noch nicht lange her, daß sich die hohe Dame für das Forst- und Domänenwesen ihres Ländchens interessierte; eigentlich erst, seit diese Zweige der Verwaltung in den Händen des Herrn von Nievern ruhten, von ihm übrigens weit ernstlicher gepflegt wurden, als man es dem sorglosen Hofkavalier zugetraut hätte. Herr von Nievern hatte kürzlich eine kleine Inspektionsreise nach der Kur-Trierschen Grenze hin gemacht, um ein altes Jagdschloß, Hubertstein, welches die Birkenfeldschen Pfalzgrafen dort besaßen, der Besichtigung zu unterziehen und in jener abgelegenen gebirgigen Gegend den Zustand der Waldungen zu prüfen. Darüber erstattete er jetzt Bericht.

Pfalzgräfin Sabine Eleonore saß sehr gerade und aufrecht in ihrem Sessel – eine andere Haltung hätten die Fischbeine in ihrem Kleide schon gar nicht gestattet – hatte den einen weißen Arm, den vom Ellbogen an nur noch zarte Spitzen bedeckten, aufgestützt und verhielt sich wenigstens so ruhig, als ob sie aufmerksam zuhörte. Herr von Nievern gab bündige Vorschläge, eine nothwendige Aufforstung der Waldungen betreffend, und schloß dann auf einmal, die Hand mit dem Papier sinken lassend und die hübschen Augen auf die Dame gerichtet: „Was ich Pfalzgräflicher Hoheit gehorsamst unterbreitet haben wollte. Sind Hoheit mit meinen Vorschlägen einverstanden?“

So unmittelbar befragt, konnte die hohe Dame es nicht völlig bergen, daß ihr die Stimme des Herrn von Nievern nur mehr die angenehme Begleitung zu einer Reihe ebenfalls nicht unangenehmer Gedanken gewesen war und daß sie kaum wußte, wovon die Rede sei. Ganz überraschend war dem Landforstmeister die Sache nicht, denn trotz seiner gesetzten Miene schoß ihm ein Blick leisester Schalkheit aus den Augen. Und der traf, halb zufällig, auf ein anderes Augenpaar und wurde verstanden. Es war nämlich noch eine Person mit den Zweien im Gemach, eine etwa dreißigjährige fahlblonde Frau, nicht häßlich, aber mit einem nonnen- oder witwenhaften Anflug in Kleidung, Haltung und Miene. Sie hielt die hellen Wimpern meist gesenkt, und doch hatten sich, als Herr von Nievern eben halb belustigt über die Zerstreutheit der fürstlichen Dame aufblickte, ihre Augen und die des Kavaliers sekundenlang getroffen in jenem plötzlichen unwillkürlichen Einverständniß über die andere Person hin, welches zwei Klügere gegen einen Dritten auf Augenblicke zu Verbündeten macht.

Herr von Nievern hatte sie vorher kaum angesehen. Zum Teufel, dachte er jetzt, dumm ist die wenigstens nicht, und er musterte die bescheidene Dame nun erst aufmerksam. Sie sprach indessen zur Fürstin, und er hatte Ursache, bei seinem Urtheil zu bleiben: dumm ist sie nicht, ganz im Gegentheil! Denn sie faßte mit großem Geschick noch einmal kurz zusammen, was der Landforstmeister vorgetragen und worüber er eine Entscheidung von der Pfalzgräfin gewünscht hatte. Sie ihrerseits hatte ihm gut zugehört; es schmeichelte ihm förmlich, wie genau sie wußte, was er gesagt hatte. Er wendete ihr das hübsche Gesicht jetzt voll zu und – nur ein Herr von Nievern erlaubte sich so viel in fürstlicher Gegenwart – und nickte leicht seinen Beifall. Sie achtete nicht darauf; den ehrerbietigen Blick ausschließlich auf die Fürstin geheftet, fuhr sie fort: „Meiner Unerfahrenheit und meinem geringen Verstande in weltlichen Dingen bitte ich es zugute zu halten, wenn ich den Herrn Landforstmeister nicht völlig verstanden habe; ich habe immer viel Nachsicht nöthig. Der Scharfsinn Pfalzgräflicher Hoheit, der alles sofort zu durchdringen pflegt, wird uns zu Hilfe kommen.“

„Schmeicheln Sie nicht, liebe Méninville,“ sagte Frau Sabine Eleonore, aber mit sehr wenig ernstlicher Abwehr. Und dann zu Herrn von Nievern: „Wir sind sehr mit Ihnen einverstanden, Herr Landforstmeister, darin, daß unsere Waldungen wieder in die Höhe gebracht werden müssen. Und Sie haben Vollmacht von uns, die Beforstung um Hubertstein herum in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise vorzunehmen. Lassen Sie sich, ich bitte, die dazu nöthigen Beträge von der fürstlichen Rentkammer auszahlen. Eine schriftliche [224] Anweisung?“ – wieder war es Frau von Méninville gewesen, die halblaut und bescheiden an diese nothwendige Form erinnert hatte – „Gewiß ... lassen Sie das aufsetzen .. ich werde unterschreiben.“

Wenn die Pfalzgräfin die Sprache der Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte redete, hatte sie immer etwas von einem altklugen Kinde, das diese und jene Wendung von den Erwachsenen aufgefangen hat. Nach Kinderart verfuhr sie auch mit ihrer Signatur. Zuweilen unterschrieb sie alles in Bausch und Bogen, viel zu ungeduldig und träge, um sich mit dem Inhalt der ihr vorgelegten Aktenstücke ordentlich bekannt zu machen. Und dann wieder, je nachdem ihre Laune stand, wurde sie mißtrauisch und störrisch, witterte Bevormundung von seiten der alten erfahrenen Beamten und es war irgend eine nothwendige Unterschrift von ihr Wochen hindurch nicht zu erhalten. „Wenn wir nicht alle so ehrlich wären, Herr Landforstmeister,“ hatte noch neulich der alte Rentamtmann Döberlein zu dem Herrn von Nievern bedeutsam gesagt, „ja, ja, wenn wir nicht alle so ehrlich wären!“

Herr von Nievern verbeugte sich in Anerkennung der ertheilten Vollmacht und blätterte dann noch einmal in seinen Papieren. Er suchte nach einer Notiz, die er sich gemacht hatte. Da war es. „Die Hubertsteiner Jagd,“ sagte er, „würde noch weit ergiebiger sein, wenn es Dero Pfalzgräflichen Gnaden gelänge, den an die Herren von Leyen seiner Zeit abgetretenen Theil wieder in Ihren Besitz zu bringen. Er ist –“ er blickte in seine Aufzeichnungen – „fünfzig Morgen groß, also von gar nicht unbedeutendem Umfang, liegt als Enklave mitten in den fürstlichen Waldungen und umfaßt außer sehr werthvollen Beständen von altem Hochwald die höchste Gipfelfläche des sogenannten Heidenkopfes. Das ist, wie der gnädigen Frau ohne Zweifel bekannt sein wird, ein wilder Bergrücken, wohl eine halbe Meile ins Geviert. Der Wald, der die Höhe einst bestanden hat, ist längst gefallen; jetzt giebt es da oben nur Moor- und Bruchland und dichtes Gestrüpp. Das gute dumme Bauernvolk der wenigen Dörfer in der Umgegend blickt mit Scheu von weitem nach dem kahlen Gipfel; es mögen dort von der Heidenzeit her gottlose Bräuche getrieben worden sein, und sie vermeinen, es sei heute noch droben nicht geheuer. Das alles aber stört Birk- und Auerhahn nicht, im Gegentheil, das edle Wild hat dort, wo schon seit Jahren wenig Abschuß ist, sein Paradies. Ich selber habe nachts auf dem Hubertstein die Hähne von drüben balzen hören ... es zuckte mir in den Fingern.“ Er brach ab, wahrscheinlich um nicht einem in der fürstlichen Gegenwart unziemlichen Weidmannseifer zu verfallen, nahm wieder seine Zuflucht zu seinen Papieren und fuhr dann in einem andern Tone fort: „Die dermaligen Besitzer haben in dem herrlichen Waldrevier nichts als eine Krähenhütte stehen und dann allerdings noch ein Gemäuer, nicht viel größer als ein Backofen, in dem ein uralter Moosbart von einem Förster haust, ein ungefüger Waldmensch, hab’ ich mir sagen lassen, ohne Respekt vor irgend jemand, so daß der Hubertsteiner Schloßverwalter es für nöthig hielt, selbst mich zu warnen.“ Herr von Nievern lächelte leicht. Nun, es ist nicht meine Art, auf fremdem Gebiet zu pirschen. Aber die Grenze ist für den zeitweiligen Jagdgast auf Hubenstein nicht immer leicht kenntlich; das Wild wechselt zuweilen kurz herüber und hinüber, und dero Kastellan machte mir bemerklich, daß es dem unmanierlichen Alten drüben ganz einerlei sei, wer ihm vor den Büchsenlauf komme, und daß er meist scharf geladen habe.“

„Ich erinnere mich,“ sagte die Pfalzgräfin, „daß schon mein seliger Herr darüber klagte, die Leyens seien von jeher widerhaarig und hoffärtig gewesen. Aber jetzt steht ja das Geschlecht nur auf vier Augen. Es lebt nur noch der Enkel des alten Freiherrn Josias, der kleine Freiherr Ludwig, bei seinem Vormund, dem wunderlichen alten Obersten von Gouda auf der Herrenmühle, und von dem andern, dem weniger begüterten Zweige ebenfalls nur eine Minorenne, die Polyxene, das hübsche Fräulein von Habenichts, die der Alte auch bei sich aufgezogen hat.“

Erst als Frau von Méninville wahrnahm, daß die Pfalzgräfin hier eine Pause in ihrer Rede eintreten ließ, erlaubte sie sich bescheidenen Tones eine Bemerkung. Dieselbe lautete: „Ist Fräulein Polyxene von Leyen noch nicht zweiundzwanzigjährig?“

Der leise Nachdruck auf den Worten „noch nicht“, überhaupt der ganze Irrthum belustigte die Pfalzgräfin. „Wo denken Sie hin, liebe Méninville! Das Mädchen ist kaum achtzehn Jahre alt!“ rief sie. Frau Sabine war über alle Verhältnisse des Adels ihres Landes sehr genau unterrichtet.

„Mich dünkt, sie sehe viel älter aus,“ meinte Frau von Méninville, immer mit der bescheiden unterdrückten Stimme. „Es liegt dies wohl an ihrer Haltung.“

„Ja, sie trägt den Kopf sehr hoch,“ sagte die Fürstin. Und dann, wieder zu dem Landforstmeister gewendet, der an dieser kleinen Abschweifung, eine junge Schöne betreffend, keinerlei Antheil genommen hatte: „Man müßte sich, Herr von Nievern, in Betreff der Leyenschen Enklave an den Vormund des jungen Erbherrn, den Obersten von Gouda, wenden. Ich ermächtige Sie, Unterhandlungen mit ihm einzuleiten.“

Das klang recht schön, fürstlich und zugleich geschäftsmäßig, aber damit hörte auch der praktische Werth dieser Ermächtigung so ziemlich auf, wie der Landforstmeister bald erfahren sollte. Er verneigte sich jetzt abermals, ließ eine schickliche Pause entstehen und durfte, da die Pfalzgräfliche Hoheit von nichts weiterem begann, seine Audienz als beendet betrachten.

Nun nahte sich der stattliche Mann der Dame um wenige Schritte, gewinnende, ritterliche Ehrerbietung in jeder Linie seiner biegsamen Gestalt. Er sah, daß es ihm vergönnt sei, ja, daß es erwartet werde – denn Hand und Arm seiner Gebieterin wurden ihm ein wenig entgegengebracht, mundgerecht, sozusagen: zart und ehrfurchtsvoll berührte und stützte er diese weiße Hand mit den Fingerspitzen und drückte dann das weiche Bärtchen und die Lippen darauf, Lippen, die zu küssen verstanden! Und nicht nur seine warmen Lippen sprachen eine stumme Sprache, auch seine schlankkräftigen Finger, mit denen er die wächsernen Fingerspitzen der Pfalzgräfin ganz eigen, mit einem zögernden Nachdruck, umschlossen hielt und dann langsam, langsam nur, losließ. Und ebenso langsam hob er das Auge und ließ einen raschen prüfenden Blick über sie gleiten. Er sah, was er erwartet hatte: den leisesten Anhauch von weiblicher Verwirrung auf diesem hübschen leeren Gesicht.

Aber er sah auch noch etwas, und das hatte er weder erwartet, noch sehen wollen. Ganz zufällig streiften seine Augen jenen Schatten der Pfalzgräfin, das schmale Wesen in Grau und Schwarz, das sich seitwärts hinter ihr hielt. Und wieder, zum zweiten Male heute, traf Blick in Blick; und aus diesem gedankenschnellen Kreuzen der Klingen ging der Mann nicht als unzweifelhafter Sieger hervor, denn die bescheidene Witwe wurde nicht verlegen wie eine ertappte unwillkommene Zeugin, sondern schien mit ruhigem Auge vielmehr zu sagen: ja, allerdings, ich habe Euch eben zugesehen. Etwas Weiteres freilich auszudrücken, sei es nun Billigung oder Mißbilligung dessen, was sie beobachtet hatte, erlaubte sie ihren frommen blonden Mienen nicht, und am allerwenigsten etwa einen Triumph über ihre kleine Mitwisserschaft.

Jedenfalls aber wußte Herr von Nievern nunmehr, daß er mit dieser würde zu rechnen haben. –

Frau Sabine Eleonore war wieder allein mit der Gesellschafterin, welche sie in der letzten Zeit auffallend viel an sich herangezogen hatte. Die Witwe des Herrn von Méninville, eines sehr mäßig begüterten lothringischen Edelmannes, war auf die allerbeste Empfehlung, die man haben kann, auf geistliche nämlich, an den pfalzgräflichen Witwenhof gekommen. Dem Beichtvater der Fürstin, dem Jesuitenpater Gollermann, war sie von einem Ordensbruder in Philippsburg, wo sie den Herrn von Méninville vor einigen Jahren begraben hatte, sehr warm ans Herz gelegt worden, bildlich gesprochen natürlich. Und Frau von Méninville rechtfertigte alles, was ein geistlich gesinnter Freund von ihr sagen konnte, um ihr den dornigen Witwenpfad ein bißchen zu ebnen, in vollem Maße.

Es gehörte gar nicht wenig dazu, sich so bald der allgemeinen Duldung am Hofe zu erfreuen, wie Frau von Méninville es that, sie, die diesem kleinen Hofe im großen Stile, diesem Hofe voll wichtiger Etiketterücksichten und daraus sich ergebender Eifersüchteleien und Empfindlichkeiten, so kurz erst und so ganz von außen und wurzellos eingepflanzt worden war. Aber bei ihr war es doch wieder kein Wunder. Sie war ja eigentlich nur halb weltlich, wie sie zuweilen mit einer Art von sanftem Scherze sagte. Sie erstrebte nichts, beanspruchte nichts, wollte keinen verdrängen, ordnete sich allenthalben unter – sie war die christliche Demuth selber. Nur mit Mühe hatten ihre Freunde – man wußte das hier aus bester Quelle, nämlich von ihr selber – nur mit Mühe hatten die Freunde sie nach dem Tode ihres Gemahls davon abgehalten, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Ihr Herz und Gemüth strebte unablässig dorthin, der Entschluß, die frommen Gelübde doch noch auszusprechen, war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

[225]

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.
Eduard VI. von England vor der Unterzeichnung des ersten Todesurtheils.
Nach einem Gemälde von J. Pettie.

[226] Sie machte aus diesem allem kein Hehl; war sie doch, wie sie von sich bekannte, die Offenheit selber. Frau von Méninville war überhaupt eine Vereinigung guter und nützlicher Eigenschaften. Zu den letzteren gehörte ihre große christliche Dienstfertigkeit. In den Häusern, in denen sie, besonders zu Anfang ihres Aufenthalts in Birkenfeld, verkehrt hatte, ehe sie soviel am Hofe war wie jetzt, hatte sie ohne den geringsten Stolz zu allerhand Verrichtungen, Dienstleistungen sogar, sich gebrauchen lassen; sie hatte die Dienstboten, die Kinder überwacht, hatte geholt, gebracht – dafür dann natürlich die Mahlzeiten und die volle häusliche Vertraulichkeit ihrer Gönner getheilt, die meist dahin gekommen waren, sich vor der guten harmlosen Seele in jedem Sinne, auch moralisch, im Negligé zu zeigen. Frau von Méninville war aber zuverlässig und verschwiegen – wieder zwei gute und brauchbare Eigenschaften; man hatte nie davon gehört, daß sie die genaue Kenntniß einzelner Haushaltungen, die sie besaß, etwa in anderen verwerthet hätte. Kurz, Klatsch gewöhnlicher Art konnte man ihr nicht zum Vorwurf machen.

Uebrigens lagen jene Zeiten ihrer bescheidenen Anfänge in Birkenfeld jetzt weit hinter ihr, jetzt, wo die höchste Person des Landes, die Pfalzgräfin Sabine Eleonore selber, Frau von Méninville immer ausschließlicher ihres Vertrauens würdigte.

Die beiden Damen waren also allein. Die Pfalzgräfin hatte nach des Herrn von Nievern Abgang noch eine Weile aufrecht und steif dagesessen, ohne zu reden. Die umständliche Handarbeit, die in einem vergoldeten Korbe ihr zur Seite stand, hatte sie noch nicht wieder aufgenommen. Es war eine mit reicher Gold- und Seidenstickerei zu verzierende Altardecke, ein großes Unternehmen. Gerade aber, als die hochfürstliche Geduld der Dame für diese Arbeit zu erlahmen und ihre anfängliche Lust daran einem mäßigen Abscheu Platz zu machen begann, da hatte es sich gezeigt, daß Frau von Méninville dieser Stickerei kundig war und eine wahre Leidenschaft für dieselbe hegte – wenn man bei einer so sanften Seele überhaupt von Leidenschaften sprechen konnte. Sie bat bescheiden um die besondere Gunst und Gnade, zuweilen an der fernsten Ecke der Decke arbeiten zu dürfen, während die hohe Frau an der von ihr angefangenen Seite derselben beschäftigt war; schon durch diesen Zwischenraum konnte die ungeheuere Rangabstufung ausgedrückt werden. Gern gestand Gräfin Sabine Eleonore ihr die Erlaubniß zu. Und so saß denn Frau von Méninville jetzt oft stundenlang im Gemach der Pfalzgräfin, in der hochfürstlichen Gegenwart, auf einem niederen Tabouret etwas hinter dem kronengeschmückten Sessel, in den fleißigen Händen ihren Zipfel der Altardecke, an der Frau Sabine Eleonore auch ihrerseits ein weniges stichelte, mit vielen Pausen, ein Zustand, dem ein unsagbares Etwas von Schmeichelhaftem und Auszeichnendem für die bescheidene Witwe anhaftete.

Eben wanderten die leeren blauen Augen der Pfalzgräfin nach dem Zifferblatt der Wanduhr mit ihrem verschnörkelten Gehäuse, und sie sagte gedehnt: „Ma foi, die Erbauungsstunde im Gartensaal muß ja längst begonnen haben!“

Frau von Méninville, die sie beobachtet hatte, war gleich mit ihrer Bemerkung bereit. „Die Erbauung dürfte nunmehr fast beendet sein,“ sagte sie. „Hoheit beliebem sich zu erinnern, daß die Frau Obersthofmeisterin ein für allemal die Weisung hat, nicht auf Pfalzgräfliche Hoheit zu warten, wenn hochdieselbe einmal durch wichtige geschäftliche Angelegenheiten verhindert sein sollte, zu erscheinen, wie es heute der Fall war.“

„Ja, ganz recht; es ist für heute nichts mehr damit,“ sagte die fürstliche Dame erleichtert. Also eine wichtige geschäftliche Angelegenheit hatte sie vorhin mit dem Herrn von Nievern erledigt. Wie hübsch von ihr! Sie empfand beifällig gegen sich selbst. Sie war dessen vorher gar nicht recht inne geworden, aber die Méninville hatte zugehört, die mußte es ja wissen.

„Der Herr vom Nievern nimmt sich, dünkt mich, seines Postens recht gut an,“ ließ sie sich jetzt vernehmen. Sie konnte der Versuchung, noch einmal den Namen dieses Mannes ins Gespräch zu bringen, so wenig widerstehen, wie es das allerunfürstlichste Frauenzimmerchen gethan haben würde.

Frau von Méninville durchschaute sie wie Glas. Die gute Méninville – sie sagte immer, was man gerade zu hören wünschte. Den kleinen Skrupel wegen der Versäumniß der neu eingerichteten Erbauungsstunde hatte sie da eben so hübsch aus dem Wege geräumt. Jetzt entgegnete sie mit ihrer bescheidenen Zurückhaltung: „Daa ist die allgemeine Stimme. Jeder rühmt den Scharfblick Eurer Pfalzgräflichen Hoheit, mit dem Hoheit diesem Kavalier gerade dies wichtige Amt übertragen haben.“

„So!“ sagte die Pfalzgräfin geschmeichelt. „Erst wollten einige meinen, er wäre nicht sérieux genug dafür.“

„Er ist ein Herr von Geschmack und vortrefflichen Manieren. Hier zu Lande soll aber einer, der die Geschäfte versteht, immer auch zugleich ein grober Bär sein.“

Die Pfalzgräfin lachte über die anzügliche Bemerkung ihrer Gefährtin. Frau von Méninville aber wußte, daß der Gegenstand, an dem man war, einiges Verweilen recht wohl vertragen würde. Daher begann sie wieder: „Der Herr von Nievern ist, wie ich neulich von den Damen Ihrer Hoheit hörte, längere Zeit auf Reisen gewesen? Man merkt es seinem Betragen auch wohl an, daß er sich an fremden Höfen umgethan hat.“

„Ja. Mein seliger Herr, dem er hart darum anlag, hat ihm damals noch in Gnaden Permiß gegeben,“ sagte die Pfalzgräfin. „Er hatte Geschäfte in Holland, wo ein Oheim von ihm kinderlos verstorben war; es hieß, er sollte erben. Wie es damit geworden ist, hat der schlaue Vogel nie recht kundthun wollen. Bar Geld muß er aber wohl einiges überkommen haben; hat er sich doch von da nach England gewendet und ist, um seine Lust am Abenteuer zu büßen, dort gar zur See gegangen und zu Schiff in der Neuen Welt gewesen!“

Selten, daß die Pfalzgräfin so anhaltend sprach; Frau von Méninville machte sich ihren Vers darauf. „Man hört dergleichen nicht von vielen deutschen Edelleuten,“ sagte sie in bescheidenem Tone. „Die meisten begnügen sich mit ein paar Campagnen, die sie in anderer Herren Ländern mitmachen, unter einem Feldherrn von Renommee, und es ist ihnen darum zu thun, mehr mit heimzubringen, als sie fortgetragen hatten. Seine Reiselust hat doch aber den Herrn von Nievern seiner gnädigen Herrschaft nicht abwendig gemacht. Als eine Sonne hat dieselbe diesen schweifenden Planeten wieder an sich gezogen. Und man merkt es, er ist jetzt zufrieden genug, dieselbe in größerer Nähe umkreisen zu dürfen.“

Die Pfalzgräfin begriff nicht rasch und war meist viel zu träge zum Nachdenken. Hier aber verlohnte es sich. Die Meinung der Méninville war jedenfalls schmeichelhaft gewesen, und wie gut gewählt der Ausdruck! Die fürstliche Dame suchte sich ihn im Geiste zu wiederholen, was ihr ziemlich gelang. Sie eine Sonne – das war sie gewohnt, was hätte sie im System der Weltkörper wohl anders sein können! – und der Planet dieser liebenswürdige Mann, der in angemessener Entfernung – die Entfernung brauchte ja nicht sehr groß zu sein – aber an diesen seinen Platz gebannt jahraus jahrein um sie seine Bahn zog, die Augen stets nur auf ihre Person gerichtet, stets bewundernd wie heute ... sie war das wohl zufrieden! „Sie reden zuweilen wie ein Buch, liebe Méninville,“ sagte sie denn auch nach einer Pause gnädig. „Wenn doch unsere andern Damen auch so unterhaltend wären!“

„Mein Glück ist vollkommen, wenn ich Eurer Hoheit zuweilen die Zeit kürze,“ erwiderte darauf Frau von Méninville, sich im Sitzen verneigend. „Das Hauptverdienst beim Genuß dieser für mich so unschätzbaren Stunden darf aber Pfalzgräfliche Hoheit selber beanspruchen, die meinen bescheidenen Bemerkungen mit so feinem Verständniß entgegenkommt.“

Leute, welche die Sache nicht selber betreiben, die ehrlicheren Naturen, haben meist keinen Begriff davon, wie dick aufgetragen eine Schmeichelei sein darf, um doch noch vortrefflich zu wirken. Sabine Eleonore stand nach kurzer Zeit auf und begab sich in eine Ecke des Gemaches, wo auf geschweiftem Tischchen eine Schatulle stand. Sie öffnete und zog die zierlichen Schubfächer auf. Frau von Méninville war auch in die Höhe gefahren; sobald die Hoheit stand, stand alles, was sich in ihrer Gegenwart befand. Sie hielt dabei nicht ohne Unbequemlichkeit die durch ihre Goldstickereien schon recht schwere Altardecke schwebend und verlor keine Bewegung der kleinen fürstlichen Pompfigur drüben aus den Augen. Die Gräfin hatte ein mittleres Fach geöffnet, und die matten Augen der Méninville hatten sich geschärft. Da lagen Schmucksachen von einigem Werthe, das wußte sie. Mit spitzen Wachsfingern stocherte die Pfalzgräfin ein weniges darin herum; sie nahm auch etwas zwischen diese Finger, verblieb aber damit im Schublädchen und mußte den Gegenstand wohl wieder hingelegt haben, denn die Hand kam leer heraus und verschloß das Fach wieder. Es schoß etwas über das Gesicht der sanften Witwe, blitzschnell – es war ein verächtliches Lächeln gewesen; man wußte, daß die kleine Pfalzgräfin geizig war.

[227] Diese öffnete ein anderes Gefach und enthob demselben nach einigem Zögern ein Etwas, das auch glimmerte und gleißte, als sie jetzt damit auf Frau von Méninville zukam. Aber ach, der Schimmer war nur derjenige dünner Goldflitter; sie hingen franzenartig von dem kleinen Dinge herab, einem mit Gold- und Silberfäden verzierten Buchzeichcn, welches die Pfalzgräfliche Hoheit jetzt der devot dastehenden Méninville hinhielt. „Da, nehmen Sie das, liebe Méninville, als ein kleines Andenken ... ich ... ich hatte es Ihnen zugedacht,“ sagte Sabine Eleonore dabei, etwas ungeschickt und stotternd, wie ihr das bei Gnadenbezeigungen geschehen konnte.

Die Méninville empfing das Ding, augenscheinlich eine Klosterarbeit, mit tiefer Verneigung und einem durch den Respekt gemilderten Entzücken, dessen Ausdruck ihr vorzüglich gelang. Zugleich haschte sie nach der Hand der Fürstin und küßte sie inbrünstig. Dann versenkte sie sich in die Beschauung des Geschenkes, dessen Werth sie zugleich im stillen auf einen viertel Gulden etwa taxierte.

„Es ist nur eine Kleinigkeit,“ sagte die Pfalzgräfin in einem Tone, in dem deutlich ihre kindische Bewunderung der Herrlichkeit durchklang.

„Von unschätzbarem Werthe für mich als ein Souvenir an die Huld und Gnade Pfalzgräflicher Hoheit gegen dero unwürdige Dienerin“ erwiderte die Méninville.

Jetzt trat, nach beendigter Erbauungsstunde, die Obersthofmeisterin von Kallenfels ihren Dienst bei der Pfalzgräfin wieder an, und Frau von Méninville zog sich zurück.

Sie wohnte in der Nähe des Schlosses, immerhin aber hatten ihre ziemlich verwöhnten Füße sie durch mehrere Gassen zu tragen, die ein außerordentlich holperiges Pflaster aufwiesen und zudem durch allerhand Abhub aus den Häusern, der unbekümmert hinausgeworfen wurde, alles andere eher als sauber waren. Auch eng waren diese Gassen, und als jetzt eine von zwei schweren Pferden gezogene Karosse hinter ihr her kam, mußte Frau von Méninville sich dicht an die Häuser drücken, um sie vorüber zu lassen.

In der großen veralteten Kutsche, vor welcher die Fußgängerin dergestalt Front machen mußte, saßen zwei Personen, links ein Knabe, zu seiner Rechten hochaufgerichtet ein junges Fräulein. Die Leyens waren es, Vetter und Base, die sich nach der eine viertel Meile von dem Städtchen entfernten Herrenmühle zurückbegaben. Frau von Méninville, im Begriff, ihren Gruß anzubringen, mußte bemerken, daß Polyxene von Leyen in aller Aufrichtigkeit ihrer nicht acht hatte, und kniff die Lippen zusammen. Des jungen Ludwig helle fröhliche Blauaugen aber waren sie gewahr geworden. Sie mochte eine etwas wunderliche Figur abgeben, auf einem abschüssigen Haufen Küchenabfall stehend, platt an die Wand des Hauses gedrückt, an dem derselbe sich niedersenkte, in ihrem schwärzlichen weiten Faltenmantel, dessen Kapuze hoch über ihrem Kopfe aufstand und der wohl ehrbar und halb geistlich, aber nicht eben schön ließ. Ludwig von Leyen packte lachend den Arm seines Bäschens und sagte ihr halblaut etwas, worauf sie ein weniges den hochgetragenen Kopf wendete und flüchtig nach der Seite neigte, der Frau von Méninville so einen sehr leichten Gruß spendend. Uebrigens hatte der Junker, sich seiner Kavalierspflicht erinnernd, doch auch noch zuguterletzt den Federhut gerückt.

Als die Kutsche glücklich vorüber gerumpelt war – sie hing in ziemlich altersschwachen Federn – stieg Frau von Méninville von ihrer unsauberen Höhe herab auf das Niveau der Gasse. Das Gesicht mit der empfindlichen Blondinenhaut sah fleckig geröthet aus und die dünnen Lippen verschwanden fast. Wie waren die Worte gewesen, die sie da eben hatte hören müssen, von dem unbesonnenen Knaben gesprochen? „Sieh doch die Krähe, die Scheuche dort!“ – Frau von Méninville wiederholte sich bedächtig den schmeichelhaften Vergleich – sie würde ihn nicht vergessen!

Dem Knaben war der lustige Spott von seiner Verwandten auch verwiesen worden. „Das war nicht fein, Lutz,“ hatte Polyxene ernsthaft gesagt. Sie hatte zwar die fromme Witwe bisher weit weniger beachtet, als diese jedenfalls verdiente; aber es lag nicht in ihrer Natur, unbedeutende oder gar dürftige Leute mit Worten mißhandeln zu lassen. Daß sie von Fräulein von Leyen für letzteres, sehr mit Unrecht aber auch für das erstere, für völlig unwichtig nämlich, gehalten wurde, merkte Frau von Méninville selber gar wohl. Und es ist noch die Frage, was sie den Verwandten mehr übel nahm, den unartigen Uebermuth des einen oder die geringschätzige Duldung der anderen.




2.

Es war in der ersten Morgenfrühe eines dieser Septembertage und noch nicht fünf Uhr, als in dem alten weitläufigen Gebäude, welches man die Herrenmühle nannte, und auf dem Hofe drunten ein gedämpftes Regen begann. Menschenstimmen hörte man nicht oder kaum. Der Mann, der die beiden Pferde aus dem Stalle führte und an einen ländlichen Wagen spannte, enthielt sich jedes lauten Zurufs. Die Pferde freilich schnaubten und scharrten, aber der dicke Herbstnebel, der noch alles einhüllte und ihnen alsbald in Tropfen um die Mäuler hing, schluckte diese Laute ein.

Während dessen traten aus dem Thor des Herrenhauses Ludwig und Polyxene von Leyen in den Hof. Sie waren beide zur Jagd gerüstet. Er wie sie trug eine Flinte am Lederriemen über dem dunklen Ueberrock. Diese beiden tuchenen Jagdkamisole mit langen Schößen waren einander sehr ähnlich und die Filzschlapphüte, an einer Seite mit altersgeschwärzter Goldschnur in die Höhe geheftet, auch. Nur daß, wo er in wildledernen Beinkleidern steckte und hoch gestiefelt war, bei ihr ein langer Rock herabfiel, machte einen Unterschied in der Tracht.

Das junge Mädchen warf den Blondkopf zurück und zog behaglich die herbe Morgenluft ein, sie selber frisch und rein wie der Morgen.

Der junge Ludwig hatte sofort mit dem Verständniß eines Erwachsenen nach den Pferden gesehen und hier und dort eine Schnalle am Geschirr fester angezogen. Jetzt legte er sein und Polyxenens Gewehr, welches sie inzwischen abgenommen hatte, sorgfältig auf den Rücksitz. Man hätte den prächtigen Jungen, der erst zwölf Jahre zählte, für fünfzehnjährig halten können, so groß und kräftig war er und so verständig, mannhaft und geschickt in allen Leibesübungen. Polyxene, seine Base, war ihm bei diesen früher wie ein guter älterer Kamerad gewesen. Jetzt, da sie in die Fräuleinsjahre gekommen war, hielt sie sich wohl mehr zurück, aber die alte Lust brach doch noch zuweilen durch. Ihm war von früher ein tüchtiger Respekt geblieben vor allerhand, was sie trotz einem Jungen gekonnt hatte und vielleicht noch konnte, wenn sie nur gewollt hätte. Und ihrer Besonnenheit und Einsicht pflegte er sich meist willig unterzuordnen.

Der ältliche Mann, der den Kutscher machte, stand jetzt mit der Mütze in der Hand. „Also wo hinaus, Euer Gnaden?“ fragte er, zu den beiden gewendet. Ludwig seinerseits sah wieder Polyxene an. „Auf Keula zu?“ sagte er halb fragend.

Sie entschied sich rasch. „Ihr fahrt über Keula hinaus, den alten Kirchweg hinauf, so hoch es geht, nach dem Moor zu,“ rief sie als eine Person, die das Befehlen gewohnt war und verstand. Der Mann wagte nicht, etwas zu erwidern, obwohl ihm die Weisung nicht recht zu gefallen schien. Keula war eines der Dörfer unterhalb des Heidenkopfes, und zwar das diesem kahlen Rücken am nächsten gelegene. Gleich über dem Dorfe begannen, mit Wald abwechselnd, die öden übelberufenen Moorstrecken. Auch Polyxene hatte sich früher vor dem Wald und Moor da oben gefürchtet, so gut wie andere Leute. Als sie aber auf ihren Pirschgängen mit dem heranwachsenden Vetter dahintergekommen war, daß der Heidenkopf besonders wildreich sei und gerade das seltenere Weidgethier hege, da hatte die Jagdlust über die halb zweifelnde, halb gläubige Furcht vor allerlei Spuk den Sieg davongetragen. Und was war ihnen seitdem nicht schon alles vor die Büchse gekommen da oben, während sie weder im Morgen- noch im Abenddämmer je etwas Unheimliches wahrgenommen hatten!

Heute galt es nur einem Rehbock, das merkte Ludwig nun, da Polyxene den Weg über Keula hinaus nehmen ließ. Dort über dem Dorfe in der Tannung hatte dies dreiste Wild seinen Stand und that den magern Aeckern der Dorfleute Schaden genug, wenn es morgens und an mondhellen Abenden weit heraustrat.

Die Nebelluft biß Polyxenens sonst zartgefärbte Wangen mit scharfem Kusse glühend roth, und die Morgenfeuchte hing wie Perlen an dem rauhrandigen großen Hute und dem blonden Haar. Sie saß und blickte mit ihren ruhigen Augen zufrieden vor sich hinaus, ließ dieselben auch wohl aufmerksam schweifen, wenn undeutlich sichtbar und kaum hörbar der Flügelschlag eines aufgescheuchten Gefieders durch die Luft strich, nach dem Walde zu.

Auch Ludwig sah sich hell um. „Sieh’ nur die Sonne, Polyxene,“ sagte er; „man kann hineinschauen.“ Strahlenlos war die blasse runde Scheibe eben rechts über den ersten niedrigen windschiefen Häusern des Dörfchens Keula sichtbar geworden. [228] Polyxene nickte ihrerseits nach dem Gestirn hinüber. „Der Nebel verheißt einen guten Tag,“ meinte sie, „aber ich fürchte, die Sonne wird höher sein, als uns lieb ist, ehe wir unsern Platz gewinnen. Wenn wir nur zum Schusse kommen!“

„Ja, wer hat denn beim Rüsten auf sich warten lassen, ich oder Du?“ rief der Knabe. „Fahr zu, Dietlieb!“ Der stellte sich im Wagen aufrecht und feuerte durch Zuruf die knochigen Gäule an.

Sie durchschnitten ein paar elende obere Gassen des am Berge gelegenen Dorfes. Aus den Thüröffnungen seiner baufälligen Hütten schauten ihnen einzelne der Bewohner nach, meist hagere struppige Weiber, mit dem stumpfen, leer verweilenden Blicke des Viehes eher als mit menschlicher Neugier oder menschlichem Antheil. Und Polyxenens Auge glitt klar und heiter und ebenso unbewußt über sie hin wie der Sonnenstrahl über den Stein; sie hätte niemals daran gedacht, sich diesen Menschen zu nahen, die ihr, die den Vornehmen überhaupt unendlich viel ferner standen und unbekannter waren als ihre Jagdhunde und Pferde.

Jene lückenhaften Reihen schmutziger Lehmhütten ließ der Wagen bald hinter sich; er arbeitete sich jetzt ziemlich steil hinauf auf dem alten Kirchweg, wie ihn Polyxene vorhin bezeichnet hatte. Es war eine Straße, die seit langem nicht mehr in stand gehalten wurde, nach einem Kirchlein führend, das nicht mehr da war. Nur ein offenes Mauerwerk stand noch am Abhang, von dessen Innenraum Gesträuch Besitz genommen hatte, denn dies Gotteshaus war vor mehr als zwei Menschenaltern im großen Kriege als ein papistischer Greuel von den Schweden zerstört worden.

Jetzt erbarmte es die jungen Herrschaften nachgerade der Pferde, da der Boden moorig und bruchig wurde, vom Wege auch kaum mehr eine Spur vorhanden war. „Halt, Dietlieb!“ rief Polyxene mit ihrer frischen herrischen Stimme, „wir steigen aus!“

Im Nu waren sie beide vom Wagen, hatte Ludwig die Gewehre heruntergeholt und hingen ihnen diese über den Schultern. Nach kurzer Weisung entließen sie den Mann mit dem Wagen. Er sollte Fuhrwerk und Pferde im Dorfe unterbringen und ihnen dann nachkommen, mit einem Buben des Herbergshalters dort, um die Jagdbeute hinabzutragen.

Nun stiegen sie rüstig allein weiter und bald hatten sie die Stelle erreicht, wo sie, in eine Vertiefung geduckt und hinter dicken Heideknollen verborgen, die Rückkehr ihres Wildes ins Dickicht – denn herausgetreten war es beim frühesten Morgengrauen – belauern wollten. Es war eine muldenartige Vertiefung im Boden, trocken und reinlich, denn die unzähligen Thaudiamanten, die an den Moosen und Flechten glitzerten, waren ein oberflächliches Naß, welches die Sonne bald auflecken würde. Vorn hatte Ludwig die Heidepolster noch mit verschränkten Kieferzweigen zu einer Art Brustwehr erhöht, und dahinter konnten sie nun sitzen wie in einem behaglichen Nestchen, horchen auf allerhand Vogelstimmen, Auslug halten nach ihrem Wilde, das sie, wenn es sich die Höhe heraufzog, langsam und sorglos, wie die Thiere hier waren, lange genug aufs Korn nehmen konnten, um prächtig zum Schusse zu kommen.

Ehe sie sich’s aber in ihrer offenen Höhle bequem machten, meinte Polyxene: „Es ist noch Zeit; laß uns nach der Fährte sehen, Lutz!“ Und sie zogen lautlos, eines hinter dem andern her, noch einige hundert Schritte am Waldrand entlang bis zu einer Art Einbuchtung in den Forst. Das war die Stelle, wo das Wild zu wechseln pflegte. Wassergeäder von der Höhe durchsickerte hier den grünen Boden, so daß es feucht um den auftretenden Fuß aufquoll. Deutlich waren die Fußspuren des Wildes auf dem flach bewachsenen Grunde sichtbar.

Polyxene stand und stand, den hübschen Kopf gebückt über dem Boden. Plötzlich packte sie den Vetter am Arm und zeigte mit der andern Hand starr auf einen Fleck. Auch er bückte sich tiefer – es war eine Schweißspur. Kamen sie zu spät? Wer hatte vor ihnen hier zu pirschen gewagt? Mit einem Male sprang Polyxene vor und stieß einen leisen leidenschaftlichen Ruf aus. Gleich war Ludwig an ihrer Seite; ihrem Blicke folgend, gewahrte er, was sie sah ... die mächtige runde Fährte, schnurartig gereiht, da, da und da und dann – die beiden jungen Verwandten, die sich nun ohne Worte verstanden, eilten vorwärts – erst hier wieder, wohl sechs Ellen weiter ... daran erkannten sie ihn, den wildesten und gierigsten Räuber, den diese Einöden bargen. Er war das erste Mal fehlgesprungen, als er von seinem Versteck auf dem breiten mannsdicken Aste der einzelnen Eiche dort sich auf sein Opfer gestürzt hatte. Dann aber, mit einem Riesensatz, hatte er dasselbe doch noch erreicht und niedergerissen.

Der Knabe und das Mädchen sahen einander an, mit Blauaugen, in denen es sprühte über die Entdeckung. „Ein Luchs,“ wisperte Lutz. Sie nickte stumm, und nun verfolgten sie die rückwärtsführende Fährte. Es war nicht schwer; das Wild war von dem Räuber eine Strecke weit geschleift worden, das verrieth die Spur. Dann hier eine tief eingedrückte Stelle im feuchten Boden – hier hatte er sich an dem Blute des Thieres gütlich gethan und seine Mahlzeit gehalten, bei der er, wählerisch wie er war, sich auf die besten Bissen beschränkt und das übrige wahrscheinlich den Füchsen überlassen hatte. Richtig, dreißig Schritte weiter lag ein Hinterlauf und das traurig zernagte Köpfchen des Bockes mit dem zierlichen Gehörn; herausgefressen war sogar das Hirn von gierigen spitzen Schnautzen.

Die beiden Leyens standen noch, betrachteten das alles und ließen sich kein Anzeichen entgehen, auch das kleinste nicht, bis die Sonne die Wipfel der nächsten Bäume erreicht hatte und jetzt ihr Licht rasch tiefer herab sich verbreitete und zu herrschen begann. „Zum Schusse kommen wir heute nicht mehr, Ludwig,“ sagte Polyxene endlich in bitterer Enttäuschung. „Der Luchs hat unser Wild versprengt; hierher wechseln sie sobald nicht wieder. Jetzt heißt es, von neuem einen Platz auskundschaften.“

„Und das sollte dem vermaledeiten Diebe so hingehen?“ rief da der Knabe. „Jetzt, wo wir seine Spur haben? Komm, Polyxene, laß uns der Fährte folgen, so weit wir nur können ... Du hilfst suchen, Dein Auge ist scharf.“

„Er ist von Baum zu Baum gekommen,“ sagte Polyxene überlegend. „Wer weiß, wo er zuvor auf dem Boden gewesen ist und wie weit von hier. Heute fänden wir die Spur schwerlich. Und jetzt hat er sich schon wieder verkrochen, denn er geht nur in der Nacht heraus, das habe ich vom alten Strieger,“ fuhr sie fort. „Unter Tags liegt er im Geklüft und Geschlüft. Und ich dächte, das wilde Felsgestein links unter dem Heidenkopf wäre so recht ein Schlupfwinkel für diesen und seinesgleichen.“

„Da magst Du recht haben,“ rief der Knabe lebhaft. „Und der Strieger, der soll uns auf die Spur helfen. Daß ich nicht gleich an ihn gedacht habe!“

„Strieger weiß, wo der Luchs liegt, so gut wie er weiß, wohin er selbst abends seinen borstigen Graukopf zu legen hat,“ meinte auch Polyxene und lachte dabei leise vor sich hin. – Strieger war der alte Waldwart, von dessen Mangel an jeder höflichen Rücksicht, selbst gegen Kavaliere des fürstlichen Haushalts, Herr von Nievern die Pfalzgräfin unterhalten hatte, „Aber was hilft uns das alles? In der Nacht, da allein dem Räuber beizukommen wäre, können wir nicht hinaus. Wir müssen es dem Strieger überlassen, ihn abzuschießen, wann er es für gut hält.“

„Der alte Murrkopf,“ rief Ludwig unzufrieden, „der immer anders will, als man ihn bedeutet! Nein, den Luchs schieß’ ich!“ Die hübsche derbe Knabenhand schloß sich um die Büchse und die Augen leuchteten. „Ich getrau’ mich wohl, einmal eine Nacht hier draußen zu bleiben – nach dem Abendbrot schleich ich mich fort – der Oheim soll es schon nicht merken.“

„Nein, Lutz, daraus wird nichts,“ sagte Polyxene mit ruhiger Bestimmtheit. Sein Gesicht wurde lang, bis sie hinzufügte: „Allein kommst Du mir in der Nacht nicht hinaus!“ Einen Augenblick stand er zweifelnd, und dann jauchzte er beinahe: „Du gehst mit, ich seh’ Dir’s an! Wann, Polyxenchen, wann? Wieviel Wild soll er sich erst noch holen?“

„Laß nur – auf einen Rehbock mehr oder weniger kommt es nicht an. Wir führen das Stückchen nicht eher aus, als bis wir ihn völlig ausgekundschaftet haben, all seinen Weg und Wandel, und dann haben wir ihn. Das können wir aber nicht ohne den Strieger.“

„So laß uns ihn aufsuchen,“ drängte Lutz.

„Wir finden ihn nicht daheim,“ wandte Polyxene ein. „Komm!“ fuhr sie überredend fort und nahm ihn leicht beim Arme, „noch haben wir Zeit; wir pirschen uns lieber sachte hier quer durch die Tannen, so daß wir drüben auf der Blöße herauskommen; wer weiß, ob uns nicht doch noch etwas vor den Schuß kommt.“

„Es muß immer alles gehen, wie Du willst, Polyxene,“ sagte der Junge, willig, aber doch einen Blick des Bedauerns hinter dem Luchsabenteuer herschickend. Polyxene widersprach seiner Behauptung nicht gerade und mochte denken, daß das auch wohl in der Ordnung sei.

Nach Jägerart durchschritten sie nun hintereinander auf leisen Sohlen den Tann. Keine forstmäßig gereihten Fichtenzeilen gab [229] es hier, denn seit vielen Menschenaltern war dieser Wald sich selber überlassen – vielleicht war er’s von Anbeginn gewesen. Im Dunkel der Tannen, im Bereiche ihrer abgestorbenen, mit bösartigem Gezack nach allen Seiten starrenden Aeste war es eintönig und fast beklemmend. Oben in den Wipfeln mochte die Sonne weben und der freie Lufthauch hindurchziehen, hier unten merkte man nichts davon, und kein fröhliches Kraut gedieh am Boden, nur schattenliebende Unheilspender wie die Tollkirsche. Endlich lichtete sich der Tann. Ein scharfer Flügelschlag war vor ihnen hergestrichen zu der Stelle, die sie nun erreichten. Die eng verfilzten Tannen wichen hier rings zurück vor der freien, mit edelsteingrünem Moos überdeckten Stelle, auf der in der Mitte eine der gewaltigsten des Geschlechtes, eine uralte Edeltanne, sich erhob.

Die gewaltige Breite ihres in offenliegende Riesenwurzeln auslaufenden Stammes zog sich nach aufwärts alsbald zusammen, und an der nun schlank aufstrebenden himmelhohen Säule zweigten sich erst weit oben die Aeste ab, so daß das Sonnenlicht ungehindert ihren Fuß und den ganzen Boden ringsumher erreichen konnte. Daher hob sich der Kreis hier wonnig grün ab von dem Düster ringsum. Das Moos schimmerte, die Farrenwedel nickten – es war ein Waldbild wie ein Märchen so schön und jetzt gerade wunderherrlich durch den Silberschleier von Thau, der darüber lag, der zum Vorschein gekommen war, nachdem die Geister den dicht wallenden Nebel vor der ansteigenden Sonne in die Höhe gezogen und aufgewickelt hatten. Ja, aufgewickelt und dann, zu flockigen Ballen gezaust, in die Luft geschleudert, wo sie nun noch eine Weile weiß in den höchsten Tannenspitzen hingen und dann sich allgemach in die Breite zogen, feine Streifen wurden und vergingen.

„Kaiserin Augusta“ und „Seeadler“,
die für die Flottenschau im Hafen von New-York bestimmten deutschen Kriegsschiffe.
Zeichnung von Hans Bohrdt.

Aber nicht nach dem geisterhaften Flöckchen, welches die Edeltanne hoch oben festgehalten hatte, blickte Lutz jetzt so scharf, sondern nach einem grauen Punkte etwas tiefer. Polyxene sah ihn die Büchse an die Wange reißen, und noch ehe sie hätte sprechen können, krachte der Schuß. Es knackte durch die Tannenäste, weißliche Federn stoben umher, und dann schlug hart und fühllos auf den Boden nieder, was sich eben noch da oben als warmes Leben behaglich gurrend gesonnt hatte. Ludwig sprang hin und hob den Vogel auf, eine schön gezeichnete Holztaube. „Da, besser als nichts!“ rief er fröhlich, die leichte Beute in die Höhe haltend.

„Daß Du die Büchse nicht in Ruhe lassen kannst!“ sagte dagegen Polyxene unzufrieden. „Wer weiß, was Du uns durch den Schuß verscheucht hast!“

„Es ist doch ein Anfang,“ erwiderte er und hing den Vogel an die Jagdtasche. „Meinst Du, ich wollte leer nach Hause kommen?“

Was Lutz verscheucht haben mochte, indem sein Gewehr dem vorsichtigen Wilde ein Warnungszeichen gab, das erfuhren sie natürlich nicht. Wohl aber schien es, als habe umgekehrt der Schuß auch etwas herbeigerufen. Als sie jetzt um die mächtige Tanne herumgingen, knackten in dem Dickicht auf der anderen Seite die Aeste ... es kam heran, war jedoch dann wieder still. Sie horchten, rückten nach Jägerart vorsichtig weiter, fuhren aber dann doch zurück, als mit einem Male das mißfarbig abgestorbene untere Gestrüpp der Tannenwand sich nur wenig auseinander that und ein Antlitz und Oberkörper erschien, auch grau, verwittert, struppig und der Umgebung so ähnlich, wie es etwas Menschliches den Waldbäumen nur zu sein vermag.

„Ach, Ihr seid’s, Strieger?“ sagte Polyxene gleich darauf, halb lachend, halb unwillig über den eigenen Schreck. Und Ludwig, dem es nicht anders ging, rief mit seiner hellen Stimme – was er bei besserem Besinnen wohl nicht gesagt haben würde: „Habt Ihr’s denn vom Schwarzen, daß Ihr durch die Luft fahren könnt? Immer seid Ihr da, wo man sich Euer am wenigsten versieht!“

„Hör’ einer, wie das junge Hähnchen schon kräht!“ meinte darauf der alte Mann, wie grimmig in sich hinein gurgelnd, was bei ihm so viel wie Lachen war. „Wenn hier in des Striegers Revier geschossen wird, dann ist er dabei ... das laßt Euch nicht weiter wundern, Herrlein!“

(Fortsetzung folgt.)


[230]

Die Volkshaushaltungsschule in Leipzig.

Es dürfte kaum nöthig sein, an dieser Stelle ein Wort zu sprechen über das Bedürfniß der Gründung von Haushaltungsschulen für die Töchter des Arbeiterstandes. Alle Einsichtigen sind von der Nothwendigkeit derselben überzeugt, nur diejenigen unter den Wohlhabenden, welche die Lebensweise des Volkes nicht kennen, und einige Unverständige, welche da glauben, das Wirthschaftführen sei eine Kunst, die nicht erlernt zu werden brauche, nehmen eine gegnerische Stellung ein.

Die naturgemäße Entwicklung würde sein, die Wirthschaftslehre praktisch und theoretisch in den Lehrplan der weiblichen Fortbildungsschule aufzunehmen. Die Gemeinden sind aber größtentheils infolge anderweitiger Inanspruchnahme und infolge Ueberbürdung ihres Budgets nicht in der Lage, diesen Vorschlag auszuführen; deshalb muß vorläufig die Privatwohlthätigkeit eintreten und die Wege zu ebnen, Erfahrungen zu sammeln versuchen. Leider sind aber bis jetzt noch zu wenige Volkshaushaltungsschulen begründet worden, vielleicht einige Dutzend in ganz Deutschland, unter denen die in Leipzig bestehende sich eines schönen Erfolges erfreuen darf. Der Bericht über dieselbe soll dazu dienen, für die weitere Gründung solcher Schulen Lust und Stimmung zu wecken.

Die Leipziger Volkshaushaltungsschule, die nun seit bald anderthalb Jahren besteht, wurde am 1. November 1891 eröffnet mit einer Schülerinnenzahl von 56 Mädchen, die sich auf Morgen- und Abendkurse vertheilen. Die Lehrräumlichkeiten befinden sich in der Mühlstraße 14, Reudnitz-Leipzig; sie bestehen aus zwei großen, sehr hellen Zimmern, von denen das eine für Waschen und Nähen, das andere für Kochen und Essen bestimmt ist. In der Küche stehen außer 4 Herden, die für je 4 Kochstellen eingerichtet sind, die Schränke, deren oberer Theil zur Aufnahme des Eßgeschirrs dient, während im untern Theil das Küchengeräth, Töpfe, Schüsseln etc. untergebracht ist. An schönen großen Tischen wird zuerst die Küchenarbeit verrichtet, später gespeist, wofür sie mit hübschen Gummidecken belegt werden, damit auch die Zierlichkeit ihr Recht finde. Die Schülerinnen eines jeden Kursus sind in 2 Abtheilungen getheilt, von denen wochenweise die eine kocht, während die andre das Waschen und Plätten, sowie das Flicken erlernt; das Material für letzteres wird von den Schülerinnen selbst mitgebracht.

Die Kost bleibt vollständig im Rahmen derjenigen Nahrung, wie sie für eine Arbeiterfamilie zweckmäßig ist. Der Speisezettel, der von den Vorstandsdamen ausgearbeitet wird, nimmt auf möglichst vielseitige und kräftige Ernährung Bedacht und weist für das Halbjahr 55 verschiedene Gerichte auf, deren Zubereitung gelehrt wird und die sich durch angemessene Wiederholung dem Gedächtniß einprägen. Ueberdies wird von jeder Schülerin die Bereitungsart und der Preis des Gerichtes in ein Buch eingetragen. Der Preis darf durchschnittlich nicht über 15 Pfennig für die Portion betragen, und die Mädchen werden angewiesen, sich eine Kostenübersicht für die Woche zu machen, damit sie lernen, wie theurere und billigere Gerichte sich in diesem Zeitraum im Preis ausgleichen. In jeder Woche giebt es mindestens einmal Fleisch, aber in möglichst abwechselnder Form: vom einfach gekochten Rindfleisch bis zu Hackebraten, Fricandellen, Lungenhaché etc. Mehlspeisen, Fisch, Gemüse kommen wöchentlich je einmal vor; dabei werden, wie auch bei den Kartoffelgerichten, die verschiedensten Arten berücksichtigt. Einmal in der Woche findet das gründliche Reinmachen statt, und an diesen Tagen wird nur eine kräftige Suppe gekocht. Nach dem Essen wird natürlich täglich alles gebrauchte Geschirr sauber gereinigt und die Küche aufgeräumt.

Waschen und Plätten wird nach erprobten Grundsätzen gelehrt, indem vom Leichteren zum Schwereren übergegangen wird. Beim Handfertigkeitsunterricht wird keine mustergültige Arbeit verlangt wie in der Schule: die Flick- und Stopfarbeiten müssen aber gut und dauerhaft ausgeführt sein, wie es den Bedürfnissen des täglichen Lebens entspricht; die Kenntniß des Materials bildet dort wie hier einen Hauptpunkt des Unterrichts.

Der Vorstand, der die Schule ins Leben gerufen hat, weist die Namen angesehener Persönlichkeiten der Stadt auf und besteht aus einer Anzahl Herren für das „Auswärtige“, und aus acht Damen für das „Innere Amt“. Letztere wachen über die genaue Ausführung der festgestellten Grundsätze und wechseln in wöchentlicher Aufsicht ab. Eine Kochlehrerin sowie eine Wasch- und Nählehrerin unterrichten mit ebensoviel Hingebung wie Verständniß und legen besonderes Gewicht auf Reinlichkeit und Ordnung als auf die Grundlage der weiblichen Arbeit.

Die Betriebskosten, die ungefähr 3080 Mark im Jahre betragen, werden aufgebracht durch freiwillige Beiträge und durch den Erlös an Eintritts- und Kostgeld. Das Eintrittsgeld beträgt für den Vormittagskursus 3 Mark, für den Abendkursus 1 Mark. Für die Portion Essen entrichtet jede Schülerin wöchentlich 50 Pfennig, für die Unkosten beim Waschen und Plätten beim Eintritt 2 Mark.

Die wenn auch kurze Erfahrung in der Schule hat gezeigt, daß aus derselben gerne Dienstboten entnommen werden von solchen Herrschaften, die auf eine tüchtige Unterweisung in den Grundlagen der Haushaltungskunde Werth legen; darauf baut sich später leicht die Kenntniß der feineren Küche auf.

Es ist eine Freude, zu sehen, wie gern und fröhlich die Mädchen arbeiten, wie willig und anstellig sie beim Lernen sind. Die Abendschülerinnen, meist aus Lohnarbeiterinnen bestehend, kommen vielfach sehr müde zum Unterricht, der deshalb auf das Kochen an zwei Abenden beschränkt worden ist. Um dies auszugleichen, ist für die Mittwochabende eine Nähstunde eingerichtet worden, in der die Schülerinnen der Anstalt umsonst im Nähen, Flicken und Zuschneiden Unterweisung erhalten; gern werden hierzu auch Mädchen und Frauen jeden Alters hinzugenommen, die dann monatlich 50 Pfennig zu bezahlen haben. Die Morgenschülerinnen, die meist eben der Schule entwachsen sind, blühen förmlich auf bei guter Kost und angemessener Arbeit.

So sei dies Werk menschenfreundlicher Thätigkeit ebenso der Nacheiferung wie dem fleißigen Besuch empfohlen. Die Schuldirektoren werden sich den Dank der abgehenden Schülerinnen erwerben wie die Fabrikbesitzer den ihrer Arbeiterinnen, wenn sie dieselben, die meist zu schwach sind, in einen Dienst einzutreten, auf die Vorzüge der Anstalt aufmerksam machen. Der Segen wird nicht ausbleiben, wenn immer mehr Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen vorgebildet werden, die auch mit geringen Mitteln es verstehen, Mann und Kindern das Haus lieb und angenehm zu machen. Frau Lotte Windscheid.     


Freie Bahn!

Roman von E. Werner.

 (13. Fortsetzung.)

Eine Weile beobachtete Doktor Hagenbach das seltsame Gebahren seines Neffen mit steigender Verwunderung, dann aber fuhr er in seiner derben Art dazwischen. „Junge, bist Du verrückt geworden?“ rief er geärgert. Dagobert zuckte zusammen und wurde dunkelroth vor Verlegenheit. „Ich glaube, Du bist plötzlich übergeschnappt,“ fuhr sein Onkel fort und trat näher. „Was sollen denn diese Anstalten bedeuten?“

„Ich – ich lerne englische Wörter,“ erklärte Dagobert. Der Doktor schüttelte mißtrauisch den Kopf. „Englische Wörter, mit solchen herzbrechenden Seufzern? Das ist eine merkwürdige Art zu lernen.“

„Es war ein englisches Gedicht, das ich noch einmal – bitte, lieber Onkel, gieb her, das sind meine Aufsätze!“

Wie ein Stoßvogel schoß Dagobert auf den Tisch und das blaue Heft zu, aber zu spät, der Doktor hatte es bereits aufgeschlagen und begann darin zu blättern.

„Warum so aufgeregt? Du brauchst Dich ja offenbar Deiner Arbeiten nicht zu schämen und scheinst ziemlich weit gekommen zu sein. Fräulein Friedberg hat sich aber auch redliche Mühe mit Dir gegeben, und ich hoffe, Du bist ihr dankbar dafür.“

„Jawohl, sie gab sich Mühe – ich gab mir Mühe – wir gaben uns Mühe,“ stotterte Dagobert, der augenscheinlich gar nicht wußte, was er sagte, denn seine Augen waren in Todesangst auf die Hand des Onkels gerichtet, der eine Seite nach der andern umschlug, während er trocken bemerkte: „Nun, wenn Du ihr Deinen Dank in dieser Weise vorstotterst, wird sie nicht gerade sehr erbaut darüber sein – ja, was ist denn das?“

Er war auf ein lose eingelegtes Blatt gestoßen, bei dessen Anblick sein unglücklicher Neffe fast zusammenknickte.

„An Leonie!“ las Hagenbach verblüfft. „Das sind ja Verse! – ‚O zürne nicht, wenn ich zu Deinen Füßen‘ – oho, was soll denn das heißen?“

Dagobert stand da wie ein ertappter Verbrecher, während der Doktor das Gedicht durchlas, das nichts Geringeres als eine vollständige Liebeserklärung an die heimlich angebetete Lehrerin enthielt und die Ewigkeit dieser Gefühle mit den feierlichsten Schwüren betheuerte.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe Hagenbach die Sache überhaupt begriff, so ungeheuerlich erschien sie ihm. Als er aber endlich zum Verständniß gekommen war, da brach ein Ungewitter mit ungeheurem Blitz und Donner über den armen Dagobert los. Dieser ließ sich eine Zeitlang geduldig abkanzeln, als aber das Gewitter kein Ende nehmen wollte, machte er einen Versuch zum Widerspruch.

„Onkel, ich bin Dir Dank schuldig,“ sagte er feierlich, „wo es sich jedoch um die heiligsten Empfindungen meines Herzens handelt, endet Deine Macht wie mein Gehorsam. Ja, ich liebe Leonie, ich bete sie an – und das ist kein Verbrechen“

„Aber eine Dummheit ist es!“ rief der Doktor zornig, „eine Dummheit, wie sie noch nicht dagewesen ist! Ein Junge, der kaum die Schulbank hinter sich hat, der noch nicht einmal Student [231] ist … und verliebt sich in eine Dame, die seine Mutter sein könnte! Das also waren die ‚englischen Wörter‘! Die Liebeserklärung hast Du da vor dem Spiegel einstudiert! Nun, ich werde Fräulein Friedberg über ihren sauberen Schüler die Augen öffnen, und gnade Dir Gott wenn sie die Geschichte erfährt. Sie wird empört, außer sich sein.“

Er faltete grimmig das verhängnißvolle Blatt zusammen und steckte es zu sich. Der junge Mann sah seine Verse, die er im Schweiße seines Angesichts zusammengeschmiedet hatte, in der Rocktasche des Gefühllosen verschwinden, und der Muth der Verzweiflung gab ihm sein Selbstbewußtsein zurück.

„Ich bin kein Knabe mehr,“ erklärte er, sich in die Brust werfend. „Du hast kein Verständniß für die Gefühle, die in der Brust eines Jünglings stürmen, Dein Herz ist längst erstorben. Wo schon der Reif des Alters das Haupt deckt –“

Er hielt plötzlich inne und flüchtete schleunigst hinter den großen Lehnstuhl, denn der Doktor, der Anspielungen auf seine ergrauenden Haare nicht vertragen konnte, rückte ihm drohend auf den Leib.

„Ich verbitte mir solche Anzüglichkeiten!“ rief er wüthend. „Reif des Alters? Wie alt glaubst Du denn, daß ich bin? Du bildest Dir wohl ein, Dein Erbonkel werde bald das Zeitliche segnen, aber daran denk’ ich noch lange nicht, merke Dir das! Ich gehe jetzt mit Deinem Geschreibsel zu Fräulein Friedberg, und Du kannst inzwischen hier die Gefühle Deiner Jünglingsbrust ausstürmen lassen, das wird eine ganz nette Unterhaltung werden!“

„Onkel, Du hast kein Recht, meine Liebe zu verhöhnen,“ sagte Dagobert etwas kleinlaut hinter seinem Lehnstuhl hervor, doch der Doktor war schon aus der Thür und schritt nach seinem Wohnzimmer, wo er Hut und Stock nahm.

„Reif des Alters!“ brummte er. „Dummer Junge! Ich werde Dich mein ‚längst erstorbenes‘ Herz kennenlehren, Du sollst Dich wundern!“ Und damit begab er sich im Sturmschritt nach dem Herrenhaus.

Leonie Friedberg saß am Schreibtisch und beendete eben einen Brief, als der Arzt bei ihr eintrat; verwundert blickte sie auf. „Sie sind es, Herr Doktor? Ich erwartete eigentlich Dagobert, er pflegt sonst pünktlich zu sein.“

„Dagobert kommt heute nicht,“ erwiderte Hagenbach kurz.

„Weshalb nicht? Ist er unwohl?“

„Nein, aber ich habe ihm Hausarrest gegeben – dem verwünschten Jungen!“

„Sie halten den jungen Mann zu streng. Sie behandeln ihn immer noch wie einen Knaben, trotz seiner zwanzig Jahre!“

Der Doktor hörte kaum auf den Einwurf, er setzte sich nieder und fuhr grimmig fort: „Eine heillose Geschichte hat er da wieder angestiftet. Ich hätte sie Ihnen am liebsten verschwiegen, um Ihnen den Aerger zu ersparen, aber es hilft nichts, Sie müssen sie erfahren.“

„Mein Gott, was ist denn geschehen?“ fragte Leonie unruhig. „Doch hoffentlich nichts Ernstes?“

Die Züge Hagenbachs ließen allerdings auf etwas Ernstes schließen, als er aus seiner Rocktasche den dichterischen Erguß seines Neffen hervorzog und ihn mit unheilverkündender Miene dem Fräulein überreichte.

„Lesen Sie!“

Leonie begann zu lesen, sie las die Verse von Anfang bis zu Ende mit einer unbegreiflichen Ruhe durch, ja es zuckte dabei sogar ein Lächeln um ihre Lippen. Der Doktor, der vergeblich auf einen Ausdruck der Empörung wartete, sah sich endlich veranlaßt, ihrem Verständniß zu Hilfe zu kommen.“

„Es ist ein Gedicht,“ erläuterte er.

„Das sehe ich.“

„Und es ist an Sie gerichtet.“

„Aller Wahrscheinlichkeit nach, da mein Name darüber steht. Von Dagobert vermuthlich?“

„Das ist Ihnen wohl gar angenehm?“ rief Hagenbach gereizt. „Sie finden es, wie es scheint, ganz in der Ordnung, daß er sich ‚zu Ihren Füßen‘ legt – so heißt es wohl in dem Geschreibsel.“

Leonie zuckte immer noch lächelnd die Achseln. „Lassen Sie Ihrem Neffen seine jugendliche Schwärmerei, sie ist ungefährlich genug. Ich habe wirklich nichts dagegen.“

„Aber ich!“ rief der Doktor. „Wenn der dumme Junge sich noch ein einziges Mal untersteht, Sie anzusingen und Ihnen die stürmenden Gefühle seiner Jünglingsbrust zu Füßen zu legen, dann –“

„Was geht denn das Sie an?“ fragte Leonie, erstaunt über diesen heftigen Ausbruch, zu dem ihrer Meinung nach gar kein Grund vorlag.

„Was es mich angeht? Ja so! Freilich – Sie wissen noch gar nicht –“ Hagenbach stand plötzlich auf und trat dicht vor sie hin.

„Sehen Sie mich einmal an, Fräulein Friedberg!“

„Ich finde nichts besonders Merkwürdiges an Ihnen.“

„Merkwürdig sollen Sie mich auch nicht finden,“ sagte der Doktor beleidigt. „Aber ich sehe doch noch ganz leidlich aus für meine Jahre.“

„Gewiß, Herr Doktor.“

„Ich habe eine einträgliche Stellung, ein nicht unbedeutendes Vermögen, ein hübsches Haus – das für mich allein viel zu groß ist.“

„Das alles bezweifle ich nicht, aber was soll –?“

„Und was meine Derbheit betrifft,“ fuhr Hagenbach fort, ohne auf die Unterbrechung zu achten, „so ist die nur äußerlich. Im Grunde bin ich ein wahres Lamm.“

Leonie sah bei dieser Behauptung sehr ungläubig aus und hörte mit steigendem Befremden zu.

„Alles in allem ein Mann, mit dem sich leben läßt,“ schloß der Doktor mit großem Selbstbewußtsein, „Finden Sie das nicht auch?“

„Nun ja, aber –“

„Gut, so sagen Sie ‚ja‘, dann ist die Geschichte abgemacht!“

Leonie fuhr vom Stuhl auf und wurde dunkelroth. „Herr Doktor – was soll das heißen?“

„Was das heißen soll? Ach so, ich habe ganz vergessen Ihnen einen förmlichen Antrag zu machen. Aber das läßt sich nachholen. Also – ich biete Ihnen meine Hand und bitte um Ihr Jawort – schlagen Sie ein!“

Er streckte die Hand aus, jedoch seine Erwählte wich drei Schritte zurück und sagte scharf: „Sie müssen schon meiner Ueberraschung Rechnung tragen. Ich habe es wirklich nicht für möglich gehalten, daß Sie mich mit einem Antrage beehren würden.“

„Sie meinen, weil Sie ‚Nerven‘ haben?“ sagte Hagenbach ganz unbekümmert. „O, das thut nichts, das werde ich Ihnen schon abgewöhnen, dafür bin ich Arzt.“

„Ich bedaure nur, Ihnen dazu keine Gelegenheit geben zu können,“ war die sehr kühle Antwort, die den Doktor stutzig machte.

„Soll ich das etwa als einen Korb betrachten?“ fragte er in gedehntem Tone.

„Wenn Sie es so nennen wollen – jedenfalls ist es die Antwort auf Ihren so ungemein zart und rücksichtsvoll gestellten Antrag.“

Das Gesicht des Doktors verlängerte sich bedeutend. Er hatte es nicht für nöthig gehalten, seiner Derbheit Zügel anzulegen und bei seiner Werbung Umstände zu machen. Er wußte sehr gut, daß er trotz seiner Jahre und seiner ergrauenden Haare eine „Partie“ war und daß mehr als eine Dame seiner Bekanntschaft bereit war, seine Lebensstellung und sein Vermögen zu theilen – und hier, wo sein Antrag zweifellos ein großes, kaum noch erhofftes Glück für das mittellose Mädchen war, wurde er ohne weiteres abgewiesen! Er glaubte, nicht recht gehört zu haben.

„Sie weisen also wirklich meinen Antrag zurück?“ fragte er.

„Ich bedaure, auf die mir zugedachte Ehre verzichten zu müssen.“

Es trat eine kurze Pause ein, Hagenbach blickte abwechselnd auf Leonie und auf den Schreibtisch oder vielmehr auf das Bild über demselben, dann aber brach der zurückgehaltene Aerger bei ihm durch. „Warum?“ fragte er herrisch.

„Das ist doch wohl meine Sache.“

„Bitte sehr, es ist meine Sache, wenn ich einen Korb erhalte; ich will wenigstens wissen, weshalb. Da steht mir irgend etwas anderes entgegen, eine Erinnerung, eine Jugendliebe, mit einem Worte – der da!“

Er wies auf das Bild mit der Trauerschleife, Leonie schwieg – ihr stürzten plötzlich die heißen Thränen aus den Augen.

„Dacht’ ich’s doch!“ rief der Doktor ingrimmig. „Aber so lasse ich mich nicht abweisen, mein Fräulein. Wer war dieser sogenannte Vetter? Wo hat er gelebt? Wie ist er nach Afrika gekommen? Das werde ich doch wenigstens erfahren?“

Er that bei jeder Frage einen Schritt vorwärts und ging schließlich so wüthend auf das Bild los, daß Leonie wie zum Schutze vor dasselbe trat.

„Wenn Sie so großen Werth darauf legen“ sagte sie, ihre Thränen unterdrückend, „so mag es sein. Ja, Engelbert war mein Verlobter, den ich ewig beweinen werde. Er weilte als Hauslehrer in der Familie, in der ich Erzieherin war, unsere Herzen fanden sich und unsere Seelen flossen ineinander.“

[232] „So, das muß recht rührend gewesen sein!“ brummte Hagenbach, zum Glücke so leise, daß Leonie ihn nicht verstand; sie fuhr mit bebender Stimme fort: „Engelbert ging dann als Reisebegleiter nach Aegypten, doch kam es über ihn wie eine Offenbarung und er beschloß, sein künftiges Leben der Bekehrung der armen Heiden zu weihen. Er gab mir großmüthig mein Wort zurück, ich nahm das jedoch nicht an, sondern erklärte mich bereit seinen schweren aufopferungsvollen Beruf mit ihm zu theilen. Es sollte nicht sein! Er schrieb mir noch einmal vor seinem Abgang in das Innere Afrikas, und dann“ – ihre Stimme brach im Schluchzen – „dann hörte ich nichts mehr von ihm.“

Hagenbach theilte diesen Schmerz durchaus nicht, er empfand vielmehr eine außerordentliche Genugthuung darüber, daß der besagte Bräutigam und Heidenbekehrer wirklich tot und verschollen war. Die Erzählung besänftigte seinen Unmuth, sie nahm der Abweisung, die er erhalten, alles Verletzende. Er gerieth in eine versöhnliche Stimmung, die sich sogar auf seinen Nebenbuhler erstreckte.

„Friede seiner Asche!“ sagte er, „Aber Sie werden doch einmal aufhören, ihn zu beweinen, und ihn nicht zeitlebens betrauern. Das mag in den Wertherzeit Mode gewesen sein, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts weint die Braut dem Entschlafenen die üblichen Thränen nach und nimmt dann einen anderen – wenn nämlich einer da ist. In unserem Falle ist er da und wiederholt seinen Antrag. Also, Leonie, wollen Sie mich? Ja oder nein?“

„Nein!“ sagte Leonie, sich empört ausrichtend. „Wenn ich noch nicht wüßte, was ich in der zarten anbetenden Liebe meines Engelbert besessen habe, so würde es mir Ihre Werbung zeigen. Vielleicht wären Sie einer anderen Dame doch nicht in solch – formloser Weise genaht, aber das verblühte einsame Mädchen, die arme abhängige Erzieherin muß es ja als ein Glück betrachten, wenn ihr eine ‚gute Versorgung‘ geboten wird. Wozu da noch Umstände machen? Ich denke aber doch zu hoch von der Ehe, um sie nur aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten. Lieber will ich meine Armuth und meine Abhängigkeit behalten, als die Frau eines Mannes werden, der es nicht einmal als Freier der Mühe werth hält, mir die nöthige Rücksicht zu erweisen. – Und nun haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen, Herr Doktor.“ Sie machte ihm eine Verbeugung und ging aus dem Zimmer.

Hagenbach stand da und sah ihr verblüfft nach. „Das nennt man abgekanzelt werden!“ sagte er, „und ich habe mir das ganz ruhig gefallen lassen. Uebrigens sah sie in dieser Entrüstung mit den purpurrothen Wangen und den blitzenden Augen durchaus nicht schlecht aus. Ich habe gar nicht gewußt, daß sie so hübsch ist. – Ja, diese verwünschten Junggesellengewohnheiten! Man verkommt ganz dabei.“

Er nahm seinen Hut und machte Anstalt zum Gehen, da fiel sein Blick wieder auf das Bild des vielbeweinten Nebenbuhlers und sein ganzer Zorn wandte sich gegen die unschuldige Photographie.

„Dieser Jammermensch! Dieser Hungerleider! Dieser – Engelbert!“ Er legte das ganze Maß seiner Verachtung in den Namen. „Und darum schlägt sie einen Mann wie mich aus, der ihr Lebensstellung und Vermögen bietet. Es ist ein Unsinn, eine Verrücktheit!“ Er hielt inne und schlug auf den Schreibtisch, daß der arme Engelbert samt seiner Trauerschleife erzitterte. „Und doch gefällt mir das an ihr und darum werde ich sie heirathen, sie mag wollen oder nicht!“




In Odensberg flatterten die Fahnen, krachten die Böllerschüsse von den umliegenden Höhen, und Ehrenpforten, Laubgewinde und Blumen grüßten überall das junge Ehepaar, das soeben von der Trauung zurückkehrte.

Die Vermählung hatte in der etwas entlegenen Patronatskirche stattgefunden, wo einst auch Dernburg mit seiner Gattin vor den Altar getreten war; jetzt kam der Hochzeitszug zurück, eine lange Reihe von Wagen, an der Spitze die Equipage der Neuvermählten. Die Werke feierten heute selbstverständlich, sämtliche Arbeiter bildeten Spalier auf dem Wege zum Herrenhaus, und der goldene Sonnenschein des schönen Spätsommertages erhöhte noch die Festfreude und den Festjubel, die in ganz Odensberg herrschten.

Jetzt fuhr der Brautwagen durch die große Ehrenpforte, die sich mit ihren Fahnen und Laubgewinden prachtvoll ausnahm, und hielt an der Terrasse; Erich hob seine Gattin heraus. Der Fuß der jungen Frau schritt buchstäblich auf Blumen dahin, die man in überreicher Fülle auf ihren Weg gestreut hatte. Die Eingangshalle war in einen duftenden blühenden Garten verwandelt, und auch die weitgeöffneten Festräume des Hauses empfingen blumendurchduftet die neue Herrin.

Dernburg folgte mit seiner Schwester am Arme, eine tiefe Bewegung sprach aus seinen Zügen, als er den Sohn und die Schwiegertochter umarmte. Er hatte ein schweres Opfer gebracht, als er in die Trennung und den dauernden Aufenthalt des jungen Paares im Süden willigte, aber die grenzenlose Glückseligkeit, die aus dem Gesicht Erichs leuchtete, vergalt es dem Vater doch einigermaßen. Dann fiel dessen Blick auf Maja, die jetzt an Wildenrods Seite eintrat. Er musterte die hohe stolze Erscheinung des Mannes, der wie geschaffen schien, dereinst die herrschende Stellung in Odensberg einzunehmen. Er sah das holde Gesichtchen seines Lieblings ebenso verklärt von Freude und Glück, und da wich der Schatten auch von seiner Stirn. Das Schicksal bot ihm vollen Ersatz für das, was er aufgeben mußte!

Maja flog in die Arme ihres Bruders und küßte dann mit hingebender Zärtlichkeit die schöne Schwägerin. Auch Oskar umarmte das junge Paar, aber als er sich zu Cäcilie niederbeugte, richtete er einen finsteren Blick auf sie, besorgt und drohend, und sie mußte das wohl fühlen, sie zuckte leise zusammen und machte sich mit einer hastigen Bewegung los aus seinen Armen.

Es blieb der Familie nicht viel Zeit zum Alleinsein, denn inzwischen waren auch die anderen Wagen vorgefahren und die Hochzeitsgesellschaft versammelte sich. Die Neuvermählten wurden von allen Seiten beglückwünscht und bildeten bald den Mittelpunkt des glänzenden Kreises, der sich hier zusammengefunden hatte. Es fehlte keine der hervorragenden Persönlichkeiten der Umgegend, mit alleiniger Ausnahme des Majoratsherrn Grafen Eckardstein, der die Einladung abgelehnt hatte.

Der junge Ehemann schwamm in Seligkeit. An diesem Tage, der den heißesten Wunsch seines Herzens erfüllte und sein Glück besiegelte, schien ihm auch die Gesundheit zurückgekommen zu sein. Er sah nicht mehr kränklich und gebeugt aus. Mit heiß gerötheten Wangen und leuchtenden Augen nahm er lächelnd die Glückwünsche entgegen und zeigte eine Heiterkeit und Lebendigkeit, die sonst gar nicht in seinem Wesen lag. Dabei verwandte er die Augen kaum von seiner jungen Frau, als könnte er selbst auf Minuten ihren Anblick nicht entbehren.

Und diese Bewunderung war verzeihlich genug. Cäcilie sah hinreißend schön aus in ihrem bräutlichen Schmucke. Das weiße Atlasgewand, der kostbare Spitzenschleier und die Diamanten, die an Hals und Armen funkelten, das Brautgeschenk Erichs, hoben den eigenartigen Reiz ihrer Erscheinung noch mehr. Nur das schöne Antlitz erschien seltsam bleich unter dem Myrthenkranz. Auch sie neigte lächelnd den Kopf gegen jeden der Gratulanten, der zu ihr trat, und sprach die üblichen Dankesworte, aber es lag etwas Starres, Kaltes in diesem Lächeln und die Stimme war völlig klanglos. Zum Glück fiel das niemand besonders auf, man gestand heute der Braut gerne das Recht zu, blaß und ernst zu sein.

Der Direktor der Odensberger Werke und Doktor Hagenbach, die gleichfalls zu den Gästen gehörten, standen etwas abseits am Fenster. Der erstere hatte die Leitung der festlichen Veranstaltungen übernommen, mit denen die Arbeiterschaft den Sohn ihres Chefs an seinem Ehrentag begrüßte. Es war alles über Erwarten gelungen, die Ehrenpforten, die Ausschmückung des Weges zur Kirche, die Abordnungen und Glückwünsche in Versen und Prosa, die zum Theil schon gestern stattgefunden hatten. Die Hauptsache jedoch kam noch – der große Festzug der Arbeiter, der sich eben draußen ordnete. Der Direktor befand sich in gelinder Aufregung, weil es sich um seine Glanznummer handelte, und sprach leise und angelegentlich auf den Doktor ein, dieser aber hörte zerstreut zu und blickte öfter zu dem jungen Paare hinüber, das noch immer von einem Kreise von Freunden umgeben war.

„Ich wollte, Sie hätten den Festzug auf gestern angesetzt,“ sagte er leise. „Der Vorbeimarsch wird weit über eine Stunde dauern, und so lange muß das Brautpaar auf der Terrasse aushalten. Es wird zuviel für Erich. Die Trauung, der Festzug, dann das große Diner und schließlich die Abreise. – Ich war überhaupt von Anfang an gegen diese großen und rauschenden Festlichkeiten, doch ich wurde von allen Seiten überstimmt, selbst Herr Dernburg wünschte eine möglichst glänzende Feier.“

„Bei der Hochzeit seines einzigen Sohnes ist das ganz in

[233]

Lenzblüthen.
Nach einem Gemälde von H. Mühlthaler.

[234] der Ordnung,“ meinte der Direktor, „und die Theilnahme der Odensberger Arbeiterschaft ließ sich auch nicht zurückweisen. Ich denke, wir werden Ehre einlegen mit unserem Zuge, er muß sich in dem hellen Sonnenschein prächtig ausnehmen. Ich begreife übrigens Ihre Besorgniß für den jungen Herrn nicht. Er sieht vortrefflich aus – ich habe ihn nie so heiter und frisch gesehen wie heute.“

„Eben deshalb fürchte ich. Es liegt etwas Fieberhaftes in seiner Aufregung, und jede Aufregung ist Gift für seinen Zustand. Ich wollte, er säße erst ruhig mit seiner Frau im Wagen und hätte den ganzen Jubel hinter sich.“

Sie wurden unterbrochen, ein Diener meldete, daß die Aufstellung des Zuges vollendet sei und daß nur noch auf das Erscheinen der Herrschaften gewartet werde. Der Direktor trat zu dem jungen Ehepaar und bat im Namen der gesamten Arbeiterschaft von Odensberg, deren Huldigung anzunehmen. Erich lächelte und bot seiner jungen Frau den Arm, um sie nach der Terrasse zu führen. Dernburg und die Gäste schlossen sich an.

Es war ein mächtiges und fesselndes Bild, das sich jetzt draußen in dem hellen Mittagssonnenschein entfaltete. Die Oberbeamten standen am Fuße der Terrasse, während ihre Untergebenen die einzelnen Gruppen des Festzuges anführten, der auf der weiten Strecke bis nach den Werken hinüber Aufstellung genommen hatte und sich nun in Bewegung setzte. In dichten endlosen Scharen, mit Musik und wehenden Fahnen zogen die Tausende von Arbeitern vorüber, denen sich auch die Leute aus den Eisenhütten oben im Gebirge angeschlossen hatten. In sehr geschickter Anordnung hatte man Kindergruppen dazwischen gestellt, die wirksam die Einförmigkeit des Zuges unterbrachen. Die Schüler der von Dernburg gestifteten Schulen marschierten in ihrem Sonntagsstaate daher, die helle Festfreude leuchtete aus den Gesichtern; als sie der Braut ansichtig wurden, schwenkten sie Mützen und Blumensträuße und die kleinen Kehlen brachten jubelnd ein Hoch nach dem andern aus.

Es kostete Mühe, die Bahn für den Zug frei zu halten, denn die Frauen der Arbeiter mit den kleinsten Kindern auf den Armen hielten die Ränder des Weges besetzt und außerdem war die Bevölkerung der ganzen Umgegend herbeigeströmt. Alle Blicke waren auf die Terrasse gerichtet, auf die weiße Gestalt der Braut, vor der sich alle Fahnen senkten, der all dieser Jubel galt; sie war der Mittelpunkt des ganzen Festes und empfing Huldigungen, wie sie sonst nur einer Fürstin zutheil werden. Unaufhörlich neigte sie mit freundlichem Danke das Haupt, aber es lag wie ein Zwang in dieser Bewegung und die großen dunklen Augen blickten fremd auf den Jubel und die Festfreude, als sähen sie gar nichts davon, als suchten sie in weiter weiter Ferne etwas ganz anderes.

Erich dagegen nahm, ganz wider seine Gewohnheit, den lebhaftesten Antheil. Er machte Cäcilie auf Einzelheiten des Zuges aufmerksam, wandte sich wiederholt zu dem Direktor, um ihm seinen Dank und seine Freude auszusprechen, und schien seine Schüchternheit und Zurückhaltung völlig abgelegt zu haben. Sonst war es ihm peinlich und drückend, die Hauptperson bei derartigen Veranstaltungen zu sein, heute begrüßte er sie um seines jungen Weibes willen mit freudigem Stolze.

Dernburg stand neben seinem Sohne und nahm mit ernster Freundlichkeit den Jubel hin. Wer konnte es ihm verdenken, daß seine Brust sich stolzer hob und seine mächtige Gestalt sich höher aufrichtete beim Anblick der Tausende, die an ihm vorüberzogen. Das waren seine Arbeiter, denen er dreißig Jahre lang ein Herr, aber auch ein Vater gewesen war, für deren Wohl er gesorgt und gearbeitet hatte wie für sein eigenes, und die wollte man ihm entfremden! Die sollten sich von ihm abwenden, um einem anderen zu folgen, der noch nichts für sie gethan hatte, der seine Laufbahn damit begann, daß er dem Manne, der ihm ein größerer Wohlthäter gewesen war denn allen sonst, als Feind gegenübertrat! Ein verächtliches Lächeln spielte um die Lippen des Herrn von Odensberg – der Grund, auf dem er stand, war felsenfest, das fühlte er heute mächtiger denn je.

Aber noch ein anderer blickte mit hochgeschwellter Brust und blitzenden Augen auf die vorbeifluthenden Massen, Oskar von Wildenrod, der mit Maja unter einem der Orangenbäume stand. Wie großartig ihm auch das Getriebe der Odensberger Werke von jeher erschienen war, die volle Macht und Bedeutung der Stellung, die Dernburg einnahm, hatte sich ihm noch nie so deutlich gezeigt – und das war seine dereinstige Stellung. Der Gebieter einer solchen Welt zu sein, sie mit einem Worte, einem Winke zu lenken, das war sein Ziel gewesen von jenem ersten Abend an, an welchem er nach den im nächtlichen Dunkel liegenden Werken hinübergeblickt hatte – jetzt endlich stand er dicht vor der Erfüllung.

Sein Blick wandte sich auf Maja, und der stolze Triumph in seinen Zügen ging unter in einem glücklichen Lächeln. Die halb komische, halb feierliche Würde, mit der das junge Mädchen die ungewohnte lange Schleppe des blauen Seidengewandes trug, kleidete sie zum Entzücken; das rosige Gesichtchen glühte vor freudiger Erregung. Mit dem Frohsinn eines Kindes ließ sie sich von den Wogen des Festjubels und des Glückes tragen, das sich in ihrem Herzen barg. Sie wußte ja bereits, daß der Vater den Widerstand gegen ihre Liebe aufgegeben hatte.

„Ist es nicht schön?“ fragte sie, die braunen strahlenden Augen emporhebend. „Und Erich ist so glücklich!“

Oskar lächelte und beugte sich zu ihr herab.

„O, ich kenne einen, der noch glücklicher sein wird als Erich, wenn er dort an jener Stelle steht; sein junges bräutliches Weib zur Seite, wenn –“

„Still, Oskar!“ unterbrach ihn Maja mit erglühendem Gesicht. „Du weißt – Papa will nicht, daß schon jetzt etwas davon verlautet.“

„Es hört uns niemand,“ sagte Oskar, und in der That verschlang der Lärm der Musik und der Hochrufe sein leidenschaftliches Flüstern. „Auch ist der Papa nicht so streng, wie er sich anstellt. Mir hat er freilich die Bitte versagt, unsere Verlobung schon heute zu verkündigen, es war schwer genug, ihm die Einwilligung überhaupt abzuringen. Aber jetzt bist Du hier, und wenn sein Liebling ihn bittet, wird er nicht Nein sagen. Ich wage morgen einen erneuten Sturm – wirst Du mir helfen, meine Maja?“

Sie antwortete nicht, nur ihre Augen sagten ihm, daß es an der erbetenen Hilfe nicht fehlen werde; mit leisem innigen Drucke faßte er ihre Hand. Er hatte offenbar gar nichts dagegen, wenn die Gesellschaft errieth, was sie vorläufig noch nicht erfahren sollte.

Eben zog die letzte Gruppe der Arbeiter vorüber, der Vorbeimarsch war zu Ende und die ganze Masse der Zuschauer wogte in die nun freigegebene Bahn, um sich dem Zuge anzuschließen. Auch auf der Terrasse kam jetzt alles in Bewegung. Der Direktor nahm nochmals den Dank Dernburgs und seines Sohnes und die Artigkeiten der Gesellschaft für den gelungenen Festzug in Empfang, dann begab sich das junge Ehepaar mit seinen Gästen in das Haus zurück.

In dem großen Festsaal empfing rauschende Musik und eine reich mit Blumen und Silbergeräth geschmückte Tafel die Eintretenden. So wenig Dernburg es liebte, mit seinem Reichthum zu prahlen, heute ließ er alle Schätze seines Hauses glänzen. Das Mahl verlief in der bei solchen Gelegenheiten üblichen Weise, es wurden Reden gehalten, Gesundheiten ausgebracht, und als nach Verlauf von einigen Stunden die Tafel aufgehoben wurde, begann der Tanz, den der jüngere Theil der Gesellschaft sehnsüchtig erwartet hatte.

Die Neuvermählten nahmen nur an dem ersten großen Rundgang theil und zogen sich dann zurück. Maja, die von Wildenrod nach ihrem Platze zurückgeleitet wurde, sah mit einiger Verwunderung, daß sie den Saal verließen.

„Warum brechen denn Erich und Cäcilie schon auf?“ fragte sie. „Die Abreise sollte ja erst in einer Stunde stattfinden.“

„Das ist Doktor Hagenbachs Schuld,“ erklärte Oskar. „Er fürchtet, daß Erich sich zu viel zugemuthet habe – ganz unnöthigerweise, wie mir scheint, denn Erich hat nie wohler ausgesehen als heute.“

„Das finde ich auch, aber Cäcilie sieht um so bleicher aus. Sie war überhaupt so ernst und still – eine glückliche Braut habe ich mir ganz anders gedacht.“

Wildenrods Blick war gleichfalls der Schwester gefolgt und die tiefe düstere Falte erschien auf seiner Stirn. Aber dann zuckte er die Achseln und entgegnete in gleichgültigem Tone:

„Sie ist ermüdet und abgespannt, und das ist kein Wunder. Der Herr Direktor hat uns etwas viel zugemuthet mit diesem endlos langen Festzug, dem wir bis zur letzten Gruppe stand halten mußten.“

Maja schüttelte das Köpfchen, ihre kindlichen Züge wurden ernst und nachdenklich. „Erich meint, es sei etwas anderes, das er schon erfahren werde.“

„Was will Erich erfahren?“ fragte Wildenrod plötzlich so scharf, daß das junge Mädchen ihn befremdet ansah.

„O, er irrt sich vielleicht, aber er klagte mir schon bei meiner Rückkehr über die Veränderung, die seit Wochen mit Cäcilie vorgegangen sei. [235] Er fürchtet, daß sie sich durch irgend etwas Ungewöhnliches bedrückt fühle, und hoffte, sie würde mir eher Rede stehen als ihm. Ich that ihm gern den Gefallen, nachzuforschen, aber ich erreichte nichts. Sie blieb verschlossen auch gegen mich – Erich war ganz unglücklich darüber.“

Oskar biß sich auf die Lippen, ein Ausdruck trat in seine Züge, der Maja erschreckte. Als er jedoch ihren fragenden Blick bemerkte, lachte er kurz auf und sagte leichthin: „Ich fürchte, Erich wird mit seiner übertriebenen Zärtlichkeit sich und seiner Frau das Leben schwer machen. Zum Glück ist Cäcilie für solche Empfindsamkeiten nicht angelegt, sie wird ihn auslachen mit seiner Gespensterseherei!“

Der eben beginnende Walzer unterbrach das Gespräch der beiden. Ein junger Offizier, dem die Tochter des Hauses diesen Tanz zugesagt hatte, kam herbei, um sie abzuholen, Maja, die zum ersten Male in einem größeren Kreise tanzte, gab sich mit voller Freude diesem Vergnügen hin, aber ihr Auge kehrte doch bald wieder zu dem Orte zurück, wo der Freiherr stand oder vielmehr gestanden hatte, denn er war nicht mehr dort. Sie suchte ihn vergebens, er mußte den Saal verlassen haben.

Erich hatte seine junge Gattin nach ihrem Zimmer geleitet und sich dann in seine eigene Wohnung begeben, um den Anzug zu wechseln. Er lächelte über die peinliche Vorsicht des Arztes, der es nicht lassen konnte, ihn immer noch als Kranken zu behandeln, er hatte sich nie wohler gefühlt als heute. Aber mit der Anordnung selbst war er ganz einverstanden – nicht eine einzige Minute des Alleinseins mit seiner Frau war ihm bisher gegönnt worden. Der Reiseanzug war schnell angelegt, und nun blieb noch eine halbe Stunde für ein süßes trauliches Geplauder, das niemand störte.

Voll Ungeduld eilte der junge Ehemann hinaus, um sich zu seiner Frau zu begeben, aber am Fuße der Treppe blieb er einen Augenblick stehen und blickte durch die weit geöffneten Pforten der großen Eingangshalle.

Draußen lag die Landschaft im vollen Glanze der Abendsonne, deren goldiger Schein auch die blumenbestreute Terrasse überfluthete, und ein breiter leuchtender Strahl fiel in die Halle. Von den Werken drüben, wo die Festlichkeiten für die Arbeiter stattfanden, tönte Musik und Jubel herüber und aus den geöffneten Fenstern des Tanzsaales, wo gerade eine Pause stattfand, drang das heitere Plaudern und Lachen der Gesellschaft.

Erich athmete tief und freudig auf – es war ein schöner Tag gewesen, sein Vermählungstag. Und jetzt erst begann das Leben für ihn, jetzt winkte ihm die weite Welt, der sonnige Süden, er wurde frei von den drückenden Pflichten und durfte dort am Strande des blauen Meeres, an der Seite eines geliebten Weibes einen zauberischen Traum des Glückes träumen. Im tiefsten Herzen empfand er die Gunst des Himmels, die ihn mit allen Gaben überschüttet hatte.

Mit raschen Schritten stieg er die Treppe hinauf und wollte in den kleinen Salon eintreten, der die Zimmer Cäciliens und ihres Bruders voneinander schied, als er bemerkte, daß von innen der Riegel vorgeschoben war; auch auf sein leises Klopfen öffnete niemand. Er wurde ungeduldig und nahm einen andern Weg.

Oskars Zimmer hatte noch einen besonderen Eingang, eine kleine Tapetenthür, die selten oder nie benutzt wurde. Erich öffnete sie und durchschritt das Zimmer seines Schwagers und den anstoßenden Salon. Auf den weichen Teppichen war sein Schritt nicht hörbar und überdies war die Thür zu Cäciliens Zimmer geschlossen. Da vernahm der junge Mann Wildenrods Stimme von drinnen und blieb stehen.

Der Bruder hatte vermuthlich die junge Frau aufgesucht, um sie noch einmal allein zu sehen und ihr Lebewohl zu sagen. Das war natürlich und der jedenfalls nur kurze Abschied der Geschwister sollte nicht gestört werden. Doch was war das? Die Stimme des Freiherrn klang scharf und drohend, und jetzt ließ sich ein wildes leidenschaftliches Schluchzen vernehmen. War das Cäciliens Stimme? Seine Gattin konnte es doch nicht sein, die so angstvoll, so verzweifelt weinte! Erich erbleichte, die Ahnung eines Unheils legte sich ihm plötzlich eiskalt auf die Brust.

(Fortsetzung folgt.)




Erfinder-Lose.
Philipp Reis und das Telephon.
Von Dr. Adolf Poppe.

Als ich im August des Jahres 1891 auf einem Rundgang durch die Internationale elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a. M. die Halle für Telegraphie und Telephonie durchschritt, da fesselte mich vor allem die von der Reichstelegraphenverwaltung ausgestellte Sammlung jener Apparate, welche ein vollständiges und übersichtliches Bild von der Entwicklung der elektrischen Telegraphie gaben. Inmitten aller dieser glänzenden, aus den berühmtesten Werkstätten hervorgegangenen Erzeugnisse der physikalischen Technik und Feinmechanik stand ein unscheinbarer, von dem vorübergehenden Strome der Ausstellungsbesucher kaum beachteter Apparat, und sein Anblick rief in mir Erinnerungen wach an einen Vorgang aus meinem früheren Berufsleben, der mich zu dem Erfinder des Telephons in nahe Beziehung gebracht. Ich hatte in diesem bescheidenen Apparat das Originalmodell des Telephons sofort erkannt.

Neben dem Instrument lag das Buch von Silvanus P. Thompson, Professor der Physik an dem University College zu Bristol, „Philipp Reis, Inventor of the Telephone, London, 1883“. Als mir dieser Titel in goldener Schrift von dem stattlichen Einband entgegenleuchtete, da konnte ich mich eines gewissen Gefühls der Beschämung nicht erwehren, daß ein Engländer der erste hat sein müssen, welcher den bescheidenen deutschen Forscher öffentlich als den Urheber einer der glänzendsten Erfindungen des neunzehnten Jahrhunderts anerkannt hat, und zwar in einem Werke, welches als ein Muster gründlicher und gewissenhafter Forschung die Grundlage für die Geschichte des Telephons bildet. Mit dem alten bekannten Apparat stand auch, als läge nicht der Zeitraum eines Menschenalters zwischen dem Jetzt und dem Damals, das Bild des Erfinders wieder lebendig vor meiner Seele: die untersetzte kräftige Gestalt, der massive Kopf mit der intelligenten Stirn und den unregelmäßigen, aber ausdrucksvollen Gesichtszügen, aus denen ein Paar freundlicher kluger Augen blickte. Hatte ich doch mit Philipp Reis, dem zwanzigjährigen Zögling meiner polytechnischen Vorschule[1], ein Jahr lang in täglichem Verkehr gestanden!

Es war im Anfang April des Jahres 1854, als sich Philipp Reis persönlich bei mir zum Eintritt in die Anstalt meldete, indem er seinen bisherigen Bildungsgang in kurzen Umrissen darlegte. Wir wollen hier einen Blick auf die Jugendgeschichte unseres Erfinders werfen an der Hand von Mittheilungen, welche ich zum großen Theile seinem Sohne Karl Reis, Kaufmann in Homburg v. d. Höhe, verdanke.

Philipp Reis wurde am 7. Januar 1834 zu Gelnhausen, Regierungsbezirk Kassel, als Sohn eines Bäckermeisters geboren. Da seine Mutter früh starb, so lag die Erziehung des Knaben hauptsächlich in den Händen der Großmutter, die sich des Enkels auch liebevoll annahm. Schon in der Volksschule seiner Vaterstadt, welche Philipp von seinem 8. bis zu seinem 11. Lebensjahr besuchte, erkannten die Lehrer die ungewöhnliche geistige Begabung des aufgeweckten Knaben, und sie suchten seinen Vater zu bestimmen, ihn einer höheren Schule anzuvertrauen. Dieser war auch ganz damit einverstanden, aber er starb, noch ehe der Plan zur Ausführung gekommen war. Ein Jahr später übergaben Vormund und Großmutter den Knaben der in weiten Kreisen anerkannten Garnierschen Unterrichts- und Erziehungsanstalt zu Friedrichsdorf bei Homburg v. d. H., in welcher sie ihn gut aufgehoben wußten. Hier ward er bald der Liebling der Lehrer, die sich an den naiven Aeußerungen des für sein Alter sehr kleinen Knaben höchlich ergötzten, aber auch seinem glühenden Lerneifer alle Anerkennung zollten. Philipp zeigte in diesen Jahren eine besondere Vorliebe für fremde Sprachen, insbesondere für das Französische und Englische, und [236] erst während seines Aufenthalts in dem Hasselschen Institut zu Frankfurt a. M., in das er mit vierzehn Jahren übertrat, scheint seine Neigung für die Naturwissenschaften, besonders für Physik und praktische Mechanik, zum Durchbruch gekommen zu sein.

Allerlei mechanische Probleme begannen ihn zu beschäftigen, deren Lösungen von der Eigenart seines erfinderischen Geistes Zeugniß ablegten. Eine seiner Lieblingsideen war die Erfindung eines zuverlässigen Weckers, und er ruhte nicht eher, als bis er einen zustande gebracht hatte, der seinen Ansprüchen genügte. Er bestand, wie er mir später mit drolligem Humor erzählte, aus einem von der Straße heraufgeholten Pflasterstein, den er im Schlafzimmer als Gewicht aufhing und mit einer Schwarzwälder Uhr in Verbindung setzte. Der Stundenzeiger wirkte auf einen empfindlichen Hebelmechanismus, welcher den in einer gewissen Höhe schwebenden Stein zur bestimmten Zeit in Freiheit zu setzen hatte. Im Herabfallen sollte dieser mittels eines starken über eine Rolle laufenden Strickes den Arm des Schläfers kräftig in die Höhe reißen. Es kam jedoch nie so weit; Reis gestand, daß er in banger Erwartung dieses grausamen Augenblickes regelmäßig zu früh aufwachte und es dann vorzog, vor Eintritt der Katastrophe den schweren Pflasterstein abzuhängen. Immerhin, meinte er, habe der Wecker auch auf diese Weise seinen Zweck erfüllt.

Der rege Eifer, mit welchem der junge Mann den Naturwissenschaften oblag, veranlaßte die Lehrer, seinem Onkel und Vormund den Rath zu ertheilen, Philipp nach seinem Austritt aus der Anstalt die polytechnische Schule in Karlsruhe besuchen zu lassen. Aber alle ihre Bemühungen scheiterten an dem festen Willen des Vormundes, der sein Mündel zum Kaufmannsstande bestimmt hatte. Durch seinen Vater schon frühzeitig an Gehorsam gewöhnt, fügte sich Philipp mit schwerem Herzen in das Unabänderliche und trat am 1. März 1850 in das Farbwarengeschäft von J. F. Beyerbach als Lehrling ein, indem er zugleich seinem Vormund schrieb, daß er auf alle Fälle nach Beendigung der Lehrzeit seine Studien fortzusetzen beabsichtige.

Durch Fleiß und Pünktlichkeit erwarb er sich bald die Zufriedenheit und das Vertrauen seines Prinzipals. Zugleich aber benutzte er in seinen freien Stunden jede Gelegenheit zur Erweiterung seiner Kenntnisse. Er nahm Unterricht in der Chemie bei Dr. Julius Löwe und besuchte Professor Böttgers Vorlesungen über Chemie und dessen Vorträge über die neueren Entdeckungen und Beobachtungen im Gebiet der Physik und Chemie. Endlich lernte er noch das Drechseln, was ihm später bei Ausführung seiner Erfindungen sehr zu statten kam. Noch heute ist die Familie Reis im Besitz eines kunstvoll von ihm gedrechselten Aschenbechers. Den Rest der freien Zeit verwendete der Unermüdliche zu allerlei mechanischen Arbeiten. Bald waren es Rollschuhe als Ersatz der Schlittschuhe für die Sommerszeit, bald ein dreiräderiges Velociped, was seinen Geist beschäftigte, ja er gerieth sogar in den Bannkreis eines Phantoms, dem schon so viele zum Opfer gefallen sind: er meinte, er müsse das „Perpetuum mobile“ erfinden. Indessen überstand er glücklich diese Krisis, da sein gesunder Menschenverstand bald die Unmöglichkeit erkannte, eine Vorrichtung zu schaffen, deren Nutzwirkung größer wäre als der Aufwand an bewegender Kraft.

So kam das Ende seiner vierjährigen Lehrzeit heran und mit diesem der Zeitpunkt, wo sich Philipp Reis zum Eintritt in meine polytechnische Vorschule anmeldete.

Bei der natürlichen Begabung, dem gereiften Verstande und dem ernsten Streben, das Philipp Reis auszeichnete, war es zu erwarten, daß er das während seiner Lehrzeit Versäumte in verhältnißmäßig kurzer Zeit wieder hereinbrachte. Und wenn er sich der Experimentalphysik und Mechanik besonders lebhaft widmete, so erklärt sich das aus seinem früh erwachten Sinn für die praktische Seite der Naturwissenschaft. Doch das Dargebotene genügte dem Wissensdrange des jungen Mannes nicht. „Mehrere meiner Mitschüler,“ äußert sich Reis in seinen hinterlassenen Aufzeichnungen, „junge Leute im Alter von 18 bis 20 Jahren, empfanden es mit mir als einen Mangel, daß Naturgeschichte, Geschichte und Geographie nicht gelehrt wurden. Wir beschlossen daher, uns gegenseitig in diesen Fächern zu unterrichten. Ich übernahm die Geographie und gewann aus dieser ersten Veranlassung die Ueberzeugung, daß das Lehren mein Beruf sei. Herr Dr. Poppe bestärkte mich darin und unterstützte mich mit Rath und That.“ Es überraschte mich anfangs, als er mir seine Neigung zum Lehrerberuf enthüllte, da ich bei seinem so entschieden ausgeprägten Sinne für das Praktische bisher in ihm nichts anderes als den künftigen Techniker gesehen hatte. Doch mußte ich den Gründen, die ihn zur Aenderung seines Lebensplanes bestimmt hatten, schließlich beipflichten.

Durch sein treuherzig biederes Wesen und seine heitere Laune hatte sich Reis in kurzer Zeit die Zuneigung seiner Mitschüler erworben. Ich selbst trat zu ihm schon im Laufe des ersten Semesters in das Verhältniß eines älteren Freundes, wozu wesentlich eine gemeinsame Reise nach der Schweiz beitrug, die wir in den Sommerferien 1854 miteinander unternahmen. Wie diese Reise mich dem jungen Manne persönlich nahe brachte, so hat mir auch die Einführung eines für Natureindrücke so empfänglichen Gemüths in die Zauber der Hochgebirgswelt einen hohen Genuß bereitet.

Im Frühjahr 1855 verließ Reis die polytechnische Vorschule, um in Kassel bei den hessischen Jägern seiner Militärpflicht zu genügen. Nach dieser Unterbrechung seiner Studien kehrte er nach Frankfurt zurück, wo er mit allem Eifer seine Privatstudien wieder aufnahm, um sich auf den Besuch der Universität Heibelberg vorzubereiten und dort den Schlußstein zu seiner Ausbildung als Lehrer zu legen. Als solcher wollte er sich in Frankfurt niederlassen und in verschiedenen Anstalten den Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften übernehmen. Auf diese Weise hoffte er einen seinen Neigungen und Kenntnissen entsprechenden Wirkungskreis zu finden. Die folgenden zwei Jahre, 1856 bis 1858, beschäftigte er sich vorzugsweise mit Akustik, strahlender Wärme und Elektricität und unternahm in dieser Richtung die ersten selbständigen experimentellen Untersuchungen, wozu ich ihm meine Apparate zur Verfügung stellte. Unter anderem hatte ich ihm zwei große messingene Parabolspiegel geliehen, welche aus der mechanischen Werkstätte von Wilhelm Albert stammten. Als ich ihn eines Tages in dem kleinen Laboratorium besuchte, das er sich in einem Erdgeschoßraum der großen Gallusgasse, da wo jetzt das Hotel du Nord steht, eingerichtet hatte, fand ich ihn eifrig drehend an einer Elektrisiermaschine, in der Absicht, im Brennpunkte des einen isolierten Hohlspiegels elektrische Funken überspringen zu lassen, und in gespannter Erwartung, ob sich an einem etwa 8 Meter entfernten, im Brennpunkte des zweiten Hohlspiegels angebrachten Elektroskop eine Wirkung zeige. Schon seit einiger Zeit hatte ihn nämlich der erst neuerdings bestätigte Gedanke beschäftigt, daß die Elektricität eine besondere Schwingungsform des Aethers sei und daß sie in ähnlicher Weise im Raume sich fortpflanze und demselben Reflexionsgesetze folge wie Licht und strahlende Wärme. Seine Versuche scheinen jedoch damals zu keinem Ergebnisse geführt zu haben, aus dem sich sichere Schlüsse hätten ziehen lassen, was schon aus dem Grunde erklärlich ist, weil ihm die für feinere Untersuchungen erforderlichen Hilfsmittel nicht zu Gebote standen.

In Friedrichsdorf hatte sich inzwischen das Garniersche Institut innerhalb der zehn Jahre, welche verflossen waren, seit Philipp Reis als vierzehnjähriger Knabe dasselbe verlassen, bedeutend vergrößert und das Bedürfniß, das Lehrerpersonal zu vermehren, herausgestellt. Als nun Reis im Frühjahr 1858 dem Studienrathe Garnier einen Besuch abstattete und ihm bei dieser Gelegenheit seinen Lebensplan mittheilte, bot ihm Garnier vertrauensvoll sofort eine Stelle an. Mit Freuden erklärte sich Reis zur Annahme bereit, und im Herbst desselben Jahres erfolgte seine Einführung in den neuen Wirkungskreis. In einem Nebengebäude der Anstalt richtete er sich ein Laboratorium und physikalisches Kabinett nebst naturgeschichtlicher Sammlung ein, und in diesem kleinen Reiche waltete er als unumschränkter Herrscher. Im Frühjahr 1859 heirathete er dann die Tochter seines ehemaligen Vormundes und gründete sich sein trautes Heim, nachdem er ein dem Studienrath Garnier gehöriges Haus gekauft hatte. Hier war Reis in seiner freien Zeit wieder Mechanikus, Schlosser, Tischler und Drechsler in einer Person. In den Augen der Zöglinge umgab den Tausendkünstler bald ein geheimnißvoller Nimbus; man flüsterte sich zu, Herr Reis verschaffe sich auf irgend eine räthselhafte Weise mittels geheimer Apparate Kenntniß von allen muthwilligen Streichen. Und so ganz ohne Grund war dieses Gerücht nicht. Er hatte z. B. in seinem Arbeitszimmer an einer passenden Stelle eine Camera obscura aufgestellt, welche ihm von allen Vorgängen auf dem Spielplatz ein genaues Bild lieferte. Im Hofe befand sich ein kleiner Laufbrunnen, an welchem die Schüler öfters durch Zuhalten des Rohres ihren Muthwillen ausließen. Diesem Unfug zu steuern, hatte Reis in seinem Zimmer ein mit dem Brunnen [237] in Verbindung stehendes Manometer angebracht, welches jedesmal durch die unruhige Bewegung des Zeigers die Störung verrieth.

Im Jahre 1859 nahm Reis die zwei Jahre zuvor in der Gallusgasse zu Frankfurt begonnenen experimentellen Untersuchungen über elektrische Strahlung und zwar diesmal mit besseren Hilfsmitteln wieder auf. Er arbeitete ohne jemand hinzuzuziehen, für sich allein. Doch erinnert sich Herr E. Albert jun., aus dessen Werkstätte er damals die erforderlichen Hilfsmittel bezog, daß er Schirme von verschiedenem Material zwischen die Hohlspiegel brachte, um ihre Durchdringlichkeit für elektrische Strahlen zu prüfen, und daß er auch verschiedene Körperflächen zu Reflexionsversuchen benutzte. Seine Versuche scheinen diesmal nicht ohne Erfolg gewesen zu sein; denn er fühlte sich ermuthigt, eine Abhandlung „Ueber strahlende Elektricität“ an Professor Poggendorff in Berlin mit der Bitte zu senden, dieselbe in den „Annalen der Physik“ zu veröffentlichen. Zu seiner großen Enttäuschung nahm Poggendorff die Arbeit nicht auf, ein empfindlicher Schlag, der auf den jungen strebsamen Lehrer einen so entmuthigenden Eindruck machte, daß er die Lust verlor, seine Versuche weiter zu verfolgen. Erst 30 Jahre später, als ihn längst das Grab deckte, sind seine Vermuthungen durch die epochemachenden Entdeckungen des Professors Hertz bestätigt worden. Von der Abhandlung selbst ist keine Spur mehr vorhanden.

Philipp Reis, der Erfinder des Telephons.

Ueber all dem hatte Reis einen Gedanken nicht aus den Augen verloren, der schon dem 18jährigen Lehrling aufgestiegen war, den Gedanken nämlich, durch den galvanischen Strom unter Mitwirkung schwingender Membranen nicht nur musikalische Töne, sondern sogar gesprochene Worte in der Ferne vernehmbar zu machen. Schon auf jener gemeinsamen Schweizerreise hatte er mir Andeutungen über Versuche gemacht, zu denen ihn Pages Entdeckung von dem galvanischen Tönen eines von einer Drahtspirale umgebenen Eisenstabes angeregt hatte. Jetzt, im Jahre 1860, nahm er die damals wegen scheinbar unüberwindlicher Schwierigkeiten aufgegebenen Versuche wieder auf und jetzt gelang es ihm, festen Boden zu gewinnen. In freudiger Erregung theilte er mir eines Tages mit, daß ihm die Fortpflanzung beliebiger Töne auf ziemlich große Entfernung endlich geglückt sei, und er lud mich und meine Frau ein, uns selbst mit Aug’ und Ohr davon zu überzeugen. So begaben wir uns denn vor Schluß der Sommerferien, an einem schönen Junitag des Jahres 1860, nach Friedrichsdorf und suchten Reis in seinem Heim auf. Nach einigen vorbereitenden Anordnungen wurde zur Probe mit dem von Reis eigenhändig angefertigten, allerdings noch sehr unvollkommenen Versuchsapparat geschritten, dem er den Namen Telephon beigelegt hatte.

Die schematische Skizze Fig. 1 mag zur Veranschaulichung dieser ursprünglichen Anlage dienen. Der Empfänger A, welcher auf einem in der Mitte des Zimmers befindlichen Tische seinen Platz hatte, bestand aus einem Resonanzkästchen – soviel ich mich entsinne, einer leeren Cigarrenkiste – und einer mit sechs Lagen übersponnenen Kupferdrahtes umwickelten Rolle oder Magnetisierungsspirale a, welche über eine dicke Stricknadel n n geschoben war[2]. Letztere ruhte mit ihren aus der Rolle hervorragenden Enden auf zwei Stegen des Kästchens. Zwei Klemmschrauben c und g nahmen die beiden Drahtenden der Rolle und die vom Sender B und der Batterie kommenden Leitungsdrähte L L auf. Einige Minuten nachdem sich Reis in das durch den Hofraum von seiner Wohnung getrennte Hintergebäude zum Absende-Apparat begeben hatte, erschallte aus der Richtung des Resonanzkästchens leise, doch im ganzen Zimmer vernehmbar, in einem summenden Tone die Melodie des Volksliedes „Muß i denn, muß i denn zum Städtele ’naus“. Dann folgten noch einige andere bekannte Volkslieder ohne Worte. Daß direkte Schallleitung nicht im Spiele sein konnte, ließ sich leicht feststellen. Als Reis wieder ins Zimmer trat, war mein Erstes die naheliegende Frage, ob er mit der Melodie auch die Worte in den Absender gesprochen habe. Er bejahte es mit der Bemerkung, daß seine Bemühungen, auch das gesungene oder gesprochene Wort auf elektrischem Wege deutlich zu übertragen, bis jetzt ohne befriedigenden Erfolg gewesen seien. Indessen gebe er die Hoffnung nicht auf, mit sorgfältiger gebauten Apparaten und nach Anbringung einiger Verbesserungen auch dieses Ziel noch zu erreichen, ja er hoffe sogar, die Herstellung eines mündlichen Verkehrs zwischen zwei meilenweit voneinander entfernten Stationen noch zu erleben. Ihm selbst sollte dieses Glück nicht beschieden sein. Wie nahe er indessen ohne es zu ahnen, diesem Ziele war, darauf werde ich weiter unten zurückkommen.

Den Sender konnte ich an jenem Nachmittag leider nicht mehr in Augenschein nehmen, da die vorgeschrittene Zeit zur Rückfahrt mahnte. Höchst wahrscheinlich ist es derselbe Apparat gewesen, welchen Reis das Jahr darauf bei Gelegenheit eines im Physikalischen Verein zu Frankfurt gehaltenen Vortrages „Ueber Telephonie durch den galvanischen Strom“ beschrieben hat und der später in den Besitz des Professors Thompson gekommen ist. Er besteht aus einem Holzwürfel B, welcher als Schalltrichter eine konische Höhlung besitzt, deren engere Mündung durch eine straff gespannte Membrane aus Schweinsdünndarm verschlossen ist. Auf die Mitte der letzteren ist ein Platinplättchen m gekittet und dieses durch einen dünnen Kupferstreifen p mit der Klemme s verbunden. Ein an der Klemme befestigter Platinstreifen q, das sogenannte Hämmerchen, endigt über der Mitte der Membrane in einer Spitze, mit der es das Plättchen m berührt. Sobald durch diesen Kontakt, welcher in der Folge durch eine besondere Schraube reguliert wurde, die Kette geschlossen war, nahm der Strom von dem positiven Pole x einiger Bunsenschen Elemente aus durch den Leitungsdraht L den Weg x r p m q s g a c y. Die Schallwellen, welche in abwechselnden Verdichtungen und Verdünnungen der Luft bestehen, setzen die Membrane in Schwingung. Nach des Erfinders Erklärung wird bei der Verdichtung das Hämmerchen q von der Membrane zurückgedrängt, bei der Verdünnung kann dasselbe der zurückschwingenden Membrane nicht folgen und der Strom bleibt solange unterbrochen, bis die Membrane durch den Druck einer neuen Verdichtung wieder an q gedrängt wird. In dieser Weise bewirkt jede Schallwelle ein Schließen und Oeffnen des Stroms, also auf der entfernten Station gleichzeitig eine Magnetisierung und Entmagnetisierung der Stricknadel, d. h. eine entsprechende Aenderung und Wiederherstellung der Gleichgewichtslage ihrer Moleküle. Die Folge ist ein Ton, dessen Höhe oder Tiefe den Stromunterbrechungen in gegebener Zeit entspricht.

[238] Jener Vortrag im Physikalischen Verein zu Frankfurt am 26. Oktober 1861 war die erste Gelegenheit, bei welcher Reis mit seinem Telephon an die Oeffentlichkeit trat. Der Empfänger befand sich im Hörsaal des Vereins, der Sender in einer Entfernung von etwa 100 Metern im benachbarten Bürgerhospital, dessen Fenster und Thüren geschlossen waren. Obgleich an der ursprünglichen Gestalt des Apparates, wie ich sie oben beschrieben habe, wenig verändert oder verbessert war, so erregten doch die musikalischen Leistungen desselben das Erstaunen und die Bewunderung der zahlreich versammelten Zuhörerschaft.

Kurz darauf wurden in Reis’ Wohnung zu Friedrichsdorf in Gegenwart des Professors J. Müller aus Freiburg i. B., des Professors Schenk, des Musiklehrers H. F. Peter und des Apothekers Müller interessante Sprechversuche mit dem Telephon angestellt, worüber folgende Mittheilungen vorliegen: der Schwager des Erfinders, Philipp Schmidt, begab sich an den entfernten Sender und sprach verschiedene Sätze aus Spieß’ Turnbuch in den Apparat, welche Reis, der am Empfänger horchte, den Anwesenden wörtlich wiederholte. Da Peter meinte, die Bekanntschaft mit dem Buche sei es, welche Reis das Verständnis der in den Sender gesprochenen Worte erleichtere, so begab er sich selbst an den Sender und rief absichtlich einige sinnlose Sätze hinein, z. B.: „Die Sonne ist von Kupfer“; Reis verstand: „Die Sonne ist von Zucker“; ferner: „Das Pferd frißt keinen Gurkensalat“; Reis verstand und wiederholte: „Das Pferd frißt …“ Trotz dieser Unvollkommenheiten war das Erstaunen der Anwesenden groß, und kein geringeres Aufsehen erregte der am 11. Mai 1862 im Freien deutschen Hochstift vor einer zahlreichen Versammlung gehaltene und von Versuchen begleitete Vortrag, worin Reis den Ursprung und die Entwicklung seiner Telephon-Idee in klarer und gedrängter Form darlegte. Als Zeichen der Anerkennung seiner glänzenden Erfindung wurde er kurz darauf zum Ehrenmitglied des Hochstifts ernannt.

Ermuthigt durch die lebhafte Theilnahme, mit der Fachmänner und Laien seine Erfindung begrüßten, sandte Reis eine zweite Abhandlung, diesmal über das Telephon, an Professor Poggendorff. Aber ungeachtet der brieflichen Empfehlung der Professoren Böttger in Frankfurt und J. Müller in Freiburg wurde die Aufnahme auch dieser Arbeit in die „Annalen der Physik“ abgelehnt, wodurch sich Philipp Reis mehr als je gekränkt fühlte. Was ihn aber früher daniedergedrückt hatte, das spornte ihn jetzt zu erhöhtem Eifer an; er wollte der Welt zeigen, wie wenig er eine solche Kränkung verdient habe. Eine Verbesserung folgte der anderen; das Ziel dabei war hauptsächlich die Verstärkung des Tons und die bequemere Handhabung des Instrumentes. Den Abschluß bildete die im Jahre 1863 aus der mechanischen Werkstätte von W. Albert und Sohn hervorgegangene Konstruktion, welche auch in der „Gartenlaube“, Jahrgang 1863, Nr. 51 beschrieben und abgebildet ist. Am 6. September 1863 zeigte Dr. Otto Volger das Telephon dem zur Zeit des Fürstenkongresses in Frankfurt anwesenden Kaiser von Oesterreich und dem König Maximilian von Bayern, als diese das Goethehaus besuchten.

Die ehrenvollste Anerkennung erlebte der Erfinder in der deutschen Naturforscherversammlung zu Gießen am 21. September 1864, wo er in der physikalischen Sektion sein Telephon selbst vorzeigte und erklärte. Hier waren es die versammelten Spitzen der Wissenschaft, Physiker ersten Ranges, welche seinem Vortrag mit gespannter Aufmerksamkeit folgten und den Probeleistungen des Apparates volle Bewunderung zollten, Männer wie Helmholtz, Weber, Poggendorff, Wiedemann, Quincke und noch viele andere. Die bescheidene Weise, in welcher Reis von seinen Untersuchungen sprach, erwarb ihm sofort das Wohlwollen aller Zuhörer. Daß damals nicht nur musikalische Töne, sondern auch gesungene und auf gewöhnliche Weise gesprochene Laute verstanden worden sind, wird von mehreren der Anwesenden, so von Quincke in einem an Thompson gerichteten Schreiben vom 10. März 1883, bestätigt, „Ich horchte,“ so erzählt jener, „an dem Resonanzkästchen und hörte sowohl Singen als Sprechen. Ich erinnere mich ganz bestimmt, die Worte des deutschen Liedes ‚Ach! du lieber Augustin, alles ist hin!‘ gehört zu haben.“[3] Die Mitglieder der Versammlung waren freudig erstaunt und beglückwünschten aufs herzlichste Herrn Reis zu dem Erfolg seiner Untersuchungen in der Telephonie.

Nach seinem so beifällig angenommenen Vortrag wurde Reis, wie Thompson nach Mittheilungen von Augenzeugen berichtet, die Genugtuung zu theil, daß ihn Poggendorff persönlich um Einsendung einer Abhandlung über das Telephon für die „Annalen der Physik“ ersuchte. Diesmal aber war es Reis, welcher, der wiederholten Kränkung durch Poggendorff eingedenk, in höflichster Form ablehnte.

Von jetzt an wurde das Telephon nach allen Richtungen der Windrose versendet, so daß es bald in den physikalischen Kabinetten der meisten Städte anzutreffen war. Aber an eine praktische Verwerthung desselben im Sinne eines geregelten Fernsprechverkehrs war, solange die Uebermittlung der menschlichen Sprache sich nur auf kurze Sätze und geringe Entfernungen beschränkte, nicht zu denken. Es war daher für Reis eine bittere Enttänschung, wahrnehmen zu müssen, wie die allgemeine Theilnahme für die Erfindung nicht allein in der Laienwelt, sondern selbst in wissenschaftlichen Kreisen allmählich ermattete. Er verlor die freudige Schaffenskraft und arbeitete nur noch wenig an der Vervollkommnung des Telephons. Seine letzten Arbeiten in dieser Richtung zu Anfang der siebziger Jahre hatten das Ziel, die Töne eines Musikinstruments, z. B. eines Klaviers, auf elektrischem Wege fortzupflanzen. Er mußte jedoch diese Idee wieder fallen lassen, als sich die ersten Anzeichen eines Lungenleidens einstellten. Die Leitungsdrähte um das Wohnhaus und die Klemmschrauben dicht am Klavier, welche mir im August 1891 von seiner Witwe gezeigt wurden, rühren noch von diesem letzten Versuch her. Im Dezember 1873 warf die Lungenschwindsucht Philipp Reis auf das Krankenlager, von dem er sich nicht mehr erheben sollte, und am 14. Januar 1874 erlag er, 40 Jahre alt, der schleichenden Krankheit. Das sehnlichst erstrebte Ziel, sein Telephon im Dienste der Menschheit praktisch verwendet zu sehen, hatte er nicht mehr erreicht. Ihm selbst sollte dieses Glück nicht beschieden sein.

Seinem forschenden Geiste scheint eines verhüllt geblieben zu sein: der Gedanke, daß die Uebermittlung von Tönen und Worten in ihrer ungetrübten Reinheit, Fülle und Klangfarbe auf elektrischem Wege nur durch stetige, den Verdichtungen und Verdünnungen der Schallwellen genau entsprechende Stärke-Aenderungen eines ununterbrochenen Stromes, mit anderen Worten, durch Umwandlung der Schallwellen in Stromwellen, zu erzielen sei. Dieses für die Entwicklung des Fernsprechwesens so hochwichtige Prinzip zuerst erkannt und zur Vervollkommnung des Telephons benutzt zu haben, ist das Verdienst des Amerikaners Graham Bell. Und so sehen wir den „Fernsprecher“ im Jahre 1876, zwei Jahre nach dem Tode unseres Reis, zuerst durch Bell und ein Jahr später durch E. Hughes und R. Lüdtge, die Erfinder des Mikrophons, mit großartigem Erfolg praktisch durchgeführt. Nichtsdestoweniger ist und bleibt das Telephon auch als Fernsprecher deutschen Ursprungs. Denn daß dem Urheber der Erfindung die Uebermittlung der Sprache nicht allein als Möglichkeit vorgeschwebt hat, sondern daß sie ihm tatsächlich gelungen ist, dies haben, wie oben bereits nachgewiesen, glaubwürdige Zeugen öffentlich bestätigt. Graham Bell, welcher das Reis’sche Telephon genau kannte, hat sich in seinem englischen Patent selbst nicht als Erfinder bezeichnet, sondern nur den Anspruch erhoben, die Erfindung verbessert zu haben.

Dadurch ist allen Bemühungen, von welcher Seite sie kommen mögen, Philipp Reis die Priorität der Erfindung abzusprechen und sie Graham Bell zuzuwenden, von vornherein die Grundlage genommen.

Nachdem wir oben einen ununterbrochenen, gleichsam als Abbild der Schallwellen auf- und abschwellenden elektrischen Strom als wesentliche Bedingung für die getreue Uebermittlung der Sprache bezeichnet haben, liegt die Frage nahe, wie denn das Reis’sche Telephon mit seinem aussetzenden Strom Worte oder Sätze überhaupt mit genügender Deutlichkeit wiedergeben konnte. Hierfür giebt Thompson folgende Erklärung. Nach seiner Auffassung bestand bei dem Reis’schen Sender die Thätigkeit des sogenannten Unterbrechers nicht in Stromunterbrechungen und Stromschlüssen im strengen Sinne des Wortes, sondern in der den Membranschwingungen proportionalen Aenderung der Stromstärke mittels eines im Stromkreise angebrachten losen, veränderlichen und regulierbaren Kontaktes. Dadurch wurde der Strom in einen „undulatorischen“, d. h. einen anschwellenden und [239] wieder zusammensinkenden, verwandelt und somit für die Uebertragung der Sprache geeignet. Die öfters beobachtete Unvollkommenheit und Unsicherheit dieser Uebertragung aber schreibt Thompson der großen Leichtigkeit zu, mit welcher der Kontakt unterbrochen werden konnte, wenn zu laut in den Schalltrichter gesprochen wurde. Nach dieser Erklärung würde Reis, dem der bestimmte physikalische Begriff ununterbrochener elektrischer Stromwellen nicht bekannt war, die Ströme seines Telephons irrthümlich für unterbrochene gehalten haben, während sie in Wirklichkeit undulatorische waren. „Aber alles das hat,“ wie ein Fachmann[4] einmal ausgesprochen hat, „mit der thatsächlichen Wirksamkeit seines Senders nichts zu thun. Es kommt für das Verdienst des Reis nicht darauf an, wie er sich den genauen physikalischen Vorgang vorgestellt hat, sondern wie dieser Vorgang wirklich beschaffen war.“ Um nun die wesentliche Uebereinstimmung des Reis’schen Telephons mit dem Telephon der Gegenwart möglichst anschaulich vor Augen zu führen, habe ich beide Systeme in den schematischen Skizzen Fig. 2 und 3 nebeneinander gestellt und zur Bezeichnung der entsprechenden Theile gleiche Buchstaben gewählt.

Unsere heutigen Fernsprecheinrichtungen, so vielgestaltig sie auch sein mögen, haben doch beinahe alle die folgenden Hauptorgane miteinauder gemein:

1. Die galvanische Batterie zur Erzeugung eines Lokalstroms, des „primären“ Stroms.

2. Ein in den Stromkreis dieser Batterie eingeschaltetes „Mikrophon“, welches die Schwingungen einer Schallplatte oder Membrane auf den Lokalstrom überträgt und in Stromwellen, d. h. Aenderungen der Stromstärke, umsetzt.

3. Den „Induktor“ oder „Transformator“, welcher den Zweck hat, mittels des undulatorischen Lokalstromes in dem Telephondraht einen sekundären undulatorischen Strom von größerer Spannung hervorzurufen.

4. Das Bellsche Hörtelephon als Empfänger.

Dieses ganze System ist in seinem Zusammenhange durch Fig. 2 veranschaulicht. Unter der Mitte der elastischen Schallplatte oder Membrane M ist ein Kohlenstück a befestigt, welches ein zweites auf fester Grundlage ruhendes Kohlenstück b unter regulierbarem Drucke dauernd berührt. Diese beiden Kontaktstücke, an deren Stelle auch öfters Platin gewählt wird, sind es, welche in Verbindung mit der Schallplatte das im einzelnen vielfach verschieden gebaute Mikrophon in einfachster Form darstellen. B ist die elektrische Batterie. Wird nun das Bellsche Hörtelephon T von dem Gehäuse des Senders (Gebers) abgehängt, um ans Ohr gebracht zu werden, so wird der Stromkreis geschlossen, und der Lokalstrom nimmt von dem positiven Pol x aus seinen Weg in der Pfeilrichtung durch beide Kontaktstücke a und b, umkreist die Spule c d des Induktors A und kehrt durch den Pol y in die Batterie zurück. Die von den Schallwellen hervorgerufenen Schwingungen der Platte M vermehren und vermindern, genau nach Maßgabe ihrer Stärke, die Innigkeit der Berührung beider Kontaktstücke, d. h. den Querschnitt des Leiters, und somit in gleichem Verhältnisse auch die Stromstärke, kurz sie bewirken jenes An- und Abschwellen, welches dem Lokalstrom den wellenartigen Charakter verleiht. Der Lokalstrom selbst aber ruft, indem er die Wicklung der Hauptrolle c d des Induktors durchfließt, in den Drahtwindungen der Nebenrolle i und somit in der Telephonleitung überhaupt, einen in gleicher Weise auf- und abschwellenden sekundären Strom von größerer Spannung hervor, welcher den Leitungswiderstand leicht überwindet. Letzteres würde auf große Entfernungen mit dem verhältnißmäßig schwachen primären Strom nicht ausführbar sein. Der sekundäre Strom ist es nun, welcher die Drahtrollen r der Bellschen Telephone T beider Stationen durchfließt und die feinen „Wogen“ entsprechenden Verstärkungen oder Verminderungen im Magnetismus der Stabmagnete n herbeiführt. Dadurch wird die dem Ende der letzteren nahe gegenüberliegende dünne Eisenscheibe s in Schwingungen gesetzt, welche dem Ohr die gegen M gesprochenen Laute in ihrer ganzen Reinheit und Klangfarbe wiedergeben.

Die Vergleichung dieses Systems, als des Typus der modernen Fernsprecheinrichtung, mit dem in Fig. 3 skizzierten Reis’schen Telephon vom Jahre 1863 läßt, was den Sender betrifft, den einzigen Unterschied erkennen, daß bei Reis der Induktor A fehlt, der Batteriestrom also die ganze Strecke bis zur entfernten Station zu durchlaufen hat. Die Kohlenstücke a und b sind hier durch Platinstücke, nämlich das Plättchen a und das Hämmerchen b, vertreten. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die letzteren, wenn sie sich während der Membranschwingungen dauernd berühren, ein Mikrophon bilden und aus demselben Grunde wie die Kohlenstücke in Fig. 2 den elektrischen Strom in einen undulierenden verwandeln. Indem dieser in Fig. 3 auf dem Wege x a b c r g y die Drahtwicklung der Rolle r des Empfängers E durchfließt, erregt er in der Stricknadel n n Molekularschwingungen, welche den Stärkeänderungen des Stromes und somit auch den Membranschwingungen entsprechen und auf das Resonanzkästchen übertragen werden. Bei ununterbrochenem Kontakte vermag nun das dem Kästchen genäherte Ohr sowohl musikalische Töne als auch jedes gesprochene Wort, bei unterbrochenem aber nur musikalische Töne deutlich zu hören.

Vergleicht man endlich mit diesem Empfänger das in Fig. 2 gleichfalls als Empfänger dienende Bell-Telephon T, so ist auch hier die nahe Verwandtschaft nicht zu verkennen. Jeder unbefangene Beobachter wird in dem Bell-Telephon T sofort den Reis’schen Empfänger E in anderer, für den Gebrauch bequemerer Form erblicken. Denn in beiden ist eine Induktionsrolle r das wesentliche Hilfsmittel, durch das der Strom bei Bell in dem Magnetstabe n, bei Reis in der Stricknadel n n Zu- und Abnahme des Magneasmus im Rhythmus der Schall- und Stromwellen hervorbringt, welche schließlich bei Bell die Eisenmembrane s, bei Reis das Resonanzkästchen in Schall erregende Schwingungen versetzen.

Wir kommen also zu dem Schluß, daß das ursprüngliche Telephon, wenn auch seine unmittelbaren Erfolge durch die wunderbaren Leistungen der späteren Telephonie in den Hintergrund gedrängt wurden, doch den gesunden Kern enthält, auf welchem das heutige Fernsprechwesen sich entwickeln konnte. Wem also der Ruhm gebührt, als Urheber einer der glänzendsten und bedeutsamsten Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts auf dem Gebiet der angewandten Naturwissenschaften bezeichnet zu werden, darüber kann kein Zweifel bestehen, und diesen Ruhm wird die Nachwelt unserem Philipp Reis nicht streitig machen.

Der deutsche Kaiser hat denn auch der Witwe des Erfinders aus seinem Dispositionsfonds als Zeichen dankbarer Anerkennung der Verdienste ihrers verstorbenen Gatten eine namhafte Pension bewilligt. Der Physikalische Verein zu Frankfurt a. M. ließ ihm auf dem Friedhof zu Friedrichsdorf einen schönen Gedenkstein errichten, und auch seine Vaterstadt Gelnhausen hat sein Andenken durch ein Denkmal geehrt.



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BLÄTTER UND BLÜTHEN.


Deutschlands Vertretung bei der internationalen Flottenschau im Hafen von New-York. (Zu dem Bilde S. 229.) In der Reihe der Festlichkeiten, welche die Eröffnung der Kolumbischen Weltausstellung zu Chicago umrahmen sollen, wird die für Ende April geplante Flottenschau einen hervorragenden Platz einnehmen. Alle Seestaaten beider Hemisphären sind hierzu eingeladen, und das beste Kriegsschiffmaterial der Welt wird sich verewigen zu einem Schauspiel, das ebenso großartig in seinem äußeren Verlauf wie lehrreich für den Sachverständigen zu werden verspricht. Die Versammlung der Schiffe findet bei Hampton an der Einfahrt in die Chesapeake-Bai, die Revue selbst im Hafen von New-York statt. Das Deutsche Reich wird bei dieser Flottenschau durch die Kreuzerkorvette „Kaiserin Augusta“ und durch den Kreuzer „Seeadler“ vertreten sein.

Mit der Kreuzerkorvette „Kaiserin Augusta“ entsendet Deutschland sein schnellstes und leistungsfähigstes Kriegsschiff über den Ocean. Wohl haben Nordamerika, Frankreich, Italien dem Typus der gepanzerten Schnellkreuzer in den letzten Jahren besondere Sorgfalt zugewandt, indessen besitzen sie doch kein Kriegsschiff, das alle wesentlichen Vorzüge in so vollkommenem Maße in sich vereinigt, wie dies bei der „Kaiserin Augusta“ der Fall ist. Auf der Germania-Werft zu Kiel gebaut, wurde sie am 15. Januar 1892 vom Prinzen Heinrich von Preußen auf den Namen „Kaiserin Augusta“ getauft zum Andenken an die verewigte Gemahlin Kaiser Wilhelms I. Ihre Bauart ist die eines geschützten Kreuzers mit durchgehendem Panzer unter der Wasserlinie. Als erster Dreischraubendampfer der deutschen Marine stellt sie einen ganz neuen Typus dar, der sich durch seine ungeheure Maschinenstärke vor allen früheren auszeichnet; verfügt doch die Korvette über die Wucht von 12000 Pferdekräften und ist imstande, bei gleichzeitiger Anwendung aller ihrer drei Schrauben die außerordentliche Höchstgeschwindigkeit von 21 Seemeilen in der Stunde zu erreichen!

Die drei Schrauben werden von drei neuen Expansionsmaschinen getrieben, die wasserdicht und voneinander getrennt in den Schiffskörper eingebaut sind. Jede einzelne hat ihren eigenen Schornstein. Die Formen des gewaltigen Schiffsleibes sind nicht ungefällig und werden durch den weißen Anstrich noch vortheilhaft gehoben. Zwanzig Geschütze, darunter acht Schnellladekanonen von 8,8 cm Kaliber, bilden die artilleristische Ausrüstung des Schiffes, die durch fünf Torpedorohre vervollständigt wird. Die Besatzung beläuft sich auf 427 Mann.

Der Kreuzer „Seeadler“ wurde in Danzig als Ersatz für den bei Apia gestrandeten „Adler“ gebaut und vor etwa Jahresfrist vom Stapel gelassen. Flotte zierliche Formen zeichnen ihn aus, auch er prangt in schimmerndem weißen Gewand, und seine Geschwindigkeit läßt sich bei einer Maschinenstärke von 2800 Pferdekräften auf 16 Seemeilen in der Stunde bringen. Wie alle für den auswärtigen Dienst bestimmten Fahrzeuge hat er noch die den großen Schlachtschiffen fehlende Segeleinrichtung. Acht leichtere Geschütze, von denen sechs in seitlichen Aufbauten stehen, bilden seine Bewaffnung, die Besatzung zählt 159 Köpfe. Trotz seiner verhältnißmäßig geringen Größe hat er doch zwei Millionen Mark gekostet.

Ist somit die deutsche Seemacht auf der Reede von Hampton und New-York der Zahl der Schiffe nach auch etwas bescheiden vertreten, so dürfen wir uns doch der Zuversicht hingeben, daß die hervorragenden Eigenschaften dieser Sendboten ersetzen werden, was etwa ihre Zahl vermissen läßt.

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.
In Erwartung.
Nach einem Gemälde von B. Vautier.

Eduard VI. von England vor der Unterzeichnung des ersten Todesurtheils. (Zu dem Bilde S. 225.) Als König Heinrich VIII. von England im Jahre 1547 gestorben war, folgte ihm auf dem Throne sein einziger männlicher Nachkomme, Eduard VI., ein zehnjähriger Knabe, der Sohn jener Johanna Seymour, welche Heinrich nach dem gewaltsamen Ende der schönen Anna Boleyn geheirathet hatte. Wir sehen auf unserem Bilde den jugendlichen Herrscher im Staatsrathe, wie ihm eben das erste Todesurtheil zur Unterschrift vorgelegt wird. Der königliche Knabe faltet betend die Hände, um die Zaghaftigkeit seines Herzens zu überwinden; denn er fürchtet, ein Unrecht zu thun und eine Art von Mord auf seine Seele zu laden. Düster blicken die Männer des Staatsraths, vor allem der Kanzler, des Königs Onkel, Eduard Seymour, Herzog von Somerset. Denn blutig war die Zeit des Königs Heinrich und bald sollte die nicht minder blutige der Königin Maria folgen. Und dieser Herzog von Somerset selbst sollte ja nach kurzer Zeit sein Haupt aufs Blutgerüst legen. Der junge König, der, noch nicht sechzehnjährig, 1553 an der Schwindsucht starb, war frommen Sinnes, aufrichtig bestrebt, in den religiösen Wirren der Zeit das Rechte zu finden – und so erscheint dieser sanfte Knabe als eine Art von Lichtgestalt in einer dunkeln Zeit. Man sieht es ihm an, er würde gern die Taube des Friedens dahinschweben lassen über das durch wilde Glaubenskämpfe zerrüttete Land und gern dem Verurtheilten gegenüber das Wort der Gnade sprechen. Doch gnadenlos blickt sein finsterer Mentor, gnadenlos die Räthe der Krone – und wenn seine gefalteten Hände sich lösen, dann wird er zur Feder greifen müssen, um widerwillig dem Todesurtheil die entscheidenden Schriftzüge hinzuzufügen.

Ungleiche Hausgenossen. (Zu unserer Kunstbeilage.) Etwa tausend Bilder, und zwar der Hauptsache nach Thierbilder, sind aus dem Atelier Sir Edwin Henry Landseers hervorgegangen, der von 1802 bis 1873 zu London lebte und zu seiner Zeit wohl der volksthümlichste Maler Englands war. Seine Fruchtbarkeit war fast unerschöpflich, ebenso groß aber seine Vielseitigkeit und die Feinheit seiner Beobachtung; alle Höhen und Tiefen des Thierlebens hat er dargestellt, ganz besonders aber haben die Hunde den Vorzug genossen, von ihm gemalt – nein, porträtiert zu werden. So gehört denn auch das Bild, welches unsere heutige Kunstbeilage wiedergiebt, zu den hervorragendsten Schöpfungen Landseers. In selbstbewußter Ruhe blickt die schwere Bracke aus klugen Augen in die Welt, während der nervöse Kopf des kleinen Pinschers im nächsten Augenblick einen kläffenden Angriff gewärtigen läßt.


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Ph. Cr. in Springfield, Ill. Das ist ganz richtig, daß sich in den deutschen Schriftwerken aller Art Ausdrücke mehr familiärer Natur finden, die Sie in einem Wörterbuch vergeblich suchen. Kommt es ja doch vor, daß in dieser Beziehung ein Deutscher oft den andern nicht gleich versteht. Einigen Aufschluß finden Sie in der Sammlung von Arnold Genthe, welche dieser unter dem Titel „Deutsches Slang“ zusammengestellt hat (Straßburg, Karl J. Trübner). Mit dem englischen Worte „Slang“ bezeichnet er, in Ermanglung eines damit sich deckenden deutschen Ausdrucks, eben jene nicht schriftgemäßen, aber in der zwanglosen Unterhaltung allgemein oder wenigstens viel gebrauchten deutschen Worte und Redensarten, die Ihnen bei Ihren deutschen Studien Schwierigkeiten bereiten.

Abonnent in St. Petersburg. Besten Dank für die freundliche Einsendung, die aber leider nicht gut in den Rahmen der „Gartenlaube“ paßt.


manicula 0 Hierzu Kunstbeilage IV: Ungleiche Hausgenossen. Von Edwin Landseer.

Inhalt: Schwertlilie. Roman von Sophie Junghans. S. 221. – Vogelkantate. Bild. S. 221. – Eduard VI. von England vor der Unterzeichnung des ersten Todesurtheils. Bild. S. 225. – „Kaiserin Augusta“ und „Seeadler“. Bild. S. 229. – Die Volkshaushaltungsschule in Leipzig. Von Frau Lotte Windscheid. S. 230. – Freie Bahn! Roman von E. Werner (13. Fortsetzung). S. 230. – Lenzblüthen. Bild. S. 233. – Erfinder-Lose. Philipp Reis und das Telephon. Von Dr. Adolf Poppe. S. 235. Mit Abbildungen S. 237 und 239. – Blätter und Blüthen: Deutschlands Vertretung bei der internationalen Flottenschau im Hafen von New-York, S. 240. (Zu dem Bilde S. 229.) – Edward VI. von England vor der Unterzeichnung des ersten Todesurtheils. S. 240. (Zu dem Bilde S. 225.) – Ungleiche Hausgenossen. S. 240. (Zu unserer Kunstbeilage.) – Kleiner Briefkasten. S. 240.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. Diese im Jahre 1850, vor meiner Berufung zum Direktor der Gewerbeschule, von mir zu Frankfurt a. M. gegründete Anstalt hatte es sich zur Aufgabe gemacht, junge Leute, die sich einem höheren technischen Beruf widmen wollten, für die polytechnische Hochschule vorzubereiten.
  2. Bei dem allerersten Hörapparat hatte Reis eine Geige als Resonanzboden benutzt, auf der eine Magnetisierungsspirale senkrecht befestigt war.
  3. Thompson, „Ph. Reis, Inventor of the Telephone“. S, 112 und 113.
  4. C. Grawinkel in der „Elektrotechnischen Zeitschrift“ 1888, S. 257.