Die Gartenlaube (1893)/Heft 40
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Nr. 40. | 1893. | |
Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Ein Lieutenant a. D.
Frau Wagner lauschte mit angehaltenem Athem nach der Kammerthür hin. Was war das? Das klang nicht wie das ruhige
Athemholen eines sanft Schlummernden, eher wie das dumpfe Röcheln eines Schwerkranken. Voll Unruhe erhob sie sich um
in die Kammer hinüberzugehen. Aber da war es schon wieder still. Hatte ihre krankhaft erregte Einbildungskraft
ihr wieder einmal einen Streich gespielt? Seit dem jähen Tod ihres Mannes litt sie an trüben Ahnungen, die nicht
selten zu völligen Sinnestäuschungen wurden.
Die blasse Frau, die, trotzdem sie kaum das fünfzigste Jahr erreicht hatte, ganz das Aussehen einer gebrechlichen, vom Alter gebeugten, lebensmüden Greisin hatte, setzte sich wieder und nahm ihr Strickzeug vor. Aber die gewohnte Arbeit wollte ihr heute nicht so rasch wie sonst von der Hand gehen. Ihre flinken Finger machten häufige Pausen und ruhten ganze Minuten lang müßig im Schoß, während sie, vornübergebeugt, das Ohr nach der kleinen Kammer hin neigte, in der ihre einzige Tochter Klara sich vor einer Viertelstunde zum Schlaf niedergelegt hatte. Welche Sorge ihr das Mädchen machte! Seit Wochen trug Klara ein so sonderbares Wesen zur Schau, sie, die immer das Muster eines guterzogenen, fleißigen und braven Mädchens gewesen war. Bald war sie lebhaft, mit einem eigenen Schimmer großen Glückes in den dunklen Augen, heiter bis zur Ausgelassenheit, dann wieder, ohne Uebergang, ohne ersichtlichen Grund, in sich gekehrt, grüblerisch und zerstreut. Fragen, die man dann stellte, beantwortete sie entweder mit einem fröhlichen Lachen – sie sei ja jung, warum sollte sie nicht lustig sein – oder sie begegnete ihnen mit einer ganz ungewohnten nervösen Gereiztheit: die Mutter solle sie nicht quälen; du lieber Gott, man könne doch nicht immer vergnügt sein. Und nun heute vollends! Klara war in einem wahrhaft erschreckenden Zustand nach Hause gekommen, bleich, das Gesicht verzerrt wie von einem inneren Krampfe. Das Abendbrot hatte sie unberührt stehen lassen und mit matter tonloser Stimme erklärt, früh ins Bett zu wollen. Die Mutter solle sich nicht beunruhigen, sie sei nur furchtbar ermüdet und habe heftiges Kopfweh. Im Geschäft – sie war Buchhalterin in einer der großen Fabriken der Dammvorstadt – habe sie heute außergewöhnlich viel Plackereien gehabt, dazu Verdruß und Aerger mit dem Prinzipal. Deshalb sei sie auch zeitiger nach Hause gegangen.
Als Frau Wagner ihre Tochter in die Kammer begleitet und sich angeschickt hatte, ihr beim Auskleiden behilflich zu sein, immerfort fragend und klagend, da hatte Klara heftig abgewehrt und mit beiden Händen
[670] ihre Stirne zusammengepreßt. Jedes Wort, jeder Laut schmerze sie; Ruhe, völlige Ruhe, das sei alles, was ihr noththue – morgen werde sie Rede und Antwort stehen. Damit hatte sie, nach einem hastigen „Gutenacht“, die kleine schwache Frau um die Schultern gefaßt und sanft zur Thür hinausgeschoben. Dann war alles still geworden.
Aber was war das wieder? Diesmal hörte es die erschreckt auffahrende Frau ganz deutlich, dieses beängstigende verzweifelnde Stöhnen. Trotz ihrer Schwäche und Gebrechlichkeit war sie mit ein paar schnellen Schritten an der Kammerthür. Ungewißheit und Angst waren nicht länger zu ertragen. Mit einem Ruck riß sie die Thür auf, die ihre Tochter – Gott sei Dank – nicht zugeriegelt hatte, und nun gellte ein so furchtbarer markerschütternder Schrei von den Lippen der alten Frau, daß das ganze Haus alarmiert wurde.
Klara lag, noch in ihren Kleidern, auf dem Bett. Ihr bläulich blasses Gesicht war von den furchtbaren Schmerzen, die den zuckenden Körper durchwühlen mußten, unheimlich verzerrt. Von den Augen, die ganz nach oben gerichtet waren, war fast nur das Weiße sichtbar, und auf den fahlen Lippen zeigte sich weißer Schaum. Auf dem Fußboden lag ein Wasserglas, dem der Rest einer dunklen Flüssigkeit entsickerte.
Fassungslos warf sich die alte Frau über ihr Kind. Mit einem Blick war ihr die Lage in ihrer ganzen Entsetzlichkeit klar geworden – ihre Tochter hatte Hand an das eigene Leben gelegt, hatte sich vergiftet! Schmerz und Verzweiflung drohten der unglücklichen Mutter fast den Verstand zu rauben, und ohne zu bedenken, daß sie vielleicht kostbare unersetzliche Zeit verlor, machte sie dem gepreßten Herzen in schluchzendem Klagen Luft. „Mein Kind, mein unseliges Kind – das konntest Du mir thun, Deiner armen alten Mutter? Hörst Du mich nicht? Hilfe, Hilfe – sie stirbt, mein Kind stirbt!“
Inzwischen waren mehrere Frauen herbeigeeilt, die im Hause wohnten. Während die meisten sich damit begnügten, sich mit roher Neugier um das Lager des Mädchens zu drängen, griff die beherzte Frau des auf dem gleichen Flur wohnenden Schuhmachers hilfreich zu, riß der Stöhnenden das Kleid auf und befahl dem Lehrburschen ihres Mannes, der ihr neugierig nachgeschlichen war, schnell zum Doktor zu laufen. Dann bedeutete sie eine der müßig herumstehenden Hausgenossinnen, so rasch als möglich heiße Milch zu besorgen, und drängte die Uebrigen zur Kammer hinaus.
Glücklicherweise war der Arzt, der nur ein paar Häuser entfernt wohnte, zu Hause gewesen. Er folgte unmittelbar hinter dem Schusterjungen, der triumphierend, der Wichtigkeit seiner erfolgreichen Sendung sich bewußt, auf den Schauplatz des interessanten Vorfalls zurückkehrte. Der Doktor unterwarf die Kranke einer eiligen Prüfung, ließ sich das Glas reichen, das die Schusterin aufgehoben hatte, roch zuerst vorsichtig an der bräunlichen Flüssigkeit und führte dann eine Probe davon mit der Fingerspitze seiner Zunge zu. „Phosphor!“ erklärte er, mehr zu sich als zu den beiden Frauen sprechend.
Man flößte der Kranken von der warmen Milch ein, die eben herbeigebracht wurde, und nach einigen Wiederholungen stellte sich Erbrechen ein.
„Aengstigen Sie sich nicht, liebe Frau,“ tröstete der Doktor die angstvoll an seinen Mienen hängende zitternde Mutter, „wir bringen sie durch! Ich stehe Ihnen dafür.“
Mit einem Seufzer der Erleichterung sank die geängstigte Frau, die sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte, auf einen Stuhl neben dem Bett nieder. Der Arzt aber zog sein Taschenbuch heraus, schrieb mit Bleistift ein paar Hieroglyphen auf einen mit seinem Namen und seiner Adresse bedruckten Zettel und reichte diesen der Schusterin, die er für eine Familienangehörige halten mochte, mit dem Auftrag, das Rezept sofort nach der Apotheke zu schicken. Während Fritz, der Schusterbursche, sich zum zweiten Male dienstwillig in Trab setzte, beschäftigte sich der Doktor sorgfältig von neuem mit der Kranken, gab noch einige Anweisungen wegen der Tropfen, die er verordnet hatte, und entfernte sich dann mit dem Versprechen, später noch einmal nachzusehen.
Die Tropfen aus der Apotheke kamen und wirkten Wunder, denn die Zuckungen ließen nach, das Wimmern hörte auf, die Augen nahmen wieder ihre natürliche Stellung an und der Athem ging weniger schwer und röchelnd.
Glücklich über die so offenkundig eingetretene Besserung und doch zugleich überwältigt von Besorgniß und Kummer, beugte sich Frau Wagner zu ihrer Tochter nieder, der allmählich das Bewußtsein zurückzukehren schien, und die hellen Thränen liefen ihr über die eingefallenen Wangen. Jetzt bewegte sich die Kranke, sie schaute sich verstört um und ihre Augen wanderten verständnißlos von der Mutter zu der Schustersfrau, die eben an der Kammerthür dem Lehrburschen etwas ins Ohr flüsterte, worauf sich der Junge, eifrig und vergnügt nickend, eilig davonmachte.
„Klara – mein liebes Kind!“ rief die Mutter und bedeckte das Gesicht der Armen mit ihren Küssen.
Und nun schien auch dem jungen Mädchen die Erinnerung aufzudämmern, sie warf die Arme um den Hals ihrer Mutter und brach in ein wildes verzweifeltes Schluchzen aus. Die Schustersfrau aber fuhr sich gefühlvoll mit der Hand über die Augen und schlich sich auf den Zehenspitzen aus der Kammer hinaus.
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Das Infanterieregiment, das nebst einem Regiment Kavallerie und einer Abtheilung Artillerie in der ziemlich großen, fast hunderttausend Einwohner zählenden Provinzialhauptstadt in Garnison stand, hatte seine Kaserne außerhalb der Stadt, nahe an dem breiten Flusse, über den eine große Brücke zur Stadt hinüberführte.
Es war zwischen sechs und sieben Uhr abends. Im größten Mannschaftszimmer des Füsilierbataillons fand eben Instruktionsstunde statt. Der junge Offizier, der heute selbst unterrichtete, hatte die Leute einen Halbkreis bilden lassen, in dem er, fragend und vortragend, auf und ab ging. Lieutenaut Erwin von Buschenhagen hatte während der letzten Jahre den Posten des Bataillonsadjutanten bekleidet und erst heute den ersten Zug der zehnten Kompagnie übernommen, nachdem er vor kurzem zum Premierlieutenant vorgerückt war. Ein Paar großer, blauer, freundlich blickender Augen, eine feingezeichnete geradlinige Nase, der Mund mit den frischen Lippen, der üppige nach oben gedrehte Schnurrbart, das volle etwas weichliche Kinn und die schlanke Gestalt machten den jungen Mann, der noch nicht viel über die Mitte der Zwanzig hinaus sein mochte, zu einer anziehenden Erscheinung. Man sah es seinen Gesichtszügen, der Art seines Verkehrs mit seinen Untergebenen auf den ersten Blick an, daß wohlwollende Freundlichkeit den Grundzug seines Charakters bildete. Er stieß die Sätze nicht in der kurzen unzusammenhängenden Weise und in dem schnarrenden rauhen Ton heraus, wie viele seiner Kameraden im Interesse ihres Ansehens es thun zu müssen glaubten, sondern unterrichtete mit ruhiger Stimme, ohne es für nöthig zu halten, der Aufmerksamkeit und dem Verständniß seiner Leute durch allerlei kräftige, nicht eben schmückende Beiwörter zu Hilfe zu kommen. Da er die Namen der Mannschaft seines Zuges noch nicht recht inne hatte, so gebrauchte er an deren Stelle meistens Aushilfsbezeichnungen wie „der zweite Mann vom rechten Flügel“, „der Dritte vom linken Flügel“ oder auch „der Lange im zweiten Gliede mit dem großen Fettfleck auf der Brust“. Nur einen der Leute, den rechten Flügelmann im zweiten Gliede, redete der Lieutenant, so oft er sich an ihn wandte – und er that dies merkwürdig oft und immer mit unverkennbarem Interesse – ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, mit seinem Namen an: „Wagner“. Der also aufgerufene Soldat mochte etwa zweiundzwanzig Jahre zählen, er hatte eine kräftige gedrungene Gestalt, sein Gesicht, in dem lebhafte dunkle Augen funkelten, zeigte hübschere und gescheitere Züge als die der meisten seiner Kameraden.
Auffallend war es auch, daß der Lieutenant fast jeder dienstlichen Frage, die er an Wagner richtete, Erkundigungen über dessen Privatleben folgen ließ.
„Wie heißen die drei Haupttugenden des Soldaten, Wagner?“
„Treue, Muth und Gehorsam.“
„Gut! – Sagen Sie ’mal, Wagner, was sind Sie in Ihrem Civilverhältniß?“
„Monteur, Herr Lieutenant.“
„Und wo haben Sie sich zuletzt aufgehalten?“
„Hier in der Stadt, Herr Lieutenant.“
Nachdem Buschenhagen einige andere Leute befragt hatte, kehrte er mit augenscheinlicher Hast zu Wagner zurück.
„Durch welche äußere Auszeichnung unterscheidet sich der Generalfeldmarschall von den übrigen Generalen?“
„Durch die kreuzweis übereinander liegenden Kvmmandostäbe auf den goldenen Achselstücken.“
„Gut! – Welchen Beruf übt Ihr Vater aus, Wagner?“
„Mein Vater ist tot, Herr Lieutenant. Er hatte ein Materialwarengeschäft.“
„So, so.“ Der Lieutenant sah eine Sekunde lang nachdenklich [671] zu Boden und richtete dann den Blick wieder auf den Soldaten, der ihn verwundert anschaute. Offenbar hatte er noch eine Frage auf dem Herzen. Aber er besann sich eines besseren und drehte sich kurz nach der anderen Seite um.
Doch das eine, das seine Wißbegierde noch zu reizen schien, ließ dem jungen Offizier keine Ruhe, und plötzlich kehrte er zu dem Flügelmann zurück und ohne jede weitere Einleitung fragte er diesmal: „Haben Sie noch Geschwister, Wagner?“
Der Angeredete starrte seinen Vorgesetzten erstaunt an und in seiner Ueberraschung vergaß er die Antwort. Auch die übrigen Soldaten sahen jetzt mehr oder weniger verwundert auf den neugierigen Lieutenant, der, ohne dieser Wirkung seiner Worte Beachtung zu schenken, seine Frage ungeduldig und in offenbarer Spannung wiederholte.
„Nur eine Schwester, Herr Lieutenant,“ entgegnete Wagner, den eine unbestimmte Unruhe zu erfassen begann und der nun seinerseits seine Augen mit einem ganz vorschriftswidrig forschenden, argwöhnischen Ausdruck auf Buschenhagen heftete. Und wenn sich dieser nicht im gleichen Augenblick hastig abgewendet hätte, so wäre dem Soldaten die jähe Röthe, die mit einem Mal im Gesicht des Lieutenants aufstieg, sicherlich nicht entgangen. Die Instruktion nahm nun ohne weitere Unterbrechungen ihren gewöhnlichen Verlauf. Es war noch eine Viertelstunde bis sieben Uhr. Buschenhagen bemühte sich gerade ebenso eifrig wie vergeblich, einem seiner Leute die Stufenleiter der militärischen Rangordnung vom Unteroffizier bis zum Generalfeldmarschall in der richtigen Reihenfolge beizubringen, als die Thüre heftig aufgerissen wurde und ein halbwüchsiger Junge hochroth und pustend vor Eifer und Erregung ins Zimmer stürmte. Bei dem Anblick so vieler Soldaten prallte er erschrocken zurück, und als er gar des Offiziers ansichtig wurde, blieb ihm das Wort im Halse stecken, obgleich er den Mund schon weit zum Sprechen geöffnet hatte.
„Was willst Du?“ fragte ihn der Lieutenant kurz, während sich aller Augen neugierig auf den Jungen richteten und Wagner, der in ihm den Lehrling des Meisters Müller, des Flurnachbars seiner Mutter, erkannt hatte, einen Laut der Ueberraschung nicht unterdrücken konnte.
„Ach Gott, Herr Leitnant, nehmen Sie’s man nich übel,“ stammelte der Junge, „ich wollte man bloß zu – zu –“ der Sprechende sah im Kreise der Soldaten umher und deutete dann auf den Flügelmann des zweiten Gliedes, der unwillkürlich einen Schritt vorgetreten war – „zu dem da, Herr Leitnant!“
„Zum Füsilier Wagner?“
„Jawohl, Herr Leitnant, zu Wagnern wollt’ ich man bloß.“
Und als der Soldat, von innerer Unruhe ergriffen, auf einen Wink seines Vorgesetzten sich dem kleinen Burschen hastig genähert hatte, platzte dieser mit dem ganzen Eifer seiner fünfzehn Jahre heraus: „Die Frau Müllern, was meine Meisterin ist, schickt mich und Sie sollten man gleich zu Hause kommen, Herr Wagner, Ihre Schwester Klara hat sich vergiftet.“
Der Angeredete taumelte zurück, auch der Lieutenant wechselte jäh die Farbe, indes die Uebrigen nicht wußten, welche Miene sie zu der seltsamen Botschaft aufsetzen sollten. Buschenhagen faßte sich zuerst, und während der Soldat ihm mit einem stumm flehenden Blick in die Augen sah, sagte er mit einer sonderbar heiser klingenden Stimme: „Gehen Sie, Wagner! Und wenn es nöthig sein sollte, so können Sie über den Zapfenstreich ausbleiben. Berufen Sie sich auf mich!“
Der Soldat stürmte davon, ohne ein Wort zu entgegnen und ohne an das vorschriftsmäßige Kehrt zu denken. Der junge Offizier aber trat mit dem Unglücksboten auf den Flur hinaus und befragte ihn über die Art und den bisherigen Verlauf des Unglücksfalles mit einer solchen Unruhe, daß es dem Burschen hätte auffallen müssen, wenn dieser sich nicht selbst in einer erklärlichen Aufregung befunden hätte. Nie in seinem Leben hatte er mit einem wirklichen Offizier gesprochen, und so war er ganz durchdrungen von diesem bedeutsamen Augenblick. Noch monatelang nachher erzählte er mit höchster Genugthuung allen, die es mit anhören mochten, von seinem Gespräch mit dem „Herrn Leitnant“.
Was Buschenhagen erfahren hatte, beschäftigte ihn derart, daß er, in das Mannschaftszimmer zurückkehrend, den Unterricht kurz abbrach. Dann verließ er selbst mit weit ausholenden Schritten die Kaserne, und nachdem er die Brücke hinter sich hatte, wandte er sich links gegen die zur Dammvorstadt führende Straße, anstatt wie sonst rechts nach seiner Wohnung im Mittelpunkt der Stadt abzuschwenken. Er mochte etwa fünf Minuten gegangen sein, als er unvermittelt stehen blieb und, mit den Zähnen an seinem Schnurrbart nagend, finster zu Boden starrte. Dann zuckte er heftig mit den Schultern und machte mit einem Rucke Kehrt, um sich langsam, ab und zu noch einmal stehen bleibend und einen Augenblick lang überlegend, in seine Wohnung zu begeben.
Dort warf er sich, nachdem ihm sein Bursche dienstfertig Mütze und Säbel abgenommen hatte, mit einem dumpfen Laut auf das Sofa. Doch nur für Minuten. Dann sprang er ungestüm wieder auf, machte ein paar heftige Gänge durch das Zimmer und trat zur Thür. „Jänicke!“ rief er auf den Flur hinaus.
Der Gerufene stampfte eilig herbei und pflanzte sich in strammer Haltung vor seinem Herrn auf. „Herr Lieutenant befehlen?“
„Du gehst sogleich ins Haus des Herrn Kommerzienrath Hendloß, verstanden?“
Der Bursche lächelte mit sehr unzeitgemäßer Vertraulichkeit und bemerkte eifrig: „Jawohl, zu dem gnädigen Fräulein Tochter.“
„Halt’ Deinen Schnabel!“ fuhr ihn der Offizier zornig an, der sonst des Burschen vorwitzige Bemerkungen nicht eben ungnädig aufzunehmen pflegte. „Du gehst zu Herrn Kommerzienrath Hendloß, bestellst eine Empfehlung von mir und sagst: der Herr Lieutenant von Buschenhagen läßt bedauern, daß er der Einladung auf heute abend nicht Folge leisten kann, der Herr Lieutenant ist unpäßlich. Hast Du verstanden?“
„Zu Befehl, Herr Lieutenant!“
„Gut! Und im übrigen hast Du Dich nichts um Fräulein Hendloß zu kümmern. Kehrt, marsch!“
Jänicke führte das Kommando mit vorschriftsmäßiger Strammheit aus und machte sich eilig davon.
Der junge Offizier stand eine Weile unbeweglich mitten im Zimmer, mit düsterem Blick und gerunzelten Brauen. Dann seufzte er tief auf, trat an die Spiegelkommode zwischen den Fenstern, öffnete die oberste Schublade und nahm ein Photographiealbum heraus. Auf der ersten Seite befand sich das Bild eines jungen Mädchens, das achtzehn bis zwanzig Jahre alt sein mochte. Ueber dem schönen regelmäßigen Gesicht lag der Zauber blühender Jugendfrische. Aus den großen dunklen Augen sprach ein mädchenhaft schwärmerischer Sinn, während die starken, über der Nase zusammenlaufenden Brauen und die vollen rothen Lippen auf ein leidenschaftliches Gemüth schließen ließen. Die Züge des Lieutenants nahmen einen weichen, fast wehmüthigen Ausdruck an. „Arme Klara!“ flüsterte er leise vor sich hin, während er das Bild betrachtete. Plötzlich klappte er mit einer hastigen Bewegung das Buch zu, warf es auf den Tisch und ließ sich schwer auf das Sofa fallen. Was half das dumme Seufzen und Bedauern! Die Geschichte war nun einmal nicht zu ändern, gegen den eisernen Zwang der Verhältnisse war nicht anzukämpfen. Und selbst wenn sie jetzt zu Grunde ging – es würde ja hoffentlich nicht so weit kommen – helfen konnte er ihr nicht! Dumpf starrte er in die Dämmerung hinein, die immer dichter das Zimmer erfüllte. Sein Geist wanderte in die Vergangenheit zurück. Wundervolle unvergeßliche Stunden waren es, die er mit Klara Wagner verlebt hatte. Das berauschende reine Glück der ersten Liebe hatte er sie kennen gelehrt und hatte sich selbst berauscht an dem Ueberschwang von Seligkeit, der dieses Mädchenherz erfüllte, der aus ihrem naiven Geplauder, aus ihren strahlenden verklärten Mienen sprach. Die köstliche Natürlichkeit ihres Wesens, die Tiefe ihrer Empfindung hatten ihn immer von neuem zu ihr hingezogen, und es hatte Zeiten gegeben, wo er sich allen Ernstes sagte, daß er sie aufrichtig liebe und daß sie ihn glücklicher machen würde als alle die affektierten jungen Damen, mit denen ihn das gesellschaftliche Leben zusammenführte.
Kaum sechs Monate waren es her, daß er ihre Bekanntschaft gemacht hatte, Er befand sich in der Dammvorstadt, in Civilkleidung, auf dem Wege nach einer Singspielhalle, welche die Offiziere der Garnison dann und wann verstohlen besuchten. Da fügte es der Zufall, daß er dem vom Geschäft zurückkehrenden jungen Mädchen einen Dienst erweisen konnte, indem er sie vor der Zudringlichkeit eines rohen Burschen beschützte, welcher der Erschrockenen seine ungebetene Begleitung aufdrängen wollte. Eines jener kurzlebigen Abenteuer witternd, die eben so schnell ein Ende nehmen, wie sie eingefädelt werden, hatte er sich ihr als „Erwin Hagen, Architekt“ vorgestellt. Aber dann hatte die Unterhaltung während der Viertelstunde, die er am ersten Abend
[672][673] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [674] mit ihr verplauderte, doch einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er sich am nächsten Tage wieder am selben Ort einfand, um sie zu erwarten, und er hatte die Genugthuung, zu bemerken, daß ihre Augen freudig aufleuchteten, als er grüßend an sie herantrat.
Aus diedem Anfang hatte sich das Folgende fast mit Naturnothwendigkeit entwickelt. Es verging fast kein Abend, an dem sie nicht eine Stunde zusammen zubrachten, am einsamen Ufer des Flusses lustwandelnd oder in einem der Biergärten außerhalb der Stadt in einer verschwiegenen Ecke einander zuflüsternd, was ihre Herzen schwellte.
Und nun sollte das poetische Sommeridyll ein so häßliches Ende nehmen? „Pah!“ Der Lieutenant sprang auf, griff nach den Streichhölzern und zündete die Lampe an, die Jänicke bereits fürsorglich auf den Tisch gestellt hatte. So war nun einmal das Leben! War er dafür verantwortlich, daß sein Vater ihm eine lächerlich kleine Zulage schickte, die mit der schmalen Lieutenantsgage bei weitem nicht ausreichte, seine Bedürfnisse zu bestreiten? Sollte er sich einsiedlerisch zurückziehen, wenn die besser gestellten Kameraden die Sektpfropfen knallen ließen? Sollte er zu Hause hocken und von Butterbrot und Wasser leben, wenn jeder der Wirthe in der Stadt für den Herrn Lieutenant bereitwilligst ankreidete und Löwenthal und Genossen gegen Wechsel und Ehrenschein mit größter Höflichkeit bares Geld vorschossen? War er schuld daran, wenn es in dieser unvollkommenen Welt nun einmal so eingerichtet war, daß arme Lieutenants reiche Kommerzienrathstöchter heirathen mußten, selbst wenn ihnen diese so unausstehlich vorkamen wie ihm Fräulein Dora Hendloß mit ihren echten Diamanten, ihren falschen Zähnen und ihrem falschen Gesang? Und nun zum Henker mit den Grillen, die doch zu nichts nütze waren! Schickte es sich für ihn, den schneidigsten Lieutenant im Regiment, zu seufzen und zu stöhnen wie ein blöder Schäfer? Lächerlich!
Erwin trat vor den Spiegel, bürstete sich das Haar, zwirbelte den Schnnrrbart empor und schüttete sich über die sorgsam gepflegten Hände mit den schneeweißen Nägeln ein fein duftendes Parfüm. Fünf Minuten später trat er auf die Straße hinaus, um sich nach dem Weinrestaurant am Markt zu begeben, in dem immer ein besonderes Zimmer für die Herren Offiziere bereit gehalten wurde. Leichtsinnig pfiff er seine Lieblingsarie aus der „Fledermaus“ vor sich hin:
„Glücklich ist, wer vergißt
Was nicht mehr zu ändern ist!“
Es war am anderen Tage in der Mittagsstunde. Lieutenant von Buschenhagen war eben vom Dienst nach Hause gekommen, um sich noch ein wenig auszuruhen, bevor er zum Essen ins Kasino ging. Mit Hilfe Jänickes machte er sich’s bequem. Waffenrock und Stiefel legte er ab und schlüpfte in eine behagliche weite Joppe; auf die Füße stülpte ihm der allzeit dienstwillige Bursche die weichen Hausschuhe.
„Haben der Herr Lieutenant sonst noch Befehle?“ fragte er in streng dienstlicher Haltung, denn die finstere Miene seines Herrn lud nicht eben zu irgendwelcher vorschriftswidrigen Nachläßigkeit ein.
„Daß Du Dich zum Kuckuck scherst und mich in Ruhe läßt, sonst nichts!“
„Zu Befehl, Herr Lieutenant.“
Jänicke verschwand, ohne eine Miene zu verziehen. Die zeitweilige schlechte Laune seines Herrn erregte seine Empfindlichkeit nicht. Er wußte, auf Regen folgte Sonnenschein, und bei seinem Lieutenant überwogen die heiteren Tage bei weitem die düsteren. Es ließ sich überhaupt mit dem Lieutenant gut auskommen. Er war freigebig und auch sonst kein Unmensch. Wenn Jänicke einmal ohne Erlaubniß über den Zapfenstreich ausblieb, weil er sich bei des Amtsrichters Köchin drüben verspätet hatte, so drohte der Lieutenant, halb im Ernst, halb im Scherz, nur mit dem Finger, er Jänicke, machte sein dümmstes Gesicht und zeigte eine Miene wie ein begossener Pudel, worauf der Herr Lieutenant lachte und die Sache war abgethan. Höchstens daß es einmal, wenn es schlimm kam, ein „Heiligeskreuzdonnerwetter“ absetzte oder ein „Kerl, ich lasse Dich ins Loch stecken!“
Auch was das Materielle anbetraf, fühlte sich Jänicke in seiner Stellung als Bursche außerordentlich wohl, Er lebte sozusagen in einer förmlichen Gütergemeinschaft mit seinem Herrn. Noch nie hatte er nöthig gehabt, sich Handschuhe zu kaufen, und doch saßen ihm des Sonntags, wenn er Amtsrichters Caroline zum Tanze führte, die weißesten Waschledernen prall zum Zerspringen auf den derben Fäusten. Sie mußten schon tüchtig von seinem Lieutenant getragen und ausgereckt sein, bis es dem biederen Pommer gelang, sie auf seine Finger zu zwängen. Auch um die Beinkleider, in denen er am Sonntag paradierte, brauchte er nicht bange zu sein. Sein Lieutenaut legte deren mehr ab, als Jänicke auftragen konnte, und wenn er sich einmal extrafein machen wollte und die geschenkten „Büchsen“ ihm schon allzu abgetragen vorkamen, so machte er sich kein Gewissen daraus, aus dem Vorrath seines Herrn sich mit einer noch im Gebrauch befindlichen zu versorgen. Der Herr Lieutenant merkte ja nicht das Geringste davon, ebensowenig wie er davon Notiz nahm, daß die Finger seines Burschen sich ab und zu in seinen Cigarrenkasten verirrten. Einmal freilich war Jänicke von seinem Herrn überrascht worden, als er eben den Deckel der Cigarrenkiste aufgeklappt hatte, aber er hatte sich schnell gefaßt und dem Lieutenant mit einer ganz unschuldigen Miene ins Gesicht gesehen. „Der Herr Lieutenant denken doch nicht etwa? Wo werd’ ich denn! Ganz gewiß nicht, Herr Lieutenant! Ich wollte blos ’mal –“
„Laß gut sein, Jänicke,“ war er von seinem Herrn unterbrochen worden, als er ins Stammelu gerieth, denn ihm wollte in der Eile keine unverfängliche Ausrede einfallen, „Du übst Dich wohl ein bißchen im Requirieren, weil es ja doch bald Krieg giebt? Na, mach’s wenigstens menschlich, hörst Du!“
Für diese Milde und Nachsicht war aber Jänicke seinem Herrn auch mit Leib und Seele zugethan, und wenn es nöthig gewesen wäre, so hätte der brave Pommer sein Herzblut für seinen Lieutenant gegeben. Und manchmal kam es jetzt wenigstens so weit, daß er für seinen Herrn hungern und dursten mußte; denn es geschah gegenwärtig nur allzu oft, daß gründliche Ebbe in des Herrn Lieutenants Kasse eintrat und daß Jänicke, natürlich ohne daß sein Herr ihn besonders darum anzugehen brauchte, allerlei kleine Auslagen machte, die er selbstverständlich jedesmal mit reichlichen Zinsen zurückerstattet erhielt, sobald von Herrn Löwenthal oder sonstwoher sich ein neues Goldbächlein ergoß.
Nachdem Jänicke das Zimmer verlassen hatte, warf sich der Lieutenant der Länge nach auf das Sofa, um zu schlafen. Der Vormittag hatte ihn sehr mitgenommen. Es war Kompagnie-Exerzieren gewesen, und ihn, der seit Jahren nicht mehr in der Front gestanden, hatte das viele Laufen und Hin- und Herrennen außerordentlich ermüdet. Er dehnte und reckte sich, aber der ersehnte Schlummer wollte nicht kommen. War es, weil ihm die Geschichte von gestern immer noch im Kopf herumging? Er hätte gern etwas Näheres über den Ausgang erfahren. Aber er hatte es nicht über sich gebracht, Klaras Bruder zu fragen. Der hatte mit bleichem finsteren Gesicht im Gliede gestanden, und es war dem Lieutenant, als er einmal flüchtig nach dem Soldaten hinschaute so vorgekommen, als ob ihm ein wilder Haß aus den Augen des Mannes entgegensprühte. Aber seine innere Unruhe mochte ihm das nur vorgespiegelt haben.
Buschenhagen richtete sich auf und griff nach der Zeitung auf dem Tisch. Er mußte doch einmal sehen, ob die verwünschten Federfuchser sich der Sache bereits bemächtigt hatten. Heutzutage kam ja alles in die Zeitung. Mochte ein Vorgang auch noch so delikat sein und sich in den besten Kreisen abgespielt haben, diese rücksichtslosen Zeitungsschreiber respektierten nichts. Einfach scheußlich!
Richtig, da unter den „Lokalnachrichten“ stand die Geschichte! Na ja! Der Lieutenant schüttelte ärgerlich den Kopf und las dann, nachdem er zuvor das Monocle eingeklemmt – er hatte das nun einmal in der Gewohnheit, selbst wenn kein Zuschauer da war. „Ein junges Mädchen, die Buchhalterin K. W., machte gestern abend um sechs Uhr einen Vergiftungsversuch, glücklicherweise ohne ihren Zweck zu erreichen. Ueber das Motiv der That ist Näheres noch nicht bekannt, wahrscheinlich die alte Geschichte: unglückliche Liebe. Die junge Lebensmüde ist übrigens außer aller Gefahr.“
Der Lieutenant stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Na, das war ja noch gnädig abgelaufen. Wenn die Klara seinen richtigen Namen gewußt, wenn sie geplaudert hätte! Herrgott, wäre das schauderhaft gewesen, Name in der Zeitung, in Verbindung mit einem solchen Skandal, jetzt, wo er im Begriff stand, sich mit der Tochter des reichen Kommerzienraths Hendloß zu verloben! Es war übrigens verdammt hohe Zeit zu dieser Verlobung. Diese geldhungrigen Gläubiger drängten immer unverschämter und waren nur durch die Berufung auf seine [675] stadtbekannten nahen Beziehungen zu der Familie Hendloß zur Geduld und einigen neuen Vorschüssen zu bewegen.
Buschenhagen strich sich nachdenklich den Schnurrbart. Da kam ihm ein Gedanke. Die Uhr zeigte erst auf halb ein Uhr, er hatte gerade noch Zeit, bei der Hendloß einen kleinen Besuch zu machen, ehe er sich ins Kasino begab.
Er war eben im Begriff, an seine Toilette zu gehen, als ein Wortwechsel auf dem Flur draußen seine Aufmerksamkeit erregte. Unwillkürlich lenkte er seine Schritte der Thür zu. Er erkannte die Stimme seines Burschen, der mit einem andern, dessen Stimme dem Horchenden ebenfalls bekannt vorkam, immer mehr in Streit zu gerathen schien.
„Mensch, wenn ich Dir doch sage, daß der Herr Lieutenant schläft,“ erklärte Jänicke eben in aufsteigendem Zorn.
„So weck’ ihn auf!“ Kurz und schroff klang das aus dem Munde des Fremden.
„Daß ich verrückt wär’! Um eine Grobheit oder vielleicht gar den Aschbecher oder sonst was Hartes an den Kopf zu kriegen?“
„Aber ich muß ihn sprechen, und wenn Du mich nicht melden willst, so –“ der Sprechende bemühte sich offenbar, zur Thür zu gelangen, während ihm Jänicke den Weg zu vertreten schien.
„So nimm doch Vernunft an! Komm’ in einer Stunde wieder, vielleicht daß Du dann –“
„Da hab’ ich Dienst.“
„Na, dann warte, bis der Herr Lieutenant in die Kaserne kommt,“ begütigte der Bursche.
Der andere schien sich einen Augenblick zu besinnen, dann entgegnete er zögernd: „Es ist nichts Dienstliches, sondern eine Privatangelegenheit.“
„Eine Privatangelegenheit?“ Jänicke lachte laut auf. „Na, hör’ mal, ich möcht’ wohl wissen, was Du mit meinem Lieutenant für Privatsachen –“
„Das geht Dich nichts an,“ unterbrach ihn der Angeredete schroff. „Willst Du mich nun melden ober nicht?“
„Fällt mir gar nicht ein!“
„Gut, dann werde ich selbst –“
Ein heftiges Ringen entspann sich nach diesen Worten. Der junge Offizier sprang mit einem Satz zum Tisch zurück und drückte auf die Zimmerglocke. Jänicke erschien, hochroth in dem dicken pausbäckigen Gesicht, schnaufend und pustend. „Wer ist draußen?“
„Der Wagner, Herr Lieutenant – von des Herrn Lieutenants Zug. Ich hab’ ihm all gesagt, daß der Herr Lieutenant jetzt nicht zu sprechen sind. Aber er verlangt partuh –“
„So laß ihn herein!“
Jänicke entfernte sich, nicht ohne durch ein Kopfschütteln sein Befremden über den erhaltenen Befehl auszudrücken.
Ueber den Lieutenant war einige Sekunden lang eine jähe Bestürzung gekommen. Aber im nächsten Augenblick richtete er sich wieder hoch auf. Es war ja nicht denkbar, daß ein gemeiner Soldat es wagen würde, ihn, seinen Vorgesetztem zur Rede zu stellen! Lächerlich das, ganz undenkbar!
Wagner trat ein. Einen Schritt seitwärts von der Thür blieb er in dienstlicher Haltung stehen. Sein Gesicht war bleich, seine Augen hefteten sich fest und entschlossen auf seinen Vorgesetzten, der sich auf einen Stuhl niederließ.
„Was wollen Sie, Wagner?“ fragte Buschenhagen in einem Ton, aus dem Verlegenheit und Aerger klangen. Dem Soldaten schoß das Blut ins Gesicht, die Finger, die er vorschriftsmäßig an die Hosennaht gelegt hatte, geriethen in zuckende Bewegung. Er schluckte und würgte und begann dann: „Der Herr Lieutenant wissen etwas Näheres von dem, was sich gestern bei – bei mir zu Hause ereignet hat?“
„Nein!“ Das kam scharf und abweisend heraus.
In den Augen des Soldaten blitzte es auf; aber er entgegnete fast ruhig: „Der Herr Lieutenant waren zugegen, als ich abgerufen wurde, gestern bei der Instruktion –“
„Ja, ja – erinnere mich,“ warf Herr von Buschenhagen nachlässig hin. „Wie geht es Ihrer Schwester?“ Er zog sein Taschentuch hervor, nahm sein Monocle zwischen zwei Finger der linken Hand und begann, daran herumzuwischen.
In der Erregung, die ihn vorwärts trieb, setzte Wagner unwillkürlich den einen Fuß etwas vor, auch die Hände entfernten sich aus ihrer bisherigen Lage. Ohne auf die Frage seines Vorgesetzten zu antworten, sagte er finster: „Der Herr Lieutenant wissen, warum meine Schwester einen – einen Selbstmordversuch begangen hat?“
„Ich?“ Der Offizier hielt eben das Glas vor den Mund, um es anzuhauchen. „Wie sollt’ ich!“
Der Soldat schien immer mehr das Bewußtsein seiner untergeordneten Stellung zu verlieren. „So will ich es Ihnen sagen, Herr Lieutenant! Sie, Sie sind schuld, daß Klara sich ans Leben wollte!“ Rauh, mit unheilverkünbendem Grollen hatte er die Worte hervorgestoßen, während er mit einer heftigen Bewegung auf den Offizier deutete.
Dieser sprang auf und blickte den Untergebenen mit zornfunkelnden Augen an. „Mensch, was fällt Ihnen ein? Nehmen Sie die Hand herunter! Sofort! Wissen Sie, vor wem Sie stehen?“
Den Soldaten durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag. Er zog mit einem Ruck den einen Fuß an den andern heran, aber seine Hände, die jetzt wieder an den Körper angelegt waren, ballten sich, seine Brust wogte.
Buschenhagen näherte sich dem Manne. „Wie können Sie sich unterstehen –“
Aus den Augen Wagners sprühte ihm ein so glühender Haß entgegen, daß er unwillkürlich innehielt. Mit vor Aufregung heiserer Stimme entgegnete der Soldat: „Ich wollte Sie nur fragen, Herr Lieutenannt, was Sie in dieser Angelegenheit zu thun gedenken.“
„Ich? In welcher?“
„In der Angelegenheit des Architekten Hagen und meiner Schwester.“
Buschenhagen schlug nun doch vor dem fest auf ihn gerichteten Blick Wagners seine Augen nieder. „Ach so, das ist also Ihre Schwester,“ versetzte er stockend.
„Ja, die Braut des Architekten Hagen ist meine Schwester, und es hat ihr fast das Leben gekostet, als ihr gestern ein Zufall enthüllte, daß dieser Hagen in Wirklichkeit der Lieutenant von Buschenhagen ist, von dem das Gerücht umgeht, er werde sich mit der Tochter des Kommerzienraths Hendloß verloben.“
Der Offizier hatte noch immer seine Fassung nicht wieder erlangt. Das Gefühl seines Unrechts überwog die Empfindung seiner beleidigten Würde.
„Ich habe meiner Schwester gesagt,“ fuhr Wagner lauernd fort, „daß dieses Gerücht eine Lüge sei.“
Der Lieutenant steckte die Hände in die Taschen seiner Joppe und erhob den Blick. „Das Gerücht ist wahr,“ erklärte er fest. Und mit emporgezogenen Augenbrauen, mit der hochmüthigen Ueberlegenheit des Vorgesetzten, in kaltem befehlenden Ton fuhr er fort: „Sagen Sie Ihrer Schwester, es thue mir leid, wenn sie sich falschen Hoffnungen hingegeben habe, die – die selbstverständlich unerfüllbar seien.“
Der Solbat fuhr zurück. „Unerfüllbar?“ rief er drohend.
Die Scene fing am dem Lieutenant fast langweilig zu werden. Diese lächerliche Unterredung hatte schon viel zu lange gedauert; es war Zeit, ein Ende zu machen. „Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen, Sie können gehen.“
Wagner zitterte am ganzen Leibe, sein Oberkörper beugte sich vor wie zum Sprunge, die Adern auf seiner Stirn schwollen an. In sich überstürzenden Worten stieß er hervor: „Woher nehmen Sie das Recht, ein braves Mädchen, in dem Sie monatelang den Glauben an Ihre Liebe genährt haben, von sich zu werfen wie ein Spielzeug, dessen man überdrüssig geworden ist? Ein Mann von Ehre –“
„Mensch, sind Sie von Sinnen?“ Der Lieutenant wies gebieterisch nach der Thür. „Fort! In der Kaserne werden Sie wohl wieder zur Vernunft kommen!“
Seiner nicht mehr mächtig, trat der Soldat dicht an seinen Vorgesetzten heran und schrie ihm ins Gesicht: „Also belogen, betrogen, schändlich an der Nase herumgeführt! Das ist wohl kavaliermäßig, nicht? Aber ich nenne es –“
Der gelle Klang der Glocke, zu der Buschenhagen gegriffen hatte, ließ das Folgende nicht mehr zu Gehör kommen. Jänicke, der augenscheinlich vor der Thür auf der Lauer gestanden hatte, war im Nu im Zimmer.
„Führe den Menschen da hinaus! Er findet den Weg nicht allein,“ befahl der Lieutenant kalt und drehte sich zum Fenster um.
Wagner fuhr zusammen und einen Augenblick schien es, als
wollte er sich auf Buschenhagen stürzen, aber der Pommer hielt
ihn mit kräftigem Arm zurück und zog ihn zur Thür hinaus,
während er ihm erregt zuraunte: „Kerl, willst Du Dich unglücklich machen?“ (Fortsetzung folgt.)
Alle Rechte vorbehalten.
Deutsche Städtebilder.
Man hat der bayerischen Hauptstadt mitunter den Vorwurf gemacht, sie habe eine langweilige Umgebung. Rebenhügel besitzt sie freilich nicht in ihrer Nachbarschaft; auch keine mit Villen besetzten Uferhänge. Aber einen gewissen grandiosen Zug kann man der Münchener Landschaft nicht absprechen. Die mächtige Ausdehnung der Hochebene mit ihrem Kranze ferner Waldungen, durchfurcht von dem tief eingeschnittenen Strombett und überragt von der langen Zackenreihe des Hochgebirges, dessen ewigen Schnee man auch in den heißesten Sommern fernher glänzen sieht: das erfrischt ein Auge, welches nicht am Lieblichen, sondern am Großen sich erfreut.
Im Inneren der Stadt aber ist es das massenhafte Grün, welches den Fremden überrascht. Mit Ausnahme der Altstadt, die kaum zwei Kilometer im Durchmesser hat, sieht man überall reichlich Buschwerk und Bäume zwischen den Häusermauern. Und da die Münchener im allgemeinen ein gutes Herz haben, fangen sie aus diesen Bäumen die Singvögel nicht weg, so daß man morgens und abends in den Straßen auch fröhliches Zwitschern und Trillern vernehmen kann. Es sind zwar keine exotischen Bäume, Blumen und Vögel, die das rauhe Klima der Hochebene duldet, aber dauerhafte Kinder der heimischen Natur mit geringen Ansprüchen.
Ein weiteres Schönheitsmerkmal des Münchener Landschaftsbildes ist der intensiv blaue Himmel. Wenn man den Himmel vor Wolken überhaupt sieht, ist er von einem tieferen leuchtenderen Blau, als man dies in anderen Städten beobachten kann. Die Ursache liegt einerseits in der hohen Lage der Stadt über der Meeresfläche (519 Meter); andrerseits ist die Münchener Luft durch Steinkohlenrauch und Industriedünste noch nicht in dem Grade verdüstert, wie dies bei anderen Städten von gleicher Größe der Fall ist. Etwa entstehende Dünste aber werden durch die Stürme der Hochebene, welche ungehindert die Straßen der Stadt durchfegen können, rasch zerstreut und verblasen.
Münchens Fluß, die Isar, ist leider kein verkehrsreiches Gewässer. Das Gefäll dieses Stromes ist viel zu stark, um irgendwelche andere Fahrzeuge zu dulden als die aus dem Oberlande herabkommenden urwüchsigen Flöße. Da schaukeln sich keine zierlichen Dampfer; kein Ruder- und Segelsport belebt die Stromfläche. Hastig eilen die Wellen, über zahlreiche Wehre stürzend, durch die Stadt, bei andauernd schönem Wetter von kristallener Klarheit, nach Regengüssen und zur Zeit der Schneeschmelze dagegen graugelb, mächtig angeschmollen und tosend, als wollten sie Stücke der Stadt abreißen und hinunterschwemmen in die ferne Donau, der sie sich zuwälzen. Und es ist nicht zu leugnen, daß man Einzelnes ganz gut wegschwemmen lassen könnte, ohne daß dem Ganzen Eintrag geschähe.
Das Herz der Stadt München ist der Marienplatz. Es ist ein alterthümlich aussehender Platz von einer malerischen [677] Schönheit, wie sie nur wenige Plätze deutscher Städte aufzuweisen haben.
Von den Häusern, die ihn umgeben, hat jedes andere Höhe, Breite und Farbe, jedes einen anders geformten Giebel; auch in Dächern, Dachluken und Windfähnchen wird hier ein gewisser origineller Luxus getrieben. In reicher gothischer Pracht erhebt sich an der einen Seite des Platzes der Neubau des Rathhauses; hart neben ihm, wo der Platz zu düstrem Winkelwerk sich verengen will, der schöne Giebel des alten Rathhauses und daneben der zackige Rathhausthurm, unter welchem ein Thorbogen durchführt. Auch neuere Privathäuser, welche den Platz schmücken, haben sich pietätvoll mit alterthümlichem Zierrat an Erkern, Zinnen und Giebeldächern versehen, um den mittelalterlichen Eindruck nicht zu stören. Dazu schauen von der Westseite her die beiden schwärzlich rothen riesigen Domthürme düster und ernsthaft auf den Platz herunter. In eigenthümlichem Gegensatz zu dieser romantischen Architektur steht das moderne Treiben, das hier herrscht; die Pferdebahn, die Droschken, die eleganten Läden und gar vollends die mittags aufziehende Wachparade mit ihrer türkischen Musik. Um Jahrhunderte dagegen wird man zurückversetzt, wenn eine sommerliche Vollmondnacht sich mit ihrer Ruhe auf den Platz niedergesenkt hat. Dann zeichnen die Schatten der Dächer und Erker wunderliche Linien auf das Pflaster und auf die Nachbarhäuser; melodisch plätschert der Brunnen, dessen metallene Figuren Leben zu gewinnen scheinen; die hohen Bogenfenster des alten Rathhauses glitzern im Mondenlicht, als wären sie von innenher magisch erleuchtet, die Tauben auf den Dächern gurren leise und am Geländer der Mariensäule knieen noch regungslos, als wären sie auch aus Stein gebildet, ein paar betende Frauengestalten.
So ist das Ganze ungemein eindrucksvoll, und wir brauchen uns nur noch zu denken, daß hinter dem einen Fenster des Rathhauses, welches so spät noch erleuchtet ist, ein Rathsherr sitzt, um über einem wichtigen Probleme der städtischen Verwaltung, etwa über der Einführung eines geräuschlosen Pflasters, zu brüten. Dann werden wir in eine ganz andächtige Stimmung versetzt.
Aber lassen wir’s wieder Tag werden, um uns weiter in den Straßen von München umzuschauen!
Von dem geschilderten Mittelpunkt der Stadt aus zieht ihre belebteste, wenn auch nicht feinste Verkehrsader in westlicher Richtung nach dem Centralbahnhofe, die Kaufinger- und Neuhauserstraße. Es sind das Straßen, wie man sie in anderen großen Städten auch sieht, Straßen, wo das architektonische Äußere der Häuser hinter lauter Firmenschildern verschwindet; wo die Kaufläden, weil sie mit den Erdgeschoßräumen nicht mehr ausreichen, in die oberen Stockwerke hinaufwachsen und wo man zu diesem Zwecke die alten Häuser mittels Eisen- und Glaskonstruktionen streckt und erweitert, damit man alle die Konfektions- und Weißwarengeschäfte unterbringen kann, mit deren Hilfe der äußere Kulturmensch hergestellt wird. In diesen Straßen geht man nicht spazieren; man sucht sie bloß auf, wenn man etwas einzukaufen oder wenn man an einem der Münchener Gerichtshöfe zu thun hat, die vorläufig noch, bis zur Vollendung des neuen Justizpalastes, in dem vormaligen Augustinerkloster eine recht unwirthliche Heimstätte haben. Die bemerkenswerthesten Bauten auf dieser Strecke sind die mächtige Michaelskirche und das darangebaute vormalige Jesuitenkollegium. Wie ansehnlich dieser Bau ist, beweist wohl die Thatsache, daß in ihm eine Zeitlang die Akademie der Wissenschaften und die Kunstakademie, die wissenschaftlichen Sammlungen des Staates, ein Oberlandesgericht und ein Exportmusterlager vereinigt sein konnten, ohne daß die Herren Akademiker und die ausgestopften Thiere sich gegenseitig geniert hätten.
Einen Abschluß findet diese Verkehrsader nach Westen in dem Karlsthor, einem von Thürmen und großen Cafépalästen flankierten Thorbau. Hier erweitert sich die Straße zum geräumigen Platze; das Auge erfrischt sich wieder an Bäumen und Gesträuchbeeten. Der Platz heißt eigentlich „Karlsplatz“; im Volksmunde aber „Am Stachus“, so genannt nach einem großen und vielbesuchten Gasthof, an dessen Ecke die Hauptlinien der Pferdebahn sich kreuzen. Hier befindet man sich schon im Banne des Bahnhofs, den man in der Ferne sieht, und dessen Lärm und rastloses Leben dem Ohr und Auge schon von weitem sich aufdrängen. Hier beginnt eine Reihe von großen Gasthöfen, welche sich rechts und links von dem thurmartig aufstrebenden Bau des „Café Imperial“ bis auf den Bahnhofplatz hinziehen. Dieser ist glücklicherweise geräumig genug, um auch ein starkes Anwachsen des Eisenbahnverkehrs noch vertragen zu können; und ebenso der Bahnhof selber, dem man es schon von außen ansieht, wie er im Lauf der Jahrzehnte sich ausgeweitet hat, als hätten die Puffer der immer zahlreicher einherschnaubenden Lokomotiven ihn künstlich auseinandergetrieben.
Der Münchener Centralbahnhof ist heute etwa eine Wegstunde lang. Was auf Fremde, die in diesen Bahnhof einfahren, neben seiner Länge besonderen Eindruck macht, sind die überaus zahlreichen weißen Bierwagen, die hier der Beförderung harren. Man hat der guten Stadt München so oft und mit so viel sittlicher [678] Entrüstung den Vorwurf gemacht, daß sie etwas viel Bier trinke. Die weißen Wagen auf dem Münchener Bahnhofe beweisen am schlagendsten die Ungerechtigkeit dieser Anschuldigung; denn sie zeigen aufs allerdeutlichste, daß der größte Theil des in München gesottenen Bieres fortbefördert wird, um in Berlin und Paris, in Wien und New-York und Adelaide – und weiß Gott wo noch getrunken zu werden. Mag man immerhin deshalb den Münchener Brauern den Vorwurf machen, daß sie durch die Güte ihres Stoffes die ganze Kulturwelt zur Trunksucht verleiten: uns Münchenern darf man sicherlich nicht vorwerfen, daß wir unser Bier allein tränken oder daß wir es der durstigen ausländischen Menschheit nicht vergönnten. Im Gegentheile. Der Münchener ist so wenig selbstsüchtig, daß es ihn nur mit freudigem Stolze erfüllt, wenn er den Ausländern recht viel zum Trinken schicken kann.
Nach dieser Abschweisung in das Innere des Münchener Bahnhofes müssen wir aber unsere Wanderung durch die Straßen fortsetzen.
Wenn wir zu diesem Zwecke zunächst nach dem Karlsplatze zurückkehren, so eröffnet sich uns eine Art von Panorama. Wir haben da einen weiten malerisch gegliederten Horizont. In nördlicher Richtung sehen wir hinter dem noch im Entstehen begriffenen prächtigen Justizpalaste den luftigen Bau des Glaspalastes ragen, in welchem die Ausstellungen der Münchener Künstlergenossenschaft ihre Stätte haben. Wenden wir uns diesem nordwestlichen Stadtviertel zu, so gelangen wir in stille, breite, vornehme Straßen. Hier herrscht keinerlei Geschäftsleben mehr. Am vollständigsten erscheint dasselbe abgeschlossen in der Arcisstraße und Briennerstraße, in der Umgebung des ruhigen sonnigen Karolinenplatzes. Da sind überall zwischen und hinter den palastähnlichen Häusern kleinere und größere Gärten; man gewinnt nothwendig den Eindruck, daß hier nicht dem Erwerb nachgegangen, sondern in behaglicher Abgeschlossenheit gelebt wird. Wirklich großartig und friedlich wird dieser Eindruck aber auf dem Königsplatze. Von Sonnenlicht und Einsamkeit umfluthet, von hohen Baumkronen umrauscht, glänzen hinter breiten Rasenflächen Marmorbauten im reinsten hellenischen Stile: rechts drüben die Glyptothek, jene mustergültige Sammlung antiker Bildwerke, links das Kunstausstellungsgebäude und in der Mitte der mächtige Thorbau der Propyläen. Der Königsplatz ist wirklich ein königlicher Platz, wo niemand wohnt, wo kein Handel und Erwerb getrieben wird, wo keine Pferdebahn rollt, kaum ein Wagen rasselt. Hier herrscht ewige Sonntagsstille. Mag sie auch für einen an Leben und Lärm gewöhnten Großstädter etwas allzu Feierliches, fast Verwunschenes haben: wer sie mit vollen Zügen einathmet, fühlt, wie traumhaft wohlthätig sie sich auf die Nerven legt.
Aehnlich, wenn auch nicht ganz so harmonisch ist der etwas weiter nördlich gelegene Platz, wo die alte und neue Pinakothek, jene berühmten Gemäldesammlungen, und das Polytechnikum stehen. Hier wirkt der Eindruck der Ruhe nicht so vollständig; denn an zwei Seiten des Platzes wohnen Menschen und an der dritten Seite ist sogar eine Kaserne, aus deren Hof den ganzen lieben Tag Taktschritt und Kommandorufe schallen; auch die Pferdebahn bringt einige Unruhe. Aber mit Vergnügen schweift doch das Auge hier über weite Räume hin; man fühlt sich nicht so beengt, so gedrückt wie in den Straßen des Geschäftslebens, sondern erfrischt durch weite Grasfluren, durch Buschwerk und Baumschatten. Der ganze Stadttheil, dessen Mittelpunkt dieser Platz bildet, hat nur einen gewissen einförmigen Charakter wegen der durchaus geradlinigen und rechtwinkeligen Anlage seiner Straßen. Das ist ja praktisch, aber recht langweilig wie alles Viereckige.
Wenn man von dem unvergleichlichen Königsplatz in östlicher Richtung weiter wandert, kommt man zuerst nach dem kleineren, kreisrunden Karolinenplatze. Auch er ist sonntäglich still, von schweigenden Palästen umgeben. In seiner Mitte ragt ein eherner Obelisk, dem Andenken der dreißigtausend Bayern gewidmet, die einst mit dem korsischen Eroberer nach Rußland ziehen mußten und dort in eisigen Wüsten einen frühen Tod fanden.
Wir nähern uns wieder belebteren Stadttheilen. Vorüber an den röthlichen Mauern des „Wittelsbacher Palastes“, der zur Linken seine gothischen Thürme hinter einem Kastanienhain erhebt, kommen wir zum Schillerdenkmal; gleich darauf zum Wittelsbacher Platze, wo die Reiterstatue Herzog Maximilians I., ein Meisterwerk von Thorwaldsen, uns ernst entgegen schaut; und dann hinaus auf den Odeonsplatz.
Hier sind wir an einem der elegantesten und zugleich belebtesten Punkte der Stadt. Mit der volkreichen und lebhaften Theatinerstraße, welche zum Marienplatze führt, treffen hier die aristokratische Briennerstraße, die Residenzstraße und die breite majestätische Ludwigstraße zusammen. Auf den Odeonsplatz schaut ein Flügel des königlichen Schlosses von einer Seite her; von der anderen Seite beherrschen ihn die barocken Thürme der Theatinerkirche; die dritte Seite wird von der Feldherrnhalle eingenommen; die vierte öffnet sich nach der Ludwigstraße zu und läßt hier einen weiten Ausblick durch stattliche Häusermassen.
Der Odeonsplatz und die Ludwigstraße tragen den Grundzug [679] des Gouvernementalen; sie sind der Wohnsitz der Staatsgewalt, denn hier finden wir außer der Residenz in unmittelbarster Nähe die Ministerien des Inneren und des Kultus und, wenn wir die Ludwigstraße weiter hinabwandern, noch eine Reihe von Prachtbauten, in welchen hohe Behörden untergebracht sind.
Da steht zur Rechten das Finanzministerium, in welchem der Herr Finanzminister mit Recht stolz sein kann auf die Blüthe und Ordnung des bayerischen Staatshaushaltes; in seiner Nachbarschaft ragen die großen Geldpaläste der Reichsbank, der Notenbank und der Bodenkreditbank; weiter abwärts folgt das Kriegsministerium, welches in der Nähe jener Geldpaläste ganz passend erscheint, theils als Schutzanstalt, theils als Mittel, um das etwa überflüssige Geld doch anbringen zu können. An das Kriegsministerinm stößt wieder der großartige Bau der bayerischen Staatsbibliothek, ihm gegenüber liegt ein umfangreiches Gymnasialgebäude. Und so setzen sich die öffentlichen Bauten fort bis zu dem Platze, wo vor dem schönen Universitätspalaste zwischen Blumenbeeten die Springbrunnen rauschen. Die Straße findet ihren Abschluß in dem Siegesthore, einem Triumphbogen im römischen Stil, auf dessen Höhe eine eherne Viktoria ein Löwen-Viergespann lenkt. Hinter dem Siegesthore ist die Straße zwar nicht zu Ende, aber sie gewinnt einen anderen Gesichtszug; sie wird eine Villenstraße, in welcher das Grüne vorherrscht. Ein großer Prachtbau aber zeigt sich noch unweit des Siegesthors: die mächtige Front der neuen Kunstakademie, in welcher so viele junge Leute das Malen lernen, daß binnen kurzer Zeit die ganze Welt mit Bildern versorgt werden könnte.
Wenn wir uns durch die Ludwigstraße wieder zurückverfügen nach dem Odeonsplatze, muß uns unmittelbar vor der Feldherrnhalle eine Mauer mit einem mäßig großen Thorbogen auffallen. Hinter jener Mauer sieht man grüne Baumwipfel nicken: die Linden und Kastanien des Hofgartens, in deren Schatten während der schöneren Jahreszeit Kaffeehäuser und Konditoreien ihre Labung spenden. An den Tischen dieser Erquickungsanstalten kann man an schönen Sommertagen Münchener Berühmtheiten und Unberühmtheiten, elegante Damen und schlanke Lieutenants sitzen sehen; auch die Fremden mit ihren Reisehandbüchern finden sich gerne ein, um vom ermüdenden Anstaunen der Münchener Kunstschätze auszuruhen. Bier darf in diesen Gartencafés nicht verabreicht werden. Das ist eine vortreffliche Einrichtung, weil sie jedermann den Beweis liefert, daß der Münchener auch ohne Biergenuß irgendwo sitzen bleiben kann. Unter den Bäumen spielen Kinder und rauschen Springbrunnen; die Kinder werden mit der Zeit größer und stärker, aber die Brunnen leider nicht – die bleiben ewig gleich dünn.
Der Hofgarten mit seinen zahmen Baumreihen bildet nur eine Einleitung zu dem ungleich schöneren „Englischen Garten“, welcher sich daran schließt. Dieser Englische Garten ist wie ein Keil, den die Natur fast bis in das Herz der Stadt hereinschieben durfte. Stundenlang zieht er sich in nordöstlicher Richtung durch die Isarniederung, von Armen des Flusses durchströmt, mit weiten Wiesenflächen und prächtigen Baumgruppen. Hier kann man bald an einem Wasserfalle sitzen, der über Felsen herabrauscht, oder einen Hügel ersteigen, auf welchem ein griechischer Säulentempel sich sonnt; weiter abwärts mag man auch auf einem kleinen See unter Baumwipfeln hinrudern; oder man mag noch weiter hineinwandern in die grüne Tiefe, wo die Wege immer einsamer werden. Der Park wird immer mehr zum Walde; Rudel von Rehen zeigen sich scheu in der Ferne, und endlich verliert sich das Walten aller Kultur in schweigender Einsamkeit. Man hört nichts mehr als den Ruf der Waldvögel und das Rauschen des hinter den Bäumen thalwärts eilenden Stroms.
Kehren wir zurück zur Stadt! Wo wir den Englischen Garten verlassen, schweift unser Blick durch die neu angelegte, ihre Häuser noch erwartende Prinzregentenstraße bis zur Anhöhe jenseit der Isar, wo ein ferner Springbrunnen im Sonnenlichte glitzert. Wenn wir den Hofgarten wieder erreichen, können wir durch die Bogengänge hinaufgehen, die ihn an zwei Seiten begrenzen und theils mit geschichtlichen Freskobildern, theils mit den unvergleichlich schönen italienischen Landschaften Rottmanns geschmückt sind. An der Südseite des Hofgartens zeigt uns das Residenzschloß der bayerischen Könige seine machtvolle Stirnseite. Wir können die stillen, sonnigen Schloßhöfe durchwandern und finden in einem derselben einen größeren Brunnen mit barocken Ungeheuern, in einem kleineren Hof einen ganz melancholischen stillen Miniaturgarten, gleichfalls mit einem Brunnen, auf welchem Perseus erscheint, wie er eben die arme Medusa geköpft hat.
Aus dem Schlosse gelangen wir auf den Residenzplatz hinaus. Drei vornehme Bauwerke nehmen drei seiner Seiten ein: die [680] Südfront der Residenz, das Hoftheater und die Hauptpost; mitten auf dem Platze aber thront des Königs Max Joseph ehernes Standbild, voll treuer Erinnerung stets mit Kränzen geschmückt. An ihm vorüber führt uns der Weg wieder in eine Hauptverkehrsader, in die Maximiliansstraße. Sie ist landschaftlich die anmuthigste unter den Münchener Hauptstraßen, wenn man auch mit ihrer Architektur nicht immer zufrieden sein kann.
Unter ihren Seitenstraßen leitet eine zu einer Sehenswürdigkeit Münchens, welche wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Wir meinen das königliche Hofbräuhaus'. Unscheinbar von außen, ist es seit Menschenaltern eine Musteranstalt zur Stillung berechtigten und unberechtigten Durstes. Nichtmünchener geben sich allerdings noch der groben Täuschung hin, daß jeder Münchener mindestens einmal im Tage seine Schritte diesem Tempel des Gambrinus zulenke, während im Gegentheile sehr viele Münchener von heutzutage das Hofbräuhaus überhaupt nur vom Hörensagen kennen. Die Stadt ist viel zu groß und die Zeit der Menschen viel zu kostbar geworden, so daß sich die Aufmerksamkeit längst nicht mehr auf eine einzige Bierquelle konzentrieren kann, mag dieselbe auch noch so köstlich fließen. Es ist auch ein Irrthum, wenn der Fremde glaubt, er müsse das Hofbräuhaus gesehen haben, um Münchener Leben kennenzulernen. Das Münchener Leben, soweit es heutzutage noch mit dem Nationalgetränke zusammenhängt, offenbart sich genügend auch in den großen Bierkellern, die an den Endpunkten der Stadt liegen und in denen das Volk gern seine Sommerabende unter schattigen Kastanien verbringt.
Die Maximiliansstraße, von welcher aus wir diese kleine Abschweifung gemacht haben, endet mit dem Denkmal König Maximilians II. und mit einer hübschen Brücke, unter welcher die Isar durchrauscht. Von dieser Brücke sieht man weit stromab- und stromaufwärts, und überall fröhlich bewegtes Wasser, weiße Kiesbänke und stattliche Bäume; und man kann am jenseitigen Ufer hinauf und hinunter wandern auf verschlungenen Pfaden und den Blick hinüber schicken nach den Thürmen und Dächern der Stadt. Noch weiter in östlicher Richtung vorzudringen ist nicht rathsam; denn die Straßen, die da hinausführen, enden in weitläufigen unschönen Vorstädten, und schließlich steht man vor einem Bahnhofe oder vor einer jener zahllosen Ziegeleien, welche dort den gelben Lehmboden in rothe Ziegel verwandeln, damit immer neue Häuser gebaut werden können, in welchen neue Geschlechter von Menschen wohnen sollen.
Parallel mit der Maximiliansstraße führt noch eine andere Hauptverkehrsader nach Osten, das sogenannte „Thal“. Es ist eine breite krumme Straße, welche durch alte Stadttheile mit gewerblichem Leben sich durchwindet. Durch das Isarthor mit seinen alterthümlichen Thürmen gelangt man an den Fluß und zu den Vorstädten, welche sich mit ihren gothischen Kirchen, ihren kleinen Häusern und großen Bierfabriken am östlichen Ufer ausbreiten.
Wenn man eine ganze Stadt mit einem Hause vergleichen dürfte, so könnte man sagen: in München bildet die nördliche und westliche Hälfte der Stadt das Vorderhaus, die südlichen und östlichen Quartiere sind Hinterhaus. Im Vorderhause sind breite Treppen und große helle Fenster; da wird gewohnt, geprunkt und Luxus getrieben; da hausen Kunst, Wissenschaft und Staatsgewalt als angesehene und zahlungsfähige Miethparteien. Im Hinterhause sind die Fenster klein, die Treppen steil und eng; da wird gearbeitet; man sieht Werkstätten und viele kleine Kinder.
In diese Hinterhausgegend leiten vom Mittelpunkte der Stadt aus zwei Hauptadern. Um die eine zu finden, biegt man vom Marienplatze unter dunkle alterthümliche Laubengänge ein, wo allerhand kleine Läden für Spielwaren, Küchengeschirr, Werkzeuge und dergleichen sich aneinander drängen. An diesen Lädchen vorüber führt uns der Weg durch einen finstren Bogen, unter den Mauern einer schwarzbraunen Kirche und am zierlichen Pförtchen des Standesamts vorüber zu einer kleinen Terrasse. Vom Rande derselben sehen wir unter uns ein Meer von Gemüse, Obst, Fleisch, Brot, Eiern und Fischen. In diesem Meere schwimmen Marktweiber, Hausfrauen und Köchinnen umher. Es ist der Viktualienmarkt, auf welchen wir hinunterschauen, die Speisekammer der Stadt, täglich gefüllt und täglich wieder leer gegessen. Wir steuern durch dieses Meer von Eßwaren, hier ein paar Schneehühner, dort ein Spanferkelchen mit begehrlichem Auge streifend; heftiges Feilschen, Lachen und Scheltmorte schlagen an unser Ohr. Dann nimmt uns ein Pferdebahnwagen auf und führt uns durch eine lange Straßenzeile wieder an den Fluß hinaus auf die Reichenbachbrücke. Hier sind wir am südlichen Ende der Stadt. Stromabwärts sehen wir Brücken, Häusermassen und Thürme; stromaufwärts schweift das Auge durch einsame Auen und Wälder.
Eine letzte Hauptverkehrsader endlich führt vom Marienplatze aus in südwestlicher Richtung durch die Stadt. Es ist die Sendlingerstraße. Auch da lernen wir alte bescheidene Stadttheile
[681][682] kennen: schmale, rauchige Häuser mit gewerblichem Lärm. Am Ende dieser Straße steht das altersgraue, epheuumsponnene Sendlingerthor, welches ein betrübtes Ansehen hat, weil es schon seit Jahrzehnten in beständiger Gefahr schwebt, den Anforderungen des modernen Verkehrs zum Opfer fallen zu müssen. Außerhalb des Sendlingerthors weitet sich das Stadtbild wieder freundlich aus; überall zeigen sich Baumgruppen zwischen den Häusermassen. Wir betreten einen Stadtteil, welcher hauptsächlich der Gesundheitspflege gewidmet ist; hier sind die umfangreichen Bauten des städtischen Krankenhauses; in der Nähe auch die Anatomie, das physiologische Institut, die Frauenklinik und ähnliches. Man würde sich unter dem sanitären Schutze dieser Anstalten ziemlich geborgen fühlen, wenn man nicht wüßte, daß leider auch der große südliche Friedhof in unmittelbarster Nähe ist.
Durch staubige, breite, neue Vorstadtstraßen suchen wir das Ende der Stadt zu gewinnen. Wenn wir das Freie erreichen, finden wir uns auf einer weiten Fläche, der Theresienwiese. Wo sie an ihrem Westrande durch eine langgestreckte Bodenanschwellung begrenzt wird, steht auf der Höhe droben ein stolzer griechischer Säulenbau, die Ruhmeshalle, überragt von dem ehernen Riesenstandbilde der Bavaria. Seltsam hebt sich die dunkle Erzfarbe des gigantischen Weibes von der weißen Säulenreihe dahinter ab.
Wir steigen die breite Freitreppe hinauf bis an den Sockel der Statue. Hier ist es wieder still und schön. Ein Wäldchen von prächtigen Bäumen rauscht um den Säulenbau; vor uns ausgebreitet liegt die Stadt mit ihrem Häusermeer und ihren qualmenden Kaminen, aber ihr Lärm klingt nicht bis herauf zu uns; nur vom benachbarten Centralbahnhofe her vernehmen wir das Pfeifen der Lokomotiven. Der Eindruck, welchen München an dieser Stelle macht, ist nicht malerisch, es ist nicht so schön gruppiert, wie man es vom entgegengesetzten Isarufer aus sieht. Dafür entdeckt unser Auge mit Entzücken dasjenige, was an der Münchener Landschaft das schönste ist: die langgestreckte Kette der Alpen. Ueber den Dächern der Häuser scheint sie zu schweben, Gipfel an Gipfel; und wenn die Luft klar ist, läßt sich unschwer dort die lichtere Färbung der Felsen und Alpenmatten vom dunkleren Tone der Bergwälder unterscheiden. Zwischendurch aber schimmern auch noch die beeisten Spitzen der Stubaier und Zillerthaler Gletscher. Da kann man lange stehen und hinausschauen; ein solcher Anblick zieht nicht nur das Auge, sondern auch die Seele ins Weite.
Und während man so in diese blaue sehnsuchtweckende Ferne schaut, hört man über sich einen eigenthümlichen klingenden Ton. Es ist der Wind, der um die eherne Riesin spielt. Das klingt geisterhaft. Dieses Erz da droben – einst waren es alte türkische Schiffskanonen, die vielleicht schon in der Schlacht von Lepanto Feuer sprühten. Jetzt weckt der Alpenwind singende Töne in dem alten Metall. Wie die Dinge zusammenhängen!
„Um meinetwillen!“
Acht Tage später war’s. Oberlehrer Claassen trat aus dem Thor des stattlichen Gymnasiums, von einem ganzen Schwarm junger Leute und Knaben gefolgt und begleitet. Das stürmte und polterte hastig die breiten Treppen hinunter, das drängte und stieß einander, lachte und schwatzte, daß es laut in den hohen Gängen wiederhallte. Der Oberlehrer ließ es geschehen, ohne ein Wort dagegen zu sagen – war er nicht selber jung gewesen und wußte, wie hart es war, vier Stunden hintereinander stets auf den Bänken zu sitzen und sich alle möglichen Dinge abfragen zu lassen, die man oft nur höchst mangelhaft beantworten konnte? Und entsann er sich nicht noch genau des wonnigen Gefühls der Erlösung, wenn diese vier Stunden vorbei waren und es nach Hause ging? So lächelte er denn wohlwollend, als der „gemüthliche Kerl“, der er war, und erwiderte all die zahllosen Grüße mit seinem bekannten jovialen: „Morgen, Morgen!“ Seine lebhaften Augen schweiften zu einem Herrn im Pelz hinüber, der in einiger Entfernung vom Schulgebäude auf und ab ging und regelmäßig bei demselben kahlen beschneiten Kastanienbäumchen Kehrt machte.
„Gregory!“ rief Claassen, als er dem Wanderer in Gehörweite war.
„Nun, da hätten wir Dich ja!“ Der Professor faßte den Näherkommenden unter dem Arm. „Du hast merkwürdig spät geschlossen, ich pendle hier schon seit zwölf Minuten hin und her!“
„Glaub’ ich Dir, Freundchen! Aber was willst Du: im Dienst der Wissenschaft – wenn man den alten Cäsar behandelt!“
„Na, na, der alte Cäsar kommt Deinen Jungen gewiß wie ein abgefeimter Quälgeist vor! Alles wohl und gesund bei Dir zu Hause?“
„Danke! Seit gestern ist gottlob keine verheerende Seuche bei uns ausgebrochen.“
„Schön, mir lieb zu hören! Weswegen ich kam . . . Du kannst mir wohl eine Einladung verschaffen zu dem Dingsda, wie heißt’s doch gleich? ‚Kaufmannskränzchen‘, nicht? Oder dürfen da nur die Herren vom Comptoir hinein?“
„Bewahre! Professoren, Assessoren, Künstler, Lieutenants – alles! Je bunter, desto besser! Einladung? Natürlich! Also so lange willst Du noch hier bleiben?“
„Bis zur künftigen Woche – ist Dir das etwa zuviel? Wünschest Du, mich loszuwerden?“
„Dummheiten! Ich meine bloß, weil Du früher immer so eilig und wichtig mit Deiner litauischen Reise thatest.“
„Eilig und wichtig? Ich? Daß ich nicht wüßte! Ich hab’ mir’s überlegt – zu solchen Studien, wie ich sie vorhabe, ist eigentlich der Winter so ungeeignet wie nur möglich.“
„Das ist Dir jetzt eingefallen?
„Ja, jetzt!“
„Hm, hm!“
„Was ist denn dabei so verfänglich zu hüsteln?“
„Mein Gott, der Mensch wird doch wohl ’mal gelegentlich hüsteln dürfen!“
„Also wegen der Einladung –“
„Sei unbesorgt, mein Sohn, Du sollst sie haben. Willst Du denn eigentlich tanzen?“
„Ich möchte wissen, warum ich nicht tanzen sollte! Eine Zeitlang kam ich mir freilich zu alt dazu vor ... bin ich denn aber zu alt?“ Der Professor bog während des Gehens den Kopf seitwärts und sah seinem Begleiter unruhig nach den Augen.
„Kein Gedanke, Gregory, Du bist ja in den schönsten Jahren – – was ist denn nun schon wieder übelzunehmen? Du bist höllisch empfindlich jetzt! Ich darf doch wohl mein Erstaunen äußern, wenn Du, eine alte Kathederseele –“
„Eben weil ich das bisher gewesen bin, ist es Zeit, mich einmal herauszureißen. Ob ich noch gut werde tanzen können, ist allerdillgs die Frage.“
„Komm nur heut abend zu mir, meine jungen Mädel können Dich eintanzen!“
„Das ist ein reizender Einfall, Claassen! Ich komme mit Vergnügen. Wann darf ich antreten?“
„Wart’ ’mal! Zwei von unseren jungen Damen besuchen das Seminar, ,der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Trieb‘ – die müssen arbeiten. Um halb fünf kommen sie vom Klub zurück –“
„Mir will dies regelmäßige Eisvergnügen für Deine jungen Mädcheu gar nicht recht passend erscheinen, lieber Alter.“
„Na, erlaube gefälligst! Wie kommst Du mir vor? Wenn meine Frau, welche die Vorsicht in Person ist, nichts dagegen hat und Tante Sophiechen tagtäglich als Ehrendame mitgeht, dann kann wohl kein Mensch auf der Gotteswelt etwas Unpassendes dabei finden! Uebrigens sollt’ ich meinen, man dürfte die gesunde Bewegung den Mädchen gönnen. Zwei von ihnen kasteien sich im Seminar mit der Bildung ab, die dritte lernt kochen und feine Handarbeiten – nun sollen sie nicht ’mal nach all dieser Drangsal das bißchen Eissport haben? Sie vergnügen sich prachtvoll dabei und berichten uns außerdem immer haarklein von allem, namentlich die Luise Degen, die jüngste, das kleine Plappermaul. Jedes von den Mädchen hat seinen Courmacher –“
„Das ist es eben! Siehst Du! Courmacher!“
„Herrgott, warum denn nicht? Sind ja alle erwachsen, keine [683] kleinen Kinber mehr! Ja, jede hat ihren eigenen Courmacher, bloß unsere Annaliese –“
„Hat keinen?“
„Hat mehrere!“
Hinter seiner goldgefaßten Brille hervor warf der Sprecher einen pfiffigen Seitenblick auf seines Freundes plötzlich verfinstertes Gesicht. „Weiß der Himmel,“ fuhr er dann harmlos und behaglich fort, „es ist doch noch nicht aller Idealismus in der Welt ausgestorben! Die jungen Leute, sagt Tante Sophiechen, umschwärmen unsere Annaliese wie die Motten die Flamme, trotzdem sie wissen, daß sie keinen Heller Vermögen hat – so was spricht sich nämlich heillos rasch herum. Freilich, was da so auf dem Eis herumfliegt, das ist meistens zum Heirathen noch nicht zu gebrauchen; aber Tante Sophiechen sagt, es seien auch einige ganz ‚gemachte‘ Männer darunter, und gerade die bemühen sich um unser Freifräulein von Guttenberg. Ein reizendes Käferchen ist sie ja auch, meinst Du nicht?“
„Ich? Ja, gewiß!“
„Und sag’ ’mal ehrlich: die hätte doch sicherlich schon heirathen können! Du bist ja aus einer Stadt mit ihr, da hört man so etwas läuten.“
„Mir hat nichts geläutet.“
„So! Also nlcht? Wundert mich ungeheuer. Aber wer weiß – wenn sie dort ihr Glück nicht gemacht hat, kann sie’s ja hier machen. Das fremdartige Element in ihr wirkt ganz besonders anziehend, Tante Sophiechen sagt, die Herren sind ganz bezaubert von allem, was sie sagt und thut.“
„Diese Tante Sophiechen sagt ja ungemein viel!“ murmelte der Professor gereizt.
„Natürlich thut sie das. Wozu sind alte Tanten auf der Welt, als um allerlei zu sagen? Schwenkst Du hier ab, Gregory?“
„Ja! Adieu!“ – – –
„Die Sache stimmt! Es hat ihn, hat ihn ganz fest!“ rief Gustav Claassen fünf Minuten später seiner Gattin zu, nachdem die „Heinzelmännchen“ an dem Papa ihre Pflicht gethan hatten und entlassen worden waren.
„Siehst Du!“ rief Frau Melanie triumphierend. „Hab’ ich’s nicht gleich gesagt?“
„Ja, Du hast es gleich gesagt – in Liebesgeschichten kommt der klügste Mann gegen die simpelste Frau nicht auf . . . dies ganz allgemein gesprochen als alten Erfahrungssatz! Und ich meinerseits sehe nun durchaus nicht ein, welches Hinderniß noch vorhanden sein könnte.“
„Annaliese kann keine Neigung für den Professor haben!“
„Erlaube! Wenn ein Prachtmensch wie mein alter Gregory, ein Ehrenmann durch und durch, gesund, gut aussehend, Professor mit Zukunft und einem kleinen Vermögen obendrein – wenn der seine Hand ausstreckt nach einem blutarmen Mädel, das sich mit ein bißchen Pinseln oder sonstwie ernähren soll, dann hat besagtes Mädel einfach zuzugreifen, oder sie ist die größte Gans, die Gottes Sonne bescheint!“
„Gustav, Du bist sehr derb!“
„Derb, aber wahr! Wenn mein alter Freund nur nicht so zugeknöpft in dem Punkt wäre und mir gegenüber offen Farbe bekennen wollte, dann würd’ ich ihm schon rathen, zuerst ’mal diese mir ganz unerklärliche Zaghaftigkeit aufzustecken und frischweg aufs Ziel loszugehen. Ich hab’ ihn ja all diese Tage, wo er jeden Abend bei uns war, beständig beobachtet. Verliebt wie der erste beste Primaner, aber noch zehnmal schüchterner! Ist das eine Art? Geistert da um das Mädchen herum und hat nicht den Muth, zu sagen: hier bin ich, ich hab’ Dich lieb – willst Du mich? Ich hab’ doch auch eine Adlige gefreit und das wahrhaftig unter erschwerenden Umständen – und hab’ ich nicht gesiegt auf der ganzen Linie?“
„Annaliesens Großmutter wünscht vielleicht eine andere Partie für das Mädchen.“
„Andere Partie! Als wenn sich ein armes adliges Fräulein die Partieen nur so aussuchen könnte! Wenn diese verdrehte alte Schraube darauf warten will, bis der Großmogul um ihre Enkeltochter freit, dann können sie mir alle drei leidthun – die Alte, die Junge und der Großmogul, der sicher auf sich warten läßt! – Heute abend kommt Paul, um Probe zu tanzen; er will mit Gewalt zum Kaufmannskränzchen. Wenn Männer in seinen Jahren es noch über sich gewinnen, nach langer Pause wieder zu tanzen, dann ist das ein sehr schlechtes Zeichen für ihren Herzenszustand.“
„Ach, Gustav, ich würde mir’s so wünschen! Unser lieber Freund und dies Mädchen!“
„Ja, Frau Melanie, das wär’ so etwas für uns – Verlobung im Hause! Feiner Hintergrund fürs Pensionat, wie? Alle Welt kommt zu Dir ins Haus, sobald bekannt wird, daß sich hier die armen jungen Mädchen verloben! Na, wenn es so weit ist, brau’ ich uns eine Bowle, die sich sehen lassen kann!“ – – –
Es war ein sehr lustiger Abend, als die jungen Mädchen den Professor „eintanzten“. Man war unermüdlich fröhlich, sogar eine Quadrille wurde zustande gebracht, bei welcher Kurt, Claassens ältester Junge, als „Herr“ auftreten mußte. Der Oberlehrer und der Professor erwiesen sich dabei bedauerlich ungeschickt und mußten sich beständig von den jungen Mädchen zur Ordnung rufen lassen. Annaliese von Guttenberg strahlte vor Lust und Leben. Es that ihr so gut, hier der Liebling zu sein, es freute sie so sehr, daß der Professor dies sah! Sie merkte es wohl, wie seine Angen ihr beständig bewundernd folgten, sie mochte thun, was sie wollte – war es dies Bewußtsein, das sie so hinreißend liebenswürdig erscheinen ließ?
Auch das „Versteckspielen“ mit den anderen in Gegenwart ihres Vertrauten belustigte Annaliese sehr. Sie berieth völlig ernsthaft mit der Frau Oberlehrer ihre Toilette zum bevorstehenden Fest – „ganz einfach und billig alles“ – sie war sehr dafür, daß man zusammen zwei Wagen miethe, damit es wohlfeiler werde. Wie ihre dunkel schillernden Augen während dieser Berathungen immer wieder Pauls verstohlen lächelndes Gesicht suchten, wie es sie insgeheim glücklich machte, mit ihm ein stilles Einverständniß zu haben, um das keine Menschenseele sonst wußte! Es war ein gesteigertes Gefühl von Lebensfülle und Lebensfreude in ihr, aber sie gab sich keine genaue Rechenschaft darüber, woher es stammte. Sie hatte daheim schon soviel grübeln und nachdenken, sich selbst und andere beobachten müssen – hier wollte sie das nicht fortsetzen, hier wollte sie den Augenblick genießen. –
Jeden Tag trug Annaliese gewissenhaft und pünktlich ihre gewaltige Malmappe zu ihrem Lehrer, der am Königsthor wohnte, und jeden Tag begegnete ihr dabei gewissenhaft und pünktlich Professor Paul Gregory. Wie sollte er nicht? Zu thun hatte er nichts, andere Bekannte als Claassens besaß er nicht, und bis zum späten Abend im „Schweden“ sitzen und Grillen fangen, das konnte er doch auch nicht! Die Bewegung in der frischen kalten Winterluft that ihm außerordentlich gut, er sah jung und blühend aus und schritt so leicht einher, als ginge er auf Wolken. Es war so hübsch für ihn, auf Annaliese zu warten und unter all den schwarzen und grauen Damenhüten das originelle rothe Sammetmützchen auftauchen zu sehen – „das einzige Zeichen früherer Herrlichkeit“, wie Annaliese neckend sagte. Und welch ein Gesicht unter diesem rothen Mützchen, welche Augen, welches Lächeln! Er konnte es im Grunde den Königsbergern gar nicht verdenken, daß sie sich, wie er immer wieder wahrnahm, oft und wohlgefällig nach seiner Begleiterin umsahen – aber eigentlich verdachte er es ihnen doch, und namentlich der Schlittschuhklub beunruhigte den Professor bedenklich. Mit wem traf sie dort zusammen, wer waren die „gemachten Männer“, die sie dort umschwärmten? Es war nichts Rechtes darüber herauszubringen, so oft er auch schon verblümt danach gefragt hatte. Er hatte Kurt, Claassens Aeltesten, der bereits eifrig dem Eissport huldigte, als Aufpasser mitgeschickt und ihn später ein wenig ausgehorcht – aber auch da gab es nicht viel zu erfahren. „Ja, da waren drei Herren, die gleich auf Annaliese loskamen, sowie wir bloß da waren. Der eine schnallte ihr die Schlittschuhe fest, und einer kam mit einem Stuhlschlitten für sie, der dritte zeigte ihr das ‚Holländern‘ – sie ‚holländerte‘ ganz famos, Onkel Paul, kann ich Dir sagen! Einen nannten sie Herr Assessor – und der eine Große sagte zu mir: ‚Mein Jungchen, Du hast hier gewiß viele Freunde, die gern mit Dir laufen wollen‘ – na ja, und da lief ich denn auch mit dem Otto Hein!“ Diese Auskunft war dem Professor nicht genügend; er selbst lief nicht Schlittschuh und mußte sich sagen, daß er jetzt als Anfänger in dieser edlen Kunst schwerlich eine vortheilhafte Rolle spielen würde; so stellte er sich denn selbst auf die Schloßteichbrücke und machte den Beobachter, an einem Tage, an dem Konzert auf dem Eise war. Was er da zu sehen bekam, war ein überaus anmuthiges Schauspiel. Lange Tannenreihen prangten in ernstem Grün, große Fahnen wehten hoch in der blauen Luft, zahllose bunte kleine Wimpel flatterten lustig im Winde. Unter [684] den lockenden Klängen der Musik wogte eine bunte Menge Volks auf dem schimmernden Eis – Männer, Knaben, junge Frauen und Mädchen und Kinder – das alles flog und schwebte in schwindelnder Schnelligkeit, in schwindelndem Wechsel vorüber. Und das ganze Bild eingerahmt von den verschneiten Bäumen der umliegenden Gärten, vergoldet von einer heiter lachenden Wintersonne!
Hier aber die Eine, die er meinte, herauszufinden oder gar festzustellen, mit wem sie lief, das war für den Professor fast unmöglich. Dort tauchte eine rothe Sammetmütze auf – nein, sie war’s nicht! Hier kam eine schlanke, elegante Figur vorbeigesaust – wieder ein Irrthum! Vielleicht jene anmuthige Gestalt, von drei, vier Herren umgeben? Aber andere schieben sich dazwischen, es entsteht ein Gedränge, eine ganze Kette zieht sich vor . . . dort leuchtet noch einmal ein rothes Pünktchen auf, jetzt verschwindet es in der bunten Menge – ist’s Annaliese von Guttenberg gewesen? Der Zuschauer bekam kalte Füße, es fröstelte ihn trotz des Pelzes – hinter ihm sagte die rauhe Stimme eines Schutzmannes: „Das Stehenbleiben auf der Brück’ ist verboten!“ . . . Da ging er weiter.
Konnte Gregory nach dem allem von diesen Stunden auf dem Eis nicht begeistert sein – das junge Mädchen war es immer. Sie war es auch heute, am Vormittag des berühmten Balltages. Es sei gestern ganz herrlich auf dem Eis gewesen, hier in Königsberg könne man sich doch vervollkommnen im Laufen anders als daheim, wo der Winter bloß Komödie spiele – sogar ein paar Offiziere habe man ihr vorgestellt, ihr sei ganz eigen zumuth gewesen, einmal wieder den militärischen Ton zu hören, obgleich die Ostpreußen wieder ganz anders schnarrten als „ihre Lieutenants“ daheim – sie sei nur beständig in Angst gewesen, es könnte einer etwas von ihr wissen, das Militär habe immer so viele Verbindungen ... das alles plauderte sie leicht und rasch an Paul Gregory hin, während sie, statt in die Malstunde zu gehen, mit ihm zum Königsthor hinausschritt. Er hatte sie dazu verlockt, und sie hatte sich gern bereden lassen – mein Gott, die Malstunde eilte wirklich nicht so, und es war ein so wonniges Wetter, hell und frisch, mit blitzenden Sonnenfunken, die fröhlich über die blendend weißen Schneeflächen hintanzten und den Bäumen ein flimmerndes Diadem aufsetzten. Es hatte Rauhreif gegeben während der Nacht, nun lag es zart-weiß und flaumig zwischen den kahlen Zweigen, zeichnete zierlich jede kleinste Verästelung nach und schmiegte sich um die Gesträuche, daß sie wie kostbare Kunstwerke von Krystall anzusehen waren.
„Entzückend!“ Annaliese öffnete die Lippen und zog die Luft wohlig ein. „Es riecht so schön nach Schnee, finden Sie nicht?“
Sie nickte freundlich einem alten Mann zu, der, in einen dicken Friesrock gekleidet, die Pelzkappe tief über die Ohren gezogen, langsam auf einem kleinen Schlitten an ihnen vorüberfuhr; allerlei blanke Kannen und Gefäße standen hinter ihm im Stroh. „Das ist unser ‚Schmandmann‘!“ erklärte Annaliese und nahm den Gegengruß des Alten, der den breiten Mund bis an die Ohren auseinanderzog, vergnügt entgegen. „Wie mir diese ostpreußischen Bezeichnungen Spaß machen, Sie glauben es nicht! ‚Schmand‘ ist soviel wie Sahne – wissen Sie das? Einmal hab’ ich diesen Mann mit den Kindern besucht, er wohnt nicht weit draußen, da sind wir auf einem sonderbaren Gefährt herumkutschiert – bloß zwei lange Kufen, Bretter und Stroh drüber, und zwei Stangen zum Festhalten, das ganze Ding nur so hoch – eine ‚Schleife‘ nennen sie das hier, aber es fährt sich großartig darauf, man fliegt förmlich!“
„So hätte Sie die Großmama-Excellenz sehen sollen und der Kreis Ihrer Verehrer!“
„Ach, was wissen Sie von dem? Der verehrt ja nicht mich, sondern mein Geld!“
„Glauben Sie wirklich, Annaliese, daß jeder, der Ihre Verhältnisse kennt, Sie nur aus Berechnung verehrt?“ fragte Gregory sehr ernst.
„Ja – jeder, jeder! Ich hab’ doch meine genügenden Gründe dafür, und Sie kennen diese recht gut!“
„Daß Sie um des einen willen alle verurtheilen wollen –“
„Steinhausen hat gesagt, daß alle mich bloß deshalb verwöhnen und bevorzugen, weil ich Großmamas Enkelin und reich bin, und er mußte das wissen, keiner kennt so gut unsere Gesellschaft wie gerade er! Aber weg damit! Der Wintertag ist viel zu herrlich und ich bin viel zu vergnügt mit Ihnen, Gevatter, um mir mit solchen unliebsamen Erinnerungen die Zeit zu verderben. ‚Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!‘ Ohnehin – wer kann sagen, wie lange der ganze Spaß dauert!“
„Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, daß Großmama mir heute früh geschrieben hat, wenn ich nicht endlich Ernst machte mit meinen Besuchen bei den hohen Offiziersfamilien und mit meiner Kunst, dann würde sie mich bald nach Hause entbieten, denn sie habe nun meine ewigen Ausflüchte satt. Meine Kunst – du lieber Gott!“ Annaliese sah mit einem drolligen Seitenblick nach der Riesenmappe, die der Professor ihr dienstfertig trug.
„Und wenn nun Tante Guttenberg auf Ihrer Rückkehr besteht?“
„Ja, dann werde ich doch schließlich gehorchen müssen – sie ist sonst imstande und reist her, um mich zu holen! Natürlich lasse ich es bis zum äußersten kommen und bleibe hier, solange ich kann. Sie auch, nicht wahr?“
„Ich auch!“
„Sie gehen noch nicht sobald nach Litauen?“
„Nein, noch nicht sobald!“
„Was sollen Sie auch jetzt da!“
„Ganz recht, was sollte ich jetzt da!“
Annaliese und ihr männliches Echo sahen einander mit strahlenden Blicken an und wanderten, wanderten in die sonnige Winterlandschaft hinein, als gäbe es auf der weiten Welt sonst nichts für sie zu thun.
Bei Claassens herrschte große Aufregung – fünf Damen kleideten sich zum Ball an. Alles fragte und lief durcheinander. Die Kinder waren jedermann im Weg und wurden unaufhörlich berufen: „Müßt Ihr einem denn überall unter den Füßen sein? Geht doch in die Kinderstube und spielt!“ Allein so gern sie das sonst thaten, heute wollten sie es nun gerade nicht; sie wollten alles sehen, überall dabei sein, die schönen Sachen anfassen, womöglich helfen ... bis schließlich der Vater einen Gewaltakt vollführte, sie alle vier, eins nach dem andern, in die Kinderstube steckte und den Schlüssel im Schloß umdrehte.
Annaliese von Guttenberg, daheim an zwei große Toilettezimmer, die zu ihrer alleinigen Verfügung standen, sowie an die sorgsame Bedienung der vorzüglich geschulten Kanapé gewöhnt, fand es etwas schwierig, sich in den engen Räumen zu behelfen und alles selbst zu machen. Zwar wäre jedermann auf ihren Wunsch gern bereit gewesen, sie zu bedienen, allein sie äußerte kein solches Verlangen, sah sie doch, daß jede von den Damen vollauf mit der eigenen Toilette zu thun hatte. Mit einem halb belustigten, halb mitleidigen Lächeln musterte sie ihr blaßrothes Kleid von billigem Stoff, dessen einzigen Schmuck ein paar lange Atlasschleifen bildeten. Und ohne Perlen, ohne Brillanten, ohne Bouquet – sie, die daheim zwischen vier, fünf Sträußen, einer immer kostspieliger als der andere, die Wahl gehabt hatte!
Die Stunde der Abfahrt rückte näher und näher, die jungen Mädchen wurden immer aufgeregter, sie sprachen in ängstlichen Tönen von ihrem „Ballfieber“. Das war ein Zustand, den Annaliese aus eigener Erfahrung durchaus nicht kannte, sie wußte nur durch Hörensagen davon, aber er wirkte entschieden ansteckend, das fühlte sie. Wie, wenn sie keine Tänzer bekäme! Ganz fremd, in einer Toilette, die nach ihren Begriffen dürftig zu nennen war . . . wie leicht konnte es da kommen, daß sie eines von den „Mauerblümchen“ wurde, die sie daheim so oft bemitleidet, denen sie von ihrem Ueberfluß Tänzer geschickt hatte! Ob ihre Bekannten vom Schlittschuhklub den Ball mitmachen würden, wußte sie nicht, auf Professor Gregory als Tänzer war nicht besonders zu zählen, und ihr Pensionsvater, Doktor Claassen, hatte seinen jungen Damen schon lange verkündigt, er kümmere sich grundsätzlich nicht um sie, es sei ihm schon Opfer genug, überhaupt zu Ball zu gehen; er gedenke in einem der Nebenräume einen Skat zustande zu bringen und in der Eßpause seine Damen in den Speisesaal zu begleiten, mehr könne niemand von ihm verlangen. – Wie wird das werden? Sollte die gefeierte Enkelin der Excellenz Guttenberg heute abend vielleicht ihre erste Niederlage zu verzeichnen haben? Sie seufzte beklommen. Es war noch manches andere, was sie beklommen machte, ihr war das Herz so voll – aber unglücklich war sie nicht, nein, bewahre!
Inzwischen ließen sich die jungen Damen frisieren – Frau [685] Melanie kannte eine „billige“ Friseuse, die für alle fünf Köpfe zusammen nur zwei Mark fünfzig Pfennig rechnete – riefen ab und zu nach Mine, dem Stubenmädchen, und hetzten selbst Jette, die Köchin mit den dicken feuerrothen Armen, in aufgeregtem Lauf durch sämtliche Zimmer, daß der Fußboden zitterte und die Fensterscheiben klirrten.
Endlich kamen die Wagen, und nach einem letzten aufregenden Akt, in dem sämtliche Frauenstimmen wild durcheinanderschrieen, so daß der Oberlehrer die Hände an die Ohren legte und um Gnade bat, fuhr man in scharfem Trab, denn es war wirklich spät, nach dem Junkerhof.
Annaliese bekam ihre Tanzkarte, die sonst tagelang zuvor mit „Abonnements“ besetzt war, und wurde in den Saal geführt. Das erste, was sie dort sah, war Paul Gregory, der sich glückstrahlend vor ihr verbeugte und sie an ihren Platz begleitete.
„Wollen Sie mir gütigst einiges bewilligen? Darf ich um die Tanzkarte bitten?“ fragte er mit feierlicher Würde.
„Bitte!“ Mit einem Schelmenblick gab sie ihm das Kärtchen.
„Sie haben die Wahl, wie Sie sehen!“
Er betrachtete sie, die in dem duftigen frischen Kleid, mit einigen wilden Rosen im dunklen Haar, zum Entzücken aussah, mit einem langen sprechenden Blick. „Wärst Du nur arm, wirklich arm, Du süßes Geschöpf,“ sprach der Blick, „ich spräche Dir von meiner Liebe – so heiß, so stürmisch, daß Du nicht widerstehen könntest!“
Und Annaliese bemerkte den Blick, und das feine elfenbeinblasse Mädchengesicht wurde plötzlich so rosig wie die Blüthen in ihrem Haar – und da war auch das volle, berauschende Wohlgefühl wieder in ihr und fluthete ihr mit starken übermächtigen Schlägen zum Herzen. Sie empfand kein Ballfieber mehr und dachte nicht mehr an ihre einfache Toilette, an die leere Tanzkarte – Glück und Zuversicht schauten aus ihren Augen.
„Ein Tag wie der heutige kommt nicht wieder,“ sagte sich der Professor; „was nachfolgt, kann niemand wissen. Ein Narr, wer die Gelegenheit nicht ausnützt!“ und er schrieb seinen Namen einmal hin und noch einmal und noch einmal, bis Frau Melanie halb ärgerlich, halb lachend ausruf: „Halt, halt, mein Freund! Andere Leute werden auch noch etwas haben wollen! Annaliese gehört nicht Ihnen allein!“
„Leider!“ setzte Gregory im stillen hinzu und gab zögernd die Karte zurück.
„Darf ich bitten, gnädiges Fräulein?“ fragte es jetzt von links und eine begehrliche Hand streckte sich nach der Tanzkarte aus – Annaliesens Assessor vom Eis.
„Wer war das, Gerwald, bei dem Sie da herumschwänzelten?“ fragte zwei Minuten später ein hagerer Herr mit Monocle und nahm den Assessor beim Arm. „Ein reizendes Käferchem das da in Rosa!“
[686] „Leider kein Goldkäferchen!“ seufzte Gerwald mit der Miene eines geschlagenen Mannes. „Und dabei so hervorragend unterhaltend und hübsch! Aber soll rein gar nichts von Mammon dabei sein – ein Skandal!“
„Na, einen Tanz kann man immer wagen! Bitte, stellen Sie mich doch vor!“
„Mich können Sie auch gleich mitnehmen!“ sagte ein blonder Jüngling, der neben den beiden stand. „Unsereins sieht auch gern ’was Hübsches! Ob sie gut tanzt?“
„Was gut Schlittschuh läuft, das tanzt auch gut,“ bemerkte der Assessor sachverständig und nähm die beiden ins Schlepptau.
„Annaliese hat ihre Tanzkarte gleich voll!“ flüsterte Luise Degen ihrer Nachbarin zu.
„Sie ist auch weitaus die Hübscheste von uns,“ antwortete diese, eine begeisterte Verehrerin der Besprochenen.
Die ersten Takte der Polonaise erklangen, Paul Gregory holte seine Tänzerin ab. „Wie ist Ihnen zumuth?“ fragte er sich niederbeugend, und drückte unwillkürlich den zarten runden Arm, der in dem seinen lag, leise an sich.
„Wundervoll!“ gab sie mit einem strahlenden Aufblick zurück. „Ihnen doch auch?“
„J – – ja! Mit Vorbehalt! So ganz ungetrübt –“
„Denken Sie sich,“ fiel sie ihm mit erregtem Flüsterton ins Wort; „ich muß Ihnen das rasch erzählen, ehe ich’s vergesse – heute mittag, als ich von der Malstunde heimkam, sagte der Oberlehrer mit einem ganz sonderbaren Gesicht zu mir, er habe eine Ueberraschung für mich, heute abend würde er sie mir vorsetzen. Ich that ungeheuer neugierig und bat und fragte und suchte zu rathen, aber es half mir alles nichts, er lächelte verschmitzt und schwieg. Hat Ihr Freund Ihnen etwas davon gesagt?“
Die Musik schmetterte brausend, der Zug setzte sich in Bewegung.
„Nein, kein Wort! Ich habe Claassen auch nur flüchtig begrüßt, seit gestern abend nicht gesprochen.“
„Ahnen Sie, was es damit sein kann?“
„Nicht im geringsten – haben Sie eine Idee?“
„Keine bestimmte – ich dachte schon . . . ah!“
Annaliese war merklich zusammengezuckt; ihr strahlendes Gesichtchen hatte einen erschrockenen Ausdruck bekommen.
„Was haben Sie denn? Um Gotteswillen, was ist?“
„Sehen Sie denn nicht? Da rechts an der Wand, wo die nicht tanzenden Herren stehen – wir kommen jetzt nahe vorbei, ich muß mir den Anschein geben, als ahnte ich nichts. Der vierte Herr, vom Pfeiler an gezählt, neben dem Herrn mit dem brandrothen Vollbart . . .“
„Ich sehe! Das ist ja . . .“
„Still! Keinen Namen nennen!“
Die beiden wandelten würdevoll im gemessenen Taktschritt der Polonaise an dem Bezeichneten vorüber, anscheinend sehr in ihr Gespräch vertieft, ohne rechts und links zu sehen. Der „vierte Herr vom Pfeiler an“ war eine schlanke schöne Erscheinung in blauer Husarenuniform – hier doppelt auffällig – neben ihm stand noch ein Offizier, mit dem er dann und wann einige Worte wechselte.
Steinhausen! Wahrhaftig, Konstantin von Steinhausen, kein anderer! Das also war Claassens Ueberraschung! Ohne Zweifel hatte ihm der Offizier heute vormittag, während Annaliese ahnungslos mit dem Professor vor dem Königsthor spazieren ging, seinen Besuch gemacht, sich eine Einladung zum Abend erbeten und den Wunsch ausgesprochen das Freifräulein von Guttenberg mit seiner Anwesenheit zu überraschen. Wie das dem guten Oberlehrer vorkommen mochte: ein armes adliges Fräulein und ein Husarenoffizier! Gleichviel!
Es lag auf der Hand, weswegen Steinhausen die weite Reise bis nach Königsberg gemacht hatte – das wußten die beiden, die Arm in Arm inmitten der Polonaise an ihm vorüberschritten, ganz genau. Es war zu Ende mit dem Hinhalten und Ausweichen – Konstantin von Steinhausen wollte endlich Gewißheit haben, und es gab hier kein Entschlüpfen. Wenn Steinhausen den Oberlehrer Claassen bat, – er möge ihm zu einer Unterredung unter vier Augen mit der Baroneß Guttenberg verhelfen, konnte das junge Mädchen dann sich dessen weigern?
Natur und Kunst beim Arzte.
Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß ebenso oft, wie die Kultur oder die allgemeine Verfeinerung der Sitten
und Lebensgewohnheiten einen starken Schritt nach vorwärts thut, sich eine Reaktion dagegen im Sinne einer sogenannten „Rückkehr
zur Natur“ geltend macht – und zwar macht sich diese Reaktion auf fast allen Gebieten menschlichen Seins und Denkens mehr
oder weniger bemerkbar. Im vorigen Jahrhundert war es Rousseau, welcher diesem Reaktionsstreben einen ebenso lebendigen wie
nachhaltigen Ausdruck gab. Aber die Zeit ging über ihn und die ganze, von ihm angeregte Bewegung ebenso zur Tagesordnung
über, wie sie über so vieles andere bereits zur Tagesordnung übergegangen ist – ohne daß das Thema selbst damit aus der Welt
geschafft wäre. Sehen wir es doch in der Gegenwart selbst wieder seinen alten Rundgang antreten und unserer ganzen Kulturentwicklung
eine Art von Krieg ansagen. Wir finden den Beweis dafür auf dem Gebiete der Philosophie in der Wiederheraufbeschwörung
des wilden Animismus und Geisterglaubens, durch den immer mehr an Ausbreitung gewinnenden Spiritismus; ferner
auf dem Felde von Kunst und Poesie in dem jetzt herrschenden und förmlich zur Modesache gewordenen Naturalismus; auf dem
Boden der Medizin endlich, von welcher hier speciell die Rede sein soll, in der jetzt mit so großer Anmaßung auftretenden und
so viele Geister gefangen nehmenden Naturheilkunde. Wenn es nach den Lobrednern dieser Richtung ginge, so müßte alles, was
die medizinische Wissenschaft seit Jahrtausenden unter Mühen und Opfern aller Art zu Tage gebracht hat, ausgestrichen und die ganze
Kunst des Heilens der Krankheiten von vorne an neu gelernt werden. Das ist freilich sehr bequem für solche, welche nicht, wie
der gebildete Arzt, ihr halbes Leben dem eingehenden Studium der Natur des Menschen sowohl wie der Einflüsse seiner Umgebung
gewidmet haben, sondern an dem speciellen Begriff der Natur, den sie sich selbst zurecht gemacht, genug zu haben
glauben. Was kann aber derjenige von der Natur wissen, der sie nicht gründlich studiert hat? Es ist himmelschreiend, welcher
Mißbrauch mit dem Achtung gebietenden Wort „Natur“ von solchen getrieben wird, welche diese „Natur“ entweder gar nicht
oder nur vom Hörensagen kennen. Die Naturheilkünstler hoffen alles von der Allmacht des kalten Wassers, weil sie dasselbe für
ein Naturprodukt halten, sie denken aber nicht daran, daß die Arzneien, welche sie mit so grimmigem Haß verfolgen, ebenfalls
entweder selbst Naturprodukte oder aus solchen hergestellt sind. Warum sollte also dasjenige, was uns die Natur selbst darbietet,
nicht zu unserem Nutzen verwendet werden. Wenn sie sich aber darauf berufen, daß sie neben den kalten auch das warme oder heiße
Wasser benutzen, so verdient eine solche Anwendung gewiß mehr den Namen einer künstlichen als einer natürlichen Einwirkung.
Daß wir überdem die Natur durch die Kunst zu verbessern, zu veredlen und unsern Zwecken besser dienstbar zu machen imstande sind, ist eine Sache so alltäglicher Erfahrung und Erkenntniß, daß jedes weitere Wort darüber als überflüssig erscheint. Haben ja doch wir Menschen selbst uns nach und nach im Laufe langer Zeiten und zahlloser Geschlechter aus rohen, schmutzigen Wilden langsam und mühselig zu der Stufe des civilisierten Menschen emporgearbeitet und sind auf diese Weise zu ganz anderen und anders gearteten Wesen geworden, als diejenigen waren, welche ursprünglich aus den Händen der Natur hervorgegangen sind! Daher haben wir auch unsere Lebensgewohnheiten und Lebensbedürfnisse ganz anders einzurichten als der rohe Naturmensch. Der Standpunkt, auf dem sich die Naturheilkunde theoretisch bewegt, könnte nur dann Berechtigung haben, wenn es der Forschung gelungen wäre, das ehemalige Dasein des „adamitischen“ Menschen nachzuweisen, d. h. eines Menschen, welcher als vollkommenes und vollkommen mit der Natur im Einklang besindliches Geschöpf in das Leben getreten und von diesem erhabenen Standpunkt später herabgestürzt worden wäre, um in verkünstelten oder unnatürlichen Zuständen weiter zu leben. In einem solchen Falle könnte [687] von einer Rückkehr zu dieser ursprünglichen Natur gesprochen und von einer solchen Rückkehr etwas Gutes erwartet werden. Nun hat aber die Forschung von allem diesem das gerade Gegentheil bewiesen. Wir sind nicht rückwärts, sondern vorwärts geschritten und müssen auf diesem Wege immer weiter schreiten, wenn wir nicht unserer eigentlichen Bestimmung auf Erden untreu werden wollen. Wenn daher die sogenannte „Naturheilkunde“ behauptet, daß sie den eigentlichen Fortschritt bedeute, während die wissenschaftliche Medizin konservativ und reaktionär sei, so liegt darin ebensoviel Falschheit wie ungerechtfertigte Ueberhebung. Ihre Anhänger berauben sich willkürlich und ohne jeden vernünftigen Grund einer großen Menge von erprobten Hilfsmitteln der medizinischen Kunst, während sie selbst mit der Dürftigkeit und Einförmigkeit ihres Heilapparats in den Augen des gebildeten Arztes ein therapeutisches Jammerbild darbietet. Von einer überlegten Auswahl unter den verschiedenen zu Gebote stehenden Heilmitteln ist da keine Rede; ebensowenig von dem sogenannten „Individualisieren“, d. h. von dem Bestreben, jeden einzelnen Fall nach seiner besonderen Beschaffenheit zu beurtheilen, worin ja eine Hauptkunst des tüchtigen Arztes besteht. Alles wird mehr oder weniger über einen Kamm geschoren.
Auch mit der Diagnose, der Erkennung des Sitzes und des Wesens der Krankheit, ohne welche eine richtige Krankenbehandlung gar nicht denkbar ist, wird es nicht genau genommen, da ja das Heilverfahren bei den verschiedensten Zuständen im wesentlichen stets das gleiche und einfache ist. Daß das kalte Wasser, welches die „Panacee“, das Allheilmittel der Naturärzte bildet, ein vorzügliches Heilmittel ist, war und ist den wissenschaftlichen Aerzten seit Menschengedenken bekannt. Sie wenden es überall an, wo es nach rationellen Grundsätzen angezeigt ist, aber nicht dort, wo es mehr Schaden als Nutzen stiften kann, oder nicht in irrationaler Weise. Der rationelle Arzt sucht die Natur nicht zu übermeistern oder zu zwingen, weil er weiß, daß sie sich nicht zwingen läßt, sondern er sucht sie einfach in ihren Heilbestrebungen zu stützen, zu lenken und zu leiten oder da, wo er dieses nicht vermag, dem Kranken sein Leiden möglichst zu erleichtern. Ein wirklicher Gegensatz zwischen Naturarzt und Berufsarzt, oder, um es ganz allgemein auszudrücken, zwischen Natur und Kunst in ärztlicher Beziehung besteht daher gar nicht. Jeder Berufsarzt ist zugleich Naturarzt, und jeder Naturarzt sollte zugleich wissenschaftlich gebildeter Berufsarzt sein. Wer einem wissenschaftlich nicht gebildeten Laien oder Pfuscher, wie es deren leider jetzt so viele giebt, das kostbare Gut seiner Gesundheit anvertraut, wird es in der Regel nur zu seinem eignen Schaden thun. Und wer mit nackten Füßen im nassen Grase oder in Schnee und Eis umherläuft, wird von Glück sagen können, wenn er ohne Erkältung oder sonstigen Schaden davonkommt. Die Natur hat die Thiere mit Pelz und Federn versehen, um sie gegen die Unbilden des Klimas und der Witterung zu schützen. Dem Menschen hat sie seinen Verstand gegeben, welcher ihn lehrt, Nützliches unb Schädliches zu unterscheiden und mit Hilfe der Kunst in Klimaten und unter Verhältnissen auszudauern, welche ihm sonst durch die Ungunst der Natur verschlossen bleiben müßten. Wer sich dem nicht fügen und lieber wie ein Wilder leben will, begebe sich nach jenen tropischen Gegenden, in denen einstmals die Wiege des Menschengeschlechtes gestanden haben mag, und lasse dort seinen natürlichen oder urgeschichtlichen Neigungen die Zügel schießen. Ob er sich dabei glücklicher oder wohler fühlen wird als im Schoße der Civilisation und künstlich geregelter Lebensumstände, mag er an sich selbst erfahren!
Die Kaisertage in Metz. (Zu dem Bilde S. 685.) Jeden Spätsommer und jeden Herbst erleben wir das Schauspiel, daß irgend ein Theil unseres deutschen Vaterlands förmlich von Waffen starrt, als stünde er mitten im Kriege. Die „Kaisermanöver“ pflegen ja meist gewaltige Truppenmassen zu vereinigen, und es liegt eben darin ihr Werth, daß sie den höheren Führern die sonst fehlende Gelegenheit geben, wirklich einmal praktisch mit großen Massen im Felde und nicht bloß theoretisch auf der Karte zu operieren. Der wesentliche praktische Unterschied dieser Manöver großen Stils von denen bescheideneren Umfangs macht sich vielleicht noch mehr geltend bei den Leitern der Verwaltung und Verpflegung, die eigentlich dann erst recht ihre Leistungsfähigkeit erproben können, wenn einmal die Zehntausend auf engem Raum sich drängen, bewegen und verschieben. Und so ist es nur natürlich, daß alljährlich die Kaisermanöver einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit bei Laien und Fachmännern bilden; finden sie vollends auf reichsländischem Gebiete statt, dann umgiebt sie ein besonders ernsthafter Nimbus; auf diesem blutgetränkten Boden bekommt die militärische Uebung gleichsam das Gepräge einer Warnung, als wollte sie sagen: „Nehm’ sich in acht, wer wider dieses heiß erstrittene Land verbotene Gelüste trägt!“
Dieses Jahr waren es u. a. die Ebenen und Hügel Lothringens, die von dem Massenschritt der Regimenter, von dem Donner der Kanonen, von den Hufen der Kavalleriebrigaden widerhallten – zum Theil dieselben Striche, die in den entscheidenden Augusttagen des Jahres 1870 dieselbe Musik in grausam ernster Tonart hatten vernehmen müssen. Kaiser Wilhelm II. war mit dem Kronprinzen von Italien und einem reichen fürstlichen Gefolge gekommen, um den Manövern des XVI. gegen das VIII. Corps persönlich anzuwohnen und sich von der Kriegstüchtigkeit dieser Heerestheile mit eigenen Augen zu überzeugen.
Am Vormittag des 3. September, eines Sonntags, war er von Trier her eingetroffen und hatte alsbald die in und um Metz liegenden Truppen, etwa 8000 Mann, zum Feldgottesdienst um sich versammelt, nach dessen Beendigung er unter dem Geläute sämtlicher Glocken an der Spitze seiner Krieger in die festlich geschmückte Stadt einzog. Man weiß, wie herzlich hierbei der Kaiser von den Bewohnern empfangen wurde, und man hat mit Freuden daraus die Zuversicht geschöpft, daß in den Herzen der Lothringer allmählich ein Umschwung sich vollzogen hat, der die so lange von der alten Heimath getrennten Brüder auch innerlich uns näher bringt. Und was die begeisterten Zurufe der Metzer verriethen, das sprach jener 85jährige Bürgermeister von Ogy-Puche ein paar Stunden später zwar in französischer Sprache, aber doch mit klaren Worten aus, als er den Kaiser auf der Fahrt nach Schloß Urville der Treue und Anhänglichkeit der lothringischen Bevölkerung versicherte. Der Kaiser seinerseits hatte auch für die Metzer eine hübsche Ueberraschung bereit. Er überreichte dem Bürgermeister, der ihn beim Einritt in die Stadt im Namen der Bewohner willkommen hieß, eine prächtige goldene Amtskette, indem er so die Stadt in ihrem bürgerlichen Vertreter ehrte.
Nach dem Empfange durch den Bürgermeister führte der Kaiser die Truppen noch bis zur Esplanade, jenem prächtigen Platze im Südosten der Stadt, auf dem seit Jahresfrist das Reiterstandbild seines Großvaters sich erhebt. Zu Füßen dieses Denkmals nahm er mit seinen fürstlichen Begleitern den Vorbeimarsch der Truppen ab, und, wie er es in seinem Trinkspruch am folgenden Tage aussprach, „haben ihm die ernsten Blicke der Mannschaften gezeigt, wie tief ergriffen sie von dem Momente waren, vor sich die alten Höhen, mit ihren Festen gen Himmel ragend, und ringsherum ein blutgedüngter historischer Boden“.
E. Werners Romane. Den illustrierten Gesamtausgaben der Werke von E. Marlitt und W. Heimburg reiht sich nunmehr auch eine solche der Romane und Novellen von E. Werner an. Seit unter den Stürmen des Kriegsjahres 1870 E. Werner zum ersten Mal mit ihrer Novelle „Hermann“ in den Spalten der „Gartenlaube“ erschien, ist sie eine treue und eifrige Mitarbeiterin unseres Blattes geblieben und hat in ihrem Theile nicht wenig dazu beigetragen, ihm den breiten Boden im deutschen Volke zu erobern und zu erhalten, dessen es sich erfreut. So ist denn auch zu hoffen, daß die Gesamtausgabe der Werke von E. Werner in den Kreisen der Gartenlaubeleser und darüber hinaus einem freundlichen Willkomm begegnen werde, um so mehr, als sie im Schmucke trefflicher Illustrationen – von denselben Künstlern, die auch die Erzählungen der Marlitt und Heimburg mit Bildern ausgestattet haben – hervortritt. Sie beginnt mit dem glänzenden Romane „Glück auf!“ Möge dieser Titel auch für die Aufnahme der neuen Ausgabe von guter Vorbedeutung sein!
Getreiderost und frühe Saat. Nicht nur schlechte Witterung, übermäßige Dürre und Nässe, beeinträchtigen unsere Ernte, die Kulturpflanzen auf unseren Feldern werden auch von zahllosen Scharen winziger Feinde bedroht, die das Korn vernichten, und unermeßlich ist der Schaden, welchen zum Beispiel allein die Rostpilze den Landwirthen in allen Welttheilen zufügen. In den weizenbauenden australischen Kolonien hat man neuerdings statistische Erhebungen über die Höhe dieses Schadens angestellt, und das Ergebniß war, daß der Ernteausfall in Folge des Weizenrostes im Laufe eines einzigen Jahres auf einen Werth von 50 Millionen Mark geschätzt werden mußte. Nicht geringer ist der Schaden, welchen der Getreiderost auf Roggen-, Weizen-, Gerste- und Haberfeldern dem deutschen Landwirth zufügt. Es ist erwiesen, daß wir einen großen Theil des fremden Getreides, das wir einführen müssen, entbehren könnten, wenn es uns gelänge, den jährlichen Tribut, den die Rostpilze von uns fordern, wenigstens erheblich herabzumindern.
Vor drei Jahren wurde nun in Wien ein internationaler Ausschuß gewählt, der den Pflanzenschutz, die Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten fördern soll. Er eröffnete auch eine Sammelforschung über den Getreiderost, [688] gegen den kein zuverlässiges Schutzmittel bekannt war. Und siehe da, nach zwei Jahren des gemeinsamen Austausches gewonnener Erfahrungen konnte festgestellt werden, daß es wohl ein Schutzmittel giebt, welches in vielen Fällen angewendet werden kann. Durch möglichst frühe Aussaat gewinnt das Getreide einen derartigen Vorsprung, daß es im Sommer vom Roste nicht mehr geschädigt wird. Ueberall und immer läßt sich freilich im landwirthschaftlichen Betriebe die frühe Aussaat nicht ausführen, aber in verseuchten Gegenden wird man gerne zu dem, wie die Erfahrung gelehrt hat, bewährten Schutzmittel greifen und dadurch Korn im Werthe von vielen Millionen Mark dem Untergang entreißen.
Derartige Schäden auf den Feldern empfindet der kleine Landwirth am meisten, er wird von ihnen am härtesten betroffen. Jetzt besitzt er ein einfaches Mittel, um sich gegen einen seiner schlimmsten Feinde zu sichern. Die internationale Kommission arbeitet inzwischen weiter an der endgiltigen Lösung der Aufgabe und sucht Getreidearten ausfindig zu machen, die gegen den Rost widerstandsfähig sind. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß auch diese Bemühungen von Erfolg gekrönt werden. *
Emin Paschas Tochter. (Mit Bildniß.) Sie ist eine Waise, die arme Ferida, das läßt sich leider nun nicht mehr bezweifeln. Ihr Vater wird aus dem Dunkel Innerafrikas nicht mehr zurückkehren, er ist dort ein Opfer seiner Kühnheit geworden. Sein Töchterchen Ferida aber hat er der alten Heimath hinterlassen; seit wenigen Wochen befindet es sich bei der Schwester Emins, Fräulein Melanie Schnitzer in Neiße, wohin es von Bagamoyo aus durch die Schwester am dortigen deutschen Hospital, Fräulein Lies Bader, verbracht wurde.
Emin Pascha, der in erster Ehe mit der Witwe des Paschas von Albanien vermählt gewesen war, hatte später in der ägyptischen Aequatorialprovinz eine Abessinierin Namens Safaran geheirathet; aus dieser Ehe entsproßte ein Sohn, der jedoch in jungen Jahren in Wadelai verstarb, und als zweites Kind unsere Ferida. Sie ist jetzt beinahe neun Jahre alt, denn der 26. November 1884 ist ihr Geburtstag. Nach dem Tode ihrer Mutter (1889) kam sie nach Bagamoyo, wo sie verblieb, auch als Emin 1890 von neuem nach dem Innern des Dunkeln Welttheils aufbrach. Ein Berichterstatter, der mit ihr die Reise von Bagamoyo nach Deutschland machte, beschreibt die kleine „Ferry“ mit folgenden Worten: „Die Augen – sie scheinen das ganze Köpfchen einzunehmen – sind vom feurigsten Schwarz, das exotische Schmachten dieser glühenden Kohlen wird von auffallend langen, tiefdichten, wie schwarze Straußenfederchen überhängenden Brauen theilweise beschattet. Das Näschen ist kurz und fein, die Nasenflügel dünn und durchsichtig; durch ihre ätherische Beweglichkeit drücken sie alle Gefühlsempfindungen aus. Das kohlpechrabenschwarze Haar ist dicht, etwas rauh, wie das Haar eines ungepflegten Füllens auf grüner Weide; um die Stirn spielt es in niedlich feinen, natürlichen Löckchen. Welch eigenthümliche Hautfarbe! Ein helles, aber trotzdem gesättigtes, ganz mattes Gold, von stahlblauen Aederchen durchzogen, so eine Art Terracotta-Farbe. Ihr Körper ist schlank, proportioniert, der Gang frei, von einer natürlichen angeborenen Grazie, die Stimme warm, weich und tief, tief wie die einer Altistin.“ Darf es uns danach Wunder nehmen, wenn Ferida auch in ihrer neuen Heimath, in der sie als deutsches Mädchen auferzogen werden soll, ungemeine Theilnahme erregt? Sie ist übrigens ein kleines Sprachgenie, die Tochter Emin Paschas: außer arabisch, ihrer Muttersprache, spricht sie das in Ostafrika übliche Kisuaheli, ferner französisch, italienisch und natürlich auch deutsch.
Feridas Vater aber hoffen wir unseren Lesern demnächst in einem umfassenden Lebensbilde vorführen zu können.
Eine Hochzeit in Aragonien. (Zu dem Bilde S. 672 u. 673.) Das große Bild des spanischen Malers Pablo Salinas, das wir in Holzschnitt wiedergeben, stellt in farbenprächtiger Ausführung den feierlichen Augenblick dar, in dem ein aragonisches Brautpaar das Heirathsgelöbniß unterzeichnet. In Wagen mit bunt aufgeputzten Pferden ist die ganze Hochzeitsgesellschaft vom Hause der Braut, wo sich der Bräutigam, die Verwandten und Eingeladenen versammelten, nach der Kirche gefahren und in der Sakristei, die wie überall in Spanien mit Heiligenbildern und Geräthen, Teppichen und Gewändern überreich geschmückt ist, von Geistlichen, Meßner und Chorknaben empfangen worden. Die Braut mit den Eltern und ihrem weiblichen Gefolge nimmt auf Sesseln vor dem Tische Platz, um den sich die Geistlichen setzen; alle Damen tragen die weißen Mantillen, weiße Spitzenschleier um das sorgfältig frisierte Haupt und haben ihren Blumenstrauß in Händen. Hinter ihnen stehen die männlichen Zeugen der Handlung in der Festtracht des Landes, die jüngeren womöglich in der theatralisch stolzen Haltung, die der Spanier bei allem öffentlichen Auftreten für geboten und der Würde des Vorganges entsprechend erachtet. Es sind kräftige und schlank gewachsene Menschen da im Lande, mit harten Bauernzügen; aus den scharfgeschnittenen Gesichtern der Mädchen blitzen die großen dunklen Augen. Beide Geschlechter lieben es, sich schön gekleidet zu zeigen. Jeder Mann dünkt sich in der Erinnerung an die ruhmwürdige Geschichte Aragons, zumal an die schreckensvolle Vertheidigung Zaragossas gegen die Napoleonischen Generale, ein Held ohnegleichen, jedes Weib als Aragonesin eine Spanierin erster Klasse. Nie verleugnet sich in ihrem Auftreten dieses hohe Selbstgefühl.
Es ist ein stummer Akt, der hier in der Sakristei vor sich geht; Bräutigam und Braut unterschreiben unter den Augen der Geistlichen die bereit gehaltene Urkunde, welche das gegenseitige Einverständniß zur Verehelichung bezeugt; sie unterschreiben, vielleicht nur mit ihrem Namenszeichen, oder gar nur einem Kreuz! Denn schreiben können ist in Spanien noch lange nicht jedermanns Sache, auch bei den stolzen Aragonesen nicht, die unverbrüchlich an den alten Sitten ihrer Väter hängen und darum den Schulunterricht weder zur ewigen Seligkeit noch zur Freude des Lebens für unbedingt nothwendig erachten.
Wenn diese Ceremonie in der Sakristei abgeschlossen ist, ordnet sich der Zug, um in die Kirchenhalle zu treten, vor den Altar, wo der Priester das Brautpaar zur Trauung empfängt. Im Hause der Braut findet dann das Hochzeitsmahl statt.
Der rauchende Krieger. (Zu unserer Kunstbeilage.) Franz van Mieris der Aeltere, der Meister unseres Bildes, gehört der Blüthezeit der holländischen Schule an, einer Zeit, da Franz Hals, Rembrandt, Adrian van Ostade und Jakob van Ruysdael wirkten. Er wurde am 16. April 1635 zu Leyden geboren und errang sich bald einen hohen Ruf als Genre- und Porträtmaler durch glänzende Beherrschung der Farbe, feine Zeichnung und liebevolle Behandlung des Stofflichen. Gerade die letztere Eigenschaft tritt auch auf dem von uns wiedergegebenen Gemälde bedeutsam hervor. Das Bild befindet sich heute mit einer größeren Anzahl Werke desselben Künstlers in der Dresdener Galerie. Franz van Mieris der Aeltere, der am 12. März 1681 starb, war der Stammvater einer ganzen Familie von Künstlern: zwei Söhne, Jan und Willem, und ein Enkel, Franz van Mieris „der Jüngere“, thaten sich als Maler hervor, wenn sie auch die Bedeutung des Vaters und Großvaters nicht erreichten.
Kleiner Briefkasten.
R. L. in Basel. Ihre Gedichte sind zur Aufnahme nicht geeignet.
F. B. in Rheinbrohl. In dem 11. Bändchen der „Bayrischen Bibliothek“, herausgegeben von Karl v. Reinhardstoettner und Karl Trautmann, giebt J. H. v. Hefner-Alteneck des genaueren Auskunft über „Entstehung, Zweck und Einrichtung des bayrischen Nationalmuseums in München“. Hefner-Alteneck war bekanntlich lange Jahre Vorstand des Museums. Schaffen Sie sich das Werkchen an, es ist wohl die beste Vorbereitung für das Studium des Museums selbst, das ja allerdings für den flüchtigen Besucher etwas Verwirrendes hat infolge der Ueberfülle seiner Schätze.
Inhalt: Ein Lieutenant a. D. Roman von Arthur Zapp. S. 669. – Eine Hochzeit in Aragonien. Bild. S. 672 und 673. – Deutsche Städtebilder. München. Von Max Haushofer. S. 676. Mit Abbildungen S. 669, 676, 677, 678, 679, 680 und 681. – „Um meinetwillen!“ Novelle von Marie Bernhard (7. Fortsetzung). S. 682. – Die Kaisertage in Metz: Vorbeimarsch der Truppen vor dem Denkmal Kaiser Wilhelms I. Bild. S. 685. – Natur und Kunst beim Arzte. Von Prof. Dr. L. Büchner. S. 686. – Blätter und Blüthen: Die Kaisertage in Metz. S. 687. (Zu dem Bilde S. 685.) – E. Werners Romane. S. 687. – Getreiderost und frühe Saat. S. 687. – Emin Paschas Tochter. Mit Bildniß S. 688. – Eine Hochzeit in Aragonien. S. 688. (Zu dem Bilde S. 672 und 673.) – Der rauchende Krieger. S. 688. (Zu unserer Kunstbeilage.) – Kleiner Briefkasten. S. 688.