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Die Gartenlaube (1894)/Heft 28

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1894
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[469]

Nr. 28.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Brüder.

Roman von Klaus Zehren.
(1. Fortsetzung.)

Nach wenigen Tagen reiste Hermann wieder in seine Garnison zurück, früher als er verpflichtet gewesen wäre. Er hielt es daheim nicht länger aus, das ging über seine Kräfte. Auch wollte er Bruno Platz machen, der sichtlich unter seiner Anwesenheit litt.

Mit Lore hatte er kurz vorher noch ein Gespräch über Bruno.

„Sieh, Hermann, ich weiß, daß er leichtsinnig war, vielleicht auch ein wenig charakterschwach, aber ich glaube, ein Mann, der dem Tod ins Antlitz geschaut hat, der muß doch gefestigt sein und ernster werden. Nicht wahr?“ Hermann hatte nur mit dem Kopfe dazu genickt.

„Ich will ihn ja so lieb haben,“ hatte sie ihren Gedankengang fortgesetzt und dann zu lachen begonnen. „Wie dumm man sich das stets ausmalt, verlobt zu sein und einen Mann zu lieben! Als ich jünger war, dachte ich immer, ein Mann müsse so sein wie Du: ruhig, ernst, eine feste Stütze für ein Mädchen, und dabei so großmütig, so freundlich, selbst wenn man etwas Dummes sagt oder thut. Und man müsse riesigen Respekt vor einem solchen Gatten haben! Weißt Du noch, damals, die Geschichte mit dem wütenden Stier?“

Hermann winkte abwehrend mit der Hand.

„O, ich weiß es noch genau, der junge Jagdhund war daran schuld, der das Tier reizte. Ich sehe noch den mächtigen Bullen herankommen. Bruno und ich liefen schreiend davon, nur Du bliebst stehen, nahmst die Jagdflinte von der Schulter und schossest dem Stier auf zehn Schritt die Ladung vor die Stirn, ihm beide Augen blendend. So wurden wir gerettet! Wie alt warst Du damals, Hermann?“

„Ungefähr fünfzehn Jahre.“

„Richtig, Ihr wart noch auf dem Gymnasium. Ich habe so oft daran zurückgedacht, immer mit dem Gedanken, daß mein einstiger Mann solch ein furchtloser kaltblütiger Recke sein müßte. Mädchenträume!“ Sie schüttelte leise den Kopf.

„Ich wollte zuerst auch fortlaufen,“ sagte Hermann. „Aber dann sah ich in weitem Umkreise keinen Graben, keine Hecke, keinen Baum, der uns schützen konnte.“

Die Großmutter.
Nach einem Gemälde von Max Liebermann.

[470] „Und nun ist das ganz anders gekommen,“ fuhr Lore fort. „Zuweilen wünsche ich, daß Bruno ruhiger, ernster wäre, aber er ist jetzt noch nervös von seiner Verwundung. Gestern legte er seinen Kopf in meinen Schoß und redete allerlei wunderbare Sachen: er sei meiner Liebe nicht wert, sei ein Schwächling, ich müsse Nachsicht mit ihm haben und ihm beistehen, ein starker Mann zu werden. Ich lachte ihn aus. Dann sah ich, daß er Thränen in den Augen hatte, und er schante mich so flehend an, daß ich selbst etwas die Fassung verlor. ‚Würdest Du mich auch lieben, wenn ich irgend etwas thäte, was gemein wäre, Lore?‘ rief er plötzlich. ‚Das ist unmöglich!‘ erwiderte ich und küßte ihn. Er riß sich los von mir und ging stumm hinaus. Er muß doch noch sehr leidend sein.“

„Ja, das ist er noch. Du mußt ihn sehr lieb haben, Lore.“

Dann fragte sie, die Hand fest auf Hermanns Schulter legend: „Nicht wahr, wenn ich für ihn und für mich einen Freund, einen Bruder brauche, Dich finde ich immer?“

„Ja, immer!“ Langsam ließ Hermann ein Knäuel Garn aus seiner Mutter Arbeitskorb durch die Finger gleiten. „Weißt Du noch, Lore, wie Du immer zum Geburtstag ein ‚Wunderknäuel‘ bekamst?“ fragte er dann.

Sie nickte lebhaft und das alte liebe Kindergesicht verdrängte den Ernst aus ihren Zügen. „O ja! Man konnte es nicht erwarten, was hinter dem Garn versteckt wäre, und wickelte heimlich das ganze Knäuel auf.“

„Ja, Lore! Und fand immer schönere Sachen darin. So geht es nicht im Leben. Man wickelt und wickelt und findet vielleicht schließlich eine hohle Nuß. Ich wollte, ich könnte noch einmal wieder ein solches Wunderknäuel bekommen.“

Sie schaute ihn sinnend an und wiegte den feinen Kopf hin und her, dann sagte sie plötzlich, ihm beide Hände hinstreckend: „Ich kenne doch keinen Menschen, den ich so lieb hätte wie Dich.“

Hastig war er aufgesprungen. Ein heißer Blick aus seinen Augen, der über sie hinirrte, warmes quellendes Blut, das ihm im Herzen pochte! Doch nur einen Augenblick. Er lächelte, konnte lächeln und verstand selbst nicht, wie er es konnte.

„Und Bruno?“

Sie wurde rot. „O, das ist ja ganz anders, ganz anders, weißt Du. Ich zittere oft, wenn er mich küßt. Er ist so leidenschaftlich!“

Wie unbefangen sie das herausgeplaudert hatte!

Am nächsten Tage war Hermann abgereist. Bruno hatte ihr also doch nichts gesagt! Dazu war er wieder zu – – o, nein, nein, vielleicht that er es noch, wenn der Bruder fort war!

Hermann kämpfte gegen seine Liebe, er fand ein grausames Behagen daran, sich selbst zu bezwingen, die widerspenstigen Wünsche und Gedanken zu unterdrücken, aber dieser Kampf machte ihn ernst und alt.




„Wie ich mich frene, Dich wiederzusehen!“

Wenige schlichte Worte, doch wie viel uneingestandene Sehnsucht lag darin! Das sagten ihre Augen, diese lichtbraunen Augen, und das leise Zittern der frauenhaften weichen Hand, die sie ihm entgegenstreckte.

Ja, sie war schön, die Lore von Weßnitz, noch schöner, als sie einst zu werden versprochen hatte. Ihre Gestalt hatte sich aus den jungfräulichen Formen zur vollen Weiblichkeit entfaltet, ohne die Grenzen der Schlankheit zu überschreiten, nur das Gesicht, das feine kluge Gesicht war dasselbe geblieben, wenn auch etwas mehr von dem Selbstbewußaein der eigenen Persönlichkeit darin lag.

Hermann hatte ihre Hand an die Lippen geführt.

„So lange nicht gesehen! Warte,“ sie zählte an den schlanken Fingern, „ein, zwei, drei Jahre nicht!“

„Ja,“ meinte Hermann, immer noch ihre Hand in der seinen haltend, „drei Jahre nicht!“ Er wunderte sich, daß in drei Jahren ein Mensch so viel schöner werden konnte. „Wie geht es Bruno?“

„Danke – gut wie immer. Er wird erst in einigen Tagen hierherkommen, weil ihn noch seine diplomatischen Geschäfte in Paris fesseln. Ich hielt es nicht aus, die Sehnsucht nach dem lieben alten Weßnitz hatte mich gepackt, und so reiste ich mit meinem Kinde voraus. Freilich, die Mutter“ – sie strich langsam mit der Hand einige Falten aus dem schwarzen Seidenkleid. „Sie war für mich wie eine wirkliche Mutter, nun ist sie schon seit zwei Jahren tot.“

Er nickte stumm.

„Du kannst Dir denken, Hermann, wie unglücklich ich war – willst Du Dich nicht gemütlich hinsetzen? – aber mein Kleiner war kurz vorher zur Welt gekommen, und die Aerzte verboten mir die Reise. Auch Vrnno litt es nicht, obgleich er selbst unmöglich kommen konnte. Schließlich gab ich nach, eine Mutter gehört doch den Lebenden und nicht den Toten.“

Wie einfach sie das sagte! Das war keine Redensart, das war selbst gedacht, empfunden – ein Aussprechen ohne die geringste Scheu, mißverstanden zu werden.

„Ist es nicht herrlich“, fuhr sie fort, „daß wir nun nach Berlin kommen? Bruno scheint rasch vorwärts zu gelangen. Freilich, ihm wird der Abschied vom Pariser Leben etwas schwer, seine Stellung bei der deutschen Gesandtschaft dort war sehr angenehm, und dann – er findet Berlin so philisterhaft. Ich freue mich riesig! Eine schlechte Gattin, nicht wahr? Besonders freue ich mich, weil Du gerade jetzt nach Berlin kommandiert bist.“

„Ihr nach Berlin?“ Hermann sprang wieder auf und blickte sie fast erschrocken an. „Der Vater sagte mir noch nichts davon.“

„Er hat es wohl beim Empfang auf dem Bahnhof in der Wiedersehensfreude vergessen.“

Hermann fühlte, daß er etwas erwidern mußte; sie sah ihn so forschend an bei den letzten Worten. „O, ich freue mich sehr, unendlich darüber; es wird ein gemütliches Zusammenleben werden.“

Lore schüttelte leise den Kopf und begann zu lachen. „Wir wollen es hoffen. Weißt Du, Bruno ist ein schrecklich unruhiger Mensch. Es ist ja durch seine Stellung bedingt, daß wir uns der Geselligkeit nicht entziehen können, obgleich es nicht mein Geschmack ist. Schließlich lernt man alles! In Paris ist er oft einen Monat lang keinen Abend ruhig mit mir zusammen gewesen, immer Gäste oder auswärts Bälle, Gesellschaften, Aufführungen. Oder er hatte Klubverpflichtungen und dergleichen. Er wird von allen verzogen, auch von den Frauen.“ Sie versnchte bei diesen Worten harmlos zu lächeln. „Das legt Verpflichtungen auf. Vielleicht werden wir in Berlin etwas stiller leben. – A propos, Du hattest soeben eine Unterredung mit dem Vater. Wie geht es ihm heute?“

„Er ist alt geworden, seit die Mutter starb, und sieht alles grau in grau.“

Lore schaute auf. Mit einem eigentümlich gespannten Ausdruck in den Augen folgte sie der im Zimmer auf und ab wandelnden Gestalt des Schwagers.

„Du – Hermann!“

Er blieb vor ihr stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt.

„Ich muß Dich etwas fragen. Ich glaube, Bruno hat sehr viel Geld gebraucht, obgleich ich überall zu sparen suchte. Besitzt er überhaupt so viel? Er hat niemals mit mir davon gesprochen.“

„Wir haben jeder das Erbteil unserer Mutter, fünfzigtausend Mark. Es ist nicht sehr viel, aber für mich reicht es aus, und das Gut bringt auch etwas ein, da der Vater so einfach lebt.“

„Dann haben wir vom Kapital gelebt?“

„Ja, das ist nicht anders möglich, Lore, bei dem Beruf Deines Mannes.“

„Und was das Gut einbringt?“

„Das ist es, worin Vater so sonderbar ist. Er will das zwischen uns teilen. Ein Unsinn! Ich habe keine Bedürfnisse. Mach’ Dir also keine Sorgen, wenn der Vater auch behauptet, es ginge so nicht fort, Ihr müßtet Euch mehr einschränken.“

Er bemerkte, daß ihre Augen den gespannten, fast verängstigten Ausdruck nicht verloren. „Laß nur, Lore, mach’ Dir keine Sorgen!“ wiederholte er noch einmal.

„Aber das Geld gehört eigentlich Dir?“

„Eben deshalb kann es verbraucht werden, wie ich es wünsche. Ich heirate ja doch nie, und Weßnitz fällt Euch zu oder Euren Kindern. Ich habe den Vater gebeten, meinen Anteil nicht zu berücksichtigen.“

„Für wen thust Du das, Hermann? Für Bruno? Er ist so sorglos, das weiß ich, und Du bist zu jung, um auf alles zu verzichten.“

„Für wen?“ fragte er langsam und blickte sie sekundenlang an, um sich dann rasch abzuwenden.

Hatte sie ihn verstanden? Ahnte die Frau mit Blitzesschnelle, was das Mädchen nie verstehen konnte?

„Hermann!“ rief sie und fuhr hastig vom Sessel empor.

Auch er zuckte zusammen. Es lag etwas im Ton ihrer [471] Stimme, was ihm das Blut zum Herzen drängte, etwas von einem Verzicht auf ein schönes Geschenk.

„Für mich, Hermann? Du?“ Thränen traten ihr in die Augen. Ein kurzes Aufschluchzen, dann eilte sie an ihm vorüber zur Thüre hinaus, als fürchtete sie seine Gegenwart.

Er blieb unbeweglich stehen, ein abscheulich dumpfes Gefühl im Kopf. Was hatte sie nur? „Ja, für Dein Glück, Lore! Alles, alles für Dich und Dein Glück! – Glück, was heißt Glück?“ Er setzte seine Wanderung durch das Zimmer wieder fort. „Ich muß mich doch getäuscht haben auf dem Lehrter Bahnhof,“ murmelte er leise. „Und doch! Es war sein Gang, seine Haltung, seine Art, den Hut weit zurück zu setzen. Ein grauer moderner Hut mit auffallend breitem schwarzen Bande. Unsinn! Die Lore sagt, er sei in Paris geblieben. Dann würde er auf dem nächsten Wege hierher reisen. Und die Dame, die er führte, eine schöne Person in unglaublich eleganter Kleidung? Das konnte ich noch sehen, als der Zug die Bahnhofshalle verließ, während der betreffende Herr mir den Rücken zuwandte.“ –

Am andern Morgen kam Bruno an, ohne vorherige Anmeldung. Er liebte das nicht, in dem Wunsche, sich stets ungebunden zu fühlen. Hermann stand in seinem Schlafzimmer am Fenster, noch mit dem Ankleiden beschäftigt, und sah den Bruder aus dem Mietwagen steigen. Es war ziemlich früh und Lore wahrscheinlich noch nicht aufgestanden. Sein Blick verfolgte die Gestalt des die Treppe Hinaufeilenden. Er sah nichts als den grauen Hut mit schwarzem Bande und den hechtgrauen langen Mantel – genau wie der Fremde auf dem Lehrter Bahnhof! Merkwürdig! Aber vielleicht hatte Bruno den Umweg über Berlin gemacht, um dort eine Wohnung zu suchen. Und die Dame? Wohl eine Bekannte! Er lächelte über seine Logik. Natürlich, eine Bekammte! Sonst würde Bruno sie doch nicht am Arme geführt haben. – Er stampfte ungeduldig mit dem Fuße auf, weil er den goldenen Knopf nicht durch die gestärkte Manschette bringen konnte.

Ueber ihm war Lores Zimmer. Er hörte den Bruder die Treppe hinaufeilen, die Thüre sich öffnen und schließen, einen leichten Schrei der Verwunderung und Freude, dann undeutliches Gemurmel zweier Stimmen.

Jetzt, jetzt legte sie die Arme um seinen Hals!

Hermann riß das Fenster auf und lehnte sich weit hinaus. Ihm war so heiß, und wohlthätig empfand er die eiskalte Winterluft an Wangen und Schläfen. Nach einer Weile ging er ins Eßzimmer und fand Vater und Geschwister am Frühstückstisch.

„Guten Tag, Bruno! Ich sah Dich ankommen.“ Er ging eilig auf den Bruder zu; ein Schimmer seiner einstigen schwärmerischen Kinderliebe zu Bruno ging über seine ernsten Züge.

„Guten Tag, Hermann!“ Es klang etwas frostig. „Wie ich höre, bist Du unter die Streber gegangen und büffelst auf der Akademie. Na, da werden wir uns ja oft sehen in Berlin. Du weißt es schon, nicht wahr, daß auch wir da sein werden? Teufel! Ist das kalt heute!“ Er hielt die Hände an die warmen Kacheln des Ofens.

„Früh um sechs Uhr hatten wir zehn Grad,“ meinte der alte Weßnitz, über seine Zeitung hinweg seinem Aeltesten den Morgengruß zunickend.

„Du kommst geradeswegs aus Paris? Ich bin auch erst gestern hier eingetroffen,“ warf Hermann hin und ließ sich von Lore eine Tasse Kaffee einschenken.

Bruno wandte sich kurz um. „Nicht ganz geradeswegs – ich war vierundzwanzig Stunden in Berlin, um eine Wohnung zu suchen.“

„Davon hast Du mir noch nichts gesagt!“ Lore blickte erstaunt auf.

Bruno lachte sorglos und trat dicht an ihre Seite. „Brauchen die Frauen denn alles in den ersten Minuten des Wiedersehens zu wissen? Als guter Familienvater sorgte ich für das Nächstliegende. In vierzehn Tagen muß ich meinen Posten antreten, vorläufig habe ich einige Wohnungspläne mitgebracht. Uebrigens, Hermann, Du bist wohl gestern morgen halb zehn Uhr aus Berlin abgefahren?“

Es lag eine gewisse Spannung in dem Ton seiner Stimme, trotzdem er völlig gleichgültig schien und mit der Rechten nachlässig in der Brusttasche seines Rockes umhersuchte.

„Ja. Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten,“ antwortete Hermann.

„So! – Aha, hier sind die Pläne! Eine reizende Wohnung in der Tiergartenstraße. ich sage Dir, Lore, ein Boudoir, ein Schmollwinkel mit Butzenscheiben! Unwillkürlich stand mir in der Phantasie Dein liebes Bild vor Augen. Das Zimmer liegt nach Westen, also Abendsonne. Dein Haar in der glutroten untergehenden Abendsonne, Lore, und dazu Dein lichtblaues Pariser Negligee ...“

Er faßte sie unter das Kinn und blickte ihr in die Augen. Sie war rot geworden. „Schmeichler!“ rief sie, mit dem Finger drohend, aber ein seliges Lächeln ging über ihr Gesicht.

Ein Stuhl ward heftig zurückgeschoben. „Ich vergaß meine Uhr im Schlafzimmer,“ sagte Hermann und ging hinaus.

„Er ist doch ein steifer langweiliger Philister geblieben,“ meinte Bruno, sich eine Cigarre anzündend.

„Weiß nicht,“ erwiderte Lore. „Mag sein – aber es giebt keinen so zuverlässigen Menschen sonst auf der Welt.“

„So? Und wo bleibe ich denn, Lore?“ rief Bruno. Sie sah ihn an, ohne zu antworten. Er faltete nervös das Zeitungsblatt zusammen, das vor ihm lag. Die Frau hat sich eine abscheuliche Art angewöhnt, mich anzusehen! dachte er. – –

„Du hast mich gestern auf dem Lehrter Bahnhof gesehen, Hermann?“ fragte Bruno diesen am Abend, als sie allein waren.

„Ja.“

„Mit jener Dame?“

„Ja!“ Hermann trommelte scheinbar gleichmütig mit den Fingern auf der Tischplatte.

Bruno fühlte sich gereizt. „Zum mindesten war es nicht sehr kavaliermäßig, mich heute morgen so in die Enge zu treiben. Du konntest doch warten, bis ich selbst anfing, davon zu sprechen.“

„Wolltest Du es geheim halten?“

„Welche Frage! Ich wußte nicht, ob Du meiner Frau erzählt hattest, daß Du mich in Begleitung einer Dame gesehen. Frauen sind eifersüchtig, wittern überall etwas, und besonders Lore ist ein weiblicher Othello. Mein Gott, eine unschuldige Bekanntschaft! Eine Pariser Sängerin, der ich meinen Reiseschutz nach Berlin angeboten, weiter nichts!“

„Ich habe auch keine Vermutungen angestellt,“ meinte Hermann nachlässig. Bruno stampfte leise mit dem Fuße auf. In diesem Augenblick kam Lore mit ihrem Jungen ins Zimmer. –

In den nächsten Tagen vermieden es die Brüder, allein miteinander zu sein. Besonders Bruno verschloß sich gegen Hermann immer mehr, und dieser verstand das Gefühl, das jenen trieb. War er doch dem Bruder stets eine lebendige Erinnerung an jenen achtzehnten August! Welcher Mann könnte den Umgang desjenigen ertragen, der ihn im schwächsten Augenblick seines Lebens erblickte, der die Wunde offen sah, die jetzt kaum vernarbt war!

Lore aber zermarterte sich den Kopf über dies Verhalten der beiden. Sie fühlte die Spannung heraus. Wie verschieden die beiden Brüder waren! Das äußerte sich in jedem gemeinsamen Gespräch, mochte es sich nun um Politik oder um diese oder jene allgemeinen Lebensanschauungen handeln. Hermann starr und fest, mit keinem Blick nach rechts oder links vom geraden Wege abweichend, durch und durch preußischer Offizier, erfüllt von den „verbrieften“ Rechten und Pflichten des Adels. Bruno leichtlebig, abgeschliffen in der großen Welt, klug, geistvoll, aber schmiegsam in seiner Meinung, jedes Extrem vermeidend, eine gewisse Gleichgültigkeit gegen alles in seinem ganzen Denken.

*               *
*

„Zum erstenmal in meinem Heim!“ rief Lore aufspringend, während sie mit der ihr eigentümlichen anmutigen Bewegung dem Schwager beide Hände entgegenstreckte. Hermann, der eben ins Zimmer getreten war, beugte sich über ihre Hände und hob dann den kleinen Edgar empor, der an seinen Knien emporstrebte. „Wie schwer der Junge ist!“ rief er, wie in Verlegenheit.

„Ja, das Kerlchen wächst riesig.“ Sie drückte den blonden Kopf des Kindes an sich und strich ihm liebkosend über das Haar.

Ein schönes Bild: die hübsche Frau, das weiche zarte Gesicht herabgebeugt zu dem Knaben, der sich verlegen in den Falten ihres Kleides zu verstecken suchte. Mutterglück – Menschenglück! Eine ganze Welt von Glück in diesem Bilde. Hermann konnte sich an dem lieblichen Anblick nicht satt sehen. Ja, er liebte diese Frau noch immer, aber die Leidenschaft, das Begehren des heißen Jünglingsherzens war durch Zeit und Selbstbeherrschung erloschen; auch schien sie so glücklich, so zufrieden in ihrer Mutterfreude, in der traulichen Umgebung ihres eigenen Heims.

„Es ist hübsch hier bei Euch, sehr hübsch. Ist Bruno zu Hause?“

„Er ist zu einem Essen eingeladen. Aber nimm Platz! Dort, [472] jener Stuhl ist bequem; Bruno pflegt da zu sitzen, wenn er wirklich einmal Zeit findet zu einem gemütlichen Plauderstündchen.“ Ohne zu bemerken, daß Hermann einen andern Sessel wählte, fuhr sie fort: „Du trinkst doch eine Tasse Thee, nicht wahr, und rauchst eine Cigarre? Es plaudert sich behaglicher. Gott sei Dank, daß Du Cigaretten nicht liebst! Seit unserm Pariser Aufenthalt hasse ich ihren Geruch, diesen Geruch, der gerade so süßlich aufdringlich ist wie die französischen Salonherren . . . obgleich – nun, amüsant können sie sein! Edgar, es ist Zeit für Dich ... geh’ zu Bett!“

Sie klingelte nach dem Kindermädchen.

„Daß die Franzosen noch mehr können, als amüsant sein, haben wir 1870 erfahren,“ meinte Hermann.

„Gewiß, ich weiß! Ich meine aber vorzüglich die Spielart von ihnen, die man in den Pariser Salons trifft.“

„Sollte die Sorte nicht international sein und überall zu finden?“

„Nicht so ganz, Hermann. Die andern bleiben doch im Grunde noch Männer. Nimmt man jedoch einer solchen Pariser Preisausgabe für Modezeitungen den äußeren Aufputz, so bleibt gar nichts übrig, kein Charakter, kein Gemüt, keine Liebe, höchstens etwas Eitelkeit und Vergnügungssucht.“

Lore plauderte das alles leicht hervor, während sie geschäftig die Tassen füllte und dem Diener einen Auftrag erteilte.

Hermann folgte ihren geschmeidigen Bewegungen mit den Augen. Eigentümlich, wie gut sie das Plaudern noch immer verstand! Es paßte alles zusammen – das gedämpfte Licht der Dämmerung, selbst ihre Toilette, die für ein Plauderstündchen unter guten Bekannten wie gemacht zu sein schien; nicht gerade elegant, aber doch sorgfältig genug, um den Besucher zü erinnern, daß er sich in Gesellschaft einer Dame der großen Welt befinde.

Jetzt kauerte sie selbst vor dem Kamin nieder und fachte dessen Glut mit einigen Holzscheiten wieder an. „Zu herrlich! Endlich wieder ein deutscher Winter und ein wohldurchwärmtes Zimmer mit einem guten Ofen, der uns zugleich die Illusion des Kaminfeuers läßt! Fühlst Du Dich behaglich, Hermann?“ Die Hände aneinander reibend, kam sie zurück und setzte sich ihm gegenüber.

„Riesig,“ sagte er nur.

Sie lachte vergnügt. „Das könnte kein Franzose so sagen.“

„Nun, Lore, erzähle mir von Euerem Leben in Paris! Du sprachst mir in Weßnitz nie davon.“

„Eigentlich war es abscheulich. Ueberall, wo man uns als Deutsche erkannte, finstere Gesichter. Immerhin gab es viele angenehme Kreise. Ich habe mich trotzdem nie recht heimisch gefühlt. Doch was half es? Auf Brunos Wunsch zwang ich mich in die ungewohnten Verhältnisse hinein. Bruno war entzückt von Paris; Du kennst ja seine Fähigkeit, selbst mit einem Gegner ein angeregtes, alle Klippen vermeidendes Gesprach zu führen.“

Sie machte eine Pause, als erwartete sie eine Antwort, aber ihr Zuhörer saß bewegungslos, stumm da und hob nicht einmal den Blick vom Muster des Teppichs.

„Ich bin viel allein gewesen in der ersten Zeit. Dann wurde unser Kleiner geboren, und später gewöhnte ich mich daran, kein Heim im deutschen Sinne zu haben, und ging jeden Abend aus, mit oder ohne Bruno.“

Sie schwieg wieder. Er sah sie an mit einem langen Blick, wie jemand, der von einer lieben Heimat Abschied nimmt, in der er glücklich gewesen ist.

„Hast Du keine Freunde gefunden, Lore?“

Ihre weißen Finger glitten langsam über die glänzenden, wie poliert erscheinenden Blätter eines Gummibaums neben ihrem Sitze. „Nicht daß ich wüßte! Oder doch! Ich habe einen Schatten, doch keinen wesenlosen, nein, einen Schatten von Fleisch und Blut; er ist aber ebenso beharrlich wie der schwärzliche Bruder des Lichts. Sieh mich nicht so an, Hermann, als wittertest Du irgend einen pikanten Pariser Roman! Mein Schatten nennt sich Prinz Nicolai Sarchentiwitsch und so weiter, russische Durchlaucht mit einem unaussprechlichen Namen, weshalb er von guten Bekannten Prinz Sissi genannt wurde. Bis zu seinem zwanzigsten Jahre in der Steppe unter Kosaken aufgewachsen, dann plötzlich in die Treibhausluft der Großstädte Petersburg, Wien, Paris verschlagen, ein Viertel Kind, ein Viertel Barbar und zur Hälfte ein Schwärmer. Er schriftstellert, macht Verse, schreibt Steppennovellen, die von Pariser Damen verschlungen werden, und spricht deutsch wie seine Muttersprache. Kurz, er ist ein Mensch, der schwer zu beschreiben ist.“

„Also, was man so eine gute Romanfigur nennt?“

„Nein, das nicht. Kein Mensch aus dem Dutzendbündel. Sehr reich, weiß er nicht, was er mit seinem vielen Gelde anfangen soll. Er giebt einem Bettler heimlich hundert Rubel und ist imstande, einen ganzen Tag das Essen zu vergessen, am Abend eine Brotrinde zu kauen und den nächsten Tag drei Diners hintereinander einzunehmen. Er war erst wenige Tage in Paris, als ich ihn in einer größeren Gesellschaft kennenlernte. Mir fiel seine Persönlichkeit auf, während er lange Zeit am Thürpfosten lehnte mit einem halb naiven, halb spöttischen Lächeln auf den Zügen. Seine großen grauen schwermütigen Augen gingen achtlos über das Gewimmel der Menschen weg. Er interessierte mich, daher fragte ich Bruno nach seinem Namen. ‚O, Du meinst Prinz Sissi?‘ sagte er. ‚Ein guter Bekannter von mir.‘ Kurz darauf stand er vor mir mit einer tadellosen Verbeugung, eine französische Höflichkeit auf den Lippen. Weshalb er so ernst dort am Thürpfosten lehne? Ob er noch unbekannt sei? fragte ich ihn. ‚Haben Sie das bemerkt, gnädige Frau?‘ fragte er zurück. Es war beinahe eine Ungezogenheit, aber man konnte ihm nichts übelnehmen. Ich bot ihm einen Platz neben mir an und nach einer Viertelstunde waren wir die besten Freunde, weil – nun weil ich ihn nach seiner Mutter fragte, die er nie gekannt hatte. Ich sei der erste Mensch, der sich teilnehmend nach seiner Mutter erkundigt hätte. Nun, und nachher wurde ich ihn nicht wieder los. Bruno fand nichts in unserem Verkehr, obgleich wir hier und da der Klatschsucht etwas zu thun gaben. Als wir vor einigen Monaten Abschied nahmen, sah er aus wie ein Junge, der aus den Ferien wieder in die Schule geschickt wird. Ich habe ihm befohlen, zwei Jahre zu leben, ohne mich zu sehen, aber er hat es nicht versprochen und ich fürchte, mein Schatten mit dem Tatarengesicht wird sich über kurz oder lang wieder melden.“

Sie schwieg sinnend und Hermann warf scheu einen Blick zu ihr hinüber. Lores leichter Plauderton und dann dieser Russe! Sein deutsches Gehirn konnte das nicht so rasch verarbeiten.

„So, genug von mir, Hermann! Was treibst Du eigentlich? Kriegsgeschichte? Ist das nicht entsetzlich langweilig für jemand, der mit dem Säbel in der Faust selbst geholfen hat, Geschichte zu machen? Willst Du hier in der Gesellschaft verkehren?“

Hermann drehte langsam die Cigarre zwischen Zeigefinger und Daumen. „Ich werde wohl müssen, besonders da ich jetzt zu einem Garderegiment versetzt worden bin.“

„Ah! Darf man Dich beglückwünschen?“

„Es gilt für eine Auszeichnung; mir aber legt es nur Pflichten auf. Ich hasse jede Art von großer Geselligkeit. Mit Fruchteis verdirbt man sich den Magen und mit den Gesprächen Kopf und Herz.“

„Was von beiden ist Dir mehr wert?“

Er zuckte mit den Achseln. „Ein verdorbener Magen läßt sich in Kissingen kurieren, aber von Heilstätten für triviale Köpfe habe ich nie etwas gehört.“

„O doch! Irgend eine große Leidenschaft.“

„Zu einem Weibe?“

„Ja!“

Es war dämmerig geworden und Hermann konnte ihre Gesichtszüge nicht mehr erkennen.

„Ich habe immer gehört, daß verliebte Männer noch unzurechnungsfähiger seien als der größte Dummkopf.“

„Aber nicht herzloser.“

Hermann schwieg, weil er nichts darauf zu erwidern wußte.

„Hast Du nie ein Mädchen gefunden, das Dich interessiert hätte?“

„Nein, niemals. Außer einer Luftturnerin in meiner Gymnasiastenzeit.“

Er versuchte absichtlich einen scherzhaften Ton, aber Lore machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung. Er kannte diese Gewohnheit, die sie schon als Kind besaß, wenn jemand ihr nicht ernsthaft zuhören wollte. Sein ganzes Wesen, die Absichtlichkeit, mit der er einer Antwort auswich, reizte sie. Ein unbezwinglicher Wunsch, in dies Männerherz einen Blick thun zu können, stieg in ihr auf. Sie dachte an das letzte Zusammensein in Weßnitz, auch sein eigentümliches Benehmen damals beim Abschied vor dem Feldzug fiel ihr plötzlich ein. Hatte dieser Mann wirklich einmal für sie gefühlt? An die Spielgefährtin der Jugendjahre in anderer Weise gedacht als an eine Schwester?

(Fortsetzung folgt.)




[473]

Aus dem Festzug: Gruppe Arnold Walpods und des Rheinischen Städtebundes.  Der Elefant auf dem Festplatz.     

Vom XI. deutschen Bundesschießen zu Mainz.
Nach dem Leben gezeichnet von A. Wagner.

[474]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Aus dem Lande der Kanäle.

Niederländische Bilder von Herbert Franz.

Niet rooken!“ – Das waren die ersten holländischen Worte, welche bald hinter Zevenaar an mein erstauntes Ohr drangen. Ein Schaffner, der in der behaglichen Ruhe seines Wesens recht charakteristisch sich abhob von der geschäftigen Schneidigkeit, mit der bei uns zu Lande diese Beamten auftreten, sprach die denkwürdigen Worte aus, und er erläuterte sie durch den Hinweis auf die im Eisenbahnwagen befindliche Papptafel, auf der es noch außerdem in drei Sprachen prangte, das internationale Rauchverbot. Seufzend mußten wir uns drein ergeben: die Cigarren und Cigaretten, während der langweiligen Zollmusterung erst ganz kürzlich in Brand gesetzt, flogen hinaus zum Fenster auf die halb von Nebelschleiern verhüllten Wiesen. Es war im Spätherbst und empfindlich kühl; aus den behaglich durchwärmten Wagen des deutschen Zuges waren wir plötzlich in die recht kalten des niederdländischen geraten, deren Fußboden lange schmale Wärmflaschen, sogenannte „stoovjes“, zierten, an denen man sich nun zunächst die Stiefelsohlen versengte. Die Stimmung wurde dadurch nicht eben gehoben, und in der unangenehmen Verfassung, die sich im Laufe einer längeren Eisenbahnfahrt unweigerlich einzustellen pflegt, war man geneigt, in dem fremden Lande alles schlecht und abscheulich zu finden und sich zurückzusehnen nach den leichtsinnig verlassenen Fleischtöpfen der Heimat. Warum waren wir auch nicht wenigstens einen Tag länger in dem lieblichen Cleve mit seiner romantischen Schwanenburg und den sagenhaften Erinnerungen an die Römerzeit und den Gralsboten Lohengrin geblieben? Warum? Ja, weil man eben heute überhaupt nie und nirgends mehr Zeit hat oder sich nimmt, einen Eindruck behaglich zu genießen, weil immer im unrechten Augenblick der Kurierzug wartet, um einen fortzuführen, wenn man eben heimisch zu werden beginnt!

Aber fort mit den melancholischen Gedanken, eben fährt der Zug in Armheim ein. Viele Lichter, ein lebhaftes Treiben in den Straßen – mehr ist augenblicklich nicht zu entdecken. Erst bei einem späteren Aufenthalt habe ich die reiche Stadt – das „Goldene Arnheim“ nennt man sie gern – einigermaßen kennengelernt. Man hat Arnheim oft mit unserem Wiesbaden verglichen, weil Pensionäre und Rentiers sich mit Vorliebe in dieser Villenstadt zur Ruhe setzen, außer diesem einen Umstand aber bieten sich kaum Vergleichspunkte. Trotz der anmutigen Lage am Rhein ist die Umgegend nicht sonderlich reizvoll und am allerwenigsten kann sie sich messen mit den überreichen landschaftlichen Vorzügen der Weltkurstadt am Taunus. Seltsamerweise hört man in Arnheim fast ebensoviel deutsch sprechen wie in Wiesbaden holländisch, während man in den meisten übrigen Städten der Niederlande eher noch mit dem Französischen sich durchzuhelfen vermag als mit der eigenen Muttersprache.

Die erste große Stadt des Königreiches, welche ich kennenlernte, war Amsterdam, und von allen erscheint sie mir noch heute als die schönste und eigenartigste. Wohl ist der Haag („s’Gravenhage“ lautet der amtliche Name der Residenz) vornehmer, schöner gebaut, und die mächtige Allee, die nach dem berühmten Seebad Scheveningen führt, findet kaum irgendwo ihresgleichen; wohl heimelt Rotterdam mit seinem gewaltigen Handel, seinem überseeischen Schiffsverkehr den Deutschen zunächst mehr an, aber schließlich nimmt man doch die fesselndsten Eindrücke mit aus der Stadt Rembrandts und Spinozas, in welcher die eigentlich holländische Lebensart zum reinsten Ausdruck kommt, trotz der Unzahl von Fremden aus aller Herren Ländern, die man dort überall antrifft.

Ein ernsthafter und gediegener Menschenschlag ist es, der in den Niederlanden haust; auferzogen in beständiger Nachbarschaft des Meeres, oft zum hartnäckigen Kampf mit dem empörten Element gezwungen, hat der Holländer eine zähe, stille Art angenommen, die dem oberflächlichen Blick leicht als Phlegma oder Gleichgültigkeit erscheint. Wer länger im Lande verweilt und Gelegenheit hat, Bekanntschaften in den gebildeten Ständen anzuknüpfen, der kommt bald von diesem Irrwahn zurück. Freilich ist dem Holländer das lebhafte Temperament, die reiche Phantasie und die unerschöpfliche Unterhaltungsgabe der Romanen versagt; selbst im Vergleich zu den stammverwandten Hochdeutschen giebt er sich schwerfällig, und nach langem Ueberlegen erst äußert er eine Ansicht oder ein Urteil. Die Vorzüge aber dieser Fehler, wofern es solche sind, eignen dem Niederländer in vollstem Maße: ein unermüdlicher Arbeiter ist er, und wen er einmal liebgewonnen hat, der mag auf ihn bauen in jeglicher Fährlichkeit. Nicht leicht wird einem der Eintritt in die engen Wohnhäuser gemacht; ist man aber einmal über die steile Stiege emporgeklettert in das reiche Familiengemach, so wird man eine Bewirtung und Aufnahme finden, wie sie so gastlich nur selten sich einstellt.

Die Tageseinteilung entspricht ungefähr der in England üblichen, mit dem Unterschied, daß der Tag viel später beginnt und dementsprechend später schließt. Nach elf Uhr abends findet man in Amsterdam noch die meisten kleinen Geschäfte geöffnet, von Zeit zu Zeit klappert wohl auch noch ein verspätetes Dienstmädchen in bauchigen Holzschuhen, mit bloßen Armen und der bekannten malerischen Haube, über die Straße, um beim benachbarten Fleischer („vleeshouwer“) den stattlichen Bedarf für den kommenden Tag einzuholen. Die öffentlichen Lokale, in denen übrigens Damen seltene Erscheinungen bilden, bleiben fast ausnahmslos bis zwei Uhr nachts geöffnet, und ebenso lange fast herrscht in den Straßen ein lebhaftes Treiben. Nicht allzu selten schließen ja die Theater erst gegen Mitternacht. Unter diesen Verhältnissen ist es nur natürlich, wenn der Tag erst um neun Uhr morgens beginnt. Eine tüchtige Mahlzeit aus Kakao oder Thee, Eiern und den landesüblichen „beshuiten“ (einer Art runden Zwiebacks) dient als Grundlage; zwischen zwölf und eins folgt dann ein umständliches Frühstück und etwa um sechs Uhr die Hauptmahlzeit. Vorher aber und auch wohl nachher wird beinahe unaufhörlich Thee getrunken, und zwar in gleichmäßig unheimlicher Menge und Güte. Es ist unglaublich, wieviel von dem starken, schwarzen Trank die Holländer und besonders auch die Holländerinnen bewältigen können, wenn auch allerdings das eigentümlich feuchtkühle Klima eine beständige Zuführung wärmender Getränke beinahe zur Notwendigkeit macht. Dadurch erklärt sich auch der sehr beträchtliche Bedarf an Spirituosen, in den großen Kaffeehäusern sitzen die schweigsamen Männer meist vor einem kleinen Gläschen Genever, Cognac oder Wermut, welches in angemessenen Zwischenräumen neu gefüllt zu werden pflegt, oder sie schlürfen bedächtig ein Glas kalten Grogs. Obwohl es nicht an echten und „stilvoll“ nach deutschem Muster eingerichteten Bierstuben fehlt, spielt der Gerstensaft doch nicht annähernd die wichtige Rolle im täglichen Leben der Holländer wie bei uns; nirgends aber habe ich eine so reichhaltige Auswahl von Liqueuren und alkoholischen Trankmischungen angetroffen. Dabei ist der Niederländer von Natur ein mäßiger Mensch, der meist ganz genau weiß, was er vertragen kann.

Die holländische Küche verdiente ein eigenes Kapitel. Viele Deutsche, die in der Fremde immer nur den einheimischen Maßstab anlegen und tief unglücklich sind, wenn sie nicht überall Eisbein und Sauerkohl zu essen bekommen, habe ich wacker schelten hören auf die fette und überkräftige Speisenbereitung, die allerdings unserem Geschmack zunächst wenig zusagt. Abgesehen aber davon, daß man in allen besseren Gasthöfen und Wirtshäusern gut und schmackhaft ißt, hat auch die häusliche Küche zwei nicht zu unterschätzende Vorzüge: ausgezeichnetes Fleisch und prächtige, selbst im Winter frische Gemüse, unter denen als bevorzugtes Nationalgericht unser Rosenkohl („spruitjes“) am häufigsten auf den Tisch kommt.

Es mag auffällig erscheinen, daß hier zunächst von den materiellen Lebensbedingungen die Rede war, aber der Niederländer ist, wie es zu allen Zeiten auch seine Künstler waren, in erster Linie Realist, er liebt sein häusliches Behagen und giebt nur ungern und selten den festen Boden des realen Lebens auf. Der hohe Flug der Phantasie ist dem Holländer nicht gegeben, ein vorwiegend praktischer Nützlichkeitssinn erfüllt das Volk der wasserreichen Ebene. Eines aber hat es sich in allen Zeiten seiner wechselvollen Landesgeschichte zu erhalten gewußt: die volle, uneingeschränkte Freiheit des Gewissens. Als sich der Abfall der Niederlande von dem damals übermächtigen Spanien vollzog, den Schiller so glücklich mit dem Satze kennzeichnet: … „Dieser Krieg, der einem friedfertigen Volk ein vorübergehendes Heldentum aufnötigte“, da galt es, in erster Reihe der religiösen Unduldsamkeit ein Ende zu bereiten und die Henkersknechte der spanischen Inquisition [475] zu vertreiben aus den verwüsteten Provinzen. Und da die kleine Zahl nach schwerem Ringen Sieger blieb, so fühlte sie sich auch stark genug, in Zukunft selbst die Leitung ihrer Geschicke in die Hand zu nehmen.

Das Gesetz („de Grondwet“) ist der eigentliche Herrscher in den Niederlanden, ihm beugt sich ohne Widerstreben der Höchste wie der Geringste. Die Oranier, denen seit den Tagen der nationalen Erhebung die Herzen des Volkes in warmer, ehrlicher Zuneigung entgegenschlagen, haben von jeher danach gestrebt, dem Volke zu geben, was ihm gebührt, und nichts konnte ihnen ferner liegen als ein Bruch der Verfassung. Der Inhaber der königlichen Gewalt ist unverletzlich, er kann nicht unrecht thun, denn die volle Verantwortlichkeit verbleibt dem Minister, ohne dessen Gegenzeichnung keine Gesetzesmaßregel vollzugskräftig wird. Die Wahlen zu den zwei Kammern der Generalstaaten vollziehen sich in vollster Freiheit, wie aüch die Presse vielleicht nirgends so völliger Selbständigkeit und Unabhängigkeit sich erfreut.

Als ich vor einigen Jahren die großen Auszüge und Zusammenrottungen der Socialisten in Amsterdam sah, als ich beobachten konnte, wie das berüchtigte Blatt der Socialdemokraten „Het recht voor allen“ („Recht für alle“) auf allen öffentlichen Plätzen und in den Lokalen von Hunderten gekauft wurde, obwohl es die gröblichsten Schmähungen der Königsfamilie enthielt, da schien mir der monarchische Sinn der Holländer nicht sonderlich lebenskräftig. Erst wenn man sich eingelebt hat in die den unseren vielfach geradezu entgegengesetzten Verhältnisse, in denen nichts verboten und alles erlaubt ist, gewinnt man den richtigen Maßstab auch für die Beurteilung der socialen und politischen Zustände des Landes. Die Königstreue der Holländer ist eine andere, eine nüchternere, als es sich mit der uns lieb gewordenen Auffassung verträgt; frei von der Leber weg wird alles behandelt, was das Königshaus betrifft, die ehrerbietige Scheu verschließt die Lippe nicht.

Das Königsschloß in Amsterdam ist ein altes, unscheinbares Gebäude, in dem so selten nur höfisches Leben erwacht; im Haag wohnt die Königssamilie sicherlich angenehmer; dort ist das Schloß moderner und freundlicher anzusehen. Ueberhaupt ist Amsterdam nicht eben reich an schönen Bauwerken; die Holländer haben sich erst seit den fünfziger Jahren etwa frei zu machen gestrebt von dem rein praktischen Kasernenstil, ohne aber bisher über ein gährendes Vielerlei hinaus zu einem eigenen Baustil gelangen zu können. Die eigentümlichen Schwierigkeiten der Bodenverhältnisse zwingen zu einer außerordentlichen Sparsamkeit in Bezug auf den Raumverbrauch, denn erst, nachdem die gehörige Anzahl von Pfählen in den nicht sehr festen Boden eingetrieben ist, wird derselbe tragfähig. Die natürliche Folge davon ist, daß man möglichst tief und hoch baut, während die Fassade schmal und unansehnlich bleibt. Dasselbe Sparsystem pflanzt sich bei der inneren Einrichtung naturgemäß fort; um die mangelhafte Breite gehörig auszunutzen, wird jeder Vorraum, jedes Nebengelaß so eng als möglich ausgeführt, und die Treppen haben eine gefährliche Aehnlichkeit mit dörflichen Hühnerstallstiegen. Von der glänzenden Einrichtung der Wohnränme stechen diese langen, schmalen und wenig geschmückten Häuserfronten auffällig ab; doch muß man berücksichtigen, daß bei dem völligen Mangel an natürlichem Baumaterial die Architekten meist auf verputzten und unverputzten Backstein sich angewiesen sehen, wollen sie die Baukosten nicht ins Ungemessene steigern.

Mit alleiniger Ausnahme der bevorzugten „Grachten“ sind alle Straßen eng; wer zum erstenmal, gleich hinter dem Schloß, in die weltberühmte „Kalverstraat“ gerät, der ist nicht wenig enttäuscht, wenn er gezwungen ist, von dem kaum mannsbreiten Bürgersteig auf den Fahrdamm abzubiegen und selbst hier noch nicht vor Püffen und Stößen sicher ist. Denn ein nie rastendes Treiben durchflutet diesen Teil der alten Handelsstadt, und bei der Abwesenheit beaufsichtigender Polizisten ist jeder genötigt, für seine eigene Sicherheit Sorge zu tragen. Doppelt belohnt aber für alle Mühsale und Enttäuschungen wird man durch einen Blick auf die glanzerfüllten Schaufenster; hier erst bemerkt man, daß man in einer reichen Stadt, nicht nur, nein, daß man im Paradies der Diamanten angelangt ist. In jeder Größe, gefaßt und ungefaßt, liegen die kostbaren Edelsteine da zur Schau, wahllos durcheinander gestreut wie von der Hand eines schätzereichen Schahs. Eine Promenade durch die Kalverstraat ist nicht ungefährlich für Frauenherzen, das Feuer der prächtigen Steine hat schon so manche versengt und dem Heimatlande abspenstig gemacht, um eine „brillante“ Partie in Holland einzugehen!

Ein gänzlich anderes Gepräge trägt der malerisch schönste Teil der Stadt, jenes enge Viertel, welches vom Amstelstrom in ungezählten Sträßchen und Gäßchen sich fast bis zur sogenannten „Plantage“ erstreckt. Wohl beginnt auch hier die Neuzeit einzudringen mit ihren Bauten modernsten Stils. Aber auf dem größten Teil dieses Gewinkels lagert noch eine tausendjährige Patina. Eine kleine Welt für sich läuft und schreit hier in buntfarbigem Gewimmel durcheinander. Dazu türmen sich auf den Straßen saftige Südfrüchte, goldfarbige Orangen, Citronen, Quitten, Datteln, Feigen; Gemüsehändler rufen ihre leckere Ware aus, der Milchmann setzt die Hausklingeln in Bewegung und ruft sein „melk, vershe melk“ in die Thüren hinein; Kinder stolpern und fallen übereinander, daneben wird gefeilscht, gestritten, geliebt, gehaßt, gehandelt und gebetet. Dort die nahe Synagoge mit der grünlich schimmernden Kuppel ist die geschichtliche und sagenhafte Stätte, wo Baruch Spinozas Lehrer, Uriel Acosta, seine revolutionären Thesen widerrief, um seinen Geist dem stürmisch mahnenden Herzen zu opfern.

Ueberreich ist der Stoff und allzu knapp nur bemessen der Raum; wir müssen uns daher hier einen Ueberblick über das geistige und künstlerische Leben der Niederlande versagen. Wohl sind die Zeiten der Rembrandt und Rubens, der Franz Hals und Wouverman lange vorüber, und die führende Rolle der niederländischen Meister in der bildenden Kunst ist ausgespielt. Aber die unvergänglichen Schätze eines großen Zeitalters sind zum größten Teil dem Königreich erhalten geblieben. Die Galerie im Haag, vor allem aber das großartige „Rijksmuseum“ in Amsterdam bewähren sie der staunenden Nachwelt auf.




Ballhäuser und Spielhallen.

Wenn wir heute von Ballhäusern sprechen, so verstehen wir darunter Häuser, in welchen getanzt wird. Die wenigsten unserer Zeitgenossen wissen, daß es einst Ballhäuser gegeben hat, in welchen ein anderes Bewegungsspiel fleißig geübt wurde, weite Hallen, in welchen jung und alt mit Ballwerfen und Ballschlagen sich vergnügte. Diese alten Ballhäuser sind heute fast spurlos verschwunden; aber es dürfte gerade in unseren Tagen von Belang sein, wieder einmal an die alten Einrichtungen zu erinnern. Geht doch ein frischer Zug durch unsere Städte; man hat den Wert der Bewegungsspiele für die Gesundheit wieder erkannt, und zahlreiche Vereine suchen die vergessene Vorliebe für Spiele im Freien im deutschen Volke wieder wachzurufen.

Da wird vieles empfohlen und versucht, was einst ehrsame Bürger und die frohe Jugend belustigt hat. Wettlauf, Speerwerfen, Steinstoßen, Reigen u. dergl. Vor allem aber erwirbt sich das Ballspiel in seinen verschiedenen Formen zahlreiche Freunde.

Kein Wunder! Das Ballspiel ist ein uraltes Belustigungsmittel. Zu Odysseus’ sagenhaften Zeiten vertrieb sich die schöne Nausikaa mit dem Balle die Zeit. Die Kulturvölker des Altertums pflegten eifrig das Ballwerfen, und nicht anders war es in den rauheren Ländern des europäischen Nordens. Die alten Germanen hielten ihre Ball- und Kugelspiele oft mit festlichem Gepränge ab, namentlich in der holden Frühlingszeit erfreute sich dieses Spiel bei dem Landvolke einer großen Beliebtheit. Als die Zeit kam, wo Städte in großer Zahl gegründet wurden, da folgte die altgewohnte Spiellust dem Bürger hinter Wall und Graben; und was wir heute erstreben, öffentliche Spielplätze, das konnten die meisten Städte des Mittelalters aufweisen. Sie verfügten über besondere „Wiesen“ und „Plätze“, die vorsorglich mit allem versehen waren, was die Abhaltung der gemeinsamen Spiele erleichtern konnte. Hier kamen des Abends die Bewobner der Stadt zusammen und vergnügten sich mit Speerwerfen und Steinstoßen, Reigen und Wettlauf, Kegeln und Ballspiel.

In einer alten Schrift über die Leibesübungen der akademischen Jugend wird von dem Ballspiel gerühmt: „Es trägt bei zur Gesundheit, vermehrt die Kraft und Behendigkeit des Körpers, erhöht die Gelenkigkeit der Glieder; es tritt dem Dickwerden entgegen, bringt Augen, Kopf, Hände [476] und Füße in schnelle geschickte Bewegung und übt gleichmäßig den ganzen Körper. Sogar der Verstand, besonders der Studiosen, wird durch das Ballspiel gefördert!“

Bei einer solchen Wertschätzung dieser nützlichen Belustigung war es durchaus natürlich, daß man den Wunsch empfand, sie auch bei ungünstiger Witterung ausüben zu können, man wollte Spielhallen haben, wie solche einst den Griechen und Römern zur Verfügung gestanden hatten. Dieser Wunsch fand in den „Ballhäusern“ Erfüllung. Zur Verbreitung derselben trug sehr viel der Umstand bei, daß man Ballspiele ersann, die für geschlossene Räume besonders geeignet waren.

Die Enstehung der Ballhäuser reicht vermutlich in den Anfang des 15. Jahrhunderts zurück. Pascal berichtet darüber in seinen „Recherches sur la France“ etwa folgendes:

„Um jene Zeit schlug man in Frankreich mit der flachen Hand einander die Bälle zu. Da kam im Jahre 1424 ein gewisses Fräulein Margot, das ausgezeichnet den Ball schlug, aus dem Hennegau nach Paris. Sie errichtete sich ein kleines Spielhaus (tripot) an der Straße Grenier de St. Lazare und nahm es hier mit den stärksten Spielern auf. Man ging dahin, um sie als etwas Seltenes zu sehen. Einige der Spieler zogen jedoch, um sich nicht wehe zu thun, Handschuhe an, andere verfielen darauf, an diesen Handschuhen Saiten und Sehnen anzubringen, welche durch ihre Elasticität den Ball viel höher und weiter trieben. Dies war der erste Schritt zur Erfindung der ‚Raketten‘ (Schlagnetze in Holzrahmen), welche bald darauf aufkamen und allgemein angenommen wurden.“

Der Gedanke, in bedeckten Hallen den Ball zu schlagen, fand Anklang. Fast in allen Städten Europas wurden Ballhäuser errichtet, zu deren Veranschaulichung wir eine Abbildung des alten Tübinger Ballhauses und des dazu gehörigen Spielplatzes geben. Es entspricht zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in wesentlichen Stücken der Beschreibung eines mustergültigen Ballhauses, welche Ullrich Anton Vieth in seiner 1794 bis 1818 erschienenen „Encyclopädie der Leibesübungen“ hinterlassen hat.

Inneres eines alten Ballhauses.

Das Ballhaus bildete nach Vieth ein genau rechtwinkliges vierseitiges Gebäude, das im Lichten etwa 25 Fuß breit und 100 Fuß lang, bis an das Dach etwa 28 bis 30 Fuß hoch war. Der Fußboden war genau wagerecht und eben, mit Steinplatten, jede 1 Quadratfuß groß, gepflastert; die Decke ebenfalls wagerecht und eben, mit fichtenen Brettern verkleidet. Die kurzen Giebelmauern waren bis an die Decke massiv, die langen Seitenmauern da, wo sie an die kurzen oder Giebelmauern anstießen, auf etwa 23 Fuß nach der Mitte zu, ebenfalls bis an die Decke hinauf massiv, dann aber nur etwa 14 bis 15 Fuß hoch, so daß also oben ein etwa 54 Fuß langer und 14 bis 15 Fuß hoher offener Raum blieb, durch welchen gleichförmiges Licht in das Gebäude fiel. Dieser Raum wurde durch Säulen in sechs Oeffnungen abgeteilt, die mit Netzen und Vorhängen versehen waren. Jene dienten dazu, das Hinausfliegen der Bälle zu verhindern, diese, wenn es nötig war, die Sonnenstrahlen abzuhalten und das Licht zu mäßigen.

Alle Wände im Inneren des Ballhauses waren schwarz oder wenigstens dunkel angestrichen, damit man den Flug des weißen Balles besser sehen konnte. Auch der Fußboden zeigte eine Reihe von Linien in schwarzer Farbe, welche für das Spiel von Bedeutung waren.

Auf die Spielregeln können wir hier nicht näher eingehen. Nur einige allgemeine Bemerkungen mögen genügen, die dem Kenner des von England neuerdings zu uns herübergekommenen „Lawn-Tennis“ eine nahe Verwandtschaft dieses Spiels mit dem unserer Vorfahren darthun werden. Die „Raketten“, das Rüstzeug der Spieler, bestanden aus einem zusammengebogenen Stabe von biegsamem Holze, dessen mittlerer Teil einen ovalen Reif von etwa 8 Zoll Länge und 5 Zoll mittlerer Breite bildete und dessen Enden mit einem dazwischen eingeklemmten Stück Holz zu einem etwa 15 Zoll langen Griffe zusammengefügt waren. Der Reif war mit einem Netze von Darmsaiten überstrickt. Die Bälle maßen 2 Zoll im Durchmesser, waren aus Tuchstücken gefertigt und mit weißem Tuche überzogen. Die Partie wurde gewöhnlich von zwei oder vier Personen gespielt. Wenn vier Spieler da waren, hatte jeder in einem der vier durch Mittel- und Querlinie bezeichneten Spielräume gewisse darin befindliche Stellen oder „Löcher“ zu „verteidigen“, d. h. dafür zu sorgen, daß der Ball nicht dahin gespielt wurde. Als allgemeinen Charakter dieses Spiels giebt Vieth an, es sei ein fortgesetztes Bemühen jedes Spielers, den Ball in das Gebiet seines Gegners zu schlagen und von seinem eigenen Gebiete abzuwehren, ein lebhafter Kampf beider Teile, den Ball nicht bei sich zum zweiten Sprunge kommen zu lassen, wodurch Augenmaß, Biegsamkeit und Schnelligkeit vortrefflich geübt und nicht nur die Kräfte des Körpers, sondern auch die des Geistes in Thätigkeit gesetzt werden.

Wer sich über die Einzelheiten des in den Ballhäusern gepflegten Spieles näher unterrichten möchte, den verweisen wir auf eine Abhandlung, die Fritz Iselin im Jahrgang 1869 der „Deutschen Turnzeitung“ veröffentlicht hat.

Ballhaus und Spielplatz.

Die Blütezeit der Ballhäuser fällt in das 17. Jahrhundert. Paris hatte um jene Zeit gegen 300 solcher Anstalten und eine besondere Zunft von „paumiers“ oder Ballmeistern, welche das Vorrecht hatten, Ballhäuser zu unterhalten, Geräte zum Ballspiel anzufertigen etc. Sehr frühzeitig befaßten sich aber die Ballmeister auch mit der Einführung des seit dem 16. Jahrhundert bekannt gewordenen Billardspieles, welches später zu einem gefährlichen Nebenbuhler des Ballspieles wurde. In Deutschland verschwand die Vorliebe für das Ballspiel in Ballhäusern gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, in Frankreich wurde sie durch die Wirren der Revolution vernichtet. In der Zeit ihres Niederganges gaben die Ballhäuser Anlaß zu verschiedenen berechtigten Klagen. „Die Pallenhäuser seind liederlich“ liest man hin und wieder in alten Berichten. In der That hielten sich bei den Ballmeistern häufig übelberufene Personen auf; außerdem benutzte man die geräumigen Hallen gern zu Zunftmahlzeiten und Tänzen, vermietete sie an fahrende Schauspielertruppen, Seiltänzer u. dergl., bis sie schließlich ganz in Wirtshäuser, Tanzböden oder – Wagenschuppen verwandelt wurden.

Die Geschichte der Ballhäuser ist lehrreich. Sie zeigt uns, wie Leibedübungen, die bloß zum Spiel getrieben werden, keinen dauernden Bestand haben, wie sie mit der Mode kommen und gehen, nach einer kurzen Blüte verfallen und verschwinden. Sicher war der Gedanke, geräumige Hallen für das Ballspiel zu schaffen, ein guter, denn dadurch wurde es möglich, eine gesunde Körperbewegung auch bei ungünstigem Wetter zu treiben; aber man vergaß die sittliche und gesundheitliche Bedeutung des Spiels und entzog ihm dadurch das Lebensmark.

Der Vorschlag, neben Spielplätzen im Freien, auch gedeckte Spielhallen zu schaffen, ist neuerdings wieder angeregt worden, und es ist zweifellos, daß solche Hallen für unsere Großstädte von sehr großem Wert sein könnten, wie es die Turnhallen schon sind. Die schwächeren Knaben und Mädchen, die der Leibesübung am meisten bedürfen, und die wenig abgehärteten älteren Stadtbewohner können doch nur während des geringeren Teils des Jahres im Freien spielen, und auch für die kräftigen Knaben bildet das Wetter sehr oft ein Hindernis. Dadurch haftet den Volks- und Jugendspielen etwas Zufälliges, Unbestimmtes an, das wieder deren Einbürgerung in weiteren Kreisen beeinträchtigt. Es wäre darum mit Freuden zu begrüßen, wenn die alten Ballhäuser in einer den ernsten Zielen und Bedürfnissen der Neuzeit angepaßten Gestalt ihre Wiedergeburt feiern dürften. C. F. 




[477]

Die Martinsklause.

Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(27. Fortsetzung.)


35.

Im Dämmerlicht des Abends irrte Eberwein am Ufer der die Ramsau überschwemmenden Seeflut auf und nieder. Mit gemartertem Herzen hatte er die Leiche des Kohlmanns verlassen. Durfte er thatlose Wache bei einem Entseelten halten, da er auf brechenden Bergen und im überfluteten Thal die Lebenden in Gefahr und Nöten wußte? Doch wohin sich wenden? Nach der Höhe? Der Schwester Sigenots, dem Richtmann und seinem Sohn zu Hilfe? Jetzt, da ihm der Führer genommen war? Wie sollte er die Wege finden, die er nie betreten! In brennender Qual erkannte er, daß jeder Schritt zur Höhe nutzlos wäre. Und so eilte er dem bedrohten Thal entgegen, der körperlichen Schmerzen nicht achtend, die der ungefüge Weg ihm bereitete. Als fern im Gadem der Sturz des König Eismann niederging, spürte Eberwein das Zittern und Wanken des Grundes; doch das ohrbetäubende Brausen der Gewässer, welche ihm zur Linken gegen die Thäler stürzten, übertönte das dumpfe Gedröhn und seinen Wiederhall. Eberwein konnte nicht wissen, nicht ahnen, was in der Ferne geschah – und dennoch umklammerte ihm ein dunkles Grauen die Seele und machte seinen Herzschlag stocken. Quälende Angst beflügelte seine Schritte, und als er dem Thal sich näherte, sah er schon die gestürzten Bäume und zwischen allen Gehängen die breit ergossene Flut, die ihm jeden Weg zu den bewohnten Stätten versperrte. Ein heißer Aufschrei löste sich von seinen Lippen. Seine Herde fiel, und er, der Hirte, mußte thatlos stehen, und seiner Ohnmacht Teil war nur ein schreiendes Gebet, das keinen Gott und keinen Himmel fand, der es erhören wollte. Zitternd bedeckte er das Gesicht mit den Händen. Dann wieder irrte er am Rand der strömenden Fluten entlang, getrieben von der Hoffnung, daß ein Hügel sich finden ließe, ein über den Weg der Wellen hinausgebauter Fels, von welchem er das andere Ufer springend erreichen könnte. Doch je weiter er thalwärts kam, desto breiter dehnte sich das Wasser, und seine suchenden Blicke fanden nicht Fels noch Steg, nur treibenden Wust von Trümmern und gaukelndes Hansgerät, das die schlammigen Wellen entführten.

Bergzebra, von einem Leoparden überfallen.
Nach einer Originalzeichnung von Alb. Kull.

Erschöpft ließ er sich auf einen Felsblock nieder, und seine verstörten Augen suchten in der Ferne den von braunem Rauch umschleierten Lokiwald. „Waldram! Ich schaue Deinen Gott!“ Schwer seufzend erhob er sich und taumelte am Rand der Fluten entlang. Er sah nicht, wohin er ging, und hörte das Gebraus der Wellen nicht mehr. Einmal hielt er inne, zitternd an allen Gliedern, und schlug die Hände vor das Gesicht. „Hiltischalk! Hiltischalk! Steig’ auf aus Deiner Tiefe, Du Christ der Christen ... reiche mir den Himmel, der in Deinem Herzen wohnte, zeige mir den Gott, an den Du glaubtest!“ Und wieder schwankte er weiter. Er merkte nicht, daß ein Mensch am Rande des Wassers ihm entgegenirrte. Es war der Schmied von Ilsank. Als er den Mönch gewahrte, befiel ihn jäher Schreck, und mit zuckenden Händen griff er nach dem Hals. Es schien, als wollte er fliehen und brächte den Fuß nicht von der Stelle. Zögernd breitete er die Arme aus, stürzte auf Eberwein zu, fiel vor ihm auf die Knie und umklammerte die Füße des Mönches. „Verzeih’! Verzeih’! Ich hab’ geschworen wider Euch auf dem Totenmann! Ich hab’ meinen Hag verschlossen vor Dir! Mein Haus ist hin, mein Weib und Kind! Sieh meine Reu’ und laß mich leben!“

Mit verlorenen Blicken starrte Eberwein auf den zitternden Mann. Er hörte die Worte und verstand sie nicht – er sah nur den Zug des Leidens in dem bleichen Gesicht und streifte mit der Hand über das Haupt des Knienden. „Harte Straf’ ist über uns gekommen!“ stammelte der Mann, dem noch die Todesangst der vergangenen Stunde in allen Gliedern bebte. „Der ganze Gadem liegt verschüttet unter dem Eismann den Dein starker Himmelsherr im Zorn auf uns geworfen hat!“

Eberwein erschrak nicht mehr. Nur ein dumpfes Stöhnen quoll aus seiner Brust. Er löste die Arme des Mannes von seinem Leib und wollte an ihm vorüberschreiten. Da sah er in der trüben Helle des Abends ein kleines Fahrzeug auf den grünen Wellen gleiten – gleich einem winzigen Einbaum war es anzusehen. „Eine Wieg’, Herr,“ stammelte der Schmied, „und in der Wieg’ ein lebiges Kind!“

[478] „Es soll nicht sterben!“ klang es mit gellender Stimme von Eberweins Lippen.

Erschrocken streckte der Schmied die Arme, doch er konnte die verzweifelte That des Mönches nicht mehr hindern. Mit mächtigem Sprung hatte sich Eberwein auf ein im Wasser treibendes Dach geschwungen, mit dem zweiten Sprung gewann er eine schwimmende Tanne, lief auf ihrem Stamm entlang und stürzte sich in die Wellen. All seine letzte Kraft erschöpfend, erreichte er die Wiege und hörte das weinende Stimmlein des Kindes. Von den reißenden Wellen fortgetrieben und wider sie ankämpfend mit erlöschender Kraft, stieß er die Wiege vor sich her und dem anderen Ufer zu. Je weiter ihn die Fluteu thalwärts trugen, desto mehr erlosch die dämmerige Helle vor seinen Augen, denn ein trüber Rauch begann sich über das Wasser und seine Ufer zu legen. Während er mit der einen Hand die Wellen zu teilen suchte, hielt er mit der anderen die Wiege fest – und plötzlich fühlte er Grund unter seinen Füßen. Keuchend richtete er sich auf, riß das schreiende Kind an sich, das mit nackten Aermlein seinen Hals umklammerte, und von den schäumenden Wellen bis an die Brust umspült, gewann er das Ufer. Schwankend stieg er noch eine Strecke über den waldigen Hang empor, dann sank er entkräftet zu Boden, und es schwand ihm das Bewußtsein.

Finster senkte sich die Nacht über den Besinnungslosen und über die weiten Stätten der Verheerung. Nirgends leuchtete die Flamme eines Herdes, und rings um alle Hütten, welche der Zerstörung entgangen waren, lag dumpfes Schweigen gebreitet. Nur die flutenden Gewässer rauschten, und in Zwischenräumen tönte von den Bergen ein kurzes dumpfes Gepolter nieder.

Auf einer einzigen Stätte nur war es laut und lebendig in der Nacht, und rings um sie her verscheuchte eine lodernde Flammensäule das Dunkel. Der rote Schein, welcher ausging von Wazemanns brennendem Haus, leuchtete weit empor über den verschütteten Bergwald und nieder auf den rauschenden See und die verödete Lände. Zuckende Lichter fielen durch das offene Thor hinaus auf den von Geröll und zersplitterten Bäumen übersäten Weg, auf dem die Leiche eines erschlagenen Menschen lag, das gelbe Wams von Blut überronnen – es war einer der Wazemannsknechte, der sich am Windacher See auf ein lediges Roß geschwungen hatte und dem stürzenden Felsen entronnen war. Von Grausen gejagt und beim Anblick der Verwüstung im Gadem von neuem Schreck befallen, hatte er den Weg nach seines Herrn Haus gesucht. Das lahm gewordene Roß am Zügel führend, war er bei sinkendem Dunkel über die Trümmerfelder emporgeklettert, während aus Wazemanns Haus schon die Flammen schlugen. Als er dem offenen Thor sich näherte, kam ein kreischender Haufe ihm entgegen, Männer und Weiber – der Hanetzer mit seiner Schar. Sie hatten das Haus verödet gefunden, verlassen von den Knechten und Mägden, welche bei Beginn des Bergsturzes geflohen waren. Beim Anblick der Pechkränze und Reisigbündel, welche im Burghof umherlagen, hatte der Hanetzer geschrien. „Schauet, Ihr Leut’, Herr Waze selber hat uns Zeug geliefert zu flinkem Feuer!“ Auf alle Dächer, in alle Thüren und Fenster waren die brennenden Kränze geflogen, und mit johlendem Geschrei begrüßte der Haufe die erwachenden Flammen. Aber bei aller Wut, die sie erfüllte, bei allem Haß, der in ihnen gährte, fürchteten sie doch die Heimkehr des Spisars und seiner Söhne. Zuerst begannen die Weiber zu laufen, und die Männer folgten ihnen. Als der Trupp sich durch das Thor hinausdrängte, kam jener Knecht mit seinem Roß.

Im sinkenden Dunkel, das die Flammen erst halb zerstreuten, hielt der Knecht den fliehenden Haufen für das Gesinde des Hauses, und keuchend schrie er ihnen die Botschaft zu: „Not über uns! Der Herr liegt unter seinem Berg, all’ seine Buben sind erschlagen!“ Ein kurzes Schweigen – als konnte solche Botschaft von diesen Menschen nicht begriffen werden im ersten Atemzug und Hören – dann jählings ein Geschrei, nicht wie von menschlichen Stimmen, sondern wie aus den Kehlen gequälter Tiere, deren Käfig, darin sie durch Jahr und Tag alle Marter gelitten, mit einem Schlag zerbrochen wird. „Such’ Deinen Herrn wieder,“ brüllte der Hanetzer und raffte einen Buchenast von der Erde, „wir lassen ihn grüßen!“ Krachend fiel das schwere Holz auf die Stirne des von Entsetzen gelähmten Knechtes, und lautlos brach der Mann zusammen, während das scheue Roß über den Weg hinaus in die Tiefe sprang.

Wie vom Wahnsinn der Freude befallen, unter jauchzendem Geschrei, wandten sich die Männer und Weiber in den schon taghell erleuchteten Burghof zurück, und ihr furchtlos gewordener Haß berauschte sich in einer Orgie der Zerstörung. Sie rissen den Stangenkäfig nieder und erschlugen die Raubtiere, welche dem Spisar zu Spiel und Kurzweil gedient. In der Vorhalle fanden sie die Saufänger und Jagdspeere und erstachen im Zwinger die Hunde, welche die letzte Bergfahrt ihres Herrn nicht geteilt. An den brennenden Ställen erbrachen sie die Thüren und metzelten die gemästeten Rinder nieder, köpften die Ziegen und Schafe und erwürgten das Geflügel. In den Kellerhöhlen zerschlugen sie die Metfässer und vernichteten, was sie an Vorrat aufgespeichert fanden. Mit keinem Gedanken dachten sie, daß sie Gut zerstörten, das sie selbst von ihrem Schweiß gesteuert und gezinst ... im Rausch der Wut und des Hasses erschien ihnen alles und jedes zwischen diesen Mauern wie ein Teil des Mannes, der das Mark aus ihren Knochen gezogen und das Blut aus ihren Adern gepreßt. Die wachsenden Flammen nicht scheuend, drangen sie in alle Kammern des Hauses, zerschlugen die Sessel und Tische, brachen die Waffen entzwei, zerschmetterten alles Gerät und rissen in Fetzen, was an Gewand in ihre wühlenden Hände fiel. Die Trümmer und Scherben und was der Vernichtung widerstand, warfen sie durch die Fenster in den Burghof und hielten in solcher Zerstörung nicht eher inne, als bis die fallende Glut des Gebälks sie aus dem brennenden Hause trieb.

Nur einer zögerte noch. In Reckas Kammer hatte der Hanetzer das über die Dielen zerstreute Geschmeid gefunden, und die Habsucht war in ihm erwacht. Im Burghof schrieen seine Brüder. „Heraus, heraus oder das Dach geht nieder über Dich!“ Doch er hörte die warnenden Stimmen nicht. Halb erstickt vom wallenden Rauch und fast versengt von der schwelenden Hitze, kroch er auf den Bohlen umher, tastete nach den Spangen, Ketten und Ringen und raffte in seine Kotze, was er fand. Jetzt griff er nur die leeren Dielen noch und wollte sich schon erheben, da fühlte er ein letztes Stücklein – es wog nicht schwer wie Gold und Silber, doch war es anzufühlen wie die Hälfte einer Spange. Er warf sie in die geschürzte Kotze und aus der Kammer flüchtend, faßte er nach einem Jagdspeer – denn was er gewonnen, wollte er auch bewahren. Während er sich durch die von Rauch und Flammen erfüllte Herrenstube kämpfte, verstummte jählings im Burghof das wirre Geschrei, und eine Stimme tönte in bebendem Zorn: „Die Berge erschütterte mein Gott und Herr, um seine Stärke zu weisen vor Euerem bangenden Blick! Die Geschosse seiner Felsen warf er auf die Brust der Sünder und Verstockten! Unter ewigen Hügeln begrub er seine Feinde und löschte ihr flackerndes Leben wie der Sturm das Licht! Eure Hütten brach er und deckte mit Gestein die Halden und Euren Schweiß! Und Ihr erkennt seine Größe nicht? Ihr lieget nicht auf den Knien in Zerknirschung und Gebet? Ihr schlaget nicht an die Brust und schreiet: Du Starker, sei uns gnädig!“ Zur Buße ruft Euch der zürnende Himmel – was aber sind Eure Werke? Mord, Raub und Brand!“

Taumelnd hatte der Hanetzer die Vorhalle erreicht, schüttelte die Funken von seinem Leib und rang nach Atem. Als er schwankend die Stufen betrat, tönte ihm mit schneidendem Klang jene Stimme entgegen: „Nieder den Raub aus Deinen verfluchten Händen!“ Vom zuckenden Schein der Flamme erleuchtet, stand vor ihm die hagere Gestalt eines Mönches, mit bleichem Antlitz und brennenden Augen, in erhobener Faust den Stab. „Nieder den Raub!“

„Was mein ist, wahr’ ich!“ murrte der Bauer mit noch halb erstickter Stimme.

„Gott befiehlt es!“ Der fallende Stab des Mönches traf den Arm des Bauern, daß die geschürzte Kotze sich öffnete und das blinkende Geschmeid über die Stufen rollte.

Von den Lippen des Hanetzer zischte ein Fluch, es zuckte der Speer in seiner Faust – und Waldram taumelte mit durchbohrter Brust. Die Männer erblaßten, die Weiber schrieen und erschrocken streckten sich zwanzig Hände, um den Sinkenden aufzufangen; doch Waldram bedurfte keiner Stütze. Hoch aufgerichtet stand er, nur der Stab war ihm entfallen. Mit der einen Hand die quellende Wunde deckend, mit der anderen zum Himmel weisend, hob er die Augen mit einem Blick, vor welchem der Mörder scheu zurückwich in die brennende Halle. Und ohne Zorn, in feierlichem Ernste, klangen die Worte des Mönches: „Du sendest mich zu meinem Gott und ich möchte Dir danken! Doch meine Wunde muß reden wider Dich vor des Richters Thron, denn geweihtes Blut hast Du vergossen! Bete, Sünder! Bereue!“

[479] Ein dumpfes Krachen, ein Aufschrei aus allen Kehlen, ein stürzendes Gewirbel von Flammen, Rauch und Funken – und über der Stelle, die vor einem Atemzug den Mörder noch getragen, lag der glühende Trümmerhaufen, zu welchem Wazemanns Haus zerfallen war.

„Zu spät Deine Reue!“ stammelte der Mönch wie in heißem Erbarmen und sank zurück.

Sie fingen ihn auf, sie trugen ihn aus der Nähe der Glut und schleppten Kotzen und Felle herbei, um den Sterbenden weich zu betten. Doch Waldram wälzte sich auf die kahle Erde. „Mein Erlöser ist nicht auf weichen Fellen gestorben, auf hartem Holz! Leget ein Scheit unter meinen Rücken!“ Sie thaten ihm den Willen – und er lächelte wie ein Müder auf weichem Pfühl. Seine Hände suchten das Kreuz am Gürtel und das heilige Zeichen an die Wange schmiegend, lag er ausgestreckt und sang mit erlöschender Stimme den Ambrosianischen Lobgesang. Lautlose Stille war um ihn her, die bangen Blicke der Männer und Weiber hingen an seinen Augen, die in Verklärung leuchteten. Mit mattem Stammeln endete er das Lied, und als könnte er den seligen Augenblick des Todes nicht erwarten, so hob er sich mit zitternden Kräften auf die Knie, entblößte seine Wunde und hauchte lächelnd: „Was zauderst Du, meine Seele . . . fürchte Dich nicht, der Weg zu Deinem Heil steht offen!“ Reichlicher strömte sein Blut, die brechenden Augen noch emporgerichtet zu den verschleierten Sternen, fiel er zurück und seufzte.

Rings um den Toten lagen sie alle auf den Knien, und in das Rauschen der versinkenden Flammen mischte sich das Schluchzen der Frauen; die Männer knieten bleich und wortlos. Die wilden Herzen, welche der Lebende wohl nie gewonnen hätte, erschütterte dieser gottesfreudige Tod bis tief ins Innerste. Eines der Weiber küßte die Sohlen des Toten und schluchzte: „Hebet ihn auf, Ihr Mannerleut’, traget ihn zu seinem heiligen Haus!“ Die Männer folgten dem Wort, und während im Ring der verödeten Mauern die letzten Flammen in Glut und Asche sanken, stieg durch die Nacht ein stiller Zug über die Trümmerfelder nieder ins Thal, umgaukelt vom Lichtschein zweier Fackeln.

*               *
*

In der gleichen Stunde, in welcher Waldram den letzten Seufzer that, war Eherwein das Bewußtsein zurückgekehrt. Das Weinen des Kindes war der erste Laut, den er vernahm – und da füllte kein anderer Gedanke sein erwachendes Leben, kein anderes Bangen mehr seine Seele als nur noch die Sorge für dieses zitternde Geschöpfchen, das an seinen Hals geklammert hing und andere Sprache noch nicht hatte als Lallen und Thränen. Mit beiden Armen hielt er an seiner Brust das Kind umfangen – und ihm war, als hätte er das ganze Leben seiner Thäler dem Verderben abgerungen, als trüge er mit diesem Kind die neu ersprossende Zukunft seines zerstörten Landes auf den Armen und am Herzen. Mühsam mußte er in der dunklen Nacht zwischen einem Wirrsal gestürzter Bäume jeden Schritt seines Weges erkämpfen. Er wußte nicht, wo er sich befand; rings um ihn her zerstörter Wald, nirgends ein Lichtschein, kein Zeichen des Lebens. Er schrie mit allem Aufgebot der Stimme, doch alles blieb still in der Nacht. Endlich erreichte er eine freie Stätte und erkannte mit Freude und zugleich mit Schreck die Rodung, auf welcher die Klause stand. Vor seinen spähenden Blicken tauchte ein schwarzer Klumpen aus der Nacht: die ihres Daches beraubte Klause. Wankend erreichte er die Herdstube, in welcher die Kohlen noch unter der Asche glommen. Er schrie die Namen der Brüder, doch keine Antwort ertönte; er eilte von Zelle zu Zelle und fürchtete bei jedem Schritt, auf eine Leiche zu stoßen. Er fand kein Leben zwischen den öden Balken, doch auch kein Zeichen des Todes, und wie tröstende Hoffnung erwachte in ihm der Gedanke, daß die Brüder dem Verderben entgangen und ausgezogen wären, um Hilfe zu bringen, wo Hilfe noch möglich war. Zitternd trat er in seine Zelle zurück, streifte dem Kinde das nasse Kittelein ab und hüllte das schauernde Körperchen in die Decken seines Lagers. Dann saß er im Dunkel neben dem Kinde, dessen winzige Händlein einen seiner Finger umklammert hielten. Er konnte seinen Pflegling nicht sehen, so finster war es um ihn her; nur den leisen Druck der unruhigen Fingerchen spürte er und hörte von Zeit zu Zeit jenes stockende halbe Schluchzen, wie es nach überstandenem Schreck und Schmerz noch aus einer Kindesbrust sich ringt, wenn die Zähren schon gestillt sind. Die Händchen des Kindes begannen sich zu wärmen, immer ruhiger wurde sein Atem, und nach einer Weile entschlief es.

Eberwein saß in sich versunken, regungslos, erfüllt von wirrer Qual und kreisenden Gedanken, bis die kleinere Not des Lebens die größere seines Herzens übertäubte. Es fror ihn in der triefenden Kutte, all seine Glieder waren wie zerschlagen, und der Hunger mahnte. Seufzend erhob er sich, entzündete eine Fackel, tauschte das Gewand und suchte nach Speise. Nur ein Häuflein roher Bohnen fand er, trug eine Hand voll zum Lager des Kindes und zernagte die trockenen Kerne. Alles that er wie im Schlaf.

Der Schein der Fackel fiel über den Schemel, auf welchem das Heilige Buch lag. Eberweins Augen hingen an ihm mit verlorenem Blick. Dann plötzlich ergriff er das Buch, schlug es auf und begann mit murmelnder Stimme zu lesen, wie Hiob in Vorwurf rechtete mit seinem Gott. Doch bald erlosch ihm die Stimme wieder. Das Buch auf dem Schoße, saß er regungslos, mit schlaff hängenden Armen, und starrte ins Leere. Mit leisem Hauche strich der Nachtwind in die Zelle und legte die Blätter des Buches um. Als Eberwein die Augen senkte, lag ein Lied des Jesaia vor ihm aufgeschlagen, und sein Blick fiel auf die Worte: „Es mögen die Berge weichen und die Felsen stürzen, doch meine Gnade soll nimmer weichen von Dir und der Bund meiner Liebe nicht zerbrechen, spricht der Herr, Dein Erbarmer.“ Ein heißer Schauer rann ihm durch Leib und Seele. „Der Herr, Dein Erbarmer?“ Als möchte er sich gewaltsam aus dem Streit der Seele reißen, so sprang er auf, drückte die Fäuste an seine Stirn und stammelte: „Denke nicht über Gott, denn Dein Hirn ist Staub . . . fühl’ ihn, wenn es Dein Herz vermag, und hoffe!“

Der Hall seiner Stimme hatte den Schlaf des Kindes gestört. Durch das zarte Körperchen fuhr es wie jäher Schreck. Es zappelte mit Händen und Füßen und schlug die Augen auf – sie waren blau und glänzten. Das Mäulchen verzog sich, als wollt’ es weinen. In Sorge beugte sich Eberwein über das Lager, und da richteten sich die Augen des Kindes auf sein Antlitz, groß und scheu. Dann glitt wie traulicher Sonnenschein ein Lächeln über das runde Gesichtlein, und lallend griff das Kind – es hatte wohl einen flachsbärtigen Vater – mit beiden Händen in den Bart des Mönches. Diese süße Zärtlichkeit und der reine Glanz dieser unschuldsvollen Kinderaugen erweckte in Eberweins Seele ein Gefühl, so heiß und überwältigend, wie es der Sinkende wohl empfinden mag, den im Gebraus der Wellen die starken Arme des Retters umschlingen. „Herr! Herr! Nicht dem Greuel dieses Tages . . . ich glaube dem Wunder dieser Augen! Deine Liebe redet zu mir – ich fühle sie!“ Vor Freude weinend schloß er das kleine zappelnde Stücklein Leben an seine Brust und küßte in heißer Inbrunst die warmen Lippen des Kindes.




36.

Der Morgen graute. Hoch über den starrenden Ruinen des König Eismann stand am erbleichenden Himmel noch der zur Sichel schrumpfende Mond. Sein Schimmer, halb gebrochen durch das fahle Grau des erwachenden Tages, umwebte die neu entstandenen Zinnen und überspann die mit Eisblöcken und Felsenklötzen wirr besäten Trümmerstätten. Lautlose Stille lag über dem steinernen Leichenfeld. Nur zuweilen, auf den tieferen Schuttgehängen, klang das leise Kollern kleiner Steine – das vor dem Sturz entflohene Fahlwild und die verscheuchten Gemsen stiegen schon wieder zu Berg, und ruhelos klommen die Tiere im zertrümmerten Gestein nmher, ihre Heimstände und die gewohnten Aesungsplätze suchend. So fest wie in den Menschen des Hochlands wohnt auch in den Tieren der Berge das treue Hängen an der rauhen Scholle, auf der sie geboren wurden. Die höchste Gefahr nur macht sie fliehen – Felsen stürzen und begraben die liebe Stätte – kaum hat sich der Staub verzogen, so kehren die Entflohenen schon wieder zurück, um das neue Lager über den Trümmern zu wählen, die das alte bedecken. Und wie an der alten, so hangen sie wieder an der neuen Wohnstatt mit treuem ungebrochenem Vertrauen.

Neben dem sachten Geriesel des Schuttes, der sich unter den Tritten des ziehenden Wildes löste, neben diesem schüchternen Zeichen des wiederkehrenden Lebens unterbrach die Stille noch ein anderer Laut: ein Klirren wie vom Schritt eines eisenbeschlagenen Schuhes. Im Gewirr der Felsblöcke irrte ein Mensch umher, bald [480] verschwindend in schwarzem Schatten, bald wieder auftauchend im grauen Zwielicht. Mühselig, schwer und langsam war sein Gang. Als er die Kuppe eines Trümmerhügels erreichte, stand er bewegungslos und starrte im Dämmerschein über das weite Schuttfeld, unter welchem die Oedhütte mit dem ganzen Albenthal begraben lag. Von seinen Lippen rang sich ein Schrei, der Laut eines Namens, heiser und keuchend klang der Ruf und verhallte in der Satile. „Rötli! Rötli!“ Keine Antwort kam, nichts regte sich zwischen den Trümmern. Lange stand der Einsame, an einen Felsblock gelehnt, als vermöchte er sich ohne Stütze nicht aufrecht zu erhalten. Immer wieder schrie er den Namen, immer wieder strich er mit den Händen über die Augen, als möchte er gewaltsam seine Blicke sehend machen für das Leben, das er suchte und nimmer fand. Schwer atmend wandte er sich endlich ab und stieg der Tiefe zu, aus welcher er gekommen. Dann wieder kehrte er zurück, stand und wandte sich von neuem – als wären zwei Gewalten in ihm, von denen die eine ihn festhielt an der Stätte, während die andere ihn niederzog in die Tiefe der verschütteten Schlucht.

Schon begann das fahle Grau über den Felsen sich zu lichten, und immer tiefer stieg der Einsame zwischen den Wänden. Lange stand er vor einer Fläche grau bestäubten Schnees, in welchem sich eine weiße Mulde zeigte, als hatte hier, während der Staub gefallen, durch lange Stunden ein Mensch gelegen. Einen Steinwurf tiefer zog sich eine Felsspalte quer durch die Schlucht, halb verschüttet, und aus Geröll und Schnee ragte der Wipfel einer Zirbe hervor. Langsam glitten die Augen des Mannes über das grüne Gezweig, über eine weit geöffnete Höhle, über die kahle Bruchfläche des Berges und über die wirrem Massen der zerschlagenen Felsen, welche die tiefer ziehende Schlucht erfüllten. Ein dumpfes Stöhnen erschütterte seine Brust, und schwankend betrat er das Gewirr der Trümmer. Während er tiefer und tiefer stieg, haftete sein brennender Blick an jeder Scholle des Gesteins, an jeden Felsblock rührten seine zitternden Hände, als möchte er ihn heben und von der Stelle rücken, scheu und zögernd setzte er den Fuß, als fürchtete er die Erde zu drücken, als ware ihm jeder Schritt eine Qual und namenlose Marter. Ein steiler Abbruch sperrte ihm den Weg, in der Tiefe gewahrte er den See, mit regungslosem Wasser, doch von Schaum bedeckt, so weiß wie Milch; der erstarrte Schuttstrom lag vom Fuß der Felsen hinweg wie ein graues Eiland weit in die Flut hinausgebaut – als hätten die Dämonen des Gesteins dem stolzen Mädchenherzen, das sie zerdrückt im ersten Jauchzen seines Glückes, einen ewig dauernden Leichenhügel errichten wollen, gewaltiger, als noch je ein Hügel über dem Grab eines gefallenen Helden sich erhob.

Zitternd, mit vorgebeugtem Antlitz, stand der Einsame am Rand der Felsen und starrte in die Tiefe. Röchelnd ging sein Atem, in seinen Zügen wühlte der Schmerz, doch seine rotgeränderten, vom Staub entzündeten Augen hatten keine Thränen. „Ich hab’s berufen . . . jetzt liegen zwischen ihr und mir die Berg’!“ Er streckte die Arme ins Leere, und des Todes nicht achtend, der ihm drohte, begann er den Niederstieg. Wohin er trat, löste sich das Geröll und der graue Schnee. Immer tiefer stieg er und hatte fast den Grund erreicht, als eine Platte mit ihm ins Gleiten kam. Rasselnd trug ihn das steinerne Fahrzeug und landete ihn auf der Böschung des Schuttes. Mit heiserem Lachen richtete er sich auf, klomm über das Geröll empor und faßte das harte Gestein des Berges wie die Brust eines Feindes. „Mein alles hast Du genommen! Nur mich nicht! Warum denn? Oder wär’ ich für den Tod zu schlecht?“ Er wankte, und das Gesicht mit den blutig zerschundenen Händen bedeckend, sank er zu Boden.

Schon fiel das Frühlicht mit rosigem Schein über alle Höhen, als er mühsam sich erhob und hinausblickte über den weißen See. „Mutter! Mutter! Wie kehr’ ich Dir wieder heim! Was sag’ ich, wenn Dein Aug’ mich fragt ...?“

Der neuentstandenen Felswand folgend, begann er über das Schuttfeld niederzusteigen. Als er den Saum der grauen Halde erreichte, wandte er noch einmal die Blicke. Seine ganze Gewalt erzitterte, und ohne Thränen schluchzend, umklammerte er einen Steinblock und drückte das Antlitz an den kalten Fels, als hielte er umschlungen, was unter dem Schutt begraben lag.

Wie ein Träumender taumelte er davon. Ohne zu wissen, was er that, suchte er die Stelle, an welcher der Einbaum gelegen – sie war verändert, verschwunden mit dem Kahn. Doch über den See war eine Brücke gebaut; eine Felswand, welche tiefer im Kessel niedergebrochen, hatte ihren Trümmerhaufen bis zum andern Ufer geworfen und einen kleineren See vom Weitsee losgetrennt, wie eine Stunde des Unheils und der Not das Kind von der Brust der Mutter reißt. Ueber diese Brücke, welche noch keines Menschen Fuß betreten hatte, ging der Weg des Einsamen, dann am Ufer entlang und heimwärts über das Waldgehäng, welches bis zur Hohe eines Pfeilwurfs kahlgeschwemmt war von den aufgebäumten Fluten; die gebrochenen Stämme schwammen im See und streckten ihr Gezweig aus dem weißen Schaum.

Schon fiel das helle Licht des Morgens in den Kessel, doch die bunten Farben der herbstlichen Bäume wollten nicht erwachen. Wie versteinert war der Bergwald anzusehen unter dem grauen Kleid, mit welchem der dicke Staub alle Bäume und allen Grund überzogen hatte. Stumpf glitten die Blicke des einsamen Wanderers über die trüben Bilder seines Weges. Er sah in ferner Höhe das veränderte Gesicht des gebrochenen Berges und erkannte am jenseitigen Ufer auf allem Felsgehäng die Straßen, welche die Schuttströme genommen hatten, er sah den Falkenstein, doch über ihm kein Dach mehr, keinen Giebel und keine gefensterte Mauer – nur dünne Rauchsäulen, welche langsam in die Höhe wirbelten und in der Luft zerflossen. Er sah in der Ferne die zunächst liegenden Halden der Schönau, ohne Wald, ohne Hütten, einer grauen Wüste gleich. Er sah, wie auf dem See das schwimmende Bild der Trümmer sich verwandelte: zwischen die gebrochenen Fichten und Buchen mischten sich entwurzelte Fruchtbäume, Gebälk und Bohlen, die Reste eines Daches, zerschlagenes Hausgerät, eine Hundehütte und Immenkörbe, Gewandstücke und hölzernes Geschirr – und manchmal tauchte nah dem Ufer aus dem sacht schwankenden Schaum ein brauner Fleck hervor: die schwimmende Leiche eines Rindes.

Das alles sah er – und über seinen Weg auch, der zu Ende ging, lagen die Zeugen der Verwüstung ausgestreut: Gerätstücke, die sein Auge erkennen mußte, eine behauene Steinplatte, die dem Dach seiner Herdstube glich, und lange Fetzen eines Fischernetzes. Das alles sah er. Doch keine Frage erwachte in ihm, er suchte nach keiner Antwort. Seine betäubten Sinne schienen unempfänglich für neuen Schreck, sein gebrochenes Herz nicht fähig mehr eines neuen größeren Schmerzes. Als er die letzte Waldhöhe erreichte und die Lände mit dem verwüsteten Hügel zu seinen Füßen lag, griff er nur mit den Händen an Stirn und Augen und starrte umher, langsam das entstellte Gesicht nach allen Seiten wendend. Kein Hag und Lugaus mehr, kein Haus und Stall. Verschwunden der Immenstand, das Gärtlein und der Brunnenstock. Nur einzelne Balken und Fetzen des Haggeflechtes lagen zerstreut umher, zerschmettertes Hausgerät und Rinderleichen füllten alle Pfützen der Lände. Die Eichen waren gebrochen und ihre Kronen davongeschwemmt, nur ein einziges dünnes Bäumlein hatte dem Schwall der Fluten widerstanden, und auf dem kahl gewaschenen Hügel selbst war nur der Baumstrunk noch geblieben, der die steinerne Tischplatte getragen, und ein mit Schlamm bedeckter Rest des gemauerten Herdes. Doch auf der Stelle, an welcher das Hagthor gestanden, erhob sich noch das Kreuz, nur gelockert in seinem Halt, zerfetzt an allen Rändern und bis über das Querholz hinauf mit grauem Schlamm behangen.

Zwischen den Stümpfen der gebrochenen Eichen kauerte Heilwig, die Magd des Fischers. Als sie den Kommenden gewahrte, sprang sie auf und eilte ihm entgegen. Sie wollte ihren schreienden Jammer beginnen, doch der Anblick des Mannes lähmte ihre Zunge. Das Gewand verwüstet und mit Staub bedeckt, an Händen, Armen und Knien zerschunden und blutig, das Antlitz fahl und entstellt, die Augen fieberhaft brennend und von roten Ringen umzogen, eisgrau an Bart und Haaren – so stand er vor den entsetzten Blicken der Magd. War es ihr Herr? War es Sigenot, der Fischer? Oder ein gespenstiges Schreckbild, das sie zu ängstigen kam nach allem Greuel, den sie überstanden hatte? „Heilwig . . . wo ist die Mutter?“ Auch seine Stimme war verwandelt und klang ihr ins Ohr wie fremder Laut. „Wo ist die Mutter?“

Sie konnte nicht sprechen, nur deuten. Lange starrte er sie an, dann sank ihm das Kinn auf die Brust, und schwer atmend strich er mit den Händen über das Haar: „Mein Glück und meine Schwester, mein Haus und Hof ... und auch die Mutter noch!“

Zögernd schritt ihm die Magd voran und immer nach einigen Schritten wartete sie, ob er auch käme. Bei den Stümpfen der Eichen blieb sie stehen, die hundertjährigen Stämme waren über den Wurzeln abgedreht und Sigenots Baum an der letzten Kerbe [481]

In der Ramsau.
Nach einem Gemälde von J. G. Steffan.

gebrochen; dem einzig noch stehenden Bäumlein zu Füßen lagen die beiden Leichen. Mutter Mahtilt, noch umklammert von den Armen des entseelten Knechtes. Sigenot wankte und griff, um sich zu stützen, nach seinem gebrochenen Baum. Seine irrenden Blicke suchten das Kreuz, dann streckte er die Hände nach dem Knecht: „Der ist treu gewesen … und ich kann’s ihm nimmer lohnen!“

Heilwig mußte ihm helfen, die starren Arme Wichos zu lösen, der die Mutter seines Herrn nicht lassen wollte. Während die Magd mit stammelnden Worten erzählte, was sie erlebt und erfahren, hielt Sigenot die Leiche der Mutter in den Armen und hing mit verlorenem Blick an den bleichen Zügen, die dem Antlitz einer Schlummernden glichen. Nur einmal hob er die Augen – aus dem zerschlagenen Schilf des Ufers hatte eine jammernde Stimme sein Ohr getroffen.

„Der Kaganhart, der arme Hascher,“ schluchzte die Magd, „er muß die Hilmtrud suchen … das Wasser hat sie davongetragen mit dem Haus.“

„Not über allem, was lebt!“ Sigenot drückte das stille Haupt der Mutter an die Brust und streichelte ihr feuchtes Haar. „Mütterlein, Dir ist wohl! Komm … ich will Dich zum Vater bringen!“

[482] Er bettete die Tote im Schoß der Magd; dann stieg er zur Lände nieder, schleppte die zerstreuten Balken ans Ufer und flocht sie mit Ruten zu einem Floß; alle Reste seiner Netze sammelte er und füllte sie mit schweren Steinen.

Nun holte er die Mutter; als er sie auf die Arme gehoben hatte, haftete sein Blick an der Leiche des Knechtes. „Willst auch mit, Wicho? Freilich, so treu wie im Leben, so treu im Tod! Wart’ nur ein lützel, mein guter Wicho ... ich hol’ Dich gleich! Sollst von Deiner Herrin nicht lassen müssen.“ Sigenots Stimme brach, wankend stieg er mit seiner Last über den Hügel nieder und kehrte nach einer Weile zurück.

Zitternd fragte die Magd. „Herr? Soll ich mit Dir fahren?“

Er schüttelte den Kopf und trug den treuen Knecht zum Floß. Dem grauen Fährmann des Todes gleich, stand er auf dem schwankenden Fahrzeug und trieb es mit langer Stange durch den Trümmerwust, der den See bedeckte. Hinter der Insel sah ihn die Magd verschwinden. Sie stand am Ufer, erfüllt von kaltem Grauen und banger Sorge. Lange Zeit verging. Einmal hörte sie aus dem See heraus den verschwommenen Hall einer Stimme. War es ein Wehschrei? War es der letzte schluchzende Gruß, den der Sohn seiner Mutter bot? Dann wieder Schweigen – nur hinter dem Hügel das dumpfe Rauschen der Ache.

Lange harrte die Magd. In wachsender Sorge lief sie zur Stätte des verschwundenen Hauses empor, um weiteren Ausblick über den See zu finden. Endlich sah sie das entlastete Fahrzeug mit seinem Fährmann aus dem zerwühlten Schilf der Insel hervortauchen. Mit müden Stößen, tief gebeugt, trieb Sigenot die Balken dem Ufer zu. Als sie an die Lände stießen, löste sich das Band der Ruten, und von dem zerfallenden Fahrzeug schwang Sigenot mit der Stange sich ans Ufer. Schwer atmend richtete er sich auf und ließ die Stange fallen. Die kalkweißen Züge seines Gesichtes waren wie versteinert; langsam hob er die Arme, und seine Fäuste ballend, blickte er mit brennenden Augen über die öde Stätte der Verwüstung. Die bleichen Lippen rührten sich, als vermöchte er nur mühsam die Sprache zu finden ... dann quoll es aus seiner keuchenden Brust, Wort um Wort: „Jetzt hab’ ich ausgesorgt um Mutter und Schwester ... jetzt banget mich nimmer um Glück und Lieb’ ... jetzt steh’ ich allein für mich ... jetzt will ich raiten mit allen, die mir gelogen haben und die Treu’ gebrochen!“

Erschrocken wich die Magd vor ihm zurück, denn sie dachte des Augenblicks, in dem sie vor dem rollenden Wasser geflohen war und in verzweifelter Todesfurcht das Haus und seine Herrin treulos verlassen hatte.

Durch die trüben Pfützen, über alle Trümmer hinweg, schritt er dem Kreuz entgegen, während die Magd entfloh. Mit geballten Fäusten stand er vor dem grauen Balken und sprach ihn an, als hätte er einen Feind vor sich, der ihn hören, mit dem er rechten könnte in Worten. „Ich hab’ gehangen an Dir in Treu’ und Glauben! Mein Alles hab’ ich gestellt auf Deine Händ’. Derweil Dir alle feind gewesen, hab’ ich mein Knie gebeugt, hab’ meine Freiheit hingelegt vor Deine Füß’ und hab’ gerufen zu Dir: Mein guter Herre, Du mein Gott! ... Und Du? Und Du? Ich will nicht raiten mit Dir um meine Mutter: sie hat nicht gerufen, nicht gefragt nach Dir – wer Treu’ nicht giebt, kann Treu’ auch nimmer heischen. Ich darf nicht raiten um mein Glück: ich selber hab’s verrufen und geschmäht und hab’ das Wasser und die Berg’ geworfen zwischen meine Lieb’ und mich. Ich rait’ nicht um dieselbig’, die den Tod gefunden in der Lieb’ zu mir ...“ Der Klang seiner Stimme riß, und mühsam rang er nach Worten. „Sie hätt’ verdient, zu leben ... stark und mutig ist sie gewesen, rechtlich an Sinn und Herz, schön und lichtscheinig wie die Sonn’ am Tag, und treu ... treu ... so, wie Du untreu bist! Aber sie ist ihres Vaters Blut gewesen ... und Wazemanns Haus hat wider Dich gestanden. Haß wider Haß, das muß ich gelten lassen! Aber hörst nicht, Du ... es heißt auch. Treu’ um Treu’!“ Mit beiden Fäusten faßte er den Stamm des Kreuzes und rüttelte an dem Holz. „So sag’ mir, Du ... sag’ mir, wo die Schwester ist! Auf ihr hat nimmer Fehl und Schuld gelegen! Wie das Lamm vor dem Schäfer ist sie gestanden vor Dir und hat vertraut auf Deine Hut! Hat gehoffet auf Dich in gläubiger Treu’! Und Du? Und Du? Stark bist Du, stärker als tausend Männer in Wehr und Eisen! Kannst ja die Berg’ werfen und die tiefsten Wasser heben! – und das einzig’ schuldlose Leben hast nicht lösen mögen aus der Not! Wo ist denn Deine Treu’, von der mir derselbig’ im Lokiwald gelogen hat? So red’ doch: wo ist denn Deine Treu’? Hast gar kein Wort? So red’ doch, red' ... wir raiten miteinander! Und wenn Du meinst, daß fallen muß, was treu und schuldlos ist ... so sag’ ich Dir: es soll auch nimmer stehen, was ich untreu find’!“ Mit erhobenen Armen, mit der ganzen Wucht seines Körpers warf er sich gegen den Balken. In der Erde knirschten die Pflöcke, der Grund begann sich zu heben und langsam neigte sich das Kreuz. Fast lautlos fiel es auf den mit Schlamm bedeckten Hang des Hügels.

Unter tiefem Atemzug drückte Sigenot die zitternden Fäuste auf seine Brust, als wäre ihm wohler geworden, als hätte in seinem Herzen ein Tropfen Balsam den Schmerz der klaffenden Wunde gelindert. „Du liegst! Und jetzt zu Deinem Knecht im Lokiwald!“ Er wandte sich gegen die Ache. Doch wenige Schritte nur that er, dann stand er wie gelähmt, an Leib und Seele befallen von allen Schauern eines Schrecks, so jeden Nerv durchzuckend und so furchtbar, wie er ihn auch in der Stunde nicht empfunden hatte, als die Berge stürzten und den Tod durch die Lüfte warfen, als die Erde sich öffnete und alles Leben verschlang. Mit entgeisterten Augen sah er, was ihm erscheinen mußte wie ein Wunder, welches der starke Gott in diesem Augenblick gewirkt, um an dem Zweifler, der mit ihm gerechtet, auch seine Treue zu erweisen. Von der Ache her, zwischen dem verwüsteten Hügel und dem Wirrsal der Trümmer und gestürzten Bäume, kam langsamen Schrittes ein junges Paar gegangen, zwei stille blasse Menschenkinder, welche zu wandeln schienen wie im Traum. Wange an Wange gelehnt, hielten sie sich umschlungen, als müßte eines das andere stützen. Sigenots Hände griffen ins Leere. Er sah die Schwester und wandte die Augen von ihr – er sah das liegende Kreuz und streckte die Arme. Was er fühlte, erschütterte ihn an Herz und Gliedern wie ein Sturm den Baum. Stöhnend schlug er die Fäuste an seine Brust. „Ich ... ich ... ich selber bin der Untreu’!“ Und mit einem herzzerreißenden Schrei warf er sich über die Balken des Kreuzes ...

Hinter den Bergen der Reginalbe stieg die Sonne empor. Weithin über das verwüstete Thal, in welchem die sinkenden Bäche schon leiser rauschten, flutete der warme Glanz. In den mit Schlamm bedeckten und versumpften Gründen der Thäler weckte die steigende Wärme den Nebel wie nach schwerem Regen. Ueberall kräuselten sich die weißen Wölklein über den Wust der Trümmer empor, von der Sonne durchleuchtet – wie Bilder menschlicher Hoffnung, welche nach aller Nacht und Kälte des Lebens doch immer wieder die Heimstatt des Lichtes und der Wärme sucht.

Aus dem Thal der Ramsauer Ache, in welchem der breite Strom der Gewässer schon gesunken war und zu versiegen begann, dampften die zarten Nebel langsam über den Lokiwald. Zwischen den gebrochenen Bäumen suchte Eberwein einen Ausweg nach den Halden der Strub, das schlummernde Kind auf seinen Armen. Jeden Schritt mußte er mühsam erkämpfen. Die rastlose Sorge, mit welcher er das Gesichtchen des Kindes vor dem schlagenden Gezweig und den stachligen Aesten zu bewahren suchte, erfüllte ihn so sehr, daß die Bilder all seines anderen Kummers nur verschwommen in ihm auftauchten, obwohl die Zerstörung rings um seine Füße gebreitet lag. Tote Vögel sah er im Gezweige hängen, und an Wildleichen führte sein Weg vorüber. Unter einem mächtigen Baumstamm lag ein erschlagener Bär mit zerzaustem Fell und gebrochenen Zähnen im klaffenden Gebiß – der braune Honigfreund, welcher mitgeholfen an Bruder Wampos „Wunder“.

Der Wald und seine Trümmer gingen zu Ende, und eine menschliche Stimme schlug an Eberweins Ohr. Er schrie, begann zu laufen und erreichte das Thal der Ramsauer Ache. Der erste Blick, den er über die verschlammten Gehänge warf, weckte in ihm wieder alle Greuel des vergangenen Tages. Am Rande des tief gesunkenen Wassers näherten sich zwei Menschen, welche im Schlamm nach verlorenem Gut zu suchen schienen, ein Greis und ein Weib mit gelösten Haaren. Eberwein rief die beiden an, und kaum hatte das Weib ihn gewahrt, so kam es schon mit gellendem Freudenschrei und gestreckten Händen auf ihn zugerannt, riß ihm das Kind aus den Armen und eilte mit ihrem wiedergefundenen Kleinod davon – wie in wahnsinniger Angst, als wäre Eberwein nicht der Retter, sondern der Räuber des Kindes.

Der Alte blieb stehen, Zähren auf den runzligen Wangen, und blickte dem fliehenden Weibe nach. Eberwein erkannte ihn; es war ein Ramsauer Bauer, der mit dem alten Runot zur Windach [483] gekommen war, um nach Hiltischalk und Hiltidiu zu suchen. „Herr?“ fragte der Greis mit müder Stimme. „Hast Du das Kind aus der Flut gehoben? So mußt Du der Mutter auch verzeihen, daß sie den Dank vergessen hat. Drei Kinder hat ihr das Wasser genommen ... und nur ein einziges hat sie lebend wiedergefunden. Die anderen zwei, die liegen sell draußen im Schapbacher Wald ...“

Während Eberwein schweigend stand, von tiefer Bewegung erfüllt, sprach der Alte mit langsamen Worten von der Verwüstung, welche die jäh erscheinende Sturzflut im Thal der Ramsau angerichtet. „An die zwanzig Häuser liegen, das Pfarrhaus auch, und die Kirch’ dazu ... und viel Leut’, Herr, viel Leut’ gehen ab. Mein ältester Bub’ ist auch dabei, sein Weib und alle fünf Kinder ... sieben Leut’ auf einmal!“ Die Stimme des Alten zitterte. „Da käm’ ich wohl nimmer drüber weg, wenn ich nicht sagen müßt wie Bruder Hiltischalk: giebt der liebe Gott mit der einen Hand, so wird er wohl mit der anderen auch nehmen dürfen! Wohl wohl ... ich hab’ um den frommen Bruder recht getrauert, aber schau, Herr, dem hat’s der liebe Gott gar gut vermeint, daß er ihn die heutige Not hat nimmer schauen lassen! ... Jetzt muß ich aber gehen – schau’ nur, wie die unsinnige Mutter noch allweil rennt ... sie wird doch an keinen Baum hinlaufen! Am End’ fallt sie gar noch mit dem Kind in eine Grub’!“ Mit lauter Stimme rief er: „He, Du! So halt’ doch ein lützel!“ und eilte, so schnell ihn seine alten Knie trugen, dem Weibe nach.

Eberwein stand mit nassen Augen. „Bruder Hiltischalk! Wo Dein verlorenes Grab auch immer liegen mag, unter Fluten oder Felsen, es verlanget nach keinem Kreuzlein und ehrenden Zeichen! Im Herzen dieses Christen sah ich Dein Denkmal stehen!“

Weit über das Thal her, von den grauen Halden der Schönau, tönte ein Gewirr von Stimmen. Freudig erschrocken lauschte Eberwein. „Dort leben noch Menschen!“ In Hast stieg er nieder über das schlammige Gehäng. Seine Augen spähten nach einer Stelle, an welcher er den sinkenden Strom der Gewässer übersetzen könnte. Ueber Felsblöcke und angestaute Bäume springend, gewann er das andere Ufer und eilte über den Waldhang empor, daß ihm der Atem fast verging. Zwischen verwüsteten Büschen sah er schon die steinernen Schollen liegen, welche wie Hagel aus den Lüften gefallen. Seine Schritte beflügelnd, erreichte er einen zerstörten Hag, in dessen Mitte ein Felsblock lag, von der Größe eines Hauses; doch er hörte keinen Laut des Jammers, nur den Hall eines emsig schlagenden Beils und eine freudige Knabenstimme: „Ja schau’ doch, Gobl-Aehni, schau’, da kommt der Herr, der gute Herr!“

Die Schläge verstummten nicht, als hätte der fleißig Schaffende kein Ohr. Durch eine Lücke des Hages sah Eberwein den Greis bei der Arbeit stehen: nackten Leibes, die Hüfte von einem Lumpen umwunden, schwang er das Beil mit der Kraft und dem Eifer eines Jünglings. Nicht weit von dem Alten, beim zerfallenen Hagthor, saß Huze in der warmen Sonne, die wunden Füße von grauen Fetzen klumpig umwickelt. Und an der Seite des Knaben kauerte, lächelnd und stillvergnügt, das kleine Dirnlein aus dem Schapbacher Wald. Beim Anblick des Mönches richtete Huze sich auf und versuchte in heller Freude ein paar hinkende Schritte; doch Eberwein eilte dem Knaben entgegen und umschlang ihn, keines Wortes mächtig. „Gelt, Herre, gelt?“ lächelte der Bub’ zu ihm auf. „Was sagst: was der liebe Vater im Himmel alles an mir gethan hat! Schau’ nur den Aehni an! Wie er schaffet an unserem neuen Haus! Du! Wie der mich lieb hat! Und alles, alles hat der Vater sell droben gemacht! So gut, wie der ist, so gut ist keiner mehr!“

Eberwein konnte sich der Thränen nicht erwehren. „Mein Kind! Ich danke Dir für dieses Wort!“

Mit großen Augen schaute der Bub’ ihn an. „Danken! Ja warum denn, Herre? Es ist ja Dein eigen Wort! Hast es mich ja selber gelehret, in Wazemanns Bußloch: so gut wie der Vater im Himmel, so gut ist keiner mehr!“

„So gut ist keiner mehr!“ klang es leise von den Lippen des Mönches, während seine Blicke über alles Elend schweiften, das ihn umgab, und hinausirrten über die verwüsteten Halden. Tief atmend strich er mit den Händen über das struppige Haar des Knaben, sah ihm in die leuchtenden Augen und flüsterte: „Werdet wie die Kinder!“

Das Beil in der Faust, kam der alte Gobl zum Thor. „Ich grüß’ Dich, Herr! Und schau’, ich sag’s gleich selber. Du hast recht gehabt! Mein Apfelbaum ist hin, nacket steh’ ich da ... aber all’weil’ freut mich das Leben wieder!“ Er faßte die Hand des Knaben, der ihm mit mühseligen Schrittlein entgegenhumpelte, und zog ihn zärtlich an sich. „Was sagst, Herr, wie der Bub’ sich macht! Und so viel gleicht er meiner lieben Dirn’ ... die ganzen Augen hat er von ihr, und ich mein’ wohl, das gute Herzl auch!“ Er hob das Kinn des Knaben und lachte ihn an. In stummer Bewegung blickte Eberwein auf diese beiden Menschen: das Alter in nackter Not, die Jugend in Schmerz und Wunden – und dennoch in den Augen beider die lachende Freude des Lebens.

Dumpfe Stimmen, von einem Windhauch über die Halden hergetragen, unterbrachen die Stille. Lauschend hob Eberwein den Kopf und strich mit der Hand über die verträumten Augen.

„Lus’ nur, Herr!“ sagte der Greis, und seine Stimme wurde scheu und leise. „Es haben nicht alle Leut’ den schiechen Tag so gut überstanden wie mein Bub’ und ich. Die Leut’ sind gefallen wie die Fliegen im Frost. Sell drüben schleppen sie die Toten auf ein Häufl ... einer von Deinen Gottesleuten ist auch dabei.“

Was der Alte noch weiter sagte, hörte Eberwein nicht mehr. Bleich bis in die Lippen, hatte er sich abgewandt und eilte dem verschwommenen Hall der Stimmen entgegen. Immer näher klang das Gesumm der Stimmen, und endlich gewahrte er auf freiem Feld einen schwärzlichen Menschenhaufen. Langsam glitten die Gestalten durcheinander, die einen gingen, andere kamen paarweis’ und trugen auf Stangen eine regungslose Last herbei.

Die Leute erblickten den Mönch, und das dumpfe Gesumm der Stimmen erlosch. In der dunklen Schar sah Eberwein plötzlich all’ die weißen Gesichter. Einige Männer und Weiber schienen willens, ihm entgegenzulaufen; auf halbem Weg aber hielteu sie inne und standen regungslos. Auch Eberweins Schritte stockten: ihn befiel die Ahnung dessen, was er sehen sollte. Doch nur einen Augenblick versagten ihm die Kräfte. Bleich, mit kämpfendem Atem, eilte er den Harrenden entgegen. Kein lautes Wort vernahm er, kaum einen schluchzenden Laut. Doch hundert Arme streckten sich ihm entgegen in flehendem Jammer, als wäre bei ihm die Hilfe, bei ihm der Trost. Hundert Augen, gerötet von Staub und Weinen, hingen an seinen Lippen, als könnte ein einziges Wort des gottgeweihten Mannes alle Schmerzen lösen. Die Männer faßten nach seinen Händen, die Weiber griffen nach seinem Kleid und hoben ihm ihre Kinder entgegen, als läge im Blick seiner Augen die Kraft, zu feien wider alle Not und Gefahr.

Wortlos, erschüttert in jedem Nerv seines Lebens, stand Eberwein inmitten dieses namenlosen Jammers – zum erstenmal im Kreise seiner Gemeinde!

(Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.



Das Haus Fritz Reuters. Fast zwanzig Jahre nach ihrem Gatten ist am 9. Juni Luise Reuter, die Witwe Fritz Reuters, zur ewigen Ruhe eingegangen. „Sie hat im Leben Liebe gesät, sie soll im Tode Liebe ernten“, so lautet die Grabschrift, die ihr Fritz Reuter selbst einmal in schmerzlich bewegter Stunde bestimmte, und schöner hätte ihres Daseins Inhalt nicht umschrieben werden können. Wie sie zu Lebzeiten ihres Mannes dessen treueste und hingebendste Pflegerin war, so blieb sie nach seinem Tod die edle nimmermüde Wohlthäterin der Armen und Bedrückten. Ein hochherziger und zugleich überaus sinniger Gedanke war es, daß sie ihr Haus testamentarisch der Deutschen Schillerstiftung überwies. Das Heim, das eines Dichters Feder gegründet, sollte für alle Zeiten Deutschlands Dichtern gehören, das ist die schöne Bedeutung dieses Vermächtnisses.

Für Fritz Reuter war es eine große Freude, daß die Erfolge seiner Schriften ihm den Bau dieses Hauses ermöglichten. Die „Gartenlaube“ hat vor einigen Jahren (1890) Briefe des Dichters veröffentlicht, aus denen hervorgeht, mit welcher Wärme und innerer Genugthuung er den Bau seines Hauses in Eisenach betrieb. „Wir träumen hier allerlei Idyllen,“ schreibt er am 11. September 1866 an seinen vertrauten Freund Fritz Peters, „denn unser Hausbau hat insofern begonnen, als wir dabei sind, die Felsen, die im Wege liegen, zu sprengen, was viel Arbeit, aber auch Baumaterial schafft. Den Plan zu dem Hause habe ich mir von dem Professor Bohnstedt, einem Architekten aus Petersburg, machen lassen, sehr zur Zufriedenheit.“ In ausführlicher Schilderung entwickelt er dem Freunde dann diesen Plan bis in die kleinsten Einzelheiten hinein, um befriedigt zu dem Schlusse zu kommen: „Du siehst, es kann hübsch werden, und da ich – Gott sei Dank – noch immer Glück mit meiner Schreiberei habe, so werde ich auch mit dem Kostenpunkt fertig werden, ohne genötigt zu sein, von meinen angelegten Geldern etwas aufzunehmen.“ Freilich, auch die Leiden und Sorgen eines Bauherrn blieben Reuter nicht erspart, und gerade die Kostenfrage stellte sich nicht so glatt, wie er es anfangs geglaubt. [484] Anderthalb Monate später, am 28. Oktober 1866, klagt er: „Mit dem erneuten und erhöhten Kostenanschlage unseres künftigen Hauses hat der Teufel uns ein neues Basiliskenei ins Nest gelegt. Das geht mir denn doch etwas über den Kreidstock! Aber was thun? Die nötigen Sprengarbeiten sind gemacht, die Grundmauern sind fertig, der Großherzog hat infolge der Einsicht in den Plan und in die Fassade mir das Versprechen der Anlage eines schönen Weges zu meinem Hause gegeben: soll ich nun die ganze Geschichte umstoßen, anders bauen? schlechter? kleiner? – Schlecht will ich nicht bauen, es soll nicht heißen, daß ich ein liederlich Gebäude nach meinem Tode in der Welt zurückgelassen habe, kleiner auch nicht, ich will nicht wieder in solchem kleinen Kasten mich halbtot räuchern. Also es wird nichts helfen, ich werde in den sauren Apfel beißen müssen.“

Nun, die siegreiche Gewalt von Reuters Dichtergenius hat dafür gesorgt, daß das Opfer nicht allzu schwer wurde; als ein stattlicher und doch behaglicher Bau ist die „Villa Reuter“ vollendet worden. In welcher Weise die „Deutsche Schillerstiftung“ das ihr zugefallene Vermächtnis praktisch verwerten wird, ist zur Stunde noch nicht bekannt. Am schönsten wäre es, wenn Fritz Reuters Haus auch für die Zukunft ein „Dichterheim“ bleiben dürfte.

Vom XI. deutschen Bundesschießen in Mainz. (Zu dem Bilde S. 473.) Es gab eine Zeit, wo den deutschen Schützenfesten, ebenso wie den Turner- und Sängerfesten, eine hohe politische Bedeutung zukam. Sie waren Feiertage des nationalen Gedankens, der nach einem Ausdruck rang, da die politische Gestaltung Deutschlands so weit davon entfernt war, dem patriotischen Empfinden Befriedigung zu gewähren. Auf diesen Festen durfte sich die vaterländische Gesinnung, die sonst unter dem Drucke vieler unerfüllter Wünsche litt, voll ausleben, und das Ergebnis war nicht bloß ein schnell verrauschender Taumel der Begeisterung, sondern eine mächtig fortwirkende Stärkung des Gemeingefühls, in dem sich alle Brüder deutscher Zunge zusammenschlossen. So wurde auf diesen Schützen-, Turner- und Sängertagen ein Stück Vorarbeit für das große Einigungswerk geleistet.

Ein Gruß vom Mainzer Schützenfest.

Heute, da das Werk vollbracht ist, haben diese Feste einen Teil ihrer Bedeutung abgestreift. Aber ein Hauch des alten Geistes ist ihnen doch geblieben, ein Abglanz jener Poesie, welche in den Tagen des nationalen Ringens sie verklärte. Und ein Umstand ist es, der diesem Glanze immer wieder Nahrung giebt: diesen Festen strömen auch solche Deutsche zu, die nicht im Reichsverbande stehen. Oesterreicher, Schweizer, ja sogar Deutschamerikaner finden sich ein, und aus den Berichten leuchtet stets hervor, daß diese Gäste mit besonderem Jubel empfangen wurden.

Die deutschen Bundesschießen nahmen ihren Anfang mit jenem großen deutschen Schützen- und Turnfest zu Gotha 1861, das in der nationalen Bewegung jener Tage eine so bedeutsame Rolle spielte. 1863 folgte das Bundesschießen zu Frankfurt a. M., 1865 das zu Bremen, dann nach längerer Pause 1872 eines in Hannover. Von nun ab wiederholte sich das Fest in regelmäßigen Fristen von 3 zu 3 Jahren, Stuttgart, Düsseldorf, München, Leipzig, Frankfurt a. M., Berlin bildeten die Feststädte.

Das XI. deutsche Bundesschießen wurde, nach einem ausnahmsweise vier Jahre dauernden Zwischenraum, in den Tagen vom 16. bis 24. Juni in Mainz abgehalten. Das Hauptstück der Festlichkeiten bildete ein großer historischer Festzug, dessen Grundgedanke der war, eine Anzahl voll Bildern aus der reichen Vergangenheit der Stadt Mainz zur Anschauung zu bringen. Historische Gruppen wechselten mit solchen mehr allegorischer Art, dazwischen waren die Schützen selbst nach Landes- oder Stadtverbänden eingeordnet. Eine der prächtigsten Gruppen, die dritte in der Reihe, hat unser Zeichner herausgegriffen. Sie ist Arnold Walpod gewidmet, dem Gründer des Rheinischen Städtebundes (1254), dem Mainz eine Zeit großer Blüte und glänzender Machtstellung verdankt. Im Hintergrunde des Bildes zeigt sich der altehrwürdige Mainzer Dom, der sich, wie die ganze Stadt, zu Ehren des Festes in lustigen Flaggenschmuck gehüllt hat.

Wie herkömmlich, war für Volksbelustigung aller Art auch auf dem Mainzer Festplatz jenseit der herrlichen „Neuen Anlagen“ kein Mangel, und fast unendlich die Menge der „trinkbaren“ Gelegenheiten. Eine dieser letzteren zeichnete sich durch besonders groteske Form aus. Es war ein Riesenelefant, auf dem ein Turm von mehreren Stockwerken ruhte, gekrönt mit einer stattlichen Champagnerflasche. Das 37 Meter hohe seltsame Bauwerk hatte eine Schaumweinfabrik auf den Platz stellen lassen und verschenkte darin ihren Sekt.

Die Großmutter. (Zu dem Bilde S. 469.) Der Maler Max Liebermann zahlt zu den entschiedensten Vertretern der modernen Richtung in der Malerei, die nichts als die Wahrheit, die wirkliche thatsächliche Wahrheit zur Darstellung bringen will, die allem Zurechtgemachten, Glatten, Einschmeichelnden abhold ist. Als er, fünfundzwanzigjährig, 1874 zum erstenmal in Berlin mit einem Bilde dieser Art auftrat, seinen „Gänserupferinnen“, da erkannte man wohl das hervorragende Talent, aber die häßlichen alten Weiber erregten schwere Mißbilligung. Seither haben sich die allgemeinen Anschauungen von Kunst etwas geändert: in Paris und Brüssel preist man Liebermann als einen der ersten Meister der Gegenwart, in München und Berlin haben ihm die Preisrichter Medaillen zugesprochen und eine große Schar von deutschen Künstlern und Kunstschriftstellern folgt seiner Fahne. Max Liebermann hat trotz der angedeuteten künstlerischen Ueberzeugung die Grenzen des Würdigen stets einzuhalten verstanden. Der Grundsatz der Wahrheit verwandelt sich bei ihm nicht in die Verpflichtung zum Schmutz. Er ist der Maler der Armen, der Mühseligen und Beladenen, des Dorflebens, wie sein großes französisches Vorbild, François Millet, mit dem ihn die Malerkolonie zu Barbison im Walde von Fontainebleau zusammengeführt hat. Als eine Probe der Liebermannschen Art legen wir heute unsern Lesern das Bild der alten Großmutter vor. Wohl fehlt ihm zur vollen Wirkung die Farbe, aber die Grundzüge der oben geschilderten künstlerischen Richtung lassen sich auch im Holzschnitt erkennen.

Ein unbändiges Reitpferd. (Zu dem Bilde S. 477.) Der Sprung ist gelungen und der Leopard sitzt fest auf dem Rücken des afrikanischen Zebras … Ein Stöhnen, ein wildes Aufbäumen – und fort geht es in toller Jagd durch die savannenartige Hügellandschaft! Wie wird der Ritt enden? Sicher wie der des „Wüstenkönigs“ auf dem Rücken der „Seraphe“, der Lieblichen, den Freiligrath so ergreifend besungen! Wer das denkt, der kennt nicht das Zebra, das stolze mutige Roß afrikanischer Steppen und Bergeshöhen. Es weiß sich zu wehren, und selbst in dem gefährlichen Augenblicke, den uns das treffliche Bild von Alb. Kull vorführt, brauchen wir es nicht verloren zu geben. Noch ein paar gewaltige Sätze, dann wird in dem Hengste der Selbsterhaltungstrieb erwachen, er wird zu Boden stürzen und den siechen Räuber abwälzen; dann wird der Abgeschüttelte unliebsame Bekanntschaft mit den Hufen des Steppensohnes machen und mit blutigem Maule sich trollen müssen. Kämpfe zwischen Zebras und Leoparden haben oft diese Wendung genommen.*      

In der Ramsau. (Zu dem Bilde S. 481.) Die großartigen Naturschönheiten der Ramsau, jenes Thales, das von Berchtesgaden gegen den Hintersee sich hinaufzieht, haben schon viele begeisterte Lobredner gefunden. Unsern Lesern sind sie durch die unvergleichlichen Schilderungen in Ludwig Ganghofers „Martinsklause“ gerade gegenwärtig besonders nahe gerückt. Den Worten des Dichters fügen wir heute das Bild des Malers hinzu. Hat auch die neuzeitliche Kultur, die mit ihren Kunststraßen auch in diese weltentlegenen Winkel eindrang, die ursprüngliche Wildheit in manchen Stücken gemildert, so ist doch noch genug von dem alten Gepräge übrig geblieben. Auch unser Bild führt uns an eine Stelle, die in keinem Stücke die Spuren der glättenden Kultur verrät, und nichts hindert die Phantasie, sich beim Beschauen dieses Blattes hinaufzuträumen in die Tage, da Eberwein die Martinsklause gründete.



Inhalt: Die Brüder. Roman von Klaus Zehren (1. Fortsetzung). S. 469. – Die Großmutter. Bild. S. 469. – Vom XI. deutschen Bundesschießen zu Mainz. Bild. S. 473. – Aus dem Lande der Kanäle. Von Herbert Franz. S. 474. – Ballhäuser und Spielhallen. S. 475. Mit Abbildungen S. 476. – Die Martinsklause. Roman aus dem 12. Jahrhundert. Von Ludwig Ganghofer (27. Fortsetzung). S. 477. – Bergzebra, von einem Leoparden überfallen. Bild. S. 477. – In der Ramsau. Bild. S. 481. – Blätter und Blüten: Das Haus Fritz Reuters. S. 483. – Vom XI. deutschen Bundesschießen zu Mainz. S. 484. (Zu den Bildern S. 473 und 484.) – Die Großmutter. S. 484. (Zu dem Bilde S. 469.) – Ein unbändiges Reitpferd. S. 484. (Zu dem Bilde S. 477.) – In der Ramsau. S. 484. (Zu dem Bilde S. 481.)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig