Die Glashütte am Schliersee
Aus Deutschlands Industriewerkstätten.
Von Arthur Achleitner. Mit Abbildungen von Alois Eckardt.
Die Pforte zu dem Paradies bildet das reizend gelegene Dörfchen Schliersee oder Schliers, wo die Eisenbahn endet und das sauber gehaltene Sträßlein vorüber am schwach gekräuselten See bergeinwärts führt. Tausende und Abertausende pilgern den Weg zu Füßen des Hohenwaldeck, den Blick auf die herrlichen Bergspitzen des Jägerkamp und der Brecherspitze gerichtet. Was jenseit des Wassers liegt, kümmert die eiligen Wanderer weniger, kaum ein achtloser Blick fliegt hinüber, wo der Freudenberg tannenumfangen sein Haupt erhebt. Jetzt steht ein Hotel auf dem Hügel, in nichts daran erinnernd, daß der Ritter von Hohenwaldeck zum Gedächtniß an seine bewaffnete Pilgerfahrt nach Jerusalem und sein Verweilen auf „Neby Samuel“, von wo er die Heilige Stadt erblickte, den Hügel mit dem Thurme in der trauten Heimath „Freudenberg“ genannt hatte. Später freilich war der Berg für ihn kein Berg der Freude mehr, bösen Einflüsterungen folgend, glaubte der Ritter an die Untreue seiner Gemahlin, warf sie, mit dem Freunde in den Thurm, wo die Opfer seines Jähzornes elend verhungerten. Kein Stein von diesem Thurme ist mehr zu finden. Vorbei ist die Zeit des Ritterthumes! Dafür erstand auf altgeschichtlichem Boden eine Pflegstätte emsiger Arbeit, gewerblichen Fleißes. An der Buchtung des westlichen Seeufers, verdeckt durch den Freudenberg und den Rücken des Schwaigerötz, liegt idyllisch eingebettet eine Glashütte, deren Erzeugnisse sich einen guten Platz auf dem Weltmarkt erobert haben. Angelehnt an den saftgrünen Bergrücken, umrahmt von Fels und See, liegt die Hütte da, nachbarlich umgeben von den sauberen Arbeiterhäusern, überragt von des Besitzers Wohnhaus, aus dessen selbsterzeugten Fenstern man hinüberblickt auf die Stätte, wo einst die stolze Burg und Feste Hohenwaldeck die Grafschaft beherrschte. Dem Holzüberfluß und der Schwierigkeit, den Holzreichthum nutzbringend hinaus in das Flachland zu schaffen, verdankt die Glashütte am Schliersee ihre Gründung, während ihre Entwicklung zur ersten Hütte in Deutschland, welche Antikglas fabrizierte, in den Anfang der siebziger Jahre fällt.
Die Erzeugung des Antikglases, d. h. in verschiedenen Farben und Tönen schattierter Tafeln für die Glasmaler, gewann große Bedeutung, als in den glücklichen Zeiten Ludwigs I. von Bayern die Glasmalerei wieder zu herrlicher Blüthe erstand. Zu Benediktbeuern und Wolfratshausen gelang es zwar, zur Glasmalerei brauchbares Glas herzustellen, doch waren die Ksten zu groß; man mußte deshalb das nöthige Glas aus Frankreich und Belgien beziehen, bis sich die englischen Hütten den Weltmarkt eroberten. Als 1853 die Wolfratshausener Glashütte einging, bestand in Deutschland keine Fabrik mehr, welche Antikglas fertigte.
Aber der Aufschwung der Glasmalerei machte die Fabrikation eines brauchbaren deutschen [655] Glases immer nothwendiger, und so veranlaßte der Besitzer der Münchener königl. Glasmalerei, F. X. Zettler, die Glashütte in Schliersee, sich der Erzeugung des Antikglases nach englischer Art anzunehmen. Nach vielen Opfern und Mühen gelang es denn auch dort, ein Antikglas herzustellen, das in Bezug auf die Verschiedenartigkeit der Farben und der Textur, und namentlich in der Hauptsache, der Schattierung der Farben vom Hellen ins Dunkle bei jeder Tafel, dem englischen vollkommen die Wage hielt. Zettler sowohl als die Mayersche Kunstanstalt in München bedienen sich nur noch des Schlierseer Antikglases und haben das englische ganz aufgegeben.
Treten wir in die Hütte! Die Glasmacher sind, wie unser Vollbild zeigt, in vollster Thätigkeit, und wir erkennen alsbald, daß hier die verschiedensten Arten von Glaswaren hergestellt werden. In dreizehn Häfen brodelt, kunstgerecht gemischt, das flüssige Glas, grell beleuchtet der Feuerschein der Ofenluken den mächtigen Raum. Man sieht den flach kuppelförmig gewölbten Glasofen, der an seinem Umfang mit Arbeitsthüren versehen ist. Hinter diesen stehen die erwähnten Glashäfen – Schmelzgefäße von sehr feuerbeständigem Thone – deren Inhalt von einer rings um den Ofen laufenden Holzbühne aus mittels der Blasepfeifen leicht zu erreichen ist. Das wichtigste Werkzeug des Glasbläsers, die Pfeife, ist auf dem Bilde mehrfach in Anwendung zu sehen. Sie besteht aus einem Eisenrohr, das mit hölzerner Handhabe umkleidet ist. Wassertröge von ausgehöhlten Baumstämmen dienen zugleich zum Abkühlen des heißgewordenen Pfeifenendes und zum Absprengen des Glases von demselben.
Im Mittelgrund des Bildes nimmt einer der Glasbläser mit der Pfeife genau die vorgeschriebene Menge der flüssigen rothglühenden Masse aus dem Hafen, andere haben bereits begonnen, sie aufzublasen, der Eintragbube unten wartet mit langgestielter Gabel auf Arbeit. Vorn sind zwei Männer beschäftigt, einer bereits weit aufgeblasenen Hohlkugel die gewünschte Form zu geben. Handelt es sich um Antikglas, so wird die Kugel zur Walze gestaltet, hernach auf einer Seite der Länge nach aufgesprengt und im Streckofen zur Tafel gestreckt.
Antikglas wird in vielen Farben massiv in der Masse gefärbt; außerdem aber stellt man sogenannte Ueberfanggläser her in bestimmter Farbenzusammensetzung, so daß der Glasmaler nach Wunsch den Ueberfang durch Flußspathsäure wegätzen und diejenige Farbe im Glase hervortreten lassen kann, die er braucht.
Schreiten wir, der Hitze nicht achtend, weiter! Wir treffen zwei Arbeiter, welche mit der Anfertigung von Flaschen beschäftigt sind. Nachdem der auf der Bühne stehende Glasbläser die flüssige Masse bis zur passenden Größe aufgeblasen hat, hält sein Gehilfe eine aufklappbare, meistens metallene Form in Bereitschaft, welche eine Höhlung bildet, die der äußeren Form der herzustellenden Flasche entspricht. In diese Form wird die flüssige Glasmasse eingeführt und durch weiteres Blasen an die Wände der Form gepreßt, deren Gestalt sie nun annimmt. Ist das Glas hinreichend erstarrt, so wird die Form zurückgeklappt, und die Flasche steht der Hauptform nach fertig vor uns.
Interessant zu beobachten ist die Entstehung der farbigen Wasserkrüge. Wortlos erledigen die emsig arbeitenden Gesellen ihre vielen Handgriffe. Wie Irrlichter zucken die glühenden Glaskölbel im dunklen Raume auf, und ehe man nur recht Nachsehen kann, ist die glühende Masse schon ein fertiger Krug. Mit verblüffender Geschwindigkeit und Sicherheit geht das alles in wenigen Minuten vor sich: der Arbeiter bläst den fertigen Glasposten in die Holz- oder Eisenform, dann wird der Boden mit dem Hefteisen geheftet, der Hals knapp bei der Pfeife abgesprengt. Den frisch angewärmten, weichen Hals treibt der Glasmacher auf dem Stuhle mittels des Auftreibeisens auf und bringt das zierende Glasringel mit der Ringelschere an. Und nochmals wird der Hals erwärmt: ein Druck, und die rinnenförmige Ausgußmündung ist fertig. Unterdessen hat der Gehilfe an einem anderen Hefteisen eine genügende Menge Glas aufgenommen und an der Marbelplatte zu einem langen, massiven Stengel geformt, der für den Henkel bestimmt ist. Wenige Handgriffe, und von den beiden Enden des weichen Stengels ist das eine am Halsrand, das andere am Mittelkörper der Karaffe angedrückt und fest angeschmolzen, wobei der Meister dem so gebildeten Henkel die nöthige Schweifung giebt. Das ist alles viel schneller geschehen, als hier erzählt.
Es würde zu weit führen, wollten wir alle Fabrikationszweige des näheren schildern; doch müssen wir die Gefäße, welche wir in der Hütte haben entstehen sehen, noch etwas weiter auf ihrem Wege verfolgen.
Sind die einzelnen Stücke fertig geblasen, geformt und im Kühlofen abgekühlt, so wandern sie in die Schleiferei.
Der muntere Bergbach treibt in unermüdlichem Frondienst die Räder, die seine Kraft auf dünne Solnhofener Steinplatten von Scheibenform übertragen; sehr feiner Sand fließt aus einem Trichter auf die sich drehende Scheibe, die dem dagegen gehaltenen Glase den gewünschten Schliff geben muß. Da werden die Flaschenränder geglättet oder mannigfaltige Zierate angebracht. Unter der Scheibe befindet sich ein hölzerner Bottich, welcher den Sand auffängt und aus welchem der ausgelaufene Trichter wieder aufgefüllt wird.
Und nun sind wir am Ende. Bald wandern die fertigen Krüge, Flaschen und Gläser hinaus in die Welt, manch kühlenden Trunk den Durstigen zu spenden. Der undankbare Mensch freilich vergißt meist über dem, was er trinkt, des Gefäßes, aus dem er trinkt. Vielleicht regen aber diese Zeilen doch manchen an, dem zerbrechlichen Vermittler seiner Genüsse ein aufmerksames Auge zu schenken und einmal auch dort einzukehren, wo er ihn unter kunstverständigen fleißigen Händen aus formloser Masse entstehen sehen kann.