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William Lee, der Erfinder des Wirkstuhles

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Textdaten
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Autor: Moritz Lilie
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Titel: William Lee, der Erfinder des Wirkstuhles
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 652–654
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Erfinder-Lose.

William Lee, der Erfinder des Wirkstuhles.


William Lee – wer kennt noch den Namen dieses Mannes, der wie so viele Wohlthäter der Menschheit zeitlebens nach Anerkennung rang und schließlich, des vergeblichen Kämpfens müde, in Armut und Dürftigkeit unterging und doch hat er der Welt einen der wichtigsten Industriezweige geschenkt. Im Jahre 1589 war es, als er den Handwebstuhl erfand und damit der Begründer einer der bedeutsamsten Erwerbsquellen wurde.

Seltsame Umstände waren es, die zur Erfindung des Wirkstuhles führten; die nächste Veranlassung hierzu war nicht das Bestreben, der mühsamen Handarbeit eine Erleichterung zu verschaffen, sondern einzig und allein die – Liebe. Und wunderbar! Der Mann, der dieses sinnreiche Geräth erdachte, zählte keineswegs zu der Zunft der Weber, trieb auch kein mit der Weberei verwandtes Handwerk; seine technische Bildung war überhaupt eine höchst mangelhafte; er gehörte dem gelehrten Stande an, hatte auf der Universität Cambridge Theologie studiert und war Kandidat des Predigtamtes.

Lee hatte sich – so lautet die Ueberlieferung – als Student in eine Bürgerstochter verliebt, die seine Bewerbung nicht ungünstig aufnahm. Aber sie war arm, und als ältestes Kind mußte sie nach dem Tode ihres Vaters der Mutter das tägliche Brot verdienen helfen; denn es galt, noch für eine ganze Reihe kleiner Geschwister zu sorgen. Mary war sehr geschickt in der Anfertigung von Strümpfen, welche zu jener Zeit noch einen Luxusartikel bildeten, den nur die Reichen zu erschwingen vermochten; trotzdem war der Verdienst der Strickerinnen kärglich, denn man kannte noch nicht die heute übliche leichte und einfache Art der Maschenbildung, welche die Herstellung von Strümpfen mit der Hand so wesentlich fördert. Von früh bis abends saß die Braut des Kandidaten über ihren Strickstruwpf gebeugt, emsig und mühsam die Fäden verschlingend, für den Geliebten aber hatte sie kaum einen flüchtigen Blick, die schwierige Arbeit erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Da kam dem jungen Theologen der Gedanke, ob es nicht möglich wäre, eine Arbeitsmaschine zu erfinden, welche der Dame seines Herzens gestatten würde, auch ihm einen Theil ihrer Zeit zu widmen. Wenn das Sprichwort sagt, die Noth mache erfinderisch, so läßt sich das Gleiche wohl auch von der Liebe behaupten; auf gut Glück betrat Lee das ihm bisher wenig vertraute Feld der Mechanik, und schon nach wenigen Monaten hatte er die Freude, seine Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen: der erste Handwebstuhl, auf dem er mit wenig Mühe und Zeit Strickwaren herzustellen vermochte, war fertig. Das war im Jahre 1589.

Inzwischen erhielt der junge Geistliche das Pfarramt zu Calverton bei Nottingham, und überglücklich führte er seine Mary als Frau in sein neues Heim. Aber bald stellten sich neue Sorgen ein; die Pfründe war so kärglich ausgestattet, daß der Mangel an die Thür des Pfarrherrn zu klopfen begann, Da [653] setzte sich die Frau Pastorin wieder an den von ihrem Gatten erfundenen Webstuhl und half mit arbeiten und verdienen; denn im Laufe der Jahre hatten sich auch verschiedene kleine Esser eingestellt, deren allezeit reger Appetit gestillt werden mußte.

Lee erkannte sehr bald, daß seine Erfindung eine große Zukunft habe, und beschäftigte sich daher unausgesetzt mit ihrer Vervollkommnung. Er gab seine ohnehin wenig einträgliche Pfarrstelle auf, um seine ganze Zeit und Kraft dem neuen Erwerbszweig zu widmen. Die von ihm hergestellte Wirkmaschine war ganz aus Holz gefertigt und ermöglichte es, zwölf Maschen zu schließen und reihenweise aneinander zu fügen, so daß das Gewebe ein einziges langes Stück bildete, welches zusammen genäht werden mußte, wenn es die Strumpfform erhalten sollte – eine freilich noch ziemlich unvollkommene Art der Herstellung, die aber unwiderleglich bewies, daß das Problem gelöst, das Prinzip gefunden war. Als es Lee gelungen war, die Leistungsfähigkeit seiner Maschine zu erhöhen, beschloß er, eine Werkstätte für Wirkwaren in Calverton zu errichten; er baute mehrere neue Stühle, weihte einzelne seiner nächsten Angehörigen in das Geheimniß der Herstellung ein und begann nunmehr die Fabrikation von Strümpfen in größerem Maßstab.

Aber es stellten sich dem strebsamen Manne fast unüberwindliche Hindernisse entgegen. Man belächelte und verspottete den ehemaligen Landpfarrer, weil er die Kanzel mit dem Webstuhl vertauscht hatte, man beschuldigte ihn des Betrugs, weil seine Ware gegenüber den mit der Hand gestrickten Erzeugnissen werthlos sei, und seine Widersacher brachten es endlich dahin, daß niemand gewirkte Strümpfe tragen mochte. Verstimmt und enttäuscht verließ er Calverton und wandte sich nach London, wo er die Unterstützung und Gönnerschaft der Königin Elisabeth zu erlangen hoffte.

Allein er hatte sich geirrt; Lord Leicester, der Günstling der Königin, empfahl ihn zwar derselben und Elisabeth nahm auch die Werkstätte, die Lee in Bunhill-Fields errichtet hatte, mit großem Interesse in Augenschein; als aber Lee die Königin um ein ausschließliches Privilegium für seine Erfindung bat, lehnte sie diese Bitte ab mit der Bemerkung, daß sie den vielen Armen, welche sich durch Strümpfestricken ernährten, ihr Brot nicht entziehen dürfe.

Lee wandte sich nun an Lord Hudson, welcher bei der Königin ebenfalls viel galt und für die Erfindung des ehemalige Geistlichen eine so hohe Theilnahme zeigte, daß er seinen eigenen Sohn die Kunst des Strumpfwirkens erlernen ließ. Indessen auch er erhielt von Elisabeth eine abschlägige Antwort, doch ließ sie durchblicken, daß sie eher geneigt sein werde, Lee ein Patent zu ertheilen, wenn er sich entschließen würde, anstatt der wollenen Strümpfe, die jeder ihrer bemittelteren Unterthanen tragen wolle, seidene zu verfertigen. Diesen Wink glaubte der Erfinder nicht unbeachtet lassen zu dürfen; er richtete einen seiner Stühle zur Seidenweberei ein und hatte die Freude, bald darauf der Monarchin als ein Erzeugniß seiner Werkstätte ein Paar feiner, seidener Strümpfe überreichen zu können. Wiederum empfing ihn Elisabeth sehr freundlich, lobte die schöne Arbeit und die große Weichheit und Elasticität der Gewebe und – entließ ihn mit herablassendem Kopfnicken. Nicht besser erging es ihm bei dem Nachfolger der „jungfräulichen Königin“, Jakob I., dem Sohne der unglücklichen Maria Stuart; denn obgleich dieser bei seiner Krönung nicht einmal im Besitz von einem Paar seidener Strümpfe war, sondern sich solche erst von einem seiner Hofherren, dem reichen Herzog von Buckingham, leihen mußte, damit er nicht, wie er sagte, vor den fremden Gesandten wie ein gemeiner Kerl zu erscheinen brauche, fand er sich doch nicht bewogen, das Unternehmen Lees irgendwie zu unterstützen.

Da schien es, als sollte dem Vielgeprüften von Frankreich her Erlösung kommen. Der große Staatsmann und Finanzminister Heinrichs IV., der Herzog von Sully, welcher schon die Seidenkultur und andere Erwerbszweige in seinem Vaterland eingeführt hatte, vernahm von der neuen im Entstehen begriffenen Industrie und forderte William Lee auf, nach Frankreich zu kommen und dieselbe dort einzuführen. Leichten Herzens kehrte der Verkannte dem undankbaren Heimathland den Rücken und siedelte mit seiner Familie und seinen Webstühlen nach Rouen über, wo er auf Vorschlag des Herzogs seine Werkstätte einrichtete. Die Sonne des Glücks schien dem schwergeprüften Manne endlich leuchten zu wollen; Heinrich IV. war ihm sehr gnädig gesinnt, und Sully verschaffte ihm eine Unterstützung aus Staatsmitteln, um ihn in stand zu setzen junge Leute anzulernen und sich fortgesetzt der Verbesserung seiner Wirkmaschinen zu widmen.

Allein kaum war eine heitere, hoffnungsfreudige Zukunft vor Lees Augen aufgestiegen, als sie auch schon wieder im Dunkel versank. Bald nachdem er den Boden Frankreichs betreten hatte, fiel König Heinrich IV. am 14. Mai 1610 durch Mörderhand, Lees Gönner Sully aber wurde als eifriger Calvinist durch Maria von Medici vom Hofe verbannt und dem Protestanten Lee selbst jede Unterstützung entzogen; ja man gab ihm sogar zu verstehen, er möge das Land sobald wie möglich wieder verlassen.

Das war zu viel für den gealterten, an Körper und Geist bereits gebrochenen Mann. Jeder Stütze, jeder Hoffnung beraubt, arm und lebensmüde, sank der geniale Schöpfer und Begründer eines Erwerbszweiges, der Millionen Menschen Arbeit und Verdienst zu gewähren berufen war, noch in demselben Jahre wie sein königlicher Beschützer ins Grab.

Aber sein Werk lebte fort, die Saat, welche er gesät hatte, ging auf und trug herrliche Früchte. In Rouen und später auch in Paris fanden sich Unternehmer, die nach Lees Modellen Wirkstühle bauten und Strumpfwaren herstellen ließen, welche bald ihren Weg ins Ausland fanden, und jetzt sah auch die englische Regierung ein, wie kurzsichtig sie gewesen war, als sie den Erfinder ziehen ließ. Die Anerkennung und der Lohn, welche dem Lebenden versagt geblieben waren, wurden wenigstens den Hinterlassenen zu theil, denen für Ueberlassung der Wirkmaschinen ansehnliche [654] Summen gezahlt wurden. In Nottingham wurde die erste Werkstätte für Wirkwaren errichtet, und von hier aus verbreitete sich dieser Erwerbszweig rasch über die Grafschaften Derbyshire und Leicestershire, wo heute Hunderttausende von Wirkstühlen in Betrieb sind. Auch in London begann die Strumpfwirkerei sehr bald festen Fuß zu fassen, und schon im Jahre 1657 gewährte Cromwell den dortigen Inhabern von Stühlen die Privilegien einer gesetzmäßigen Zunft.

In Deutschland wurde die neue Industrie erst nach 1685 bekannt, in welchem Jahre Ludwig XIV. von Frankreich das Edikt von Nantes aufhob und damit die Protestanten aus seinen Staaten vertrieb. Die meisten derselben wendeten sich nach Deutschland und brachten dorthin ein reiches Kapital an Kunstfertigkeit auf gewerblichem und künstlerischem Gebiet. Auch zahlreiche Strumpfwirker befanden sich unter ihnen, und von der Noth getrieben, begannen sie sofort ihre Thätigkeit, die für Deutschland um so bedeutungsvoller wurde, als um diese Zeit der Verkauf englischer Wirkstühle nach dem Ausland verboten wurde, da die dortigen Wirkwarenfabrikanten den reichen Gewinn, den der neue Erwerbszweig abwarf, ausschließlich in ihre Taschen einstreichen wollten.

Ein rascher und ungeahnter Aufschwung der deutschen Wirkerei erfolgte, und insbesondere war es das gewerbfleißige Sachsen, welches sich mit Eifer der Sache annahm. Die Großartigkeit und Mannigfaltigkeit des von Lee begründeten Fabrikationszweiges erhellt am besten daraus, das es mehr als fünftausend verschiedene Gegenstände sind, welche derselbe gegenwärtig umfaßt, und noch immer wird diese Industrie nicht müde, neue Luxus- und Bedarfsartikel in den Bereich ihres Herstellungsgebietes zu ziehen, so daß sie längst zu den entwickeltsten und bedeutungsvollsten aller, im großen betriebenen Erwerbszweige gehört.

Das Wappenschild, welches Cromwell der Londoner Strumpfwirkergilde zugleich mit den zünftigen Körperschaftsrechten verlieh, zeigt den Erfinder des Wirkstuhles, William Lee, im Priesterornate, mit der Hand auf einen fertigen Strumpf deutend; ihm zur Seite steht eine Frau, die Stricknadeln unthätig in der Hand haltend, zum Zeichen, daß dieselben jetzt überflüssig seien. Es ist das einzige Denkmal, welches die Erinnerung an den genialen Erfinder wach erhalten hat; die Nachwelt hat diesen Märtyrer der Industrie vergessen, wie sie so viele Förderer des Menschheitswohles vergaß. Und darum ist es eine Pflicht der Dankbarkeit, den Hunderttausenden, denen seine Erfindung Lohn und Brot gewährt, und den ungezählten Millionen, welche die Erzeugnisse des Wirkstuhles nicht entbehren mögen, den Namen William Lee wieder ins Gedächtniß zurückzurufen. Moritz Lilje.