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Die Glasmalerei – eine deutsche Erfindung

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Titel: Die Glasmalerei - eine deutsche Erfindung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 545-547
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Glasmalerei – eine deutsche Erfindung.

„Wie einer, der da blickt
Durchs Fenster, so gemalt,
Vom Glanze wird entzückt,
Der ihm entgegenstrahlt,
so ist mein Herz erfüllt
von Süßigkeit, o Frau,
Wenn blendend ich dein Bild
In voller Schönheit schau.“

     „Troubadour“ Peire Vidal.

Die altbaierische Benedictiner-Abtei Tegernsee, nach ihrer Säcularisirung 1803 in den Besitz der baierischen Dynastie übergegangen und in eine königliche Residenz umgewandelt, gehörte zu den berühmtesten mittelalterlichen Pflegstätten für Kunst, Wissenschaft und jede Art Cuturleben. In der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts in reizender Lage am See begründet und mit Sanct-Galler Mönchen besiedelt, gelangte die Abtei rasch zu fürstlichem Besitz, erfuhr zwar um 918 durch Herzog Arnulf völlige Aufhebung, nahm aber seit dem Jahre 979, durch Kaiser Otto den Zweiten von St. Emeran in Regensburg aus neu aufgerichtet, sofort einen außerordentlichen Aufschwung. Im zwölften Jahrhundert waren die Aebte Reichsfürsten mit großem Hofstaat und dem Recht, die bischöfliche Mitra zu tragen. Ein Freiheitenbrief Friedrich Barbarossa’s von 1183 zählt neunzehn von Tegernsee abhängige Kirchen auf; über 11,000 Höfe bestritten den Unterhalt der Conventualen. 1012 zählte man schon zweihundert gebildeter Mönche. Das Schulwesen entwickelte sich glänzend; stattlich wuchs die Bibliothek – im Jahre 1573 schaffte Abt Quirin eine eigene Druckerei an. Schönschreibekunst, Malerei, Baukunst, Erz- und Glockengießerei und andere Kunstzweige entfalteten sich zu stolzer Blüthe; Dichter- und Künstlernamen: Froumund, die beiden Werinher, von denen der ältere ein Allerweltskünstler, der zweite im zwölften Jahrhundert zugleich Gelehrter, Dichter, Kartenzeichner und Begründer eines botanischen Gartens war, ferner Metellus, der Dichter der „Quirnalia“, und Andere, gehen wie glänzende Sterne am Himmel von Tegernsee auf.

Uns interessirt hier besonders eine der Künste, welche in der Abtei ihr Heim hatte: die Glasmalerei.

Gedenkfenster in der Stiftskirche zu Tegernsee.
(Graf Arnold von Vohburg, Erfinder der Glas-Emailmalerei.)

Am 28. September 1879 beging das altberühmte Tegernsee ein glänzendes Fest: die neunhundertjährige Jubelfeier der ältesten Anstalt für Glasmalerei, die in Deutschland begründet wurde. König Albert von Sachsen, Herzog Theodor von Baiern mit seiner anmuthigen und kunstverständigen Gattin, der Prinzessin Josepha von Braganza, auch der Münchener Erzbischof waren zugegen. Vier Gedenkfenster, Graf Arnold von Vogaburg oder Vohburg, Abt Gozbert von Tegernsee, ferner Froumund und den älteren Werinher in Glasmalerei darstellend, wurden in den sich gegenüberstehenden Capellen der Stiftskirche eingesetzt, und Professor Sepp aus München, der Veranstalter und Mitstifter, hielt die Festrede. Die darauf folgende Festtafel, durch Gedichte und Reden belebt, bot als ganz besondern Schmaus einen wie für diese Gelegenheit eigens aus der Weissach aufgetauchten zweiundzwanzigpfündigen Silberlachs von vier Fuß Länge, und ein kühner Einfall Professor Sepp’s, im Namen der vier alten in Glas verherrlichten Herren die Pathenschaft über die nächstkünftigen vier Söhne Tegernsees zu übernehmen, traf mit der seltsamen Fügung zusammen, daß schon bis zum dritten Tage ein Gozbert, Werner und Froumund das Licht der Welt erblickten.

Diese historische Feier, von welcher nur Altbaiern, nicht das große Deutschland Notiz genommen, war gleichwohl eine recht nationale; denn die Thatsache, daß die Glasmalerei eine deutsche Erfindung, hatte vor Professor Sepp keinen eigentlich sieghaften Verteidiger gefunden.[1] Wenn auch die Entscheidung in der Sache urkundlich nicht über jede Anfechtbarkeit erhaben ist, so erscheint Sepp’s Ansicht doch in einer Weise gestützt, wie keine der entgegenstehenden, und darum werth, daß an dieser Stelle Notiz von ihr genommen wird. Sie kehrt ihre Spitze der Hauptsache nach gegen französische Ansprüche. Wie von dieser Seite her 1840 das vierte Säcularfest der Erfindung der Buchdruckerkunst für das „französische“ Straßburg reclamirt wurde, welches Ansinnens sich Mainz seiner Zeit mit Glück erwehrt hat, so kämpft hier ein Altbaier für die Ehre Deutschlands und seiner engeren Heimath namentlich gegen des berühmten und verdienstvollen Grafen Lasteyrie de Saillant „Geschichte der Glasmalerei nach französischen Denkmälern“ (Paris 1857), ein von der Akademie, welcher der Graf angehörte, preisgekröntes Prachtwerk, sowie gegen eine Reihe anderer Kunstforscher Frankreichs.

Die eigentliche Glasmalerei, wie der Begriff heute verstanden wird, hat zwei Vorstufen, welche in keiner Weise mit ihr verwechselt werden dürfen. Zuvörderst kommt die Glasmosaik in Betracht, die durch Zusammenstellung farbiger Gläser erzielt wurde. Buntglas ergiebt sich in der Schmelze von selbst; das reine weiße lernte man erst nach und nach erzielen – und es kam zu theuer. Schon der altchristliche Dichter Prudentius (gestorben 413) gedenkt der mit mehrfarbigen Scheiben gefüllten Bogenfenster in der Basilika des heiligen Paulus in Rom. Sanct Peter erhielt erst bei der Krönung Karl’s des Großen seinen Gläserschmuck; danach ließ Papst Leo der Dritte die Fenster der Apsis im Lateran mit Glas von verschiedenen Farben verschließen. Der Sophien-Dom empfing das Licht durch farbige Fenstergläser bereits 534, und in Paris stattete der Merowinger Childebert um dieselbe Zeit zuerst eine Kirche mit diesem Reichthume aus. Auch die kunstliebenden Chalifen verwandten Glasmosaik in ihren Moscheen; wenn der weltbekannte Geograph Karl Ritter schreibt: „Gemalte Glasscheiben bilden die Fenster im Grabdom Mohammed’s zu Medina“, so ist das ungenau gesagt, es sollte „farbige Gläser“ heißen.

Die zweite Phase stellt sich als wirkliche Bemalung der Fenster dar. Und hier liegt der Punkt, wo mangelhaftle Deutung alter Nachrichten die Franzosen zu unberechtigten Ansprüchen verleitet. Die Nachricht, daß bereits Heribald, der frühere Caplan

  1. Vergleiche dessen lehrreiche „Festschrift zur Stiftung der Gedächtnißfenster am Orte der Erfindung der Glasmalerei, zu Tegernsee.“ München und Leipzig 1878. (Verlag von G. Hirth.)

[546] Karl’s des Dicken, nachmals seine Kathedrale zu Auxerre „mit Glasfenstern und schönen Malereien restaurirt“ habe, redet freilich nicht einmal von Glasbemalungen, geschweige denn von Glasmalerei im modernen Sinne. Nicht besser gehört hierher, und wiederum nicht nach französischer Auslegung in das Capitel „Glasmalerei“, die Meldung des Mönches Ratpert von St. Gallen an seinen gelehrten Mitbruder Notker in dichterischer Schilderung der Einweihung des Frauenmünsters zu Zürich, welches Münster Ludwig der Deutsche 853 für seine Töchter Hildegarde und Bertha, als erste Äbtissinen, gestiftet hatte: „Bertha malte die Fensterfläche mit Pigmentfarben, dazu den Plafond“ etc. Wie man sieht, ist hier von Fensterbemalung die Rede; die Zusammenstellung der Farbenzier von Fenstern und Plafond läßt an kein Einbrennen der Farben denken.

Auch die Darstellungen aus dem Leben der heiligen Paschasia, welche zur Verwunderung des Chronisten von St. Bénigne zu Dijon sich bis 1052 erhalten hatten, können der angestaunten Erhaltung willen nicht dauerhaft eingebrannt, sondern müssen aufgemalt gewesen sein. Es handelt sich um Harzmalerei mit aufgetragenen Kopal-, Bernsteinlack- oder sonstigen Gummifarben, wie sie schon in Pompeji vorkommt, den Byzantinern jedoch unbekannt blieb. Die mangelhafte Dauer dieser Malerei lernte man durch Anwendung von Zinksilicaten zur Aufleimung der Farben erhöhen. Auch Oelfarben verwandte man, indem man sie durch ein zweites schützendes Glas deckte, bis sich zuletzt Borax vorübergehend den Malern als Flußmittel zum Löthen oder zur Bereitung von Metallfarben und feinen Glasflüssen empfahl. Man bediente sich noch lange nach Erfindung der eigentlichen Glasmalerei, welche als Geheimnis bewahrt wurde und deshalb bei quantitativ geringer Leistung verblieb, der älteren Technik des Farbenauftrags, auch mit Rücksicht auf ihre Billigkeit.

Die dritte, vollkommenste Art ist nun die Kunst, Buntmalerei in Glas zu schmelzen, oder eigentliche Glasmalerei, und hierfür ist Tegernsee die erste blühende Anstalt. Erfinder oder wenigstens Begründer der Kunst ist, in Verbindung mit Abt Gozbert von Tegernsee, des letztern Jugendfreund Graf Arnold von Vohburg.

Die Stiftungsurkunde der Kunst, wenn man so sagen will, bildet ein noch erhaltenes lateinisches Schreiben des Abtes Gozbert, der von 983 bis 1001 regierte, an den Grafen Arnold, das in deutscher Uebersetzung lautet: „Ihr habt unseren Ort mit Werken von solchen Ehren in die Höhe gebracht, dergleichen weder vorige Zeiten kannten, noch wir je besitzen zu sollen ahnten. Die Fenster unserer Kirche waren bisher mit alten Tüchern verschlossen. In Euren glücklichen Zeiten wirft die goldhaarige Sonne zum ersten Male durch buntfarbige Glasgemälde (auricomus Sol Primus infulsit per discoloria pictuarum vitra) ihren Schimmer auf die Platten unserer Basilika. Die Herzen aller Beschauer durchzucken tausendfältige Freuden, wenn sie die Mannigfaltigkeit der ungewohnten Kunstarbeit anstaunen. Oder wo in aller Welt umher ist eine Stätte mit solchem Schmuck geziert? Euer Name soll dafür im Gebete bei Tag und Nacht celebrirt werden, und damit auch die Namen aller Eurer nächsten Verwandten zum Gedächtniß verzeichnet werden, wollet sie, auf Pergament eingetragen, durch gegenwärtigen Boten uns zukommen lassen. Wir stellen noch Eurer Ueberlegung anheim, jene Jünger zu erproben, ob sie in dieser Arbeit genügend unterrichtet sind, wie es für Euch ehrenvoll, für uns nöthig ist, oder, wenn ich einen Mangel bei ihnen entdecke, so sei es erlaubt, sie zur besseren Ausbildung Euch zurückzuschicken.“

Es ergiebt sich aus dieser Urkunde, daß, mag die Erfindung von Graf Arnold selbst, wie Sepp will, oder von jemand in seiner Nähe gemacht worden sein, durch den dafür interessirten Grafen jedenfalls Tegernseer Klosterzöglinge mit der Technik vertraut gemacht wurden, zum Zweck der Entwickelung der neuen Kunstübung in Tegernsee selbst. Graf Arnold oder Arnolf der Zweite, der Gemahl einer Adelheid, Tochter des Markgrafen Perthold von Ammerthal, und Bruder jenes Poppo, welcher nach Wiederaufrichtung der zuvor bis zu völliger Auflösung heruntergekommenen Abtei deren erster Schirmvogt wurde, muß nach Sepp’s Ausführungen Jugendfreund und einstiger Gutsnachbar Gozbert’s gewesen sein, indem Letzterer als geborener Graf von Kelheim und Essing an der Altmühl vorkommt. Eine weitere Beziehung der Beiden zu einander ergiebt sich aus der Thatsache, daß Arnold in einer Urkunde de St. Emerano der Schirmvogt von Münchsmünster bei Weltenburg heißt, Gozbert aber von St. Emeran zu Regensburg aus als Abt nach Tegernsee berufen worden ist.

Nun erkundigt sich Gozbert noch um den Tod der edlen Adelheid, um deren Gedächtniß kirchlich zu begehen. Alle dachten bisher an die Kaiserin, Wittwe Otto’s des Ersten, welche im December 999 zu Selz im Elsaß starb. Im Laufe des Federkrieges erklärt sie aber Sepp für die obige Gemahlin Arnold’s, und gewinnt damit einen neuen Beweis für den gräflichen Stifter von Vohburg. Noch mehr! Ihr Tod und folglich die Fensterstiftung und Begründung der Glasmalerei kann füglich ein Jahrzehnt vor 999 fallen.

Viollet le Duc[1] reiste von Paris eigens nach Tegernsee, um die neunhundertjährigen Wiegenbilder der Kunst zu sehen. Doch die ersten Tegernseer Fenster gingen schon 1035 beim Kirchen- und Klosterbrande zu Grunde, und Werinher ward 1068 mit der Herstellung von fünf neuen beauftragt. Aber eine andere Erstlingsarbeit der jungen Kunst ist uns erhalten: Im Dome zu Augsburg, der 996 in Angriff genommen wurde, blicken noch heute über der östlichen Hochwand, statuarisch gehalten, aus fünf Fenstern Moses, David, Hosea, Daniel und Jonas ernst und streng hernieder, in einer Haltung und Ausstattung, welche für die Kunstforschung auf die Zeit Heinrichs des Zweiten, 1002 bis 1024, hinweisen; die übrigen dreizehn – mit Hinzunahme der Ostwand – fehlenden Figuren scheinen früh zu Grunde gegangen zu sein. Hier haben wir die Incunabeln der Glasmalerei, die ältesten erhaltenen Tegernseer Producte, wenn auch nicht zweifellos, so doch so gut wie sicher vor uns.

Daß die neue Kunst nicht fertig wie vom Himmel fiel, leuchtet Jedem ein, der die Schwierigkeit des ganzen Verfahrens kennt. Nur nach vielem Probiren konnte ein befriedigendes Resultat erreicht worden sein. Die ältesten Glasbilder waren allerdings in Holzschnittmanier ausgeführt und einfach mit scharfen Contouren umrissen. Aber schon die Bereitung des Glases erforderte Vorsicht: denn Natronglas verwittert leicht; nur Kaliglas bürgt für die Dauer. Und nun erst die chemischen Versuche mit der Farbenbereitung! Metalloxyde verbinden sich mit Kieselerde zu Silicaten, die durch Lösung in der Glasmasse ihr die Färbung mittheilen. Man verwandte anfangs in der Fritte gefärbtes oder massives Hüttenglas, zeichnete Umriß und Schattirung mit Schwarzloth und schliff Partien heraus, um Sternchen, Gewänder und allerlei Muster von mehr oder minder satter Farbe zu gewinnen. Die Hauptsache aber war, den Focus oder die Farbenstrahlung, die Tragweite jeder einzelnen Farbe, zu ermessen; damit die grellen die minder hellen Farben nicht ausstachen, mußte z. B. die Fleischfarbe eingeschränkt werden. Weitaus beherrscht, wie Sepp ausführt, die blaue Glasfarbe die Nachbarfarben, sodaß das Roth violett, Weiß bläulich erscheint, während Gelb und Weiß trennend und Roth auf beiden Seiten schwarz wirken. Die richtige Farbenzusammenstellung, sei es Isolirung mittelst Randstreifens, ist die Hauptsache. Dunkel auf Hell wirkt weniger als Hell auf Dunkel; so ist dieselbe Inschrift schwarz auf weiß zehn Meter weit leserlich, weiß auf schwarz dagegen fünfzehn. Ein schwarzer Flügel auf gelbem Grunde muß um ein Zehntel größer als ein gelber auf schwarzem Grunde sein, wenn er ebenso groß wie letzterer aussehen soll. Aus der Rücksicht auf die Wirkung erklären sich die durchweg zu klein gezeichneten Hände, die Auflösung des Weiß in Perlenketten, die Brechung des Roth durch schwarze Schraffirungen und so manche eigenthümliche Erscheinung der alten Glasbildnerkunst. Uebrigens bedienten sich die Alten des Bleiflusses zum Auftragen und Einschmelzen von Metallfarben; ihr Schwarzloth ist eben Kupferoxyd mit Bleifluß versetzt. Die metallischen Farben jener früheren Zeit sind tiefer, kräftiger und körperhafter, die Atome mehr krystallinisch gefügt, als bei den neueren; die Lichtstrahlen oscilliren im Inneren des Glases. Gerade die mangelhafte Ausscheidung der Eisentheile gab den alten Fenstern ihren gesättigten Ton. Außer der schwierigen optischen Frage hatten die ersten Künstler die Wirkung des Brennens auf die verschiedenen Farben zu erproben: Welche änderte sich sofort? Welches Blau wurde allmählich schwarz? Und Alles; Zeichnung, Zuschnitt, Malen, Brennen – die ganze Bereitung lag dem einzigen Künstler ob!

[547] Aber die ganze Erfindung muß als solche auch geschichtlich vorbereitet sein. Sepp giebt in dieser Beziehung zwei Fingerzeige. Er macht einen kühnen Griff, indem er auf eine Notiz in des alten Philostratus „Bildern“ verweist: „Die im Ocean lebenden Barbaren gießen die Farbe auf erhitzte Bronze (zum Pferdegeschirr), sofort haftet sie daran, verhärtet wie Stein und bewahrt die erhaltene Form.“ Es ist von der Insel Britannien die Rede. Septimius Severus hatte zur Berwunderung Roms aus Caledonien Proben einer gar nicht barbarischen Kunst, Schmelzornamente auf Bronze mitgebracht: da sah man Schilde mit edelsteinartigem, farbigem Email, glasemaillirte Schwertscheiden, Beschläge und Scheiben.

Gregor der Große schickte den Angelsachsen den Glaubensboten Augustinus; empfing er vielleicht auf diesem Wege die emaillirten Schmuckwerke und das Gefäßzeug, welche er der baierischen Fürstentochter und Longobardenkönigin Theodelinde überwies? Jedenfalls mußte das transparente Glasemail aus Metall schließlich auf die Glasmalerei führen. Nun aber waren die Glaubensboten der deutschen und nordschweizer Alpen und Baierns, die Gallus und Columban, Alto und St. Alban, Kilian und Sola und wie sie heißen fast alle von den britischen Inseln gekommen.

Und in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts traten die Schottenklöster hinzu, die sich rasch ausbreiteten. Sollte nicht durch diese Beziehungen etwas von der Kunstfertigkeit des Insellandes mit in das baierische Klosterwesen gekommen sein und etwa über St. Gallen, wie Professor Lübke will, oder St. Emeran, wie wir mit Professor Sepp vorzögen, die Entwickelung der Emaillirkunst zur Begründung der Tegernseer Glasmalerei geführt haben? – Ein anderer Weg wäre etwa von der gleichzeitigen griechischen Cultur her denkbar, welche jene sehr entwickelte Buntglastechnik bewahrt hatte, von der die pompejanische Sammlung und die Katakombenfunde schon sehr fortgeschrittene Proben zeigen: Bilder auf Dickglas gemalt und mit Gold und subtilerem Glase überzogen. Goldene und über der Vergoldung wieder verglaste Perlen und Edelsteintropfen fertigten nach Fronmund auch die Tegernseer Herren. Mit solchen Versuchen konnte man wohl auf das Einbrennen von Gemälden aus Glas in Farbenfluß kommen. Aus Griechenland hatte schon Otto der Erste buntgearbeitete Glasgefäße empfangen, und Otto der Zweite, der Wiederaufrichter von Tegernsee, war Gemahl der byzantinischen Prinzessin Theophania.

Doch kehren wir zu der jungen Tegernseer Anstalt zurück, die, kaum gegründet, schnelle Fortschritte machte! Der erstgenannte Glasmaler ist hier der ältere Werinher. Was die beiden in Tegernsee errichteten Glashütten betrifft, so lud der feinkörnige Quarzsand, den die Weissach absetzt, zur Anlage der bekannten Glashütte bei Kreut ein, wo man noch farbige Glasstücke auf der Halde findet. Aelter aber scheint die Glashütte in Winssee, dem Kloster gegenüber, nun beim Bauer „in der Au“ geheißen. Hierzu kommt noch ein Glashüttenberg auf der anderen Bergseite am Sulforstein oder Längrieß. Das Bemalen der Scheiben und das Einbrennen der Farben im Brennofen wurde jedenfalls im Klosterbezirk selbst vorgenommen. Bald trafen die Bestellungen so zahlreich ein, daß der Bedarf nicht gedeckt werden konnte und Entschuldigungen aushelfen mußten.

Das Geheimniß, wenn auch in den Künstlerkreisen bewahrt, blieb nicht lange ausschließlich an Tegernsee haften. Nach 1029 finden wir einen ehemaligen Tegernseer, den Taufpathen des St. Gotthard-Passes, als Bischof Gotthard auf dem Stuhle von Hildesheim, und dieser überaus geistvolle und kunstsinnige Mann hatte Glaskünstler aus Tegernsee um sich. So wanderte die neue Kunst durch die Mönche der altbaierischen Abtei nach Norddeutschland, Schwaben und Niederösterreich, und an der Wende des elften zum zwölften Jahrhundert legte der „Priester Theophilus“ – ein Pseudonym für den Mönch Roger Rutkerus oder Rüdiger – das Geheimniß der Technik in der Reichsabtei Helmarshausen an der fränkischen Nordgrenze urkundlich nieder.

Es würde zu weit führen, die Entwickelung dieser Kunst hier im Einzelnen zu verfolgen: den gewaltigen technischen Fortschritt durch die Wiederentdeckung Ueberfangglases im dreizehnten Jahrhundert, wodurch man zwei Farben über einander anbringen lernte, deren eine man ausschleifen konnte , die mächtige Förderung derselben durch die Gothik, ihre Fortschritte in künstlerischer Beziehung, Hand in Hand mit der Malerei, ihre Ueberleitung von der monumentalen zur Cabinetsmalerei, bis zum endlichen Verfall, ja bis zum völligen Verschwinden jeder Kenntniß von der alten Technik des Glasmalens. Nur als Curiosum möge erwähnt sein, daß ein Ulmer Griesinger, welcher als Kriegsknecht nach Italien kam, dort Laienbruder bei den Dominikanern von Bologna wurde und die Glasmalerei nach Italien verpflanzte, dafür als Jacobus Alemannus oder da Ulmo nach seinem Tode 1491 selig gesprochen und Patron der Glasmaler wurde.

Der letzte Name in der Reihe der Glasmaler aus der alten Schule ist derjenige des Baselers Wannenwetsch, dessen Familie zweihundert Jahre vor ihm aus Eßlingen eingewandert war. Eine Nachricht über ihn aus dem Jahre 1765 besagt: „Es hat diese Kunst (die Glasmalerei) nach und nach abgenommen, sodaß man keine gewisse Zeit bestimmen kann, als ungefähr zu Ende des siebenzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Vor etwa dreißig Jahren ist der Letzte allhier, ein Bürger der Stadt, Wannenwetsch, verstorben, welcher noch einige kleine Sachen artig auf Glas gemalt und eingebrannt hat (die Thurneiserischen Fenster). Aber seine Farben waren gegen die alten wie todt und verdorben, und wurde die Kunst schon zu seiner Zeit für verloren gehalten, nämlich in Ansehung ihrer Vollkommenheit.“

Bis zu dieser Zeit hatten sich auch die aufgestapelten Schätze der Glasmalerkunst sehr erheblich gelichtet. Der Puritanismus und die Bilderstürmerei der Reformationszeit Kriege und Revolutionen, die Zerstörungswuth der Elemente, endlich die Nüchternheit der Aufklärungsperiode, welcher die Glasgemälde nur als widerwärtige Hemmnisse für das Eindringen des Tageslichts galten, hatten das Ihrige dazu beigetragen.

Die moderne Glasmalerei beruht aus einer praktischen Wiederentdeckung der verlorenen Kunst, welche mit dem Anfang dieses Jahrhunderts zusammenfällt. Ein Dosenlackirer in Nürnberg, Siegmund Frank, traf im Laden eines Glasers mit einem Engländer zusammen, der um Scherben alter Glasgemälde feilschte und die Aeußerung that: der könne sich ein großes Verdienst erwerben, der die einst so hoch entwickelte Kunst der Glasmalerei wieder in’s Leben riefe. Frank griff den Gedanken mit Energie auf und kam über die Porzellanmalerei zum Ziele. Ein Wappenbild, das er 1800 fertig hatte, war die erste Probe, und der nachmalige Premier Wallerstein gründete auf seinem Stammgute gleichen Namens die erste Anstalt für Frank, bis der baierische Hof diesen an sich zog und die Utzschneider’sche Glashütte im aufgehobenen Kloster Benedictbeuren, sieben Stunden von Tegernsee, als Arbeitsstätte Frank’s und seines jungen Gehülfen Ainmüller, die eigentliche Wiege der wiederentdeckten Kunst ward. Als 1845 die Gebäude für eine Anstalt in München fertig waren, übernahm Ainmüller dort das Institut, welches 1876 zum Fortbildungsinstitut für das Kunstgewerbe erweitert wurde. Eine Reaction gegen die malerische Richtung Münchens ging von England aus, wo man mit Erfolg zu der Technik der Alten umlenkte, und das farbensatte, dicke und wellige Kathedralglas der Engländer ohne zu viel Tafelmalerei hat sich heute auch bis München hin Bahn gebrochen.

Jetzt dürfte die schöne Kunst dauernd unverloren bleiben, und Baiern mag stolz darauf sein, dieselbe zwei Mal der Welt geschenkt zu haben.




  1. Lettres adressées d’Allemagne à M. Adolphe Lance architecte par Viollet le Duc p. 77