Die Heilkunst, der Heilkünstler und die Curirfreiheit

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Autor: Bock
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Titel: Die Heilkunst, der Heilkünstler und die Curirfreiheit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 145–147
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Heilkunst, der Heilkünstler und die Curirfreiheit.


Der Kaiser von Deutschland verweigerte es, wie Zeitungen berichten, bei seinem Kranksein Arznei einzunehmen, und er wurde trotzdem gesund. Dies passirt übrigens noch jeden Tag sehr vielen anderen Kranken, welche den Muth haben, Arznei zu verschmähen. Solche Heilungen, bei welchen der Kranke von selbst gesund wird und die man früher einem besonderen „Arzte im Menschen“ zuschrieb, würden einen weit bessern Ruf genießen, als dies der Fall ist, wenn die Wiedergenesenden nicht viel zu zeitig volle Gesundheit beanspruchten und die vorher erkrankten Organe noch längere Zeit vorsichtig behandelten. Es müßte z. B. ein Reconvalescent, der von sogenannten Brustbeschwerden (Husten, Auswurf, Kurzathmigkeit etc.) heimgesucht wurde, noch längere Zeit alle Verstöße vermeiden, welche den Athmungsorganen schädlich werden könnten, wie: die Behinderung des Athmens (durch enge Kleidung, Uniform, Schnürleib, enge Halsbinden etc.), Einathmen kalter, rauher, unreiner (rauchiger und staubiger) Luft, zumal bei Nacht, besonders den schnellen Wechsel zwischen kalter und warmer Luft, Störungen im Blutlaufe durch Herz und Lungen, die sich hauptsächlich durch stärkeres Herzklopfen zu erkennen geben (wie anstrengende Bewegungen, vieles und lautes Sprechen, aufregende Getränke und Gemüthsbewegungen etc.). Eine große Gefahr für solche Reconvalescenten bergen aber vorzeitige Cur- und Badereisen, zumal in rauher Jahreszeit und ohne Respirator. Man beherzige ja, daß in der Wiedergenesungsperiode der Mensch für alle Schädlichkeiten leichter empfänglich ist und daß durch solche das frühere Leiden nicht nur sehr leicht zurückgerufen, sondern auch zu lebensgefährlicher Höhe gesteigert werden kann. Als eine Hauptregel möge sich deshalb jeder in der Wiedergenesung Begriffene merken, daß es nach dem Schwinden der Krankheitserscheinungen und selbst nach Eintritt des Wohlseinsgefühles doch noch längere oder kürzere Zeit bedarf, ehe dem erkrankten Organe, sowie überhaupt dem ganzen Körper eine angestrengte Thätigkeit, sei es auch in seinen Vergnügungen, zugemuthet werden darf.

Und warum erlangen denn nun Diejenigen, welche bei ihrem Kranksein Arzneien verschmähten, doch auch ihre Gesundheit wieder? Und warum werden denn überhaupt Kranke bei den allerverschiedenartigsten, vernünftigen und unvernünftigen Behandlungsweisen ebensowohl sehr gelehrter, wie auch sehr ungelehrter Heilkünstler doch gesund? Diese Fragen sind von der Wissenschaft durch Thatsachen ziemlich sicher zu beantworten. Jeder Krankheit liegt nämlich eine von der naturgemäßen abweichende Beschaffenheit irgend eines festen oder flüssigen Körperbestandtheiles zu Grunde. Leider sind diese sogenannten organischen oder materiellen (anatomischen) Störungen zur Zeit noch nicht bei allen Krankheiten, am wenigsten noch bei den sogenannten Nervenkrankheiten, ergründet. Es ziehen nun diese Abweichungen stets (ganz besonders bei fieberhaften Krankheiten) andere und zwar ganz bestimmte materielle Veränderungen nach sich, welche die ersteren entweder vollständig oder doch zum größten Theile aufheben und auf diese Weise die Krankheit heilen, oft sogar auch dann noch, wenn der kranke Theil durch unpassende Behandlung maltraitirt wird. Man bezeichnet diese ganz nach denselben im menschlichen Körper herrschenden physiologischen (chemisch-physikalischen) Gesetzen vor sich gehenden heilsamen Vorgänge als „Naturheilungsprocesse“. Ihnen ist die Heilung fast aller inneren Krankheiten zu verdanken; sie haben den Heilkünstlern und den sogenannten Heilmitteln den Ruf von Helfern in der Krankheitsnoth verschafft. Nicht immer freilich führen diese Processe zur Heilung; oft ziehen sie auch, zumal wenn sie in ihrem Verlaufe durch unpassende Eingriffe gestört werden, bleibende Veränderungen, sogenannte organische Fehler nach sich, wie z. B. die Herzentzündung der Grund zu unheilbaren Herzfehlern sein kann. Ja, manchmal veranlaßt ein solcher Proceß dadurch, daß er andere Organe in Mitleidenschaft zieht, einen tödtlichen Ausgang, wie dies z. B. die Entzündung der Hirnmasse thut, welche rings um einen sonst nicht tödtlichen Schlagflußherd (d. i. eine aus geborstenen Gefäßen in’s Gehirn ausgetretene größere oder kleinere Portion Blutes) entsteht.

Es dürfte nun wohl leicht zu begreifen sein, daß der gebildete Heilkünstler jene Naturheilungsprocesse, auf deren enorme Wichtigkeit vom Verfasser schon zu wiederholten Malen aufmerksam gemacht wurde und auf welche leider die Aerzte nicht genug Werth legen, nicht nur in ihrem Verlaufe genau kennen, sondern auch naturgemäß, das heißt durch richtiges diätetisches, den Lebens- und Gesundheitsbedingungen entsprechendes Verfahren zu unterstützen im Stande sein muß. Da nun aber bei den verschiedenen Krankheiten der Naturheilungsproceß ein ganz verschiedener sein, ja auch bei derselben Krankheit in mehrfacher und verschiedener Weise vor sich gehen kann, so muß der Arzt vor allen Dingen die ihm vorliegende Krankheit (das heißt die den Krankheitserscheinungen zu Grunde liegenden Gewebsveränderungen) zu erkennen (diagnosticiren) verstehen. Ohne die Fähigkeit, die vorhandene Krankheit sicher erkennen zu können, und ohne die Kenntniß vom Verlaufe der Krankheit, ganz besonders aber ihrer nachfolgenden Heilprocesse, ist ein wissenschaftlicher Heilkünstler gar nicht denkbar. Sicherlich wird der Arzt der Zukunft weit weniger gelehrt (das heißt mehr ein Mann der Heilkunst als der medicinischen Wissenschaft) und weniger in der Arzneimittellehre erfahren sein, als der Arzt der Jetztzeit, wohl aber wird er durch längeres Studium am Leichentische und am Krankenbette besser im Stande sein, die Krankheit sicher zu erkennen und sie durch richtige, auf Physiologie gegründete Unterstützung der ihr eigenthümlichen Naturheilprocesse zu heilen. Natürlich wird es auch Sache dieses ärztlichen Ratgebers sein, an der Hand der Gesundheitslehre (Hygieine) die Anleitung zum Verhüten der Krankheiten zu geben.

Von einem wissenschaftlich gebildeten Heilkünstler muß also durchaus verlangt werden, daß er in der Diagnostik (der Lehre von der Erkennung der Krankheiten) und in der pathologischen Anatomie (der Lehre von den der Krankheit zu Grunde liegenden Veränderungen) gehörig zu Hause sei. Dies ist aber nur dann möglich, wenn der Studirende, außer der Kenntniß des Baues vom gesunden menschlichen Körper (normalen Anatomie) und der Lebensvorgänge innerhalb desselben (Physiologie), jene beiden Wissenschaften an zahlreichen Leichen und Kranken, sowie unter gehöriger Anleitung gründlich studirt hat. Ob dies nun die sogenannten „Naturdoctors“ aus den verschiedenen Ständen bei ihrer Vorbildung zu lernen im Stande sein können, diese Frage kann sich der vorurtheilsfreie und denkende Leser wohl selbst beantworten.

Mögen einige Beispiele den Leser mit der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Diagnostik bekannt machen. Diese besteht nicht etwa blos im Pulszählen und Zungebesehen, sondern verlangt ganz besonders große Uebung ins Behorchen (Auscultiren), Beklopfen (Percutiren), im mikroskopischen und chemischen Untersuchen, im Besichtigen innerer Theile mit sogenannten Spiegeln z. B. des Kehlkopfs, Mastdarms, des Auges, Ohres etc.), in Erforschung und Beurtheilung der Fieberhitze durch das Thermometer. – Bei dem Behorchen des Herzens werden nicht selten Geräusche gehört, welche in der Mehrzahl der Fälle auf ein sogenanntes organisches Herzleiden (Verengerung der Herzöffnungen, Nichtschließen der Herzklappen) hindeuten. Sie finden [146] sich nun aber nicht selten auch bei ganz gesundem Herzen, wie z. B. bei der Blutarmuth. Würde nun der Arzt diese Geräusche nicht richtig zu beurtheilen verstehen, so könnte er bei Verwechselung der Blutarmuth mit einem Herzfehler dem Kranken durch eine falsche (diätetische wie arzneiliche) Behandlung großen Schaden zufügen. – Beim Beklopfen des Brustkastens über den Lungenspitzen wird, wenn diese nicht ganz gesund sind, ein dumpfer Ton gehört, der aber aus ganz verschiedenartigen Zuständen des Lungengewebes entstehen und bei verschiedenartiger Fülle des Tones bestehen kann. Einen ungeübten Arzt könnte diese Dämpfung veranlassen, Lungenschwindsucht mit Lungenerweiterung zu verwechseln und eine ganz falsche Behandlung einzuschlagen. – Hieraus wird der denkende Leser entnehmen können, wie durchaus nöthig bei einer Krankheit eine genaue Untersuchung von Seiten eines in der Diagnostik erfahrenen Arztes ist und wie die Behandlung eines Kranken ohne eine solche Untersuchung, wohl gar nur brieflich, geradezu an’s Verbrecherische grenzt, da das Leben des Kranken dabei gefährdet sein kann. Wenn z. B. dem Arzte ein Kranker schreibt, daß er an Blutandrang nach dem Kopfe leide und von Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Schwindel, Ohrensausen, Krämpfen heimgesucht werde, so könnte ein Heilkünstler, der den Kranken nicht sieht und nicht weiß, daß diese Krankheitserscheinungen auch der Blutarmuth im Gehirne zukommen, den Kranken sehr schlimm zurichten, wie dies übrigens bei der Kaltwasserwirthschaft gar nicht selten der Fall ist.

Also nur wenn der Arzt den Verlauf kennt, welchen die Naturheilungsprocesse bei den verschiedenen Krankheiten zur Heilung einschlagen, wird er im Stande sein diese in richtiger Weise zu unterstützen. Bei dieser Krankheit verlangt nun aber der dieser Krankheit eigenthümliche Naturheilungsproceß seine ganz bestimmte Behandlung, und diese, wenn überhaupt eine solche erforderlich ist, braucht in den allermeisten Fällen nur eine diätetische, keine arzneiliche zu sein. Als oberstes Gesetz hierbei gilt: Der kranke Theil verlangt die äußerste Schonung und der kranke Körper neben milder Nahrung stets auch reine, mäßig warme Luft. Eine diätetische Behandlung zieht nun aber die verschiedenartigsten naturgemäßen Hülfsmittel in Gebrauch, wie: die Nahrung (mehr vegetabilische oder animalische, eiweiß- oder fettreiche etc.), die einzuathmende Luft (warme, kalte, trockene oder feuchte), Kälte oder Wärme (innerlich oder äußerlich angewendet, örtlich oder allgemein), Wasser (als kaltes oder warmes, als Getränk oder Bad), Ruhe und Bewegung (active oder passive). – Als Beweis diene: Bei der Lungenentzündung wird ein Stück des lufthaltigen Lungengewebes durch Austritt festwerdenden Stoffes (gerinnenden Faserstoffs) aus den mit Blut überfüllten Haargefäßchen luftleer (was nur mit Hülfe des Beklopfens und Behorchens der Lunge zu erkennen ist) und nur dann wieder gesund, d. h. zur Luftaufnahme wieder geschickt, wenn diese feste Masse durch den Naturheilungsproceß entfernt wird. Dies kommt aber dadurch zu Stande, daß diese feste Masse zuvörderst durch Zerweichen in eine dicke Flüssigkeit (den eiterigen sogenannten kritischen Auswurf bildend) verwandelt und sodann durch Aufsaugung und Aushusten entfernt wird. Würde hierbei der Arzt den Kranken zu warme und zu feuchte Luft einathmen lassen, dann zerflösse das Feste zu schnell und zerstörte durch Vereiterung das Lungengewebe. Würde im Gegentheil zu trockene und zu kalte Luft geathmet, dann wurde, das Zerfließen des Festen erschwert oder ganz verhindert und es bliebe das entzündete Lungenstück lange Zeit oder auch zeitlebens hart und zum Athmen untauglich.

Aus dem bis jetzt Gesagten wird der Leser hoffentlich ersehen haben, wie und warum Krankheiten ohne Anwendung von Arzneimitteln, nämlich durch den Naturheilungsproceß, heilen können, wie ferner bei Anwendung von falschen Arzneistoffen durch Störung des Naturheilprocesses die Krankheit gefährlicher verlaufen kann. Es wird ihm sodann wohl auch klar geworden sein, daß das Erkennen einer Krankheit keine Aufgabe für einen Curirlaien ist, selbst dann nicht, wenn derselbe sich einige halbverstandene medicinische Weisheit aus Büchern geholt hat, und daß die diätetische Behandlung von Krankheiten durchaus eine genaue Kenntniß nicht nur der Naturheilungsprocesse, sondern auch der Wirksamkeit der sogenannten diätetischen oder physiologischen Heilmittel erfordert. In welche Lebensgefahr demnach ein Kranker gerathen kann, der sich der Behandlung eines sich Naturarzt nennenden, unwissenden Laien unterwirft, oder der sich mit Geheimmitteln und ohne Untersuchung aus der Ferne brieflich curiren läßt, sollte von Verstandes wegen jedem nur halbwegs Gebildeten offenbar werden.

Fragt man, wie es kommt, daß eine Menge sonst ganz verständiger Leute bei ihrem Kranksein sich Raths bei Personen erholen, von denen sie doch mit Sicherheit wissen könnten, daß dieselben jedes wissenschaftlichen Urtheils entbehren und meist die verschiedenartigsten Krankheiten ganz nach derselben Schablone behandeln; daß sie Geheimmittel anwenden, aus deren plumper reclamenhafter Empfehlung sie schon merken könnten, daß der Verfertiger, meist ein in der Heilkunst ganz Unkundiger, auf Geldprellerei ausgeht; daß sie populär-medicinischen Schriften Vertrauen schenken, welche alle Krankheiten schnell und sicher zu beseitigen versprechen, und daß sie auf diese Weise den jetzigen blödsinnigen Heilunfug und verächtlichen Geheimmittelschwindel unterstützen: so läßt sich dies nur dadurch erklären, daß diese Personen sahen, wie bei den aufgezählten Mißbräuchen in der Heilkunst doch Krankheiten verschwinden. Nach der gegebenen Erklärung der Krankheitsheilung durch den Naturheilproceß dürfte nun aber wohl nachgewiesen sein, welchen unwesentlichen Antheil die erwähnten sogenannten Heilmittel an der Genesung des Kranken besitzen und wie man im Gegentheil berechtigt ist zu sagen, daß der Kranke nicht durch, sondern trotz derselben gesund geworden sei. Uebrigens ist es dem Naturheilungsprocesse auch zuzuschreiben, daß die Homöopathen ihren Nichtsen Heilkraft zuschreiben, und daß die Allopathen eine Unmasse von nichtsnutzigen Arzneistoffen besitzen, welche unter dem Namen „obsolete“ in die Rumpelkammer der Apotheke zurückgesetzt sind, ein Schicksal, welches den allermeisten unserer jetzigen Arzneistoffe in nicht zu langer Zeit ebenfalls bevorsteht.

Nun noch einige Worte über die „Curirfreiheit“ oder richtiger gesagt über die heutzutage florirende „Curirfrechheit“. Jedenfalls ist es die Aufgabe der Civilisation, den Menschen so frei wie nur möglich von jeder Art von Bevormundung und Einschränkung zu machen und ihm zur allergrößten Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu verhelfen. Dann muß aber auch der Mensch durch richtige Erziehung befähigt werden, von der Freiheit den richtigen Gebrauch machen zu können. Eine solche Erziehung läßt sich aber bei den in verkehrten Ansichten und Autoritätsglauben Aufgewachsenen nicht mehr mit Erfolg anwenden; sie muß schon in der ersten Jugend durch passenden, den Fortschritten der Wissenschaft und Moral entsprechenden Unterricht und mit einer verständigen Anleitung und Angewöhnung zur wahren Sittlichkeit beginnen. – Will man jedem Hans und Kunz zu curiren und mit giftigen Stoffen zu handeln erlauben, dann lasse man den Menschen aber auch in der Schule schon den nöthigen Unterricht in der Natur- und Gesundheitslehre geben, damit sie sich vor den oft äußerst gefährlichen Eingriffen jener Geheimmittelschwindler und Curirlaien zu schützen im Stande sind. Jedenfalls müßte, wie bei der Preßfreiheit gegen den Mißbrauch derselben ein Preßgesetz, so auch bei der Curirfreiheit ein Gesetz bestehen, nach welchem, wie in Amerika, Jeder, welcher sich mit Heilungen von Krankheiten abgiebt und dabei seinem kranken Mitmenschen offenbaren Schaden an seinem Leben und seiner Gesundheit zufügt, entschieden bestraft wird. Oder ist es nicht geradezu ein offenbarer Mord, wenn, was übrigens gar nicht so selten vorkommt, bei einem eingeklemmten Bruchschaden der ärztliche Berather ohne Untersuchung des Kranken und ohne Versuche, den Schaden zurückzubringen (was oft in wenigen Minuten Heilung veranlassen kann), innere Mittel oder irgend welchen Heilfirlefanz anwendet?

Um es kurz zu sagen: verständiger und urtheilsfähiger, besser und humaner, ja auch gesünder wird die Menschheit nur dann erst werden, wenn die richtige, auf Wissen und nicht auf Glauben gegründete Erziehung derselben nicht erst beim Erwachsenen, sondern schon beim Kinde, und zwar vom ersten Augenblicke seines Lebens an, durch besser gebildete Mütter, welche denken gelernt haben, eingeschlagen wird. Man bedenke doch nur, daß das seines Bewußtseins noch nicht mächtige Kind sehr leicht durch das Gesetz der Gewöhnung und Nachahmung, ebenso zum Bösen wie zum Guten, zum gedankenlosen blinden Glauben, wie zum Denken, ebenso zur Erbsünde [147] wie zu einer Erbtugend erzogen werden kann und daß ihm von Jugend auf die verschiedenartigsten Ideen und Gemüthsstimmungen der Art in das Gehirn einzupflanzen sind, daß es, wenn es erwachsen ist, meint, es seien ihm dieselben angeboren. Bevor aber unser Schulunterricht nicht mehr als jetzt für die Aufklärung thut, bevor sich nicht naturwissenschaftliches Wissen mehr Eingang in das tägliche Leben verschafft und Eigenthum des Volkes geworden ist, werden die Menschen auch nicht befähigt werden, von der Freiheit, sie mag betreffen was immer sie will, den richtigen Gebrauch machen zu können. Es wird aber sicherlich noch langer Zeit bedürfen, ehe die Erbtugend die große Mehrzahl der Menschen für die ganze volle Freiheit und für den Materialismus befähigt. Daß die jetzige Menschheit dieser Wohlthaten noch nicht würdig ist, dies beweist recht deutlich unser jetziges politisches Treiben, sowie der heftige Widerspruch, welchen heutzutage wissenschaftliche Thatsachen, die doch so segensreiche Wirkungen für das ganze menschliche Geschlecht haben könnten, erfahren, wenn sie gegen den Altgroßmutterwunderglauben verstoßen; es beweist dies auch die Theilnahmlosigkeit, welche die Gutsituirten den humanen Bestrebungen für Volksbildung und Volkswohl (Volksbildungsvereine, Kindergärten, Arbeiterwohnungen, Volksbäder etc.) gegenüber behaupten.

Nur durch die von aller Beeinflussung durch die Kirche befreite Schule (wenn sie nämlich so ist, wie sie sein soll) führt der Weg zur wahren Freiheit, zur edelsten Humanität, zur Volksgesundheit, zur Vernunft und reinsten Sittlichkeit.

Bock.