Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Zweiunddreißigster Brief

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Einunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Dreiunddreißigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band
Untertitel: Zweiunddreißigster Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Tredje delen.
Originalsubtitel: Trettiondeandra brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Zweiunddreißigster Brief.
New-Orleans (Louisiana), den 1. Jan. 1851.

Guten Morgen! Glückseliges neues Jahr, meine liebe Schwester, meine theure Freundin! Möge der Morgen dieses neuen Jahres fröhlicher zu Dir hereinblicken,[WS 1] als er es bei mir thut, und möge der hohe Norden[WS 2] Dir eine klare Sonne über der schneeweißen Erde geben! Ach! ein stiller, sonnenheller Wintertag bei uns, wenn alle Bäume weißgepudert dastehen und Alles freundlich und freudig leuchtet und glänzt in der reinen Luft; wie leicht und belebend ist es da zu athmen und dann, wie ich so manchmal um diese Jahrszeit that, auf den Wassern und Feldern des Thiergartens herumwandeln zu können — das ist herrlich! Aber hier in dem herrlichen Süden regnet und platscht es unaufhörlich. Der schöne Tag, wo ich zum letzten Male schrieb, hatte keinen Nachfolger. Heute schneit es auch noch zu dem Regen und das Wetter ist im höchsten Grade unangenehm. Die jungen Bäume auf dem Lafayette-Markt sehen ganz betrübt aus. Das Laub hängt herab wie Lumpen. Aber ich habe es gut in meinem warmen, hellen, gemüthlichen Stübchen, und über meinem Kamin prangt ein großer Zweig, voll der allersüßesten — durch und durch süßen — kleinen Orangen, und daneben stehen zwei große Flaschen von ächtem Louisianer-Traubensaft, Neujahrsgeschenke von guten neuen Freunden, welche mir Sommer im Zimmer und im Herzen gegeben haben. Ich habe Sonne genug in diesem neuen Jahr, ja sogar ein wenig übrig, wenn Jemand davon haben wollte.

Aber ich muß Dir jetzt ein wenig vom Bushkitu erzählen. Bushkitu ist ein Fest, das von den Indianern am Missisippi in diesen südlichen Gegenden jährlich gefeiert wurde, als die Europäer, zum ersten Mal da eindrangen. Es scheint mir das merkwürdigste unter den Festen der nordamerikanischen Indianer zu sein und dürfte auch auf die Neujahrsfeier der weißen Race, welche jetzt die Erde der rothen eingenommen hat, Etwas von seiner geistigen Bedeutung übertragen haben.

Die Bushkitufeier fiel auf den Schluß des Jahrs und währte acht Tage. Jeder Tag hatte seine besondere Ceremonie. Aber die Hauptzüge bei allen Ceremonien waren Fasten, Reinigungen und Selbstbetrachtungen. Es heißt nämlich mitunter in den Erzählungen davon: An diesem Tag (am: 3., 5. und 7., wenn ich mich recht erinnere) sitzen die Männer still auf dem Markte. Die Reinigungen waren Waschungen, bei welchen die Asche eine Hauptrolle spielt, und das kommt mir merkwürdig vor, daß diese Asche den Kriegern von jungen Mädchen gebracht werden mußte, die noch halbe Kinder waren. Auch die Speise, die sie zwischen das Fasten hinein genießen durften, mußte ihnen von diesen Kinderhänden gereicht werden. Die Männer (denn die Weiber werden nicht genannt) hatten auch nächtliche Tänze beim Scheine des Feuers, wobei sie sich mit dem warmen Wasser wuschen, in welchem sie gewisse Kräuter und Wurzeln kochten, die wohlthuende Kräfte in sich schlossen. Der Tanz der sechsten Nacht scheint am meisten symbolisch und der bedeutungsvollste zu sein. Am siebenten Tag sitzen die Männer wieder schweigend auf dem Markte. Der achte Tag war der letzte große Reinigungstag. Da gingen die Männer auf eine Anhöhe am Fluß, stürzten sich köpflings hinab und tauchten zu wiederholten Malen tief unter. Sodann kamen sie herauf und zogen ihre Alltagskleider, ihre gewöhnlichen Sitten und Beschäftigungen wieder vor. Aber das Merkwürdigste ist, daß nach dieser Zeit Alles, was vor derselben vorgefallen war, angesehen werden sollte, als wäre es nicht geschehen. Alle Beleidigungen, alle größere und kleinere Mißhelligkeiten zwischen den Mitgliedern der Nation sollten vergessen, der Mensch und das Leben sollte als neugeboren betrachtet werden. Wer nach dieser Zeit an etwas Unangenehmes erinnerte, das vor ihr eingetreten war, oder wer heimlichen Haß oder Unversöhnlichkeit zeigte, mußte Buße bezahlen. Der Bushkitu kam jedes Jahr wie ein Versöhnungs- und Erneuerungsfest. Wie herrlich, wenn in diesem indianischen Lethe auch alle bitteren Erinnerungen ertränkt werden könnten! Aber wer wird läugnen, daß Bushkitu mit seinem innern Willen und seiner äußern Arbeit eine gute Hülfe dazu sein könnte?

Uns civilisirten Menschen thäte es Noth, von den Wilden ihr Bushkitu zu erben.

In den Vereinigten Staaten, besonders in ihren großen Städten, herrscht eine Sitte, die ihren Ursprung möglicher Weise von dem Versöhnungsfest der Indianer hat und in New-York und New-Orleans in ihrer Blüthe stehen soll. In diesen Städten betrachtet man nämlich den Neujahrstag als eine Art von Versöhnungs- und Wiedergeburtstag. Die Neujahrsbesuche sind die Mittel dazu. Wenn im Verlauf des Jahrs irgend ein kleiner Groll zwischen zwei Menschen oder zwei Familien entstanden ist, wenn sie aufgehört haben, einander zu sehen oder mit einander zu sprechen, so ist ein Besuch am Neujahrstag genügend, um ohne weitere Erklärung Alles wieder gut zu machen. Man kommt dann auf beiden Seiten schweigend überein, alles Alte zu vergessen und das Leben wieder neu anzufangen.

Die Frauenzimmer der haute volée gehen an diesem Tag nicht aus, sondern sitzen in großer Gala in ihren mitten am Tage zierlich beleuchteten Salons, um die Herren zu empfangen, die nichts als Besuche und Complimente zu machen haben. Ich habe mir sogar sagen lassen, daß schon mancher junge Herr, der mit einer großen Anzahl von Bekanntschaften gesegnet war, sich an diesem Tag durch unaufhörliches Herumfahren von Haus zu Haus und dadurch, daß er vom frühen Morgen bis in die späte Nacht manches Hundert Treppen auf- und absteigen mußte, eine Krankheit an den Hals gesprungen habe.

Eine freundliche Familie von meinen neuen Freunden in New-Orleans lud mich ein, diesen Tag bei ihr zuzubringen, um das fröhlihe Schauspiel zu sehen. Aber das würde mich ermüden, ohne mir gleichwohl das zu geben, was ich am Neujahrstag bedürfte. Wenn es hier ein ächtes indianisches Bushkitu gäbe, so möchte ich gerne dabei sein, um zu vergessen zu suchen. Ich möchte dafür gerne in den Missisippi hinabtauchen, wenn ich nur gewiß wäre, wieder heraufzukommen! … Die Tiefe der Gnade Gottes wird mein Bushkitu sein. Und jetzt, während das Wetter zankt und weint, während die galante Welt Besuche und Complimente macht, während artige Cavaliere sich in dem schönen Lächeln und den gasbeglänzten Salons eleganter Damen sonnen, will ich in meiner guten Ruhe Dir von den Auftritten der letzten Tage, vom Sklavenmarkt und einer Sklavenauktion, der ich in New-Orleans beigewohnt habe, erzählen. Ich sah nichts besonders Anstößiges daran, außer — das Ganze; und ich kann mich einer Art von Verwunderung darüber nicht erwehren, daß solche Dinge und Vorfälle in einer Gesellschaft möglich sind, die sich christlich nennt. Es kommt mir manchmal vor, als könnte es keine Wirklichkeit sein, als wäre es ein Traum.

Der Sklavenmarkt wird hier in mehreren Häusern abgehalten. Man erräth den Weg dahin leicht durch die Gruppen farbiger Männer und Weiber (in allen Schattirungen zwischen Schwarz und Hellgelb), die beschäftigungslos an den Thüren sitzen oder stehen. Ich besuchte unter Anführung meines freundlichen Doktors einige von diesen Häusern. In einem von ihnen war der Sklavenwächter (oder Eigenthümer) ein freundlicher, gutmüthiger Mann, der sich des guten Aussehens seiner Leute rühmte. Die Sklaven wurden in einen großen Saal gerufen und in zwei Reihen aufgestellt. Sie waren gut genährt und gut gekleidet, aber ich habe mir von Leuten hier in der Stadt sagen lassen, daß sie ganz anders aussehen, wenn sie nach ermüdenden Tagmärschen, zwei und zwei in langen Reihen zusammengekettet, hier ankommen.

Ich bemerkte unter den Männern einige wahrhaft athletische Gestalten mit guten Gesichtern und auch merkwürdig guten, breite und gerade aufsteigenden Stirnen. Das geringste freundliche Wörtchen, ein freundlicher Scherz rief auf ihre Gesichter ein sonniges Lächeln voll Gutmüthigkeit, und die breiten Munde glänzten von perlweißen, schönen Zähnen. Ein Neger besonders — sein Preis war 2000 Dollars — erweckte mein ganzes Vertrauen, und ich sagte laut, dieser Junge (that boy) gefalle mir, und ich sei überzeugt, daß wir gute Freunde würden. „Ach, ja, Missis!“ sagte er mit einem herzlichen Lachen. Unter den Weibern, die im Verhältniß zu den Männern wortkarg waren — die ersteren waren 70-80 Köpfe stark — befanden sich einige sehr hübsche, helle Mulattinnen. Ein Herr nahm eine der schönsten von ihnen am Kinn und öffnete ihr den Mund, um ihren Gaumen und ihre Zähne zu besehen, wobei er nicht mehr Umstände machte, als wenn man einem Schaf oder Pferd ins Maul sieht. Wäre ich an ihrer Stelle gewesen, ich hätte ihn gewiß in den Daumen gebissen, so heftig erbitterte mich dieses Benehmen, woran er jedoch offenbar ebenso wenig Anstößiges sah, als sie selbst. Dieß ist nun einmal Sitte und Brauch bier zu Land. Meine Fragen an diese armen Menschen beschränkten sich hauptsächlich auf ihre Herkunft. Die Meisten kamen von Missouri und Kentucky. Da ich beständig von dem Sklavenwächter begleitet wurde, so konnte ich keine biographischen Notizen verlangen und jedenfalls durfte ich mich auf die Wahrheit derjenigen, die ih hier hätte erhalten können, nicht verlassen.

In einem andern dieser Sklavenhäuser sah ich einen Mann, dessen Aussehen und Ausdruck ich nicht vergessen würde, und wenn ich noch hundert Jahre lebte. Er schien der Herr der Sklaven zu sein, und mein Begleiter bat ihn für mich und sich um Erlaubniß, seine Sklaven zu sehen. Er willigte ein, aber mit einer Miene und einem Blick auf mich, als hätte er mich zerreiben wollen. Er war ein Mann von ungewöhnlicher Körpergröße und Schönheit. Seine Gestalt war herkulisch und der Kopf war seinen Zügen nach ein Jupiterskopf; aber die Majestät und Milde waren hier in eine Härte verwandelt, die wahrhaft schrecklich war. Ebenso gut könnte man zu einem Fels von Recht und Menschlichkeit reden, als zu diesem Mann. An dem starren Ausdruck der dunkelblauen Augen, an den fest zusammengepreßten Lippen ersah man, daß er seinen Fuß auf sein eigenes Gewissen gesetzt, mit allem Zweifel und Zögern abgeschlossen und Himmel und Hölle Trotz geboten hatte. Er mußte durchaus Geld haben. Hätte er in seiner starken Hand das ganze Menschengeschlecht erdrücken können, um es in Geld zu verwandeln, so würde er es mit Vergnügen gethan haben. Die ganze Welt galt ihm nichts, außer als ein Mittel, um Geld zu bekommen. Die ganze Welt konnte in Schutthaufen zusammenfallen, wenn nur er als ein reicher Mann, als der einzige reiche und mächtige Mann in der Welt darauf sitzen durfte. Wollte ich ein Bild der vollendeten, verhärteten Selbstsucht malen, so würde ich diesen schönen Kopf malen. Der vollkommen dunkle Ausdruck darin, der Mangel an Licht, Leben und Freudigkeit war um so auffallender, als die Gesichtsfarbe hell war, und die Wangen, obschon etwas eingefallen, schöne Rosen hatten. Der Mann schien ungefähr fünfzig Jahre zu zählen.

Nachdem ich drei Sklavenhäuser und auch eines der Zimmer gesehen hatte, wo die Sklaven über Nacht gehalten werden, und wo es weder Betten, noch Stühle oder Tische gab, ging ich in das Spital von New-Orleans. Es schien mir eine große, gut gehaltene Anstalt zu sein. Es waren einige Cholerakranke da. Ein junger Mann und ein junges Mädchen lagen am Tode. Ich legte meine Hand an ihre Stirnen. Sie empfanden es nicht. Sie waren bereits in den letzten Schlaf versunken.

Am Mittag dieses Tags, am 30. Dezember, war ich bei meinem Landsmann, Herrn Schmidt, der mich mit einem ächten New-Orleaner Mittagessen und besonders mit einer Lieblingssuppe in Louisiana, genannt Gumbo, einer sagoartigen Grütze traktiren wollte.

Herr Schmidt ist ein lebhafter kleiner Mann, mit creolischer Grazie in seinem Wesen, sehr redselig und freundlich. Er ist (in zweiter Ehe) mit einer französischen Creolin von New-Orleans verheirathet und hat mit ihr mehrere allerliebste kleine Jungen, mit dunkeln Augen und dunkeln Locken, wie kleine Franzosen. Die Frau war auch schön, eine gemüthliche, einfache Person, die noch niemals eine Schriftstellerin gesehen hatte und sich einigermaßen darüber zu verwundern schien, daß diese wie ein anderes Menschenkind war und wie ein solches sprach. Sie schien zu glauben, eine Person, die Bücher schreibe, müsse auch sprechen wie ein Buch.

Das New-Orleaner Mittagessen war ausgesucht gut und Gumbo ist die Krone aller schmackhaften delikaten Suppen in der Welt, ein wahres Lebenselixir von der gehaltvolleren Sorte. Wer Gumbo gegessen hat, kann auf die ächteste Schildkrötensuppe vornehm herabschauen. Nach dem Mittagessen plauderten meine Wirthin, ihre Schwester und ich ganz gemüthlich am Kaminfeuer. Es machte mir Freude, mich mit der ungekünstelten, freundlichen Dame zu unterhalten, sie französisch sprechen zu hören und auch in dieser Sprache mit ihr reden zu dürfen. Dieß ist für Zunge und Ohr eine reine Erquickung nach der unmelodischen und mühseligen englischen Sprache.

Abends trank ich Thee bei einer Familie Callendar, die in Louisiana eine Plantage besitzt. Tiefer Kummer über den Verlust zweier hoffnungsvollen Kinder scheint den Vater niedergedrückt und das Herz der Mutter beinahe zermalmt zu haben. Eine Tochter ist noch übrig, Julia. Holdes, junges Mädchen! Bei des Mondscheines Tanz auf den Wellen, beim Duft der Veilchen und beim Anblick milder Vergißmeinnicht, bei Allem, was lieblich und lebensvoll, unschuldig und lebenswarm ist, aber dennoch aussieht, als sollte es nicht lange auf Erden verweilen, will ich an dich denken, Julia C., und mich sehnen, dich wieder an meinen Busen zu drücken, du blasses, holdes, strahlendes Kind des Südens, und will dich auf Erden zurückhalten, damit nicht deiner Mutter Herz breche und damit dein Vater und dein Haus noch eine Freude habe.

Am 31. Dezember ging ich (fortwährend in Regen und rauhem Wetter) Arm in Arm mit meinem ehrlichen Freund, dem Doktor, aus, um einer Sklavenauction anzuwohnen, die nicht weit von meiner Wohnung vor sich ging. Sie wurde an einem der kleineren Auctionsplätze vorgenommen, die sich in verschiedenen Theilen von New-Orleans vorfinden. Der Hauptplatz für die Sklavenauction ist eine herrliche Rotunde, deren prächtiges Gewölbe würdig wäre, von Freiheitsgesängen wiederzuhallen. Ich war da einmal mit Mr. Harrison, um einer größeren Sklavenauction anzuwohnen, aber wir kamen zu spät.

Doktor D. und ich gingen in einen großen, ziemlich unfreundlichen und schmutzigen Saal zu ebener Erde in einem Haus, wo eine Menge Volks versammelt war. Etliche und zwanzig herrenartige Männer standen in einem Halbkreis um einen hohen Schemel von schmutzigem Holz, der für den Augenblick leer war. Auf der Seite der Mauer entlang standen einige schwarze Männer still und ernst. Die ganze Versammlung war schweigsam, und es schien mir, als ob eine schwere graue Wolke über ihr ruhte. Durch die nach der Straße zu geöffnete Thüre hörte man den fallenden Regen. Die Herren warfen mir schiefe, finstere Blicke zu und hätten mich wahrscheinlich gerne an den Nordpol geschickt.

Ein paar Herren kamen hastig herein. Der eine von ihnen, ein großer, feister Mann von heiterem und gutmüthigem Aussehen, offenbar ein Bonvivant, bestieg den Auctionsschemel. Er war, sagte man mir, ein Engländer, und dieß hätte ich von selbst aus seiner blühenden, nicht amerikanischen Gesichtsfarbe geschlossen. Er kam offenbar von einem guten Frühstück und schien noch munter daran zu arbeiten, den letzten Bissen hinabzuschlucken. Er nahm den Auctionsstab in seine Hand und redete die Versammlung ungefähr folgendermaßen an:

„Die Sklaven, die jetzt um jeden Preis verkauft werden sollen, sind einige wenige Haussklaven, die Alle einem einzigen Herrn gehören. Er hat sich für einen seiner Freunde verbürgt, und da dieser seine Cession machte, so ist er jetzt, um seine Verbindlichkeit zu honoriren, genöthigt, seine treuen Diener wegzugeben. Diese Sklaven werden also nicht in Folge eines Fehlers, den sie begangen hätten, oder aus irgend einer Mangelhaftigkeit von ihrer Seite verkauft. Sie sind treue und vortreffliche Diener, und nur eine harte Nothwendigkeit hat ihren Herrn bestimmen können, sich von ihnen zu trennen. Sie sind den höchsten Preis werth, und wer sie kauft, kann überzeugt sein, daß er damit die Wohlfahrt in seinem Hause vermehrt.“

Hierauf bedeutete er einem schwarzen Weib vorzutreten und reichte ihr die Hand, um auf den Schemel zu steigen, wo sie dann neben ihm stand. Sie war eine große, gut gewachsene Mulattin, mit schönem, aber melancholischem Gesicht und ausgezeichnet bescheidener, edler Haltung; sie trug in ihren Armen ein zartes schlafendes Kind, auf welches sie während des ganzen Auctionsverfahrens unverwandt mit gesenktem Haupte herabblickte. Sie war in ein graues, bis an den Hals hinaufreichendes Kleid gehüllt und hatte ein blaßgelbes, braungestreiftes Tüchlein um ihren Kopf gebunden. Der Auctionator begann jetzt vor der Versammlung alle guten Eigenschaften dieses Weibs, sowie ihre Künste und Fertigkeiten hervorzuheben. Er pries ihren Charakter, ihren gesunden Sinn, ihre Ordnung, Treue, ihre ungewöhnliche Fähigkeit einer Haushaltung vorzustehen, ihre Frömmigkeit, ihre Talente, und bemerkte, daß das Kind, das sie an ihrer Brust trage und das zugleich mit ihr verkauft werden solle, ebenfalls ihren Werth noch erhöhe. Darauf rief er mit lauter Stimme:

„Jetzt, Gentlemen, wie viel für dieses wahrhaft ausgezeichnete Weib (this very superior woman), diese vortreffliche u. s. w. u. s. w. und ihr Kind?“

Dabei deutete er mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf einen um den andern von den umstehenden Herrn, die seinen Aufruf zuweilen mit einem stummen, kurzen Kopfnicken beantworteten. Zugleich fuhr er unaufhörlich also fort:

„Bieten Sie mir 500 Dollars, Gentlemen? Man hat mir 500 Dollars für dieses vortreffliche Weib mit ihrem Kind geboten. Daran ist nicht zu denken. Sie ist mit dem Kind doppelt so viel werth.“ „„550! 600! 650! 660! 670!““ „Mein bester Herr, warum nicht sogleich 700 Dollars sagen für dieses ungewöhnliche, ausgezeichnete Weib mit ihrem Kind! 700 Dollars sind ein Spottpreis. Sie würde nie um diesen Preis verkauft werden, wenn nicht ihr Herr das Unglück gehabt hätte u. s. w. u. s. w.“

Der Auctionsstab fiel schwer herab. Das Weib war nebst ihrem Kind um 700 Dollars an eine der finsteren, stummen Gestalten vor ihr verkauft. Was er war, ob er gut war oder böse, ob er sie in eine erträgliche oder in eine unerträgliche Sclaverei führen würde, das wußte die verkaufte Frau und Mutter so wenig als ich, und ebensowenig wußte sie, in welchen Theil der Welt er sie führen würde. Und der Vater ihres Kindes — wo war er?

Die Augen unablässig auf das schlafende Kind geheftet, mit niedergeschlagener, aber ergebungsvoller Miene stieg die schöne Mulattin vom Auctionsschemel herab, um sich an der entgegengesetzten Seite der Wand aufzustellen. Nach ihr schritt ein junges, sehr dunkles Negermädchen mit einem hübschen gelben Tuch, das zierlich um ihren Kopf gebunden war, so daß die Zipfel wie zwei Flügel auf beiden Seiten hinausstanden, den Schemel hinan. Sie war außerordentlich nett und behend, und ihre Augen spielten muthig und neugierig über die Versammlung umher.

Der Auctionator pries auch ihre Verdienste und rief dann: „Wie viel für dieses ganz hübsche junge Mädchen (this very likely young girl)?“

Sie war bald verkauft, wenn ich mich recht erinnere, für 350 Dollars.

Nach ihr bestieg ein junger Mann den Schemel. Er war Mulatte und hatte ein ausgezeichnet gutmüthiges Gesicht, das Milde und Zartgefühl ausdrückte. Er war im Hause seines früheren Herrn Bedienter gewesen, war von ihm erzogen worden, hatte in großer Gunst bei ihm gestanden und verdiente es auch, ein ganz vortrefflicher junger Mann (a most excellent young man).

Er wurde für 500 oder 600 Dollars verkauft.

Zunächst kam ein älteres Weib, ebenfalls mit einem jener gutherzigen, gemüthlichen Gesichter, die man so oft bei der schwarzen Bevölkerung findet, und mit einem Wesen, das deutlich bewies, daß auch sie im Dienste eines guten Herrn gestanden, daß sie an milde Behandlung gewöhnt und unter derselben mild und glücklich gewesen war. Alle diese Sklaven, mit Ausnahme des jungen Mädchens, das mehr muthwillig als gut aussah, trugen das Gepräge der Thatsache, daß sie in einem liebevollen Familienleben gelebt hatten.

Und jetzt, was sollte hernach ihr Schicksal werden? Wie bitter mußten sie nicht, wenn sie in böse Hände geriethen, den Unterschied zwischen einst und jetzt empfinden, wie schrecklich mußte ihnen nicht ihr Schicksal erscheinen? Die Mutter insbesondere, deren ganze Seele auf ihr Kind concentrirt ist, und die vielleicht bald dieses Kind von ihrer Brust hinweg in weite Ferne verkauft sieht, wie mochte es ihr zu Muth sein?

Keine Predigt, keine Antisklavereirede könnte so kräftig gegen das Sklavereiinstitut sprechen, wie diese Sklavenauction.

Der Herr war gut, die Diener ebenfalls gut, ergeben und treu; und dennoch wurden sie an den nächsten besten Liebhaber verkauft, verkauft wie unvernünftige Thiere.

Am Abend. 

Der Neujahrstag ist zu Ende. Auch ich habe an demselben Besuche von artigen Herrn gehabt, die mir bis jetzt fremd waren. Unter ihnen erinnere ich mich mit besonderem Vergnügen an zwei Brüder Namens Duncan, Bankiers in der Stadt, ernste und herzliche Männer, die sich durch ihre brüderliche Liebe und ihre patriotische Gesinnung gleich sehr auszeichnen sollen. Mein Landsmann, Herr Ch. Schmidt, hat heute Abend bei mir gesessen und mit mir geplaudert. Er hat lange in New-Orleans gelebt, und kennt eine ganze Menge von Verhältnissen, er ist offen und mittheilsam, so daß ich viel Gutes von seiner Gesellschaft habe.

Mein Leben hier im Hause ist das angenehmste, das ich nur wünschen kann. Das garstige Wetter hat mir wahren Genuß gebracht, weil es mir Zeit gab ein wenig zu lesen und zu zeichnen. Letzteres ist eine nothwendige Ruhe und Erquickung für mich. Ich habe die Portraits einiger Freunde gezeichnet und meine kleine Aufwärterin hier gemalt, eine hübsche dunkle Mulattin mit schönen Augen und einem zierlichen gelben Tüchlein um die Stirne so gebunden, wie es bei den Negerinnen Louisianas der Brauch ist. Sie ist bisher vergleichungsweise eine glückliche Sklavin gewesen.

„Waren Deine Eigenthümer gut gegen Dich?“ fragte ich sie.

„Sie haben mir nie ein böses Wort gesagt, Missis,“ antwortete das Mädchen.

Sonntag den 5. Januar. 

In Eile und Kürze einige Worte von gar manchen Dingen, die ich in diesen letzten Tagen erlebt habe, besonders gestern und heute.

Gestern Vormittag besuchte ich die Gefängnisse der Stadt in Begleitung der Vorsteher und einiger ausgezeichneten Richter, die sehr angenehme Herrn waren. Die äußere Haltung der Gefängnisse schien mir gut. Ordnung und Sauberkeit herrschten vor, wie überall, wo die anglo-amerikanische Race Gesetze stiftet. Von der innern Ordnung habe ich mir folgende Züge gemerkt.

Ich hatte einige Stuben besucht, wo Frauenzimmer, die grober Verbrechen angeschuldigt waren, bis auf Bekenntniß saßen. Ihre Kleidung zeugte von Umständen, die weit über der Armuth waren, aber ihr Aussehen von der Herrschaft gewaltsamer und unedler Leidenschaften. Unter ihnen bemerkte ich besonders eine Frau, die eines aus Eifersucht begangenen Mordes an ihrem Mann verdächtig war, und ein sehr freches übermüthiges Wesen hatte. All diese Damen betheuerten ihre Unschuld und klagten über Ungerechtigkeit. Sie hatten jede für sich ein Stübchen, durften aber gemeinschaftlich eine Piazza benützen, welche an der Mauer entlang in den Hof führte. Auf dieser Piazza saßen in einer Gruppe einige Negerweiber, die sich an der hervorstehenden Sonne wärmten. Sie sahen so gut und friedfertig aus, besonders hatten ein paar junge Mädchen ein so deutliches Gepräge von Unschuld und Gutherzigkeit, daß ich mit einiger Verwunderung fragte:

„Warum sind diese hier? Was haben sie Böses gethan?“

„Sie haben nichts Böses gethan,“ antwortete man mir. „Ihr Herr hat für einen Mann, der Bankrott machte, Bürgschaft eingegangen, und damit die Bürgen nicht seine Dienstboten wegnehmen und in die Auction schicken, hält man sie so lange eingesperrt, bis er Gelegenheit bekommt sie wieder zu sich zu nehmen.“

„Sie sehen,“ fügte einer der Richter hinzu, „daß man die Leute zu ihrem Schutze, um ihres Besten willen hier eingesperrt hat.“

„Wie lange können sie da sitzen müssen?“ fragte ich, indem ich an den absonderlichen Vortheil dachte, den sie von dem täglichen Umgang mit den „unschuldigen,“ der gröbsten Verbrechen angeklagten weißen Damen haben mußten.

„O höchstens zwei bis drei Wochen, eine ganz kurze Zeit,“ antwortete der Richter.

Eines der jungen Negermädchen lächelte halb wehmüthig, halb ironisch. „Zwei Wochen!“ sagte sie; „wir sitzen bereits zwei Jahre da.“

Ich sah den Richter an. Er schien etwas verblüfft zu sein. „O,“ sagte er, „dieß ist ein besonderer, ein sehr ungewöhnlicher Fall. Es ist ein Ausnahmsverhältniß … etwas höchst Seltenes.“ Und er eilte mich wegzuführen.

Wieder und immer wieder diese Ungerechtigkeit gegen Menschen, deren ganze Schuld in einer dunkelgefärbten Haut besteht.

Gleich nach dem Mittagessen besuchte ich das katholische Waisenhaus für zweihundert kleine Mädchen, die von fünfzehn barmherzigen Schwestern verpflegt werden — eine schöne und gut gehaltene Anstalt. Kaum nach Hause gekommen, wurde ich in die französische Oper abgeholt. Man gab „Jerusalem“ von Verdi und zwar recht gut. Die Primadonna, Madame D., steht bei dem Publikum in hoher Gunst und verdient dieß durch ihre schöne Gestalt, durch das Edle in ihrem Wesen und ihren ausgezeichnet musikalischen Gesang, obschon ihre Stimme nicht stark ist. Ihre Hände und Arme waren von seltener Schönheit, und die Bewegungen derselben standen in anmuthsvoller Harmonie mit dem Gesang.

Die für mich interessanteste Scene war inzwischen nicht auf der Bühne, sondern im Theatersaal, wo die Damen von New-Orleans in Logen und im Amphitheater saßen, wie ein Blumenbeet von weisen Rosen. Sie trugen sämmtlich weiße Florkleider mit bloßen Hälsen und Armen (zuweilen sehr bloß); auf dem Kopf hatten sie nichts, sondern nur theilweise Blumen in den Haaren. Alle waren sehr blaß, aber ohne eine kränkliche Blässe; viele der jungen Damen waren sehr hübsch, mit feinen Zügen und kindlich runden Gesichtern. An Schönheit mangelte es, wie überall in der Welt. Die weiße Schminke, deren sich die Frauenzimmer hier allgemein bedienen, gibt ihrer Haut viel Weichheit, ist aber oft gar zu sichtbar. Ich habe nichts dagegen, wenn man sich im Gesellschaftsleben so schön als möglich zu machen sucht; aber man muß dieß auf eine feine Art und recht thun, sonst sieht es grob aus und macht einen unbehaglichen Eindruck.

Ich saß in einer Loge auf dem Amphitheater, das in Logen eingetheilt ist, und war von einem Freund des Mr. Harrison, einem angenehmen und musikalischen Manne, Mr. Day, eingeladen. Ich hatte von Mr. Harrison eine schöne weiße Camelie erhalten, die ich in das schöne dunkelbraune Haar der Mrs. Geddes steckte, und jetzt hatte ich das Vergnügen, diese Blume auf ihrem edelschönen Kopf in einer Loge der ersten Reihe glänzen zu sehen. Ich hatte übrigens Kopfweh von der Hitze und den Strapatzen des Tages, aber es lag mir so viel daran am Morgen wieder wohl zu sein, weil ich da mit Mr. Harrison den französischen Markt besuchen sollte, daß es mir durch starken Willen und starken Kaffee auch gelang und ich heute früh um sechs Uhr schon mit meinem Cavalier nach dem französischen Theil der Stadt wandelte.

Der französische Markt steht in seinem höchsten Flor am Sonntagmorgen, und auch dieß bezeichnet den Unterschied des französischen Nationalcharakters von dem anglonormännischen, der eine solche Veranstaltung als eine Sabbathsentweihung ansehen würde.

Der französische Markt bietet eine der lebensvollsten und pittoreskesten Scenen von New-Orleans dar. Man findet sich da auf einen großen Pariser Markt versetzt, nur mit dem Unterschied, daß man hier mehr Völkerstämme sieht, mehr Sprachen hört und eine größere Menge von Produkten verschiedener Zonen vor Augen bekommt. Hier sind Engländer, Irländer, Deutsche, Franzosen, Spanier, Mexicaner, hier sind Neger und Indianer. Die meisten der Verkäufer sind schwarze Creolen (oder Eingeborne), haben französische Lebhaftigkeit und Munterkeit, sprechen gut französisch und „bon jour, Madame! bonjour, Madame!“ klang mir aus manchem Mund mit dem heitersten Lächeln und den schönsten weißen Zähnen entgegen, während ich so umherwandelte zwischen den überfüllten Ständen mit Vögeln, Früchten und Blumen, Brod und Backwerken, Grütze und Gemüsen und unzähligen guten Dingen, Alles zierlich geordnet und von einem solchen Ueberfluß an Producten der Erde zeugend, daß sich mir unwillkürlich das Gefühl aufdrang, es wäre rein unmöglich, daß irgend Jemand auf Erden Noth litte, wenn nur Alles vernünftig eingerichtet wäre. Die Obstbuden waren ein wahrer Prachtanblick; sie prangten von hübschen Früchten aller Zonen, worunter viele tropische mir gänzlich neu waren. Ungefähr zwei- bis dreitausend Personen, theils Käufer, theils Verkäufer, waren hier in Bewegung, und zwar in so guter Ordnung, in einem so sonnigen und freundlichen Leben, daß man nicht umhin konnte, sich herzlich daran zu erfreuen. Man frühstückte, schwatzte und lachte, ganz wie auf dem Markt in Paris, man lärmte und scherzte; besonders die Schwarzen, die Kinder des Wendekreises, strahlten vom munterem Leben. Das Ganze war eine ächt sonnige Scene des Südens, voll von Sonnenschein, Heiterkeit und guter Laune. Auf den äußersten Enden des Marktplatzes befanden sich die Indianer. Kleine Indianermädchen saßen da in ihre Filze eingehüllt, mit ernsten, steifen Gesichtern, die niedergeschlagenen Augen auf Tücher geheftet, die vor ihnen ausgebreitet lagen, und auf denen sie einige wilde Wurzeln und Pflanzen hatten, die sie zum Verkauf hieher gebracht.

Hinter ihnen und außen vor dem Marktplatz schoßen indianische Knaben mit Bogen und Pfeilen in die Luft, um weiße junge Herrn zum Ankauf ihrer Spielwaffen zu verlocken. Die rothen Knaben waren mit glänzenden Bändern um die Stirne und mit Federn geschmückt, und zeigten auch hier einen starken Contrast gegen die bleichen, scheuen, ungeschmückten Mädchen. Diese Indianer gehörten den Stämmen Choctaw und Chickasaw an, wovon sich im westlichen Louisiana und in Alabama noch mehrere Familien vorfinden.

In der steigenden Sonne (denn die Sonne war auch dabei auf dem Marktfest) und den Saft lieblicher Orangen trinkend verließen Harrison und ich die heitere Scene und gingen nach Hause, dem Hafen entlang, wo ungeheure Zuckerfässer aufgeschichtet lagen.

Später am Tag war ich in der Kirche. Der Geistliche, den man für ein Genie ausgab, predigte Menschenliebe auf heidnische Weise, indem er den Ausspruch eines berühmten Römers anführte:

„Wenn ein Mensch sich nicht mehr um seinen Nebenmenschen annimmt, als um sein Vieh und seine Sklaven, so verdient er den Namen eines guten Menschen nicht.“

Dieß sei Dir genug von der Predigt und dem Prediger, der übrigens nicht ohne Talent war, besonders in der Ausführung, nur daß er allzu stark agirte.

Nachmittags führte mich Mr. Geddes auf die französischen Kirchhöfe. Dieß war eine wahre Todtenstadt, ganze Straßen und Märkte von steinernen Kapellen und Grüften, die alle über der Erde standen (um der Feuchtigkeit und des Wassers willen, denn der Boden ist hier überall sehr sumpfig), und dazwischen hinein kein Baum, kein Grasplan, nichts Grünes (außer an einigen einsamen Gräbern), keine Blumen, Nichts was von Leben, Erinnerung und Liebe zeugt. Alles war todt, Alles versteinert, Alles öde. Es waren auch keine Spaziergänge da. Wo ich ging, ging ich zwischen gemauerten Gräbern und Kapellen; wohin mein Auge blickte, begegnete es Grabhäusern und nackten Mauern, die über sich oder im Hintergrund nichts Anderes hatten als den klaren blauen Himmel, denn er war klar über der Stadt der Todten. So durchwandelte ich drei ungeheure Grabplätze. Es war der größte Contrast gegen die Scene des Morgens, den man sich nur denken kann.

Morgen gehe ich mit Mr. und Mrs. Geddes nach Mobile in Alabama, wohin ich von einer jungen Mrs. Walton Levert eingeladen bin, von der ich schon oft als einer ganz bezaubernden und sowohl im Norden als im Süden der Vereinigten Staaten sehr gefeierten Belle gehört habe. Wir werden mit dem Dampfboot über den Pontchartrain-See fahren und sodann in die mexikanische Bucht, an welcher Movilla, jetzt Mobile, liegt.

Mobile, den 8. Januar. 

Sommer, Sommer, vollkommenes Mittsommerwetter, meine Agathe! Ach, daß ich Dich durch irgend eine Zauberkunst in diese Luft oder diese Luft in Dich versetzen könnte, denn sie würde Dich gesund und glücklich machen, so wie sie mich schon seit einigen Tagen ganz glücklich stimmt. Schon am 5. Januar, am Tage, wo das Wetter von garstig in herrlich umschlug (es hatte jedoch schon ein paar Tage vorher sich aufzuhellen begonnen), bin ich in eine Art von Verzückung über eine solche Luft und eine solche Lieblichkeit gerathen, und hätte ich nur Dich gehabt, um sie mit mir zu genießen, so würde mir Nichts gefehlt haben.

Am Montag Nachmittag reiste ich in Gesellschaft des ehrlichen Swedenborgianers Mr. Geddes und seiner liebenswürdigen, höchst angenehmen Frau von New-Orleans ab.

Es war der allerschönste Abend und der Sonnenuntergang war herrlich auf dem Pontchartrain, einem großen, in den mexicanischen Meerbusen auslaufenden Binnensee, an dessen niedrigen Ufern die Plantagenbesitzer Louisianas schöne, luxuserfüllte Landhäuser und Baumgärten haben. Das Dampfschiff Florida, das uns über den stillen klaren See trug, war eine Blume unter den Dampfschiffen, so zierlich und nett und noch in seiner ersten Frische; Mr. Geddes, ein Miteigenthümer des Schiffes, wollte mir nicht erlauben meine Ueberfahrt zu bezahlen.

Wir erfreuten uns an der lieblichen Luft, betrachteten den prachtvollen Abendhimmel, aßen, tranken, schliefen gut und sahen am nächsten Morgen die Sonne hell strahlen über Mobile.

Mrs. Levert kam und holte mich in ihrem Wagen ab. Ich sah in ihr ein hübsches Weibchen, das im Gesicht, Wesen und Rede merkwürdige Aehnlichkeit mit Frau L. hat, aber mit weniger Stahl in ihrer Natur als diese. Ich hatte viel von ihrer Lebhaftigkeit und Anmuth gehört, und nun wunderte ich mich in ihrem Gesicht deutliche Spuren eines tiefen Kummers zu sehen. Sie ist nämlich vor zwei Jahren Schlag auf Schlag vom Tode ihres Bruders und zweier ihrer Kinder betroffen worden, und seit dieser Zeit hat sie dem Gesellschaftsleben, dessen Zierde sie gewesen, und aller Eitelkeit der Welt abgesagt. Sie sperrte sich in ihre Zimmer ein und lebte da mehrere Monate unter beständigen Thränen eingeschlossen. Lady Worthly Montagues Besuch in Mobile, ihre seelenvolle Gesellschaft und Sympathie riß sie zum ersten Mal wieder aus ihrer tiefen Schwermuth, und so wurde es allmälig besser mit ihr. Aber sie trägt sich noch immer ganz schwarz und ist für die Vergnügungen der Welt wie abgestorben. Sie glaubt nicht, daß sie jemals das Gefühl des Kummers überwinden kann, der sie gleichsam zermalmt hat. Gleichwohl ist sie lebhaft und kann mitunter herzlich lachen. Aber man sieht es ihren Augen an, daß sie viel geweint haben.

Gestern Nachmittag führte sie mich zu Wagen auf eine schöne Promenade durch einen Magnolienwald am Ufer des mexicanischen Meerbusens entlang. Die Magnolie ist ein Lorbeerbaum mit ewiggrünen Blättern von dunkler, aber klarer Farbe. Er ist unregelmäßig in seiner Gestalt, aber lang, und seine Krone meistens rund und reich. Die langen Moosflechten (Tillandsia Usnoides) hängen wie Schleier an seinen starken, knotigen Armen zwischen Grotten von dunklem Laub. Es ist dieß ein höchst romantischer Baum, und wenn er seine schneeweißen, duftigen Blumen ausschickt, erinnert er an ein Byronsches Gedicht.

Die Luft war lieblich. Die Wogen des mexicanischen Busens brachen sich weich und breit am Ufer, unter einem großen, aber gedämpften Geräusche. Der Wald stand still, frisch und grün da. Ich ruhte, athmete, genoß in inniger Harmonie mit der Naturscene und der liebenswürdigen jungen Frau an meiner Seite.

Abends war ich im Theater, auf besondere Einladung des Directors, welcher die Artigkeit hatte, mir für die Dauer meines Aufenthaltes in der Stadt eine Loge zur Verfügung zu stellen.

Ich sah ein kurzweiliges kleines Stück, betitelt: „Jenny Lind in Heidelberg.“ Es wurde mit humoristischem Leben gespielt; auch fand ich großes Vergnügen an einem andern Stück, „die Tochter der Sterne,“ worin eine ganz junge, ungewöhnlich begabte Schauspielerin, Miß Julia D., mich zu meiner eigenen Ueberraschung Thränen vergießen machte. So naturfrisch, so wahr und mit so vielem Pathos habe ich nie spielen sehen, seit ich auf dem Theater in Stockholm Jenny Lind sah.

Vom 8 — 12. Januar. 

Schöne stille Tage! Mir gefällt Mobile, die Einwohnerschaft von Mobile und Alles in Mobile. Ich gedeihe vortrefflich in Mobile. Ich wohne bei Mrs. Walton, der Mutter von Mrs. Le Vert, einer guten alten Dame, Wittwe des früheren Gouverneurs von Florida. Das Haus ist sonnig und friedlich, und das Aussehen und Wesen der Negersklaven ist gleichfalls sonnig und friedlich. Jeden Morgen spaziere ich nach einem Lager der Choctaw-Indianer, unmittelbar vor der Stadt, denn es macht mir unendlich viel Vergnüen, das Leben und Treiben dieser wilden Völker zu sehen. Um dahin zu kommen, gehe ich die Government-Street hinein, die vornehmste Straße in der Stadt, eine breite gerade Allee von schönen Villen, umgeben von Bäumen und Gärten; die allerschönsten jungen Orangenbäume, mit Früchten bedeckt, prangen in der Sonne, und die Sonne, die warme gesegnete Sonne des Südens, strahlt hier alle Tage und macht sie zu schönen Sommertagen.

Das Indianerlager besteht aus dreizehn Hütten von Baumrinden, ungefähr so wie unsere Marktbuden gebaut, aber ganz offen auf einer Seite, wenigstens am Tage. In den Hütten sieht es höchst dürftig aus. Die ganze Thätigkeit und Sorge der Bewohner scheint auf die Befriedigung des Magens auszugehen. Ich bin zu verschiedenen Zeiten des Tages dagewesen und sehe sie immer mit Essen oder mit Zubereitung von Speisen beschäftigt. Heute frühstückten sie Orangen, die in großen Haufen kaum erst ins Lager gebracht worden zu sein schienen. Ich argwöhnte, daß sie nicht von der frischesten Beschaffenheit sein möchten. Aber dieses rothe Volk, wie es die hübschen Früchte am Rand des grünen sonnenbeglänzten Waldes aß, war ein recht heitrer Anblick. Feuer brennt beständig vor den Rindenhütten und am Feuer sitzen alte Weiber, grauhaarig und eingeschrumpft, wahre Hexengestalten, die entweder in einem Kessel über dem Feuer herumrühren oder ihre magern Hände wärmen und sich so viel als möglich in den Rauch einhüllen zu wollen scheinen. Die Kinder, die in Gruppen um die Feuer herumsitzen, oder im Gras herumspringen und den Ball in die Höhe werfen, sind hübsch und lebhaft und haben schöne dunkle Augen. Die jungen Weiber sind zuweilen sehr mit Arm- und Halsbändern geschmückt und haben auf den Wangen verschiedene gemalte Zierrathen. Auf dem Weg nach der Stadt begegnet man beständig Indianerinnen, die auf dem Rücken große Körbe mit Scheinholzstöcken tragen, welche sie in der Stadt verkaufen. Der Korb wird durch einen Gürtel festgehalten, den sie um die Stirne binden, wie die Indianerinnen in Minnesota. Die Männer sind draußen auf der Jagd, höher oben in den Berggegenden Alabamas. Einige von ihnen, die hier bleiben, haben sich zwischen einigen Bäumen einen Schirm von Zweigen und Laub gemacht, hinter welchem sie sich kleiden, bemalen und schmücken. Sie tragen Ringe in der Nase und kleiden sich sehr zierlich. Einer von diesen Indianern ist ein ungewöhnlich schöner junger Mann und trägt sein Haar in langen über die Schultern herabfallenden Locken. Ein paar junge Mädchen habe ich abgezeichnet. Sie sehen recht gesund und munter aus und gleichen vermöge ihrer Gesichtszüge Jüdinnen, nemlich solchen Jüdinnen, die etwas breite und platte Nasen haben.

Man rühmt die Zuverläßigkeit und das treue Worthalten dieser Indianer. Weiter hinauf am Alabamafluß soll man noch eine ganze Menge Indianer in wildem Zustande finden. Und ein großer Theil des Alabamastaats ist noch in wildem Zustand, sowohl in Bezug auf seine Natur als auf die Sitten seiner weißen Einwohner. Der Staat ist jung, erhielt seine Constitution erst im Jahre 1819 und hat das Sklaven-Institut, diejenige vom allen Einrichtungen, welche den geistigen und materiellen Stillstand am meisten fördert. Die Sklavenkette fesselt die weißen Herren ebensogut wie die schwarzen Diener.

Auch Mobile hat seinen Sklavenmarkt, den ich besucht habe; aber ich fand da nur einige übrig gebliebene Mulattenmädchen, die träge und gleichgültig aussahen.

Im Theater bin ich mehrere Male gewesen und habe mit stets erneutem Vergnügen und Interesse die hoffnungsvolle junge Schauspielerin Miß D. beobachtet. Eines Abends sah ich Miß D. und mehrere von der Schauspielergesellschaft bei Mrs. Le Vert. Es waren angenehme und gebildete Leute, und die junge Miß D. war im Zimmer noch schöner als auf der Bühne, dabei so sittsam in Kleidung und Wesen, wie nur irgend eine der jungen Puritanerinnen Neu-Englands es sein kann. Sie lebt mit ihrem Vater zusammen, der ebenfalls ein verdienstvoller Schauspieler ist.

Bei Mrs. Le Vert habe ich eine ganze Menge von Mobiles schöner Gesellschaft gesehen, und hübschere junge Frauenzimmer habe ich nirgends getroffen. Einige von ihnen waren aus den nördlichen Staaten und verriethen das intelligente Leben, das denselben vorzugsweise angehört. Und wiederum mußte ich denken, daß etwas Anmuthsvolleres als die schöne und gebildete Amerikanerin auf Erden kaum zu finden sei.

Auch an einige ältere Herren, Beamte ihres Staats, denke ich mit Vergnügen zurück; sie waren klug und klar in allen Fragen, mit Ausnahme der Sklavereifrage. Und unter den jungen Herrn muß ich mir das Vergnügen machen, Dir als meinen ganz besonders guten Freund den talentvollen Dichter und dramatischen Schriftsteller Reynolds vorzustellen, der mich auf mancher Wanderung begleitet und mir durch sein gutes Herz und seine ungekünstelte Unterhaltung manche angenehme Stunde bereitet hat. Er hat einige einheimische geschichtliche Ereignisse für die Scene bearbeitet, und eines seiner Dramen: „Alfred und Inez, oder die Belagerung von St. Augustin,“ nehme ich als Reiselectüre mit mir.

Endlich muß ich Dir auch etwas von meiner lieben Freundin, Mrs. Le Vert, sagen. Ich komme an sie zuletzt, weil sie sich ins Innere meines Herzens eingenistet hat.

Wie angenehm ist es zu lieben, Wohlgefallen zu finden an den Menschen! Das weißt Du, meine Agathe. Und es hat sich so wunderlich gefügt, daß diese kleine Weltdame, die ich überall, wohin sie kam, als eine Belle und eine der schönsten Zierden des Gesellschaftslebens schildern hörte, mir beinahe so lieb geworden ist, wie eine junge Schwester. Aber dieß kommt daher, weil sie sehr gut ist, weil sie viel gelitten hat, weil sich unter der weltlichen Oberfläche ein ungewöhnlich guter und reicher Verstand vorfindet, und ein Herz, das lieben, das alle Eitelkeiten der Welt wegwerfen kann, um denjenigen gefällig zu sein, welche sie liebt. Und mit dieser jungen Frau habe ich über Transcendentalisten und praktische Christen, über Heidenthum und Christenthum gesprochen, und habe in der Unterhaltung mit ihr ein Vergnügen gefunden, das ich kaum erwartet hatte. Unwillkürlich und ganz natürlich ist es zwischen uns so gekommen, daß wir zusammenleben, wie wenn wir einander immer gekannt hätten. Sie sagt, daß ich ihr die geistige Nahrung gebe, deren sie bedürfe, und sie gewährt mir ein Vergnügen, ein Wohlbehagen, das mein Herz nährt. Octavia Le Vert bleibt in meiner Seele stets verbunden mit der Erinnerung an die lieblichsten Winde und Wohlgerüche des Südens, an das Grün der Magnolienwälder, an das frische Gebrause des mexicanischen Meerbusens, an die Sonne und den Vogelgesang in Mobiles Orangenhainen.

Octavia ist in Florida geboren und hat da ihre Jugend zugebracht; sie ist von einem Kreis von Angehörigen umgeben, die sie als ihren Augapfel zu betrachten scheinen. Und willst Du das Ideal des Verhältnisses zwischen einer Frau und ihrer Sklavin sehen, so müßtest Du Octavia Le Vert und ihre muntere, schöne mulattische Dienerin Betsy sehen. Betsy scheint wirklich für nichts Anderes zu leben, als für ihre Pflegemutter Octavia; ihr Haar jeden Tag à la Maria Stuart zu frisiren, sie schön, heiter und bewundert zu sehen, das ist Betsys Leben und Glück. Sie ist mit Octavia in den Vereinigten Staaten gereist, und wenn sie auf dieses Capitel kommt und erzählen darf, wie entzückend ihre Gebieterin war, wie sie bewundert und verehrt wurde, dann ist Betsy in ihrem Element. „Aber ach!“ sagt Betsy, „sie ist sich nicht mehr gleich. Früher hatte sie so schöne Rosen — Sie hätten sie nur sehen sollen! — … Nein, sie ist sich nicht mehr gleich seit dem großen Kummer!“ Und Betsys Augen füllen sich mit Thränen.

Trotz der hingebenden Liebe Betsys, trotzdem daß Octavia in ihrem und ihrer Mutter Haus nur glückliche Sklaven sieht, gehört sie doch zu denjenigen, deren gutes Herz und gesunder Verstand in Bezug auf Gut und Böse nicht irre gemacht werden können. Und einfach und ernst spricht sie, wo es auch sein mag, ihre Ueberzeugung aus, daß die Sklaverei ein Fluch sei. Und wir sind in Bezug auf dieses Capitel in vollkommener Harmonie.

Octavia Le Vert und ich haben einen Reiseplan nach Cuba verabredet und reisen daher morgen nach New-Orleans, um am 14. früh Morgens auf dem Dampfschiff Pacific, das an diesem Tag dahin abfährt, an Bord gehen zu können. Die Palmen auf Cuba werden Octaviens verweintes Gesicht umfächeln und neue Rosen auf ihre Wangen rufen; ihre schönen, guten Augen werden neuen Glanz erhalten, indem sie sich zu dem wolkenfreien Himmel dort erheben; — und ich werde da in Ruhe mit ihr von Dingen sprechen, welche sie glücklich und heiterer machen werden als vorher, wenn ich ihr nicht mehr nahe bin; so ist mein Traum und meine Hoffnung.

Und jetzt, ehe ich Alabama und diese schöne Stadt, wo ich viel Gutes genossen habe, verlasse, will ich Dir bloß sagen, daß Alabama ein baumwollepflanzender Staat ist, daß er im Süden Plantagen, Sandfelder und bedeutende Tannenwälder, im Norden schönes Hochland (die Alleghanygebirge senken sich da und hören auf) und Prairien hat. Man rühmt die Scenerie an seinen schiffbaren Flüssen entlang, besonders am Mobilefluß, der nach Montgomery, der politischen Hauptstadt des Staates, hinaufführt. Und ich habe mich stark versucht gefühlt ihn hinaufzureisen. Aber die Zeit, die Zeit! … Eisenbahnen, Dampfboote, Schulen, Akademien haben in den lezten Jahren Licht und frisches Leben in diesem Sklavenstaat zu verbreiten begonnen, dessen meiste Bürgerinnen da und dort noch im Brauch haben sollen einen höhern Lebensgenuß dadurch zu suchen, daß sie ihr Zahnfleisch mit starkem Tabak reiben, wodurch eine Art von Rausch entsteht, der aufgeräumte Gefühle und dito Unterhaltung sehr fördert.

Mobiles einnehmende Damen, die ich gesehen habe, müssen sich zu den Schnupftabakfreundinnen, die ich nicht gesehen habe, verhalten wie die Magnolienblumen zu den Blumen des Bilsenkrauts.

Lebe wohl, schönes, freundliches Mobile! Lebe wohl, meine Agathe, meine theure Schwester und Freundin! Das nächste Mal mehr aus Cuba.




New-Orleans, den 15. Januar. 

Ach nein! Es wurde dieß Mal Nichts aus der Cubareise. Die Abreise von Mobile begann unter den besten Zeichen. Octavia war heiter und voll Hoffnung. Zum ersten Mal seit ihrem großen Kummer sollte sie ihre Heimath verlassen und neue Gegenstände sehen. Und sie war froh bei mir zu sein, und ich war froh bei ihr zu sein. Der gute Doctor Levert hatte seinem lieben Weibchen eine ansehnliche Geldsumme geschenkt, um sich auf Cuba recht amüsiren zu können. Octaviens alte Mutter und ihre zwei artigen kleinen Mädchen nahmen Abschied mit Liebe und Hoffnung, sie glücklich wiederkehren zu sehen. Betsy war mit, denn Betsy spricht beinahe eben so gut spanisch wie Octavia, und Octavia kann Betsy nicht entbehren und Betsy kann nicht ohne Octavia leben; und Betsy war voll von fröhlichem Eifer und sorgte rasch und flink für alle Reiseerfordernisse. Wir gingen an Bord und die Morgensonne ging herrlich auf über dem Pontchartrainsee. Wir fuhren den ganzen Tag in Ruhe und Sonnenlicht. In Octaviens geräumiger Cajüte (ich bitte um Entschuldigung, ich sollte Staatszimmer sagen) saßen wir zwischen Blumensträußen an offenem Fenster, die balsamische Luft trinkend, laut lachend oder still plaudernd in inniger Gemüthlichkeit. Abends war herrlicher Mondschein. Wir saßen auf dem Verdeck; einige Herren leisteten uns Gesellschaft, präsentirten sich oder ließen sich von andern präsentiren, und bildeten bald einen Kreis um Octavia, deren natürlich leichte und anmuthsvolle Conversation stets eine fesselnde Macht ausübt. Wir gingen spät zu Bette. Mitten in der Nacht bemerkte ich, daß das Schiff auf einmal anhielt. Ich stand auf und sah zum Fenster hinaus. Der Mond leuchtete klar über dem spiegelhellen See und wir — saßen auf dem Grund. Es war ein Uhr Nachts. Am nächsten Morgen um sechs Uhr sollten wir in New-Orleans sein, um Schlag neun Uhr an Bord des Pacific zu gehen. So war unser Plan. Aber wir blieben auf dem Grund sitzen bis ein Uhr Mittags, wo die Fluth kam und uns flott machte. Wir waren auf einer Sandbank aufgerannt.

Der Tag wurde eben so schön wie der vorhergehende, und da gewisse düstere Ahnungen, daß wir kein Mittagessen bekommen sollten, durch die Bemühungen einiger Herrn, die sich ans Land rudern ließen, um Proviant zu holen, verscheucht wurden, und das delicateste, reichlichste Mittagsmahl folgte, so hatte unser kleiner Unfall weiter keine unangenehmen Folgen, als daß die Reise nach Cuba auf unbestimmte Zeit vertagt wurde, und daß ich wahrscheinlich ohne Octavia, die nicht so lang von ihrem Haus wegbleiben kann, hinreisen muß.

Erst um zehn Uhr Abends kamen wir ans Land. Kein Eisenbahnzug fand sich bei der Hand, um uns nach New-Orleans zu führen. Es wurde ein Expresser abgeschickt; die entschlossene Betsy sorgte für unsere Effecten und brachte Alles in Ordnung, und zwei Herren machten sich mit ächt anglo-amerikanischer Ritterlichkeit zu unseren Cavalieren und führten uns in ein Landhaus in der Nähe der Eisenbahn, wo die Herrschaft nicht daheim war, wo man aber in einem großen Saal Feuer für uns machte.

Es war die allerschönste Nacht. Um das Haus her war ein großer Baumgarten voll von halb tropischen palmartigen Pflanzen, dergleichen ich früher nie gesehen hatte. Ich brachte den größten Theil der Vormitternacht damit zu, daß ich zwischen den schönen seltsamen Gewächsen, noch schöner und seltsamer durch den Mondschein, der sein mystisches Licht über sie warf, herumirrte. Unsere artige Herren, die einen Wagen bestellt hatten, führten uns zuletzt glücklich und wohlbehalten nach New-Orleans. Wir kamen um halb ein Uhr vor dem Hotel Saint-Charles an. Es war übervoll. Endlich bekamen wir Zimmer, vier Treppen hoch. Als ich in Octaviens Zimmer ging, fand ich sie in Thränen gebadet über einen Stuhl vorgebeugt, und Betsy stand ganz bestürzt mitten im Zimmer, die Augen auf ihre Herrin geheftet. „Hier in diesem Zimmer, flüsterte mir Betsy zu, war es, wo sie (sie warf einen Blick auf Octavia) vor zwei Jahren mit den zwei kleinen Mädchen wohnte und sie zu einem Kinderball ankleidete.“

Ich richtete leise den Kopf der weinenden Octavia empor. Sie sagte bloß:

„Wollen Sie Ihr Zimmer mit mir tauschen?“

„Sehr gern.“

Betsy und ich brachten Octavia in mein Zimmer und ich verließ sie nicht, bevor ich sie etwas ruhiger sah.

Unsere Zimmer waren beinahe unter dem Dachfirst. Ich konnte nicht umhin mit den Augen die Entfernung von meinem Fenster in den Hof hinab zu messen und daran zu denken, was für einen Sprung ich machen müßte, falls während der Nacht Feuer im Hotel ausbräche, denn auf Feuersgefahren muß man sich in Amerikas großen Städten immer gefaßt halten. Ich blieb bei der Ueberzeugung, daß dieser Sprung mein Allerletzter sein würde.

Ich war froh und dankbar, als ich am nächsten Morgen ganz ruhig in meinem Bett erwachte. Meine arme Octavia fand ich ganz verweint, aber ich tröstete sie so zärtlich in ihrem Kummer, daß es mir gelang, sie von den Bildern des Todes und der Vergänglichkeit abzulenken.

Heute Nachmittag werde ich sie verlassen, um in ein Privathaus zu ziehen, wohin eine junge Miß W. aus Massachussetts im Namen ihrer Cousine mich eingeladen hat. Ihre Persönlichkeit und auch die Art der Einladung hatte etwas so Einnehmendes für mich, daß ich mich sogleich geneigt fühlte sie anzunehmen, und daß ich halb zusagte. Dieß geschah, bevor ich nach Mobile reiste. Heute Vormittag war Miß W. hier und sagte mit ihrem feinen etwas schalkhaften Lächeln und ihrem ruhigen, bestimmten Wesen zu mir:

„Miß B., ich glaube ein Recht zu der Frage zu haben, warum Sie sich an diesem Ort befinden.“

Ich mußte versprechen, mich heute Nachmittag nach der Annunciation Street und Mr. Cooks Wohnung abholen zu lassen. Miß W. hob alle meine Bedenken. Sie ist in Bezug auf Bestimmtheit ihres Willens eine ächte Abkömmlingin der Pilger und besitzt dabei noch eine Anmuth, welche sie unwiderstehlich macht.

Ich befinde mich hier wieder mitten unter Freunden, Mr. Harrison und Mrs. Geddes, mit denen ich in einer Stunde ausfahren werde, auf einem Weg, der aus Muschelschalen gemacht ist und eine ganze schwedische Meile weit bis an die Seeküste hinabführt. Er gehört zu den Merkwürdigkeiten von New-Orleans. Mr. Geddes ist in Cincinnati zu Hause, macht aber Geschäfte in New-Orleans, und seine Frau wohnt die Wintermonate über mit ihm im Hotel, ebenso ihre zwei Jungen, zwei prächtige Bursche, der jüngste noch ganz klein, und ihre Wärterin, eine dicke, gemüthliche Negerin, frei, aber durch das Seidenband der Ergebenheit stärker gebunden, als durch die eisernen Ketten der Sklaverei. Manche Familien wohnen auf diese Art etliche Monate in den Hotels. Manches junge Paar wohnt ebenfalls da in den ersten Monaten nach der Hochzeit. Aber es geschieht weniger aus Wohlgefallen an dem Hotelleben, als weil in Amerika eine eigene Wohnung zu viel kostet, da eine Familie gewöhnlich ein ganzes Haus haben will. Und junge Liebende wollen gewöhnlich nicht mit dem Heirathen so lange warten, bis sie Vermögen genug haben, um ein Haus zu halten. Inzwischen ist dieß der Zweck, nach welchem sie streben. Ich habe viele Frauenzimmer über die Leerheit und Widerwärtigkeit eines Lebens im Hotel klagen und seinen Einfluß auf junge Mädchen tadeln gehört, weil sie da allzuviel Versuchungen erhalten, bloß für das Vergnügen, die Hofmacherei und die Eitelkeit zu leben.

Später.

Jetzt habe ich Octavia wieder als Belle (obschon noch blaß und rothäugig) in großer Galla in einem schwarzen Seidenkleid, das ich wegen seiner vielen Spitzen und Zierrathen Juca gloriosa nenne, umgeben von einem kleinen Hof von Herren in einem der schönsten Salons des Hotels die Unterhaltung führen sehen. Freunde und Bewunderer werden Octavia hier bald wieder munter machen. Ich kann sie also getrost verlassen und mit meiner liebenswürdigen Nordamerikanerin in ein stilleres Haus fahren.

Octavia ist eine Rose, Anna W. ist ein Diamant, Mrs. Geddes ist eine ächte Perle.

Annunciation Street, den 19. Januar.  

     Mein Herzchen! ……

Den 20. Januar.   

Ich begann die vorstehende Zeile am zweiten Tag nach meinem Einzug in dieses gute, ruhige Haus, das zwei jungen Eheleuten gehört, sanften und stillen Menschen, die gänzlich für einander und ihre zwei kleinen Kinder zu leben scheinen, wovon das jüngste noch ein Säugling ist, der erst jetzt sein Rosenmündchen zu öffnen und zu lächeln und zu schwatzen beginnt. Es war das allerherrlichste Wetter am Nachmittag und Abend des Tages, wo ich hieher zog. Ich kann die Lieblichkeit der Luft, die Reinheit des Himmels, die bezaubernde Schönheit der Sonne und der Wolken, des Mondes und der Sterne an diesem Tag und Abend nicht beschreiben, denn nur zu leben, zu sehen und zu athmen, war schon genug, um das Leben in vollen Zügen zu genießen. Miß W. und ich saßen draußen auf der Piazza, mit Oleander- und Magnolienbäumen um uns her, und erfreuten uns unseres Daseins. Hohe Aloen, Juca gloriosa, und mehrere seltene Bäume und Pflanzen glänzten grün von den kleinen Gärten um die schönen Häuser her auf der ländlich stillen Straße. Ich erfreute mich überdieß an der Unterhaltung meiner jungen Freundin, an ihrer frischen, eigenthümlichen, vollkommen selbstständigen und innigen Art zu fühlen und zu urtheilen. Ich erkannte wieder das gebundene Feuer, das ich in ihren klaren, dunkelbraunen Augen warm und still hatte funkeln sehen. Es erwärmte mich. Wir sprachen von Jane Eyre, und zum ersten Mal hörte ich Jemand offen meinen geheimen Wunsch in Bezug auf das Verhältniß Janes zu Rochester aussprechen. Ich liebe eine Tugend, die über der conventionellen Moral steht und etwas Besseres kennt als bloß tadelfrei zu sein.

Aber ich sollte Dir erzählen, was mein Schreiben vorgestern unterbrach: nun zuerst die Kälte und dann — das Feuer. Der Tag nach diesem schönen Sommertag brachte nämlich garstiges Wetter und eine Kälte, die sowohl Seele als Leib erschütterte und mich so reizbar machte und so um allen Humor brachte, daß ich mich glücklich schätzte, keine Sklaven zu besitzen, an denen ich meine üble Laune hätte auslassen können. Ich habe erst hier in Amerika die Gewalt der körperlichen Gefühle über die Seele verstehen gelernt. Gott bewahre Sklavenbesitzer und Sklaven in diesem wechselvollen Klima, dessen durchdringende Luft Körper und Seele nach ihrer Temperatur vibriren macht.

Nun wohl, ich fror; aber im bekam Feuer in mein großes, schönes Zimmer. Octavia Le Vert kam, Mrs. Geddes kam, denn ich hatte angefangen, ihre Köpfe in mein Album zu zeichnen, und sie sollten mir sitzen.

Es war eine Freude für mich, die beiden liebenswürdigen Damen zu betrachten und abzuzeichnen; Mrs. Geddes edles, ernstes, regelmäßiges Profil, Octavia Le Verts kindlich rundes, pikantes Gesicht mit seinem Stulpnäschen, wie nach meinem Vermuthen Cleopatra eines hatte, und ihrer phantastischen, von Betsys Händen künstlich verfertigten Haarfrisur. Wir waren ganz angenehm beisammen; Mrs. Geddes saß vor dem Kaminfeuer, Octavia vor mir, wir plauderten ernst und heiter von — Liebe, als zu der erstern ein Bote von ihrem Manne kam und sie um ihre Schlüssel bat. Das Hotel Saint-Charles stand in Brand.

Mrs. Geddes hatte jetzt keine Ruhe mehr, um zu bleiben. Sie wußte ihren Mann und ihre Kinder in dem brennenden Hotel. Sie eilte dahin.

Octavia Le Vert hatte, ehe sie zu mir kam, Betsy erlaubt auszugehen und ihre Zimmerthür verschlossen. Es war Niemand im Hotel, der sich ihrer Sachen annehmen konnte. Ihre schöne Garderobe, ihr Juwelenkästchen und mehrere Hundert Dollars darin, womit die Cubafahrt bestritten werden sollte. Alles sollte vermuthlich ein Raub der Flammen werden. „O, das ist ganz gewiß, es wird Alles zusammen verbrennen!“ sagte Octavia und saß ruhig, mit unvergleichlicher Gelassenheit vor mir. Das Herz, das von den tiefsten Kümmernissen geblutet hatte, konnte über den Verlust irdischen Besitzes nicht in Unruhe gerathen, das sah ich deutlich, während Octavia ganz ruhig Alles berechnete, was in ihrem Zimmer eingeschlossen war und verbrennen sollte. Sie erzählte, sie habe heute früh eine Masse schwarzen Rauchs unter ihrem Bett hervordringen sehen. Sie machte Lärm und schickte zu dem Wirth. Er ließ antworten, es habe keine Gefahr, der Rauch sei durch ein baufälliges Schornsteinrohr gekommen; Alles werde bald wieder in Ordnung sein. In einer Stunde nahm auch der Rauch im Zimmer ab, aber es war noch nicht frei, als Octavia das Hotel verließ.

Ich hatte so viel von Betsys Entschlossenheit und ihrer Liebe zu ihrer Pflegemutter gesehen, daß ich nicht umhin konnte, auf ihre Hülfe in dieser Noth zu hoffen. „Sie wird,“ sagte ich, „bald von der Feuersbrunst hören; dann wird sie sogleich an Ort und Stelle eilen und Mittel finden, Ihre Sachen zu retten.“

„Sie wird es nicht können,“ sagte Octavia, „sie ist zu einer Freundin weit weg in der Stadt gegangen. Das Hotel ist ein hölzernes Gebäude und das Feuer wird es in wenigen Stunden verzehren; überdieß ist das Feuer gewiß in meinem Zimmer ausgegangen. O, nein! all’ die Sachen werden verbrennen.“

Aber der Verlust war Nichts für Octavia. Unruhiger war sie über die Unruhe ihres Mannes und ihrer Mutter, wenn sie von dem Ereigniß hören sollten, bevor sie ihnen hätte schreiben können.

Inzwischen verging eine geraume Zeit, ohne daß wir Nachrichten von Betsy oder von Saint-Charles hörten, und Octavia beschloß jetzt zu einer ihrer Freundinnen zu gehen, die näher beim großen Hotel wohnte und wo sie Etwas von dem Brand hören und erfahren konnte, ob es sich wohl noch ausführen ließ, an Ort und Stelle zu geben.

Sie war ungefähr eine Stunde fort, als es am Gitterthor vor dem Garten gegen die Straße zu heftig klingelte. Ich erkannte Betsy und sprang hinab, um mit ihr zu sprechen.

„Wie stehts, Betsy?“ rief ich.

„Ganz gut!“ rief sie zur Antwort, so athemlos, daß sie kaum sprechen konnte, aber mit strahlendem Gesicht. „Ich habe alles Geld bei mir.“ Sie legte die Hand auf ihre Brust. „Wo ist meine Missis?“

„Ich glaube, daß sie nach dem Hotel Saint-Charles gefahren ist,“ sagte ich.

„Es gibt kein Saint-Charles mehr,“ sagte Betsy; „es ist ganz abgebrannt.“

Es war wirklich so. In weniger als drei Stunden war das hübsche Gebäude in Asche gelegt und seine Bevölkerung von etwa vierhundert Personen obdachlos geworden.

Ich ging mit Betsy aus, um Mrs. Le Vert aufzusuchen. Unterwegs erzählte mir das treue Mädchen, wie das Gerücht von dem Brand zu ihren Ohren gekommen, wie sie ins Hotel geeilt sei, wie einer der Herren dort, ein Freund von Mrs. Le Vert, ihre Zimmerthüre erbrochen, und wie er und Betsy alle Sachen Octavias in Sicherheit gebracht haben. Nichts war verloren gegangen. Betsy sprach weiter davon, wie innig sie ihre Pflegemutter liebe. Sie hätte sich mehr als einmal verheirathen können und es sei noch jetzt ein freier Mann im Norden, der sie gerne haben möchte; aber sie könne nicht daran denken, Mrs. Le Vert zu verlassen. Sie liebe sie so herzlich. Sie werde sie nie verlassen.

Als wir ans Haus kamen, wo Mrs. Le Verts Freundin wohnte, erfuhren wir, daß Octavia von da nach einem kleinen Hotel in der Nähe von Saint-Charles abgeholt worden sei, und Betsy eilte dahin, um ihre Pflegemutter aufzusuchen.

Mit dem Gedanken an Mrs. Geddes ging ich auf die Brandstätte, in der Hoffnung, Etwas von ihr zu hören. Und ich war glücklich genug, in der Nähe ihren ältesten Sohn zu treffen und von ihm zu vernehmen, daß sie, so wie ihr Mann und der kleine Junge alle wohlbehalten in einem befreundeten Hause nicht weit davon seien.

Ich ging an Saint-Charles vorbei, wo jetzt nur noch eine kleine Anzahl Menschen mit dem Feuer beschäftigt war. Es hatte sein Werk vollbracht und die Flammen leckten jetzt an den untern Theilen der schönen Säulen und grassirten an den Ueberresten des Erdgeschosses. Die brennende Ruine bot einen ganz pittoresken Anblick dar; keine Spur von Verwirrung oder Unordnung zeigte sich auf dem Platz davor. Alles war bereits gesichert und in Ordnung gebracht, Alles still; es war ungefähr vier Stunden nach Ausbruch des Brandes. Und ich habe heute gehört, daß bereits eine Subscription im Gang sei, um ein neues Saint-Charles zu bauen. Amerikanische Schnellfertigkeit! Einige Personen sind bei dem Brand beschädigt worden und mehrere haben ihre Sachen verloren. Das Feuer war in Octavias Zimmer ausgebrochen, das ganz nahe bei dem meinigen lag. Welch ein Glück, daß es nicht bei Nacht geschah!

Ich bedaure Saint-Charles nicht. Es war ein theures, unfreundliches, prächtiges Hotel und verdiente seinen Tod. Für eine Nacht und einen halben Tag in einem düstern Zimmer, vier Treppen hoch, mußte ich 5¼ Dollars bezahlen. Aber Louisiana ist ein sehr theures Land, das theuerste in den Vereinigten Staaten.

Vom 20—27. Januar.  

Stille Tage, stilles Leben, unfreundliches Wetter. Von dem Tage an, wo ich das letzte Mal schrieb und wo das Wetter von Wärme in bittere Kälte umschlug, hat es unaufhörlich geregnet und gestürmt, mit einer Beharrlichkeit, wie ich kaum etwas Aehnliches erlebt habe. Kein blauer Fleck am Himmel, kein Sonnenstrahl, nichts als Nebel, Geplatsche und Kälte. Erst heute hat es sich aufgehellt und scheint wieder schön werden zu wollen. Manche Fahrten in und außerhalb der Stadt sind durch dieses Wetter für mich zu nichte geworden. Aber wie dankbar bin ich nicht für meine ruhige und behagliche Wohnung während dieser Zeit gewesen! Mr. und Mrs. Cook sind freundliche, sanfte, sehr stille Menschen, und in ihrem Hause herrscht die Annehmlichkeit und Ordnung welche das amerikanische Heimwesen auszeichnet. Anna W. ist voll von Leben und stillem Feuer (bei ihr gebunden, wie das Feuer im Diamant), ein denkendes und interessantes Geschöpf; sie hat mir durch ihren originellen Charakter und durch ihre Vorlesungen an den Abenden viel Vergnügen gemacht. So hat sie mich mit einigen englischen Dichtern bekannt gemacht, die mir bisher beinahe unbekannt waren. Es war für mich ein großer Genuß, sie Shelleys großartiges Gedicht „der ungefesselte Prometheus“ vorlesen zu hören, was die herrlichste Dichtung des Jahrhunderts wäre, wenn der Schluß den vorhergehenden Scenen entspräche. Aber dieser strandet an einer dürftigen Moral. So habe ich auch große Freude davon gehabt, als sie mir J. Brownings Gedichte und dramatische Stücke, wie auch einige von Elisabeth Barrets (jetzt Gattin Brownings) vorlas. Browning ist nicht groß als Künstler. Man vermißt bei ihm Kraft und Zusammenhang in der Composition. Aber etwas selten Großartiges und Reines im Gefühl und in der Denkungsart erfreut und erwärmt das Herz. Es geht ein Geist edeln und frischen Heldenmuthes durch seinen Gesang. Man fühlt sich durch einen Anhauch göttlichen Lebens erfrischt.

Eines Abends war ich bei Mrs. Harrisons Freunden, Mr. und Mrs. Day, und hörte gute Musik, vortrefflich ausgeführt von einigen Musikliebhabern und Liebhaberinnen aus den nördlichen Staaten. An einem andern Abend hörte ich in der Oper Meyerbeers Prophet. Das Stück ist unpoetisch und dürftig in seiner Grundlage, bietet aber hübsches Spectakel, und die Meyerbeer’sche Musik hat bei all ihrem Gelärme einige dramatische charakterschöne Parthieen. Mrs. D., welche die Mutter des Propheten vorstellt, spielte und sang edel und gut. Der Prophet war eine langweilige Figur und nicht viel besser war seine Geliebte. Hätte sich das Stück, statt auf einer armseligen Liebesintrigue zu beruhen, an den religiösen Fanatismus und den geistlichen Uebermuth gehalten, den wir bei dem geschichtlichen Propheten Johann von Leyden finden, so hätte die Oper wahres Interesse bekommen. So aber gab sie dem Gedanken keine Nahrung und griff mit ihren beständigen Knalleffekten meine Nerven dermaßen an, daß es mir schwer wurde, die Augen offen zu halten. Die letzte Scene war furchtbar prachtvoll und weckte mich ein wenig auf. Der Anblick der weißgekleideten, schönen Creolinnen auf dem Amphitheater und in den Logen erfreute meine Augen wie schon früher. Aber in den Gesichtern einiger älteren Damen entdeckte ich stark aufgetragene weiße Schminke auf den Nasen.

Schulen und öffentliche Anstalten habe ich in Folge erhaltener Einladungen ebenfalls besucht. New-Orleans ist in drei Gemeinden eingetheilt. Die Schulen darin sollen seit einigen wenigen Jahren große Verbesserungen und neuen Aufschwung erhalten haben. Lehrer und Lehrerinnen aus den nördlichen Staaten kommen hieher. Und wohin sie kommen, da bringen sie das energische Erziehungsleben mit, das diese Staaten auszeichnet. Eine Lehrerin in den Schulen von New-Orleans kann bis auf tausend Dollars Gehalt haben.

In den großen Knabenschulen hörte ich die Jungen tapfer ihr Vaterland besingen als das Land der Braven und das Land der Freien:

the land of the brave, and the land of[WS 3] the free!

Dieß wurde in dem Sklavenstaat gesungen ohne Ahnung des Spottes, welchen das Lob gegen diese Institution in sich schloß.

So wird von der Kindheit an der natürliche Rechtssinn und reine Blick der Jugend durch die Sklaverei gefälscht.

Und schädlich wirkt sie nicht blos auf den Wahrheitssinn der Kinder, so daß sie die Lüge nicht sehen, sondern auch auf ihr Herz und ihren Charakter. Eine edle Dame in New-Orleans, die seit mehreren Jahren dort ansäßig ist, hat mir viel von dem unglücklichen Einfluß der Sklavereieinrichtung auf die Kindererziehung erzählt und genau auseinandergesetzt, wie mächtig sie dazu beitrage, die Gemüther der Kinder unbändig und wild zu machen. Das Kind, das von der Wiege an mit Sklaven umgeben ist, gewöhnt sich ihnen zu befehlen und sich Gehorsam gegen alle seine Launen zu verschaffen oder einen Ungehorsam bestraft zu sehen, und zwar manchmal mit großer Grausamkeit. Daher die heftige Gemüthsart und die wilden blutigen Auftritte, die in den Sklavenstaaten so gewöhnlich sind.

Und wie kann es anders sein? Auch ich habe hier von den Verhältnissen der Kinder zu den Sklaven einige Beispiele gesehen, welche beweisen, wie sehr diese Einrichtung dazu beiträgt, das von Natur despotische Menschengemüth schon im Kinde zu entwickeln.

In einer Schule für junge Mädchen mußte ich wirklich die Fertigkeit bewundern, womit sie ihre geistigen salti mortali machten.

Bei dem Examen, das die Oberlehrerin vornahm und das sie mit merkwürdiger Geschicklichkeit überstanden, wurden ihnen die Fragen ungefähr in folgender Ordnung vorgelegt:

„Woher kommt der Schnee? Wie groß ist das Kriegsheer des Kaisers von Rußland? Wo liegt Lappland? Wer war Napoleon? Was ist Salpeter? Wie weit ist die Erde von der Sonne entfernt? Wann lebte Shakspeare? Wann starb Washington? Wie groß ist die Bevölkerung Frankreichs? Was ist der Mond?“ u. s. w. u. s. w.

Die Mädchen antworteten im Chor sehr rasch und meistens richtig. Das ganze Examen war für mich eine Reihenfolge von Ueberraschungen, und ich kann nicht umhin mich über die Art von Ordnung zu verwundern, welche in diesen jungen Seelen dadurch entstehen muß, daß sie den Schnee, die russische Armee, Lappland, Napoleon, Salpeter, Shakspeare, Washington, die Bevölkerung Frankreichs, den Mond u. s. w. unter einander rühren.

Ich muß Dir jetzt von einem ächten afrikanischen Tornado erzählen, dem ich mit Anna W. am letzten Sonntag Nachmittag anwohnte. Es war in der afrikanischen Kirche. Denn auch hier in der fröhlichen, leichtsinnigen Stadt New-Orleans hat der Geist des Christenthums sein Werk der Lebenserneuerung begonnen, und man hat Sonntagsschulen für Negerkinder, die darin über den Erlöser belehrt werden, und die Negersklaven dürfen in einer eigenen Kirche Gottesdienst halten.

Wir kamen zu spät, um die Predigt in der afrikanischen Kirche zu hören, wohin wir uns begaben. Aber nach beendigtem Gottesdienst war ein sogenanntes Classenmeeting. Ich weiß nicht, ob ich Dir gesagt habe, daß die Methodisten innerhalb ihrer Gemeinde gewisse Abtheilungen oder Classen bilden, von denen jede ihren Führer oder Ermahner (Exhorter) wählt. In der Classenversammlung gehen diese Exhorters bei denjenigen Mitgliedern ihrer Classe, von denen sie glauben, daß sie Trost oder Zuspruch bedürfen, umher, reden laut oder leise zu ihnen, empfangen ihre Bekenntnisse, ertheilen ihnen Rath u. s. w. Ich hatte eine solche Classenversammlung in einer Negerkirche in Washington gesehen und wußte daher ungefähr, was wir zu erwarten hatten. Meine Erwartung eines großen Spectakels wurde indeß hier übertröffen. Wir waren hier der tropischen Sonne näher als in Washington.

Die Ermahner gingen umher und begannen da und dort zu den Leuten auf den Bänken zu sprechen. Aber kaum hatten sie eine Weile gesprochen, als die angeredete Person in einen exaltirten Zustand gerieth und ebenfalls zu sprechen und zu peroriren anfing, weit lauter und heftiger als der Ermahner selbst, der gänzlich überstimmt wurde. Besonders ein Ermahner war da, dessen wohlwollendes schwarzes Gesicht von so vielem innern Licht, so großer Gutmüthigkeit und Freude strahlte, daß es eine Lust war ihn anzusehen und auch ihn zu hören, denn obschon seine Phrasen so ziemlich dieselben blieben, so waren sie doch christliche Kernworte und wurden mit solcher Herzlichkeit ausgesprochen, daß sie mit belebender Kraft auch zu Herzen gehen mußten. Zuweilen ging ihm das Trumm aus, und er stand dann gleichsam suchend eine kleine Weile da, bald aber begann er wieder mit dem, was er so eben gesagt hatte, und seine Worte ertönten immer gleich warm und glaubensfest, er sah aus wie ein lebenspendender Sonnenschein. Es war auch blos die Freudenbotschaft des Christenthums, die er predigte:

„Halte fest an Christo! Er ist der Herr! Er ist der Mächtige. Er wird helfen. Er wird Alles wohl machen. Glaube an ihn, meine Schwester, mein Bruder. Rufe ihn an! Ja … ja … halte fest an Christo, er ist der Herr u. s. w.

Allmälig nahm das Getöse in der Kirche zu und wurde zu einem wahren Sturm von schreienden Stimmen. Man hörte: „Ja, komm Herr Jesu! Komm, o komm! O Jubel!“ Und die Rufenden begannen hoch aufzuspringen, schnell wie Körke aus Flaschen, während sie mit den Armen und Nastüchern in der Luft herumfochten, als suchten sie Etwas herunterzureißen, fortwährend unter dem Rufe: „Komm, o komm!“ Die Hüpfenden wanden sich korkzieherartig und waren offenbar in convulsivischem Zustand. Einige fielen um und wälzten sich unter lautem Rufen und Seufzen im Gange. Ich sah unsern tropischen Exhorter (den Mann mit dem Sonnengesicht) mit einem jungen Neger sprechen, der eine krummgebogene Nase hatte und Augen, die übers Kreuz sahen. Bald begann auch dieser zu sprechen und zu predigen und gerieth in solchen Eifer, daß er hoch emporfuhr und mit unglaublicher Elasticität auf- und niederhüpfte. Wohin man blickte, sah man irgend einen emporspringen und in der Luft herumfechten; die ganze Kirche schien in ein wahres Bedlam verwandelt und das Getöse und Geheul war entsetzlich. Aber die Exhorters gingen vergnügt und mit strahlenden Gesichtern umher, als befänden sie sich in ihrem rechten Element, und als wäre Alles so, wie es sein sollte.

Unser herzlicher Exhorter hatte eine Weile mit einer großen schönen Mulattin vor uns gesprochen, und nachdem er ihr gepredigt, begann sie ihm zu predigen. Beide sprachen zu gleicher Zeit mit sichtbarem Entzücken, bis auch sie in Schwung kam und mit solcher Heftigkeit emporfuhr, daß drei andre Weiber sie am Rock faßten, gleich als wollten sie sie auf der Erde zurückhalten. Zwei von ihnen lachten leise, während sie fortfuhren die Begeisterte zu halten, die unaufhörlich aufhüpfte und mit den Armen um sich schlug. Endlich fiel sie um und wälzte sich unter convulsivischen Seufzern auf dem Boden. Dann stand sie auf und begann mit ausgebreiteten Armen in der Kirche herum und auf und ab zu gehen, indem sie von Zeit zu Zeit ein Hallelujah rief. Ihre Miene war jetzt ruhig, ernst und wirklich schön. Während all des wilden Tumults von Rufenden und Hüpfenden rechts und links fuhr sie fort in allen Richtungen mit ausgebreiteten Armen durch die Kirche zu gehen, den Blick aufwärts gerichtet und leise rufend: „Hallelujah.“ Endlich warf sie sich am Altar auf ihre Kniee und wurde da ganz still.

Das Gehüpfe, Gekreische und Gelärme in der Kirche währte noch gewiß eine gute Viertelstunde fort. Jetzt gingen einige Negerinnen hin und hoben die noch am Altar liegende Mulattin auf. Sie war ganz starr. Sie trugen sie auf eine Bank vor uns und legten sie da nieder.

„Was ist’s mit ihr?“ sagte Anna W. zu einer jungen Negerin, welche sie kannte.

„Bekehrt!“ war die lakonische Antwort des Mädchens, das sich jetzt den Andern anschloß, welche sanft die Pulse der Bekehrten rieben.

Ich legte meine Hand an ihre Stirne. Sie war ganz kalt. Das waren auch ihre Hände.

Als sie allmälig zu sich kam, war ihr Blick ruhig und fest, aber es schien mir, als sehe er mehr einwärts als auswärts, sie sprach leise vor sich hin und in ihrem Gesicht malte sich ein so schöner glückseliger Ausdruck, daß ― ich gerne wissen möchte, was sie da sah oder vernahm. Es war keine, gewöhnliche, keine irdische Erscheinung. Ihr Gesicht war wie verklärt. Als sie unter schweren Seufzern wieder in ihren gewöhnlichen Zustand kam, wurde auch ihre Miene wieder die gewöhnliche. Aber ihr Wesen war verändert; sie weinte viel, obschon ruhig und still.

Allmälig legte sich der Sturmwind in der Kirche, das Schreien, Springen, Ermahnen und Predigen, Alles hörte auf, und jetzt schüttelte man einander die Hände, schwatzte, lachte, beglückwünschte sich gegenseitig, so herzlich, so fröhlich, so innig, warm und wohlwollend, daß es ein Vergnügen war, das Ding mit anzusehen. Von dieser ganzen brausenden exaltirten Scene blieb bloß ein inniges Gefühl von Zufriedenheit und Vergnügen zurück, wie wenn man ein frohes Fest zusammen gefeiert hätte.

Ich gestehe, daß der ganze Aufzug mir dennoch Spaß machte. Einen andern Eindruck hatte Anna W., die diesen regellosen wilden Gottesdienst mit einem Ausdruck von Verwunderung und beinahe Entrüstung betrachtete. Und als unser warmherziger Exhorter jetzt zu uns kam und sich ausdrücklich an sie wandte mit der Entschuldigung, er habe uns nicht bemerkt, sonst würde er uns nicht übergangen haben u. s. w., da sah ich ihre schöne Unterlippe etwas verächtlich hervordringen, indem sie antwortete: „Ich begreife nicht, in was Sie uns übergangen haben sollten.“ Der Mann sah aus, als hätte er uns herzlich gern gepredigt, und ich hätte seine mit afrikanischer Wärme vorgetragene christliche Ermahnung gerne gehört. Wir schüttelten uns die Hände im Namen unseres gemeinschaftlichen Herrn und Vaters.

Und so unvernünftig und abgeschmackt auch dieser Ausdruck erscheinen mag, so ist es mir doch klar, daß darin, obwohl in chaotischem Zustand, das Element für den rechten afrikanischen Gottesdienst liegt. Gib diesen Ausbrüchen des warmen Gefühllebens, der Sehnsucht und Ahnung Verstand, Ordnung und System, dann wird das, was jetzt häßlich ist, schön, das Unharmonische wird zur Harmonie werden. Die Kinder Afrikas werden uns noch eine Form von Gottesdienst geben, wo die Anrufung, Anbetung und der Lobgesang dem innern Leben feuriger Seelen entsprechen.

Wie Mancher hat nicht in seiner Jugend selbst in unserem kalten Norden ein Afrika von religiösem Leben in sich empfunden, das herrliche Blumen und Früchte hätte bringen können, wenn es wirklich hätte leben dürfen, wenn es nicht unter dem Schnee und Frost der Convenienz erstickt, wenn es nicht in die Staatskirche des Lebens eingesperrt worden wäre?

Ich habe noch einige andere Kirchen in New-Orleans besucht, eine unitarische, eine episcopale und eine katholische mit dem mir theuern Namen St. Therese. Aber der himmlische Geist der heiligen Theresia war nicht darin. Ein Irländer blöckte sein Rothwelsch hervor und in diesem Gotteshaus konnte ich in Nichts das gewinnen oder bemerken, was ich suchte, nämlich Erbauung. In der Versammlung der Negergemeinde war wenigstens Leben und Feuer.

Was soll ich Dir noch mehr sagen von New-Orleans? Daß es eine große Stadt mit 100,000 Einwohnern und die südliche commercielle Hauptstadt des Missisippithales ist, das kannst Du aus Büchern erfahren. Die halbmondartige Lage der Stadt am Missisippi ist schön, auch hat sie einige schöne Straßen und Märkte mit hübschen Häusern, umpflanzt von Bäumen und Gebüschen wie andere amerikanische Städte. Der französische und früher gebaute Theil der Stadt hat einen kahleren und geschäftsmäßigeren Character. Aber ganz New-Orleans ist vor allen Dingen eine Geschäfts- und Handelsstadt und steht in Bezug auf Anstalten für höhere intellectuelle und moralische Bildung andern großen Städten der Vereinigten Staaten weit nach. Kunstgenüsse hat man keine außer in den Theatern, und diese, namentlich das Schauspiel, stehen nicht sonderlich hoch.

In den wenigen schönen Tagen, die ich hier zubrachte, bin ich viel in der Stadt umhergewandelt, habe aber dabei wenig Sehenswerthes gesehen, außer den schönen farbigen Creolinnen, die mit ihren feinen Zügen, schönen Augen und hübschen Köpfen, welche mit zierlichen, geschmackvollen, nach new-orleanischem Brauch umwundenen Tüchlein geschmückt sind, allerliebst aussehen; und auf den Straßen habe ich junge Dienstmädchen, Mestizen und Quarterons gesehen, die vollendete Schönheiten waren. Gewöhnlich ist auch ihr Wuchs ausgezeichnet schlank und wohlproportionirt.

New-Orleans ist lange als eine sehr fröhliche Stadt bekannt gewesen, hatte aber einen minder guten Ruf in Betreff seiner Moralität, welche stark mit französischem Leichtsinn versetzt war. Dieser soll jedoch mit jedem Jahr abnehmen in demselben Verhältniß, wie die angloamerikanische Bevölkerung die Herrschaft in der Stadt bekommt. Und sie nimmt hier auch mit Macht zu. Die französische Bevölkerung dagegen wächst nicht an und ihr Einfluß ist im Abnehmen. Von der Moralität des Geschäftslebens in New-Orleans habe ich nicht die besten Zeugnisse vernommen, und ich hörte einmal einen mir befreundeten Handelsmann, während er unter den Zuckerfässern auf einer großen Niederlage in der Stadt stand, äußern: „Es geschehen auf diesem Platz mehr Schurkenstreiche, als nöthig wären, um die ganze Stadt versinken zu lassen.“

Der gute Bürgersinn ist inzwischen nicht unthätig und möchte gern die Stadt würdig machen auf der Erde stehen zu bleiben. Eine gute Einrichtung, die jetzt im Werke ist, ist ein großes Matrosenhaus, wo Seeleute, deren Schiffe im Hafen der Stadt liegen, um Waaren einzunehmen oder abzuladen, gut und billig beherbergt werden sollen. Bisher konnten die fremden Matrosen in der Stadt bloß in Kneipen, die wahre Räuberhöhlen waren, Unterkunft finden. Das große stattliche Haus, das jetzt von guten Bürgern in der Stadt erbaut wird, soll den Matrosen einen guten und sichern Hafen geben. Einige meiner Freunde, die dafür arbeiten, wünschen, daß Jenny Lind, die binnen Kurzem aus Cuba hier erwartet wird, sich dafür interessire. Und da das Haus auch zu Nutz und Frommen schwedischer Matrosen erbaut wird, so ist es wahrscheinlich, daß die patriotisch gesinnte und freigebige Schwedin Etwas thut.

Ich las neulich in einer new-orleanischen Zeitung: The daily Picayune (Picayune ist der spanische Name einer gangbaren spanischen Silbermünze im Werth von fünf Cents), eine schöne und ernste Ermahnung an die Bewohner von New-Orleans, daß sie die berühmte schwedische Sängerin in voller Freiheit in Betreff der Kundgebungen ihrer allbekannten Wohlthätigkeit lassen und nicht durch Aufdringlichkeit oder Ermahnungen u. s. w. die Pflichten des Zartgefühls gegen den Gast verletzen sollen.

Und das muß ich sagen, obschon Jenny Lind oft genug die wohlgemeinte, aber oft jugendlich unüberlegte und aufdringliche Art und Weise der Amerikaner lästig finden mußte, so habe ich doch oft Gelegenheit gehabt, das schöne und edelsinnige Interesse, das man hier für sie empfindet, kennen zu lernen und zu bewundern. Wie manchen habe ich nicht gehört, der sich damit begnügte sie im Stillen zu segnen, lieber als daß er ihr einen Augenblick lästig geworden wäre! wie Manche, für die es eine schwere Entsagung war, sich ihr nicht zu nähern, bloß weil sie nicht glaubten, daß sie ihr damit ein Vergnügen machen könnten, und weil sie es nicht wagten ihr ihre Häuser anzubieten.

Ich erinnere mich, daß ich einen achtungswerthen alten Richter in Cincinnati (er war ein stattlicher alter Herr) sagen hörte, er habe in den Zeitungen alle ihre Schritte mit der Theilnahme und Unruhe verfolgt, die nur ein Vater seiner Tochter widmen könne, und er habe eine wahre Angst empfunden, daß sie sich auf irgend eine Art durch irgend einen unvorsichtigen Schritt compromittiren könnte. Und ich habe hier über Jenny Lind genug gehört, um zu wissen, daß man in ihr zwar die Sängerin und Geldspenderin liebt, aber mehr noch die junge Frau in ihrer schönen Rolle und Berühmtheit, die ideale Jenny Lind.

Aber ich sollte jetzt von Louisiana und von New-Orleans sprechen. Louisiana wurde, wie Du weißt, zuerst von Spaniern und Franzosen entdeckt. Franzosen waren die ersten, die Louisiana zu colonisiren versuchten. Sie begannen und standen davon ab; sie begannen von Neuem, es wollte nicht gehen. Aber sie sprachen in Frankreich und England laut von Louisiana als einem gelobten Land, einem Eldorado mit unermeßlichen innern Reichthümern, die leicht zu Tage gefördert werden können, und der Glaube daran brachte endlich John Laws bekannte riesige Finanzspeculation auf die vorgespiegelten Reichthümer des mährchenhaften Louisiana, sowie später den großen Bankrott aller Theilhaber an dieser tollen Speculation hervor. Louisiana, oder das große Land, das den südlichen Theil des Missisippi umfaßt (Arcansas war damals noch nicht davon getrennt), gerieth später aus der französischen Gewalt in die spanische, dann wieder in die französische, bis es im Jahr 1803 von der Regierung der Vereinigten Staaten gekauft und ihnen als selbstständiger Staat einverleibt wurde. Inzwischen war Louisiana von Franzosen, Spaniern, Engländern, Deutschen und andern Nationen angebaut und bevölkert worden, und New-Orleans war langsam emporgewachsen unter Ueberschwemmungen und Orkanen, und mit geringen Aussichten die Halbmondstadt zu werden, die sie jetzt ist.

Louisiana’s Bevölkerung überstieg (die Indianer abgerechnet) nicht 50,000 Seelen, als es den Vereinigten Staaten einverleibt wurde. Sieben Jahre später hatte sich die Bevölkerung beinahe verdreifacht. Aber die neue Epoche und das neue Leben begann für Louisiana und New-Orleans erst im Jahr 1812, wo das erste Dampfboot den großen Fluß zu befahren anfing.

Louisiana ist durchgängig ein flaches Land, theils sumpfig und feucht, theils mit fruchtbaren reichen Gefilden und Marken. Louisiana erzeugt Zucker, Baumwolle, Mais, Reis, Indigo. Die nördlichen Theile haben Wälder mit vielen Arten von Eichen, Castanien, Wallnüssen, Sassafras, Magnolien und Pappeln. Im Süden sind Palmettos, Maulbeeren, Lebenseichen, Cedern und Tannen und überall ein großer Reichthum an wilden Weinranken. Es sind auch mehrere schiffbare Flüsse da, die dem Missisippi zinspflichtig sind, und in diesen, sowie in Sümpfen und kleinen Landseen leben eine Menge Alligatoren. Diese wagen sich nicht an herangewachsene Menschen, haben aber nicht selten kleine Negerkinder weggeschnappt. Louisiana soll viele giftige Pflanzen, Schlangen und andere schädliche Thiere haben. Im Ganzen finde ich es unheimlich. Ich möchte für all seinen Zucker und all seine Baumwolle nicht da wohnen.

Jetzt muß ich Dir von der innern Geschichte von New-Orleans etwas sagen, oder vielmehr von einer Geschichte dort, die großen Eindruck auf mich machte. Der edelsinnige alte Exminister Poinsett in Südcarolina hatte mir gesagt, die Sklavereieinrichtung scheine auf die Frauen noch schädlicher zu wirken als auf die Männer, und nicht selten haben sich Weiber als die grausamsten Sklavenpeiniger erwiesen. Und war es ein Zufall oder ein Beweis von der Wahrheit dieser Aussage, aber die stärksten Proben von Mißhandlung der Sklaven, die mir in Südcarolina zu Ohren kamen, waren von Frauen ausgegangen, und zwar von Frauen aus der höheren Gesellschaft. Ich glaube, daß ich Dir bereits von zwei Damen in Charleston erzählt habe, die vor Gericht gestellt wurden, weil sie Sklaven theils durch Hunger, theils durch Schläge ermordet hatten; obschon feige Gesetze und Richter sie freisprachen, so wurden sie doch von der öffentlichen Meinung gerichtet, verurtheilt und einer ehrlosen Einsamkeit, sowie dem Gerichte Gottes überlassen.

Meine Freundin am Missisippi, Louisiana’s reines Gewissen, hatte dieselbe Aeußerung gethan, wie Mr. P., und gleichsam zur Bekräftigung hat New-Orleans in seiner Sündenchronik keinen blutigeren und verhaßteren Namen, als den eines Weibes, der Madame Lallorou, gebornen Macharty. Es gereicht der Bevölkerung von New-Orleans zu Ehren, daß die reiche Dame vor ihrer Wuth entfliehen mußte. Aber wie lang hatte sie nicht vorher ihre Opfer gequält? Es scheint, daß das Verhältniß ihrer Brüder zu Geliebten von der farbigen Race ihren Haß gegen diese gereizt hatte. Andere Sklavenbesitzer mißhandeln ihre Sklaven in augenblicklicher Hitze und Uebellaunigkeit. Madame Lallorou mißhandelte die ihrigen, wie es scheint, zum Vergnügen und aus Lust an ihrem Leiden. Sie besaß eine große Plantage und genoß da ihre Herrschaft auf eine Art, die zuletzt ihre Nachbarn in Harnisch brachte. Man bedeutete ihr, daß man keine solche Handlungen mehr hören wolle, sonst würde man sie verklagen. Madame Lallorou zog jetzt nach New-Orleans, wo sie sich unbemerkter ihrem Privatvergnügen hingeben konnte. Sie lebte davon, daß sie Sklaven vermiethete, die ihr jede Woche den verdienten Lohn bringen mußten. Aber kamen sie nicht zur Zeit oder war die Summe nicht groß genug, dann wehe ihnen. Ihre eigenen Haussklaven hatten kein besseres Loos; bei der geringsten Veranlassung, welche demjenigen, der sie finden will, niemals fehlt, wurden sie mit eisernen Ketten in die Keller des Hauses geworfen, und hier behielt sie die Leute und besuchte sie, um ihre Rache an ihnen zu üben. Ich will Dir nicht von den Mitteln erzählen, welche sie wählte, um ihre grausame Lust zu sättigen — die Chroniken des Heidenthums und des Fanatismus kennen nichts Schlimmeres. Genug, das Klagegeschrei der Opfer bahnte sich unter der Erde, durch Mauern und verschlossene Thüren hindurch Weg und wurde gehört. Es verbreitete sich in der Stadt. Das Herz des Volkes empörte sich. Das Volk versammelte sich in Haufen um das Haus, wo Madame Lallorou wohnte, es wollte die Opfer befreien, das Haus niederreißen und an dem Teufel in Weibergestalt Rache nehmen. Es griff die Sache rasch an. Schon begannen die Mauern des Hauses einzufallen, da kam der Maire mit bewaffneter Macht. Er beschützte Madame Lallorou’s Haus mit Gewalt und gab ihr Gelegenheit durch eine Hinterthüre zu entfliehen. Halb gekleidet entkam sie und entfloh aus Amerika.

Später lebte sie in Paris von den Zinsen eines ungeheuren Vermögens, das sie sich auf die bewußte Art in Louisiana erworben hatte. Sie soll vor kurzer Zeit gestorben sein.

Wer kann an eine Hölle nach dem Tod glauben, wenn man das Leben und die Lust solcher Menschen auf Erden sieht!

Madame Lallorou’s Mann, ein Franzose, lebt noch in New-Orleans und soll ein braver Mann sein. Er muß also von seiner Frau getrennt gelebt haben.

Dieß ereignete sich vor zehn bis zwölf Jahren. Wenn es wirklich wahr ist, daß Weiber die schlimmsten unter den schlimmen Sklavenbesitzern sind, so muß dieß daher kommen, daß ihr Character im Allgemeinen erregbarer, daß das Clima hier von ungewöhnlich nervenreizender und erhitzender Beschaffenheit ist, und daß ohnehin das Weib im Allgemeinen in den Extremen des Guten und Bösen über dem Manne steht, daß sie von Natur excentrischer, geistiger, den Geistern, Engeln oder Teufeln, näher ist.

Auch in Schweden, in Stockholms höchsten Kreisen haben wir Damen gekannt, die ihre Dienerinnen so behandelten, daß die Polizei sich ihrer annehmen mußte. Die Gräfin L. war liebenswürdig, gut, angenehm gegen alle Welt, außer gegen ihre Dienerschaft und sie konnte eine Dienerin nicht länger als sechs Wochen im Hause behalten. Wir haben zwei ausländische Ministerfrauen (beide Engländerinnen) gehabt, welche durch die Behandlung ihrer Dienstboten wohl verdienten, was die eine von ihnen von einem Bekannten des Hauses als Weihnachtsgeschenk erhielt — blutige Tapferkeitsmedaillen. Nur gut, daß die Dienerinnen dieser Damen, Dank sei es den Gesetzen unserer freien Länder, fortgehen konnten. Aber hier in diesem freien Land kann man im Angesicht täglicher Erfahrungen solcher Art die Sklaverei noch vertheidigen als eine patriarchalische Einrichtung, die sich mit den Gesetzen eines freien Volkes, sowie mit Menschenrecht und Menschenglück wohl vereinbaren lasse.

Ich habe hier mehrere Male mit einer Frau zu streiten gehabt, welche diese Sätze vertheidigt und, um die rechtliche Begründung der Sklaverei, sowie das Glück der Neger unter dieser vortrefflichen Einrichtung zu beweisen, mit einer so seltsamen Verachtung aller Logik und gesunden Vernunft ihre Gründe und Sophismen ins Feld stellt, daß ich zuweilen aus lauter Verwunderung stumm werde.

Ich weiche übrigens, so gut ich kann, einem Gespräch über diese Gegenstände aus. Die Frage von der Sklaverei ist ein krankes Auge, das bei der geringsten Bewegung wehe thut. Eine solche Erörterung schmerzt die Guten, reizt die Nichtguten und hilft zu Nichts. Ich schweige deßhalb, wenn ich es mit gutem Gewissen thun kann. Ohnehin ist es klar, daß die Frage nicht ruhen wird, daß das Werk des Lichtes auch hier zur Erlösung der Kinder Africas begonnen hat und daß ihre Lage sich auch hier mit jedem Jahr verbessert.

Gerne möchte ich Dir jetzt von einer Sklavenbesitzerin erzählen, die auf der guten Seite ein Gegenbild von Madame Lallorou ist, aber ich weiß keine solche. Sie dürfte sich indeß vorfinden. Das sehr Schlechte macht vielen Lärm von sich, das Gute wenig. Aber ich muß Dir von einem Sklavenbesitzer erzählen, der mir in dem Sklavenstaat zu stehen scheint, wie eine offene Thüre im Gefängniß.

Er hieß Macdonough und starb vor ein paar Jahren in New-Orleans mit Hinterlassung eines Vermögens von mehreren Millionen Dollars, worüber er vollständig zum Vortheil allgemeiner wohlthätiger Anstalten in Louisiana verfügte. Dieser sonderbare Mann lebte wie der größte Knicker, sparte an sich selbst im höchsten Grad, und verschenkte nie Etwas, selbst wenn nahe Verwandte sich meldeten und im Elend beinahe umkamen. Sparen, mit jedem Tag Etwas zurücklegen, sein Vermögen vermehren, verdoppeln, das war sein beständiger Gedanke, und darauf ging alle seine Thätigkeit aus, selbst in den geringsten Dingen. Er war auch mit seinen Worten sparsam und vergeudete nicht ein einziges unnöthig.

Nichts destoweniger hatte er große Pläne und Gedanken. Er glaubte sich von der Vorsehung bestimmt ein großes Vermögen zu erwerben, um damit bedeutende Dinge zum Vortheil des Staats, der sein Vaterland war, ausführen zu können. Deßhalb betrachtete er sich bloß als Verwalter seines Vermögens und behauptete, er habe kein Recht auch nur das Mindeste für geringere Zwecke wegzugeben. Wenigstens war dieß der Vorwand, womit er seinen Geiz und seine Härte vergoldete.

Er sagte: „Wenn ich Jahr um Jahr fortfahre, mein Capital in diesem (einem gewissen angegebenen Verhältniß) zu vergrößern, so werde ich zuletzt der reichste Mann in Louisiana; ich kann, wenn ich es noch länger so treibe, ganz Louisiana aufkaufen und dann“ … und dann würde er große Dinge ausführen, welche Louisiana zum freiesten und glücklichsten Staate machen sollten. Macdonough hatte darüber Ansichten und ein System, welches von einem wirklich tief denkenden Geist zeugt. Aber der arme Macdonough vergaß, daß er sterblich war, und obschon er ein hohes Alter erreichte, hatte er dennoch den erstrebten Reichthum noch nicht erworben, als er vom Tod überrascht wurde. Seine großartigen Pläne werden mit ihm sterben und wenig oder nichts in Louisiana wirken, außer möglicher Weise in einer Beziehung, und das ist diejenige, die ich mit der geöffneten Gefängnißthüre meinte.

Macdonough war Plantagerbesitzer und Sklavenhalter. Er beschloß seine Sklaven zu emancipiren, so daß sie dabei gewinnen sollten und er selbst Nichts verlöre.

Er sagte zu ihnen:

„Ihr sollt euch frei arbeiten und für die Kaufsumme, die ihr mich gekostet habt, aus der Sklaverei loskaufen können. Ich werde euch Mittel geben, das Geld zu erwerben. Fünf Tage in der Woche müßt ihr für mich arbeiten wie bisher für Kost, Kleider und Wohnung, am sechsten Tag sollt ihr auch für mich arbeiten, aber ich werde euch dafür bezahlen, werde das Geld zusammenlegen und für eure Rechnung verwalten. So für dieses Jahr. Im nächsten Jahr sollt ihr zwei Tage in der Woche bekommen, an denen euch eure Arbeit bezahlt wird, vorausgesetzt, daß ihr brav und redlich arbeitet; im folgenden Jahr drei u. s. w., bis die zu meiner Entschädigung erforderliche Summe beisammen ist und ihr etwas für euch übrig habt, um euch damit in Liberien niederzulassen, wohin ich euch verhelfen werde, sobald ihr frei seid.“

Die Sklaven wußten, daß Macdonough Wort halten würde. Sie begannen mit neuem Muth zu arbeiten, denn sie arbeiteten für ihre Freiheit und Zukunft. Es ging bei den einen rascher und bei den andern langsamer, aber binnen zehn Jahren hatten sämmtliche Sklaven der Plantage sich losgearbeitet und Macdonough rechnete mit ihnen ab, wie er versprochen hatte. Die Sclaven konnten jetzt ohne Gefahr für sich selbst oder andere befreit werden. Sie hatten sich an Arbeit, Besonnenheit und Selbstbeherrschung gewöhnt, wenigstens in Bezug auf ihr öconomisches Leben. Macdonoughs Pflanzung war gut bestellt worden und die Sklaven hatten ihm das Capital, für das er sie aufgekauft, zurückgegeben.

Ich weiß nicht, ob es Macdonoughs Plan war die Plantage später von weißen Arbeitern oder von freien Schwarzen anbauen zu lassen, aber Eines scheint mir gewiß, nämlich daß seine Art die Sklavenemancipation zu behandeln, wohl verdient überlegt und befolgt zu werden, als eine der klügsten Verfahrungsweisen, um eine allmälig allgemeine Befreiung aus den Fesseln der Sklaverei zu bewerkstelligen und damit eine unendliche Wohlthat sowohl für die Schwarzen als für die Weißen in Nordamerika zu erzielen.

Und ich kenne mehrere geachtete und denkende Männer in New-Orleans, welche der Ansicht sind, daß eine solche Emancipation, wodurch die Negersklaven allmälig in freie Arbeiter verwandelt werden, ohne besondere Schwierigkeit vor sich gehen könnte, und daß die gefährlichen Folgen, die man sich davon vorspiegelt, größtentheils nur Träume seien.

Als die härtesten unter den Sklavenhaltern der Umgegend habe ich Franzosen bezeichnen gehört und ich glaube das auch nach ihrem Volkscharakter. Dann kommen Schotten und Holländer. Bei kleinen und armen Landwirthen leiden die Sklaven oft sehr Hunger, wie auch das Vieh. Ich hörte dieser Tage von einem Gütchen erzählen, wo mehrere Stück Vieh verhungert waren.

Ich habe nach den Tänzen und Festen der Negersklaven an Weihnachten und Neujahr gefragt, von denen ich so viel erzählen gehört, aber die Zuckerernte ist im letzten Jahr spät gewesen, die Arbeit mit dem Zuckermahlen[WS 4] reichte über Weihnachten und Neujahr hinaus, die Baumwolle wird jetzt noch auf den Plantagen gepflückt, die Tänze sind unterblieben. Ich bin jetzt diesen Negerfesten von einem Ende der Sklavenstaaten zum andern nachgereist, ohne daß ich so glücklich war, auch nur ein einziges wirkliches zu Gesicht zu bekommen, oder davon zu hören.

In New-Orleans habe ich übrigens so viel Güte genossen, so viele gute und warme Freunde gefunden, daß ich darüber sowohl erstaunt als gerührt wurde. Ich hatte New Orleans immer als eine sehr muntere und nicht sehr literarische Stadt schildern gehört, und Mr. Harrison[WS 5] hatte mich darauf vorbereitet, daß die Bevölkerung von New-Orleans Nichts als Schönes zu sehen wünsche. Es war also klar, daß sie keine besondere Freude daran haben konnte mich zu sehen. Und gleichwohl sind die Leute zu mir gekommen und wieder gekommen, haben mich, Männer sowohl als Frauen, mit Geschenken überhäuft und auf mannigfache Art mein Dasein erfreut. Ich für meinen Theil nehme aus New-Orleans keine anderen Erinnerungen mit, als Erinnerungen des Vergnügens und der Dankbarkeit.

Von meinen näheren Freunden trenne ich mich mit einer Mischung von Freude und Bedauern. Es macht mich reich und glücklich sie kennen gelernt zu haben, an sie zu denken, sie zu lieben, und wenn ich bedenke, daß ich jetzt, vielleicht auf immer, von ihnen scheiden soll, so gilt die Thräne, die ich im Herzen und im Auge fühle, nicht bloß dem Schmerz. Es ist so angenehm zu lieben!

Octavia Le Vert fuhr vor einigen Tagen zu den Ihrigen zurück. Die Augen, die trocken und kalt geblieben waren, als sie in Gefahr stand alle ihre Schmucksachen und ihr Geld zu verlieren, schwammen jetzt, da sie sich von einer neu erworbenen Freundin trennen sollte, in Thränen. Ich küßte die Thränen von den bleichen Wangen weg. Ich fühlte, daß ich sie recht herzlich liebe.

Mrs. Geddes war unvergleichlich gegen mich in dieser Zeit, wo ich verschiedene Toilettengeschäfte zu meiner passenden Ausrüstung nach Cuba (sie muß zugleich etwas elegant und sommerleicht sein) und dabei allerlei Widerwärtigkeiten hatte, verursacht theils durch Modehändlerinnen, theils und zwar meistentheils durch meine eigenen Fehler. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie gut, wie angenehm, wie unermüdlich dienstfertig und hülfreich sie mir dabei beständig war, wie nett und artig sie mir in allem geholfen hatte. Du weißt, wie unangenehm es mir gewöhnlich ist, mich mit solchen Dingen zu befassen, aber Du kannst Dir kaum vorstellen, wie ich es hier empfinde, wo geistige und körperliche Müdigkeit, sowie Unbekanntschaft mit den Preisen und Personen in der Modenwelt alle Schwierigkeiten verdoppeln. Aber Du kannst Dir auch nicht vorstellen, wie gut und liebenswürdig Mrs. Geddes bei all diesen großen und kleinen Bekümmernissen gegen mich war, wie viel Geduld und gute Laune sie zeigte; wahrhaftig ich schäme mich, wenn ich mich mit ihr vergleiche.

Abends.  

Ich habe jetzt mit Anna W. meine letzte Spazierfahrt auf dem schönen Muschelweg bis zum Pontchartrainsee angestellt. Die Luft war lieblich und der Himmel sah wieder mit blauen Augen auf uns zwischen Wolken hindurch, die sich immer mehr entfernten. Der Muschelweg geht meistens durch niedrige, noch wilde Waldung. Man sieht hier nicht unsere schönen, moos- und waldbekleideten Berge und Hügel, aber aus dem Dickicht des Waldes schauen überall die schönen Palmettopflanzen empor mit ihren großen, fächerartigen Blättern, die im Winde wogen. Das Regelmäßige und Graciöse in den Formen mehrerer halb tropischen Pflanzen, die eine neue Phase der Erdvegetation verkünden, lockt mich mit großer Zauberkraft an.

Morgen, morgen meine Agathe, gehe ich an Bord des großen Dampfschiffes Philadelphia und in drei Tagen bin ich auf Cuba. Ich freue mich unaussprechlich dahin zu kommen, um diese neue Schönheit zu sehen, um eine mildere Luft zu trinken und um die Winterwochen über diesem amerikanischen Clima zu entfliehen, dessen Veränderlichkeit meine geistigen sowohl als körperlichen Kräfte angreift. Ich bin während meiner dießjährigen Reise in Nordamerika körperlich um zehn Jahre älter geworden.

Sei jedoch unbesorgt um mich, mein Herzchen, sondern vertraue gleich mir auf meinen Reisekobold, diesen lieben Freund, der mich wohlbehalten durch alle Gefahren geführt hat, der mich ohne die mindesten Abentheuer über den ganzen Missisipi, just als fünf Dampfboote nebst ihren Passagieren auf seinen Fahrwassern in die Luft flogen, bis nach New-Orleans kommen und aus dem Hotel Saint-Charles in diese gute Wohnung einziehen ließ am Tag, bevor es ein Raub der Flammen wurde. Er wird mich zu euch, zu Dir, meine theure Schwester-Freundin, wohlbehalten zurückführen.


N. S.

Briefe von meinen Freunden im Norden, von Downings, Springs und Lowells haben mich hier erfreut. Diese Freunde begleiten mich als gute Geister und ich muß Dir das sagen. Denn meine Freunde mußt auch Du lieben.

Jenny Lind ist jetzt in Havannah und man spricht Verschiedenes von dem Erfolg ihrer Concerte. Ich glaube jedoch, daß sie ihre Gegner besiegt hat, die eigentlich zur französischen Partei im Lande gehören, welche ihr den Rang einer großen Sängerin streitig machen will. Hier in New-Orleans wird sie mit Enthusiasmus empfangen; alle Herzen sind warm, alle Ohren offen für sie. Sie reist just ab, wenn ich hinkomme, und ich weiß noch nicht, ob ich sie treffen werde.

Ich bin gesund, meine Agathe, und guten Muths. Gott gebe, daß es mit Dir auch so stehe! Und mit Hülfe der Homöopathie mußt auch Du gesund werden. Möge Aeskulap Dich und seine Jünger erleuchten!

Bald mehr von Cuba.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: herein-|hohe
  2. Vorlage: nur „Norden“, das Wort „hohe“ steht irrtümlich in der Zeile darüber – vgl. „höga norden“ im Original Google
  3. Vorlage: oft
  4. Vorlage: Zuckermalen
  5. schwedisch: „Mr. Harrison“; Vorlage: Mr. Garrison
Einunddreißigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Dritter Band
von Fredrika Bremer
Dreiunddreißigster Brief
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