Die Heimath in der neuen Welt/Zweiter Band/Fünfundzwanzigster Brief

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Vierundzwanzigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Sechsundzwanzigster Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Zweiter Band
Untertitel: Fünfundzwanzigster Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Andra delen.
Originalsubtitel: Tjugondefemte brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Fünfundzwanzigster Brief.
Watertown (Wisconsin). Den 1. Oct. 1850.

Der allerherrlichste Morgen! Wie ich mich daran erlabt habe und an einer einsamen Wanderung auf dem Ufer des Flüßchens Rock-river (eines Steuerpflichtigen des Missisippi) wo das Städtchen gelegen ist! Mancher Gedanke flog auch heimwärts und sagte meinen Theuren guten Morgen; und ich hätte ihnen, vor allem aber Dir, meine Agathe, diese Luft, diese Sonne des „Indianer-Sommers“ der neuen Welt zubringen mögen!

Watertown ist ein kaum herangewachsenes Städtchen von zweitausend Einwohnern. Die hübschen, kleinen Häuser, meistens von Holz und weiß angestrichen, lagen geputzt und zierlich da auf dem grünen Abhang, zwischen dem Wald und dem Fluß hingestreut. Rauchsäulen stiegen aus ihren Herden auf in dem stillen Morgen, und die Sonne beglänzte sie und die spiegelklare Fluth. „Seid ihr Sonnenblumen?“ fragte ich sie (in petto, natürlich!) „Sind die Menschen in euch wie die innern Blumen der Sonnenblume, deren jede einen Keim in sich trägt?“ So wird es sicherlich einmal in diesem Land, das gleich einer Riesen-Sonnenblume aus den Wogen des Oceans emporsteigt; aber je weiter ich im Westen komme, um so klarer wird es mir, daß es im Allgemeinen noch nicht so ist; und daß der Mensch in dem großen Westen noch hauptsächlich mit der Eroberung des materiellen Lebens beschäftigt ist, kurz mit dem „Business“ (Geschäftsleben). Man hat noch nicht Zeit sich zur Sonne zu wenden.

Aber emporsteigende Kirchen, Schulen, Asyle und die kleinen Häuser und Höfe, die sich mit Blumen zu schmücken beginnen und Bäume um sich her pflanzen, sie bezeugen, daß das Lichtleben sich Bahn zu verschaffen strebt. Zuerst waren es Rimthursen, dann Riesen und Zwerge, hierauf kamen Götter und Göttinnen, sagt der Wala-Gesang.

Aus Chicago schrieb ich Dir zum letztenmal. Von Chicago fuhr ich per Dampfschiff über den Michigansee nach Millwaukie in Begleitung eines warmherzigen Mannes, Mr. Reed. Die Dampfbootbesitzer erlaubten mir nicht die Fahrt zu bezahlen. Die Reise war sonnenbeglänzt und angenehm. Wir legten an mehreren neugebauten Städten am Ufer an, z. B.: South Bord, Elgin, Racine, die alle seit sieben bis acht Jahren emporgekommen und im besten Zuge sind unter dem Einfluß der Binnenseefahrt und des Handels schnell emporzuwachsen.

In Millwaukie traf ich einen Schweden, Herrn Lange, der hier als Handelsmann ansäßig ist, mich zu sich eingeladen hatte und jetzt nach seinem Haus führte, wo seine Frau, eine heitere, kleine Irländerin, mich freundlich empfing. Es war am Abend. Der nächste Morgen war regnerisch, aber es klärte sich auf und das Wetter wurde noch allerliebst. Den ganzen Vormittag mußte ich die Löwin spielen vor einem unaufhörlichen Zustrom von besuchenden Herrn und Damen, wurde mit Blumen, Büchern und Versen beschenkt, mußte aber auch recht artig sein, und immer dieselben Fragen beantworten, immer dieselben schwedischen Lieder und Tänze auf dem Klavier wieder spielen. Einige Personen waren offenbar sehr interessant, und es hätte mir Vergnügen und Nutzen gemacht, mit ihnen sprechen zu können, aber ach! diese Strömung reißt alle Perlen mit sich.

Zu Mittag war ich in einer größeren Pension, sah eine Menge schöner junger Mädchen, hielt eine Rede an sie, wünschte ihnen Glück dazu, amerikanische Bürgerinnen zu sein, sah auch einige recht angenehme Lehrerinnen und im Uebrigen wieder Herrn und Frauenzimmer in Masse. Eine bedeutende Umbildung in der innern Organisation der Mädchenschulen ist in den westlichen Staaten jetzt im besten Gang unter der Leitung einer Miß Beecher, Schwester des begabten jungen Geistlichen in Brooklyn, die eine Art Obervorsteherin im Schulwesen ist. Nachmittags wurde ich in einem Wagen, den ein Herr aus der Stadt zu meiner Verfügung stellte, umhergeführt, um die Stadt zu besehen. Dieß war angenehm. Denn die Stadt ist schön und hat eine ausgezeichnete Lage auf der Höhe zwischen dem Michigansee und dem Millwaukiefluß; auch wächst sie mit aller Macht. Vier große Schulhäuser, eines in jedem Stadtbezirk, glänzten mit ihren aufsteigenden Kuppeln im Sonnenschein. Sie waren noch im Bau begriffen, alle gleich zierlich, obschon ohne Pracht.

Ich sah einige schöne, wohlgebaute Straßen mit schönen Häusern und Buden; ein anderer Schlag als in Chicago! Beinah alle Häuser in Millwaukie sind von Ziegelsteinen, und diese eigene Art Ziegel, die hier aus einer Art Lehmerde verfertigt wird und eine sanfte hellgelbe Farbe hat, gibt der Stadt ein sehr heiteres Ansehen, gleich als leuchtete beständig die Sonne darin. Ich sah auch schöne Landhäuser in der Nähe der Stadt mit schönen freien Aussichten über See und Land. Millwaukie, nicht aber Chicago, verdient die Königin der Binnenseen genannt zu werden. Eine stattliche Stadt auf den sonnbeglänzten Höhen, ruht sie, wächst und breitet sich mit jedem Tage aus. Beinah die Hälfte der Stadt ist deutsch, und dieser Theil wird die „deutsche Stadt" genannt. Sie liegt auf der andern Seite des Millwaukieflusses. Hier sieht man deutsche Häuser, deutsche Inschriften auf Thüren und Schilden, deutsche Physiognomieen. Hier werden deutsche Zeitungen herausgegeben, und manche Deutsche leben hier, die niemals englisch lernen, und sich selten außerhalb der deutschen Stadt begeben. Ueberhaupt scheinen sich die Deutschen im Westen clanweise zusammenzuschließen, wie auch zusammenzuleben und sich zu belustigen, wie im Mutterland. Ihre Musik, ihr Tanz und andere Volksvergnügungen zeichnen sie vor der englischen Bevölkerung aus, die besonders im Westen kein anderes Vergnügen hät als das Geschäft. Das erinnert mich an ein Gespräch, das ich einmal — ich glaube es war in Augusta, in Georgien — in einer Bude hatte, in welche ich gegangen war um etwas zu kaufen. Ein Frauenzimmer von mittlerem Alter stand hinter dem Ladentisch und ich hörte an ihrer Aussprache, daß sie eine Deutsche war. Ich fragte sie auf deutsch, wie sie sich in der neuen Welt befinde? „Oh,“ antwortete sie mit einem Seufzer, „es geht hier ganz gut mit dem Geschäft, und wenn man Geld verdienen will; aber wenn ich jetzt den ganzen Tag gearbeitet habe, und der Abend kommt, so habe ich kein „Plaisir.“ Im alten Land verdient man zwar nicht so viel mit seiner Arbeit, aber man hat doch „Plaisir,“ wenn sie vorüber ist. Aber hier weiß man von keinem andern „Plaisir“ als dem Geschäft, Geschäft vom Morgen bis zum Abend, und darum ist das Leben nicht sehr angenehm.“ Dieß war im Süden, wo die Emigration bis jetzt nur noch ein kleiner Strom ist. In die nordwestlichen Staaten kommen die Deutschen in großen Schaaren, schließen sich zusammen, und haben „Plaisir“ genug; und ihre Musik dringt dann und wann mit weckendem Ton an die Ohren der Angloamerikaner; und die starken, blühenden, deutschen Mädchen ziehen zuweilen ihre Augen stark genug auf sich, um eine Annäherung, ein Suchen nach „Plaisir“ und noch nach andern Dingen auf dem deutschen Gebiet zu veranlassen.

Abends wohnte ich bei dem Maire der Stadt einem Souper bei, wo ich mehrere sehr angenehme Menschen sah. Eine liebenswürdige junge Frau nahm ein Armband von ihrem Arm und knüpfte es an den meinigen. Ich werde ihr Andenken in meinem Herzen tragen. Das Haus des Maire lag auf einer Höhe, war unendlich pittoresk und schaute auf ein tiefes Thal herab, wo ebenfalls Menschen bauten und wohnten.

Es hat übrigens seine Gefahren hier auf den Höhen Häuser zu bauen. Du hast z. B. auf einer Höhe einen Platz gekauft, groß genug für ein Haus und ein Gärtchen, Du hast Dir auch ein schönes Haus gebaut, und Bäume und Blumen herum gepflanzt, und Du freust Dich über Dein Haus, sowie über die prächtige Aussicht, welche Dich den ganzen See und einen großen Theil des Landes überschauen läßt. Das ist heute. Morgen erfährst Du, daß das Land zunächst an Deinem Haus von Jemand angekauft worden ist, der seinen ganzen Theil der Höhe um mehrere Klafter zu senken und unmittelbar unter Deinem Haus eine Straße zu bauen beabsichtigt. Du protestirst und sagst, Dein Haus müßte einfallen, wenn der Sandhügel just an seinen Mauern so tief untergraben werde. Dieß hilft nichts. Uebermorgen siehst Du das Graben vor Deinen Mauern beginnen, und Du hast die angenehme Aussicht eines Tags den Sandhügel zusammenstürzen, Dein Haus sammt demselben einfallen und einen Purzelbaum auf die neue Straße zu ihren Füßen hinabmachen zu sehen, und wenn das Glück gut ist, schlägt es noch das Haus in Stücke, das Dein Todtengräber gebaut hat. Aber dieß ist ein düstres Gemälde. Gleichwohl sah ich es vor meinen Augen in Millwaukie. Ich möchte gern eine Zeit in Millwaukie auf seinen schönen Höhen, unter seinem freundlichen muntern Volk wohnen, aber da Häuser bauen, — nein, ich danke!

Ein Tag unter den Schweden am Pine Lake.

Es war den 29. September Morgens, als ich an diese erste schwedische Colonie im Westen kam. Ich fuhr von Millwaukie mit Herrn Lange hin, der unsern kleinen Wagen auf dem nicht leichten Wege durch die einsame Gegend etliche und zwanzig englische Meilen von Millwaukie kutschirte. Es war ein Sonntag Morgen, als wir ankamen, ein schöner sonnenwarmer Morgen. Die kleine schwedische Colonie am Pine Lake, obschon zum größeren Theil gesprengt, findet sich noch in einem halbdutzend Familien da, die als Farmer in der Gegend leben. Es war eine Binnensee-Gegend, so zierlich und romantisch man sie sich nur denken kann, eine wahrhaft schwedische Binnensee-Gegend. Und man begreift leicht, daß sie die ersten schwedischen Auswanderer entzückte, so daß dieselben, ohne erst das Erdreich zu untersuchen, hier ein Neu-Schweden zu gründen, und ein Neu-Upsala zu bauen beschlossen.

Ich brachte den Vormittag mit Besuchen bei verschiedenen schwedischen Familien zu. Beinahe alle wohnten in Blockhäusern und schienen sich in ziemlich geringen Umständen zu befinden. Am besten stellte sich ein Schmied, der, glaube ich, auch in Schweden das Handwerk getrieben. Er hatte sich ein schönes kleines Haus in den Wald gebaut, war ein hübscher Mann, und hatte eine hübsche junge Norwegerin zur Frau; ebenso ein Herr Bergvall, der in Schweden Gutsbesitzer gewesen, hier aber ein tüchtiger Bauer geworden war, einige Morgen gutes Land bekommen hatte, das er mit Eifer und Kraft anbaute, stand sehr gut, und war eine ausnehmend heitere, gutmüthige, gesunde schwedische Natur. Er hatte schönes Vieh, dem er selbst abwartete, und eine gute Maisernte stand herrlich draußen auf den Aeckern, ohne im Sonnenschein zu vertrocknen. Er hatte neben sein Blockhaus noch ein kleines steinernes Haus gebaut, um das erstere zu erweitern, und im Blockhaus hatte er eine der hübschesten, freundlichsten, anmuthsvollsten schwedischen jungen Frauen, mit Wangen so frisch rosenroth, wie man sie nur selten in Amerika sieht, und zwar obschon sie jetzt einen vier Wochen alten kleinen Knaben, ihr erstes Kind, säugte und ohne andere Hilfe als eine junge Schwester alle Arbeit im Haus allein besorgen mußte. Dieß war ein heiteres und glückliches Heimwesen, ein gut schwedisches Heimwesen mitten in der Wildniß Amerikas. Und das Mittagessen, das ich dort verzehrt, war bei all seiner Einfachheit ausgezeichnet gut und besser, als irgend eines, das ich in Amerikas großen, hübschen Hotels genossen habe. Gegenwärtig waren zehn Schweden bei ihm, meistens junge Männer; einer von ihnen verlobt mit der schönen jungen Schwester der Frau vom Hause. Treffliche Milch, herrliches Brod und Butter, die leckersten Seevögel und leckere Torten, die Herzlichkeit in der Gastfreundschaft, die fröhliche, gesunde Stimmung bei Tisch, die schöne schwedische Sprache in Aller Mund — Alles machte mir die Mahlzeit zu einem Fest.

Unsere schöne, junge Wirthin besorgte den Tisch, ging mitunter in die Küche oder ins nächste Zimmer hinaus um nach den Speisen auf dem Herd zu sehen oder auch nach ihrem Jungen in der Wiege, wenn er um sein Mittagessen schrie ; dann kam sie wieder zu uns und das gute Lächeln glänzte, und die frischen Rosen blühten frisch, trotz dem sorgenvollen Blick in den klaren blauen Augen. Beide Schwestern waren blond mit runden Gesichtern, blauen Augen, hellen Haaren, heller Farbe, frischen, schönen, weißen Zähnen, schlanken Gestalten, ächte Schwedinnen; besonders war die junge Frau ein schönes Exemplar von einer jungen Schwedin.

Nachmittags führten sie mich auf einem kleinen Waldweg an den unendlich schönen See Pine Lake hinab, in dessen Nähe (aber tiefer im Wald) ihre frühere Wohnung lag, und um welche herum auch die andern schwedischen Häuser lagen. Unterwegs fragte ich nach ihrem Leben und erfuhr jetzt seine Mühseligkeiten mancherlei Art, obschon ohne die mindeste Klage. Die Schwierigkeit Arbeiter zu bekommen oder das, was wir Knechte und Mägde nennen, gehört zu den größten Unannehmlichkeiten der Colonisten im Westen. Sie müssen diese Hilfe entweder sehr theuer bezahlen (oft kann sie sogar um keinen Preis erkauft werden) oder sie gänzlich entbehren. Und wenn die Arbeitskräfte dann abnehmen, wenn Krankheit oder Unglück eintreffen, so ist damit auch die Noth vor der Thüre. Es bedarf vieler Liebe und vielen Vertrauens, um unter solchen Umständen eine Niederlassung hier zu wagen. Aber dieß lebte auch im Herzen der jungen Schwedin, und ihre Augen leuchteten, als sie von ihrem Mann, seinem guten Herzen, seiner frischen Kraft und seinem heiteren Gemüth sprach. Während wir an dem stillen See standen, der von herbstlich zierlichen, laubigen Bäumen und Gebüschen bekränzt war, hörten wir die fröhliche Stimme des Mannes, der die Ochsen an den Brunnen trieb, und sahen bald die stattlichen Hörner dieser Thiere durch das dichte Laubwerk dringen. Unser heiterer ansprechender Wirth war hier ein flinker Ochsentreiber.

Darauf begaben wir uns zu der ältesten Kolonie am Pine Lake, wo Frau Bergwalls Mutter, die verwittwete Frau Petterson, uns zum Kaffee erwartete. Ich fuhr mit Herrn Lange in unserem kleinen, offenen Wagen dahin. Die andern schwedischen Familien fuhren mit Ochsen. Ein junger Schwede, der mit einer alten Amerikanerin, einer dicken Wittwe verheirathet ist, war mit in der Gesellschaft. Ich sah das Paar in den Wald ziehen, die Frau mit dem Sonnenschirm auf dem Wagen sitzend, während ihr junger Mann die Ochsen trieb. Einer von Frau Pettersons Söhnen, ein junger Mann von etlichen und zwanzig Jahren, ritt uns in den Wald vor, und zeigte uns den Weg durch seine Labyrinthe.

So kamen wir an ein Blockhaus (ähnlich unsern gewöhnlichen Bauernhäusern um Arsta her), das auf einer grünen Höhe lag, mit der allerschönsten Aussicht über den See, den man beinah in seiner ganzen Ausdehnung von hier aus sah.

Frau Petterson, eine große, schön gewesene Frau, kam mir, auf einen Krückenstock gestützt, entgegen, den Rücken gekrümmt, aber das redliche Gesicht strahlend von Wohlwollen. Sie ist noch nicht fünfzig Jahre alt, aber in Folge von Mühen und Bekümmernissen vor der Zeit gealtert und gebrochen. Ich erblickte in ihr einen ächten Typus der schwedischen Bürgerfrau mit der überfließenden Herzlichkeit, die leicht in den Augen, in Ausdrücken und Worten überschwillt, und nicht knickerisch mißt, was die Hand gibt oder die Zunge spricht; eine ganz prächtige, warmherzige Kaffeebase, die es liebt Andere zu traktiren, wie sie das Leben selbst liebt. Sie bewirthete uns mit dem allerköstlichsten Kaffee, und würzte das warme Getränk mit warmen, wohlwollenden Blicken und Worten.

Ihr Mann hatte hier als Ackerbauer begonnen; aber sowohl er als seine Frau waren an harte Arbeit nicht gewöhnt, sie bekamen schlechtes Land (außer Bergwalls Landantheil scheint alle Erde am Pine Lake mager zu sein), es fehlte ihnen an Hilfe und Bequemlichkeit, sie hatten viele Kinder, sie bekamen noch mehr, sie litten unglaubliches Ungemach. Frau Petterson müßte, während sie ihre Kinder säugte, die schwersten Geschäfte verrichten. Auf den Knieen, von Gichtschmerzen gequält, mußte sie oft die Wäsche der Familie besorgen.

Ihr Mann mußte endlich den Landbau aufgeben, wurde Schuhmacher, und verdiente auf diesem Handwerk das nothwendige Auskommen für sich und die Seinigen. Er war jetzt seit einem Jahre todt, und seine Wittwe bereitete sich vor, das Höflein zu verlassen, dem sie allein nicht mehr vorstehen konnte, und zu ihrem Tochtermann Bergwall zu ziehen.

Sie selbst fühlte sich abgenützt und alt, „vorbei,“ wie sie sagte, vor der Zeit, bereute es aber doch nicht nach Amerika gekommen zu sein, denn sie denke an ihre Kinder und die Zukunft, die sich in der neuen Welt eröffne, reicher, glücklicher, als das Mutterland zu geben vermöge, und sie freue sich ihnen diese Zukunft mit dem Opfer ihres Lebens erkauft zu haben; sie freue sich vor der Zeit ins Grab hinabzugehen, und dort ihre Krücken niederlegen zu dürfen.

Diese Kinder, vier Söhne und vier Töchter, (die zwei jüngsten Mädchen hier geboren und noch Kinder) waren alle hübsch, einige von ihnen ausgezeichnet schön, besonders die zwei jüngsten Söhne, Knut und Sten. Sten ruderte mich in einem Eichstamm an den Ufern des schönen Sees umher. Er war ein schöner, schlanker Junge von achtzehn Jahren, und wenn er so in weißen Hemdärmeln, mit blauseidener Weste, mit den klaren, dunkelblauen Augen, dem reinen, guten Ausdruck in dem jugendfrischen Gesicht dasaß, war er wirklich das Ideal eines idyllischen Hirten. (Die Schwestern rühmten mir, als wir allein waren, Knut und Sten als so seelengute, herzliche Jungen, die alles für sie und das Haus thun).

Wir fuhren an den laubreichen Ufern hin, die sich mit der herbstlich schönen Farbe in dem spiegelklaren See spiegelten. Hier auf einer hohen, hinausragenden Spitze, von glänzenden Laubmassen bedeckt, sollte „Neu Upsala“ stehen; so meinten Unonius und seine Freunde, als er zuerst nach der wilden Gegend kam und von ihrer Schönheit entzückt wurde. Ach, der wilde Boden wollte Upsalas Söhne nicht tragen. Ich sah die öden Häuser, wo Unonius und Schneidau vergebens mit der Noth kämpften und zu leben versuchten.

Aber die Gegend — sie war lieblich und schön; schwedisch schön, denn dunkle Fichten standen unter den Laubbäumen, und der Wald reichte bis zum See herab, wie bei unseren Seen, wo der Wassernix im Nordlicht sitzt, Harfen spielt und unter dem grünen Gewölbe singt. Die Sonne ging unter. Es war ein nordisches Schauspiel auch in der Beziehung, daß es kalt war, und der Sonnenuntergang nicht den in Amerika gewöhnlichen glühenden Farbenglanz hatte.

Ins Blockhaus zurückgekommen, verbrachten wir dort den Abend unter Spiel, Gesang und Tanz, recht auf schwedische Art mit einander, einundzwanzig Schweden im Ganzen.

Während meiner westlichen Reise hatte ich die ganze Zeit über eine Anrede in Gedanken, die ich an die schwedischen Landsleute im Westen halten wollte; nämlich ich wollte ihnen Grüße bringen von ihrem Mutterland, und sie aufmuntern ein neues Schweden in dem neuen Land zu schaffen. Ich wollte sie daran erinnern, was das alte Land Großes an Erinnerungen, an Gedanken, an Sitten und Art hat, ich wollte in ihren Seelen die Begeisterung für ein neues Schweden hervorrufen; ich war oft tief gerührt gewesen beim Gedanken an die Worte und Ideen, die ich aussprechen sollte. Aber jetzt als ich an Ort und Stelle war, wohin ich verlangt hatte, und als ich an meine Rede dachte, da wollte sie mir nicht hervorkommen. Und sie kam auch nicht. Ich fühlte mich glücklich bei meinen Landsleuten zu sein, glücklich sie hier so angenehm und noch so schwedisch mitten im fremden Lande zu finden. Aber ich hatte mehr Anlage zur Heiterkeit, als zu einer festlichen Stimmung. Und so las ich der Gesellschaft die kleine nordische Sage „der Tannenbaum“ von H. C. Andersen vor, und forderte dann meine Landsleute auf, schwedische Lieder zu singen. Die schönen schwedischen Stimmen verläugneten sich auch hier in der neuen Welt nicht, und ich wurde sowohl feierlich gestimmt als gerührt, als die Männer, angeführt von Bergwall, frisch, mit reinen klaren Stimmen

„Ihr Schweden auf, für König und Vaterland!“

und hierauf mehrere alte, vaterländische Lieder sangen. Die schwedische Gastfreiheit, die Munterkeit und der Gesang lebten hier so frisch, wie irgendwo im alten Land.

Die alte Petterson sorgte für ein tüchtiges Traktament, für unvergleichlichen Kaffee und Thee, ausgezeichnet gutes Wildpret, Obst, Torten und mehrere andere gute Sachen, reich und lecker bestellt, wie bei einer fürstlichen Tafel. Die jungen Söhne des Hauses warteten auf. (Daheim in Schweden würden es die Töchter gethan haben.) Alle waren herzlich und vergnügt. Nach der Mahlzeit hatten wir neuen Gesang und dann Tanz. Die alte Petterson gab bei jedem neuen Liede, das vorgeschlagen wurde, den Ton an, mit einer starken und reinen, aber etwas gellenden Stimme, die, wie sie sagte „nicht durch Kunst, sondern von Natur, seit Anbeginn der Welt so gewesen war.“ Die alte Petterson würde auch bei den Tänzen mitgemacht haben, wenn ihre rheumatische Lahmheit sie nicht daran verhindert hätte. Ich engagirte den ehrlichen schwedischen Schmid und führte mit ihm die „Neger-Polka“ an, welche Alt und Jung mit sich riß und Alle elektrisirte, so daß die Jüngeren hohe Sprünge machten, und die dicke Amerikanerin in Folge übermäßigen Gelächters auf eine Bank umfiel. Wir tanzten endlich um das Haus herum. Später gingen wir, am schönen Abend, an das Seeufer hinab; und Tegners Sternenlied wurde unter dem klaren Sternenhimmel gesungen. Als wir endlich uns trennen sollten, bat ich die alte Petterson ein schwedisches Abendlied zu singen, und wir stimmten Alle in den Psalm ein:

„Jetzt ruhet alle Welt.“

Hierauf trennten wir uns mit herzlichen Händedrücken und Glückwünschen, und Jeder ging in der sternhellen Nacht heim zu den Seinigen.

Ich blieb bei Frau Petterson; nicht ohne einige Unruhe wegen der Aussichten auf die Ruhe der Nacht; denn so reichlich auch das Traktament am Abend gewesen war, so zeugte doch der Zustand des Hauses von dem größten Mangel an allen gewöhnlichen Bequemlichkeiten des Lebens, und ich mußte in demselben Bett mit der alten Petterson liegen, während 6 Kinder und Kindeskinder im Zimmer daneben lagen, das zugleich die Küche vorstellte. Unter ihnen war die junge Frau Bergwall mit ihrem kleinen Knaben und ihrem kleinen Stiefsohn. Als sie in der Nacht mit Herrn Langes Pferden nach Hause fahren wollte, scheuten diese an dem tiefen Dunkel im Wald und wollten nicht weiter gehen. Sie selbst erschrack ebenfalls, und wagte sich mit ihrem kleinen Kind nicht fort. Bergwall begab sich durch den Wald zu Fuß nach Haus, und ich hörte seine Frau ihm zurufen: „Lieber Bergwall, milk doch heute noch die weiße Kuh recht tüchtig!“ (NB. hier zu Land sind es die Männer, welche die Kühe melken, wie sie auch alle Arten von Geschäften außer dem Haus verrichten). Er rief ihr ein freudiges Ja zu. Und Frau Bergwall und ihre Mutter baten mich um Entschuldigung, daß sie zu so viel im Haus übernachten mußten u. s. w. Mich, die Fremde, die Eindringlingin, bat man um Entschuldigung, während vielmehr ich es hätte thun müssen. Und lieber hätte ich vor dem Haus liegen mögen, als daß ich mich nicht fröhlich und vergnügt über Alles, was drinnen war, gezeigt hätte. Und als Frau Petterson, nachdem sie sich gelegt hatte, zu mir sagte:

„Ach, Miß Bremer! Wie viel kann nicht der Mensch entbehren, was er nie für möglich hält!“ da seufzte ich: „ja, ja!“ Ich gab es auf, eine Lichtscheere zu suchen, die sich nicht finden ließ, löschte das Licht mit einem Stückchen Papier und nahm meinen Antheil im Bett ein, wo ich zwar nicht viel schlafen konnte, aber doch gut genug ruhte. Ich war froh, daß ich mich am nächsten Morgen wohl befand und mit der Sonne aufstehen konnte. Sie leuchtete etwas blaß durch den Nebel über die schöne Binnensee-Gegend herein. Es war ein kühler, feuchter Morgen; aber die warmherzigen Menschen, der warme gute Kaffee, das gastliche Traktament erwärmten Seele und Leib.

Mit herzlicher Rührung und Dankbarkeit nahm ich nach dem Frühstück Abschied von meinen schwedischen Freunden. Frau Petterson wollte mir die einzige Kostbarkeit, die sie noch besaß, einen großen, großen goldenen Ring schenken. Ich konnte es nicht zugeben. Wie reichlich hatte sie mich nicht bereits beschenkt! Wir trennten uns nicht ohne Thränen. Die liebenswürdige junge Mutter, mit Wangen so blühend wie wilde Rosen, begleitete mich durch den Wald, indem sie still und freundlich neben dem Wagen herging. Schweigend trennten wir uns mit einem herzlichen Händedruck und Blick. Die schöne, junge Schwedin war die schönste Blume der amerikanischen Wildniß. Sie wird dieselbe verschönern und veredeln.

Herzlichkeit und Gastfreundschaft, Ernst und Munterkeit in dem reinen Familienleben — diese Charakterzüge des schwedischen Hauslebens, wenn dasselbe gut ist, werden in der Wildniß des Westens von den schwedischen Kolonisten gepflanzt werden, wie es hier schon geschehen ist. Dieser Tag unter den Schweden am Pine Lake, diese stattliche alte Frau, diese schönen warmherzigen Männer, diese schönen, sittsamen und freundlichen jungen Weiber, dieses liebevolle Familienleben, diese reiche Gastfreundschaft in ihren Hütten sind mir Bürgen dafür. Die Schweden werden in der neuen Welt Schweden bleiben, und ihr Nationalleben und Charakter, ihre Tänze und Spiele, ihre Sterngesänge und Psalmen werden dem Westland ein neues Element des Lebens und der Schönheit verleihen. Sie werden das Volk in diesem Land lehren, daß Ernst und Munterkeit wohl zusammen gedeihen können, und daß man zu gleicher Zeit fromm und fröhlich am Sonntag wie an andern Tagen sein kann. Und sie werden von dem amerikanischen Volk Ordnung und Beharrlichkeit lernen, das System im Leben, das ihnen noch fehlt. Ein neues Scandinavien wird dereinst im Missisippithal erblühen, in dieser großen Völkergemeinde, mit Männern und Weibern, mit Spielen, Gesang und Tanz, mit Tagen so fröhlich und so unschuldsvoll, wie dieser Tag unter den Schweden am Pine Lake.

An diesem Tag hatte ich an alle Schweden, die ich traf, Fragen über die Umstände und Aussichten schwedischer Auswanderer in dem neuen Lande gestellt, besonders im Verhältniß zu ihren Umständen im Heimathland. Ihre Antworten waren beinahe ganz übereinstimmend und ließen sich in Folgendem zusammenfassen:

„Würden wir in Schweden so hart arbeiten, wie wir es hier thun, so würden wir dort eben so gut fortkommen und oft noch besser.“

„Niemand, der an harte Feldarbeit nicht gewöhnt ist, soll hier Feldarbeiter werden.“

„Niemand, dem es sonst im Vaterland wohl ergeht, soll hieher ziehen, wenn er eine große Familie hat, wofern er es nicht der Kinder wegen thut; die Kinder haben hier bessere Aussichten für ihr Fortkommen, als daheim. Sie können unentgeltlich die Schulen besuchen, guten Unterricht erhalten, und dann bekommen sie leicht Gelegenheit, sich fortzubringen.“

„Aber die alten Leute, die nicht an harte Arbeit und Entbehrung aller Bequemlichkeit gewöhnt sind, sie können dem Klima, den Krankheiten und andern Beschwerden, mit denen sie hier zu thun haben, nicht widerstehen.“

„Unverheirathete, junge Menschen können gut hieher kommen, wenn sie damit anfangen wollen, daß sie bei Andern Dienste nehmen. Als Diener in amerikanischen Häusern werden sie gut ernährt und gekleidet und bekommen auch guten Lohn, so daß sie bald eine schöne Summe zurücklegen können. Für junges, rüstiges Volk ist es hier nicht schwer, sich durchzuschlagen. Aber man muß sich darauf gefaßt halten, tüchtig zu arbeiten, wie auch im Anfang vom Klima und den Krankheiten zu leiden, die hier im Lande gäng und gäb sind.“

„Die Norweger bringen sich im Allgemeinen besser durch als die Schweden, denken mehr an Arbeiten und Haushalten und weniger an Vergnügungen als wir. Auch wandern sie in größeren Schaaren aus und können einander in ihren Arbeiten bei der Niederlassung helfen.“

Am Abend hatte ich bei Frau Petterson einen Bauern aus Norrland gesehen, der mit seinem Sohne kam, um ihren Hof zu besehen, den er zu kaufen gedachte. Er war erst neuerdings von Schweden angekommen, aber blos wie er sagte, um sich hier umzusehen. Wenn es ihm jedoch hier gefiele, so wollte er zurückreisen, um Weib, Kind und Hausgeräthe abzuholen, und dann wieder hieherkommen und sich niederlassen. Der Mann war eines der schönsten Exemplare des schwedischen Bauern, hoch gewachsen, starkgliedrig, mit reinen regelmäßigen Zügen, großen dunkelbraunen Augen, das Haar über der Stirn gescheitelt und auf beiden Seiten des Kopfes gerade herabfallend, ein kräftiges, ehrliches, gutes und edles Gesicht, ein solches, dessen Anblick wohlthut. Der Sohn war ganz jung, versprach aber dem Vater an männlicher Schönheit zu gleichen. Es thut mir weh, daß solche Gestalten Schweden verlassen sollen. Doch dieß kommt dem neuen Schweden hier zu gut.

Bei der aufsteigenden Septembersonne fuhren Herr Lange und ich auf den geschlungenen Pfaden des Waldes umher, bis wir auf die große Landstraße kamen, wo ich die Diligence nach Madison erwarten sollte. Herr Lange wollte nach Millwaukie zurückkehren. Mehrere sehr hübsche Binnenseen mit romantischen Ufern liegen in dieser Gegend, und täglich erstehen neue Wohnungen an denselben. Ich hörte den Silbersee, den Nob-Maddin-see, sowie Naschota nennen, einen unendlich schönen Binnensee, in dessen Nähe ich die Diligence erwartete. Hier war ein neugebautes, schönes Landhaus und beginnende Anlagen. Der wilde dichte Wald mußte sich da und dort öffnen und freie Aussichten auf den romantischen See gewähren.

Die Diligence kam. Sie war voll von Herrn, aber sie machten Platz; ich wurde zwischen Fremde hineingedrängt, und mit beiden Händen auf meinen Regenschirm wie auf einen Stock gestützt, wurde ich hin und her geschüttelt, oder vielmehr unbarmherzig hin und her geworfen auf Wisconsins neugebauten Wegen, welche ganz und gar keine Wege sind, sondern eine Reihenfolge von Gruben, Hügeln und Wasserpfützen, wo bald das eine, bald das andre Rad tief untersank, während das andre hoch emporstand. Mitunter blieb der Wagen auf einmal stehen, weil er halb in einen Graben geworfen war, und es währte einige Zeit, bevor er herausgezogen wurde, um in dieselbe Vertiefung auf der andern Seite geschleudert zu werden. Ich fand diese Art zu fahren beinah unglaublich und konnte nicht begreifen, daß man wirklich auf diese Art fortfahren und wirklich an Ort und Stelle kommen könnte. Mitunter fuhren wir lange Strecken im Wasser, so tief, daß ich jeden Augenblick meinte, die ganze Equipage werde schwimmen oder versinken. Und als wir oben auf dem Land ankamen, geschah es, um auf die wunderlichste Art über Stock und Stein hingerüttelt zu werden. Man tröstete mich gleichwohl damit, daß die Diligence nicht sehr oft umzufallen pflege, und zu meiner Verwunderung kam ich auch ohne umgeworfen zu sein in Watertown an; wünschte aber da nicht weiter zu fahren, sondern beschloß zu übernachten.




Madison den 5. Oct.  

Ich fahre mit meinem Brief in der Hauptstadt von Wisconsin fort, einem zierlichen Städtchen (meist aus Villen und Gärten bestehend) mit der allerschönsten Lage zwischen vier Seen, deren Ufer rings von Laubwäldern bekränzt sind. Ich bin hier in einem guten und schönen Haus am Ufer eines Sees, mit allem Comfort des Lebens versehen, von guten, gebildeten Menschen und Freunden umgeben. In Watertown entdeckte ich, daß der Direktor des Postwagengeschäfts in Wisconsin Befehl ertheilt hatte, ich solle frei durch den Staat reisen, und der Wirth im Hotel, wo alles sehr angenehm und gut war, wollte sich für meinen Aufenthalt allda nicht bezahlen lassen, sondern dankte mir, daß ich seinem Haus die Ehre erwiesen habe. Das kann man Artigkeit nennen.

In Watertown machte ich mit einigen der ansässigen Dänen Bekanntschaft, und verbrachte einen angenehmen Abend bei einem von ihnen, der sich noch nicht lang mit einer hübschen jungen Norwegerin verheirathet hatte. Sie hatten es gut, und schienen sich auch in der Stadt wohl zu befinden, wo sie sich schnell durch Handel etwas erwarben. Nicht so wohl gedieh ein älterer dänischer Herr, der ein Geschäft in der Stadt hatte, aber sich über den Mangel an Gesellschaftsleben und anregenden Zerstreuungen während der langen einsamen Abende sehr beklagte. Er war Wittwer, und der Wittwer oder der Mann ohne Frau und häusliches Leben in Amerika hat ein ödes Leben, zumal in den kleinen Städten und auf dem Land.

Mit Schmerz nahm ich Abschied von dem freundlichen Städtchen, um mich nach Madison weiter rütteln zu lassen. Mein Koffer war in Folge eines Irrthums von Watertown mit irgend einer Diligence, ich wußte nicht mit welcher und wohin, fortgebracht worden. Aber Dank sei es den elektrischen Telegraphen, die sogleich ihre beflügelten Botschaften nach 3 Seiten hin aussandten, ich bekam am nächsten Tag meinen verlornen Artikel ganz wohlbehalten wieder. Merkwürdig ist, daß überall durch dieses junge Land neben seinen Landstraßen, die gar keine Straßen sind, die elektromagnetischen Fäden von Baum zu Baum, von Pfahl zu Pfahl über die Prärie hingehen, und Städte und Dörfer in gegenseitigen Verkehr setzen.

Der Weg nach Madison war schwierig, glich aber eher einem wirklichen Weg, als der zwischen Millwaukie und Watertown. Wir waren blos zu Wenigen in der Diligence; ich konnte mich etwas bequemer setzen; ein milder Nordschein tanzte strahlend über das Prärienland, das wir in der sternhellen Nacht durchzogen, und Leuchtwürmer glühten im Gras längs der Straße hin. Die Fahrt war nicht unangenehm. Die weiten, öden, grünenden, wogenden Felder, mit den weiten, sternbestreuten Räumen über ihnen hatten etwas Großartiges und Ruhiges. Und ich saß schweigsam und still da. Nachts um halb zwölf war ich an Ort und Stelle in Madison, wo ich im Wirthshaus Mühe hatte ein Zimmer zu bekommen und Jemand zu finden, der sich meiner annehmen wollte. Aber am folgenden Tag bekam ich ein Haus, eine Wohnung und Freunde, lauter vortreffliche Dinge.

Ich wohne bei einer Familie Namens Fairchild. Der Familienvater, welcher Richter im Staat ist, befindet sich jetzt abwesend, aber seine Frau und ihre junge, neuverheirathete Tochter, die im Hause der Eltern wohnt, verschaffen mir das angenehmste Familienleben. Und man kann sich kaum ein anmuthigeres Bild denken, als dasjenige welches die 3 Generationen dahier, die Mutter, die Tochter, die Enkelin machen. Die ältere Dame ist fein und anmuthsvoll, ja noch schön; die Tochter hat eine große Aehnlichkeit mit Jenny Lind, sowie einen Ausdruck unsäglicher Güte in ihrem blonden Gesicht; sie ist ein allerliebstes junges Weib, und ihr kleines Kind gehört zu den liebenswürdigsten Kindlein, die nicht blos Mutter und Großmutter, sondern auch jeder Gast als ein Ausnahmsgeschöpf betrachten muß, von gütigen Mächten bereits in der Wiege mit ungewöhnlicher Anmuth ausgestattet, Als ich heute Morgen die junge Mutter mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm dastehen und so von den Armen ihrer Mutter umschlossen sah, die kleine Gruppe still in dem sonnbeglänzten Zimmer stehend, alle drei glücklich in gegenseitiger Liebe ausruhend, da mußte ich denken: Warum suche ich den Tempel der Sonne hoch über der Erde leuchtend? Ist nicht jede Sonnenblume ein Tempel, schöner als der von Peru und der Tempel Salomos? Und diese Menschen, die im Geiste und in der Wahrheit lieben und anbeten, sind sie nicht die rechten Sonnenblumen, der Tempel der Sonne auf Erden? …

Die männliche Bevölkerung dieses Hauses besteht gegenwärtig aus dem jungen Sohne und dem Mann der jungen Frau.

Den 6. Oct.  

Ich komme soeben von der Kirche zurück. Der Geistliche hielt eine strenge Strafpredigt an die Herrn des Westens. Er hatte alle seine Hoffnungen auf die Frauenzimmer gesetzt, und pries ihre Thätigkeit im westlichen Land. Auf diese weniger billige und weniger wohl überlegte Strafpredigt kam das Nachtmahl, still, heilig, heiligend, seinen edlen Wein in die schwachen, gebrechlichen Gefäße ergießend, unter Worten, die nicht Menschenworte sind, mit Kraft, die nicht Menschenkraft ist. Nach dem Gottesdienst versammelte sich die Sonntagsschule, und schöne junge Frauenzimmer unterrichteten hier arme Kinder. Und wie mütterlich sie das thaten, wie gut, besonders meine junge Wirthin, Mrs. Dean, die ich nur mit innigstem Vergnügen bei der Ausübung ihres Mutterberufs betrachten konnte.

Das Wetter war sonnenhell, obschon kalt, und ich wünschte den Nachmittag zu irgend einer Ausfahrt auf dem schönen See und zur Betrachtung seiner Ufer zu verwenden. Aber „es ist Sonntag!“ antwortete man mir lächelnd, und am Sonntag darf man sich hier nicht einmal in Gottes schöner Natur erheitern. Dagegen in der Kirche schlafen, das darf man.

Den 7. Oct.  

Ich hatte von einer andern blühenden norwegischen Niederlassung in einer Gegend Namens Koskonong, ungefähr 24 englische Meilen von Madison erzählen gehört, und als ich meinen Wunsch äußerte, sie zu besuchen, erbot sich eine freundliche junge Madame Collin, mich mit ihren Pferden und in ihrem Wagen dahin zu führen.

Am folgenden Tag begaben wir uns in einem kleinen offenen Wagen auf den Weg mit einem norwegischen Jungen als Kutscher. Das Wetter war mild und sonnig, und der Wagen rollte leicht dahin über das Land, das hier Hochland war und harten Boden und natürliche gute Wege hatte. Der ganze erste Theil des Weges führte durch neues, oft gänzlich wildes, unbebautes Land, das aber überall einem englischen Park mit grasbewachsenen Höhen und Thälern (das Gras hoch, schwankend und goldgelb) und mit dünnen Eichenwäldern glich. Die Bäume waren nicht hoch; der Boden unter ihnen so frei von Gebüschen, als hätte man sie sorgfältig umgehauen. Man schreibt dieß dem Brauch der Indianer zu, die Jahr für Jahr auf den grasbewachsenen Marken Feuer anzünden, wodurch die junge Vegetation von Gebüschen und Bäumen ausgerottet wird; und noch vor wenigen Jahren hatten die Indianer diese Gegend inne. Weiter vorwärts, unterwegs, war das Land etwas mehr angebaut. Man sah da und dort ein grob gezimmertes Blockhaus mit Maisfeldern umher, wie auch neugesäten Waizen. Darauf kamen wir an eine große, wogende Prärie, „Liberty Prärie“ genannt, die kein Ende nehmen zu wollen schien. Unsere Pferde waren müde, und das Dunkel begann hereinzubrechen. Erst, ganz spät und in der Finsterniß kamen wir nach Koskonong, und unser junger norwegischer Kutscher, der von diesem Ort war, führte uns ins Haus des norwegischen Pfarrers. Auch dieß war blos ein kleines Blockhaus.

Der norwegische Pfarrer, Herr Preuß, war erst seit einigen Monaten aus Norwegen angelangt. In der Küche, wo Feuer glänzte, stand sein hübsches Weibchen und kochte Grütze, als ich eintrat und sie auf schwedisch begrüßte. Sie war zuerst verblüfft und erschrocken über den späten Besuch, denn ihr Mann befand sich auf einer Amtsreise, und sie wohnte allein hier mit ihrem kleinen Bruder und einer alten Magd. Aber mit ächt nordischer Gastfreundschaft und Wohlwollen empfing sie uns dann, und wollte Alles in der Welt thun, um uns gut zu traktiren und zu beherbergen. Da das Haus klein war und die Mittel gering schienen, fuhr die gute Frau Collin nebst ihrer jungen Schwester zu einem amerikanischen Farmer, der etwas weiter wegwohnte. Ich blieb bei der kleinen Norwegerin über Nacht. Sie war erst 19 Jahre alt, hatte Heimweh nach ihrer Mutter, ihrem Vaterland und seinen Bergen, und gefiel sich in dem fremden Lande und den neuen Verhältnissen, an die sie nicht gewöhnt war, schlecht. Sie war schön, fein und anmuthsvoll; ihr ganzes Aussehen, ihre Kleider, die an der Wand hängende Guitarre, Alles zeugte davon, daß sie in einem Kreis ganz anderer Art, als die Bauern in Blockhäusern in der Wildniß bildeten, gelebt hatte. Das Haus war nicht gut versehen. Es tropfte durch das Dach, und ihr Mann, mit dem sie sich ganz kürzlich erst in Norwegen vermählt und den sie aus Liebe nach der neuen Welt begleitet hatte, war jetzt auf mehrere Tage fort; sie hatte weit und breit in dem neuen Welttheil keinen Freund und Bekannten. Kein Wunder, wenn sie noch nichts Gutes oder Schönes sehen konnte in diesem „unheimlichen Amerika.“ Aber ein so hübsches und gutes Wesen wie sie wird nicht lange allein bleiben unter der warmherzigen Bevölkerung hier zu Land.

Ihr neunjähriger kleiner Bruder war ein schöner Knabe mit prächtigen blauen Augen und frischem Muth (obschon er gegenwärtig an einem der gewöhnlichen langsamen Fieber des Landes litt) und er glaubte, er würde einmal noch Bischof werden wie sein Altvater in Norwegen, Bischof Nordahl Brun. Denn diese beiden Geschwister waren wirklich Enkel des berühmten Dichters und Bischofs Nordahl Brun, welchem Norwegen seine nationalsten Lieder zu verdanken hat. Sie waren auf der gewöhnlichen Straße westlicher Auswanderung, dem Erie-Kanal (von New-York her) gekommen, und sodann mit Dampfbooten über die Binnenseen gefahren. Sie klagten über Unsauberkeit und widrigen Aufenthalt auf den Kanalbooten, und daß die Leute so streng gegen den kleinen Jungen gewesen, ihn aus seinem Bett getrieben und oft mißhandelt haben.

Die junge Frau bewirthete mich mit ausgesucht gutem Thee, und gab mir ein gutes Bett in ihrem Zimmer. Aber ein schreckliches Donnerwetter, das die ganze Nacht währte, nebst strömendem Regen störte den Schlaf, insbesondre auch den meiner kleinen Wirthin, die Angst hatte und über das Leben in diesem „unheimlichen Land“ seufzte.

Am Morgen glänzte die Sonne; die Luft war angenehm und mild; und nach dem Frühstücke mit der Jungen Frau, wobei ich alles das Meinige that um ihr bessere Gedanken von dem Land und besseren Muth beizubringen, ging ich hinaus auf die Wanderung. Das Pfarrhaus lag bei all seiner Einfachheit sehr hübsch auf einem von jungen Eichen umgebenen Hügel. Bei einiger Pflege kann der Hof schön und angenehm werden. Ich spazierte auf der Straße entlang. Das Land öffnete sich sonnbeglänzt vor mir gleich einem ungeheuren englischen Park, mit den schönsten Wiesen im Hintergrund, der von weichem Laubwald bekränzt war, welcher jetzt in den Farben des Herbstes prangte. Da und dort sah ich kleine Höfe an den Rändern des Waldes, meist Blockhäuser, aber auch das eine und andere bessere Haus, nebst einigen kleinen Hütten von grauem Stein. Ich sah Leute auf den Feldern mit der Kornärndte beschäftigt. Ich redete sie auf norwegisch an, und sie antworteten fröhlich auf die Anrede. Ich fragte viele, sowohl Männer als Weiber, ob sie zufrieden seien, ob sie es hier besser haben als in dem alten Norwegen? Sie antworteten beinah alle: „Ja! wir haben es hier besser. Wir arbeiten weniger hart; und wir haben reichlicher zu leben!“ Nur ein alter Bauer sagte: „Es hat seine Schwierigkeiten hier wie dort. In dem alten Land ist die Gesundheit besser als hier.“

Mit Frau Preuß besuchte ich auch einige norwegische Bauernhäuser. Es kann sein, daß ich nicht in die besten gerieth. Aber gewiß ist, daß der Mangel an Sauberkeit und Ordnung darin stark mit dem Zustand in amerikanischen, selbst armen Hütten contrastirte. Aber die Norweger legen ihre Häuser klug an, gewöhnlich an einem kleinen Fluß oder Bach, und verstehen gut Erde zu wählen. Sie kommen als alte und wohlerfahrene Ackerbauer hieher, und verstehen es das Land zu bebauen. Sie helfen einander in der Arbeit, leben sparsam, und suchen keine Vergnügungen. Das Land schien mir überall reich und idyllisch schön zu sein. Berge sah man keine; nur wogende, laubwaldgekrönte Höhen. Ungefähr 700 norwegische Colonisten sind in dieser Gegend ansäßig, alle in kleinen Höfen, die oft weit von einander abliegen. Sie haben zwei Kirchen oder Versammlungshäuser in Koskonong.

Man schätzt die Anzahl norwegischer Einwanderer, die jetzt in Wiskonsin wohnen, auf 30–40000, aber Niemand weiß die Sache genau. Mit jedem Jahr kommen neue Einwanderer und lassen sich oft in Gegenden nieder, die weit von den andern Kolonisten obliegen. Sie nennen ihre Kolonie ein „Settlament“ nach dem englischen Wort „Settlement.“ Ich hatte hier von einem solchen, Namens „Luthersthal“ näher bei der Grenze von Illinois, als von einer großen und ganz besonders blühenden Niederlassung gehört, die unter der Leitung eines guten und thätigen Priesters, eines Herrn Claussen stehe. (Hätte ich nur Zeit, so würde ich dahin reisen.)

Von einem Theil dieser norwegischen Bevölkerung wird gesagt, daß sie sich schwer zur Kirche und bürgerlichen Ordnung gewöhnen lasse, daß sie störrisch und unlenksam sei. Aber sie bebauen den Boden wohl; sie bereiten für ein besseres Geschlecht die Bahn, und ihre Kinder werden, wenn sie in die amerikanischen Schulen kommen, und von da aus in besseren amerikanischen Häusern in Dienst treten, als die besten Diener gerühmt, treu, arbeitsam und voll Hingebung, jedoch schwer an vollkommene Reinlichkeit und Ordnung zu gewöhnen. Der größere Theil des Gesindes in den Städten dieser jungen Missisippi-Staaten kommt aus den über das Land hin zerstreuten norwegischen Kolonieen. Im Allgemeinen scheinen sich die Norweger hier besser durchzuschlagen, als die Schweden. In Madison kommt eine norwegische Zeitung heraus, die sich „der Freund der Norweger“ nennt, und wovon ich einige Exemplare bekommen habe.

Nach einem reichlichen Frühstück, bei welchem unsere junge Wirthin auf meine Bitten uns auch mit Gesängen aus ihrem Heimathland bewirthete, die mit reiner, anmuthsvoller Stimme zur Guitarre gesungen wurden, verabschiedeten wir uns von der liebenswürdigen jungen Frau, welche in der guten Frau Collin eine gute Freundin, und durch sie noch mehrere andere Freunde in Madison erhält.

Unter Regenschauern reisten wir nach Hause, blieben da und dort auf dem Weg stehen, um mit der norwegischen Bevölkerung draußen auf den Feldern zu sprechen, und kamen bei dem allerhübschesten Sonnenuntergang über die schöne Binnensee-Gegend und die Stadt in Madison an. Der häufige Sonnenschein in Amerika macht es leichter und angenehmer, dort zu reisen, als anderswo. Man kann auf schönes Wetter rechnen. Kommt ein Gußregen, so währt er nicht lang, und die Sonne erscheint bald wieder.

In Madison habe ich viele Leute gesehen, worunter einige langweilige Frager (ich rechne diese unter die Böcke) mit den gewöhnlichen Fragen: „Wie gefällt es Ihnen in den Vereinigten Staaten? Wie in Madison? Wie im Westen? Wie finden Sie die Wege? Kennen Sie Jenny Lind persönlich?“ u. s. w. Auch einige interessante, ungewöhnlich angenehme Menschen (ich zähle sie unter die Schafe), die selbst genug zu sagen wußten, um nicht von Fragen leben zu müssen, und mit denen ich einige höchst interessante, kurze Gespräche hatte. Unter ihnen muß ich den Kanzler der Universität von Wisconsin, Herrn Lathrop erwähnen, einen angenehmen und auch geistreichen Mann, voll von Leben, mit einem klaren, aufgeweckten Blick über die Aufgabe des jungen Staats in der Staatengruppe der Vereinigten Staaten, und über ihre gemeinsame Aufgabe in der Weltgeschichte. Und viel Vergnügen habe ich von diesem Gespräche und von der Lectüre der Rede, die er kurz zuvor auf dem Kapitol dahier bei seiner Einweihung als Kanzler der Universität hielt. Diese, sowie eine andre bei derselben Gelegenheit von einem der Direktoren des Erziehungscomités, Mr. Hyatt Smith, gehaltene Rede zeugen von einem großen Bewußtsein der socialen Verhältnisse im Allgemeinen und der neuen Welt insbesondere, der Vorzeit, wie der Jetztzeit, und der Jetztzeit wie der Zukunft, und sind im edelsten Tone gehalten.

Ich habe früher als Kennzeichen der Reden in der neuen Welt, wodurch sie sich von europäischen Reden unterscheiden, erwähnen hören, daß sie einen größern Kreis von Gegenständen und Ansichten einnehmen und gewöhnlich darauf ausgehen, die ganze Welt, Vorzeit, Jetztzeit und Zukunft und das ganze Menschengeschlecht zu umfassen. Sie durchfahren große Räume, stellen die Gegenstände in große Gruppen, und geben große Ansichten über deren Verhalten zu dem. „göttlichen Gesetz des Fortschritts.“ Ich wollte als charakteristisch hinzufügen, daß sie das Alles auf der Eisenbahn oder mit der Raschheit der Eisenbahn thun, welche nah und fern gelegene Gegenstände mit unglaublicher Schnelligkeit verbindet, und den größtmöglichen Gegensatz gegen die deutsche Umständlichkeit bildet, die niemals ans Ziel gelangt. Ich finde diesen Charakter in hohem Grad in diesen Reden, die im Prärienland des Westens, im jüngsten Staat der Union gehalten[WS 1] wurden.

Der Kanzler findet, daß alle materielle Entwicklung auf Erden, die durch Kunst und Wissenschaft zu Stand gekommen ist, schließlich die Wirkung hat, die Seele auf sich selbst zurückzuwerfen. Die Ausübung ihrer Kraft während der Arbeit, um sich der physischen Welt zu bemächtigen, stärkt und belebt sie zu neuen Eroberungen in der Welt des Geistes. Und eine vollkommene Kenntniß der Gesetze derselben bereitet uns wieder zu einer vollkommenen Gewalt über die Welt außer uns.

„Die Geschichte der Philosophie,“ sagt Lathrop, „zeugt von diesem gegenseitigen vertraulichen Verhältniß zwischen den Wissenschaften der Materie und des Geistes. Die geistigen Tendenzen des Menschengeschlechts sind niemals hervorragender gewesen, als just in diesem Zeitalter, welches gleichwohl das mechanische und materielle, das eiserne Zeitalter der Welt genannt wird.

Die Resultate der metaphysischen Arbeiten früherer Zeitalter, seitdem die Ermahnung „Kenne Dich selbst“ dem Denker Regionen endloser Forschungen eröffnet hat, werden, mit den Errungenschaften unserer Zeiten bereichert, im Sonnenschein unserer klar gewordenen Begriffe beleuchtet werden.

„Aber laßt uns nicht länger im Vorhof verweilen, laßt uns in den innern Tempel treten. Das Streben nach physischen, mathematischen, metaphysischen Wahrheiten erhält im Ganzen seinen vornehmsten Werth durch sein Verhältniß zu dem socialen Princip im Menschen. Auf diesem beruht der Werth des Individuums als fühlendes Wesen und als Mitglied des Universums.

„In allen Fragen, die sich auf den menschlichen Fortschritt beziehen, muß daher der Schwerpunkt der Frage das sociale Fortschreiten des Menschen betreffen.

„Diese Frage hat zwei Gesichtspunkte — Betrachtung des Menschen zuerst als eines Theils von Gottes allmächtigem Reich, und dann als eines Mitglieds der politischen oder nationalen Staatsgesellschaft. Die Constitutionen und Gesetze, die zu dem ersten Gesichtspunkt gehören, sind moralisch geistige Constitutionen und Gesetze; diejenigen, die ihn unter dem letzteren Gesichtspunkt angehen, sind politische Constitutionen und Gesetze.

„Wenn wir verflossene Zeitalter fragen, welche historische Rechenschaft sie über die Entwicklung der moralischen Anstalten zu geben haben, durch welche Gott den Menschen einladet und in den Stand setzt, die sittliche Wiedergeburt seines Geschlechts auszuarbeiten, und sich für das geistige Leben vorzubereiten, das auf seine Prüfungszeit dahier folgen soll, für den Dienst in dem höheren Staat und die Seligkeit in diesem herrlichen innern Tempel, zu welchem diese physische Scene, mit all ihren tausendfach geoffenbarten und noch verborgenen Mysterien, blos der Vorhof und das Vorzimmer ist:

„Dann weisen sie uns zu den philosophischen Schulen, diese Laboratorien ethischer Wahrheiten, zu den Constitutionen der Hebräer, die in ihrem Ursprung göttlich waren, und zu den herrlichen Anstalten der christlichen Offenbarung. Und während der letzten Zeitfolge, unter dem Gesetz des Fortschritts verweisen sie uns auf die kanonischen Schriften der Väter, auf die Reformation in Deutschland und England, auf den Protest der Puritaner, auf den Fels von Plymouth, auf die tausenderlei Institutionen und Associationen in unsern Tagen, die sich in Folge der Arbeiten der Evangelisten und der Lehren der Prediger entwickeln, alle darauf ausgehend in der Welt den christlichen Glauben, als den universellen, zu verbreiten, und seinen Geist immer allgemeiner, vernünftiger und segensreicher zu machen.

„Fragen wir auch die Zeiten, was sie gethan haben, um die wahre Theorie politischer Organisation zu entwickeln, um den Mechanismus des socialen Systems zu vollenden, um praktische Weisheit seinen Wirkungen zu verleihen, so daß der Staat seine höchste Pflicht gegen die Bürger erfüllen kann, um derenwillen er da ist, und deren Treue er in Anspruch nimmt, so verweisen sie uns auf den Rath der Amphiktyonen, auf Solons und Lykurgs Gesetze, auf die römischen Gesetztafeln, auf das bürgerliche Gesetz, auf die Magna Charta und auf die amerikanischen Constitutionen, diese kostbaren Denkzeichen der Intelligenz, die mit ihren Inschriften am Wege des Fortschritts der bürgerlichen Gesellschaft entlang stehen. Sie verweisen in starkem Contrast auf den Krieg der Anarchie mit der wohlthätigen Regierung socialer Ordnung, — auf den blinden Despotismus älterer Regierungen nebst den widersprechenden und ausgleichenden Kräften in den constitutionellen Monarchieen unserer Tage, auf die wilden, formlosen Demokratieen der Vorzeit — diese ersten Experimente der[WS 2] jungen Freiheit — im Contrast gegen die geschriebenen Constitutionen, dieses sichere Treiben in den neuen repräsentativen Republiken.

„Wie klar ist es nicht, daß unser Zeitalter eine Zeit von „Resultaten“ ist, deren Ursachen weit zurückliegen im Strom der Zeit?“

Ich habe so viel von dieser Rede angeführt, weil ich denke, daß Du darin ein gutes Probestück von der Tendenz und Strebsamkeit des Denkens hier im Lande bekommst, und zumal im Westland, wo die Gesellschaft sich ganz augenscheinlich in höherem Grade als weltbürgerlich und universell fühlt, weil sie aus allen Völkern der Welt gebildet ist, die durch Auswanderung hieherströmen, und vielleicht auch weil die ungeheuren Aussichten hier im Prärieenland die Seele einen großartigeren Flug nehmen lassen.

Von seiner großen Eisenbahnfahrt durch die Welt und Weltgeschichte kommt Lathrop endlich in seiner Rede an die Pflicht, welche die Pfleger von Wisconsins jungem Staat zu erfüllen haben, damit derselbe seinem großen Beruf als Heimath verschiedener Völker, Angelsachsen, Celten, Germanen, Scandinavier, die sämmtlich sein Leben mit neuen Lebenselementen bereichern, zu erfüllen vermöge.

„Freie Schulen, allgemeine Erziehung haben sich überall in den Vereinigten Staaten als das große entwickelnde und emporhebende Princip erwiesen. Die amerikanische Seele hat diese Idee erfaßt und wird sie nicht fahren lassen, daß das Eigenthum des ganzen Staats, das allgemeine oder private, für die heilige Pflicht verantwortlich sei für die Erziehungsmittel jedes einzelnen Kindes im Staat zu sorgen.

„Ohne Annahme dieses Systems ist die politische Gleichheit, mit der wir prahlen, nur ein Traum, eine angenehme Illusion. Die Kenntnisse sind der wahre Gleichmacher; sie bilden die wahre Demokratie. Sie gleichen nach oben aus, und nicht nach unten.“

Indem der Redner die Erziehung bevorwortet, welche die Universität geben soll, macht er darauf aufmerksam, daß der Standpunkt der Erziehung gehoben werden müsse, daß der Mangel an geschickten Erziehern ein allgemein beklagter Mangel sei. Darum soll eine Normalschule zur Vorbereitung geschickter Lehrer der Universität angehören.

Und die Bibliothek wird zum Zweck haben Alles zu enthalten, was von der Literatur jeden Landes und Zeitalters zu besitzen der Mühe lohnt, — „die Summe des menschlichen Gedankens, der Erfahrung der Gesellschaft.“

„Wisconsin, der jüngste der Staaten der Union, geboren unter den vortheilhaftesten Umständen um die Erfahrungen aller älteren Schwesterstaaten benützen zu können, reich an neuen Volksstämmen, reich durch seine reiche Erde und seine glückliche Lage zwischen den großen Binnenseeen und dem großen Fluß, der Pulsader des Welthandels, — Wisconsin muß Minerva gleich im Leben voranstehen und die Initiative ergreifen bei dem Fortschritt der Völker im socialen Leben.“

Das ist doch frisches Leben, meine Agathe! Und frisch muß es sich empfinden Führer in einem solchen jungen Staat zu sein. Die Führer hier sind gleichwohl nicht weiter gekommen als bis zur Schule und der Erziehung in Schulen, was sie als das Aeußerste zur Förderung des Volkes auf dem guten Wege betrachten. Und weiter ist der amerikanische Gedanke überhaupt nicht gekommen.

Aber er muß noch weitergehen, wenn er zu den Quellen kommen soll, den Quellen des Lebens, aus welchen Völker und Staaten erneutes, junges Leben trinken können.

Wisconsins Staat ist blos zwei Jahre alt. Ein schönes hoffnungsreiches „Baby“ des Westens … meinst du nicht auch? Vor 17 Jahren war der Staat erst ein Territorium; und vor 3 oder 4 Jahren wurde hier der letzte große Kampf mit den Indianern im Land und ihrem tapfern Anführer, dem „schwarzen Habicht“ ausgefochten. Er und seine Leute wurden zuletzt auf diesen Prärien gefangen genommen, und als Siegeszeichen nach New-York geführt. Jetzt finden sich keine Indianer mehr in Wisconsin. Die weiße Bevölkerung daselbst nimmt schnell zu. Wisconsin hat keine Berge, sondern überall anbaufähige Erde, zum größeren Theil sehr gut von Strömen und Seen durchschnitten. Es ist ein Staat für Ackerbau und Viehzucht. Aber der Boden in mehreren Gegenden (und besonders hier um Medison her) wo er von der föderalen Regierung als Einkommensquelle für die Staatsuniversität angeschlagen ist, ist bereits sehr theuer. Von Spekulanten zum Regierungspreis (1¼ Dollar für den Morgen) angekauft, wird er nicht unter 10—12 Dollars wieder verkauft.

„Und wer wird Ihnen dieß bezahlen?“ fragte ich Ch. Lathrop. „Ihre Landsleute!“ antwortete er munter, „Ihre Landsleute, die hieher kommen und deren Söhne frei auf unserer Universität lernen werden.“

Mit Ch. Lathrop und seiner heitern, geistreichen Frau besuchte ich dieser Tage das Universitäts-Gebäude, das jetzt bald fertig ist. Es liegt auf einer Höhe, „Collegiums-Hügel“ genannt, mit freier, schöner Aussicht; es ist ein großes Gebäude ohne unnöthige äußere Pracht, wie das Girard-Collegium in Philadelphia, aber mit viel Platz und Räumlichkeit im Innern. Die Menge der Fenster fiel mir auf. Die untergehende Sonne beleuchtete sie. Im Ganzen ist dieß ein Sonnentempel auf den Prärien des Westens, und wenn er seine Aufgabe erfüllt, ein Tempel des Lichts im Geist und der Wahrheit; mehr als die Tempel Perus!

Es sind erst wenige Jahre, seit die Indianer um diese hübschen Seen her wohnten. Und sie kommen noch jährlich im Herbst hieher, besuchen ihre früheren Grabplätze und erheben da ihre Klagerufe.

Blue Mound (Blauer Erdhügel) den 8. Oct.

Ich schreibe Dir jetzt aus einem kleinen Blockhaus mitten im Prärienland zwischen Madison und Galena. Das Blockhaus gehört zu einer Farm und ist zugleich ein Posthaus und eine Art ländlicher Gasthof. Mr. Dean, Schwiegersohn meiner guten Wirthin in Madison, hatte die Artigkeit mich selbst in einem offenen Wägelchen hieher zu führen, damit ich die Reise angenehmer machen könnte als in der Postchaise, welche bei Nacht diesen Weg macht.

„Blue Mound“ ist eine der höchsten Höhen in Wisconsin, und hat seinen Namen von seiner hübschen dunkelblauen Farbe, da man ihn schon von der Ferne sieht. Er ist gleichsam in einen zarten dunkelblauen Schleier eingehüllt, und man erblickt ihn auf mehrere Meilen Entfernung glänzend gegen den blaßblauen Himmel empor. Er gleicht dem Kinne-Kulle bei uns, hat aber eine steilere Höhe. Er ist wie der Kinne-Kulle von Wiesen und Wald bedeckt.

Da angekommen war ich so entzückt über die große herrliche Aussicht auf das Prärienland rund umher, daß ich ein Paar Tage hier zu verweilen beschloß, um in Frieden und Einsamkeit der Prärie und den Sonnenblumen Gesellschaft zu leisten. Im Haus war ein einziges Gaststübchen, und dieß eine Bodenkammer vor einem großen Boden, wo ein halb Dutzend Arbeiter ihre Nachtherberge hatten. Aber man versicherte mich, daß diese sehr still und bescheiden seien, und man gab mir einen Holzsplitter, womit ich die Klinke an meiner Thüre, die kein Schloß hatte, von innen befestigen könnte. Das Zimmer war reinlich und hell, obschon sehr niedrig und schlecht façonnirt, und ich war froh hier meinen Wohnsitz nehmen zu können. Die Treppe hinauf ist halsbrecherisch.

Gestern lebte ich beinah den ganzen Tag ganz allein draußen auf der Prärie, bald über die Felder hinwandelnd und auf die unendlichen Räume hinausblickend, wobei meine Seele und mein Leib sich gleichsam erweitern und fliegen wollen; bald mitten unter Sonnenblumen und Astern an einem niedern Hügel mit einigem Gebüsch darauf sitzend und Emerson lesend, diesen wunderlichen Ariel, rein, erfrischend, aber flüchtig und in seinen Philosophemen sich verflüchtigend, wie der Wind, der über die Prärien hinfegt und den elektrischen Telegraphenfäden melodische Töne entlockt, die in demselben Augenblick klingen und verklingen. Seine Philosophie gleicht oft diesem Winde. Er selbst ist um ein Gutes mehr und besser. Seine Persönlichkeit ist es, die diesen unvollkommenen Akkorden den wunderbar bezaubernden Ton gibt.

Wie groß ist der Eindruck dieser unendlichen Felder mit ihrer Einsamkeit und Stille! In Wahrheit sie machen die Seele sich erweitern und wachsen und mit tiefen Zügen athmen. Der große Westen! Ja wohl! Aber welche Einsamkeit! Ich sah keine Wohnungen (außer dem Höfchen, wo ich wohne) keine Menschen, keine Thiere; nichts als Himmel und die blumengeschmückte Erde. Der Tag war schön und warm, und die Sonne schritt hell über die Erde hin bis gegen Abend, wo sie sich allmählig in lichte Wolken von Sonnenrauch verbarg, der beim Untergang den Gürtel bildete, durch welchen die Erdkugel in mattem Glanz leuchtete, so daß sie aussah wie ein großes Pantheon mit goldener Kuppel, das am Horizont über dem unermeßlichen Feld steht.

Morgen oder übermorgen begebe ich mich von hier weg, und am Montag hoffe ich am Missisippi zu sein. Jetzt will ich ein Paar Worte an die junge Mrs. Dean schreiben, meine liebliche Sonnenblume in Madison. Ich muß Dir sagen, daß die Köchin in ihrem Haus, eine herrliche, tüchtige Norwegerin, durchaus keinen Lohn als Dank für ihre Mühe von mir annehmen wollte.

Blockhaus, den 9. Oct. 

Heute früh war es trüb und ich fürchtete Regen. Aber ich ging doch aus à la bonne aventure. So auf eigene Faust, das ist mein Vergnügen. Ich folgte einem kleinen Weg, der sich durch niedriges Buschwerk über die Prärie hinschlängelte. Dort traf ich kleine Kinder mit kleinen Speisekörben, die zur Schule wanderten. Ich folgte ihnen, und kam so an ein kleines Blockhaus von äußerst dürftigem Ansehen; es war das Schulhaus. Das Schulzimmer war eine Stube mit einigen Bänken darin. Die Kinder, ein Dutzend an der Zahl, waren lumpig gekleidet, ächte Jungen der Wildniß. Aber sie schienen lernbegierig genug, und an den Bretterwänden der Stube hingen Landkarten, auf denen die kleinen Schüler mir ganz artig die Länder bezeichneten, die ich nannte; und in dem armen Schulhaus waren Lehrbücher, wie die „National-Geographie“ von Goodrich, die „Quarto Geographie“ von Smith, welche Aussichten über die ganze Welt geben; und in dem gewöhnlichen Lehrbuch sah ich Perlen aus der Literatur aller Länder, vornämlich Englands und Amerikas. Der Schulmeister war ein hübscher junger Mann. Er bezog einen monatlichen Gehalt von 15 Dollars.

Ich ging weiter; die Sonne schien fortwährend, der Tag wurde herrlich; und ich hatte wieder einen schönen Tag auf der Prärie.

Der Wirth und die Wirthin in meinem Blockhaus sind von holländischer Abkunft und nicht ohne Bildung. Die Kost ist einfach, aber gut — (ich bekam hier gute Milch und Kartoffeln nach Wunsch), ohne Gewürz und Fett. Und die Kartoffel ist hier zu Land meine beste Speise nebst guter Butter und Brod. Alles ist sauber im Hause, aber die Möbel und Bequemlichkeiten stehen nicht über denjenigen, die man in einem gewöhnlichen schwedischen Bauernhaus findet. Am Tisch sitze ich mit den Mägden und Knechten des Hauses, die, wenn sie von der Arbeit hereinkommen, nicht allzu sauber sind, und mit Tausenden von Fliegen.

Je weiter ich im Westen komme, um so früher finde ich die Essensstunde am Tag. Was sagst Du von einem Frühstück Morgens um 6, von einem Mittagessen um 12, und von einem Thee Abends um halb 7? Mir gefällt es nicht übel. Tausendmal besser als die fashionablen Essensstunden in New-York und Boston.

Es ist Abend. Es hat zu regnen und zu blasen angefangen; und Regen und Wind machen es nicht angenehm, am Fenster zu stehen, das ich der erstickenden Hitze wegen offen halten muß, einer Hitze, die von einer eisernen Röhre herrührt, welche durch das Zimmer aus einem eisernen Ofen im Zimmer unter demselben geht. Ich beginne mich hier weniger selig zu fühlen und freue mich morgen nach Galena abzufahren, Was meine 6 Nachbarn betrifft, so höre ich nicht einen Laut von ihnen. So schweigsam und still sind sie. Die Blockhäuser sind im Allgemeinen warm, erzeugen aber viel Staub, wie ich von Vielen gehört habe und selbst bezeugen kann.




Galena, den 11. Oct.  

Hier hast Du mich jetzt, einige wenige Meilen von dem großen Missisippi, in einem malerisch gelegenen Städtchen auf den gebrochnen Höhen um ein Flüßchen, der Feve-Fluß genannt, der sich in manigfaltigen Krümmungen zwischen ihnen hinschlingt. Die Stadt lebt von Bleigruben (die sich in dieser Hochlandsgegend überall vorfinden,) davon daß sie das finstere, schwere Metall aus der Erde herauszieht, in Oefen schmilzt und zum Handel ausführt. Ein bleigrauer Himmel hängt zufällig über der Stadt, und auf den Straßen sah ich Frauen in grauen Mänteln und alten Hüten einhertrippeln, sehr ähnlich den armen Frauen in grauen Mänteln und Hüten auf Stockholms Straßen in dem herbstgrauen Wetter; auch Herrn oder Halbherrn in lumpigen Röcken, jedoch dadurch weniger genirt, als sie es bei uns sein würden. Es sieht grauenhaft graulich aus! Und es ist kalt wie bei uns im November. Gestern war es anders. Gestern war der herrlichste Sommertag. Es war regnerisch, als ich bei Tagesanbruch „Blue Mound“ verließ, aber das Wetter hellte sich bald auf und der Wind jagte die Wolken über die unermeßlichen Felder, und das Spiel der Schatten und Lichter darüber, die herrlichen Aussichten — ich kann gar nicht sagen, wie genußreich diese Tagfahrt für mich war. Der Weg über das hohe Prärienland war hart und eben, wie die Wege bei uns im Sommer. Die Diligence, in der ich meistens allein saß, rollte leicht über die Felder hin. Ich meinte darüber wegzufliegen, während ich mich mit jedem Augenblick dem Riesenstrom, dem Ziel meiner westlichen Reise näherte. Der Wind war warm, wie bei uns im Juli Und diese Aussichten des Westens, die um so größer sind, je mehr man sich dem großen Strom nähert, sie machen einen unaussprechlichen Eindruck. Ich erinnere mich nicht von Naturgegenständen einen ähnlichen empfangen zu haben.

Gegen Abend wurden die Wege schlechter, und recht müde kam ich spät am Abend in einem Städtchen an, Waterville (wenn ich mich des Namens recht erinnere). Es war sehr dunkel, obschon der Himmel sternhell war. Ich war hungrig und müde, und wünschte im Hotel zu übernachten, theils um auszuruhen, theils um die Reise beim Tageslicht fortsezen und die riesengroßen Felder sehen zu können. Aber das Hotel war von Herrn eingenommen, die just zu einem Convent über Erziehungsfragen versammelt waren und gerade ihre Sitzung hielten. Es gab kein Zimmer für mich. Und als ich von meiner Müdigkeit sprach, von meiner Furcht, bei Nacht auf Wegen zu reisen, die oft gar keine Wege sind, und auf welchen die Diligence sechsmal in der Woche umwirft, da antwortete der Wirth des Hotels mit Erzählungen von der großen und wichtigen Versammlung, die hier in der Stadt gehalten wurde, und von den merkwürdigen Männern, die zu diesem Behuf zusammengetreten waren und in seinem Haus wohnten. Er that so wichtig und nahm den Mund so voll von dem großen Erziehungsconvent, der in seiner Stadt tagte, und dessen Mitglieder in seinem Haus wohnten, daß er weder Ohr noch Herz für die arme, müde, reisende Dame hatte, die um ein kleines Stübchen bat, um zu übernachten. Dieß Hotel, sagte er, sei eigentlich kein Hotel für Damen, sondern blos für Herrn. Es gebe zwar noch ein anderes Hotel in der Stadt, und er erbot sich, mich dahin begleiten zu lassen. Aber auch dieses, meinte er, werde von den merkwürdigen Mitgliedern des großen Convents angefüllt sein, und ich müsse in allen Fällen bei Nacht reisen, da die Diligence nach Galena zu keiner andern Zeit gehe. In der heutigen Nacht könne ich auf den besten und sichersten Kutscher rechnen, die Nacht sei schön, und ich werde ganz sicher und wohlbehalten in Galena ankommen. Da die merkwürdige Sitzung des großen Convents bis tief in die Nacht währen konnte und die Diligence augenblicklich abreisen mußte, so hatte ich keine Hoffnung mit einem der merkwürdigen Herrn zu sprechen, um Rath oder Unterstützung von der amerikanischen Artigkeit und Gastfreundschaft zu begehren, welche beide Eigenschaften dem Wirth des Hotels gänzlich abgingen. Ich mußte reisen.

„Mein guter Freund,“ sagte ich bittend zum Postillon, „ich bin eine fremde Reisende aus fernem Land und ganz allein; versprechen Sie mir, daß Sie mich nicht umwerfen wollen!“ „Das kann ich Ihnen nicht versprechen, Madame,“ antwortete er; „aber ich verspreche, daß ich mein Bestes thun will, um Sie sicher weiter zu fahren.“ Dieß war eine verständige Antwort, und sie wurde mit einer Stimme ausgesprochen, die mir Vertrauen einflößte. Ich setzte mich in die Diligence und verließ den ersten ungastlichen, unfreundlichen Ort, den ich in Amerika gefunden hatte. Drei bis vier Herrn saßen in der Diligence mit mir, die ich das einzige Frauenzimmer war. Aber ihre Stimmen und ihre Fragen sagten mir, daß sie jung waren und einer ungebildeten Klasse angehören. „Sind Sie ängstlich, Miß Bremer?“ „Haben Sie Furcht, Madame?“ waren Ausrufungen, womit sie mich sogleich in einer gutmüthigen und muntern, aber rohen Weise überhäuften. Ich beantworte ihre Fragen mit einem einsilbigen „Nein!“ und dann ließen sie mich in Ruhe. Aber ich war nicht ohne Unruhe wegen der nächtlichen Fahrt. Ich hatte von Diligencen erzählen gehört, die neuerdings umgeworfen wurden, vom einem Frauenzimmer, das den Arm gebrochen, von einem andern, das einen so heftigen Stoß in die Seite bekam, daß sie noch krank davon in Galena lag, von einem Herrn, der so hart mit dem Kopf aufgefallen war, daß er auf mehrere Stunden das Gedächtniß ganz verloren hatte, und von allerlei ähnlichen Ereignissen.

Mehrere der jungen Herrn waren einander unbekannt, machten aber bald Bekanntschaft. Einer von ihnen sollte irgendwo näher beim Missisippi Schulmeister werden. Er hatte eine jämmerliche Stimme und seine Aussprache war breit und blöckend. Einer der andern Herrn fragte ihn, ob er ein gewisses mathematisches Problem mit dem Wasser lösen könne. Der Schulmeister schien hierüber ganz aus dem Concept zu kommen, und sein neuer Lehrer begann ihm jetzt weit und breit das Experiment auf eine Art zu beschreiben, welche sicherlich Fabian Wrede sehr belustigt haben würde. Der Schulmeister machte verschiedene Fragen, die bewiesen, daß er in diesen Wasserkünsten nicht daheim war, und als er bald darauf die Diligence verließ, rief sein Lehrer: „Welch ein Dummkopf von einem Schulmeister!“ Und Alle brachen in ein Gelächter aus. Sie waren offenbar alle zusammen etwas einfältig, aber harmlos und gutmüthig. Sie begannen Negerlieder zu singen, und sangen recht frisch und charakteristisch „O Susanna!“ „Dandy Jim von Carolina“ u. s. w. Hierauf schliefen sie. Die Nacht war schön und hell, der Weg nicht schlecht, der Kutscher offenbar brav und vorsichtig. Nur einmal blieben wir in einem Dickicht hängen und die jungen Männer mußten heraus und den Weg bahnen. Um halb ein Uhr des Nachts kamen wir glücklich in Galena an, wo alle Welt tief zu schlafen schien. Auch im Hotel war Alles still und dunkel.

Der Portier des „Amerika-Hauses,“ ein alter Herr mit stark markirter, englischer Physiognomie, buschigen Augbrauen, starker Nase und ditto Kinn, humoristischer Laune und etwas gentlemännisch in Aussehen und Wesen, kam mit einer Laterne in der Hand und empfing sehr artig mich und meine Effekten. Er wies mich in ein freundliches Stübchen. Aber als ich die Thüre verschließen wollte, fand ich, daß das Doppelschloß sich nicht verschließen ließ. Ich rief meinen alten Gentleman und zeigte ihm meine Schwierigkeit. Er machte mir ein Zeichen, daß ich blos mein Kofferchen vor die Thüre zu stellen habe; dieß sei Alles, was ich für meine Sicherheit bedürfe. Aber da ich dieß nicht genügend erachtete, so beschäftigte er sich mit dem Schloß, bis es auf einmal zusprang. Jetzt war es gut. Aber nun sollte er es wieder öffnen, um hinauszugehen, und da ging es nicht auf. Er riß und riß, es bewegte sich nicht im geringsten. Ich und der alte Herr waren ins Zimmer eingeschlossen; denn ein anderer Ausgang fand sich nicht. Bei dieser Entdeckung machte er eine so lustige Grimasse, daß ich nicht umhin konnte, herzlich zu lachen, und nachdem er einige Minuten lang seine Künste und Kräfte vergebens erschöpft, um die Thüre aufzumachen, versuchte ich die meinigen. Ich untersuchte das Schloß genau und entdeckte bald eine kleine Feder, auf welche ich drückte; bald sprang das Schloß auf, und ich entließ meinen alten Gentleman, der beinahe so froh schien wie ich, gut von dem nächtlichen Abenteuer loszukommen, aus dem Käfig.

Später.  

Ich wurde in meinem Schreiben von einigen Besuchen unterbrochen, mußte in den Damensalon hinausgehen, wo ein schönes, junges Frauenzimmer saß und falsch sang, so daß es mir durch die Seele schnitt; und sie wollte nicht aufhören! Ein junger Herr, der neben ihr saß und die Blätter umkehrte, muß ganz ohne Ohr oder bis über die Ohren verliebt gewesen sein.

Von einem Ehepaar, das ich in meinem Zimmer empfing, und das jetzt aus der Wildniß jenseits des Missisippi zurückkam, erhielt ich interessante Aufschlüsse über die sogenannten „Squatters,“ eine Art Volk von der weißen Race, das einen Theil der ersten Bebauer des Westlands[WS 3] ausmacht. Sie lassen sich da und dort in der Wildniß nieder, kultiviren die Erde und die Freiheit, wollen aber von keinem andern Kultus wissen. Sie bezahlen keine Steuer und wollen nichts von Gesetz oder Kirche hören. Sie leben in Familien, haben kein Staatsleben, sind aber äußerst friedfertig und begehen keinerlei Arten von Gesetzesverletzung. Alles was sie wünschen ist, daß man sie im Frieden lasse, und daß sie frei ihre Ellenbogen bewegen können. Mit den Indianern stellen sie sich gut. Nicht so gut mit civilisirten Weißen. Wenn diese mit ihren Schulen, Kirchen und Handelsbuden kommen, dann ziehen die Squatters fort, weiter fort in die Wildniß, um da, wie sie sagen, in Unschuld und Freiheit[WS 4] leben zu können. Das ganze Westland des Missisippi und bis zum stillen Meer soll stellenweise von diesen Squatters oder Erdeanbetern bewohnt sein, deren Ursprung ebenso unbekannt zu sein scheint, wie der Ursprung der Erdeesser in Südcarolina und Georgia. Auch ihre Lebensweise hat Aehnlichkeit. Aber die der Westländer zeigt mehr Kraft und Arbeitsamkeit. Die Erdeesser unterliegen dem Naturleben. Die Erdeanbeter sind Repräsentanten der Wildniß, und stehen als solche in starrer Opposition gegen die Civilisation.




Galena, den 12. Oct. 

Wieder oben und wieder munter nach einer zweitägigen schweren Migräne, während welcher ich von einer kleinen, gutherzigen irländischen Magd im Hause aufs Beste verpflegt und bedient wurde. Ich hätte kaum in meinem eigenen Hause besser behandelt werden können. Und ohne ein kleines Denkzeichen konnte man von der garstigen Fahrt durch Wisconsin nicht wegkommen. Aber mit dieser ist auch der beschwerlichste Theil meiner westlichen Reise überstanden. Und ich habe meinen Leib und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne wohl behalten, und Alles ist im Ganzen so gut gegangen, und ich fühle mich so vollkommen wieder hergestellt und im Besitz meiner gewöhnlichen guten Gesundheit, daß ich blos herzlich zufrieden und dankbar sein kann.

Erst am Montag verlasse ich Galena, denn erst dann geht das gute Dampfboot Menomonie (so genannt nach einem Indianerstamm) von hier den Missisippi hinauf nach Sct. Paul. Ich will inzwischen meine Freiheit in diesem guten Hotel genießen und mich an den Wanderungen auf den pittoresken Höhen ringsumher erlaben.

Gute Nacht, Geliebte! Ich umarme Mama und Dich, und grüße herzlich alle gute Freunde in und außer dem Hause.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gebalten
  2. Vorlage: Experimenteder
  3. schwedisch „Vesterlandets“; Vorlage: Festlands
  4. Vorlage: Feiheit
Vierundzwanzigster Brief Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band
von Fredrika Bremer
Sechsundzwanzigster Brief
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