Die Herren Verjünger

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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Die Herren Verjünger
Untertitel:
aus: Lerne lachen ohne zu weinen, S. 118-119
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1932 (EA 1931)
Verlag: Ernst Rowohlt
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Erscheinungsort: Berlin
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Weltbühne, 25. November 1930
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Die Herren Verjünger

Wie bekannt, geht durch die deutsche Industrie alle Jahr irgend ein neues Schlagwort. Sie hat ihre Moden, die Industrie, und da Kaufleute einen engen und kurzen Verstand zu haben pflegen, so schwätzt das einer dem andern nach, und einer macht es dem andern nach, was man grade so trägt: Rationalisierung … Produktionssteigerung … zur Zeit werfen sie ihre Angestellten heraus und engagieren sich neue: im Babykostüm. Der Betrieb muß verjüngt werden.

Die Angestellten, mäßig organisiert, untereinander zerrissen, wehrlos und ohnmächtig, weil es noch Jahrzehnte dauern wird, bis sie ihre Klassenlage voll erkannt haben und danach handeln werden, die Angestellten protestieren und weisen mit Recht darauf hin, daß es viele Positionen und vielerlei Arbeit gibt, wo der Zwanzigjährige weniger leistet als der Vierzigjährige, und daß man nicht so schematisch vorgehen könne … vergeblich. Die Chefs und die „leitenden Angestellten“ hören nicht und verjüngen den Betrieb.

Wobei denn einmal gefragt werden soll:

Wer verjüngt eigentlich die Verjünger –?

Hat man schon einmal gehört, daß ein Chef, ein Generaldirektor, ein Personalchef, einer von denen, die über die Neueinstellung von Menschen verfügen, vor seinem achtundsechzigsten Lebensjahr als zu alt bezeichnet wird? Nein, das hat man noch nie gehört. Sie verjüngen den ganzen Betrieb von oben bis unten – nur sich selber nehmen sie aus.

Das ist nicht nur egoistisch; es ist auch blöd. Denn da Fünfzigjährige in ihrer Tätigkeit erfahrungsgemäß die Ideale ihrer Jugend zu realisieren pflegen, so engagieren sich die Herren Verjünger sehr häufig junge Greise, Leute, die charakterlos oder dümmlich genug sind, verkalkten Idealen [119] nachzukommen, jenem seit dreißig Jahren gehegten Wunschtraum: „Wenn ich mal groß bin …“ und so feiert heute 1901 seine fröhliche Auferstehung.

Gottergeben nimmt die Angestelltenschaft die Urteilssprüche ihrer Ober- und Untergötter hin. Keiner fragt, wie der Gott in den Tempel gekommen ist. Keiner fragt nach der Qualifikation. Gott ist Gott … da dürft ihr nicht murren. Und wenn jemand murrt, dann ist es nur einer, der seinerseits gern angebetet werden möchte: ein verhinderter Gott.

Inzwischen verjüngen die Herren die deutsche Wirtschaft, und wir sollen zusehen und nicht verzweifeln. Denn im nächsten Jahr werden sie irgend ein andres Schlagwort mißverstehn, und einer wird dem andern etwas Neues nachplappern. Gott segne das Schiff, auf dem diese Industriekapitäne den Kurs angeben.