Zum Inhalt springen

Herr Wendriner steht unter der Diktatur

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Kurt Tucholsky
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Herr Wendriner steht unter der Diktatur
Untertitel:
aus: Lerne lachen ohne zu weinen, S. 119-124
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1932 (EA 1931)
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Weltbühne, 7. Oktober 1930
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[119]
Herr Wendriner steht unter der Diktatur

– „Stieke –!

Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so laut reden. Vorm Kino stehn SA-Leute … siehste doch. Steig aus. Wieviel macht das? Es wird schon nicht regnen … das hält sich. Komm rein. Und halt jetzt den Mund. Verzeihen Sie, bitte … Sei jetzt still. Welche haben wir denn …? Erste Reihe – is ja famos. So – den Mantel dahin, deinen … gib mal her.

Reklamefilms. Das ist ein Reklamefilm. Ach, den haben wir schon gesehn – das … Regierer –! Na, das ist aber komisch! Wie kommen Sie denn hierher? Was, in die Loge? Na ja, feine Leute … hähähä … So, das sind Steuerkarten. Ach? Du, Regierer hat noch zwei Karten frei, [120] die hat er nicht verwenden können. Welsch kommt auch noch. Gehn wir doch in die Loge. Warten Sie, wir kommen zu Ihnen rüber … hier … nimm mal den Mantel … So. Hier kann man wenigstens reden.

Wochenschau war eben. Parade in Mecklenburg. Gut besetzt, was? … Eine Menge Miliz ist da – wissen Sie, daß einem direkt was fehlt, wenn die nicht im Saal sind? Ja. Man ist so daran gewöhnt … Man sieht übrigens sehr gute Erscheinungen darunter. Gott, ich finds einkich ganz nett. Nich wah, Hanne? Direkt feierlich. Ja. Na, Regierer, was sagen Sie denn nu so –? Was? Man wird doch da sehn? Das sag ich auch immer. Wissen Sie: ich finde das alles nicht so schlimm. Wann haben wir uns zum letzten Mal gesprochen? Vor zwei Monaten … im September … Na, sehn Sie mal an … erinnern Sie sich noch, was das für eine Panik damals war? Man ist ja direkt erleichtert, seitdem … man weiß doch wenigstens, wo und wie. Na, das war eine Stimmung, damals … meine Frau hat mich vier Tage ins Bett gesteckt, so runter war ich. Wer hat denn das auch erwarten können! Man hat doch hier am Kurfürstendamm vorher gar nichts gesehn! Nein. Sehn Se – das ist Gebühr, Otto Gebühr. Dem solln neulich die Franzosen einen Antrag gemacht haben, er soll den Napoleon spielen. Hat er nicht angenommen. Er spielt bloß den Doktor Goebbels, hat er gesagt, und allenfalls noch den Fridericus. Guter Schauspieler. Hat jetzt seine große Zeit. Doch – das hab ich auch! Ich habe … ich habe damals Staatspachtei gewählt, weil eben damals einer die Verantwortung tragen mußte … und die Einstellung der Partei hat eben die Perspektiven richtig gesehn. Ja. Hat Welsch wirklich Zentrum gewählt? Meschugge. Ich wern nachher fragen. Jedenfalls: so schlimm ist es gar nicht. Ich habe einen Geschäftsfreund aus Rom gesprochen, [121] der hat gesagt: Dagegen wäre es hier direkt frei. Sie haben doch auch den gelben Schein? Wir haben den gelben Schein, natürlich. Zehn Jahre? Ich wohn schon über zwanzig Jahr in Berlin; da habe ich ihn sofort gekriegt. Pause! Stieke –! Nu sehn Sie sich mal diesen schwarzen Kerl da unten an! Wahrscheinlich ein Ostjude … wissen Sie, denen gegenüber ist der Antisemitismus wirklich berechtigt. Wenn man das so sieht! Ekelhafter Kerl. Wundert mich, daß er noch hier ist und daß sien noch nicht abgeschoben haben! … Na, ich kann nicht klagen. In unsrer Straße herrscht peinliche Ordnung … wir haben da an der Ecke einen sehr netten SA-Mann, ein sehr netter Kerl. Morgens, wenn ich ins Geschäft gehe, geb ich ihm immer ne Zigarette – er grüßt schon immer, wenn er mich kommen sieht; meine Frau grüßt er auch. Was hat man Ihnen? Was sagt Regierer? Sie haben ihm den Hut runtergeschlagen? Wobei? Ja, lieber Freund, da heben Sie doch den Arm hoch! Ich finde, wenn die Fahne nu mal unser Hoheitszeichen ist, muß man sie auch grüßen. Stieke –! Pulverfaß …! Pulverfaß …! Meinen Sie, ich fühl mich ganz sicher? Jeden Vormittag klingelt mich meine Frau im Geschäft an, ob was is. Bis jetzt war nichts. Sehr gut war das ehm, haben Sie das gesehn? Wie der sich blind gestellt hat, dabei ist er taub? Na, ich will Ihnen was sagen … Du sollst doch den Namen nicht so laut nennen! – ich will Ihnen mal was sagen: Der H. – wenn er auch aus der Tschechoslowakei ist – der Mann hat sich doch hier glänzend in die deutsche Psyche eingelebt. Na, jedenfalls herrscht Ordnung. Also, Ordnung herrscht mal. Sowie Sie Staatsbürger sind und den gelben Schein haben, also Schutzbürger, passiert Ihnen nichts … darin sind sie konsequent. Das muß man ja sagen: aufgezogen ist das ja glänzend. Phantastisch! Was? Neulich auf dem Wittenbergplatz? [122] Wie sie da mit ihren Fahnen und mit der ganzen Musik angekommen sind. Unterm Kaiser war das auch nicht bess … Welsch –! Na, n bißchen spät! Der halbe Film ist schon vorüber. Setzen Se sich mal dahin … nicht auf meinen Hut! Setzen Se sich auf Regierers Hut … der is nich mehr so neu!

Na, Welsch – was tut sich? Zeigen Sie mal … jetzt bei Licht kann ich Sie besser sehn! Sehn gut aus! Sie, is das wahr, daß Sie Zentrum … da kommen zwei Leute vom Dienst. Stieke! … Is das wahr, daß Sie Zentrum gewählt haben? Meschugge. Na ja – das Zentrum hat seinerzeit den Karewski auf die Liste gesetzt; das sind doch jüdische Sachen. Wir … Nich so laut! Vor allem leise! Machen Sie mir keine Unannehmichkeiten – dazu sind die Zeiten zu ernst. Schließlich haben die Leute ganz recht, wenn sie in der Öffentlichkeit von uns Haltung verlangen. Da haben sie ganz recht. Jetzt fängts wieder an. Das ist Kortner … sehn Se, den lassen sie auch auftreten … Ich sage nehmich grade: so schlimm is es gar nicht. Nicha? Find ich auch. Hübsche Person – gucken Se mah. Wir haben grade von H. gesprochen. Bei dem weiß man wenigstens: er geht eim nich ann Safe. Bei den Kommunisten weiß ich das nicht. Oder vielmehr … ich weiß genau, was da rauskommt. Na, vorläufig können sie sich ja nich rührn; die sind ja plattgehauen. Ist ihnen ganz recht. Lieber Welsch, der Politiker hat da zu stehn, wo grade der Erfolg ist. Sonst ist er überhaupt kein Politiker. Und der Geschäftsmann auch. Das ist Realpolitik. Der eine macht die Politik, und der andre macht die Realien. Sehr richtig.

Nochmal Wochenschau? Na gut. Stieke –! Du sollst doch bei diesen Bildern nichts sagen! Laß doch den Leuten ihr Vergnügen – so schlimm ist das alles nicht. Sogar ein sehr gutes Bild … wir haben ihn neulich ganz aus der Nähe gesehn; [123] er stand da mit seinen Unterführern … Nein! Goebbels ist doch raus … wissen Sie das nicht? Riesig populär sogar. Vielleicht grade deswegen. Der H. paßt ja sehr auf. Der Goebbels hat im Wintergarten auftreten wollen … aber sie ham ihm die Konzession nicht gegeben.

Heute wars n bißchen schwächer. Bißchen schwächer. Warum –? So könn Se bei der Börse doch nicht fragen! Die Börse hat eine Nase … da frägt man nicht warum. Die Leute haben eine sehr feine Witterung –: wenns gut geht, sind sie stille und verdienen alleine, und wenns schief geht, machen sie die andern meschugge. Die haben hinterher noch immer genau gewußt, was passiert ist! Reizendes Bild, sehn Se mah an! Nu sehn Se mal, haben Sie das gesehn –? Wie die französischen Soldaten da alle durcheinander laufen …? Na, das könnte bei uns ja nicht passieren! Ja, also … wenn auch manche noch so mäkeln –: ich finde, die Sache hat doch auch ihre guten Seiten. Wieso? Wieso denn? Was hat das mit dem Krieg zu tun? Was hat der Youngplan mit dem Krieg zu tun? Laß mich! Haben wir den Krieg gemacht? Wir haben bloß Hurra geschrien. Und nachher haben wir keine Butter mehr gehabt. Ach, erzähln Sie mir doch nichts! Seit wann muß denn ein Volk für einen verlorenen Krieg auch noch bezahlen! Schlimm genug, daß wirn verloren haben; die andern haben ihn gewonnen, solln dien doch bezahlen! Lieber Welsch … ich habe … ich bin … Stieke –!

Ich habe … Lieber Welsch … ich habe gewisse Sachen genau so erwartet wie Sie. Na ja, und seit ich sehe, daß das eben nicht ist, sehe ich, daß dieses System doch auch seine guten Seiten hat. Ich meine, es hat seine geschichtliche Berechtigung – laß mich! Das kann man nicht leugnen. Es hat seine … also ich meine, die Stadt hat doch auch ein andres [124] Gesicht. Und die Fremden kommen auch schon wieder, weil sie ehm neugierig sind. Ich muß sagen: die Leute haben was. Ich weiß nicht, was … aber sie haben was.

Aus. Na, gehn wir. Ach so … noch das Wessel-Lied. Steh auf. Was soll man tun: man muß das mitmachen. Die Engländer singen auch immer nach dem Theater ihre Nationalhymne, na, und wir Deutschen singen eben ein andres Lied … Marschiern im Geist in unsern Reihen mit … Na, schön.

Verzeihn Sie bitte … Tz … tz … tz … es regnet. Nu regnets doch. Warte mal – vielleicht kommt n Wagen. Stell dich da mal inzwischen unter; ich wer schon aufpassen. Das ist kein Sturmtruppführer, das ist ein Gauführer … ich kenn doch die Abzeichen. Stell dich doch unter! Wenn es regnet, soll man sich unterstellen. Haben wir nötig, naß zu werden? Laß die andern naß werden. Da kommt der Wagen.

Stieke –! Steig ein.“