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Die Hundertjahrfeier in Berlin

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Textdaten
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Autor: Gustav Klitscher
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Titel: Die Hundertjahrfeier in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 268–271
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Hundertjahrfeier in Berlin.

Von G. Klitscher. Mit Illustrationen von W. Pape.

Der Festjubel ist verrauscht. Die deutschen Fürsten haben die Reichshauptstadt wieder verlassen und die Hunderttausende, welche fröhlich und feiernd durch die Straßen zogen, sind zu ihrem Alltagswerk zurückgekehrt. Die letzten Fahnen hat man wieder eingezogen, die Obelisken und Guirlanden und all der andere glänzende Schmuck sind verschwunden. Berlin zeigt wieder sein gewohntes Aussehen. Aber gegenüber dem alten Königsschloß an der Spree ragt, für Zeit und Ewigkeit errichtet, das Denkmal des ersten Deutschen Kaisers auf, zu dessen Gedächtnis die glänzenden Feste veranstaltet wurden. Es waren schöne Tage und all die Verehrung, die der greise Held im Herzen seines Volkes erweckt hatte, brach noch einmal bei jung und alt, bei arm und reich, bei niedrig und hoch in lauter, froher Begeisterung hervor. Es ist ein köstlich Ding um die Liebe, die nimmer aufhört und auch über das Grab hinaus noch Treue hält!

Der Anfang der Feier fiel auf einen Sonntag – fast genau neun Jahre waren vergangen seit jenem Morgen da man den toten Kaiser, der keine Zeit gehabt hatte müde zu sein, zur letzten wohlverdienten Ruhe unter den alten schwarzen Tannen im Mausoleum des Charlottenburger Schloßgartens beigesetzt hatte. Damals hatte noch bitterkalter Winter sein Recht behauptet, jetzt wehten feuchte, nebelschwere Frühlingswinde durch das Land, ohne freilich den Festen allzusehr Abbruch thun zu können. Die Auffahrt der Fürstlichkeiten in den alten historischen Karossen unter Entfaltung des höchsten höfischen Prunks zum Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche bot ein eigenartiges, farbenprächtiges Schauspiel. Nach der kirchlichen Feier folgte ein Akt sinniger Pietät. Der kaiserliche Enkel ließ unter seiner eigenen Führung die Fahnen der Berliner Garnison für die Dauer der Feste in jenes Zimmer des großväterlichen Palais bringen, wo sie zu [269] Lebzeiten des alten Herrn so manches Jahr gestanden hatten, und aus dem man sie geholt hatte, wenn sie in Not und Sieg dem preußischen Heere voranflattern sollten. Dichte Menschenmassen säumten den Weg vom Potsdamer Bahnhof bis zum Denkmal Friedrichs des Großen und harrten geduldig, bis endlich die schmetternden Fanfaren der alten Militärmärsche das Nahen des Zuges verkündeten. Hinter den Spielleuten ritt der Kaiser in großer Generalsuniform, ernst, fast finster blickend, als bewegte mehr die Erinnerung an den teuren Toten denn die Freude über den festlichen Tag sein Herz, ihm folgten die Fahnen und Standarten, mit Lorbeerbüschen geschmückt, von einer Ehrenkompagnie des ersten Garderegiments und einer Schwadron der Gardekürassiere geleitet. Die Feldzeichen wurden in das stille Haus gebracht, aus dessen historischem „Eckfenster“ im Erdgeschosse so oft das freundliche Greisenantlitz mit mildem Lächeln geblickt hatte, am nächsten Tage sollten sie den früheren Kriegsherrn im Bilde wenigstens wieder grüßen.

Die Veteranen im Bürgerfestzuge.

Es war der Tag der Denkmalsenthüllung. Von frühem Morgen ab durchtönten Trommelwirbel und Janitscharenmusik die Straßen Berlins. Von allen Seiten zogen die Regimenter, Infanterie, Kavallerie, Artillerie und Train, nach den „Linden.“ Hierher war die gesamte Garnison der Hauptstadt, sowie Abteilungen einzelner Potsdamer und Spandauer Regimenter zur Parade befohlen.

Während sich die Truppen aufstellten, begann sich auch auf dem eigentlichen Festplatz ein reges Leben zu entwickeln. Vor dem purpurgeschmückten Kaiserzelt, welches gegenüber dem Denkmal in das Eosandersche Portal des Schlosses hineingebaut war und auf unserem obenstehenden Bilde zur Darstellung gelangt ist, versammelten sich die Staatsbehörden, der Reichskanzler, die Ministerien, die höheren Officiere, darunter auch viele ausländische, die Staatsbehörden, der Reichskanzler, die Reichstagsabgeordneten und sonstige Würdenträger. Reinhold Vegas, der Schöpfer des Monuments, war einer der wenigen gewöhnlichen Sterblichen in Frack und Cylinder, die sich in dieser Menge von gold- und silberglitzernden Uniformen gar bescheiden ausnahmen. Die großen rot ausgeschlagenen Tribünen, die sich die Westseite des Schlosses entlang zogen und auf der andern Seite das Denkmal in erweitertem Halbkreis umgaben, waren von einem zahlreichen geladenen Publikum besetzt. Alle warteten auf den feierlichen Augenblick, wo die graue, mit einem großen Reichsadler geschmückte Leinwandhülle, welche von hohen Masten herabhängend das Denkmal umgab, sich senken würde, um das Standbild den Blicken der staunenden Welt preiszugeben.

Die Ehrenjungfrauen im Bürgerfestzuge.

Allmählich versammelten sich in dem Kaiserzelt die Kaiserin mit den jüngeren Prinzen und die anwesenden deutschen Fürsten, dann verkündeten laute Hurrarufe, die Klänge des Parademarsches und das Wehen von Taschentüchern von den „Linden“ her, das Nahen des Kaisers. Dieser hatte inzwischen die Parade über die Treppen abgenommen, jetzt führte er die Fahnen persönlich auf den Festplatz. Weithin leuchtete das Weiß seiner Gardeducorps-Uniform, über welcher er den schwarzen Panzer trug, und der silberne Adler auf seinem Helm. Der Kaiser begrüßte zunächst seine fürstlichen Gäste mit militärischem Gruß, dann wandte er seinen Braunen und nahm dem Denkmal gegenüber Aufstellung. Die Truppen formierten ein offenes Karree und ein Bläserchor spielte eine feierliche Melodie, bis Generalsuperintendent Dr. Faber vortrat und mit klarer, deutlich über den Festplatz hallender Stimme ein zu Herzen gehendes Weihegebet sprach, in welchem er den Segen des Höchsten auf das Vaterland und auf das neue Werk herabflehte. Nachdem der Geistliche geendet hatte, kommandierte der Kaiser mit hellem, scharfem Ton: „Abschlagen“ die Trommler rührten die Trommeln, die Spielleute bliesen, dann folgte das Kommando: „Stillgestanden, Gewehr über!“

[270] Nunmehr erging an die Matrosen, welche am Fuße des Denkmals schon bereit standen, das Geheiß, die schützende Hülle herunterzuholen, und langsam erschien das eherne Bild. Im Lustgarten donnerten die Kanonen, die Musikcorps spielten die Nationalhymne, von allen Kirchtürmen Berlins grüßten die Glocken und im leicht gedämpften Licht der Märzsonne stand endlich der alte Kaiser vor uns, von Künstlerhand ähnlich und vertraut gebildet, daß manchem eine Thräne wehmütigen Erinnerns das Auge netzte unter dem zwingenden Eindruck des schönen Moments. Jetzt begaben sich die Kaiserin und die Fürsten zum Denkmal hinüber, besichtigten es und legten Kränze nieder. Auch drei Deputationen russischer Regimenter spendeten einen goldenen und zwei silberne Kränze.

Allgemein war nach dem Streit der Meinungen in den letzten Jahren die Freude, daß das Standbild doch einen sehr, sehr schönen Eindruck macht. 20 m hoch erhebt sich auf dem Bronzepostament die Reiterfigur über das Straßenniveau. Das Postament ruht auf einem Unterbau von rotem poliertem Granit, dem sich die vier diagonal vorspringenden Löwengruppen angliedern. Die Reiterfigur allein ist 9 m hoch. Der Kaiser sitzt auf einem stolz ausschreitenden Pferde, er trägt die preußische Generalsuniform, der vorn offene Mantel weht in weiten Falten herab, das Haupt deckt der Helm ohne Federbusch. Das Gesicht ist ein wenig nach links gewandt, mild und freundlich blickt das teure Antlitz nach dem Lustgarten hinüber, wo das Denkmal Friedrich Wilhelms III. steht. Zur Seite des Kaisers, das Pferd am Zügel führend, schreitet ein Genius, eine wunderliebliche Mädchengestalt. In der Linken hält sie eine Palme, Lorbeerreiser schmücken ihr Haar; das antike Gewand, das im Winde flattert, läßt Schultern und Beine zum Teil frei. Den Hauptschmuck des Postaments bilden an den Seiten die Reliefdarstellungen des Krieges und des Friedens. Unter der einen liegt auf den Stufen des Sockels die Figur des Krieges – das Haupt mit den energischen Zügen deckt der Helm, mit sicherem Blick späht sie nach dem Feinde, während die Faust kampfbereit das Schwert umspannt –, unter der anderen erblicken wir die Figur des Friedens, eine edle, sinnige Jünglingsgestalt. Eine Kappe bedeckt ihm das Haupt, unter der das Haar hervorquillt. Der linke Arm stützt sich auf den Januskopf, dessen Kriegsantlitz verhüllt ist, die rechte Hand hält einen Zweig mit schweren Früchten. An den vier Ecken des Postaments befinden sich vier geflügelte, auf Kugeln stehende Viktorien. Auf den Stufen der Rückseite liegen Embleme, welche das alte Faustrecht andeuten: Streitaxt, Kettenhemd und Turnierhelm; an der Vorderseite sieht man die Verfassungsurkunde unter dem Schutz der Kaiserkrone. Vorn lautet die Inschrift. „Wilhelm der Große, Deutscher Kaiser, König von Preußen 1861–1888“, hinten: „In Dankbarkeit und treuer Liebe das Deutsche Volk.“ Die vier Löwen stehen, jeder anders aufgefaßt, über einer Sammlung von Trophäen. Sie haben dreifache Lebensgröße. Das Denkmal ist im Halbkreis von einer Säulenhalle aus Sandstein umrahmt, deren Endpunkte zwei mit Triumphgespannen gekrönte Pavillons bilden. Weibliche Siegesgestalten tragen auf ihnen flatternde Fahnen. Allegorische Gruppen zieren die Attika der Halle. Auf der Innenseite bestehen dieselben in dekorativen Darstellungen der vier deutschen Königreiche. Die beiden mittleren, die Sachsen und Bayern gewidmet sind, werden von kupfernen Adlern überragt, während über den äußeren, auf Preußen und Württemberg sich beziehenden Kronen angebracht sind. Die Halle ist ein Werk des schwäbischen Architekten Gustav Halmhuber.

Die Beleuchtung des königlichen Schlosses in Berlin.
Nach einer photographischen Aufnahme von Hugo Rudolphy in Berlin.

Nachdem die Besichtigung des Denkmals durch die Kaiserin und die übrigen Fürstlichkeiten beendet war, folgte ein glänzender Parademarsch der gesamten Berliner Garnison. Während dieser Zeit wurde das Momentbild aufgenommen, das wir im Holzschnitt auf S. 264 und 265 wiedergeben. Es ist der Augenblick vor dem Vorbeimarsch der Truppen, welchen die Aufnahme darstellt. Nach dem Vorbeimarsch schüttelte der Kaiser im Fortreiten Meister Begas kräftig die Hand und die Enthüllungsfeier war zu Ende. Sie war mit größter militärischer Macht- und Prachtentfaltung vollzogen worden. Mit Einbruch der Dunkelheit begann die Festbeleuchtung, deren Großartigkeit sich kaum beschreiben läßt. Berlin war in ein Meer von Licht getaucht. Den Mittelpunkt dieses Glanzes bildete das Königliche Schloß. Tausende von Lichtern flimmerten in seinen Fenstern, 8000 elektrische Birnen markierten die Architektur der Portalbauten, zahlreiche Flambeaux entsandten sprühende Feuergarben gegen den Himmel, während von dem Dache elektrische Scheinwerfer das Denkmal selbst mit einer Flut von Licht übergossen.

Am nächsten Tag fand die einfachere, aber nicht weniger herzliche Ehrung statt, welche die Bürgerschaft Berlins den Manen des toten Kaisers in einem Festzuge darbrachte. Wieder waren die Tribünen auf dem Festplatz dicht gefüllt, aber nicht wie am Tage vorher überwogen die Uniformen, im Gegenteil, sie verschwanden. Nur auf den Stufen des Kaiserzeltes, das die Insassen diesmal nicht verließen, hatten sich wieder zahlreiche Offiziere eingefunden. Als der Hof erschienen war, begann der Vorbeimarsch in tadelloser Ordnung. Darauf kam ein berittenes Bläsercorps [271] in altdeutscher Tracht, dann folgte das Komitee und hinter diesem eine Schar von silbergepanzerten Reitern. Hierauf erschien der Prunkwagen, der die Germania trug. Als dieser vor dem Kaiserzelt angelangt war, machte er Halt und Germania gelobte in poetischen Worten aufs neue dem Hohenzollernhause die Treue der deutschen Lande. Nachdem das Kaiserhoch und die Nationalhymne verklungen waren, kam der eigentliche Vorbeimarsch, zu dem ungezählte Musikkapellen in rascher Aufeinanderfolge patriotische Märsche und Lieder spielten. Es war ein erhebender Anblick und ein rührender zugleich, diese Tausende von alten Kriegern in strammem Schritt unter dem Denkmal des toten Kaisers vorbeiziehen zu sehen, dem sie einst mit ihrem Blute auf den Schlachtfeldern geholfen hatten, das Deutsche Reich zu erkämpfen. Die Inhaber militärischer Auszeichnungen eröffneten diese Gruppe und wurden von Ehrenjungfrauen geleitet, die in weißen Kleidern mit Kornblumenschmuck eine liebliche Erscheinung boten. Den Kriegervereinen folgten die Innungen, die Schlächter nach Berliner altem Brauch zu Pferde in stattlichem Aufgebot. Hinter ihnen marschierten die Vertreter von Handel und Industrie, die Gastwirtsvereine zeichneten sich besonders durch die große Fülle ihrer Fahnen und Banner aus, obwohl an solchen im Zuge überhaupt kein Mangel war. Daß sie sich auch einen veritablen Bierwagen mit kornblumengeschmückten Fässern geleistet hatten, erregte allgemein beifällige Heiterkeit. Die Künstlervereine stellten eine sehr schöne, in den Trachten durchaus echt wirkende Truppe von Landsknechten, mit Kanonen und allem Zubehör, selbst die Wagen mit dem fahrenden Volk zum Schluß fehlten nicht. Die Beamten der Reichspost wie die der preußischen Staatsbahnen erschienen in ihren Dienstuniformen. Besonders hübsch wirkten die Sportvereine, die Turner in flotter Haltung, die Ruderer mit ihren Abzeichen und endlich die Radfahrer, welche ihre Maschinen durch Blumengewinde zum Teil wunderhübsch herausgeputzt hatten. Zuletzt kamen die Wagen mit den Chargierten und den Fahnen der Studenten. Sie waren mit Blumen in den Farben der einzelnen Korporationen aufs reizendste geschmückt und bildeten einen würdigen Abschluß. 22 000 Menschen waren im Zeitraum von einer Stunde vorbeigezogen in musterhafter Ordnung. –

Die Festfreude ist verrauscht, die Illumination ist erloschen. Nicht erlöschen aber wird in den Herzen aller derer, die das Fest mitfeiern durften, die Erinnerung an die schönen Festtage, und nicht erlöschen wird im Herzen des deutschen Volkes die Erinnerung an seinen ersten Hohenzollernkaiser, dessen Denkmal jetzt hoch ragend steht auf der Schloßfreiheit in Berlin.