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Stärkungsmittel (Die Gartenlaube 1897/16)

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Textdaten
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Autor: M. Hagenau
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Titel: Stärkungsmittel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 267–268
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Stärkungsmittel.
Ein Beitrag zur Hygieine der Arbeit.

Gar viele seufzen im Leben unter einer Arbeitslast, die zu schwer ist für ihre Schultern. Die einen zwingt die Not und Ungunst der Zeiten zu einer übermäßigen Anstrengung, andere bürden sich aus Ehrgeiz oder der Sucht, reich zu werden, mehr auf, als sie tragen können, andere wieder mühen sich zu ihrem Vergnügen ab, irgend ein Ziel zu erreichen. In diesem notgedrungenen oder freiwilligen Hasten und Jagen ermatten täglich Millionen Menschen und schauen sich nach einem Stärkungsmittel um, das die schwindenden Kräfte neu beleben soll.

Der Handarbeiter, der vorwiegend seine Muskeln anstrengt, und der geistige Arbeiter, der sein Gehirn und seine Nerven in rastloser Thätigkeit erhält, befinden sich in gleicher Lage, wie verschieden ihre Arbeit erscheint, beide werden in gleichem Maße müde, oft ehe sie ihr Tagewerk vollbracht, und die wenigsten mögen ausspannen, um in der Erholung die naturgemäße Neubelebung der Kräfte zu finden.

Darum sind Stärkungsmittel vielbegehrt und in manchen Lebenslagen auch wertvoll und notwendig. Dem Müden werden sie in Hülle und Fülle geboten aber wie nicht alles Gold ist, was da glänzt, so verdient nicht alles als Stärkungsmittel geschätzt zu werden, was unter diesem Name segelt. Schon das verbreitetste und bekannteste aller Stärkungsmittel, der Alkohol, der in Bier, Wein oder Branntwein genossen wird, ist in seiner Wirkung auf die Arbeitsleistung des Menschen wenig ersprießlich. Sein mäßiger Genuß nach vollbrachtem Tagewerk mag diesem und jenem förderlich sein, indem dadurch die Thätigkeit des Herzens und der Verdauung angeregt wird, inmitten einer schwierigen Arbeit aber erweist er sich nicht als ein Mittel, das die Kräfte derart belebt, daß mit ihnen eine erhöhte Leistung vollbracht werden kann. Im Gegenteil, die Erfahrung hat vielfach gelehrt, daß unter solchen Umständen der Genuß geistiger Getränke verderblich zu wirken vermag.

Wahrnehmungen dieser Art gaben den Anlaß, den Alkohol aus der Feldflasche des Soldaten bei anstrengenden Märschen zu verbannen. Leider aber wird diese Lehre in der breite Masse des Volkes wenig gewürdigt, nach wie vor suchen die meisten Arbeiter ihre Kräfte durch einen stärkenden Schluck zu beleben. Darum ist eine stets erneute Belehrung über die Wirkung des Alkohols bei praktischer Arbeit dringend notwendig.

In jüngster Zeit sind interessante Erhebungen nach dieser Richtung hin veranstaltet worden, und von diesen wollen wir nur zwei mitteilen. Die eine betrifft den Einfluß des Alkohols auf die Verrichtung rein physischen die andere die Beeinflussung einer mehr geistige Anstrengung erfordernden Arbeit.

In der Zeitschrift Mitteilungen des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins hat Ende vorigen Jahres Dr. Otto Snell eine Aufforderung an die Bergsteiger gerichtet, sie möchten ihm die gemachten Erfahrungen über den Nutzen und Schaden des Alkoholgenusses bei anstrengenden Bergbesteigungen mitteilen. Infolgedessen sind bei dem Fragesteller 60 Erklärungen eingegangen, die auf praktischer, oft langjähriger Erfahrung beruhen und darum von besonderem Wert sein dürfte.

Wie nun Dr. Otto Snell in Nr. 3 des laufenden Jahrgangs der genannten Zeitschrift mitteilt, haben sich 38 Zuschriften, also 62%, oder die überwiegende Mehrheit, dahin ausgesprochen, daß alle geistigen Getränke während anstrengender Bergbesteigungen gänzlich vermieden werden sollen. Einige gehen so weit, daß sie nicht nur am Tage einer anstrengenden Tour sondern auch schon am Abend vorher die größte Mäßigkeit empfehlen; andere halten Mitnahme von Bier und Schnaps für ein Verbrechen, das Mitschleifen von leichtem Wein immerhin noch für ein Vergehen. Zwölf Stimmen haben sich für den mäßigen Genuß von Wein während der Wanderung erklärt, verwerfen aber Branntwein und Bier. Drei andere Zuschriften sprechen sich dahin aus, daß man Cognac oder eine andere Branntweinart mitnehmen, aber sie nur unter besonderen Verhältnissen, gewissermaßen als Arznei, genießen solle. Nur fünf Bergsteiger halten den Genuß verschiedener geistiger Getränke in mäßiger Menge während der Tour für empfehlenswert oder unschädlich.

Diese Erhebungen zeigen unzweideutig, daß der Genuß von Alkohol bei einer mit starker körperlicher Anstrengung verbundenen Arbeit, wie die der Bergsteiger, sich als zuverlässiges Stärkungsmittel nicht bewährt.

[268] Einen weiteren Beitrag zu dieser wichtigen Frage bildet eine Mitteilung über „Praktische Arbeit unter Alkoholwirkung“, die Dr. Gustav Aschaffenburg in der von Prof. Emil Kräpelin herausgegebenen Zeitschrift „Psychologische Arbeiten“ (Leipzig, Wilhelm Engelmann) veröffentlicht hat. Den Anstoß zu diesen Untersuchungen gab ein Diskussionsabend des Heidelberger Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, in dessen Verlauf die Erschwerung der Arbeit schon durch Einnehmen kleinerer Alkoholmengen besprochen wurde. Aschaffenburg stellte nun mit einigen Setzern eines Heidelberger Lokalblattes eine Reihe von Versuchen an, durch welche ihre Leistungsfähigkeit ohne und unter Genuß von Alkohol ermittelt wurde. Die Setzer arbeiteten unter Verhältnissen, an die sie gewöhnt waren. Um die Gefahr zu vermeiden, daß durch die größere oder geringere Lesbarkeit der Manuskripte Fehler entstanden, wurde in den Versuchsstunden nur nach gedrucktem Material gesetzt. An bestimmten Versuchstagen erhielten die Setzer nach der 1. Viertelstunde je 200 g eines etwa 18% Alkohol enthaltenden griechische Weines aus der Apotheke des Akademischen Krankenhauses. Das Ergebnis der Versuche war, daß durch die Wirkung jener mäßigen Alkoholgaben die Leistungsfähigkeit der Arbeiter herabgesetzt wurde. Diese Schädigung der Leistungsfähigkeit blieb unter 8 Versuchen nur einmal aus, sie betrug in den anderen Versuchen 10 bis 19 % der Leistung, welche ohne Ermüdung und ohne Uebungsverlust hätte erwartet werden können.

Wir ersehen also daraus, daß geistige Getränke selbst in mäßigen Gaben eine Arbeit nicht zu fordern imstande sind, bei der es weniger auf körperliche Anstrengung als vielmehr auf Anspannung der Aufmerksamkeit ankommt.

Seit langer Zeit sucht man, den Alkoholgenuß durch Anpreisung anderer anregender Genußmittel zu verdrängen. In dieser Hinsicht stehen Kaffee und Thee im Vordergrunde. Die Wirkung dieser Aufgüsse auf den menschlichen Organismus ist in letzter Zeit wiederholt der Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen. In denselben sind verschiedene Stoffe enthalten, die besondere Wirkungen hervorrufen. Wir finden zunächst im Thee und im Kaffee ein Alkaloid, das Koffein, und ferner ätherische Oele, die den Getränken ihr Aroma verleihen. Man hat beide Stoffe voneinander getrennt und sie gesondert Versuchspersonen genießen lassen. Es hat sich dabei herausgestellt daß die ätherischen Oele auf das Gehirn und das Nervensystem zuerst anregend, dann aber in größeren Mengen namentlich narkotisch oder betäubend wirken. Das Koffein übt dagegen gerade auf die Muskeln einen entschiedenen Einfluß aus. Nach dem Genuß desselben wuchs die Leistung der Muskelarbeit zusehends und ihre Zunahme betrug in verschiedenen Fällen 10 bis 20 %. Somit wäre in dem Koffein wirklich ein Mittel geboten, das den erschöpften Körper mit neuer Kraft beleben kann. Wo es sich darum handelt, für kurze Zeit die Leistungsfähigkeit des Körpers zu steigern, wäre sein Genuß angebracht. Man darf aber dabei nicht vergessen, daß auch das Koffein ein Gift ist, daß sein übermäßiger Gebrauch Muskelzittern und Herzschwäche zur Folge hat.

Immerhin ist ein mäßiger Genuß von Kaffee und Thee nicht im entferntesten so schädlich wie der Gebrauch von Alkohol. Man kann darum Thee und Kaffee wohl als Stärkungsmittel empfehlen. Wer aber von ihnen Nutzen ziehen will, sollte in ihrer Verwendung mit der nötigen Vorsicht verfahren. Vor allen Dingen sollte er zu Zeiten, wo er einer Anregung nicht bedarf, auf den Genuß dieser Stärkungsmittel verzichten oder ihn wenigstens bedeutend einschränken, wenig und leichteren Thee oder Kaffee trinken.

Von den Negern Afrikas haben die Europäer in letzter Zeit ein neues Stärkungsmittel kennengelernt. In Westafrika werden die nuß- oder kastanienartigen Früchte des Kolabaumes von den Eingeborenen gekaut, und es wird ihnen nachgerühmt, daß sie die Müdigkeit verscheuchen. Diese Nüsse werden in Europa zu Pastille, Chokolade und dergl. verarbeitet und erlangen namentlich in Kreisen der Radfahrer, Bergsteiger und Sportleute immer weitere Verbreitung. Die Kolanüsse enthalten gleichfalls Koffein und haben darum eine anregende und stärkende Wirkung, vor ihrem Mißbrauch muß natürlich ebenso gewarnt werden wie vor dem von Kaffee und Thee.

Als ein gutes Stärkungsmittel auf anstrengenden Märschen und bei Bergbesteigungen wird neuerdings der Zucker gerühmt. In den Alpenländern ist er als ein solches längst bekannt. Jäger pflegen dort für ihre weiten Touren Zucker und Speck mitzunehmen. Die Wirkung des Zuckers ist leicht erklärlich: bei schwerer Muskelarbeit verbrennt der in Körpersäften aufgespeicherte Zucker und durch Einverleibung neuer Mengen wird dem Körper sozusagen neuer Brennstoff zugeführt. Der Zuckergenuß verhütet also die Erschöpfung aus Mangel an Nährstoff.

Aber die Ermüdung wird nicht allein durch Aufzehren der Nährstoffe herbeigeführt. Während der Arbeit erzeugen Muskeln und Gehirn neue Stoffe, die für den Körper unnütz sind, da sie eine bereits verbrauchte Substanz sind. Ja, diese Stoffe wirken auf den Körper giftig, lähmend. Sie rufen die Ermüdung hervor und müssen ausgeschieden werden, wenn Muskel und Nerven zu neuer Thätigkeit befähigt werden sollen. Endlich muß der Muskel- und Nervenzelle Zeit gegönnt werden, die während der Arbeit aufgezehrten Bestandteile aus den Nahrungsstoffen wieder aufzubauen Das alles kann sie aber nur während völliger Ruhe besorgen. Eine wirkliche Stärkung, Neubelebung der ermüdeten Nerven-oder Gehirnzelle kann vollends nur im Schlaf erfolgen. Darum sind entsprechende Ruhepausen in der Arbeit und genügender Schlaf bei zweckmäßiger Nahrungsaufnahme die natürlichen und besten Stärkungsmittel. Nur in der äußersten Zwangslage, wenn wirklich Wichtiges und Großes auf dem Spiele steht und die Arbeit unaufschiebbar drängt, sollte man ausnahmsweise zu den künstlichen Stärkungsmitteln greifen. Wer aber sonst im gewöhnlichen Laufe des Lebens die gebotenen Ruhepausen, Sonntage und Ferien zur wirklichen Erholung weise ausnutzt und den Nachtschlaf nicht unnötigerweise verkürzt wird ohne Stärkungsmittel arbeitsfrisch und leistungsfähig bleiben und mehr leisten als die anderen, die durch planlose Ueberanstrengung und allerlei Gifte ihren Körper zerrütten. M. Hagenau.