Die Indianer beim Lachsfang

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Autor: Theodor Kirchhoff
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Titel: Die Indianer beim Lachsfang
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 760–762
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Indianer beim Lachsfang.[1]
Mittheilung eines Deutschen aus dem fernen Westen Nordamerikas.

Wer von den Hunderttausenden der Leserinnen und Leser der Gartenlaube wird nicht mit innerem Wohlbehagen an manches saftige Gericht eines marinirten, geräucherten oder gebratenen Lachses denken, jenes seltsam erzogenen Kindes der Wasser, dessen röth­liches Fleisch uns hungrigen Sterblichen oft so einladend, so delicat und so poetisch entgegenlächelt – wenn er die Ueberschrift dieser aus fernem Welttheil über den halben Erdball herübergewanderten Skizze liest?

Ein echter Weltbürger, hat sich unser rosiger Fisch fast auf der ganzen nördlichen Hemisphäre eingebürgert und ist jetzt auch schon auf Entdeckungsreisen nach südlichen gemäßigten Zonen begriffen. Die tropischen Meere dagegen scheinen seiner durch ein kälteres Klima gekräftigten Constitution nicht zuträglich zu sein.

Nicht zufrieden mit dem weiten Reiche der salzigen Tiefe, eilt er alljährlich unzählige Ströme hinauf und gewährt die bei Fischen äußerst selten vorkommende Erscheinung, daß er abwechselnd im Salz- und im Süßwasser leben kann. Ein unermüdlicher See­fahrer, vor keinen Hindernissen zurückschreckend, scheint er sich dort am wohlsten zu fühlen, wo es gilt, Hunderte von Meilen stromaufwärts zu dringen, wilde Katarakte hinanzuspringen und sich durch brausende Stromschnellen, zwischen zerrissenen Felsmassen hindurch, einen Weg vom Meere bis in die fernsten Gebirge hinauf zu suchen, um dort, in idyllischem Stillleben, die Sorgen der Fortpflanzung seines Geschlechts zu übernehmen.

Alljährlich zieht er so von den Meeren die verschiedenen Stromläufe hinan, mit einer bewundernswerthen Energie die sich ihm entgegenstellenden Hindernisse bewältigend. Durch Stemmen des Schwanzes gegen das Wasser schnellt er sich mitunter bis zu vierzehn Fuß hoch empor und springt oft in langem Bogen über Fel­senriffe oder künstliche Wehren hinüber. Auf Island durchschwimmt er sogar, nach Faber, mineralische, schwefelhaltige und milchwarme Gewässer, um zu seinen Laichplätzen zu gelangen, die er mit Sicherheit wiederfindet.

Wie Amerika das alte Europa in der Natur an Ungeheurem überbietet, an riesigen Waldungen Horizonte auf Horizonte umfassenden Prairieen, endlosen Strömen, so auch mit unserm rosigen Segler der feuchten Tiefe, der hier in Heeressäulen stromaufwärts dringt, gegen welche die Armeen seiner transatlantischen Brüder wie Corporalswachen gegen die Völkerwanderung erscheinen. Hier am fernen nördlichen Stillen Ocean, von Japan im großen Bogen bis zum goldnen Thor bei St. Francisco, scheint er seine Haupt­reserven concentrirt und sich den Columbia, diesen Strom endloser Wildniß, dessen grünliche Wogen zwischen den golddurchflochtenen, nackten Gebirgen des unerforschten Oregon hinbrausen, als seine Hauptheerstraße auserwählt zu haben. In der Nähe der Insel Vancouver, am Puget Sound (Piudschet Saund), einem vielver­zweigten Meeresarme, der sein Salzwasser bis auf mehr als vierzig deutsche Meilen in das Innere des Territoriums Washington ergießt, und am Frazerflusse findet man den Lachs, von dem man in Amerika bis jetzt siebenzehn verschiedene Arten kennt, in solchen Mengen, daß ihre Zahl alle Begriffe übersteigt. Hat man dort mit einem einzigen Netzzug doch schon dreitausend gefangen! Für die an dieser Küste wohnhaften Indianer bilden die Lachse fast ausschließlich den Lebensunterhalt, Sollte der Fisch einmal seine jährlich wiederkehrenden Wanderungen die Stromläufe hinauf einstellen, so würden die Rothhäute geradezu verhungern müssen.

In den Jahren 1853 und 1854 machte man den Versuch, diese amerikanischen Lachse auf die Hauptweltmärkte zu bringen. Große Massen derselben wurden nahe der Mündung des Columbia und einhundert und zwanzig Seemeilen weiter oberhalb, bei den Stromschnellen der Cascades eingefangen, gesalzen und in’s Ausland verschifft. In neuerer Zeit hat man großartige Lachspackereien bei Astoria errichtet und es leidet wohl keinen Zweifel, daß der Lachsfang, systematisch betrieben, diesem fernen Westen dereinst von unberechenbarem Nutzen sein wird. Ehedem, als die bekannte Hudsonsbay-Company noch ihre Pelz- und Handelsdepots in Oregon hatte, war der Lachshandel zwischen genannter Compagnie und den Indianern sehr bedeutend. Jetzt fangen die Indianer sie meistens zum eigenen Gebrauche, essen sie frisch und bewahren sie als Wintervorrath auf, versorgen auch die Städte und nahegelege­nen Ansiedelungen der Weißen damit, was ihnen noch immer einen erklecklichen Erwerb abwirft.

Im Monat Juli ist die Hauptsalmenernte der Indianer. Es war Ausgangs dieses Monats und noch dazu blauer Montag, also ein Tag, an welchem ein guter Bürger sich Etwas zu gute thun soll; ich schlug daher einem wanderlustigen Freunde vor, zur Erholung von den Anstrengungen des Geschäftslebens einmal eine kleine Vergnügungstour zu machen und die etwa sechs englische Meilen oberhalb Dalles in Oregon gelegenen Fälle des Columbia (The Dalles) zu besuchen, bei denen die Indianer ein Sommer­lager zum Lachsfang aufgeschlagen hatten, um die Herren Rothhäute beim Fischfang dort persönlich zu beobachten,

Gesagt, gethan! Das Wetter war allerdings etwas windig, – leider ein unverbesserlicher Naturfehler dieser Gegend – und die Staubwolken zogen wie Höhenrauch das wilde, von fast aller Vegetation entblößte und von nackten Bergen eingeschlossene Thal des Columbia hinauf; aber daran hatte ein längerer Aufenthalt im goldenen Oregon uns gewöhnt und wir hätten lange warten können, bis es hier einmal nicht wehte. Da das Wetter sonst zu einem Marsche über die Berge einladend und nicht zu warm war, so konnte der Wind uns nicht von unserem Ausfluge ab­halten.

Bald hatten wir den nöthigen Proviant in Gestalt solider und flüssiger Magen- und Herzstärkungen eingelegt, eine wichtige Vorsichtsmaßregel, da wir uns nicht bei den Wilden zu Lachs und Heuschrecken zu Gaste einzuladen wünschten und dort auch keine Hôtels zu erwarten waren. Die goldgelben Meerschaumpfeifen wurden mit echtem Virginia gestopft, mein wanderlustiger Freund nahm seinen knorrigen Ziegenhainer und ich meinen Gemsenstock, dessen Heimath auf den silbernen Alpen am Weißen Berge ist, zur Hand, die Pfeifen wurden angesteckt, und lustig ging’s, blaue Wolken emporwirbelnd, den Staubwolken zum Trotze, die uns umhüllten, auf dem Eisenbahndamm dem Ufer des Columbia ent­lang, dem Lager unserer rothen Freunde entgegen.

Der Weg auf diesem allen deutschen Eisenbahnbauten Hohn sprechenden, unebenen und in fortwährenden Biegungen sich hin- und herschlängelnden Eisenbahndamm war entsetzlich holprig. Besonders unangenehm war die Passage über ein paar luftige, sehr wackelige Holzbrücken, welche wir jedoch, ohne einen weiten Umweg über die mit Felsgeröll bedeckten Berge zu machen, nicht wohl vermeiden konnten. Der Leser denke sich eine Holzbrücke, die an sechszig Fuß hoch einen über Felsen dahinbrausenden Wasserlauf ein paar hundert Schritte weit überspannt. Schritt für Schritt mußten wir von einer Schienenschwelle zur andern, die mitunter un­angenehm weit auseinander lagen – auf einer Stelle vier bis fünf Fuß weit von einander entfernt – über den Abgrund [761] schreiten, dabei ab und zu von heftigen Windstößen berührt, mit einer höchst romantischen Aussicht in die felsige Tiefe unter uns, die sich zwischen den Schienenschwellen aufschloß. Gewiß wird er uns verzeihen, daß wir vorsichtshalber unsere Meerschaums in die Taschen steckten, bis wir wieder auf festem Boden anlangten!

Rüstig weiter marschirend, begegneten wir öfters Indianern in bunt-liederlichem Costüm, zu Fuß und zu Roß – meistens zu Zweien auf einem Pony reitend – mit Packpferden im Gefolge, welche mit Binsenmatten, aus denen die Rothhäute ihre Hütten bauen, mit allerlei Apparaten zum Fischfang und muk-a-muk (Eßwaaren) beladen waren. Auf unsere wiederholte Anfrage, ob es in diesem Jahre viele Lachse im Columbia gebe, erhielten wir jedesmal die freudige Antwort: „na-wit-ka! hei-ù samon, sicks!“ (Ja, ungeheuer viele Lachse, mein Freund!)

Wenn man glaubt, daß die Indianer heutzutage den prächtigen Heldengestalten aus Cooper’s Romanen oder denen aus Longfel­low’s „Hiawatha“ auch nur im Allermindesten ähnlich sind, so thut es dem Verfasser leid, solche Phantasie durch Darstellung der Wirklichkeit grausam enttäuschen zu müssen. Anstatt jener stolzen Söhne der Wildniß, mit muthblitzenden Augen, prächtig tättowirt und mit Pantherfellen und buntgestickten Togas geschmückt, findet man vielmehr wahre Jammergestalten, ungewaschen und unge­kämmt, in Kleidern, gegen welche die eines italienischen Lumpensammlers Galaanzüge sind, Geschöpfe, die vor Schmutz und Unge­ziefer buchstäblich umkommen, und mit nichtssagenden, stieren Blicken und verdummten Gesichtern öfters halb blödsinnig aussehen, trotzdem aber in allen Kniffen des Diebshandwerks- außerordentlich bewandert sind.

Wer an die holde Min-ne ha-ha (lachendes Wasser) des Dichters Longfellow denkt und dann eine dieser Squaws (Indianerfrauen) betrach­tet, welche von der schmutzigsten Zigeunerin verächtlich über die Achsel angesehen werden möchten, der wird sich eines Seufzers über den Verfall der Indianerrace nicht enthalten können oder vielleicht arg­wöhnen, daß die Herren Cooper und Longfellow ihre Indianer durch magisch verschönernde Brillen angeschaut haben, was – im Vertrauen sei’s gesagt – nach des Verfassers bescheidener Ansicht gar nicht so unwahrscheinlich ist.

Der Boden, über den wir hinschritten, wimmelte von Crickets (eine Heuschreckenart), welche in diesem Jahre hier zu Lande eine wahrhaft ägyptische Plage und den wenigen Farmern, die um Dalles herum ansässig sind, ungeheuren Schaden auf den Feldern zufügen. Die Seiten der Berge waren ganz lebendig von diesen sich sämmtlich nach einer Richtung mit eleganten Seitensprüngen fortbe­wegenden Heuschrecken. Für die Indianer sind die Crickets ein wahrer Gottessegen, da sie dieselben für eine große Delicatesse hal­ten; – und manche Squaw sahen wir, die sich eifrig bückte und ihrem solche Arbeit verschmähenden Gemahl eine Hand voll der lustigen Springer als Imbiß einfing, welche er dann, die Lippen schnalzend, mit Haut und Haaren verzehrte.

Je mehr wir uns dem Indianerlager näherten, um so wilder ward die Gegend. Schwarze, lava- und basaltähnliche Felsmassen lagen in wüstem Chaos über- und durcheinander, immer lauter brauste der Columbia und stürzte sich schäumend durch sein zerris­senes Felsenbett, und der Wind, der sich augenscheinlich bemühte, uns umzublasen und aus allen Ecken des Himmels zugleich zu wehen schien, brachte manchen ungalanten Fluch beinahe bis auf unsere Lippen. Daß die Indianer den Schauplatz einer uralten Teufelssage, nach welcher der Böse, von grimmigen Feinden be­drängt, diese Berge mit seinem Schwanze auseinanderschlug, um sich durch die Oeffnung hindurch zu retten, hierher verlegt haben, macht der Phantasie der Rothhäute alle Ehre.

In der Felsenwildniß vor uns gab’s Schaaren von Indianern, alle waren fleißig beschäftigt beim Fangen und Zubereiten der Lachse zum Wintervorrath. Rothe Männer standen mit langen Stangen und Netzen am Rande der zahlreichen, engeren Stromschnellen und ihre Ehe­hälften schleppten die gefangenen Fische weiter hinauf auf’s Trockene oder nach den Binsenhütten, wo sie dieselben in der Sonne und am Feuer dörrten, räucherten, das Fleisch von den Gräten schabten und zerstampften. Fischgräten und halb in Fäulniß übergegan­gene Salmen lagen, wo man nur hinsah, und wenn der Wind die Luft von den pestilenzialischen Gerüchen nicht etwas gereinigt hätte, so wäre es für civilisirte Nerven geradeweg nicht zum Aus­halten gewesen. Aber auch so verging mir der Appetit zum Lachsessen auf lange Zeit!

Vorsichtig schritten wir über die von Lachsfett schlüpfrigen, schwarzen Felsmassen, es möglichst vermeidend, auf die zahllosen Gräten, Rogen und zerrissenen Fische zu treten, um zunächst an den Rand der Stromschnellen zu gelangen und die rothen Herren Fischfänger dort zu besuchen. Am Felsenufer eines etwa zwanzig Schritte breiten Canals machten wir Halt, durch den sich die wilden Wasser, wie toll über- und durcheinander stürzend, hinzwängten und entlang tobten, mit einer Gewalt, daß es fast unglaublich schien, wie es den Fischen möglich ward, dagegen anzuschwimmen.

Eine Gesellschaft von Rothhäuten im Feigenblätter-Costüm die sich zum Fischfang am Rande des Canals zu beiden Seiten entlang postirt hatten, begrüßten uns mit einem freudigen „Kla-hoim, sicks!“ (ich grüße Dich, mein Freund!) offenbar sehr geschmeichelt, daß die bleichen Gesichter sie besuchten, um ihre Geschicklichkeit im Lachsfang zu bewundern.

Die meisten der Indianer hatten lange, am untern Ende mit Eisenhaken versehene Stangen in den Händen. Auf Gerathewohl steckten sie diese Stangen in’s wild brausende Wasser und zogen sie, einen kurzen Ruck damit gegen die Strömung machend, augenblicklich wieder heraus. Alle paar Minuten zappelte ein Fisch am Haken, der lose an der Stange sitzt und abrutscht, sobald ein Lachs daran steckt, und wurde vermittels einer am Haken befestig­ten Schnur auf’s Trockene geschleudert, wo man ihn mit einem kurzen Knüppel unbeholfen auf den Kopf schlug und vorläufig be­ruhigte.

Hunderte von Indianern waren auf diese Weise dem Rande der zahlreichen Stromschnellen entlang in Thätigkeit, und wenn ich hinzufüge, daß der Lachsfang dergestalt Monate lang ununter­brochen fortgesetzt wird, so wird der Leser wohl über die Zahl dieser Salmen-Heerschaaren erstaunen, welche in jedem Sommer den Columbia hinaufziehen.

In den Höhlungen zwischen den Felsplatten lagen hie und da die Lachse haufenweise aufgeschichtet, wo sie beim Fallen des letzten hohen Wassers sitzen geblieben waren und nicht wieder in den Strom zurückgelangen konnten. Da bei den Indianern jedoch der Aberglaube herrscht, daß der Große Geist es ihnen verbietet, diese unglücklichen Lachse zu benützen, so bleiben dieselben ruhig dort liegen, bis sie in der Sonne in Fäulniß übergehen und vertrocknen, wobei sie buchstäblich in ihrem eigenen, durch die Hitze herausbratenden Oele schwimmen.

Einige der Indianer fingen die Lachse in Handnetzen, welche sie ab und zu in’s Wasser warfen, mit der Strömung hinunter­ gleiten ließen und dann wieder herauszogen; beiweitem die größere Zahl jedoch benützte die oben erwähnten Hakenstangen. Angeln werden gar nicht gebraucht, da die Lachse nicht anbeißen, indem sie auf der ganzen Reise, vom Meere bis nach den Felsengebirgen hinauf, gar nichts fressen.

Ein paar alte Bekannte unter den Indianern waren so freund­lich, uns auf eine Zeit lang ihre Hakenstangen zu überlassen, damit auch wir unser Glück im Salmfang versuchen könnten. So einfach es nun auch aussah, die muntern Fische aus dem Wasser herauszuholen, so stand uns doch der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirn, ehe es uns gelingen wollte, einen der Fische mit dem eisernen Haken unterm Bauch zu fassen zu bekommen.

Vor Freude emporspringend, endlich einen erwischt zu haben kam ich auf der glitscherigen Felsplatte plötzlich in eine sitzende Positur, und als ich mich wieder aufgerichtet hatte und den gewaltig an der Schnur zappelnden schmucken Burschen mit einem graziösen Ruck auf’s Ufer schleudern wollte, da – Hohn des Schicksals! – schnellte der Fisch zu meinem nicht geringen Aerger vom Haken wie­der in’s Wasser hinunter, um seine Reise nach den Felsengebirgen fortzusetzen, was meinen rothen Freunden ein homerisches Geläch­ter entlockte. Glücklicher war mein Begleiter, der so lange fortfuhr auf gut Glück im Wasser herumzuhaken, bis er einen sku-kum (gewaltigen) Fisch herausgeholt den ich, ihm zu Hülfe springend, mit einem freundschaftlichen Knüppelchen reglementmäßig über den Styx beförderte.

Unsern sku-kum Fisch, der an zwanzig Pfund schwer sein mochte, dem tei-i (Häuptling) überlassend verabschiedeten wir uns von den rothen Männern am brausenden Columbia und wanderten nach den ein paar hundert Schritte vom Ufer entfernt gelegenen Indianerhütten, um den reizenden Squaws dort einen Freund­schaftsbesuch abzustatten.

[762] Da lagen sie in poetischem Negligé unter den langen Binsenmatten-Hütten, romantisch gruppirt und in zerlumpten Gewändern, sammt und sonders mehr oder weniger fleißig bei der Arbeit, die frisch eingefangenen Salme zum Wintervorrath zuzubereiten. Als Kopfbedeckung trugen sie aus Binsen geflochtene Hüte, die wie das stumpfe Ende eines halb durchgeschnittenen Zuckerhutes aussahen, nur etwas gelber und dabei schwarz geädert. Diese Hüte sind wasserdicht und werden auch noch als Kochtöpfe benutzt. Man füllt sie mit Mehlbrei und wirft einen glühend heißen Stein hinein; wenn dann die Speise gahr ist, dienen sie auch noch als Eßschüsseln.

Behutsam, um nicht etwa die Bekanntschaft zudringlicher kleiner Hautkneifer zu machen, von denen diese Indianerwohnungen wimmeln, hoben wir eine der Binsenmatten von der Seitenwand der Hütte und nahmen auf einem losen Basaltblock Platz, indem wir uns von jeglicher Berührung mit indianischen Toilettengegenständen fern hielten. Unter dem niedrigen Dache der Hütte hingen an unzähligen Querstangen auseinandergeschnittene, gedörrte und geräucherte Salmen, aus denen die Eingeweide und Gräten entfernt waren, in Reihen nebeneinander, die kleinen und großen hübsch sortirt, deren liebliches Aroma und appetitliches Aeußere einem Lucull sicherlich das Wasser auf die Zunge gebracht haben würden. Die Kiemen und Kiefern, jede Sorte für sich, hingen als besonders delicater muk-a-muk getrennt von den Fischen an besonderen Stangen. Neben uns stampfte ein Squaw-Fräulein getrocknetes, von ihren Schwestern mit den Fingern kleingerissenes, röthliches Lachsfleisch in einem großen, mit Bärenfell überzogenen Steinmörser zu Pulver, aus welchem mit Zuthat von Eichelmehl delicate Kuchen gebacken werden.

Nachdem die Lachse gehörig getrocknet und geräuchert oder auch pulverisirt sind, werden sie in Körben und Matten zum Wintervorrath fest verpackt. Salz zum Aufbewahren der Fische wird von den Indianern wenig oder gar nicht gebraucht. Um das Fleisch leichter von der Haut und den Gräten abzulösen, werden die frischgefangenen Salmen zuerst im Freien auf einer Felsplatte ein paar Stunden lang dem brennenden Strahl der Mittagssonne ausgesetzt und dort so lange liegen gelassen, bis das Fett unter der Haut zu schmelzen beginnt; worauf die zarten Hände der Squaws die Fische auseinanderreißen und das Fleisch von der Haut und den Gräten mit einem Stück Holz herunterschaben – ein äußerst appetitliches Schauspiel!

An mehreren Stellen brannten oder vielmehr qualmten in der Hütte Holzstöße, über denen in Hälften zertheilte Lachse geräuchert wurden. Das dazu nöthige Holz wird von einer eigens dazu angestellten Squaw-Abtheilung aus einer Entfernung von mehreren englischen Meilen in Bündeln herbeigeschleppt, da nahe den Fällen des Columbia weder Baum noch Strauch gedeiht.

Während wir unsere Siesta auf dem Basaltblock vor der Hütte hielten, langte gerade eine Abtheilung solcher Holzträgerinnen im Lager an. Ein über die Stirn geschlungenes breites Band hielt die auf gebogenem Rücken getragene Last. Im Gänsemarsche kamen diese Squaws von den Bergen herunter und über die Felsen daherspaziert und bildeten in ihren zerlumpten Kleidern, aus deren Falten hier und da halb untergegangene Crinolinen verschämt hervorguckten, den mit Kochtöpfen bedeckten Köpfen und mit chinesischem Vermillon geschmackvoll decorirten Gesichtern eine äußerst reizende Gruppe. Eine andere Abtheilung von Squaws schleppte die von ihren Herren eingefangenen Salmen von den Stromschnellen herbei; der Rest der weiblichen Gesellschaft war, wie bereits erwähnt, beim Zubereiten der Fische in und bei den Hütten beschäftigt, so daß das ganze Lachsgeschäft ordnungsmäßig ineinandergreift.

Die Herren Rothhäute überlassen alle diese Geschäftssorgen ausschließlich ihren fleißigeren Ehehälften und vertreiben sich die Zeit beim Lachsfang oder auch mit Rauchen, Essen und Schlafen, da sie die Arbeit eines Mannes unwürdig und für eine Schande erachten.

Im Innern der Hütte krochen eine Menge junger Indianer beiderlei Geschlechts auf dem Boden umher, von denen die kleinsten, welche eben erst zu sprechen (wa-wa) lernten, mit bunten Glasperlen und messingnen Ringen spielten oder mit kleinen Glocken (ting-tings) klingelten, indeß die älteren theils ihren Müttern beim Reinigen der Lachse halfen, theils die Anfangsgründe der Malerkunst auf ihren gegenseitigen Gesichtern mit flammenden Farben zu bemeistern suchten. Trotzdem alle Squaws mehr oder weniger beschäftigt waren, sah man ihnen doch in jeder ihrer Bewegungen die der rothen Race angeborene Trägheit an. Sogar die Hunde, wahre Scheusale von Häßlichkeit, mit struppigem Haar und weinerlichen Augen, schienen von der Faulheit der Indianer angesteckt zu sein und das Bellen ganz und gar verlernt zu haben. Eine Squaw-Matrone, welche sich die Runzeln im Gesicht mit feuerrothem Zinnober nach den Regeln der Wissenschaft linirt hatte, brachte uns ein pikant duftendes Gericht von Salmen und Heuschrecken in ihrem Hut als muk-a-muk und lud uns mit gewinnenden Blicken ein, nicht blöde zu sein, sondern nur tüchtig zuzugreifen. Unhöflicher Weise wiesen wir indeß die Einladung zurück und regalirten uns statt dessen mit unserm von Dalles mitgebrachten Boston-man muk-a-muk (Essen für Weiße).

Die meisten der Indianer, welche in dieser Gegend jeden Sommer beim Lachsfang beschäftigt sind, kommen aus weiter Ferne, sowohl aus Oregon als aus dem Territorium Washington, zum Theil bis zu zweihundert englische Meilen weit her, um sich den unentbehrlichen Wintervorrath einzufangen. Da jeder Stamm einen ihm eigens angewiesenen Platz zum Fischen hat, den er mit ängstlicher Genauigkeit inne hält, so geben die in zahlreichen Gruppen zerstreuten Indianer dem ganzen Bilde einen äußerst lebendigen Anstrich. Von der Regierung der Vereinigten Staaten sind ihnen die Fischereien an den Fällen des Columbia durch besondern Vertrag vorbehalten worden, und es ist den Weißen verboten, dort zu fischen. Wäre es diesen erlaubt, sich beim Fischfang an den Fällen zu betheiligen, so würde die Lachsernte hier Resultate liefern, deren Zahlen in’s Unglaubliche gehen möchten, denn es wäre ein Leichtes die halbe Armee der Salme bei ihrem Marsche den Columbia hinauf mit Stellnetzen in den Stromengen einzufangen.

Nachdem wir unsere Meerschaumpfeifen ausgeraucht hatten, beschenkten wir die Töchter der Wildniß mit bunten Glasperlen und hei-u Tabak und nahmen würdig mit Handschütteln von ihnen Abschied. Einigen trägen Hunden, die uns nicht aus dem Wege gehen wollten, waren wir genöthigt, unsanfte Fußtritte zu geben, was sie jedoch kaum zum Aufstehen bewog, bis das allgemeine Geschrei von „Dschu! Dschu!“ (das indianische Wort für „Hund“) sie in Bewegung setzte. Durch die Felsenwildniß, denselben Weg, den wir gekommen, wanderten wir langsam zur Stadt zurück.

Von den Schienenschwellen auf der nächsten, an siebenzig Fuß hoch überm Wasser schwebenden hölzernen Eisenbahnbrücke herab hatten wir eine recht interessante Niederschau auf ein Dutzend tief unter uns wie Enten im Wasser umherschwimmender Squaws, denen wir so lange zuschauten, bis das sich schnell nähernde Donnergetöse des von Celilo kommenden Bahnzugs uns ermahnte, statt die Schwimmkünste der braunen Nixen zu kritisiren, lieber an unsere Sicherheit zu denken und uns so schnell wie möglich von der gefahrdrohenden Brücke herunter zu begeben. Kaum hatten wir diese glücklich hinter uns, als der Bahnzug, gedrängt voll von biedern Goldgräbern, die, mit Goldstaub beladen, vom obern Columbia und von Boise kamen, bei uns vorbeiraste, dem wir dann möglichst schnell nach Dalles folgten, um von den braven Goldjägern noch vor Abend möglichst viel schnöden Mammon für elegante Kleidungsstücke einzutauschen - denn, auch das soll der Leser wissen, wir sind die glücklichen Besitzer eines Stores, d. h. einer Niederlage für Alles, im fernen Westen.

     Aus dem Staate Oregon, Ende Juli 1865.

Theodor Kirchhoff.



  1. Diese touristisch-ethnographische Skizze ist in der That „über den halben Erdball“ zu uns herübergewandert, aus dem Staate Oregon im fernen Westen Nordamerikas und aus derselben Feder kommend, welcher die Gartenlaube (1865, Nr. 20) den mit so allseitigem Interesse aufgenommenen Aufsatz über die rheinischen Hurdy-Gurdys verdankt.
    Die Redaction.