Die Kanone
Die Kanone
Wo des Museums stiller Hallenkranz
Den Hof umschlingt, von fern Platanen lauschen
Und scheues Licht auf nahen Teichen spielt,
Verlier ich mich im Wandern und im Sinnen.
Es hallt und schwindet wie Erinnerung
An alte Zeiten, Freud und Menschenqual.
Mein Auge folgt dem hohen Mauerring
Und eines Sperlings Flug, der hoch vom Dach
Auf des Geschützes Rohr, im Hof gepflanzt
Als Zeugnis alter Schweizer Waffenkunst,
Bei seinem Liebchen wieder Ruhe schenkt.
Wie frech das Pärchen hier am hellen Tag,
Mit frohem Zwitschern, Kuß und Flügelschlag!
Und dann mit zarter Füßchen leichtem Hüpfen
Das Rohr bewandert bis zum Wappenschild,
Das Zürichs Leuen hüten, hellen Auges
Und dann zurück zur Mündung, hin und her,
Als wär es abgesandt, mit Kennerblick,
Das Stück auf Stahl und Konstruktion zu prüfen!
Und husch! zum Dachrand auf! – Mit hellem Pfeifen
Und wundern sich und prahlen klug wie Kinder:
„Lug, Heiri, lug auch die Kanone da!
Mit der kann man bis auf den Ütli schießen!“
„Du aber nicht! du kannst ja unterm Rohr
Komm, lüpf! ich will sie dann ins Rohr probieren.“
Nein du, das darf man nicht! was meinst du, Heiri,
Wie viel hat die Kanone ächt gekostet?
„Ja du, nur eine Franke! du bist gut!
Zehn Franken, sag ich dir, vielleicht noch mehr!
Und dann das Pulver! Komm, die andern warten!“ –
Sie ziehn und prahlen fort. Im stillen Raum
Doch drinnen, wo die alten Panzer rosten,
Wo Fahnen trauern, staubig, kampfzerfetzt,
Wo Büchsen schlafen, Schwerter müßig stehn,
Ersteht ein Rauschen wie von Windesschreiten
Und schmettern Sturmruf, schwere Baßgewalt
Erdröhnt aus Hörnern, die die Mauern schüttert.
Ein klirrend Schwerterschlagen; Kampfgetös,
In Donner eingetaucht und dumpf im Takt.
Horch! auch im Hof das Rohr, es brummt und zittert,
Und singt mit Macht ins allgemeine Lied,
Den Donner brüllend in die wilde Schlacht.
Und wie sie dann die Stimmen wieder dämpfen
Verstummt wie sie und harrt im alten Schweigen. –
– Nun hab ich hundertmal den Hof durchmessen,
Das Echo hinter mir. Ei sieh! Das Pärchen,
Vom Dachrand senkt es sich, und seh ich recht,
Verweilt und zeigt sich wieder, hüpft und sucht,
Und füllt den Raum mit emsigem Geflatter.
Ei, das ist stark! Mich wundert ob die Leuen
Und ob das Brummen nicht sich neu erhebt!
Frech ist der Spatz! Hans Füßli, der du einst
Das blanke Stück aus schmutz’ger Form geschält
Und stolz betrachtet, auf! setz dich zur Wehr! –
Von fern herüber, auf den Teichen spielt
Das nahe Licht, es glänzt bis übers Rohr,
Spinnt in die schwarze Mündung weiß Geweb
Und hellt dem Spatzenvolk den dunklen Gang.