Die Katz (Tucholsky)

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Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Die Katz
Untertitel:
aus: Mit 5 PS Seite 235-238
Herausgeber:
Auflage: 10. – 14. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: Herrosé & Ziemsen
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus: PICKNICK
Erstdruck in: Vossische Zeitung, 10. Juli 1924
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[235]
Die Katz

Neulich saß ich vor dem kleinen Theaterchen „Ambassadeurs“ in den Champs-Elysées, unter grünen Bäumen. Um meine Bank strich mehrere Male eine große, gut genährte Katze, grau mit schwarzen Flecken. Wir kamen so ins Gespräch – sie fragte mich, wieviel Uhr es sei –, und da stellte sich heraus, daß sie aus Insterburg stammte. Nun kenne ich Insterburg sehr genau – ich habe da seinerzeit gedient –, und wir waren gleich im richtigen Fahrwasser. Sie kannte erstaunlich viele Leute, und wir hatten auch gemeinsame Bekannte: eine Verwandte von ihr war bei meinem Feldwebel Lemke Katze gewesen, sie wußte gut Bescheid. Meine Stammkneipe kannte sie und das Theater und die Kaserne und alle möglichen Orte. Ja, es ist sogar möglich, daß wir uns einmal gesehen hatten, im Schützenhaus zu Palmnicken, aber da hatte ich natürlich nicht so darauf geachtet. Wie es ihr denn so in Paris gefiele, fragte ich sie.

„Näi, hier jefällts mir nich!“ sagte sie. „Ich wäiß nich, die Leite sinn ja soweit janz natt – aber, wissen Se, mit die Verfläijung, das is doch nichts. Ja. ’s jibbt ja Fläisch un so – aber Fischkeppe – wissen Se – son richtichen Kopp von ’nem Zanderchen oder Hachtchen – das hätt ich doch jar zu jern mal jajassen. Aber: Pustekuchen!“ Das fand ich auch sehr bedauerlich.

„Gott, man erlebt ja allerhand hiä“, sagte die Katze. „Da haben se mich näilich einem alten Madamche ins Bett jestochen, wissen Se, die konnt keine Katzen läiden. Erbarmung! [236] hat se jebrillt. Ei, seht doch! seht doch! hat se immer jerufen – das heißt, ich denk mä das so –, denn sie hat ja franzeesch jebrillt. Dabei hab ich se nuscht jetan! Und se hat all immer jemacht: ‚Pusch! Pusch! Willste da raus!‘ – Aber ich bin ruhig liegen jeblieben, wissen Se – und da hat se mit all ihre Koddern aufn Pianino jeschlafen – ja. Und am friehen Morjen hat se mer denn ein Tellerche Schmant hinjehalten, das hab ich auch jenomm, und denn bin ich los. Es war ’ne janz nette Frau soweit. Se war all janz bedammelt von den Unjlick.“ Aha. Und diese große Schramme da über dem Auge? was wäre denn dies?

„I,“ sagte die Katze, „da hat mir neulich son Kater anjesprochen – aber ich wollt nich – wissen Se, ich wer mer doch mit die franzeeschen Kater nich abjehm! De Frau in Insterburch hat auch immer jesacht, mehr als dräimal im Jahr soll ’ne ordentliche Katz nich – na, und meine Portion war all voll. Ja – ich wollt eben nich. Da hat mir doch das Biest anjesprungen! Was sagen Se –! Ich hab ’n aber ordentlich äine jelangt – sobald jeht der an käine ostpräische Katz mer ran, der Lorbas!“

„Kinder haben Sie also auch?“ fragte ich. „Ja“, sagte sie. „Es sinn alles orntliche Katzen jeworn – bis auf äine. Die streicht da aufn Monmartä rum, bei die Franzosen – und wenn mal ’n Tanzvergniejen is, denn macht se sich an die Fremden ran. Näilich dacht ich: I, dacht ich, wirst mal hinjehn, sehn, was se da macht. Wissen Se – ich hab mir rein die Augen ausn Kopp jeschämt – lauter halbnackte Marjellen – und meine Tochter immer dabäi! Sone Krät –! Ich sach: ‚Was machst du denn hier?‘ sach ich. Se sagt: ‚Ah – Mama!‘ und denn redt se doch franzeesch mit mir! mit die äijene Mutter –! Ich sach: ‚Schabber nich so dammlich!‘ sach ich und jeb ihr eins mit de Pfot. Da haben [237] se uns rausjeschmissen ausn Lokal, alle bäide – und draußen auf de Straß wollt ich mer nich mit se hinstellen. Und – rietz! – war se denn auch jläich wech. Ach, wissen Se, heutzutach, mit die Kindä …!“ Ja – da konnte ich nur zustimmen. Na – und sonst? Paris und so?

„Manchmal“, sagte die Katz, „krie ich doch mächtig Heimweh. Kenn Se Keenichsbarch? Das is ’ne Stadt – wissen Se – da kann Paris jahnich mit! Da war ich mal auf Besuch – man is ja in de Welt rumjekomm, Gott sei Dank – und da war ich bei de Frau Schulz. Kenn Se die? Die Mutter von Lottchen Schulz, die immer so brillt? De Tochter hat jetzt jehäirat.“ Halt! Lottchen Schulz kannte ich. Diese etwas bejahrte, schielende und hinkende Dame hatte geheiratet? Ich äußerte Bedenken. „Och,“ sagte die Katze, „sehn Se mal: Nu hat se doch das lahme Bein, und ordentlich gucken kann se auch nicht mehr – was soll Se –!“ Dagegen war nichts einzuwenden – Heirat schien in solchem Fall das beste. „Ja, da war ich auf Besuch,“ fuhr die Katze fort, „ach, wenn ich daran noch denk! Inne Ofeneck saßen die bäiden Jungens Schulz und schlabberten ein Tulpchen Biä nachn andern, de Frau trank Kaffee, und ich kriecht ab un zu ’n Stickche Spack – aber, wissen Se, son richtchen, ostpräißschen Kernspack – nich wie hier! Ja. Nur äin Malhör is mich in Keenichsbarch passiert: ich bin da in den Hiehnerstall jejangen und hab da jefriehstickt, und nachher hab ich es all jemerkt: alle die kläinen Kaichel, die hatten dem Pips! Dräi Tach war mir janz iebel!“

Eine feine Dame ging vorüber und sagte zu ihrer Begleiterin: „Vous savez, il n’y a que des étrangers à Paris!“ Die Katze sagte:

„Wissen Se, hier mit die Katzen, da versteh ich mir jahnich! Se sind auch so janz anders als bäi uns – manche sind [238] direkt kindisch – wissen Se …! Na, denn wer ich man bißchen jehn, auf Mäise …!“

Und lief seitwärts, in die Büsche. Ich wollte noch etwas sagen, sie nach ihrer Adresse fragen – aber sie war schon weg. Und ich stand noch lange vor dem Busch und, ohne daran zu denken, daß es ja eine Katze war, rief ich: „Landsmann! Landsmann!“ – Aber es antwortete keiner. Wir haben uns nicht mehr wiedergesehen.