Die Lambertikirche in Münster und die Wiedertäufer

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Titel: Die Lambertikirche in Münster und die Wiedertäufer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 140–143
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Lambertikirche in Münster und die Wiedertäufer.

Auch Kirchthürme haben ihre Schicksale. Binnen heute und wenigen Wochen wird einer der historisch interessantesten Thürme Deutschlands zwar nicht dem Erdboden, wohl aber dem Kirchendache gleichgemacht werden – der Lambertithurm zu Münster, von dessen Höhe noch bis vor wenigen Wochen die drei Käfige der Wiedertäufer als schreckliche Wahrzeichen in’s Land hinausschauten. Es war aber auch wirklich die höchste Zeit zum Abbruch des Thurms; denn seine Baufälligkeit ließ allmählich nichts mehr zu wünschen übrig.

Für diejenigen, welche den alten Thurm noch in seiner ganzen Größe gesehen haben, bemerken wir, daß er durchaus nicht, gleich seinem berühmteren Collegen von Pisa, von vornherein und mit Absicht eine schiefe Richtung erhalten hatte. Es war vielmehr lediglich Altersschwäche, was ihn beugte, und zwar schon seit Langem; denn schon im sechszehnten Jahrhundert wurde eine Untersuchung angeordnet, ob der „Lamberz-Torn oik noet hatte, umb kurtz to fallen“, und da man fand, daß er sich vom Kirchenschiff getrennt hatte, so wurde er mit eisernen Klammern an letzterem befestigt,

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Rathhaus und Lambertikirche zu Münster in Westfalen.
Nach der Natur gezeichnet von Fritz Stoltenberg.

[142] auch im Innern durch kolossale Balkenmassen gestützt. Das Läuten mit den im Thurme befindlichen Glocken wurde mit der Zeit ganz eingestellt, um nicht durch die hierdurch verursachten Schwingungen die Gefahr zu vergrößern.

Nachdem sich jedoch während der letzten Jahre die Unvermeidlichkeit des vollständigen Abbruchs immer deutlicher herausgestellt hatte, wurde endlich vor einigen Wochen mit der Ausführung begonnen und zunächst die Spitze nebst der wälschen Haube, sowie das oberste Stockwerk des Steinbaues niedergelegt. Augenblicklich ist man damit beschäftigt, das Gerüst zur Abtragung des unteren Stockes anzubringen, und wenn diese Zeilen in die Hände der Leser kommen, ist der Abbruch desselben vielleicht schon vollendet. Alsdann soll der Rumpf ein Nothdach erhalten und die Arbeit einstweilen sistirt werden, bis das Ministerium in Berlin über den Plan des Neubaues entschieden haben wird und die hierzu nöthigen Geldmittel zusammengebracht sein werden. Die Wiedertäuferkäfige wurden vor der Hand auf einem Hofe in der Nachbarschaft untergebracht.

Der Abbruch des Lambertithurms dürfte den geeigneten Moment bezeichnen zu einem kurzen Rückblick auf jene blutige Tragikomödie, die im sechszehnten Jahrhundert von der Secte der Wiedertäufer in dem alten Münster in Scene gesetzt wurde und welche unter der Ueberschrift „Die phantastische Episode des neuen Reiches von Zion" in den Jahrbüchern der Geschichte eingetragen steht.

Mit dieser Episode aber verhielt es sich also:

Im Jahre 1532 hatte die neue lutherische Lehre nach heftigen Kämpfen auch in Münster Eingang gefunden, aber schon bald nachher machten sich gewisse religiöse und demokratische Bewegungen im Schooße der Bürgerschaft bemerkbar. Im Januar von 1533 trafen zwei Apostel der Wiedertäuferlehre, welche bekanntlich die Kindertaufe verwarf, aus Holland ein; einer derselben war Johann Bockhold, seines Zeichens ein Schneider aus Leyden, zugleich ein Mann, dessen Phantasie von den Schriften und Lehren Thomas Münzer’s beherrscht wurde. Dieser setzte sich sofort mit dem lutherischen Prediger Rothmann in Verbindung, und schon nach wenigen Tagen zählte man in der Stadt mehr als 1400 Getaufte. Immer mehr griff die Bewegung um sich, gefördert durch die rücksichtslose Durchführung der Gütergemeinschaft und der Vielweiberei, welche zuerst Widerstreben, bald aber allgemeinen Anklang fand. Binnen Kurzem bemächtigten sich die Wiedertäufer mit Gewalt auch sämmtlicher Kirchen, in denen sie nach ihrem Willen den Gottesdienst einrichteten, bis derselbe später aus den „Häusern Baals" auf offenen Marktplatz, unter freien Himmel, verlegt ward. Die Stadt war vollständig in der Hand der Aufständischen; Papisten wie Lutheraner wurden vertrieben, Kirchen, Klöster, Bilder, Bücher und Kunstwerke mit vandalischer Wuth zerstört und Alle, die sich nicht zum neuen Glauben bekennen mochten, mit Feuer und Schwert ausgerottet.

Während der geflüchtete Fürstbischof zur Bekämpfung des Unwesens gewaltige Rüstungen machte, wurde der Stadtrath in Münster aufgelöst und an seiner Stelle ein Collegium von zwölf Aeltesten mit der höchsten Gewalt bekleidet. Kurze Zeit nachher aber verkündete Johann Dusentschur aus Wannendorf, es sei der Wille Gottes, daß obengenannter Johann Bockhold von Leyden als König über den ganzen Erdkreis gesetzt werde, worauf er ihm das Schwert überreichte, ihn salbte und zum König des neuen Reiches Zion ausrief. Von nun an trug König Johann eine goldene Krone, ein goldenes Scepter und Kleider von Purpur; ein gewisser Knipperdolling, ein wüthender Gegner der Bischöfe und der Pfaffen, wurde Statthalter und ein früherer Pastor Krechting Geheimer Rath. Wöchentlich dreimal saß der König auf dem Domhofe zu Gericht. Er legte sich einen Harem an und führte ein schwelgerisches Leben, während seine Freunde diesem Beispiele folgten und sich in den Wohnungen der geflüchteten Domherren und des Adels häuslich einrichteten.

Mittlerweile jedoch hatten die Bischöflichen, von einigen Reichsfürsten unterstützt, die Stadt eng eingeschlossen. Der von den Aufständischen sehnlichst erwartete Zuzug der deutschen Wiedertäufer blieb aus, aber noch am 22. Juni 1535 beantwortete Johann von Leyden die Aufforderung zur Uebergabe mit der Bemerkung, er könne derselben nicht eher Folge leisten, als bis es ihm durch besondere göttliche Offenbarung befohlen werde. Indessen gelang es schon zwei Tage später dem Belagerungsheere, durch den Verrath einiger Ueberläufer zur Nachtzeit in die Stadt einzudringen. Die Wiedertäufer fochten mit dem Muthe der Verzweiflung, mußten aber erliegen. Was nicht entkam, wurde niedergehauen. Johann selbst hatte sich auf dem Aegidithore verborgen, wurde aber dort entdeckt und mit seinen beiden Gefährten Knipperdolling und Krechting nach dem barbarischen Geschmacke der Zeit mit glühenden Zangen gefoltert und schließlich langsam zu Tode gemartert.

So geschah’s auf dem Marktplatze zu Münster am 22. Januar des Jahres 1536. Das Drama der Wiedertäufer zu Münster war aber dennoch nicht so ganz das blöde Satyrspiel, als welches eine orthodoxe Geschichtschreibung es hinterdrein darzustellen gesucht hat. Die Opposition gegen die Kindertaufe ist uralt. Längst vor der Reformation wurden ihre Widersacher als Ketzer bezeichnet, und durch das ganze Mittelalter dauerte das Widerstreben, welches auch heute noch nicht erloschen ist. Zuerst riefen die sogenannten Zwickauer Propheten Unruhen in Zwickau und Wittenberg hervor, offenbar durch Luther’s Auftreten hierzu angeregt. Es waren das Thomas Münzer, Cellarius, Stübner, Storch, Thomä und Andere, zumeist sehr geistesbewegliche Leute; sie traten für göttliche Offenbarungen, für ein inneres Licht neben dem Wort der Bibel ein, drohten den Fürsten, daß ihnen das Schwert abgenommen werde auf Erden, unterstützten den Bauernkrieg und kämpften ihn, wie besonders Münzer, selbst mit, verwarfen vor allem die Kindertaufe, setzten die geistige Taufe in höherem Alter an deren Stelle, neigten nebenbei auf materiellem Gebiete zur Gütergemeinschaft und forderten die Gleichheit aller Christen.

Diese Wiedertäufer oder Anabaptisten verbreiteten sich rasch weiter und weiter und vermischten oft mit dem kirchlich-religiösen Streben fremdartige Zwecke und Agitationen, die sie bald in fanatisch-unreiner, bald aber auch in edler Begeisterung zur Ausführung brachten. Vor Allem waren sie revolutionär gesinnt, wodurch sie natürlich die Fürsten gegen sich aufreizten; selbst Luther gab dem Landgrafen Philipp von Hessen den Rath, sie mit Gewalt zu vernichten, und auch Kaiser Karl der Fünfte erließ die schärfsten Verordnungen gegen sie auf den Reichstagen zu Speier 1529 und 1530; zu Hunderten wurden sie mit Feuer und Schwert hingerichtet, zu Tausenden schon nach der Schlacht von Frankenhausen niedergestoßen.

Aehnliches geschah in der freien Schweiz, in England und in den Niederlanden. Ein wahres Morden begann gegen die Secte, wo immer sie gefunden wurde, und jeder, der etwas freier dachte, als die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, lief Gefahr, als Wiedertäufer denuncirt zu werden.

Der Protestantismus verwarf alle falsche, ungöttliche Autorität in Glaubenssachen, die Wiedertäufer dagegen lehnten sich auf wider jedwede Autorität überhaupt. Aber als Münster, die Hochburg des Wiedertäuferthums, gefallen war, da siegte in ganz Westfalen wieder der Katholicismus, und er verfolgte die Secte überall auf das Grausamste. Nicht in Abrede läßt sich stellen, daß die Wiedertäufer an der ihnen widerfahrenen übermäßigen Härte selbst mitschuldig waren, indem sie aus Trotz und ohne Noth gegen alle damaligen weltlichen und geistlichen Satzungen und Sitten freventlich verstießen. Andererseits aber mußten, wie das ja so oft zu geschehen pflegt, auch die Vernünftigeren unter ihnen mitbüßen für die Tollheiten der allzu Radicalen; die ganze Glaubensgenossenschaft hatte zu leiden unter dem Haß und der Furcht, welche die Aufrührer in Münster erregt hatten, und selbst die Protestanten waren genöthigt, sich von den Wiedertäufern, weil diese den Protestantismus überall in Mißcredit brachten, zuletzt förmlich loszusagen. Gleichwohl haben auch die schwersten Niederlagen die Wiedertäuferei, in deren Lehren, trotz aller Auswüchse, offenbar ein gewisser idealistischer Zug sich verkörpert, nicht gänzlich auszurotten vermocht.

Schon der oben erwähnte Rothmann und Andere forderten eine gründliche Reform des Lebens, Vermeidung der Unmäßigkeit in Genüssen, auch des öffentlichen Kirchengehens, damit die Bekenner des neuen Glaubens nicht durch eitle Lehren und verkehrten Gebrauch der Sacramente befleckt würden und den Zorn Gottes auf sich lüden; dann erst seien sie würdig, mit dem äußeren Merkmal des Bundes, der neuen Taufe, bezeichnet zu werden. In diesem Sinne aber entwickelte sich noch im sechszehnten Jahrhundert aus den Wiedertäufern, durch Menno Simons, die Secte der Mennoniten oder der Taufgesinnten, und mit ihnen begann eine neue, geläuterte Periode der Wiedertäuferei, deren Lehre noch gegenwärtig in den verschiedensten Gegenden Europas Tausende, in [143] Nordamerika aber Millionen von Anhängern zählt. Sie selbst nennen sich bekanntlich Baptisten und stehen in der Regel durch Fleiß, Sparsamkeit, Wahrheitsliebe, Ehrenhaftigkeit und Toleranz gegen Andersdenkende in hoher Achtung. – –

Kehren wir zum Schluß unseres Artikels nochmals zur Lambertikirche zurück! Sie liegt am Marktplatze der bischöflichen Residenz, nahe an dem stolzen gothischen Rathhause in dessen „Friedenssaale“ am 24. October 1648 der „Westphälische Frieden“ zwischen dem deutschen Reich und den fremden Mächten ratificirt wurde. Wie dieses ist auch die Kirche ein herrlicher gothischer Bau aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts. Das Aeußere der Kirche ist reich an Verzierungen, von denen jedoch leider ein Theil in den Stürmen des Wiedertäuferaufstandes zu Grunde ging. Insbesondere rühmt man an ihr das Maßwerk der tief herabgehenden Fenster des Langhauses, die vorspringende Fenstereinfassung sowie das Dachgesims von zierlichem Laubwerke, aber nicht minder interessant ist die architektonische Ausstattung des Innern wegen der Mannigfaltigkeit und Schönheit der einzelnen Theile, insbesondere der Pfeiler, die an den Capitälen ebenfalls anmuthiges Laubwerk zeigen, sowie durch die Anordnung des Schiffes und des Chores. Arm dagegen ist die Kirche an werthvollen Gemälden und Sculpturen, was wiederum in der Zerstörungswuth der Wiedertäufer, die gegen allen Bilderdienst eiferten, seinen Grund hat; nur das Hauptportal ist mit achtzehn Statuen unter Baldachinen geschmückt. Bis zur jüngsten Zeit herunter knüpfte sich jedoch das Interesse Einheimischer und Fremder für diese Kirche weniger an ihre baulichen Schönheiten, als vielmehr an jene vielgenannten drei eisernen Käfige, welche als ein unheimliches Wahrzeichen der Stadt wie des ganzen Münsterlandes an der Südseite des halb romanischen, halb spätgothischen Hauptthurmes, und zwar unmittelbar unterhalb der Gallerie, angebracht waren. Jene Käfige enthielten einst die Leichen der drei Hauptanführer der Wiedertäufer, Johann’s von Leyden, Knipperdolling’s und Krechting’s, von deren martervoller Hinrichtung weiter oben die Rede war. Längst hatten die Stürme jede Spur von den Gebeinen jener unglücklichen Phantasten verweht, aber die eisernen Stäbe der düstern Behältnisse trotzten der Zerstörung, und wenn der Blick des Geschichtsfreundes auf dem mittelsten haftete, das ein wenig erhöht über die beiden anderen hinaufragte, wenn er sich erinnerte, daß in ihm die Leiche des weiland „Königs von Zion“ lange Zeit hindurch ein Spiel der Winde und eine Beute der Raubvögel gewesen, so ließ er schaudernd jene schreckensreiche Episode der Münsterschen Geschichte an seinem Geiste vorübergleiten.

Da die „Gartenlaube“ mit der gegenwärtigen Wochennummer ihren Lesern die Lambertikirche mit dem nun im Abbruche befindlichen Thurme bildlich vor Augen führt, so beschließen wir diese Zeilen wohl nicht unpassend mit dem Ausdruck des Wunsches, es möge die Vollendung eines stilvollen, der schönen Kirche würdigen Neubaues sich nicht allzulange verzögern. Und dann werden, wie man hört, am neuen Thurme auch die historischen drei Käfige wieder ihren Platz finden, um von dort wie seit nunmehr vierthalb Jahrhunderten, abermals weit hinauszuschauen in’s Münsterland.