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Die Lossagung des Bischofs Eusebius von Angers von Berengar von Tours

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Autor: Wilhelm Bröcking
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Titel: Die Lossagung des Bischofs Eusebius von Angers von Berengar von Tours
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 5 (1891), S. 361–365; Bd. 10 (1893), S. 341
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Berengar von Tours, Eusebius von Angers
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[361] Die Lossagung des Bischofs Eusebius von Angers von Berengar von Tours. In seinen „Studien zur Geschichte des zweiten Abendmahlstreits“ (Leipzig 1887) vertritt L. Schwabe die Ansicht[1], dass der Bischof Eusebius von Angers, der eine Zeit lang[2] einer der eifrigsten Anhänger der Berengar’schen Abendmahlslehre und der vornehmste Gönner und Schützer Berengar’s von Tours unter der hohen Geistlichkeit Frankreichs gewesen ist, sich in dem Zeitraume zwischen 1062 und 1065, also geraume Zeit vor der Römischen Synode von 1079, welche in Sachen Berengar’s das letzte officielle Wort gesprochen hat, von seinem bisherigen Schützlinge losgesagt und damit die Sache, der er über ein Jahrzehnt so treu ergeben gewesen war, schmählich preisgegeben habe[3]. Schwabe bringt diesen Gesinnungswechsel des Bischofs in Zusammenhang mit den politischen Verhältnissen in der Grafschaft Anjou in dem angegebenen Zeitraume und schildert uns Eusebius als einen Mann, dessen Lehrmeinungen abhängig waren von den politischen Conjuncturen. Er habe sich kein Gewissen daraus gemacht, wie er einst ein Parteigänger des dem Berengar günstig gesinnten Grafen Gaufred Martell gewesen war, so sich nunmehr in der Zeit bald nach 1062, als der Nachfolger Martell’s, Gaufred Barbatus, feindselig gegen Berengar von Tours vorzugehen begann, dem neuen Herrn zuzuwenden, sich dafür von Berengar abzuwenden und ihn seinem Schicksale zu überlassen[4].

Diese Ansicht Schwabe’s, welche, wie man sieht, den Charakter des Bischofs Eusebius in keinem besonders günstigen Lichte erscheinen lässt, hat, soviel ich sehe, bisher keinen Widerspruch gefunden. Sie fordert einen solchen indessen heraus, denn sie stützt sich auf eine [362] von Sudendorf in seinem „Berengarius Turonensis“ (Hamburg und Gotha 1850) ausgesprochene Annahme, welche, wie im Folgenden dargelegt werden soll, jeder Begründung entbehrt. Die Lossagung des Eusebius von Berengar wird uns nämlich in einem Briefe überliefert, welchen der Bischof in Beantwortung eines an ihn gerichteten Schreibens Berengar’s an diesen gerichtet hat. Der Brief des Eusebius, auf den es hier bei unserer Untersuchung vor allem ankommt, ist u. a. gedruckt in „S. Augustini – – – adversus Julianum – – – libri II posteriores – – – opera ac studio Claudii Menardi“ [ohne Ortsangabe 1616], p. 74 b[5]. Berengar hatte sich über das Treiben eines Gegners seiner Abendmahlslehre beschwert[6], der unter den Augen des Bischofs[7], einem öffentlichen Bekenntnisse zuwider, welches dieser auf einer kirchlichen Versammlung zu Angers im Jahre 1062[8] abgelegt, Propaganda mache für die falsche Lehre Lanfranks vom Abendmahl, und hatte den Eusebius gebeten, ihm mit dem erwähnten Gegner vor einem von Eusebius zu ernennenden Richter eine Disputation zu gestatten. Eusebius antwortet hierauf ablehnend; er geht in seinem Briefe behutsam über sein von Berengar erwähntes Bekenntniss hinweg, gibt eine Darlegung seines von dem Berengar’schen abweichenden dogmatischen Standpunktes, erwähnt die Behandlung der Sache auf drei Provinzialsynoden, verweigert kategorisch jede erneute Verhandlung der Angelegenheit und droht sogar allen denen, welche trotzdem sich zu einer erneuten Verhandlung der Abendmahlslehre versammeln würden, mit der Excommunication[9], und zwar mit Berufung auf die dreifache Verhandlung der Angelegenheit vor Provinzialsynoden und auf eine von einer Römischen Synode unter Vorsitz des Papstes gefällte Entscheidung.

Dieser Brief soll nun, wie Sudendorf annimmt, noch vor dem 10. Mai des Jahres 1066 geschrieben sein, und zwar einzig und allein desshalb, weil der Brief Berengar’s an Eusebius noch vor diesem Tage geschrieben sei. Nachdem Sudendorf nämlich nachgewiesen zu haben glaubt, dass Berengar’s Brief vor dem 10. Mai 1066 geschrieben sein müsse, fährt er wörtlich fort: „Vorliegender Brief (Berengar’s) und die Antwort des Eusebius müssen also vor dem 10. Mai [363] 1066 – – – geschrieben sein“[10]. Dies ist der ganze Beweis, den Sudendorf für seine Annahme beibringt und den Schwabe principiell, nur mit Aenderung des Jahres 1066 in 1065 – diese Aenderung geht auf Bishop zurück[11], – acceptirt[12]. Thatsächlich ist jene Folgerung falsch, selbst wenn die Voraussetzung Sudendorf’s, dass Berengar’s Brief vor dem genannten Termine geschrieben sei, richtig wäre[13], denn der Brief des Eusebius bietet nicht den geringsten Anhaltspunkt, um den von Sudendorf beliebten Schluss zuzulassen[14]. Wir werden vielmehr sehen, wenn wir nunmehr den Wortlaut des Briefes des Eusebius genauer ins Auge fassen, dass er bedeutend später, als Sudendorf und Schwabe annehmen, geschrieben sein muss.

Wie schon erwähnt, spricht Eusebius in seinem Schreiben von drei Provinzialsynoden, auf welchen über die Berengar’sche Abendmahlslehre verhandelt worden sei. Nach Darlegung seiner Auffassung der Abendmahlslehre sagt der Bischof nämlich: „hoc concilio[15] quaerimonia, quae in praesentia Domini Gervasii tunc capti apud Turonum emersit, sedata est. Hoc concilio[15] eodem tumultus, qui in audientia Domini Eldebranni in eadem civitate efferbuit, sopitus est, hac viridica confessione exactioni principis huius nostri in capellula, cuius in vestra epistola mentionem fecistis[16], satisfactum est et rediviva pestis, quae nescio quorum improbitate exagitata caput extulerat, Domini Bisonticensis Archiepiscopi – – – auctoritate calcata est“[17].

Unter den drei Synoden, von welchen hier die Rede ist, sind, wie Sudendorf überzeugend nachweist[18], die von ihm für das Jahr 1050 angesetzte[19] Synode von Tours[20], ferner die unter Vorsitz Hildebrand’s, [364] also im Jahre 1054[21] zu Tours gehaltene, und schliesslich die unter Vorsitz des Erzbischofs Hugo von Besançon im Jahre 1062 zu Angers abgehaltene Synode zu verstehen. Auf diese drei Synoden wird nun am Schlusse des Briefes noch einmal Bezug genommen[22] mit den Worten: „est enim causa[23] ter provinciae nostra(e) judicio terminata“, und hinzugefügt wird: „quarto sedis apostolicae synodi sententia extincta“[24].

Dies „quarto“, welches sich auf das vorhergehende „ter“ bezieht, hat schon ganz seltsame und unmögliche Interpretationen hervorgerufen, welche Sudendorf a. a. O. p. 34 anführt. Es heisst ganz einfach, wie Sudendorf zuerst richtig hervorgehoben hat[25], „viertens“, „an vierter Stelle“, und demgemäss wird also in der soeben im Wortlaut angeführten Stelle so klar und deutlich, wie man so etwas überhaupt nur ausdrücken kann, gesagt, dass auf die drei Provinzialsynoden, welche die Angelegenheit schon geregelt hätten, viertens eine Synode des päpstlichen Stuhles gefolgt sei, welche die ganze Frage endgültig beseitigt habe. Nun fällt die letzte der drei erwähnten Provinzialsynoden, wie wir sahen, in das Jahr 1062, es kann also unter einer Synode des päpstlichen Stuhls, welche die Sache zur Entscheidung brachte, nur eine solche gemeint sein, welche später als 1062 stattgefunden hat[26]. Nach 1062 gibt es aber nur eine Römische Synode, auf welcher der Berengar’sche Abendmahlsstreit noch einmal wieder zur Sprache kam und in einem Berengar feindlichen Sinne entschieden wurde, das ist die unter Gregor VII. zu Ostern (24. März) 1079 zu Rom abgehaltene Synode. Auf ihr hat die Kirche in Sachen Berengar’s officiell das letzte Wort gesprochen, und von ihr allein kann man sagen, dass sie den Streit endgültig beigelegt habe[27].

Wenn nun also in dem Briefe des Eusebius der Römischen Ostersynode [365] von 1079 Erwähnung geschieht, so kann er erst nach Ostern 1079, also nach dem 24. März 1079 geschrieben sein[28]. Daraus folgt des Weiteren, dass die ausdrückliche Lossagung des Eusebius von Berengar nachweislich erst nach dem 24. März 1079 stattgefunden hat. Ist dies der Fall, so hindert uns – da sonst kein Beweis vom Gegentheil vorliegt[29] – nichts, anzunehmen, dass Eusebius bis zum Römischen Concile von 1079 noch auf Seiten Berengar’s gestanden und sich erst durch den entscheidenden Spruch dieser Synode, nicht aber schon bald nach 1062 aus Rücksicht auf den Grafen von Anjou, veranlasst gesehen hat, die Verbindung mit seinem bisherigen Schützlinge Berengar ein für alle Mal zu lösen. Es ist klar, dass darnach auch der Charakter des Bischofs uns in einem anderen Lichte erscheinen muss als in demjenigen, in welchem ihn die Schwabe’sche Darstellung zeigt.

W. Bröcking.     


Siehe auch die Berichtigung zu diesem Artikel in DZfG Bd. 6 Nachrichten und Notizen S. 232.


[341] Zur Lossagung des Bischofs Eusebius von Angers von Berengar von Tours. Herr Dr. W. Bröcking ersucht uns um Aufnahme einer vorläufigen Notiz, dass er seine in dieser Zeitschrift Bd. 5 pag. 361 ff. (vgl. Bd. 6, 232) aufgestellte Ansicht gegen einen ihm erst jetzt bekannt gewordenen Artikel von J. Schnitzer (im „Katholiken“ ’92, II, 544 ff.) aufrecht erhalte, seine Antwort aber auf später verschieben müsse, da es ihm an seinem jetzigen Aufenthaltsort, Mentone, an den erforderlichen literarischen Hilfsmitteln fehle.


Siehe dazu auch den Artikel Bischof Eusebius Bruno von Angers und Berengar von Tours mit der angekündigten Antwort in DZfG Bd. 12.

Anmerkungen

  1. S. p. 99 f.
  2. Wie lange, werden wir weiter unten sehen.
  3. S. Schwabe a. a. O. p. 100, Note 1.
  4. a. a. O.
  5. Sudendorf citirt – a. a. O. p. 4 – eine Pariser Ausgabe des Werkes von 1617; in ihr soll sich der Brief p. 499 f. finden.
  6. S. den Brief Berengar’s bei Sudendorf a. a. O. p. 219 f.
  7. Das geht aus dem Briefe hervor.
  8. S. Sudendorf a. a. O. p. 140 u. 141.
  9. „(confluentibus humilitatis meae personam subtraham, confligentibus audientiam,) perseverantibus communionem“. Menardus a. a. O.
  10. S. Bereng. Turon. p. 141, vgl. auch p. 34, 35.
  11. S. Hist. Jahrb. d. Görres-Ges. I p. 277, Note 1.
  12. „Studien“ p. 100, Note 1.
  13. Dass sie es nicht ist und dass der Brief Berengar’s gar nicht unbedingt vor dem 10. Mai 1066 geschrieben zu sein braucht, gedenke ich in einer anderen Untersuchung nachzuweisen.
  14. Weder Sudendorf noch Schwabe haben es für nöthig gehalten, den Brief daraufhin näher anzusehen.
  15. a b i. e. consilio, wie Sudendorf a. a. O. p. 35 u. 36 näher ausführt. Es entspricht im folgenden dem „hac viridica confessione“, s. Sudendorf a. a. O.
  16. S. Berengar’s Brief bei Sudendorf a. a. O. p. 220.
  17. S. Menardus a. a. O.
  18. a. a. O. p. 33, 34, 36, 140, 141.
  19. a. a. O. p. 123.
  20. Ich denke am anderen Ort meine Ansicht begründen zu können, dass die Synode im Frühjahr oder im Sommer 1051 gehalten worden ist.
  21. S. darüber Sudendorf a. a. O. p. 41–47. Vgl. Schwabe, „Studien“. p. 81.
  22. Vgl. Sudendorf a. a. O. p. 34 oben.
  23. d. h. die Abendmahlsstreitigkeit.
  24. Menardus a. a. O.
  25. a. a. O.
  26. Es bleibt unverständlich, dass Sudendorf, der das „quarto“ ganz richtig übersetzt, zu dem Schlusse kommen konnte, die Römische Synode, von der hier die Rede ist, sei die im Jahre 1059 unter Nicolaus II. gehaltene (s. a. a. O. p. 34).
  27. Hätte Eusebius die Synode von 1059 im Sinne gehabt, so hätte er von ihr füglich nicht sagen können, auf ihr sei der Streit endgültig beigelegt worden, denn er kennt und erwähnt ja die im Jahre 1062 in derselben Sache abgehaltene Synode von Angers.
  28. Der gleiche Schluss Mabillon’s (s. Veter. anal. T. II, p. 485) ist wissenschaftlich desshalb ohne Werth, weil er bei falscher Interpretation des „quarto“ – M. fasst es als Ordinalzahl und ergänzt dazu aus dem Vorhergehenden „concilio“, was in diesem Falle grammatisch ganz unmöglich ist (s. den Wortlaut der Stelle) – nur durch den zufälligen Umstand, dass das Römische Concil von 1079 gerade auch das vierte gegen Berengar zu Rom gehaltene ist, ermöglicht wird.
  29. Ein von Alexander II. zwischen 1061 u. 1068 an Bartholomäus von Tours u. Eusebius von Angers gerichteter Brief, den Bishop im Görres-Jahrb. I p. 274 edirt hat, würde eher dafür sprechen, dass in der angegebenen Zeit zwischen Eusebius und Berengar kein gespanntes Verhältniss bestanden hat. Die Angaben des Briefes genügen aber nicht, um daraus einen sicheren Schluss zu ziehen.