Die Luft-Eisenbahn in Woolwich

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Luft-Eisenbahn in Woolwich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[49]
Die Luft-Eisenbahn in Woolwich.

„Es ist mit tausend Schrecken, was jetzt Alles erfunden wird,“ sagte einmal vor etwa zwanzig Jahren ein alter sächsischer Bauer zu mir. Und er hatte noch kein Sterbenswörtchen von Eisenbahn, Dampfschiff, elektrischen Telegraphen, Nähe- und Mähemaschinen vernommen, geschweige von der Kunst, welche den Sonnenstrahl zum Maler und Kupferstecher macht, von der wohlfeilen Kunst, Wasser mit Wasser zu kochen, mit Wasser unmittelbar zu heizen und zu beleuchten und aus Wasser unmittelbar die volle, ruhige Lichtgewalt der Sonne darzustellen; wie ich es neulich mit Staunen bei dem Schlesier Franz Puls in London leibhaftig sah[1] kein Sterbenswörtchen von all’ den elektrischen, galvanischen, galvanoplastischen, mikro- und teleskopischen, chemischen, physikalischen, mechanischen Erfindungen und Entdeckungen, welche alle 64 oder mehr Elemente und die ganze Menschheit in fieberhafter Aufregung erhalten, und stoßen und stacheln, immer noch mehr zu erfinden, Erfundenes zu verbessern und auszubeuten. Was würde der alte sächsische Bauer jetzt sagen? Wahrscheinlich gar nichts. Verstand und Zunge blieben ihm stockstill stehen vor zehntausend, vor hunderttausend Schrecken. Ging es mir, Mitgliede der westlichen Civilisation in der Welthauptstadt London, neulich doch beinahe selbst nicht besser, als ich zum ersten Male von der Eisenbahn durch die Luft hörte, welche in den Regierungs-Kriegs-Docks zu Woolwich ihr Wesen treiben sollte. Von Luftschlössern hatte ich wohl gehört und dergleichen früher auch selbst in beträchtlicher Anzahl und Pracht mit Stallung und Wagenremise für meine Privatequipage gebaut, aber dergleichen Jugend-Architectur ist von so ätherischem Material, daß sie in der Luft sehr gut hält, so lange sie von jugendlicher Phantasie und wangenrothen Hoffnungen gestützt und getragen wird.

Die Luft-Eisenbahn in Woolwich.

Aerial Railway,“ Lufteisenbahn, las ich. Eisenbahn von Luft oder durch die Luft? Fliegende Luftballons, Flugmaschinen, Ikarus’ von Eisen, beschwingte Ungeheuer paffend und schnarchend durch die Luft sausend, Eisenschienen durch die Luft gelegt ohne Unterlage - oder wie? Lufteisenbahn! Wie sieht das Ding aus? Die muß ich sehen, koste es, was es wolle.

Es kostete viel, denn die englische Regierung thut schrecklich geheim mit ihrer Diplomatie von Eisen und „flüssigem Feuer“ in Woolwich, aber ich fand doch endlich durch Fürsprache und eine Kette von Empfehlungen Einlaß in diese meilengroße, seltsame, entsetzliche Kriegswerkstatt mit Gebirgen und Straßen von Eisenbarren, runden, spitzigen, dreieckigen, konischen Kanonen- und Flintenkugeln, Heerden und Armeen von Bomben, Kanonen, Mörsern, Bestandtheilen von zweihundert neuen, eisernen Kanonenbooten, Dreihundertpfündern von Mörserbomben, die mit mehr als hundert Pfund Pulver gefüllt über eine deutsche Meile weit fliegen sollen, ehe sie fallen und platzen, Bomben in Bomben, deren letztere mit einem neuen „flüssigen Feuer“ gefüllt eine ganze Festung schneller in Brand stecken sollen, ehe es mir gelingt, eine „kohlende" Cigarre rings herum anzuzünden, mit mehr als 9000 Arbeitern, Mechanikern, Schmieden, Chemikern u. s. w., die hier täglich mit vieltausend Pferdekraft des Dampfes und mechanischer Hebel (ohne die Soldaten und Offiziere) arbeiten. Es war ein schauerlich-nässender, nebeliger, kurzer Tag, und wir wurden außerdem mißtrauisch von Ort zu Ort gehetzt; als sollten wir nichts ordentlich ansehen und der tiefen Kriegsweisheit in die Karten gucken. Bei diesem Natur- und Diplomatennebel! Ungegründetes Mißtrauen, wenigstens was mich betrifft. Mir Kurzsichtigem sind alle Eindrücke wieder zu einem dicken Chaos von Nebel verschwommen, blos die Lufteisenbahn nicht, die man uns länger sehen und vor unsern Augen operiren ließ, wobei sie ein englischer Künstler sofort mit allem Zubehör der Umgebung zeichnete, worauf sie in Holz geschnitten ward, wie wir sie hier sehen. Ich glaube, das Ding wird uns nun mit einem Blicke klar. Nichts Einfacheres [50] und Simpleres als diese Lufteisenbahn. Wenn Einer an einem schief herabgespannten Stricke herunterrutscht, hat er das Modell und die Praxis der Lufteisenbahn sofort beisammen. Simpel, aber doch und just deshalb sehr praktisch und von wichtiger Bedeutung. Man braucht jetzt nicht mehr, wo’s aus andern Gründen nicht nöthig und nützlich ist, Berge zu durchbrechen, Tiefen auszufüllen, Brücken über Flüsse zu bauen. Man führt die Lufteisenbahn sofort nach den Gesetzen der Gravitation und der schiefen Ebene darüber hinweg, läßt sich, wenn’s weiter gehen soll, auf der nächsten Station, wo die schiefe Ebene alle wird, sofort wieder in die Höhe Hebeln, und schnurrt dann den nächsten Lustberg am Schnürchen herunter u. s. w.

In Woolwich rutscht man, wie Figura zeigt, mit einer Last von zwanzig Tonnen sogar bergauf – herunter. Der große Wagebalken nämlich, an dessen beiden Enden die Eisenbahnschnuren von geflochtenem Eisendraht angebracht sind, kann je mit einer Hälfte höher gezogen werden, als die gegenüberliegende Anhöhe mit ihrem entsprechenden, herabgesenkten Wagebalken. Die Last rutscht also in einer Rolle vom Thale aus den Berg herauf – hinunter. An der nächsten Station angelangt, rollt sie in einen Apparat, durch welchen sie sofort auf die nächste, höhere Schnur gehoben wird, so daß sie wieder bergauf hinunter laufen, und so am Ende bis auf die höchste Höhe der sächsischen Schweiz immer bergab hinaufsteigen und dabei Thäler und Flüsse ohne Mühe überspringen könnte. Das Schöne der Erfindung, des französischen Ingenieurs M. Balan, besteht gerade darin, daß man im Bergaufsteigen alle Vortheile des Herabsteigens genießen kann und doch sicher in die Höhe kommt.

Die Lufteisenbahn ist direkte, leibliche Tochter der Krimnoth, zwischen deren Bergen, Felsengeklippe, Schluchten und Schlammen so viele tausend Menschenleben, Lebensmittel, Kanonen, Pferde und millionenfache Werthe stecken blieben, weil man mit allen Wundern der Mechanik nicht hindurch und darüber hinwegkommen konnte. Es ist aber sofort klar, daß die Erfindung auch für alle Operationen und Locomotionen in bergigen, schluchtigen, morastischen, von Wasser und Strömen behinderten Gegenden von der größten Wichtigkeit sein, und diese unendlich erleichtern und wohlfeilern muß.

Man hat gefunden, daß die Lufteisenbahn überall in beliebiger Länge gezogen werden kann, wo die Entfernung der einzelnen Stationen nicht über 400 Yards ausgedehnt zu werden braucht, so daß sich also schon ziemlich breite Flüsse und Thäler durch die Luft überbrücken und in Lasten und Ladungen von je 400 bis 450 Centner durchlaufen lassen und zwar in beiden Richtungen, da man mit den beweglichen Stationsbalken die schiefen Ebenen bald nach der einen, bald nach der andern Seite herab senken kann. Notabene, hat man auch bereits angefangen, innerhalb der luftigen Schienen Kupferdrähte einzuflechten, womit man sofort einen elektrischen Telegraphen hin und her correspondiren lassen kann.

Der Apparat in Woolwich ist zunächst noch eine einfache Station, auf welcher man vor meinen Augen große Bausteine für Batterien, Kisten und Kugeln, riesige Bomben, Baumaterialien aller Art spielend hin und hergleiten ließ. Also handgreifliche Demonstration, daß man ohne Plack und Qual, ohne Pferde- und Dampfkraft Personen und Sachen vielcentnerweise eben so leicht und leichter blos vom Gesetze der Schwere durch die Lust spediren kann, wie jetzt mit Kosten und Gefahren vermittelst Pferde- und Dampfkraft. Das Gesetz der Schwere kostet gar nichts, wie die Natur denn überhaupt Alles umsonst giebt. Jede andere Art zu reisen, und sei es die wohlfeilste, vermittelst der „Gebrüder Beenecke,“ ist ziemlich kostspielig, wie man mit Erstaunen erfahren würde, wenn man berechnete, wie viel Kraft ein Mensch schon confirmirt, nur um gemächlich von Berlin nach Schöneberg oder von Leipzig nach Eutritzsch zu spazieren.

Für den Furchtsamen und mathematisch Uneingeweihten, der sich jetzt schon vornimmt, auf der künftigen Luftrutschbahn nicht mitrutschen zu wollen, weil etwa die Leute an jedem ablaufenden Ende der schiefen Ebene unsanft mit den Nasen zusammenstoßen müßten, bemerken wir noch, daß die biegsamen Verbindungstaue, an denen man hinabrutscht, nicht genau eine schiefe Ebene bilden, sondern so construirt sind, daß sie sich am Ende wieder so viel erheben, um das Gesetz der beschleunigten Geschwindigkeit beim Falle so zu neutralisiren, daß die herabrollende Last nur eben bergauf so weit getrieben wird, um sich vom nächsten Balken wieder zur nächsten Station in die Höhe hebeln zu lassen, daß also der ganze Apparat eine genaue, angewandte Mathematik ist mit wissenschaftlicher Berechnung aller mitspielenden Gesetze. Also nur immer gleich frisch mit hinein in den ersten Lufteisenbahnzug, so bald es losgeht. Und ich sollte meinen, es wäre keine schlechte Speculation, irgendwo vor der Stadt draußen eine solche Luftrutschbahn zunächst zum Vergnügen der Leute zurecht zu machen, 1 Sgr. pro Rutsch und Person, Kinder die Hälfte, im Abonnement viel billiger.



  1. Darüber ein andermal genauer, wenn die Patentirungen u. s. w. in Ordnung sind und wir diesen vom Himmel gestohlenen Prometheusfunken durch Abbildung anschaulich machen können.