Zum Inhalt springen

Die Mädchen von Colberg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Lavant
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Mädchen von Colberg
Untertitel:
aus: In Reih und Glied
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 155–159
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[155]
Die Mädchen von Colberg.

(1886.)

Gen Jena zog der Preußen Macht
In siegesfrohen Schaaren ...
Zerstoben ist in einer Schlacht
Der Ruhm von sieben Jahren.

5
Auf Gras und Kraut lag blut’ger Thau,

Weithin verstreut die Waffen ...
In Schutt und Trümmer sank der Bau,
Den Geist und Kraft geschaffen.

[156]
Noch blieb ein Damm vor Feindesfluth –
10
Die alten stolzen Vesten.

Man wähnte sie in sichrer Hut
Der Treuesten und Besten.

Doch formte man aus schlechtem Teig
Die Führer wackern Streitern;

15
Sie öffneten verzagt und feig

Das Thor vor wenig Reitern.

Es trat das heiße Roth der Scham
Nicht in der Greise Wangen;
Sie gaben ohne Groll und Gram

20
An Knaben sich gefangen.


Aus Elb’ und Oder tränkten schon
Die Franken ihre Pferde;
Der Name „Preußen“ war ein Hohn
Für jedes Volk der Erde.

25
Der Stern von Roßbach, er verblich

In einer Nacht von Schande;
Nur da und dort ermannte sich
Ein Held zum Widerstande.

Wo Magdeburg, die starke, sich

30
Ergab mit Wall und Thürmen,

Da hielt sich Colberg ritterlich
Und trotzte allen Stürmen.

Da stellte sich zu Gneisenau
Ein Mann mit derben Knochen;

35
Der litt es nicht, daß feig und lau

Ein Bürger sich verkrochen.

[157]
Wie in den Raaen und auf Deck

Er niemals Furcht empfunden,
Hielt sich der alte Nettelbeck

40
Auch in des Kampfes Stunden.


Doch endlich kam die bleiche Noth –
Da nützte kein Versprechen;
Der Hunger wühlt, der Hunger droht
Den Widerstand zu brechen.

45
Selbst Nettelbeck ward ernst und still

Und sorgenvoll die Miene,
Da noch kein Schiff sich nahen will,
Das füllt die Magazine.

Doch als man schon zu murren wagt

50
Und von Ergebung munkelt,

Da naht ein Schiff, vom Feind gejagt ...
Der Stern der Rettung funkelt!

Der Nettelbeck erspäht’s vom Thurm
Und fühlt die Brust sich schwellen,

55
Doch draußen tost und tobt der Sturm

Und will das Schiff zerschellen.

Wagt sich kein Lootse kühn hinaus
Ins Wogenmeer zur Rhede,
So sinkt das Schiff mit Mann und Maus,

60
So endet alle Fehde.


Zum Hafen stürzt der Brave schon,
Im Auge helle Flammen,
Und ruft mit seinem Donnerton
Die Lootsenschaar zusammen.

65
[158]
Doch in den Adern stockt das Blut

Bei dieses Sturmes Pfeifen,
Und Keiner, Keiner hat den Muth,
Das Ruder zu ergreifen.

Er mahnt und bittet, flucht und droht,

70
Der Lootsen Sinn zu wenden.

Indessen steigt der Schiffer Noth,
Die Schuß auf Schuß entsenden.

Da flackert’s auf wie bittrer Hohn
In seiner düstern Miene;

75
Er ruft: „Geduld, ich komme schon!

He, Dörte, Lene, Trine!

„Die Hasenherzen sind voll Schreck –
Sie können Muth nicht fassen;
Sagt, wollt den alten Nettelbeck

80
Auch ihr im Stiche lassen?“


Er springt ins Boot, die Dirnen nach –
Sie kennen kein Erblassen;
Man sieht sie zu der Lootsen Schmach
Stramm nach den Rudern fassen.

85
Mit blauen Augen, frisch und klar,

Fünf wetterfeste Dirnen!
Es legt das blonde krause Haar
Sich in gebräunte Stirnen.

Sie haben in den Knochen Mark,

90
Im jungen Herzen Feuer,

Und Nettelbeck hält kühl und stark,
Entblößten Haupts das Steuer.

[159]
Es kämpfen durch den Wogenschwall

Sich bis zum Schiff die Braven

95
Und Rettelbeck bei Glockenschall

Führt’s sicher in den Hafen.

Und tausend Hände bargen frisch
Was unter Deck gebettet;
Man hatte Brot nun auf dem Tisch

100
Und – Colberg war gerettet.


Wohl ist des Großen viel geschehn
Danach im Vaterlande,
Doch soll darum dies Bild bestehn
Aus einer Zeit der Schande.

105
Man mag der höchsten Ehre Zoll

Dem Alten zuerkennen,
Jedoch vor Weinsbergs Weibern soll
Man Colbergs Mädchen nennen!

Anmerkungen (Wikisource)

Erstmals abgedruckt in:

  • Illustrirter Neue Welt-Kalender für das Jahr 1886.

Joachim Nettelbeck galt im 19. Jahrhundert in Preußen aufgrund der erfolgreichen Verteidigung Kolbergs 1807 gegen die napoleonischen Truppen als Nationalheld. Quelle des Gedichts war wohl die viel gelesene Autobiographie Nettelbecks S. 303 der bei zeno.org wiedergegebenen Ausgabe von 1930.