Die Mädchen von Colberg
(1886.)
Gen Jena zog der Preußen Macht
In siegesfrohen Schaaren ...
Zerstoben ist in einer Schlacht
Der Ruhm von sieben Jahren.
Weithin verstreut die Waffen ...
In Schutt und Trümmer sank der Bau,
Den Geist und Kraft geschaffen.
Man wähnte sie in sichrer Hut
Der Treuesten und Besten.
Doch formte man aus schlechtem Teig
Die Führer wackern Streitern;
Das Thor vor wenig Reitern.
Es trat das heiße Roth der Scham
Nicht in der Greise Wangen;
Sie gaben ohne Groll und Gram
Aus Elb’ und Oder tränkten schon
Die Franken ihre Pferde;
Der Name „Preußen“ war ein Hohn
Für jedes Volk der Erde.
In einer Nacht von Schande;
Nur da und dort ermannte sich
Ein Held zum Widerstande.
Wo Magdeburg, die starke, sich
Da hielt sich Colberg ritterlich
Und trotzte allen Stürmen.
Da stellte sich zu Gneisenau
Ein Mann mit derben Knochen;
Ein Bürger sich verkrochen.
Er niemals Furcht empfunden,
Hielt sich der alte Nettelbeck
Doch endlich kam die bleiche Noth –
Da nützte kein Versprechen;
Der Hunger wühlt, der Hunger droht
Den Widerstand zu brechen.
Und sorgenvoll die Miene,
Da noch kein Schiff sich nahen will,
Das füllt die Magazine.
Doch als man schon zu murren wagt
Da naht ein Schiff, vom Feind gejagt ...
Der Stern der Rettung funkelt!
Der Nettelbeck erspäht’s vom Thurm
Und fühlt die Brust sich schwellen,
Und will das Schiff zerschellen.
Wagt sich kein Lootse kühn hinaus
Ins Wogenmeer zur Rhede,
So sinkt das Schiff mit Mann und Maus,
Zum Hafen stürzt der Brave schon,
Im Auge helle Flammen,
Und ruft mit seinem Donnerton
Die Lootsenschaar zusammen.
Bei dieses Sturmes Pfeifen,
Und Keiner, Keiner hat den Muth,
Das Ruder zu ergreifen.
Er mahnt und bittet, flucht und droht,
Indessen steigt der Schiffer Noth,
Die Schuß auf Schuß entsenden.
Da flackert’s auf wie bittrer Hohn
In seiner düstern Miene;
He, Dörte, Lene, Trine!
„Die Hasenherzen sind voll Schreck –
Sie können Muth nicht fassen;
Sagt, wollt den alten Nettelbeck
Er springt ins Boot, die Dirnen nach –
Sie kennen kein Erblassen;
Man sieht sie zu der Lootsen Schmach
Stramm nach den Rudern fassen.
Fünf wetterfeste Dirnen!
Es legt das blonde krause Haar
Sich in gebräunte Stirnen.
Sie haben in den Knochen Mark,
Und Nettelbeck hält kühl und stark,
Entblößten Haupts das Steuer.
Sich bis zum Schiff die Braven
Führt’s sicher in den Hafen.
Und tausend Hände bargen frisch
Was unter Deck gebettet;
Man hatte Brot nun auf dem Tisch
Wohl ist des Großen viel geschehn
Danach im Vaterlande,
Doch soll darum dies Bild bestehn
Aus einer Zeit der Schande.
Dem Alten zuerkennen,
Jedoch vor Weinsbergs Weibern soll
Man Colbergs Mädchen nennen!
Anmerkungen (Wikisource)
Erstmals abgedruckt in:
- Illustrirter Neue Welt-Kalender für das Jahr 1886.
Joachim Nettelbeck galt im 19. Jahrhundert in Preußen aufgrund der erfolgreichen Verteidigung Kolbergs 1807 gegen die napoleonischen Truppen als Nationalheld. Quelle des Gedichts war wohl die viel gelesene Autobiographie Nettelbecks S. 303 der bei zeno.org wiedergegebenen Ausgabe von 1930.