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Mutterliebe (Lavant)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Mutterliebe
Untertitel:
aus: In Reih und Glied
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 153–155
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
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[153]
Mutterliebe.


„Was suchst du in der Einsamkeit
Mit deinem Kinde, junge Mutter,
Von jeder Menschenhilfe weit?"
Für ihre Kuh ein wenig Futter.

5
Sie klomm, die Sichel in der Hand,

Empor auf schmalen steilen Steigen,
Bis sie an wildem Abgrund stand –
Rings kahle Höh'n und tiefes Schweigen.

Hier pocht kein drittes Menschenherz,

10
Kein Menschenlaut verweht im Winde –

Nur sie mit Schmeichellaut und Scherz
Spricht bei der Arbeit zu dem Kinde.

[154]
Des Wildbachs dumpfes Tosen dringt

Zu ihr empor wie leises Rieseln,

15
Und in der Morgenstille klingt

Wie Uhrgetick der Fall von Kieseln.

Nur über Schnee und Nagelflue
Läßt achtlos sie die Blicke schweifen –
Aus weiter Ferne ab und zu

20
Des Murmelthieres warnend Pfeifen;

Und in den Schlummer lullt ihr Kind
Der Wasser monotones Fallen,
Der frische, kühle Morgenwind
Und ferner Herdenglocken Hallen.

25
Da horch! ein langgezogner Schrei,

Ein Schrei der Angst, ein Schrei des Zornes -
Die Adlermutter schießt herbei
Vom höchsten Punkt des nächsten Hornes,
Denn eine Spalte in der Wand,

30
Erreichbar mittelst eines Sprunges,

Sie birgt, wo Keiner noch ihn fand,
Den Horst und in dem Horst ihr Junges.

Nun hoffe nicht, daß dich die Flucht
Hinab zur nächsten Hütte trage!

35
Es stieße dich in eine Schlucht

Der Aar mit mächt'gem Flügelschlage.
Du mußt der zweiten Mutter stehn,
Dem Fangesschlag, dem Schnabelhiebe -
Du mußt in ihren Augen sehn,

40
Die dich beseelt, die Mutterliebe!


[155]
Dein Fuß steht fest, ob er auch nackt,

Stark ist dein Arm, der sehnenstraffe,
Und nun mit raschem Griff gepackt
Die Sichel, deine einz'ge Waffe!

45
Dich und dein Kind bewahrt dein Muth

Vor jähem Sturz ins Reich der Grüfte –
So triff sie sicher denn und gut,
Die Räuberkönigin der Lüfte!

Und wenn sich unter deinem Stoß

50
Die Herzenswunde tödtlich weitet,

Wie sinkt sie, noch im Fallen groß,
Das stolze Schwingenpaar gebreitet!
Auf Steinen, zackig, rauh und kahl,
Wird in der Schlucht ihr Leib gebettet –

55
Du aber schreitest froh zu Thal,

Du und dein Kind, durch dich gerettet!


Anmerkungen (Wikisource)

Ebenfalls abgedruckt in:

  • Illustrirter Deutscher Jugendschatz. Eine Festgabe für Knaben, Jünglinge, Mädchen und Jungfrauen. Hrsg. Hasenclever, Verlag Leipzig: E. Thiele, 1.Auflage 1887, 2.Auflage 1893, Seite 158/159.
  • Lichtstrahlen der Poesie. Gedichtsammlung. Ausgewählt von Max Kegel. Illustriert von Otto Emil Lau.1890.S.150-153. digital
  • Neue Illustrirte Zeitung für Gabelsberger'sche Stenographen. 7. Jahrgang, 1891, Nr.7, Seite 100.
  • Lavant, Rudolf (d. i. Richard Cramer): Gedichte. Hrsg. v. Hans Uhlig. Berlin, Akademie Verlag 1965 (Seite 64).