Die Marienburg (Die Gartenlaube 1899)

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Autor: Ernst Wichert
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Titel: Die Marienburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21–22, S. 671–675, 684–688
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[671]

Die Marienburg.

Von Ernst Wichert. Mit Abbildungen nach Photographien von H. Ventzke in Rathenow.

Um Marienburg von Berlin aus zu erreichen, bedurfte es früher einer mehrtägigen, beschwerlichen Postreise; heute genügt hierzu eine bequeme Schnellzugfahrt von acht Stunden. Das ist keine Entfernung mehr, und doch sind die Fälle wohl noch immer verhältnismäßig selten, in denen ein Reisender, der die Reichshauptstadt besichtigt hat, oder ein Reichshauptstädter selbst sich zu einem „Abstecher“ dorthin (und nach dem nahen Danzig) entschließt. Wer die Ostbahn benutzt, um in Königsberg und weiter in Rußland seinen Geschäften nachzugehen oder in umgekehrter Richtung deutsche Bäder und ferne Länder zu besuchen, begnügt sich meist mit einem Blick durch das eiserne Maschenwerk der langen Nogatbrücke auf Schloß und Städtchen am Ufer; und doch läßt sich dreist behaupten, daß es niemand bereuen würde, da abgestiegen zu sein und einige Stunden seiner noch so kostbaren Zeit geopfert zu haben. Denn was sich ihm bietet, ist etwas Außergewöhnliches und geradezu Unvergleichliches, ein in die Gegenwart zurückgezaubertes Stück Mittelalter von mächtigster Form und nachdenklichstem Inhalt.

Es darf nicht vergessen werden, daß der Deutsche Orden, der sich in blutigen Kämpfen mit den heidnischen Preußen und Litauern das Nordostland erobert hatte, im 14. Jahrhundert und bis zur unglücklichen Schlecht bei Tannenberg 1410 eine Großmacht war und daß in „Haus Marienburg“ (die Bezeichnung Schloß war den Rittern fremd) die Hochmeister des Ordens 145 Jahre lang residierten. Wie sah das Haupthaus dieser höchst eigenartigen ritterlich-mönchischen Körperschaft aus, die gewaltigste Landesfeste, und wie die Wohnung ihres fürstlichen Oberhauptes? Jetzt nach der glücklichsten Restauration haben wir wieder die ganze Herrlichkeit dieses stolzen Baues vor Augen, von dem die Geschichtschreiber erzählen und der bis in den Anfang unseres Jahrhunderts hinein, in seinem wichtigsten Teil sogar noch vor kurzem, nach traurigem Verfall nur als mißachtete Ruine dalag, kaum dem Kenner verständlich.

Zwar völlig deckt sich das heutige Bild der Gesamtanlage nicht mit dem, das sich den deutschen Gästen bot, die zur „Kriegsreise“ anlangten und in der Marienburg festlich bewirtet wurden. Damals führte eine Pfahlbrücke zum festen Brückenthor zwischen zwei Rundtürmen, und wo sich jetzt die Stadt mit ihren freundlichen Häusern, soweit sie die furchtbare Feuersbrunst nicht jüngst zerstörte, um das Schloß herumzieht, starrten Festungswerke mit doppelten oder gar dreifachen Mauern und einem Kranz von Türmen um die weit nach links (Nordost) ausgebaute Vorburg, die mit ihren vielen Werkstätten zur Bereitung von Kriegsmaterial, mit ihren Speichern, Stallungen und Beamtenwohnungen selbst einer Stadt glich. Aber die Hauptbaulichkeiten, das „obere“ oder „rechte“ Haus (Hochschloß) und das „mittlere“ Haus mit der „Hochmeisterwohnung“, unterschieden sich sicher nicht wesentlich in ihrer äußeren Gestalt, jetzt auch nicht mehr in der inneren Einrichtung. Das Schloß Marienburg von heut’ ist, nach Möglichkeit getreu, das Ordenshaupthaus, in welchem Winrich von Kniprode glänzend Hof hielt und Ulrich von Jungingen den Kampf gegen Polen rüstete.

  Brückenthor.   Herren-Dansk.       Stadtkirche.
Die Marienburg von Südwest.
Nach einer photographischen Aufnahme von H. Ventzke in Rathenow.

[672] Voran ging eine fast hundertjährige Bauzeit mit allmählichem Wachstum und vielfachen Veränderungen, und es folgten drei Jahrhunderte des erst langsamen, dann rapiden Verfalls. Auch die Wiederherstellung im letzten Säkulum hat ihre interessante Baugeschichte.

Das Mittelschloß: Rechter Giebel der Nordseite.

Nachdem der zweite Aufstand der heidnischen Preußen blutig niedergeschlagen war, wurde von dem Landmeister des deutschen Ordens Konrad von Thierberg um 1276 bis 1280 zur besseren Sicherung des Landes auf dem hier etwa 70 Fuß hohen rechten Nogatufer eine Feste erbaut, welche nach der Schutzpatronin des Ordens den Namen Marienburg erhielt. Dieses „Hus“ bestand aus einem fast quadratischen Viereck (außen 190:160 Fuß) von festen Gebäuden, von denen die zwei ungefähr nach Norden und Süden gelegenen die Giebel gegen den Fluß richteten, die beiden anderen zwischeneingebaut waren. Sie umgaben einen Hof, 102 Fuß lang und 85 Fuß breit, auf welchem ein gemauerter Brunnen stand. Arkaden in zwei Stockwerken liefen innen rundum und vermittelten den Zugang zu den verschiedenen Gemächern. An der Südwestspitze trat, schräge gestellt, ein starkes mit einem viereckigen Turm über dem schnellfließenden Mühlgraben abschließendes Gemäuer vor, der als Latrine benutzte „Herren-Dansk“. Nördlich schloß sich eine Vorburg an, südlich die Stadt, ebenfalls durch betürmte Mauern und Gräben befestigt. Die Weichsel- und Nogatdämme, durch welche 30 Quadratmeilen fruchtbares Land gewonnen wurden, entstanden erst in den Jahren 1288 bis 1294 unter Meinhart von Querfurt.

Als dann 1309 der Hochmeister Siegfried von Feuchtwangen den Regierungssitz von Venedig nach der Marienburg verlegte, ergab sich die Notwendigkeit einer Erweiterung der ursprünglich nur für einen Konvent von zwölf Rittern bestimmten Baulichkeiten von selbst. Es wurde deshalb die Vorburg weiter nach Norden vorgeschoben, und zwischen das obere Haus und sie ein „mittleres“ Haus, bestehend aus einem gegen das erstere offenen und von ihm nur durch einen tiefen Graben getrennten Viereck von Gebäuden, eingelegt, diesem darauf auch gegen die Nogat hin ein palastartiger Bau zur Hochmeisterwohnung vorgebaut. Zugleich wurde das obere Haus teilweise erhöht, mit Türmchen an den Giebeln und einem über 150 Fuß hohen Glockenturm in der Ecke neben der Schloßkirche geschmückt und diese selbst durch einen Vorbau über den Parchan (Rundgang außerhalb der Schloßmauer) hin über der St. Annenkapelle und der Hochmeistergruft erweitert, im Inneren der Zugang zur Kirche durch Einfügung der „Goldenen Pforte“ würdiger gestaltet. Diese Neubauten mochten in der Mitte des 14. Jahrhunderts vollendet sein. Winrich von Kniprode endlich krönte das Werk dadurch, daß er das bis dahin aus bemaltem Stuck bestehende, 26 Fuß hohe Muttergottesbild in der äußeren Nische des polygonen Abschlusses der Annenkapelle und Schloßkirche mit farbigem Mosaik überziehen ließ.

So stand die Burg, ein Wunder gotischer Architektur im Ziegelbau und mittelalterlicher Befestigungskunst, als Heinrich von Plauen, ihr heldenmütiger Retter, sie gegen den wilden Ansturm von 60000 Polen unter König Jagello siegreich verteidigte. Damals soll der Büchsenmeister, der sein Geschütz auf das Marienbild richtete, auf der Stelle erblindet sein, damals auch eine noch heute in der Wand steckende Steinkugel die einzige Säule, auf welcher das Gewölbe des Sommerremters ruht und auf deren Zertrümmerung bei einer Versammlung der Ritter es abgesehen war, nur um ein geringes gefehlt haben. So stand die Burg auch, als 1457 Ludwig von Erlichshausen, der letzte Hochmeister, welcher sie bewohnte, mit Schmach bedeckt und blutige Thränen weinend, mit den letzten Rittern auszog, nachdem das Land vom Orden abgefallen war und die nicht bezahlten böhmischen Söldner ihren Pfandbesitz an den Polenkönig und die Städte Thorn und Danzig verkauft hatten.[1]

  Der Pfaffenturm.
Die Schloßkirche.

Es folgten dreihundert Jahre polnischer Herrschaft. Mährend derselben verlor die Marienburg als Festung gänzlich ihre Bedeutung; die Werke nach den Regeln der neueren Befestigungskunst umzugestalten, fehlte es an Geld und gutem Willen. Nur die „großen Städte“, Danzig, Thorn, Elbing, deren Handelsvorteil der Anschluß an Polen begünstigte, nahmen einen Aufschwung und behaupteten längere Zeit eine gewisse Unabhängigkeit; der „Adel“ polonisierte sich mehr und mehr, die „kleinen Städte“, zu welchen auch Marienburg gehörte, gerieten rasch in den traurigsten Verfall; das „Land Preußen“, anfangs staatsrechtlich nur in Personalunion mit Polen, verkümmerte bald als polnische Provinz. Der Hochmeisterpalast wurde für den Besuch der Könige notdürftig instand gehalten; für die übrzgen Teile des Schlosses geschah nichts, wenn auch absichtliche Beschädigungen unterblieben. In längeren Zeiträumen gab es amtliche Revisionen, deren erhaltene „Lustrationen“ (Beschreibungen) den jedesmaligen Zustand erkennen lassen. Danach hatte die Marienburg bis 1565 freilich keine erhebliche Veränderung erlitten; schon 1649 aber fanden sich die Mauern verfallen, die Gräben verschüttet, [673] im Hochschloß Süd- und Ostflügel ohne Bedachung, ein Giebel eingestürzt, Gewölbe eingeschlagen, ein Teil des Turmes mit Glocken und Uhr vernichtet, der Brunnen unbrauchbar gemacht, das Gewölbe der Kirche rissig, nur das Mittelschloß noch ziemlich erhalten und bewohnt; 1724 war nur noch eine Ruine sichtbar.

Das Hochschloß von Nordwest.

Die Schweden hausten 1626 und nochmals 1655 bis 1660 im Schlosse arg und zerstörten Teile der Befestigung durch Minen. Schatzgräber trieben ihr Unwesen. Den Hauptschaden aber verursachte ein Brand im „rechten“ Schlosse 1644, hervorgerufen durch Unvorsichtigkeit. Als nämlich zur Feier des Fronleichnamsfestes im Wehrgang die Kanonen gelöst wurden und unten in der Stadt eine Prügelei entstand, warfen der Büchsenmeister und seine Gesellen die brennenden Lunten fort und liefen neugierig hinab. Das Holzwerk entzündete sich, und bald stand das ganze Dach in Flammen, beim Zusammenbrechen die oberen Gewölbe einschlagend und die Arkaden teilweise zerstörend. An ein Löschen des Feuers war nicht zu denken gewesen; eine Wiederherstellung des Baues wurde nicht einmal versucht. Man begnügte sich, übrigens erst nach 60 Jahren, mit einem schwachen Notdach, das auch nur kurze Zeit Schutz gewährte.

Die eigentliche Zerstörung durch Menschenhand erfolgte aber erst, als das Weichselland 1773 an Preußen gekommen war. Zwar wurde noch die Huldigung der Stände in dem dreisäuligen Konventsremter des Mittelschlosses abgehalten, bald aber dieser herrliche Raum als Exercierhaus, Strafanstalt, zum Spießrutenlaufen, als Reitschule und Gefängnis benutzt, 1814 zur Feier des Pariser Friedens durch eine hölzerne Fußdecke in der Höhe der Säulen geteilt, endlich der obere Raum auch zum Komödiespiel vergeben. Ebenso war der große Remter der Hochmeisterwohnung durch eine Decke halbiert, jede der beiden Etagen wieder durch Wände in mehrere Räume geteilt, die zur Wollspinnerei und als Elementarschule gebraucht wurden. Friedrich der Große hatte den Marienburgern die Wahl einer höheren Lehranstalt oder eines Regiments Soldaten freigestellt. Sie entschieden sich für das letztere.

Das Mittelschloß (Hochmeisterschloß) von Nordwest.

Infolgedessen wurde das Hochschloß in eine Kaserne umgestaltet, was das Ausschlagen von 165 Fenstern für 111 Stuben nebst Kammern und Küchen in jetzt fünf Etagen notwendig machte. Die Gewölbe wurden meist noch geschont. Sie fielen erst, als gegen Ende des Jahrhunderts die Kaserne sich in ein Getreidemagazin mit einer Reihe von Schüttungen übereinander verwandelte. Von dem alten Bau wären nur noch die Grundmauern übriggeblieben. – Die erste Anregung zur Renovation wenigstens der Prachträume im alten Hochmeisterschloß und der Kirche im Hochschloß gab der verdiente Oberpräsident von Schön in einem am 22. November 1815 an den Kanzler von Hardenberg gerichteten Schreiben. Es heißt da: „Dieses schöne Denkmal einer Zeit, in welcher die Begeisterung für das Heiligste erhabene Bilder schuf, kühne und große Ideen weckte und dem Menschen Beharrlichkeit und Kraft zu ihrer Ausführung gab, zugleich ein würdiges Zeugniß von dem Standpunkt damaliger Bildung und ein von jedem Kenner gepriesenes seltenes Werk der Baukunst, ist … zertrümmert und in Kasernen und Magazine verwandelt.“ Einige Jahre darauf begann wirklich eine reiche Bauthätigkeit. Der Staat, die Provinz, verschiedene Korporationen und Private steuerten bei, und so zeigte sich denn in den vierziger Jahren der Palastbau und ein Teil des Kirchenflügels im rechten Hause im ganzen glücklich wiederhergestellt. Eine neue Bauthätigkeit mit größeren Mitteln, schließlich durch eine Lotterie aufgebracht, begann nach dem Kriege von 1870 bis 1871, besonders seit der Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich, sich mit der ihm eigenen Wärme des schönen Werkes anzunehmen anfing und der damalige Kultusminister von Goßler ihm die dankenswerteste Unterstützung zuwendete. Glücklicherweise fand sich in dem Baurat Steinbrecht der rechte Mann für die geistige Ausspürung und dann auch praktische Herstellung des ursprünglichen Zustandes der so arg zerstörten Burg, und jetzt zeigt sie sich wieder dem staunenden Beschauer, abgesehen von einigen Teilen des Mittelschlosses, in [674] ihrer alten Herrlichkeit äußerlich und innerlich, soweit wenigstens die Architektur ihre Aufgabe zu erfüllen hatte.

Das äußere Einlaßthor zum Hochschloß
vom Hof des Mittelschlosses aus.

Unternehmen wir nun einen Rundgang um die äußeren Mauern, beginnend bei der Brücke, die vom Hof des Mittelschlosses zum äußeren Einlaßthor des Hochschlosses führt. Es ist von zwei Türmchen überhöht. Rechts und links ragen die mit gotischem Maßwerk kunstvoll verzierten Spitzgiebel der beiden anderen Flügel auf. In diesem Querhause befanden sich zur Ordenszeit die Firmarie (Krankenhaus der Ritter) und die Gemächer des Großkomturs. Zwei Türme flankieren gegenüber den Ecken den Graben. Links herum gehen wir entlang dem Ostflügel, welcher die noch nicht restaurierten Gastkammern enthielt und mit der kleinen St. Adalbertkapelle nach dem Hofe hin abschloß. Weiter zwischen dem mittleren und dem rechten Hause erhebt sich über den tiefen, beide Baulichkeiten trennenden Graben der 80 Fuß hohe „Pfaffenturm“, in welchem die Priesterbrüder ihre Wohnung hatten, von denen mehrere zu jedem Konvent gehörten. Nun tritt der Vorbau uns entgegen, in welchem sich die St. Annenkapelle und darüber die Schloßkirche befindet. Die drei Abschlüsse des Polygons und die Seitenwände sind mit Spitzgiebeln gekrönt. In der Nische vorn steht das auf unserer Abbildung Seite 672 deutlich erkennbare mächtige Marienbild, ein Wunderwerk seiner Zeit. Eine Restauration unter Schön hatte nicht den erhofften Erfolg, da das benutzte Bindemittel der Feuchtigkeit schlecht widerstand. Besser geglückt scheint die 1869 von Dr. Salviati in Venedig unternommene zu sein. Das die ganze Statue und auch den Hintergrund der Nische überziehende Mosaik besteht aus farbigen kubischen Emailpasten, von denen die vergoldeten noch mit einer dünnen Glasschicht überzogen sind. Maria trägt ein goldenes Gewand, einen roten, mit goldenen Vögeln gemusterten, blaugefütterten Mantel; sie ist durch Krone und Scepter als Himmelskönigin bezeichnet. Auch das Christuskind ist gekrönt und hält in der Linken die Weltkugel. Die großartigen Linien des Faltenwurfs, sagt ein berühmter Kunstkenner, stimmen sehr wohl mit dem Ernste, den das Angesicht der Himmelskönigin trägt, und dieser Ernst ist wieder sehr glücklich durch die Schönheit edelster Formbildung gemildert, die sich glücklicherweise in der ganzen Gestalt wie in der sorgfältigen Anordnung der verschiedenartigen Gewänder zeigt. Die gleichen Vorzüge teilt auch die Farbengebung der Mosaiken, welche ebenso glänzend wie harmonisch ist.

Unseren Weg, entlang dem heut’ mit alten Bäumen bewachsenen Graben, fortsetzend, blicken wir um die wieder mit einem prächtigen Giebel ausgestattete Südostecke auf die nach der Stadt führende hölzerne Laufbrücke, welche schon zur Ordenszeit bestand, und auf den aus der folgenden Ecke herauswachsenden Herren-Dansk. Hier versuchte, als Ludwig von Erlichshausen das Schloß verlassen hatte, sein tapferer Soldhauptmann Bernhard von Zinnenberg mit den Marienburgern unter ihrem treuen Bürgermeister Blume den nächtlichen Sturm; das gewaltige, den Parchan schließende Mauerwerk des Dansk hielt sie auf. – Der Westflügel des Hochschlosses endlich, dessen Dach von den beiden Eckgiebeln überragt wird, kehrt sich dem Flusse zu und ist durch sechs hohe Blendbogen ausgezeichnet, innerhalb deren die kleinen Fenster unregelmäßig eingelegt sind. Ueberall sind die massigen Mauern durch Streifen und andere Muster von schwarzglasierten Ziegeln belebt. Oben herum läuft ein schöner Fries, und darüber erhebt sich bis unter das Dach eine Art von Attika mit fast quadratischen Fensteröffnungen für den Wehrgang.

Das etwas tiefer gelegene Mittelschloß steht ganz frei und fesselt durch den palastartigen Vorbau den Blick. Zwei riesige Eckpfeiler tragen ein weitausladendes, sich wie eine Blume aufblätterndes Steingesims mit Zinnenkranz. Dazwischen tritt die Mauer in vier tiefe Nischen zurück, in welcher die hier nach oben geradlinig abgeschnittenen Fenster liegen. Wundersam sind die drei Zwischenpfeiler da, wo die großen Fenster der hochmeisterlichen Prunkgemächer ihre Lage haben, durch zierliche Säulchen unterbrochen, was der sonst schweren Fassade plötzlich den Charakter anmutigster Leichtigkeit giebt. Diese Architektur hat etwas Zauberhaftes, besonders wenn bei schräger Sonnenbeleuchtung sich tiefe Schatten in die Nischen senken und teilweise noch auf den farbigen Fenstern die Lichter spielen. Auch die anderen Seiten zeigen hohe Nischen zwischen kräftigen Pfeilern, jedoch ohne diesen Säulenschmuck. Was war das für ein Baumeister, der dieses Werk erdacht und ausgeführt hat! Wir kennen seinen Namen nicht. Wir wissen auch nicht, wer das obere und wer das mittlere Schloß erbaut hat, dessen Westflügel uns nun die acht farbigen Fenster des großen Konventsremters (Rittersaals) zuwendet, von dem schon gesprochen ist.

Der Hof im Hochschloß mit dem Brunnen.

So haben wir den ganzen Bau umkreist und gelangen wieder zu den das Standbild Friedrichs des Großen umschließenden Gartenanlagen, welche einen Teil der früheren Vorburg einnehmen. Wir wandern nun über die Brücke, durchschreiten den Thorbogen im Nordflügel des Mittelschlosses, den geräumigen Hof desselben und gehen, an der Hinterfront des Hochmeisterpalastes vorbei, über die Brücke, welche über den breiten und tiefen, übrigens auch schon zur Ordenszeit trockenen Graben führt, zunächst nach dem Hochschloß als dem ältesten Bau.

Wir treten in den links von einem Turm, rechts vom Thorhause flankierten Zwinger ein und heben nun den Blick auf den in der Nordwestecke gelegenen Eingang. Da er schräge gegen die Ecke des Hofes hin geführt ist, zieht sich auch die Mauer hier schräge gegen den Eckpfeiler ein. Das Portal ist 15 Fuß breit und wohl dreimal so hoch, bis zum Fries von wechselnden schwarzglasierten und roten Ziegeln eingewölbt. Hier besonders entzückt die „tiefviolett bräunliche Farbe des alten Mauerwerks, teilweise mit zartgrünlicher Patina überzogen.“ Diese hochaufstrebende Spitzbogennische und noch mehr das vertieft liegende und verhältnismäßig niedrige eigentliche Portal von wunderbarer [675] Formbildung und Ausschmückung erinnern den Kenner lebhaft an orientalische Vorbilder, namentlich in Sicilien; der innere Thorbogen besteht aus Granit, über welchen eine Einfassung von Sandstein mit halbrunden Buckeln gelegt ist; der Granitbogen ist umkränzt von einer Reihe kleiner Ziegelbogen zierlichster Form. Wie bei orientalischen Bauwerken häufig, finden sich Inschriften, aus einzelnen quadratischen Ziegelsteinen mit Majuskelbuchstaben zusammengesetzt, welche fortlaufende Friese oder auch Bogeneinfassungen bilden. Es war nicht vergessen, daß der deutsche Orden seine ersten Häuser in Syrien baute.

Durch das finstere Thor blicken wir auf das Spitzdach des Brunnens, welcher nicht ganz in der Mitte des inneren, beinahe quadratischen Hofes steht. Ein Wappenadler erhebt sich darauf. Der Hof ist durch die in zwei Stockwerken ihn rings umgebenden Arkaden, mit Kreuzgängen hinter den gotischen Fenstern, auf jeder Seite um 10 Fuß eingeengt und so nur 82 Fuß lang, 65 Fuß breit. Im Erdgeschoß befinden sich große kellerartige Vorratsräume, Küchen, dicht am Thor ein Wachtlokal und daneben ein Gefängnis, in welchem der litauische Großfürst Witold lange nach der Freiheit geschmachtet haben soll, die er auch endlich in einer Verkleidung erreichte.

Sehenswert ist die St. Annenkapelle im Vorbau des Kirchenflügels. Sie ist doppelt so lang als breit, nur etwa 17 Fuß hoch und mit einem gedrückten, im Rundbogen ausgeführten Sterngewölbe eingedeckt, mit kleinen Kapellen in den starken Umfassungsmauern versehen und durch drei Fenster matt erleuchtet. Zwei einander gegenüberliegende Eingangspforten (vom Parchan her) bilden in der dicken Mauer gewölbte Vorhallen und sind aufs kunstvollste mit Stuckarbeiten, Stabwerk, Blätter- und Tierarabesken, Darstellungen aus der biblischen Geschichte, geschmückt.

Unter dem Fußboden der Kapelle befand sich die Hochmeistergruft. Einige Leichensteine sind noch erhalten, darunter der Heinrichs von Plauen, der als Komtur die Marienburg rettete, zum Dank dafür zum Hochmeister gewählt, aber schon nach drei Jahren, weil er Adel und Städte bei der Landesregierung beteiligen wollte, schmählich abgesetzt wurde und sein Leben als Pfleger der Burg Lochstedt in halber Gefangenschaft endete. In der Annenkapelle hatten die Jesuiten für sich ein niedriges Grabgewölbe errichtet. Um von ihrem quer durch den trockenen Graben zwischen den beiden Schlössern erbauten Wohnhause einen leichteren Zugang zur Stadt zu schaffen, war ein Brettersteg darüberhin quer von einem Fenster zum andern und durch dieselben gelegt worden, wegen des dumpfen Schalls beim Auftreten Böller-(d. h. Polter-)Brücke genannt. Sie wurde noch zu Anfang dieses Jahrhunderts vom Publikum benutzt.

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aus: Die Gartenlaube 1899, Heft 22, S. 684–688

[684] Uns vom Portal des Hochschlosses rechts wendend, gelangen wir zu der Steintreppe, die ins Obergeschoß der Arkaden hinaufführt. Wir treten in den herrlichen Kreuzgang ein, der die Eingänge zum Kapitelsaal und zur Kirche enthält. Die beiden Räume füllen diesen Flügel ganz aus. Das Sterngewölbe des Kapitelsaals ruht auf drei schlanken achteckigen Granitpfeilern und kunstvoll gestalteten, nur wenig ausladenden, pfeilerartigen Kapitälen, an den Wänden aber auf halbachteckigen Pfeilerstücken aus dunklem Kalkstein, die selbst wieder auf verzierten Kragsteinen von hellerem Stein aufstehen. Er erhält sein Licht durch vier hohe Spitzbogenfenster nach der Außenseite hin. Die jetzt noch kahlen Wände waren früher mit den Bildern der Hochmeister bemalt und mit sinnigen Sprüchen beschrieben. Man muß sich rund um den schönen Saal Bänke oder Stühle gestellt denken, auf welchen um den Hochmeister her die Würdenträger des Ordens, der Großkomtur, der Ordensmarschall, der Oberst-Trappier (der für die Bekleidung der Ritter sorgte), der Oberst-Spittler(der die Krankenpflege unter sich hatte) und der Oberst-Tressler (Schatzmeister), ferner die Komture der andern Landesburgen, bei wichtigen Gelegenheiten auch der zugereiste Deutschmeister und der Meister der livländischen Schwertbrüder Platz nahmen, wenn sie bei verschlossenen Thüren des Ordens Heimlichkeit berieten. Hier wurden die Hochmeister gewählt und abgesetzt oder ihres Amtes entlassen, wenn sie seiner schweren Bürde müde geworden. Das Kapitel war in allen Ordensangelegenheiten die oberste Instanz.

Der Kapitelsaal.

Der Kapitelsaal wird von der Kirche nur durch eine Wand getrennt. In derselben findet sich eine einfache Thür, durch welche, wie man annimmt, der Hochmeister nach den Beratungen zum Gottesdienst gleich in die Kirche treten konnte, wo er unter einem von Säulen getragenen, künstlerisch verzierten Vorbau an der andern Seite der Wand vor den versammelten Rittern erschien. Den eigentlichen Eingang zur Kirche bildet die prächtige „Goldene Pforte“. Man sieht sie nicht von dem auf Seite 685 oben dargestellten Kreuzgang dieses Flügels aus; die Thür [685] am Ende desselben führt in ein Vorgemach des großen Turmes, das freilich ebenfalls mit der Kirche Verbindung hat. Von dem anstoßenden Kreuzgang des Ostflügels aber blickt man gerade auf sie hin.

Kreuzgang mit der Thür zum großen Turm.

Diese Goldene Pforte, in der Mitte des 14. Jahrhunderts eingefügt, ist das Entzücken aller Kunstkenner und Laien. Herr von Quast sagt – und ich kann nichts Besseres thun, als ihn hier sprechen lassen: „Das vielgegliederte Portal selbst mit dem Reliefschmuck seiner Säulenkapitäle, und den noch reicheren Figuren und dem Laubwerke, beides von edelster Bildung, an den konzentrischen Leibungen des Spitzbogens, ebenso die so edel wie reich geschmückten Nischen in der Mauerdicke zu beiden Seiten des Portals, wo über Eck- und Mittelsäulchen von trefflichster Profilierung sich phantastische Bogen verschiedenster spitzbogigen und anderer Formbildungen ineinander einlegen und wieder Platz gewähren, um Reliefgruppen einzufassen, gehören schlechthin zu dem Edelsten, was im Ziegelbau geschaffen worden ist. Ja, ich stehe nicht an, es auszusprechen, daß, was zierliche, bis in die einzelnen Formen durchgeführte Detailbildung anbetrifft, mir im gesamten deutschen Ziegelbau nichts vorgekommen ist, was dieser ihren Namen im edelsten Sinne des Wortes mit Recht führenden Goldenen Pforte gleichkäme.“

Die Kirche selbst ist ein im Chor von acht hohen Spitzbogenfenstern von farbigem Glas erleuchteter Raum von etwa 130 Fuß Länge, 30 Fuß Breite und 45 Fuß Höhe. Die Decke zeigt vier quadratische Gewölbsysteme mit Polygonschluß. Vor den Fries, welcher in 13 Fuß Höhe vom Fußboden unter den Fenstern hinläuft, treten 18 Konsolen vor, auf welchen ebenso viele Heilige stehen. Sie haben über sich steinerne Baldachine, auf denen sich Konsolenpfeiler von halbachteckiger Grundform, wie im Kapitelsaal, erheben, mit Kapitälen von Laubwerk abschließend, von denen die Rippen des die ganze Breite des Raumes überspannenden Sterngewölbes aufsteigen. Rundum zieht sich eine Reihe von Spitzbogen mit bemalten Wandfeldern. Die alte Malerei ist unter der Tünche vorgefunden und wird wieder hergestellt. Im Chor stehen die mit Holzschnitzerei verzierten Stühle der Ordensbrüder. An drei Altären konnte gebetet werden. Dazu verpflichtete die Ordensregel die Ritter zu bestimmten Gezeiten des Tages und der Nacht. Ob beim Austritt aus dieser Kirche von der oben erwähnten, auf unserem nebenstehenden Bilde sichtbaren Turmthür, oder aus der Hauskapelle im Mittelschloß der Hochmeister Werner von Orseln am 18. November 1330 von einem Bruder ermordet ist, mag dahingestellt bleiben.

Die Goldene Pforte.

An die Kirche schlossen sich im Ost- und Südflügel die großen Schlafsäle der Ritter. Wie viel Konvente zu zwölf Brüdern die Marienburg hatte, steht nicht fest; man nimmt drei bis vier an. Der Bestand war sicher wechselnd, und die Konvente brauchten nicht immer vollzählig zu sein. Nach den Ordensstatuten schliefen die Ritter gemeinsam in einem des Nachts erleuchteten Raum. Sie hatten nur je einen Bettsack, ein Kissen, ein Betttuch und eine wollene Decke zum Zudecken. Federbetten waren nur den Kranken gestattet, die Brüder schliefen in ihren Unterkleidern. Von der Abend- bis zur Morgenandacht durfte nicht gesprochen werden. War dies in dringenden Notfällen doch erforderlich, so war die Uebertretung des Gebots durch eine geistliche Uebung zu sühnen. Die Thüren des Schlafsaals standen offen. Da die Ritter kein Eigentum besaßen – selbst Kleider und Waffen galten nur als ihnen geliehen –, so gab es für sie auch nicht verschließbare Behältnisse. Zur Kirche gingen sie in ihren weißen Mänteln mit schwarzem Kreuz und auf Schuhen. Besondere Wohnungen hatten nur im Nogatflügel zwei höhere Beamte: der Hauskomtur und der Tressler. Sie bestanden in Stube und Kammer. Der Tressler verfügte daneben über ein Gemach, in welchem er den Tressel, die Kasse, aufbewahrte.

Wie die Brüder gemeinsam schliefen, so speisten sie auch gemeinsam, und zwar eine Treppe höher im Südflügel in einem großen Saal, dem Speiseremter, dessen Gewölbe von sieben Säulen getragen wurden, an langen Tischen. Es gab gut zubereitete Hausmannskost und dazu Bier, mitunter an Festtagen auch Met. Die Speisen wurden in einem Aufzug von der Küche im Erdgeschoß hinaufbefördert. Auch während der Mahlzeit durfte nicht gesprochen werden, doch hielt ein Vorleser eine Lektion ab. Neben diesem großen Saal befand sich ein kleinerer, die von drei Säulen getragene Konventsstube; hier durften die Brüder sich nach aufgehobener Tafel über ernste Dinge unterhalten und am Schachspiel, jedoch nicht Würfelspiel um Geld, vergnügen. Um das Auftragen der Speisen zu erleichtern, waren die Arkaden auf dieser Seite um ein Stockwerk erhöht, wodurch ein bequemer Verbindungsgang außerhalb der Säle geschaffen wurde.

[686] Gehen wir nun wieder zurück über die Brücke, um den Hochmeisterpalast zu besichtigen, der viel des Interessanten bietet. Es sollten hier Räume hergestellt werden, welche einer fürstlichen Haus- und Hofhaltung genügten. Denn der Verkehr in der Marienburg war in der Blütezeit des Ordens sehr rege. Nicht nur fanden sich hier oft die auswärtigen Gebietiger zu Beratungen und Entgegennahme von Befehlen ein, auch an Gesandtschaften fremder Staaten fehlte es nicht, und fast jährlich langten auswärtige Fürsten und große Herren an, sich bei den Kriegsreisen nach Litauen zu beteiligen und sich den Ehrentisch decken zu lassen. Sie brachten oft ein großes Gefolge mit und ließen sich von den Hochmeistern längere oder kürzere Zeit bewirten. So war jedenfalls ein großer Festsaal unentbehrlich. Er zeigt sich uns in dem großen Konventsremter (Rittersaal), der nebst der dazu gehörigen Küche den ganzen Nogatflügel des mittleren Hauses einnimmt. Er liegt zu ebener Erde und hat den Eingang vom Hofe. Das wunderbar schöne Sterngewölbe strahlt auch hier von drei schlanken Pfeilern aus, welche durch Kapitäle mit Figurenschmuck erhöht sind. Acht Spitzbogenfenster nach dem Flusse zu und sechs in der Hofwand spenden ihm reichliches Licht.

Der Speiseremter.

Der Fußboden ist mit bunten Fliesen ausgelegt. „Die gesamte gotische Baukunst hat,“ so sagt der schon erwähnte Sachverständige, „unter ihren tausenden edelster Bildungen kein Gewölbe hervorgebracht, welches an Leichtigkeit der Bildung, an Eleganz der Form, an schönem Verhältnis der Stützen zum Gestützten diesem Meisterwerke der Baukunst gleichkäme.“ Die jetzt weißen Wände muß man sich bemalt denken.

Eine Treppe in der starken Mauer führte zur Hinterkammer der Hochmeisterwohnung hinauf, so daß der hohe Wirt den Festsaal betreten konnte, ohne über den Hof gehen zu müssen. Hier schlossen sich die zum persönlichsten Gebrauch des Hochmeisters bestimmten, verhältnismäßig einfachen Räume an: ein schmales Schlafzimmer dicht neben der mit einem kleinen Vorraum versehenen Hauskapelle und andererseits neben den Kammern, welche für den zu seiner Gesellschaft bestimmten Bruder eingerichtet waren, der (man war nach der Ermordung Werners von Orseln vorsichtig geworden) Tag und Nacht in seiner Nähe sein mußte; ferner, schon auf der anderen Seite vom Palastflur, ein zweisäuliges Wohnzimmer und des Meisters Stübchen. Dieser Flur mit schmälerem Korridor, auf ein buntglasiges Fenster nach der Nogat zu auslaufend, das schwere Kreuzgewölbe von drei gekuppelten Granitsäulen und einigen freistehenden Säulen von ungleicher Höhe getragen, ist eine höchst originelle Schöpfung des unbekannten Baumeisters. In einer seitlichen Fensternische befindet sich der tiefe Brunnen mit „Handfaß“ zum Waschen. Sechs Knechte waren angestellt, stets das erforderliche Wasser aufzuwinden. An den Wänden hängen Rüstungen aus der Ordenszeit.

Die Konventstube.

Von diesem Flur, aber auch aus des Meisters Stübchen gelangt man in des Meisters Winterremter, ein größeres quadratisches, ebenso schön als einfach über einer Säule gewölbtes Gemach mit vier Fenstern auf den trockenen Graben hin, welches man sich als den Salon der Wohnung zu denken hat. Es war, wie auch einige der anderen Wohnräume und der Konventsremter, durch Luftheizung im Winter zu erwärmen. Die Vorrichtung dazu befand sich im unteren Geschoß oder Keller, wo die Feuerung in einem engen Herdraum eingeschlossen war, über welchem sich ein mit Feldsteinen vollgepacktes Zwischenlager ausstreckte, die nun die Wärme längere Zeit festhielten und gleichmäßig durch schließbare Oeffnungen im Fußboden in [687] die Gemächer abgaben. Auch für Erleuchtung am Abend war, im Flur durch bunte Glaslaternen, gesorgt. In diesem Winterremter muß man sich die Zusammenkünfte denken, bei welchen die Gäste durch Musikanten und Liedsprecher angenehm unterhalten wurden. „Des Meisters Spielleute mit ihren Jungen“ waren stets zur Verfügung. Aber auch fremde, böhmische und andere Musikanten, einmal sogar „des Herzogs von Mailand Spielleute“, ließen sich hören. Selbst Lustigmacher, Narren, Gaukler und andere „Fahrende“ kehrten in der Burg ein und wurden zugelassen.

Der Konventsremter oder Rittersaal.

Es bleibt uns noch des Meisters großer oder Sommerremter zu bewundern. Er nimmt die ganze Breite des Palastes nach der Nogatseite hin ein und war wohl zu Repräsentationszwecken bei besonders ernsten und feierlichen Gelegenheiten bestimmt, nicht aber zum gewöhnlichen Gebrauch, zu dem er schon deshalb nicht geeignet war, weil er sich nicht heizen ließ. Niemand wird hier eintreten ohne ein Gefühl ehrfürchtigen Staunens und zugleich sonnigen Behagens. In der Mitte des Quadrats steht eine sich im Fundament verjüngende achteckige Säule von poliertem Granit; über einem schmalen Kapitäl steigen, sich langsam wie aus einem Kelch erweiternd, die Rippen des luftigen Sterngewölbes auf. Die Wände zwischen den Gewölbebogen sind fast nur Fenster nach drei Seiten hin. Es stehen immer zwei übereinander, das untere in der Vollwand meist dreiteilig und mit Querbalken, das obere im Gewölbeabschnitt schmäler und zweiteilig, übrigens sämtlich viereckig, woraus – doch nicht ganz überzeugend – geschlossen ist, daß dieser Teil des mittleren Schlosses zuletzt erbaut wurde. An eins dieser Fenster soll von dem verräterischen Polen die rote Mütze gehängt sein, auf welche der Büchsenmeister jenseit des Flusses zielen sollte, um den Pfeiler zu treffen. Eine Kugel steckt jedenfalls, wie erwähnt, noch heut’ in der jenseitigen Wand. Rundum laufen Bänke mit roten Polstern. Bei Sonnenschein schwimmt der schöne Raum förmlich in farbigem Licht. Es ist wahrscheinlich, daß auch hier in alter Zeit die Wände bemalt gewesen sind, aber es fragt sich doch, ob die Herstellung solchen Schmuckes nicht den ungemein feierlichen Eindruck, den das reine Weiß der Wölbung verursacht, schwächen würde.

Wir verlassen den großen Remter durch den Ausgang nach dem Flur und mögen nun noch aufs Dach hinaufsteigen, um uns bei einem Rundgang hinter dem Zinnenkranz an der weiten Ausschau über Fluß und Land zu erfreuen. Dann haben wir das Wesentlichste gesehen. Beim Rückwege durch die Stadt werden wir nicht unbemerkt lassen, daß die Häuser der langen Marktstraße im Erdgeschoß „Lauben“ haben, die gegeneinander offen sind. Schwerlich wird das Städtchen je wieder zu dem Wohlstand zurückgelangen, der es auszeichnete, als das Schloß hochmeisterliche Residenz war. Beim Aufhören der polnischen Herrschaft wurde festgestellt, daß mehr als die Hälfte seiner Häuser wüst lag. Jetzt hatte es bis vor kurzem ein recht freundliches Aussehen, als, wie schon erwähnt, ein furchtbarer Brand einen großen Teil der Stadt und leider auch viele alte Laubenhäuser nebst dem Rathause zerstörte, welches letztere aus der Bauzeit des Hochschlosses stammte.

Der Sommerremter.

Die Renovation des Schlosses ist noch nicht in allen seinen Teilen beendet. Es werden dazu noch erhebliche Geldmittel aufgewendet werden müssen. Auch für die würdige Ausschmückung und Ausstattung im Innern bleibt noch viel zu thun. Zwar wird es wohl niemals gelingen, uns die Ordenszeit ganz zurückzutäuschen. Es würde keinen Zweck haben, die sämtlichen zur besseren Verteidigung der Festung errichtet gewesenen Außenwerke, Gräben, Mauern und Türme wieder herzustellen, und es sind uns von der beweglichen Habe der Ordensritter zu wenig Stücke aufbewahrt, um damit auch nur einzelne Räume des großen Schlosses so einzurichten, daß sich daraus die Lebensweise ihrer damaligen Bewohner würde wiedererkennen lassen. Aber es ist doch höchst erfreulich, daß unserer Zeit herzustellen gelingen konnte, was vor hundert Jahren nicht einmal als eine Möglichkeit geträumt wurde. Der Kunstwert des alten Baues kam damals überhaupt kaum in Frage. Man hatte auch schon lange vorher nur noch darauf gedacht, wie man die großen [688] Räumlichkeiten, die für ihren ursprünglichen Zweck völlig unbrauchbar geworden waren, wirtschaftlich den neueren Bedürfnissen gemäß ausnutzen könnte. Es ist sicher nicht so sehr, als es geschehen, über Barbarei zu schelten, wenn man die sehr knappen Geldmittel nicht auf die Restauration eines Herrenschlosses verwendete, dessen historische Bedeutung nach der Verjagung des Deutschen Ordens aus dem Weichsellande, nach seiner Aufhebung auch im östlichen Preußen, nach 300jähriger Polenherrschaft in Vergessenheit gekommen war und auch durch die Besitznahme Friedrichs des Großen keine Erneuerung fand; das überdies an einem Orte stand, der nicht einmal mehr als Centralpunkt für eine in der traurigsten Verfassung befindliche Provinz gelten konnte und von Fremden kaum besucht wurde. Stellte man aber lediglich die praktische Frage, wie an dieser Stelle die vorhandenen kräftigen Mauern nach Ausräumung des darin befindlichen Schutthaufens wirtschaftlich nutzbar gemacht werden könnten, so blieb nur übrig, vieles von dem zu vernichten, was früher ein besonderer Schmuck gewesen war, jetzt aber einer rationellen Ausnutzung im Wege stand. Es gab ganz wenige Menschen, die, wie der Dichter Eichendorff, ein Erbarmen mit der Ruine aus großer Zeit hatten und die Zerstörung als eine Schmach empfanden.

Den Luxus, zunächst einmal von dem ökonomischen Gebrauch ganz abzusehen und sehr bedeutende Summen lediglich zu dem schönen Zweck aufzuwenden, ein höchst würdiges Baudenkmal als solches für die Anschauung wieder herzustellen, konnte erst unsere Zeit sich erlauben. Dabei mag dann bedauert werden, daß schon so viel des Sehenswerten zu Grunde gegangen, ein großer Teil des inneren Baues fast bis zur Unkenntlichkeit vernichtet war; aber um so größer muß das Lob des Baumeisters sein, der aus Andeutungen in alten Schriften, aus Zeichnungen und Aufrissen, aus Spuren im Mauerwerk, aus erhaltenen Resten von Steinen und Formziegeln eine so lebendige Anschauung des einst Gewesenen gewann, daß er es überzeugend nachzubilden vermochte; um so größer die Freude, heut’ ein ganzes Werk vor Augen zu haben, das an den früheren schmachvollen Zustand nicht mehr erinnert. Nun mag auch die Erwägung am Platze sein, was über die „künstlerisch-archäologischen Aufgaben“ hinaus zu thun wäre, um die herrlichen Räume in den Dienst der Landeskunde zu stellen und als Museum zu verwerten. Schon ist die große Blellsche Waffensammlung angekauft, um vermehrt und aufgestellt zu werden; schon hat der Geheime Sanitätsrat Dr. Jaquet eine auf das Ordensland bezügliche Münzsammlung geschenkt, die für die Tresslerwohnung bestimmt ist; schon plant man die Zuführung von Abgüssen alter Bildwerke, Grabsteine und Inschriften aus der Ordenszeit. Es ist bereits so viel gethan, daß das Mehr nur noch eine Frage der Zeit sein kann. Das lebhafte und verständnisvolle Interesse, welches der Kaiser an der Bauarbeit nimmt, die er in jedem Jahre zu besichtigen pflegt, bürgt dafür, daß das Werk, zur freudigsten Bewunderung und reichsten Belehrung vieler Generationen nach uns, vollendet werden wird.



  1. In des Verfassers Romanen „Heinrich von Planen“ und „Tileman vom Wege“ sind diese Begebenheiten umständlich geschildert.