Die Maske (Die Gartenlaube 1879/10)
Der Carneval ist vorüber. Noch weilen die Gedanken der nach Scherz und Lust wieder Ernüchterten bei dem bunten Tumult des Faschings, wo die ausgelassene Phantasie ihr närrisches Spiel trieb, und mit Sättigung und Festesmüdigkeit, vielleicht auch mit ein Bischen Katzenjammer, ist die Zeit der ruhigen Rückschau, die Zeit vernünftigen Nachdenkens über das Erlebte, gekommen. Das ist der richtige Augenblick, um sich über den Ursprung der Masken und die damit verbundenen Feste etwas eingehender zu unterrichten.
Wie unter Einführung der Maske die erhabensten Schöpfungen der griechischen tragischen Literatur entstanden, so spielt sie auch im Culturleben des Mittelalters und bis in die neueste Zeit eine gewichtige und interessante Rolle. Das Wort Maske stammt aus dem Arabischen. „Maskara“ bedeutet in der Sprache des Koran soviel wie Unsinn, Possen machen. Davon ist auch das italienische Wort maschera abgeleitet, worunter die Italiener ein falsches Gesicht verstehen, welches das natürliche Gesicht bedeckt, das vielleicht noch falscher ist. Diese Etymologie hat Alles für sich. Im Mittellatein hat das Wort masca in der lombardischen Gesetzgebung die Bedeutung des Unheimlichen; masca ist soviel wie eine Hexe. In Savoyen, in der Dauphiné und in den südlichen Provinzen Frankreichs hat das Wort denselben Sinn behalten, und in der Gegend von Toulon versteht man unter pas de la masque einen Pfad, der von einem weiblichen Gespenst begangen wird. In der Bedeutung: Hexe wird das Wort auch von den alten französischen komischen Schriftstellern gebraucht, namentlich von Molière. Wir erinnern nur an jene Stelle aus dem Stück: „Der eingebildete Kranke“, wo dieser zu seiner Enkeltochter die Worte sagt: „Aha, kleine Maske (das heißt: kleine Hexe), du sagst mir nicht, daß du in dem Zimmer deiner Schwester einen Mann gesehen hast?“
Es ist gar kein Zweifel, daß die Maske orientalischen Ursprungs und von da in die griechische Cultur herüber gekommen ist – zuerst in die Tragödie, die ja bekanntlich aus den Satyrspielen bei dem Bacchusfeste entstanden war. Thespis nimmt man als den Erfinder des Dramas an, als denjenigen, welcher zuerst in die Dyonysos-Gesänge bei den Weinfesten eine handelnde Person einführte. Das Gesicht derselben war mit Hefe bemalt, um die betreffende Persönlichkeit zu charakterisiren. Erst Aeschylos, der erhabenste der griechischen Tragiker, ersetzte dieses angemalte Gesicht durch eine Maske. Bekanntlich erschienen die griechischen Schauspieler nur in Masken auf der Bühne. In den großen antiken Theatern, wo der natürliche Mensch in Folge der riesigen Räumlichkeiten dem Auge sonst fast entschwunden wäre, war dieses Hülfsmittel zur Erhöhung des Effectes nothwendig; denn der Ausdruck der Physiognomie wäre für die Mehrzahl der Zuschauer sonst ganz verloren gewesen. Durch die Maske ward ein schärferer Ausdruck möglich. Sie hatte bekanntlich eine mechanische Vorrichtung, durch welche der Schauspieler die Stimme anwachsen lassen und dem Charakter so einen erhöhten Ausdruck verleihe konnte. Dazu kam noch der Kothurn, eine Art hoher Schuh, wodurch die normalen körperlichen Verhältnisse mit der idealen Handlung und dem dargestellten Charakter auch äußerlich gesteigert wurden. Die Alten hatten tragische und komische Masken, und in den satirischen Stücken gaben sie der Maske das getreue Gesicht der Persönlichkeit, welche der Dichter zum Gegenstand des öffentlichen Gelächters machen wollte. Der Schauspieler, welcher in der Komödie des Aristophanes: „Die Wolken“ den Sokratesdarstellte, trug eine Maske, welche vollkommen dem Gesichte des Philosophen glich. Aristophanes hatte sich aber damit nicht begnügt; er war tadelnswerther Weise noch viel weiter gegangen, indem er dem Sophisten im Stücke den Namen des Weisesten seiner Zeit beilegte. Molière macht es ähnlich. Die Schauspieler, welche in dem Stücke „L’Amour médecin“ auftraten, kamen in Masken auf die Scene, die den damals in Paris renommirtesten Aerzten auf das Täuschendste ähnlich waren. Darin allerdings beschränkte sich Molière, daß er in den Grenzen des Lächerlichen blieb und seine Satire nicht in Beschimpfungen ausarten ließ, wie Aristophanes es that, dessen Opfer Sokrates von der Bühne zum Tode gebracht wurde, womit allerdings der Scherz ein Ende hatte. Der Gebrauch der Masken beschränkte sich bei den Alten auf die Bühne. Im alltäglichen Leben fand sie keine Anwendung, obschon man von Poppäa behauptet, daß sie Masken getragen habe, um sich die Frische ihres Teints zu erhalten.
Im deutschen Mittelalter war der Gebrauch der Maske sehr verbreitet. Der Mummenschanz war in der Zeit vom heiligen Drei-Königsfeste bis zu Aschermittwoch ein Volksvergnügen, wie es heutzutage noch unser Carneval ist. Das originale deutsche Wort für Maske ist: Schönbart. In Nürnberg z. B. war das Schönbartlaufen eine der beliebtesten Volksvergnügungen. (Siehe vorige Nummer. „Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert“.)
In Frankreich unter Franz dem Ersten war der Gebrauch der Maske bei allen Damen in täglicher Uebung. Auf der Straße, der Promenade, bei Besuchen, ja selbst in der Kirche legten sie ihre „loup“ nicht ab, das heißt: jene Halbmaske von schwarzem Sammet, deren Gebrauch jedenfalls aus Italien herüber kam. Später wurden die Masken durch die Mouches (Schönpflästerchen) ersetzt. Die Maske wurde das beliebteste Hülfsmittel der weiblichen Koketterie, und unter ihrem Schutze vollführten die Galanterie und die Eifersucht ihre Thaten. Die galanten Frauen maskirten sich, um auf Abenteuer auszugehen, und die eifersüchtigen Männer zwangen ihre Frauen, die Maske vorzunehmen, damit sie von den abenteuernden Gesellen nicht erkannt würden. Noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts gebrauchten die Männer auf der Insel Zante diese Vorsicht, um ihre Frauen vor Wilddieben des Herzens zu schützen.
In Venedig wurde die Maske geradezu ein Kleidungsstück, wenigstens in der einen Hälfte des Jahres; sie verschaffte ihren Trägern den Vortheil der freien Bewegung. Der Genuß gewisser Vergnügungen vertrug sich nicht mit der Würde des Patricier-Kleides, das die Leute in ihre Neigungen doch sehr beschränkte. Nur während des Carnevals durfte es abgelegt werden, und darum verlängerten die Nobili diese Zeit, so weit es irgend ging.
Aus dem Maskengebrauch entwickelte sich die Maskerade, worunter eine Versammlung von maskirten Personen verstanden sein soll, die zusammen kommt, um Tänze, Scenen etc. aufzuführen.
Das traurigste Fest dieser Art, das die Geschichte kennt, wird aus der Regierung Karl’s des Sechsten von Frankreich erzählt. Bei einer Hochzeit, welcher der Hof beiwohnte, verkleideten sich der König und fünf Herren seines Gefolges als Wilde. Sie trugen Kleider von Leinwand, die mit Pech getränkt war; darauf waren Haare von Werg geleimt. Unvorsichtiger Weise nahte sich eine Fackel den Masken und steckte sie in Brand. Bald stand die ganze Truppe in Flammen, und ein Schrei des Schreckens durchtönte den Saal. Eine Dame vom Hofe rettete den König, indem sie ihn mit ihrem Mantel bedeckte, aber der König verfiel in Folge der Aufregung in Wahnsinn, von dem er nie wieder geheilt wurde. Mit Ausnahme eines Einzigen, der Geistesgegenwart genug hatte, um sich in eine Wassertruhe zu stürzen, starben alle übrigen Theilnehmer an dieser Maskerade unter den gräßlichsten Schmerzen. Die Tanzmelodien wurden zum Requiem.
Einem gleichen unglücklichen Zwischenfalle hatte Scarron seine Verunstaltung zu verdanken. Bei einer Maskerade war er von Kopf bis zu Fuß in ein Federgewand gekleidet – mutwillige Menschen steckten es in Brand. Man will behaupten, daß er gar kein Kleid anhatte und daß die Federn des Vogels, den er vorstellte, mit Pech auf die bloße Haut befestigt waren. Um dem Feuer zu entgehen, warf sich der arme Teufel in das Wasser. Kreuzlahm kam er heraus, was ihn aber nicht verhinderte, Mademoiselle d’Aubigné zu heirathen und durch sein ganzes Leben der lustigste Mensch seines Jahrhunderts zu bleiben.
Die Maskerade waren namentlich ein beliebtes Vergnügen der Höfe. In Shakespeare’s „Heinrich der Achte“ erscheint dieser bei einem Balle des Cardinals Wolsey als Schäfer verkleidet. Diese Figur als Schäfer, erinnert sie uns nicht an jene Fabel, in welcher der Wolf dieses Kleid wählt?
Noch drastischer im Contraste möchte für uns ein Ball am Hofe Karl’s des Neunten von Frankreich sein, der uns durch eine Darstellung eines zeitgenössischen Malers erhalten worden ist. Der Monarch und alle seine Hofleute sind auf diesem Bilde in Costümen
[169][170] der bekannten komischen venetianischen Masken dargestellt. Der finstere, fanatische Herzog von Guise figurirt darin als Scaramuzzia, der Herzog von Anjou, der spätere ebenso weibische wie grausame Heinrich der Dritte als Harlekin, der Cardinal von Lothringen als Pantalon, Katharina von Medicis als Columbine, und der allerchristlichste König erscheint in der Maske des Brighella. Das Gewand des ausgelassensten Muthwillens an diesen Menschen, die mit Feuer, Gift und Dolch ihre unheilvollen Pläne verfolgten!
Wie die Masken von einer dichterischen Kunstübung ausgingen, so mündeten die Maskeraden wieder ebendahin: aus ihnen entwickelte sich die moderne Oper. Zuerst verband man mit den Maskeraden mythologische Darstellungen, Tänze, dann traten Personen auf, welche sprachen oder sangen, es wurden die Chöre eingeführt, kurz die ganze Oper ist in diesen Anfängen deutlich erkennbar. Noch im vorigen Jahrhundert trugen die Tänzer auf dem französischen Operntheater Masken, und es war gar nicht so selten, daß Leute aus der Gesellschaft und selbst Herren vom Hofe sich unter die Tänzer mischten und sich vom Publicum Beifall zuklatschen ließen. Selbst ein Helvetius hat sich in seiner Jugend dieses Vergnügen gar oft erlaubt.
Die Palais und die Straßenecken waren lange Zeit die einzigen Orte, wo sich die Maskeraden versammeln konnten. Was man heutzutage einen Maskenball nennt – diese Form öffentlichen Vergnügens datirt erst aus der Zeit des Regenten. Philipp von Orleans war bekanntlich, was das Amüsement anbelangt, nichts weniger als intolerant. Er fand gar kein Bedenken darin, dem Carnevalsscherz ein Local zu eröffnen, ihn gleichsam salonfähig zu machen, und die Oper in Paris erhielt von ihm die Erlaubniß, in ihren Räumen maskirte Bälle zu geben. Damit aber die Maske nicht zum Vorwand rohen Treibens mißbraucht würde, war der Eintrittspreis ein so hoher, daß nur Leute aus der besten Gesellschaft daran teilnehmen konnten. Die Folge davon war, daß die grotesken Farcen aufhörten. An Stelle der Charaktermaske trat der Domino. So grobkörnig auch früher die Carnevalsscherze gewesen waren, so hatten sie doch noch eine gewisse Summe naturwüchsiger Volkskomik repräsentirt. Das hörte nun ganz auf.
Von Frankreich aus haben sich die Maskenbälle über die ganze Erde verbreitet. Ihr Treiben beginnt mit dem Ende der zwölf heiligen Nächte und verstummt vor der ersten Mahnung des Aschermittwochs. Am üppigsten stehen sie noch immer in Italien im Flor, von wo her auch die typischen Figuren stammen, die noch heute alle Faschingsbälle der Welt bevölkern, die Columbinen, der Harlekin, Domino etc.. In Italien spielt auch die Scene unseres Bildes, das uns in das Garderobezimmer einer Carnevalmaskerade führt. Da kommt sie eben hereingetänzelt, die kokette Bürgers- oder Kaufmannstochter von Venedig – denn hier hat der Maler des Bildes seinen Wohnsitz –, den säumigen Liebhaber, welcher so unausstehlich langsam Toilette macht, in neckischer Weise zum Aufbruche mahnend. Ertönt doch schon längst die lockende Musik aus den maskenerfüllten Sälen. Nun nur noch ein Ruck – und der Amatore hat den Arm glücklich im Rock, und dann schreiten sie, ein stolzes Paar, durch das bunte Volk der Masken, von Saal zu Saal.
Es ist doch ein eigener Zauber, der Zauber der Maske! Wie kommt es, fragt sich der Einsichtige, der den Gang der Zeiten nach ihrem inneren Treiben beobachtet, wie kommt es, daß sich der Gebrauch der Masken, die doch nichts als eine Aeußerlichkeit sind, so lange durch die Jahrhunderte und durch die ernsten und trübsten Zeiten erhalten konnte? Die Antwort wird auf psychologischem Gebiete zu suchen sein: in dem Bestreben der Mehrzahl der Menschen – für etwas Anderes gehalten zu werden, als sie in der That sind!