Die Memoiren der Glückel von Hameln/Fünftes Buch
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Nun will ich das fünfte Buch anfangen zu meiner großen Betrübnis. Meine herzlieben Kinder, nun will ich euch erzählen den Anfang bis zum End, daß euer lieber Vater krank geworden und gestorben ist. Es ist am 19. Tebeth 1689 gewesen, da ist mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – euer lieber Vater, am Abend in die Stadt gegangen. Es hatte ihn ein Kaufmann beschieden, der etwas mit ihm handeln wollte. Wie er nun bald an dem Kaufmann sein Haus kommt, ist da ein spitziger Stein, über den er leider Gottes gefallen ist und hat sich leider Gottes einen solchen Schlag gegeben, daß wir alle noch darüber zu klagen haben. Also ist er – er ruhe in Frieden – elendiglich heimgekommen.
Ich bin im Hause meiner Mutter gewesen und man hat mich heimgerufen. Wie ich nach Hause gekommen bin, ist mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – am Ofen gestanden und hat gekrächzt. Ich hab mich erschreckt und gefragt, was ihm fehlt. Sagt er: »Ich bin gefallen und ich fürchte, daß es mir wird viel zu schicken geben.« Also hat er sich leider nicht regen können, und ich hab ihm alles aus den Taschen nehmen müssen, denn wie er – er ruhe in Frieden – in die Stadt gegangen ist, hat er alle Taschen voll mit Juwelen mitgenommen. Und wir haben leider seine Verletzung nicht verstanden, denn er hat schon viele Jahre einen Bruch gehabt. Und wie er gefallen ist, ist er leider auf die kranke Stelle gefallen und die Gedärme haben sich leider ineinander verschlungen. Nun, wir haben allezeit ein Bett in der Stube liegen. Aber er hat nicht wollen und wir haben ihn müssen hinauf in die Kammer bringen. [186] Damals ist es eine Kälte gewesen, daß Himmel und Erde zusammenfrieren wollten. Wir sind die ganze Nacht bei ihm gewesen und haben ihm getan, was wir gekonnt haben. Aber wir haben es nicht länger aushalten können, und es ist ihm auch sehr schädlich gewesen, in der Kälte zu liegen. Endlich hat er – er ruhe in Frieden – selbst gesehen, daß es ihm nicht gut ist, und wir haben ihn heruntergebracht. Es ist schon nach Mitternacht gewesen, daß wir uns so geplagt haben, und leider als keine Besserung gewesen. Ich habe meinen betrübten Schlag wohl vor mir gesehen und daß dieses kein gut tun kann. Ich hab ihn um Gottes willen gebeten, er soll sich einen Doktor rufen lassen und Leute zu sich rufen lassen. Da hat er – er ruhe in Frieden – gesagt: »Ehe ich es Leuten entdecken wollte, lieber wollte ich sterben.« Ich bin vor ihm gestanden und hab geheult und geschrien und gesagt: »Was redet ihr da? Warum sollen es die Leute nicht wissen. Ihr habt es ja nicht von Sünd oder Schand bekommen.«
Alles Sagen hat als nicht helfen mögen, denn er – er ruhe in Frieden – hat sich eine Närrischkeit eingebildet, daß solches seinen Kindern schaden könnte, wenn man sagen sollte, daß solches erblich wäre. Denn er hat seine Kinder so gar sehr geliebt. Also haben wir uns die ganze Nacht mit ihm geplagt und allerhand Sachen aufgelegt. Es ist aber leider als zusehends ärger geworden.
Also ist es Tag geworden, da hab ich zu ihm gesagt: »Gelobt sei Gott, daß es nun Tag ist. Ich will nun nach einem Doktor und einem Bruchschneider schicken.« Er hat es nicht leiden wollen und gesagt, man soll Abraham Lopez rufen lassen. Der ist ein Sefardi, ein Balbierer und ein Doktor dabei. Also hab ich nach demselben geschickt. Wie er gekommen ist, hat er die Wunde leider gesehen, aber gesagt: »Sorgt nicht, ich will ihm was auflegen, daß es bald besser werden wird. Ich habe solche Leute viele hundert gehabt und ihnen geholfen.« Dieses ist Mittwoch früh gewesen.
Also hat er, der Abraham Lopez, ihm von seinen Sachen aufgelegt, in der Meinung, daß es ihm helfen sollte. [187] Aber daß sich Gott erbarme. Wie der Mittag gekommen ist, hat der Lopez gesagt: »Ich seh wohl, meine Kur will ihm nicht helfen. Ich will hingehen und will einen Bruchschneider holen, der ein sehr geschickter Mann ist.«
Also ist der Bruchschneider gekommen und hat den ganzen Tag aufgelegt in der Meinung, die kranke Stelle zu erweichen. Es ist aber als je länger je ärger geworden. Am Donnerstag hab ich noch einen Bruchschneider und zwei Doktores holen lassen. Also ist dabei gewesen Doktor Fonseca. Also sagt er zu mir, als ich mit ihm geredet hab und ihm alle Umstände erzählt hab: »Ja, was soll ich viel sagen, wir haben hier einen kurzen Prozeß. Denn leider sind die Gedärme alle ineinander geschlungen, also kann er keinen offenen Leib haben.«
Und was unten hätte sollen hinausgehen, das hat er leider oben ausgebrochen. Alles was man gebraucht hat, hat alles nicht helfen wollen, und doch hat er – er ruhe in Frieden – nichts Fremdes bei sich haben wollen und uns geboten, alles im Geheimnis zu halten. Aber ich habe meinen Schlag wohl verstanden und vor mir gesehen, daß ich werde so betrübt werden. Also ist Donnerstag der Tag und die Nacht auch in so betrübten Nöten hingegangen. Am Freitag bringt der Lopez einen Doktor, welcher von Berlin ist und viele Jahre dem Kurfürsten sein Doktor gewesen ist. Er gibt ihm auch was ein und legt ihm Pflaster auf. Aber, Gott soll sich erbarmen, es hat alles nichts geholfen. Am Sabbat früh ist es mein Schwager Reb Josef erst gewahr worden, welcher damals mit ihm – er ruhe in Frieden – uneins gewesen ist. Er ist in unser Haus gekommen und hat gebeten, man sollte ihn doch in die Stube hineinlassen. Also bin ich zu meinem Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – gegangen und habe gesagt: »Mein Schwager Reb Josef ist draußen und will gern zu euch hineingehen.« Hat er – er ruhe in Frieden – gesagt: »Laßt ihn hereinkommen.«
Wie er in die Stube hineingekommen ist, hat er leider gleich seinen Zustand gesehn. Mein Schwager hat seinen [188] Kopf wider die Wand gestoßen und sich Hände voll Haare aus seinem Kopf gerissen und bitter zu rufen angefangen: »Weh mir, daß ich so einen Schwager[1] verlieren soll! Und ist über sein Bett gefallen und hat ihn mit bitteren Tränen um Verzeihung gebeten.
Also hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – wirklich mit frischem Herzen geantwortet: »Mein lieber Schwager,[1] ich verzeihe euch und allen Menschen und bitte euch auch um Verzeihung.« Nachdem hat mein Schwager Reb Josef ihn beruhigt und gesagt, er sollte sich gedulden, Gott – sein Name sei gepriesen – werde seine Hilfe schicken. So hat er gesagt, er wäre alles zufrieden, was Gott – sein Name sei gepriesen – tut. Er hat sich mir gegenüber leider nicht halb über seine Krankheit ausgesprochen. Und mein Sohn Reb Löb ist ein Jüngling von ungefähr 16 Jahren gewesen, der hat alles bei ihm tun müssen. Und wenn ich herausgegangen bin, hat er den Jungen zu sich genommen und mit ihm geredet und hat ihn ernsthaft vermahnt. So hat der Junge mächtig sehr geweint. Aber sobald als mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – gemerkt hat, daß ich in die Stube gekommen bin, hat er zu meinem Sohn Reb Löb gesagt: »Schweig, um der Barmherzigkeit willen, die Mutter kommt herein, daß sie dich nicht heulen sieht.« Aber was hilft es, er ist leider in Todesnot gelegen und hat noch Sorge für meinen Kummer gehabt.
Am Sabbat morgens, nach dem Essen, ist meine Mutter zu ihm gekommen und ist über ihn gefallen, hat ihn geküßt und gedrückt, mit Tränen und gesagt: »Mein Sohn, wollt ihr uns denn so verlassen! Wollt ihr mir nichts befehlen?« So sagt er: »Meine liebe Schwieger, ihr wißt, daß ich euch wie eine Mutter geliebt habe. Ich weiß euch nichts zu befehlen. Tröstet mein Glückelchen.«
Das ist sein letztes Wort gewesen, das er mit meiner Mutter geredet hat. [189] Danach sind mehrere Doktores und Bruchschneider gekommen, aber leider alles umsonst. Zu Sabbat Ausgang ist keiner mehr bei ihm gewesen als ich und der Abraham Lopez, denn er – er ruhe in Frieden – hat keinen wollen bei sich haben. Um Mitternacht hat Abraham Lopez nach dem Bruchschneider geschickt, denn er hat gemeint, daß sich die Wunde eignen sollte.
Wie der Bruchschneider gekommen ist, hat man bald gesehen, was los gewesen ist. Also ist der Bruchschneider weggegangen und hat gesagt, daß leider keine Heilung mehr sei. Also sag ich zu ihm: »Mein Herz, soll ich euch angreifen? Denn ich bin unrein gewesen.« So sagt er zu mir: »Gott bewahre, mein Kind. Es wird ja nicht so lange währen, daß du ins Bad gehen wirst«, welches er leider nicht erlebt. Also bin ich noch ein Weilchen bei ihm stehn geblieben und habe mit dem Abraham Lopez geredet, welcher gesagt hat, man sollte Reb Phöbus Levi rufen lassen, welcher – er Ruhe in Frieden – ein wackerer Mann bei Kranken gewesen ist. Wie derselbe kommt, hab ich gar einen wackeren Lehrer in meinem Hause gehabt, den laß ich auch herunterrufen. Es ist in der Nacht nach Sabbat ungefähr um Glock zwei gewesen.
Wie Reb Phöbus kommt, so geht Reb Phöbus zu ihm: »Reb Chajim, wollt ihr nichts befehlen?« Sagt er: »Ich weiß nichts zu befehlen. Meine Frau, die weiß von allem. Laßt sie tun, wie sie vordem zu tun gepflegt.« Und er sagt zu Reb Phöbus, man sollte ihm des Rabbi Jesaja Buch geben, woraus er ungefähr eine halbe Stunde gelernt hat. Danach hat er es wieder weggegeben. Darauf hat er so zu Reb Phöbus und unserem Lehrer angefangen: »Wißt ihr nicht was los ist? Laßt meine Frau und Kinder hinausgehn. Es ist hoch Zeit.«
Nun hat Reb Phöbus uns fast mit Gewalt hinausgestoßen. Nun will ich allen betrübten Herzen den Abschied zu erkennen geben! Danach hat Reb Phöbus noch das eine und das andere mit ihm reden wollen. Aber er hat ihm mit keinem Zeichen mehr geantwortet und als in sich geredet, [190] daß man nur gesehen hat, daß sich seine reinen Lippen geregt haben.
Das hat ungefähr eine halbe Stunde gewährt. Also sagt Reb Phöbus zu Abraham Lopez: »Mein Abraham, leg dein Ohr einmal auf Reb Chajim seinen Mund, ob du hören kannst, was er sagt?« Also hat Abraham Lopez sein Ohr nahe an seinen Mund gelegt, und wie er so eine kleine Weile still gelegen ist und hören wollte, was mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – sagen wird, so hat er gehört, daß er gesagt hat: »Höre, Israel, der ewige unser Gott, der ewige ist einzig.«
Damit ist ihm der Atem stehn geblieben und er hat seine reine Seele ausgehaucht. Also ist er heilig und rein gestorben, und man hat an seinem Ende gesehen, was er – er ruhe in Frieden – gewesen ist.
Nun, was soll ich, meine lieben Kinder, viel schreiben von unserem bitteren Kummer, so einen Mann zu verlieren! Ich bin in solch großen Würden bei ihm gewesen, und bin mit acht Waisen, worunter meine Tochter Esther eine Braut gewesen ist, sitzen geblieben. Ach, was kann oder soll ich klagen oder sagen! Gott soll sich unser erbarmen und soll der Vater von meinen Waisen sein. Denn du einziger Gott, du bist ja der Vater von Waisen.
Nun, ich will mit meinem Heulen und Jammern ein wenig stillschweigen, denn ich sorge, ich werde den lieben Freund wohl all meine Tage beweinen müssen. Also ist er Sonntag den 24. Tebeth 1689 mit gutem Namen zu Grabe gekommen.
Es ist so ein Kummer und Aufruhr in der Gemeinde gewesen, daß es unmöglich zu schreiben ist. Denn es ist leider ein urplötzlicher Schlag gewesen. Also hab ich mich mit meinen Kinderchen rund um mich her zur betrübten siebentägigen Trauer gesetzt und gedacht, was das für ein betrübter Zustand und ein Anblick gewesen ist: daß ich betrübte Witwe bin da mit meinen zwölf Kindern – lange mit Liebe von einander geschieden! Wir haben gleich eine ständige Gebetversammlung für die Trauerzeit bekommen [191] und Gelehrte, die wir das ganze Jahr bestellt haben, um in meinem Hause Tag und Nacht Thora zu lernen und andere Sachen – Gott sei es nicht vorgerückt!
Meine Kinder haben fleißig das Seelengebet nachgesagt. Es ist kein Mann und keine Frau gewesen, die nicht jeden Tag gekommen sind und die Trauernden getröstet haben.
Nun, an unseren Tränen hat es auch nicht gefehlt. Die sieben Trauertage haben wir verbracht, wie man wohl denken kann. »Tränenbrot hab ich gegessen und mit reichlichen Tränen hast du uns getränkt.« – »Wen soll ich dir vergleichen, und wen dir gleichstellen, Tochter Zions.«
Ich bin leider vom Himmel auf die Erde geworfen worden. Meine Kinder, Geschwister und andere Freunde haben mich getröstet, so gut sie gekonnt haben, aber ein jeder ist mit den lieben Seinigen in sein Haus gegangen und ich bin mit meinen Waisen in Kummer und Sorgen sitzen geblieben.
Ich habe den lieben Mann dreißig Jahre gehabt, und alles Gute von ihm gehabt, was sich eine ehrliche Frau wünschen mag oder kann, und er hat mich sogar nach seinem Tod wohl bedacht, daß ich wohl in Ehren hätte können sitzen bleiben. Aber was hilft es, was der göttliche Beschluß ist, ist nicht zu ändern.
Nun, meine herzigen, lieben Kinder, unser getreuer Freund ist wie ein Frommer gestorben. Er ist nur vier Tage gelegen und hat seinen ganzen Verstand gehabt, bis er seine Seele ausgehaucht hat.
Was er nun in der kurzen Zeit mit mir geredet hat, davon wäre viel zu schreiben. Wer gäbe, daß mein Ende und mein Ausgang so wäre, wie das seine war. Sein Verdienst stehe uns bei, mir und meinen Söhnen und Töchtern – sie sollen leben. Wie seine Seele weggeflogen ist, ist meine Herrlichkeit, mein Reichtum und meine Ehre weggeflogen.
Und er hat die Gunst genossen, in Reichtum und Ehre von dieser sündigen Welt zu scheiden. Er hat nichts Böses und kein Herzeleid bei seinen Söhnen und Töchtern gesehen. Und darauf ist gesagt worden: »Vor dem Bösen ist der Gerechte hingerafft worden.« [192] Aber ich war dagelassen mit meinen ledigen und verheirateten Kindern in Not, Kummer und Sorge, und es ist gewachsen Gram und Kummer Tag für Tag, Schlag auf Schlag, und meine Lieben und Verwandten standen in der Ferne. Aber was soll ich tun, was soll ich klagen! Meine Sünden haben das verursacht. Darüber weine ich und aus meinen Augen fließt Wasser. Und ich werde ihn nicht vergessen alle Tage meines Lebens, denn er ist eingegraben in meinem Herzen.
Nun, meine liebe Mutter und Geschwister haben mich getröstet, wie schon erwähnt, aber mit solcher Tröstung ist mein Schmerz leider alle Tage größer geworden und ist mit solcher Tröstung nur Oel in das Feuer gegossen worden, und die Flamme ist mächtiger geworden, und mein Schmerz und Herzeleid ist noch viel größer geworden. Solche Tröstung und Zuspruch haben zwei, drei Wochen gewährt, danach hat man mich nicht mehr gekannt. Im Gegenteil, diejenigen, denen wir große Wohltaten erwiesen haben, haben es mit Bösem vergolten – wie die Weltordnung ist. Wenigstens ist solches nach meiner Einbildung geschehen. Denn das Gemüt und die Gedanken von einer betrübten Witwe, die so urplötzlich einen König verliert, wie kann man das vergessen. Also bildet man sich – Gott behüte – vielleicht zu Unrecht ein, daß einem ein jeder nicht wohl tut. Gott wolle es mir verzeihen.
Nun, meine herzlieben Kinder, an dem Tag, an dem ich den herzigen, lieben Freund noch hab tot gehabt vor mir liegen, ist mir nicht so weh gewesen als nachderhand. Es ist mir mit jedem Tag weher geworden. Ich habe alle Tage meine große Betrübnis und Zerstörung betrachtet und mein Schlag ist alle Tage größer geworden. Aber, was hab ich tun sollen? Der große gütige Gott! kraft seines großen Erbarmens und der Vorsehung, die er für uns arme verlassene Menschen hat, derselbe hat mich mit großem Erbarmen und mit großer Gnade zur Geduld geführt, so daß ich meinen kleinen Waisen – sie sollen leben – mit Gottes Hilfe vorgestanden bin, so viel solches von einer schwachen [193] Frau, die leider voller Beschwerden und Sorgen ist, sich tun läßt. Nach den dreißig Trauertagen ist kein Bruder, keine Schwester, kein naher Verwandter zu uns gekommen, der uns gefragt hätte, was macht ihr oder wie kommt ihr zurecht. Sind wir zeitweise zusammengekommen, bevor die dreißig Trauertage aus gewesen sind, so ist ihr Reden eitel Nichtigkeiten gewesen. Es hat mir oder meinen Waisen zu unserem Zweck wenig helfen können.
Vormünder hat mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – nicht einsetzen wollen, wie schon erwähnt, was er – er ruhe in Frieden – Reb Phöbus gesagt hat.
Nun nach den dreißig Trauertagen bin ich über mein Geschäftsbuch gegangen und hab nachgesehen, da hab ich gefunden, daß wir zwanzigtausend Reichstaler schuldig gewesen sind, welches ich zwar wohl gewußt habe, und ist mir, Gott sei Dank, auch nicht bang dabei gewesen. Denn ich hab wohl gewußt, daß ich alles zahlen kann, und noch so viel übrig ist, daß ich und meine Waisenkinder zurechtkommen können. Es ist aber doch für eine betrübte Witwe eine schwere Sache, so eine mächtige Summe schuldig zu sein. Und ich habe keine hundert Reichstaler bares Geld im Hause gehabt.
Mein Sohn Nathan und mein Sohn Reb Mordechai sind mir als ehrliche Kinder zu Hilfe gekommen, aber sie sind noch jung gewesen. Also hab ich alles zusammengemacht und meine Bilanz gemacht und mir gedacht, ich will eine Versteigerung machen, was auch gleich geschehen ist.
Nun, meine lieben Kinder, habt ihr gelesen, wie euer lieber, frommer Vater – das Andenken des Gerechten gesegnet – seinen Abschied von dieser sündigen Welt genommen hat, euer Hirt, euer Freund. Nun, liebe Kinder, gedenket nun ein jeder an sich selbst, denn ihr habt keinen Menschen, keinen Freund, auf den ihr euch verlassen könnt. Und wenn ihr auch viel Freunde hättet, wenn ihr sie – Gott bewahre – in der Not brauchen solltet, so könnt ihr euch doch auf keinen Freund verlassen. Denn wenn man [194] die Freunde nicht braucht, so will ein jeder einem sein Freund sein. Aber hat man den Freund nötig, so geht es, als wie es die folgende Geschichte zeigt und wie folgt als Zeitvertreib:
Es war einmal ein König, der schickt seinen Sohn aus in ein weites Land, um allerhand Weisheit zu lernen. Und der Sohn blieb dreizehn Jahre aus. Also schrieb der König an seinen Sohn, es wäre Zeit, er sollte wieder nach Hause kommen. Der Sohn tat also und er zog heim zu seinem Vater, und der König schickt ihm viel Volk entgegen und empfing seinen Sohn gar ehrlich mit großen Freuden. Der König stellt seinem Sohn ein großes Mahl vor und sie waren sehr lustig. Als nun die Mahlzeit vorüber war, spricht der König: »Lieber Sohn, hast du auch viele Freunde in der Stadt gehabt, in der du gelernt hast?« Der Sohn antwortet: »Herr König und Vater, die ganze Stadt waren meine Freunde.« Der König sprach: »Mein Sohn, wie sind sie denn deine Freunde geworden?« So antwortet der Sohn: »Ich habe alle Tage Mahlzeiten veranstaltet und sie waren alle gute Trinkbrüder; und ich hab ihnen allezeit guten Wein gegeben, dadurch waren sie alle meine guten Freunde.«
Und es hört der König die Worte von seinem Sohn und er seufzt und schüttelt seinen Kopf über ihn. Und der König sagt: »Ich habe gemeint, du hast viel Weisheit gelernt, und jetzunder habe ich keine Weisheit von dir gehört. Du hältst deine Saufbrüder für Freunde und das ist fehl. Denn die Trinkbrüder sind versoffene Leute. Es ist ihnen kein Vertrauen oder Glauben zu schenken. So lange der Trunk währt, werden keine besseren Freunde auf Erden sein, als wären sie von einer Mutter geboren. Aber wenn die Mahlzeit aus ist, so gehen sie davon und wischen das Maul ab und denken: ,Wirst du mich mehr rufen, so gibt es keinen Zorn, rufst du mich nicht mehr, so hab ich dich geschorn.' Und wenn du sie nicht rufst oder sie bekommen bessere Zechbrüder, so werden sie dich nicht mehr achten, wie auch dein Essen und Trinken und werden auch deine Brüderschaft ganz vergessen.« [195] So antwortet der Sohn dem König: »Herr Vater, sagt mir nun, was heißt man einen Freund, auf den ich mich verlassen kann ?«
So spricht der König: »Du sollst keinen für einen Freund halten, du hättest ihn denn vorher erprobt.«
Der Sohn antwortet dem König: »Mit was soll ich ihn denn erproben, damit ich seinen Sinn und seine Gedanken weiß und von seiner Freundschaft versichert bin?«
Da sagte der König zu seinem Sohn: »Nimm du ein Kalb und schlachte es, ohne daß jemand etwas davon weiß. Und tu das Kalb in einen Sack hinein und komm in der Nacht und trag es auf deiner Achsel und geh damit vor das Haus von deinem Hofmeister und Kammerdiener und Schreiber. Ruf ihn zu dir herab in der Nacht und sag ihm: ,Ei, was ist mir nun geschehen! Ich hab den ganzen Tag getrunken bis jetzt. So bin ich im Trunk über meines Vaters Hofmeister zornig geworden, weil er so hart wider mich geredet hat. Und ich konnte sein Wort nicht erdulden, da besann ich mich nicht lang, zog meinen Degen heraus und stach ihn tot. Nun fürcht ich mich vor meinem Vater, vielleicht möcht er es erfahren und er ist ein zorniger Mann. Vielleicht möcht er sich in seinem Jähzorn an mir rächen. So hab ich nun den Toten in einen Sack getan, wie du da siehst. So bitt ich dich, hilf mir nun, ihn jetztunder bei der Nacht zu begraben.' Also wirst du bald vermerken, was du für Freunde an ihnen hast.«
Und es ging der Sohn und tat also. Und er kam in der Nacht mit seinem Toten im Sack vor seines Hofmeisters Tür und er klopft an. So guckt der Hofmeister zum Fenster heraus und fragt: »Wer klopft so spät in der Nacht an meiner Tür?« Der Königssohn antwortet: »Ich bin es, Dein Herr, des Königs Sohn.« Und der Hofmeister lauft geschwind und macht die Tür auf und sagt: »Ei, was macht mein Herr allhier so spät in der Nacht?« Der Königssohn erzählt ihm all die obigen Reden und sagt zu ihm: »Weil du mein getreuer Hofmeister bist, so hilf mir doch den Toten [196] begraben, ehe es Tag wird.« Da es nun der Hofmeister hört, so sagt er zu ihm: »Weich ab von mir mit solchen Sachen.« Und der Königssohn bat seinen Hofmeister gar sehr, er solle ihm doch helfen den Toten begraben. So antwortet der Hofmeister dem Königssohn mit großem Zorn: »Ich hab mit keinem Vollsäufer und Mörder etwas zu schicken und wenn ihr mich nicht behalten wollt als euren Hofmeister, so sind mehr Herren vorhanden.«
Und er schlug die Haustür vor ihm zu und ließ ihn draußen stehn. Der Königssohn geht weiter vor seines Schreibers Tür und er antwortet ihm auch also. Und er ging auch von dannen und kam vor seines Kammerdieners Haus und er erzählte ihm auch all die Worte, und er begehrte von ihm, daß er ihm helfen sollte, den toten Körper zu begraben. Und es antwortet ihm der Kammerdiener: »Es ist zwar wahr, daß ich schuldig bin, dir zu dienen, solange du mein Herr bist. Aber ich hab mich dir nicht als einen Totengräber in Dienst gegeben. Und ich tät es dir auch gern zu Gefallen, aber ich fürcht mich sehr vor deinem Vater, der so jähzornig ist. Vielleicht möcht er es erfahren und erschlägt mich und dich. Doch begrab du ihn selbst auf dem Friedhof, der hier nahe bei ist und ich will dir Schildwache stehn, zu sehen, ob jemand kommen möchte, um dich alsdann zu warnen.«
Und sie taten also. Und er begrub das Kalb im Sack auf dem Friedhof und es ging jeder wieder nach Hause.
Morgens kamen die drei zusammen. So erzählt der Hofmeister von dem bösen Stück, das der Königssohn begangen hat und daß er wollte den toten ermordeten Körper von ihm begraben haben, und daß er mußte ihm so abschlägig antworten. So sagten der Schreiber und der Kammerdiener: »Er ist auch bei uns gewesen und wir haben auch keinen Teil daran haben wollen und er begrub ihn allein auf dem Friedhof.« Und sie berieten sich zusammen, daß sie es dem König anzeigen wollten, denn sie dürften es nicht verschweigen. Und sollte der König uns das nicht für gut halten und auslegen? Er wird den übel ungezogenen [197] Sohn erschlagen und uns als getreue Diener annehmen. Und sie taten es also und zeigten es dem König an.
So sprach der König: »Bei meiner Krone, wenn das mein Sohn getan hat, so soll es ihm sein Leben kosten.« Und der König ließ seinen Sohn rufen und hielt ihm die Worte alle vor. Aber der Sohn wollte es nicht gestehn. So sprachen sie zu ihm: »Du hast ihn ja in einen Sack getan und auf dem Friedhof begraben.« Wie das der König hört, so spricht er: »Ich will meine Knechte geschwind hinschicken, geht ihr auch mit und weist ihnen das Grab.« Und sie taten also. Und sie brachten den Sack, mit dem Siegel des Sohnes versiegelt, vor den König. So spricht der König zu seinem Sohn: »Was sagst du nun dazu?«
So antwortet der Sohn: »Lieber Herr Vater, ich hab ein Kalb geheiligt zu einem Opfer, und wie ich es geschlachtet hab, so ist es nicht geraten. So war es ungeeignet für ein Opfer, aber es ist auch nicht billig, daß man es auf die Gasse wirft, dieweil ich es geheiligt hab. So hab ich es vergraben in diesem Sack.«
Und der König gebietet, man solle den Sack aufmachen und alles herausschütteln. Und sie taten also und schüttelten ein totes Kalb heraus und es waren die drei Diener beschämt vor dem Königssohn, und er gebietet, man solle sie in ein Gefängnis setzen, und man tat also.
Nach diesem ließ der König seinen Sohn rufen und er sagt zu ihm: »Sieh nun jetzunder, ob einer für einen Freund zu halten ist, ehe er erprobt ist.«
So antwortet der Sohn: »Ich hab fürwahr jetzunder mehr Verstand bekommen, als ich in den dreizehn Jahren gelernt hab. Und ich habe gar an meinen Leuten nur einen halben Freund gefunden, das war der Kammerdiener, der stund mir auf der Schildwach. Nun jetzunder, mein lieber Herr Vater, gebt mir einen guten Rat, was ich mit meinen Dienern machen soll.«
Es sagt der König: »Ich weiß keinen anderen Rat, du sollst alle deine Diener erschlagen, damit dein Kammerdiener, der dir wenigstens Schildwache gestanden hat, nicht [198] die Untreue von ihnen ablernen soll.« So spricht der Sohn: »Wie sollt ich nun so viele Menschen um eines wegen erschlagen?« So spricht der König: »Wenn ein Weiser unter tausend Narren gefangen wäre und es wäre kein Rat, wie man den Weisen unter den Narren entrinnen lassen kann, so riete ich, alle tausend Narren zu erschlagen, damit dem Weisen könnte geholfen werden. Also ist es besser, du erschlagst alle deine ungetreuen Diener, damit dein Kammerdiener, welcher ein halber Freund ist, ein ganzer werden könnte.«
Und er tat also und sein Kammerdiener war ihm ein ganzer Freund. Und es bekennt der Sohn des Königs daß keinem Freund zu trauen ist, es sei denn, er wäre erprobt.
Also, meine lieben Kinder, haben wir uns auch auf keine Freunde zu verlassen, als auf Gott – er sei gelobt – der soll uns beistehn und in unserer Hilfe sein. Und obschon ihr euren getreuen, frommen Vater verloren habt, so lebt doch euer himmlischer Vater immer und ewig, der euch nicht verlassen wird, wenn ihr ihm treulich dient und ihn anruft. Und wenn euch – Gott bewahre – einmal eine Strafe zukommen sollte, so ist keiner schuld daran, als ihr selbst, daß ihr solches mit euren Taten verdient habt. Nun, was soll ich mich aufhalten? Wir wollen wieder anfangen, wo ich aufgehört habe.
Ihr habt gesehen, wie euer lieber Vater gestorben ist in Heiligkeit und Reinheit.
Nun hab ich auch geschrieben, wie ich meine Bilanz gemacht hab. Ich bin dann zu meinem Schwager Reb Josef gegangen und hab ihn gebeten, er möcht doch mit mir in mein Haus gehn, denn ich hätte meine Bilanz gemacht und hätte im Sinne, eine Versteigerung zu machen. Also sollt er alle Sachen besehen, wie ich sie angesetzt habe, ob ich sie auch nicht zu billig oder zu teuer angesetzt habe.
Mein Schwager Reb Josef ist mit mir gegangen, ich hab ihm alles vorgewiesen, wie ich ein jedes Stück angesetzt habe. So hat er alles besehen und zu mir gesagt: »Ihr habt [199] alles zu billig angesetzt. Wenn ich, Gott bewahre, meine Waren so billig stellen wollte, müßte ich, Gott bewahre, Bankrott machen. So sag ich: »Mich deucht, daß es so besser ist, wenn ich billig stell und teuer verkauf, als wenn ich teuer stell und es billig verkauf. Ich hab eine Bilanz gemacht, daß, wenn es auch billig verkauft wird, so wie ich es angesetzt hab, so ist doch ein gutes Kapital für meine Waisen da.« Also hab ich Anstalt gemacht zur Versteigerung und solches ist auch geschehen und gar glücklich gegangen.
Im allgemeinen ist gar gut verkauft worden. Und obschon man auf ein halbes Jahr Zeit gegeben hat, so ist doch alles glücklich und gut eingegangen, und Gott sei Dank nichts verloren worden. Sobald alles, was Geld ist, eingegangen war, hab ich gleich bezahlt, was wir schuldig gewesen sind und habe binnen einem Jahr ganz abbezahlt. Und was weiter an Barschaften dagewesen ist, hab ich alles auf Zinsen verliehen.
Nun, wie ich schon erwähnt, ist meine Tochter Esther Braut gewesen und schon lange verlobt gewesen, so daß wir weder dazu noch davon gekonnt haben. Nach den dreißig Trauertagen habe ich an Jachet, die Mutter des Bräutigams, nach Metz geschrieben und ihnen meinen betrübten Stand vorgestellt und geschrieben, da ich nun leider eine Witwe bin, und meine Tochter, die Braut, eine Waise, also möchten wir uns gegenseitig nicht länger aufhalten, und sie möchte den Bräutigam hierher zur Braut schicken, um zu sehen und gesehn zu werden, wie ich schon erwähnt und geschrieben. Aber die Antwort ist gewesen: Weil ich so viel über ihren Sohn geschrieben und Leute ebensoviel Verleumdung über meine Tochter gesagt, welches zu glauben steht, so wollten sie den Bräutigam nicht schicken. Wenn ich aber meinte, daß solche Lügner und Verleumder Wahrheit hätten, dann möchte ich einen von meinen Freunden nach Metz schicken und den Bräutigam besehen lassen. Und zudem, weil großer Krieg zwischen Seiner Majestät dem König von Frankreich und Deutschland gewesen ist, könnten [200] sie den Bräutigam nicht schicken, denn es wäre ihnen eine große Gefahr.
Also ist es länger als ein Jahr hingegangen mit solch verdrießlichen Schreiben hin und her, wie ich weiter schreiben werde. Zwischendessen ist mein Sohn Reb Löb auch ein großer hübscher Jüngling gewesen und man hat ihm viele vornehme Heiraten vorgeschlagen. Mein Schwager Reb Josef hat mit mir selbst geredet, er wollte ihm seine Tochter geben, er sollte fordern, was er haben wollte.
Aber mein Sohn Reb Löb hat keine Lust dazu gehabt und mehr Lust zu einer Heirat nach Berlin gehabt, welches leider mein und unser aller Unglück gewesen ist. Doch beschuldige ich niemanden als unsere Sünden. Der Höchste hat solches über uns beschlossen und hat meinen frommen Mann – er ruhe in Frieden – von dieser sündigen Welt hinweggenommen, damit er nichts Böses und keinen Unfall an seinen Kindern erleben soll, dagegen hat er mich in diesem großen Jammertal gelassen.
Nun, was soll ich mich dabei aufhalten? Mein Sohn Reb Löb ist ein junges Kind gewesen und von schlechten Menschen und Bösewichten leider verführt worden, daß er viel Kinderstreiche und Dummheiten gemacht hat.
Also hab ich mir gedacht, wenn ich meinen Sohn nach Hamburg gebe, da ist die Verführung gar groß und ich bin eine Witwe. Zudem, an wen ich mich auch hier wende, die Leute sind große Kaufleute und sie können nicht auf meinen Sohn Achtung haben.
Also hat mir mein Schwager Reb Elia die Heirat mit der Tochter von Reb Hirsch aus Berlin vorgeschlagen. Auf diese Heirat bin ich leider gleich eingegangen und habe gedacht, der Mann hat wenig Kinder und hat sein Geschäft meist in seinem Haus und er ist ein scharfer Mann, der wird sicher auf meinen Sohn wohl Achtung geben. Also habe ich meinen Sohn mit derselbigen Tochter verlobt und gemeint, ich hätte es gar wohl getroffen.
Nun ist es gegen die Hochzeit gegangen, und ich bin mit meinem Sohn, dem Bräutigam, und meinem Sohn Reb [201] Sanwel und meinem Schwager Reb Elia und mit Isachar Cohen nach Berlin zur Hochzeit gezogen und bei Reb Benjamin[2] in Berlin Gast gewesen. Soll ich schreiben von all der Ehre, die ich von dem Brautvater Reb Hirsch und von seinem Onkel, dem gelehrten Benjamin, und von allen Leuten in Berlin empfangen habe? Das kann ich nicht erschreiben. Und besonders von dem reichen Reb Juda und seiner Frau. Obwohl er mit allen Wienern[3] entzweit gewesen ist, hat er mir doch am Sabbat von allen vornehmen Konfitüren geschenkt, die man nur sehen konnte, und hat mir eine mächtige Mahlzeit gegeben. Kurz, was soll ich mich lang aufhalten, ich habe mehr Ehre empfangen, als ich würdig und wert gewesen bin.
Also ist die Hochzeit in Lust und Freude und Ehre beendet worden. Einige Tage nach der Hochzeit sind wir zusammen wieder nach Hamburg gezogen mit Freuden und vergnügtem Herzen. Vor meiner Abreise von Berlin habe ich mit Reb Hirsch, dem Schwiegervater von meinem Sohn, geredet und ihn gebeten, er sollte doch gut nach meinem Sohn sehen, denn er wär noch ein junges Kind, das kein Geschäft verstünd. Also sollt er nach dem Seinigen sehn, ich hätte mich darum mit ihm verschwägert, weil ich der Meinung bin, daß mein Sohn wieder einen Vater in ihm haben werde. Reb Hirsch hat mir auch geantwortet, ich sollte für meinen Sohn nicht sorgen, ich sollte wünschen, daß ich für alle meine Kinder also viel zu sorgen hätte als für den Sohn. Aber mein Gott und Herr, wie ist das Blatt so unglücklich umgeschlagen!
Der Schwiegervater von meinem Sohn, Reb Hirsch, hatte in den Verlobungsvertrag verschrieben, er wollte bürgen, daß mein Sohn sollte drei Jahre bei ihm Kost haben und alle Jahr sollte er vierhundert Reichstaler zurücklegen. Er hat aber eines so viel gehalten wie das andere, wie noch mehreres beschrieben werden soll.
Nun will ich meinen Sohn Reb Löb in Berlin lassen und weiter von meiner Tochter Esther schreiben. Wie schon erwähnt, [202] habe ich viele Briefe gewechselt und nicht zum Ziel kommen können. Endlich sind wir so weit gekommen, daß, da er mit dem Bräutigam nicht hat nach Hamburg kommen können oder wollen, und ich mit meiner Tochter, der Braut, nicht hab wollen nach Metz ziehen, wir uns also dahin verglichen haben, daß der Vater des Bräutigams, der reiche Gemeindevorsteher Reb Abraham Krumbach, und sein Sohn, der Bräutigam, sollen nach Amsterdam kommen. Dorthin will ich mit meiner Tochter, der Braut, auch kommen. Und dort werden sich Bräutigam und Braut einer den anderen sehen, um die Hochzeit nach beider Gutbefindung dort zu machen. Nun, was hab ich tun sollen? Ich bin darauf eingegangen und habe geschrieben, daß ich zu derselben Zeit, die wir zusammen bestimmt haben, mit meiner Tochter, der Braut, in Amsterdam sein will. Ich hab mich auch gleich fertig gemacht und bin mit meiner Tochter, der Braut, und mit meinem Sohn Nathan nach Amsterdam gereist. Wir haben gar gute Gesellschaft gehabt und eine schöne, vergnügliche Reise gehabt. Wir sind bei meinem Schwiegersohn Koßmann in Amsterdam zu Gast gewesen. Aber der Bräutigam ist einige Tage früher nach Amsterdam gekommen und ist bei Reb Moses Emmerich zu Gast gewesen. Gegen Abend nach dem Nachmittaggebet kommt mein Bräutigam in unser Haus zu gehen. Ich hab mich sehr gefreut und mit ihm geredet und er hat mir in jeder Beziehung gar wohl gefallen, so daß ich von allen Fehlern, die die Leute von ihm gesagt haben, nichts gesehen habe. Wir sind zwei, drei Stunden beisammen gewesen und ich hab Gott – gelobt sei er – in meinem Herzen gelobt und gedankt und bin gar wohl zufrieden gewesen. Mein Sohn Nathan und ich, wir haben in Amsterdam alle Tage mit Edelsteinen gehandelt. Wie wir nun acht Tage in Amsterdam sind, schreibt Mirjam, die Frau des Gevatters Reb Elia Cleve – das Andenken des Gerechten gesegnet – wir sollten ihr doch die Ehre erweisen und mit Bräutigam und Braut nach Cleve kommen, weil sie ja die Vermittler der Heirat gewesen sind und viel Unannehmlichkeiten gehabt haben, [203] also soll man ihr doch die Freude machen und zu ihr kommen.
Obschon wir haben wegen unserem Geschäft nicht gut abkommen können, hab ich ihr doch solches nicht versagen können und wir sind zusammen nach Cleve gezogen. Wir haben uns zwar beim ersten Anblick zusammen mit Freudentränen benetzt, weil wir uns zum erstenmal in unserem betrübten Witwenstand gesehen haben, aber nachdem die erste Betrübnis vorbei gewesen ist, ist alles in Lust und Freude verwandelt gewesen und wir haben eine von der anderen große Vergnüglichkeit gehabt.
Meine Tochter Zipora ist auch mitgewesen. Die Gevatterin Mirjam – sie ruhe in Frieden – wollte haben, daß wir die Hochzeit in Amersfort machen sollten. Aber solches ist mir nicht gelegen gewesen, denn wir haben doch wieder in Amsterdam sein müssen. Wir sind fünf Tage mit aller Vergnüglichkeit in Cleve gewesen. Nachher ist unser Bräutigam und Braut und wir sämtlich wieder nach Amsterdam gezogen, und sobald wir nach Amsterdam gekommen sind, haben wir zu Gutem Anstalt zur Hochzeit gemacht. Nur anstatt daß wir gemeint, zwanzig oder dreißig Leute zu haben, hatten wir hingegen 400 Personen. Kurz, wir haben eine solch vornehme Hochzeit gehabt, als nicht in hundert Jahren in Amsterdam gewesen ist. Sie hat uns auch über vierhundert Reichstaler gekostet.
Nun, nach der Hochzeit bin ich einige Wochen in Amsterdam gewesen und habe unsere Geschäfte abgewartet und haben uns danach zu unserer Reise fertig gemacht. Ich hab meinen Schwiegersohn Moses gebeten, er sollt mit mir nach Hamburg ziehn, ich will sie freihalten. Aber mein Schwiegersohn hat nicht gewollt. Also sind wir von Amsterdam mit aller Vergnüglichkeit in Hamburg angelangt und haben unsere Kinder und alle guten Freunde gesund gefunden.
Ich habe alle Post Briefe gehabt von meinem Sohn Reb Löb – er ruhe in Frieden – daß er wohl handelt und jedermann ihn rühmt, wie ein wackerer Handelsmann er wäre. Er ist nach Leipzig gezogen und hat Waren eingekauft [204] und hat in Berlin ein großes Gewölbe gehabt. Meine Kinder haben mit ihm gehandelt. Ich hab einigemal an seinen Schwiegervater Reb Hirsch geschrieben, ob er auch gut mit zusieht, denn er ist ein junges Kind und ist in keinem Geschäft gewesen und nur immer in der Schule und im Lehrhaus gesessen.
Sein Schwiegervater Reb Hirsch hat mir oft geschrieben, ich sollte für das Kind nur nicht sorgen. Ich hab mich damit zufrieden geben müssen und habe gemeint, es wäre um meinen Sohn Reb Löb alles wohl bestellt.
Nun hab ich meine Tochter Hendele – sie ruhe in Frieden – gehabt. Sie ist eine Jungfrau gewesen, die keinesgleichen gehabt hat in ihrem Tun und ihrer Schönheit. Also hat uns der Vermittler Josel wieder eine betrübte Heirat in Berlin vorgeschlagen. Und zwar ist dort eine Witwe gewesen, die hat Reb Baruch von Berlin gehabt. Der Reb Baruch ist ein braver Mann und sehr reich gewesen, ist gestorben und hat zwei Söhne und zwei Töchter hinterlassen.
Also hat der Vermittler meiner Tochter – sie ruhe in Frieden – den Sohn vorgeschlagen, er ist der älteste von den Kindern gewesen. Er hat mir gesagt, er wär ein feines Kind, lernt gut und hätt fünftausend Reichstaler bares Geld und ein halbes Haus, das auch fünfzehnhundert Reichstaler wert wäre und heiliges Gerät von Silber und andere Sachen. Seine Mutter wollte ihn bei sich behalten und zwei Jahre Kost an ihrem Tisch geben, denn sie ist noch ganz im Geschäft gesessen. Nun, ich hab dem Vermittler geantwortet, daß ich die Heirat nicht ausschlage, nur wollt ich es bedenken und ihm dann Antwort sagen.
Nun, ich hab meinen Schwager Reb Josef und andere Leute, gute Freunde, gefragt und sie haben mir alle zu dieser Heirat geraten. Aber alle haben doch gesagt: »Du hast doch deinen Söhn Reb Löb in Berlin wohnen, der wird dir alles schreiben.«
Also hab ich meinem Sohn Reb Löb geschrieben, er sollte mir die ganze Wahrheit schreiben. Also hat er mir [205] geschrieben und mir geraten, ich sollte auf die Heirat eingehen, denn der junge Mann hätte fünftausend Reichstaler und auch andere Sachen, wie der Vermittler gesagt hat.
Also hab ich meinem Sohn Reb Löb Vollmacht geschickt, welcher die Verlobung in Berlin abgemacht hat. Zu meiner großen Betrübnis ist die Hochzeit auf fast anderthalb Jahre hinausgeschoben worden. Ich habe gemeint, es wäre alles gut und habe gedacht, weil ich ein Kind in Berlin hätt, dem es wohl ging, wollt ich dieses Kind auch dahin geben, damit das eine am anderen Freude hätte. Aber es ist leider ganz anders ausgeschlagen. Denn, wie erwähnt, mein Sohn Reb Löb ist noch gar jung gewesen und hat keinen Handel verstanden. Anstatt daß sein Schwiegervater Vorsehung für ihn hätte haben sollen, hat er ihn gehen lassen wie ein Schaf ohne Hirten. Mein Sohn hat, wie schon erwähnt, ein großes Geschäft angefangen und ein großes Gewölb in Berlin mit allerhand Waren gehabt. Sein Schwiegervater Reb Hirsch hat seinen Sohn Reb Model verheiratet und sich mit meinem Schwager Reb Josef verschwägert.
Dieser Reb Model ist auch noch gar jung und nicht wohlgezogen gewesen. Der Schwiegervater Reb Hirsch hat die ganze Mitgift von viertausend Reichstalern genommen und hat solche meinem Sohn Reb Löb in sein Geschäft gegeben. Mein Sohn hat diesen Reb Model in seinem Gewölb sitzen gehabt, sozusagen damit er mit zusehe. Aber, daß sich Gott erbarm, wie er zugesehen hat! Diener und Dienerinnen haben leider alles gestohlen und auch sonst andere schlechte Menschen, wie es zu Berlin und dortherum gibt.
Sie haben sich an ihn herangemacht, sozusagen mit ihm gehandelt und das Weiße aus den Augen gestohlen. Er hat etliche Tausende an Polaken geborgt, was leider alles verloren gegangen ist. Ich und meine Kinder haben solches nicht gewußt. Meine Kinder und ich haben gemeint, er säße in großem Geschäft und Verdienst. Deshalb haben wir ihm viel kreditiert. Ich habe damals auch eine Fabrik von Hamburger Strümpfen gehabt, die ich für etliche Tausende selbst habe machen lassen. Also hat mir der unglückliche [206] Sohn geschrieben, ich sollte ihm für tausend Reichstaler und mehr Strümpfe schicken, welches ich auch getan. Ich bin auf der Braunschweiger Messe gewesen, dort sind Amsterdamer Kaufleute gewesen, die für ungefähr achthundert Reichstaler Wechsel auf meinen Sohn Reb Löb gehabt haben.
Mein Sohn Reb Löb – das Andenken des Gerechten gesegnet – hat mir nach Braunschweig geschrieben, ich sollte doch seine Wechsel in Ehren zahlen, er wollte mir das Geld nach Hamburg remittieren. Nun, wie ich allezeit für meine Kinder gewesen, habe ich mir gedacht, ich will ihm keine Schande antun lassen, daß ich seine Wechsel hätte protestieren lassen, und ich hab alles in Ehren gezahlt. Wie ich nun von der Braunschweiger Messe gekommen bin, bin ich der Meinung gewesen, Wechsel von meinem Sohn Reb Löb für mich zu finden, es ist aber nichts vorhanden gewesen. Obzwar ich davon geschrieben habe, hat mir mein Sohn allezeit Antworten geschrieben, die mir nicht gefallen haben. Nun was hab ich tun sollen; ich hab mich zufriedengeben müssen.
In vierzehn Tagen danach ist ein guter Freund zu mir gekommen und hat zu mir gesagt: »Ich kann es dir nicht vorenthalten und muß dir sagen, daß mir die Geschäfte von deinem Sohn Reb Löb gar nicht gefallen, denn er steckt in großen Schulden, ist seinem Schwager Reb Model viertausend Reichstaler schuldig, und derselbe sitzt in seinem Gewölb, daß er sozusagen zusehen sollte, aber er ist ein Kind und nicht kapabel dazu. Er nascht und frißt und sauft und jeder ist Herr und Meister im Gewölb. Dein Sohn Reb Löb ist zu gut und fromm und läßt einen jeden schalten und walten. Zudem saugen ihn die Berliner mit Zinsen aus und er hat zwei Wölfe über sich. Der eine ist Reb Wolf, der Sohn des Oberrabbiners von Hamburg Reb Salomon Mirels und der andere Wolf ist der Schwager des gelehrten Reb Benjamin. Der letztere Reb Wolf geht ihm alle Tage in sein Gewölb und trägt ihm heraus, was er sieht und was er nicht sieht. Zudem hat er [207] Geschäfte mit Polaken; so viel ich weiß, hat er in kurzer Zeit viertausend Reichstaler verloren.« Und solche Geschichten mehr, daß mir fast meine Seele darüber weggeflogen ist. Ich bin, Gott behüte, auf der Stelle ohnmächtig geworden. Der Freund, der mir das gesagt hat, hat gesehen, daß ich mich so gar erschrocken habe, hat Trostworte zu mir geredet und mir gesagt, ich sollte mich nicht so sehr erschrecken. Wenn man beizeiten zusehe, könnte ihm noch geholfen werden. Ich habe solches meinem Sohn Reb Nathan und meinem Sohn Reb Mordechai gesagt, welche sich auch gar sehr erschrocken haben und gesagt haben, sie hätten auch ein jeder etliche Tausende von ihm zu bekommen. Nun, du großer Gott, du weißt, wie mir bei solchen Sachen zumute gewesen ist.
Mein Sohn Reb Löb ist mir mehr als dreitausend Reichstaler schuldig gewesen. Doch hätte ich solches alles nicht geachtet, wenn meine beiden frommen Kinder nicht so tief mit darin gesteckt wären. Nun, was haben wir betrübten Leute tun sollen? Wir haben es keinem Menschen sagen dürfen. Wir haben uns zusammen beredet, daß ich mit meinem Sohn Reb Mordechai will auf die Leipziger Messe ziehn, um zu sehen, wie alle Sachen stehen. Nun kann man wohl denken, wie wir unsere Zeit verbracht haben. Nun bin ich und mein Sohn Reb Mordechei nach Leipzig gezogen. Wie wir dorthin gekommen sind, ist mein Sohn Reb Löb schon dort gewesen, welcher jede Messe dort gewesen ist und dort viele Waren gehabt hat. Also hab ich mit ihm geredet: »So und so geht die Rede – denk an Gott und an deinen frommen ehrlichen Vater, damit du nicht dich und uns alle in Schande bringst.« Hat er geantwortet: »Ihr braucht nirgends für mich zu sorgen. Kürzlich, keine vier Wochen her, hat mein Schwiegervater Reb Hirsch seinen Schwager Reb Wolf von Prag bei sich gehabt, welcher mit mir hat rechnen müssen und er hat befunden, daß ich, Gott sei Dank, ganz gut steh.«
Also sag ich zu ihm: »Zeig mir deine Bilanz.« Hat er geantwortet: »Ich hab sie nicht bei mir. Tu mir den Gefallen, [208] zieh mit mir nach Berlin in mein Haus, dort will ich euch alles zeigen, daß ihr vergnügt sein werdet.«
»Auf alle Fälle,« hab ich zu ihm gesagt, »kauf jetzt kein Stück Ware.«
Aber Reb Isaak und Reb Simon[4], Sohn von Reb Man in Hamburg, sind hinter meinem Rücken hergegangen und haben ihm für mehr als vierzehnhundert Reichstaler Waren verkauft und geborgt. Ich bin es gewahr worden und bin zu ihnen gegangen und hab sie um Gottes willen gebeten, sie sollten doch das Geschäft zurückgehen lassen, denn mein Sohn sollte sich aus dem Warenhandel heraustun, denn es wäre sein Verderben. Aber es hat mir alles nicht helfen wollen, sie haben meinen Sohn gezwungen, er hat die Ware nehmen müssen. Nun, nach der Leipziger Messe bin ich und mein Sohn Reb Mordechai nach Berlin gezogen mit seinem Schwiegervater Reb Hirsch und allen Berlinern.
Wie ich nun nach Berlin in das Haus von meinem Sohn gekommen bin, ist am ersten Abend nichts geschehen. Ich bin von der Reise müde gewesen, doch haben wir zusammen geredet. Hat mein Sohn gesagt: »Es fehlt mir nicht mehr, als daß ich zu voll mit Waren stecke.«
Also hab ich zu ihm gesagt: »Du bist mir über dreitausend Reichstaler schuldig. Ich will meinetwegen dafür lauter Waren annehmen, für das, was sie dich gekostet haben.«
Also sagt mein Sohn Reb Löb: »Meine liebe Mutter, wenn du das tun willst, so kann ich aus all meiner Not kommen, so daß keiner an mir zu kurz kommen soll.«
Nun, den nächsten Tag bin ich mit meinem Sohn in sein Gewölb gegangen. Es ist in Wahrheit eine Menge Ware in seinem Gewölb gewesen. Also hat er mir für dreitausend Reichstaler Waren gegeben, so wie sie ihn gekostet haben. Nun kann man sich wohl denken, was ich für ein Gesicht gehabt hab. Aber ich wollte alles nicht achten und hab nur gemeint, meinem Kinde zu helfen. Also haben wir die Waren alle in Packen eingepackt und hab sie wollen nach Hamburg schicken. [209] Nun sind aber die zwei Päckchen mit Waren, welche mein Sohn Reb Löb von Reb Isaak und Reb Simon in Leipzig gekauft hatte, noch zugepackt in seinem Gewölb gestanden. Also hab ich zu meinem Sohn gesagt: »Diese zwei Päckchen Ware schick an diese beiden Leute. Ich will schon machen, daß sie die Waren nehmen sollen, wenn es mich auch Geld aus meiner Tasche kosten sollte. Nun, hab ich das Meinige,« hab ich zu meinem Sohn gesagt, »woher kriegen nun mein Sohn Nathan und mein Sohn Mordechai das Ihrige?« Da hatte er Wechsel gekriegt und polnische Membranen über zwölftausend Reichstaler und er hat sie meinem Sohn Reb Mordechai gegeben, davon sollte er bezahlt werden.
Nun, wir sind zusammen heim gegangen. Wir waren den ganzen Tag in seinem Gewölb gewesen. Das Nachtessen hat mir nicht wohl geschmeckt, wie zu denken ist. Am nächsten Tag frühmorgens kommt mein Sohn Reb Löb zu mir in meine Kammer und sagt, sein Schwiegervater Reb Hirsch hätte mit ihm geredet, er wollte die Waren nicht aus Berlin lassen, nachdem mein Sohn Reb Löb seinem Sohn Reb Model viertausend Reichstaler schuldig wäre, die sollte ich ihm bezahlen, dann könnte ich die Waren hinschicken, wohin ich wollte. Solches hat mir mein Sohn Reb Löb mit schreienden Augen gesagt. Nun, was für eine Bestürzung und Todesangst ist auf mir gewesen! Ich habe nicht aus dem Bett aufstehen können und so lange ich in dem unglücklichen Berlin gewesen bin, hab ich nicht können aus meinem Bett aufstehn.
Also hab ich nach meinem Gevatter Reb Hirsch geschickt und ihm gesagt, was er mir da tut, ob er mich und mein Kind auf einmal schlachten wollte?
Aber was sollt ich viel schreiben, zehn Bogen langten alle nicht aus! Ich habe Reb Hirsch müssen einen Wechsel geben, daß ich binnen vierzehn Tagen Ziel in Hamburg fünfundzwanzighundert Reichstaler Geld zahlen wollte. Und mein Gevatter Reb Hirsch hat dabei gesagt: »Ich hoff nicht, daß einer irgendwie zu kurz kommen soll, denn er behält [210] noch so viele Waren in seinem Gewölbe übrig. In Frankfurt an der Oder hat er auch noch für ungefähr zweitausend Reichstaler Waren stehen, außer den vielen Wechseln und Membranen, die dein Sohn Reb Mordechai in Händen hat, daß ihr bezahlt werden könnt.«
Nun, was haben wir tun sollen, wir haben uns alles gefallen lassen müssen. Ich habe den Wechsel unterschrieben, und wie schon erwähnt, meine Waren nach Hamburg geschickt.
Ich bin mit dem Gevatter Reb Hirsch in sein Gewölb gegangen und hab ihm die zwei Päckchen mit Waren von Reb Isaak und Reb Simon gezeigt, er sollte sie doch gleich an die Leute schicken, damit mein Sohn aus seiner Verpflichtung käme.
Die Wechselbriefe und Membranen, die mein Sohn Reb Mordechai in seiner Hand gehabt, sind uns wenig nutz gewesen. Wir haben sie dem Gevatter Reb Hirsch gegeben, der sollte meinem Sohn Reb Mordechai den Handschlag darauf geben, das, was darauf einkommt, sofort nach Hamburg zu remittieren.
Nun ist mein Sohn Reb Löb dem Löb Bischeri und Löb Goslar ungefähr zweitausend Reichstaler schuldig gewesen, da hat er mir diese Wechsel geschickt, um an sie zu bezahlen. Nun hätte ich selbige Wechsel wohl für unsere Bezahlung behalten können, ich hab aber gedacht, wenn ich das tu, ist mein Sohn Reb Löb einfach bankrott. Ich hab ihnen also die Wechsel gegeben. Nun sind wir mit traurigem, verbittertem Gemüt heimgezogen. Ich hab kaum mehr die Seele in mir gehabt.
Mein liebes, frommes Kind Reb Mordechai hat es mir zwar ausreden wollen, aber Gott weiß, daß es ihm nebbich viel weher gewesen ist als mir, wie es sich leider erwiesen hat.
Nun ist die Messe von Frankfurt an der Oder nahe gewesen. Nun haben wir – Gott zuvor – darauf unsere Zuversicht gehabt, daß wir von dort Ersatz bekommen würden. Aber anstatt dessen ist sein Schwiegervater in sein Gewölb gefallen und hat alles, was ihm gehört hat, an sich [211] genommen. Nicht nur all seine Waren und all seine Wechsel, sondern auch die zwei Päckchen mit Waren, und es ist ihm und uns kein Heller geblieben. Und was noch mehr: Mein Sohn ist einem Kaufmann tausend Reichstaler schuldig gewesen, wofür er ihm Wechsel auf Hamburg hat geben sollen. Aber der Kaufmann ist das alles gewahr worden, er wollte nicht von ihm weichen und wollte ihn in Berlin ins Gefängnis legen lassen. Was hat mein Sohn tun sollen? Sein Schwiegervater hätte ihn im Gefängnis verrotten und verfaulen lassen, ehe er ihm mit hundert Reichstaler geholfen hätte, geschweige mit tausend Reichstaler. Da hat Reb Löb mit dem Kaufmann geredet: »Du siehst ja wohl, daß hier nichts zu bekommen ist, ich will mit dir nach Hamburg ziehn. Meine Mutter und Brüder werden mich nicht verlassen. Du kannst mich ja in Hamburg auch gefangen nehmen.«
Und mein Sohn Reb Löb schreibt gleich an mich: »Ich werde Freitag bei dir sein. Ich kann dir die Ursach nicht schreiben. Ich werde dir alles mündlich sagen.«
Den Brief habe ich einen Tag vor seiner Ankunft bekommen. Man kann wohl denken, wie mir zumute gewesen ist, und daß ich mir nichts Gutes einbilden konnte, da ich wohl gewußt hab, daß ihm sein Schwiegervater alles genommen, daß er in Hamburg Schulden gehabt und nichts zum Bezahlen gehabt hat. Aber ich bin bald aus dem Traum gekommen. Am Freitag früh hab ich einen Boten gekriegt, mein Sohn Reb Löb wär in dem Kaufmann seinem Haus, ich oder eines von meinen Kindern sollten zu ihm kommen. Ich hab mich maßlos erschreckt und konnte beinahe keinen Schritt gehn. Mein Sohn Reb Mordechai ist zu ihm gegangen und hat mir die bittere, betrübte Zeitung gebracht. Nun habe ich mich mit meinem Schwager Reb Josef und mit meinem Schwager Reb Elia beraten, was hierbei zu tun ist. Wenn es länger währt und andere Kreditoren es gewahr werden, ist er einfach verloren. Endlich sind wir dabei verblieben, man soll tausend Reichstaler von der Erbschaft nehmen, um ihn aus des Kaufmanns Händen zu retten. Und er soll bei dem Kaufmann im Haus bleiben bis gegen Abend und dann bis [212] Sonntag bei mir bleiben. Und Sonntag früh soll ich ihn mit meinem Schwager Reb Samuel Bonn nach Hameln schicken. Er soll einige Zeit bei Reb Samuel, dem Sohn meines Schwagers in Hameln sein, bis man sieht, was man mit ihm anfängt. Nun, solches ist geschehen. Es hat mich wieder viel Geld gekostet. Mein Sohn Reb Löb ist in Hameln gewesen, und ehe er nach Hameln gekommen ist, hat er müssen auf Hannover zu ziehn. Obzwar mein Verwandter, der reiche Reb Jakob Hannover, großes Mitleid mit ihm gehabt hat und auch mit ihm sehr mitleidig gesprochen hat, so ist solches doch ohne allen Effekt und Hilfe geschehen. Sie haben mir zwar von Hannover tröstlich geschrieben und mich getröstet. Ich habe ihnen gebührlich wieder geantwortet und mich für ihren Trost bedankt, aber damit wär es nicht getan, ob sie nicht ins Mittel springen und helfen wollten, daß mein Sohn wieder zurechtkäme. Er ist noch ein junger Mann und Gott könnte ihm wieder helfen. Ich habe aber zur Antwort bekommen von dem genannten reichen Reb Jakob, er wollte ihm assistieren und ihm fünfhundert Reichstaler geben, wenn mein Sohn Nathan und mein Sohn Mordechai ihm schriftlich geben wollten, daß sie für solches Geld Bürge leisten wollten. Daraus ist dasselbe zu ersehen, wie aus der Geschichte zu ersehen war, daß man niemanden, ehe er erprobt ist, für einen Freund halten soll. Ich hätte vermeint, daß Reb Jakob, welcher meiner Kinder naher Freund ist, um meines Mannes – das Andenken des Gerechten gesegnet – Ehre ein Mehreres getan und für seines Onkels Ehre zweitausend aufgewendet hätte. Aber wie schon erwähnt!
Nun ist mein Sohn Reb Löb ein halbes Jahr in Hameln gewesen. Danach ist der Kurfürst von Brandenburg nach Hannover gezogen, welches ich sofort wahrgenommen, und ich hab an meinen Schwager Reb Lipmann nach Hannover geschrieben, daß er sehen möchte, bei dem Kurfürsten – Gott erhöhe seinen Ruhm – ein freies Geleite zu erwirken, damit er wieder nach Berlin kommen und sehen kann, daß er etwas von seinen Schulden einbekommt, damit er auch seine Kreditoren befriedigen könnte. Denn er ist von Juden [213] und Nichtjuden gar wohl gehalten worden, und man hat wohl gewußt, daß er um das Seinige gekommen ist, und daß Bösewichte und Lumpen – ihr Name soll ausgelöscht werden – ihn darum gebracht haben. Er ist leider viel zu gut gewesen und hat einem jeden Mann geglaubt. Es sind noch etliche kleine Schulden da gewesen, von denen hat er noch zupfen können und hat gemeint, Gott – er sei gelobt – werde sich seiner erbarmen und ihm wieder zurechthelfen. Aber es scheint, daß der Himmel uns viel zu sehr erzürnt gewesen ist.
Also ist mein Sohn Reb Löb wieder nach Berlin gezogen.
Er hat angefangen wieder ein wenig zu quackeln und zu handeln; er hat ein Loch zu und das andere aufgemacht, wie es bei solchen Leuten üblich ist, und hat immer gemeint, sich zu helfen. Nun, wie schon erwähnt, habe ich meine liebe, fromme Tochter nach Berlin verlobt, in der Zeit, da ich gemeint habe, daß mein Sohn in Wohlstand in Berlin gesessen wäre. Aber jetzt, da es leider so unglücklich gekommen ist, ist mir Berlin gar zuwider gewesen. Zudem hat mir mein Sohn Reb Löb gesagt, daß der Bräutigam nicht so viel hätte als sie ihm zugeschrieben haben. Obschon er dafür hätte Zeugnis ablegen können, so hätte er doch damals schon in seinen Nöten gesteckt, und die Schwiegereltern hätten ihm leider mit Geld zu seinem Untergang assistiert, so daß er so hätte an mich schreiben müssen, was sie gewollt haben. Ich habe solches meinen Freunden und anderen Leuten zur Kenntnis gegeben. Die Zeit der betrübten Hochzeit ist gewesen, da haben sie von Berlin geschrieben, daß der Bräutigam nicht mehr als dreitausendfünfhundert Reichstaler und sein halbes Haus hat. Nun habe ich die Heirat nicht zugeben wollen, weil sie mir die Bedingungen nicht gehalten haben. Also hat das Schreiben und Mahnen länger als ein Jahr gewährt, bis ich – Gott sei es geklagt – wirklich bei den Haaren bin dazu gezwungen worden und mich endlich resolvieren mußte, mit meiner Tochter nach Berlin zu ziehen und dort Hochzeit zu machen. Die Mitgift von meiner Tochter – sie ruhe in [214] Frieden – ist hier in Hamburg auf Zinsen geblieben und die Mitgift des Bräutigams ist in Berlin auch bei vertrauenswerten Menschen auf Zinsen gelegt worden.
Obschon ich mit schlechter Freude zu der betrübten Hochzeit gezogen bin, von wegen meines Sohnes Reb Löb, da ich gewußt habe, daß ich schlechte Vergnüglichkeit dort finden werde, und zum anderen, daß mir die Heirat gar zuwider ist gewesen. Aber leider ist das Ende noch ärger gewesen als der Anfang, wie weiter folgen wird.
Also bin ich mit meiner Tochter – sie ruhe in Frieden – zur Hochzeit nach Berlin gezogen und bin bei meinem Sohn Reb Löb zu Gast gewesen. Obschon mir sehr weh gewesen ist, denn leider hab ich wenig Vergnüglichkeit von meinem Sohn gehabt, hab ich mich doch überwunden, mich um nichts gekümmert und gedacht, ich will mir die Freude meines Kindes nicht verstören. Soll ich nun schreiben von dem Zustand von meinem Sohn. Daß sich Gott erbarme! Was soll ich viel schreiben? Er hat nebbich genug das Seinige getan, ist gelaufen und gerannt, aber, wie schon erwähnt, obschon mir mein Herz im Leib wirklich zersprungen ist, hab ich mir meinen Kummer doch nicht ansehn lassen wollen.
Also ist die Hochzeit in Lust und Freude beendet worden und mit allen Ehren. Der reiche Reb Juda Berlin und seine Frau und sein ganzes Haus haben uns die Ehre erwiesen und sind auf der Hochzeit gewesen, so daß sich alle Welt darüber gewundert hat. Sie sind nämlich nie auf einer Wiener Hochzeit gewesen. Auch haben sie der Braut ein vornehmes Geschenk zur Aussteuer gegeben. Nach der Hochzeit haben sie uns den Bräutigam und die Braut eingeladen und uns gar eine vornehme Mahlzeit gemacht.
Nun, wie das vorbei gewesen ist, haben wir uns wieder gerüstet, nach Hause zu gehn. Aber mit solchem Elend und Schwermut, weil ich leider den schlechten Zustand von meinem Sohn Reb Löb hab vor mir gesehen. Dennoch habe ich mir allein die Hoffnung gemacht, vielleicht wird sich Gott – er sei gepriesen – erbarmen und wird ihm wieder helfen, daß er wieder zurechtkommen wird. [215] Also sind wir nach Hamburg gezogen, und ich habe meine liebe, fromme Tochter in Berlin gelassen, welche ich leider nimmermehr zu sehen bekommen habe. Ob unser beider betrübte Herzen uns solches haben schon ahnen lassen? Denn es ist nicht zu beschreiben, was meine liebe, fromme Tochter und ich zusammen aus Kummer getrieben haben. Es war eben als wenn es vor uns geschrieben wäre, daß wir uns nimmermehr wiedersehen sollten in dieser betrübten sündigen Welt. Also sind wir auf ewig voneinander geschieden.
Nun bin ich nach Hamburg gekommen und habe alle Post ziemlich vergnügliche Briefe von meiner Tochter gehabt. Wenn sie auch großen Kummer und Herzeleid von meinem Sohn Reb Löb gehabt hat, so hat sie mir doch als ein frommes, kluges Kind nichts davon erwähnen und mich nicht betrüben wollen, und es scheint, sie hat solch große Betrübnis und Kummer allein auf ihr frommes, liebes Herz gesetzt. Denn jeden Morgen, jeden Tag ist etwas Neues gewesen, so daß er sich leider nicht länger in Berlin hat halten können und von Berlin wieder weichen mußte. Er ist nach Altona gekommen in den Schutz des Präsidenten. Was ich für Kummer, Bedrängnis und Herzeleid darüber und von seinen Kreditoren eingenommen habe, soll eine Sühne für unsere Sünden sein. Nun, es hat mich Tag für Tag viel Geld gekostet. Mein Sohn ist zu tot krank geworden. Ich habe alle Tage zwei Aerzte von Hamburg nach Altona geschickt und seine Wärter und übrigen Bedürfnisse, was mich wieder viel Geld gekostet hat. Endlich ist er wieder besser geworden. Nachher ist meine brave Tochter Hendele – sie ruhe in Frieden – in Berlin krank geworden, welche Krankheit sie leider mit ihrem jungen Blut hat zahlen müssen, zu meinem und zu aller Menschen, die sie gekannt haben, großem Herzeleid. Ach, mein Gott, wie eine harte Strafe ist das gewesen! So ein lieber, wackerer junger Mensch, wie ein Tannenbaum, und alle Wohlkindigkeit und Frömmigkeit ist in ihr gewesen, so daß sie wohl zu unseren Stammmüttern hat eingehen mögen! Was alle Leute in ganz Berlin [216] und besonders ihre Schwiegermutter, welche sie sehr geliebt hat, für Kummer um sie gehabt, ist nicht zu beschreiben.
Aber was hilft das alles meinem betrübten mütterlichen Herzen? Es ist siebzehn Wochen nach der Hochzeit gewesen. Nun, ich mag mich nicht länger hier aufhalten und meine Wunden aufs neue wieder aufreißen.
Nach den sieben Trauertagen hat mein Sohn Reb Löb zu mir geschickt, ich möchte zu ihm kommen. Wie ich nun zu ihm gekommen bin, wie zur Klage-Eiche, hat er geheult und ich hab geheult, und mein Sohn Reb Löb hat mich getröstet, so gut er gekonnt hat. Danach hat er zu mir gesagt: »Meine liebe Mutter, was wird aus meinem betrübten Zustand? Ich bin ein junger Mann und gehe müßig herum. Meine brave Schwester – sie ruhe in Frieden – ist gestorben und hat keine Nachkommen hinterlassen. Ihr Mann muß ihre Mitgift wieder geben, welche meinen Brüdern gehört. Wenn meine Brüder noch diesesmal mit mir Erbarmen haben wollen und mir mit dem Geld helfen wollen, daß ich mit meinen Kreditoren einen Vergleich machte, damit ich nach Hamburg kommen könnte, so meine ich mich mit Gottes Hilfe wieder ernähren zu können.«
Mein betrübtes Herz ist mir schwer und voll gewesen. Ich hab ihm vor bitter betrübten Tränen nicht antworten können und gesagt: »Welche Schlechtigkeit ist das von dir! Du weißt wie deine frommen Brüder an dir zu kurz gekommen sind, und sie können es leider Gottes wirklich nicht mehr aushalten. Und nun, da sie das bisselchen betrübte Geld wider ihren Willen bekommen, willst du ihnen das auch aus ihrem bitterlich betrübten Herzen reißen!«
Also haben er und ich alle beide eine Stunde jämmerlich geheult und geschrien und weiter kein Wort einer mit dem anderen reden können.
Ich hab mein Regenkleid stillschweigend umgenommen und bin mit Schreien und bitter Klagen nach Hamburg nach Hause gegangen und habe meinen Kindern keinem etwas gesagt. Aber mein Sohn Reb Löb – er ruhe in Frieden – hat nicht nachgelassen. Er hat zu meinen Kindern geschickt [217] und sie so viel gebeten, und sie, die ohnedies so barmherzige Menschen sind, haben ihm zugesagt, damit zu helfen, welches auch in kurzer Zeit ausgeführt worden ist, und er ist mit seinen Kreditoren einig geworden. Also ist er zu mir in die Stadt gekommen. Solches ist sein Schwiegervater Reb Hirsch Berliner gewahr worden, und er hat seine Tochter, die Frau des Reb Löb, mit einem Kind auch zu mir nach Hamburg geschickt. Und er hat seiner Tochter jede Woche zwei Reichstaler zu verzehren gegeben. Nun, was hab ich tun sollen? Ich hab mir alles wohl gefallen lassen müssen. Ich hab damals gar stark mit Waren gehandelt, so daß ich alle Monat für mehr als fünfhundert oder sechshundert Reichstaler Ware verschlissen habe. Außerdem bin ich alle Jahr zweimal auf die Braunschweiger Messe gereist, so daß ich alle Messe mehrere tausende gelöst habe, daß ich hätte den Schaden für mich und meinen Sohn Reb Löb verschmerzen können, wenn ich Ruhe gehabt hätte. Ich habe gar gut mit Waren gehandelt, ich habe von Holland Waren kommen lassen, auch hab ich in Hamburg viel Waren gekauft und wieder verkauft, ich hab mein eigenes Gewölb mit Waren gehabt. Ich hab mich auch nicht verschont und bin gereist im Sommer und Winter und bin den ganzen Tag durch die Stadt gelaufen. Zudem hab ich einen schönen Handel mit Unzenperlen gehabt; ich hab von allen Juden gekauft und sie dann ausgelesen und sortiert und wieder verkauft an Orten und Enden, wo ich gewußt hab, daß sie angenehm sind, und habe großen Kredit gehabt.
Wenn ich an der Börse zu einer Börsezeit hätte zwanzigtausend Reichstaler Banco haben wollen, hätte ich sie bekommen können. Aber auf das alles hab ich nicht geachtet. Ich hab da meinen Sohn Reb Löb vor mir gesehn, einen jungen wackeren Menschen, ein gelehrter, ein frommer Mensch, und soll also zugrunde gehn! Also hab ich einmal zu ihm gesagt: »Hör zu, ich sehe leider keinen rechten Ernst für dich. Ich sitz in großem Geschäft, es wird mir beinahe zu schwer. Du sollst mir behilflich sein in meinem Geschäft, und ich will dir von allem, was ich verkaufen werde, zwei [218] vom Hundert geben.« Wer ist froher gewesen als mein Sohn Reb Löb? Er hat solches mit großer Freude angenommen und ist auch sehr fleißig gewesen, und hätt auch gar wohl zurecht kommen können, wenn ihn seine Güte nicht zugrunde gerichtet hätte. Nun durch meine Kundschaft ist er bei Kaufleuten sehr bekannt geworden und hat bei ihnen Kredit gehabt, und er hat fast all das Meinige unter Händen gehabt.
Mein Sohn Reb Josef ist damals ein Junge von vierzehn Jahren gewesen, gar ein feines Kind und hat gar gut gelernt. Also hätt ich ihn gern weggeschickt zum Lernen und hab nicht gewußt, wohin ich ihn schicken sollte.
Also ist ein Lehrer bei Isaak Polak gewesen, ein wackerer junger Mann, der ist ein großer Gelehrter gewesen, von der Lissa. Derselbe hat gehört, daß ich meinen Sohn lernen schicken will. Also ist er zu mir gekommen und hat mit mir geredet, weil er gehört hätte, daß ich meinen Sohn Reb Josef lernen schicken wollte, also sollt ich ihn ihm mitgeben. Er begehrte keinen Heller Kost- oder Lehrgeld. Bis nach zwei Jahren wollte er ihn so weit ausgebildet haben, daß er die Halachah Tossaphoth perfekt lesen sollte. Ich hab mich nach ihm erkundigt, die ganze Welt hat mir zugeraten, und hab also einen Vertrag mit ihm gemacht und ihn im Namen des Gottes Israels mit seinem Rabbi hinein nach der Lissa geschickt. Ich hab auch Briefe von der Lissa von ihm gehabt, von seiner glücklichen Ankunft, wie ich auch wirklich alle Woche Briefe gehabt habe, daß er mit seinem Rabbi wohl zufrieden ist und ernstlich lernt. Ich hab nichts anderes verlangt. Etwa vierzehn Tage nachher schreibt mein Sohn Reb Josef und bittet mich gar sehr, ich möchte doch seinem Lehrer für ein halbes Jahr Kostgeld und Lehrgeld schicken. Wenn ich auch nicht schuldig wäre, es zu tun, so wäre doch jetzt in der Lissa eine große Teuerung, daß sein Lehrer besorgt sein müsse, woher er Geld nehme, und das hinderte sie ein wenig in ihrem Lernen. Aber wenn er die Sorge nicht hätte, so könnten sie desto fleißiger lernen. Er hätte mehr Kinder aus Hamburg; alle schickten ihm Geld und so möchte ich doch auch nicht hinter denen zurückbleiben. [219] Nun, es ist mir eben nicht viel daran gelegen gewesen, ob ich das Geld früh oder spät bezahlt habe, und hab ihm das Geld für ein halbes Jahr hineingeschickt. Also ist alles gut gewesen, und ich habe von Durchreisenden vernommen, daß sie fleißig lernen. Aber wie das halbe Jahr bald ausgewesen ist, krieg ich einen Brief von meinem Sohn Reb Josef am Vorabend des Sabbat, wie man bald ins Bethaus gehen will. Stehen in dem Brief folgende Worte: »Meine liebe Mutter, du weißt ja wohl, daß ich dir all meine Tage ein getreues Kind gewesen bin und niemals etwas wider dich getan habe. Also wirst du auch deine getreue mütterliche Liebe nicht von mir abwenden und wirst ja nicht zulassen, daß man mich in die Hände von Andersgläubigen ausliefert. Denn meine liebe Mutter muß wissen, daß hier die jüdische Gemeinde Lissa an vornehme Herren gar viel schuldig ist. Sie können die vornehmen Herren nicht bezahlen, weder Kapital noch Zinsen, und da sich die jüdische Gemeinde keinen Rat weiß, also wollen sie die Kinder der deutschen Juden den vornehmen Herren zum Pfand geben. Die deutschen Juden müssen sie wohl wieder auslösen. Solches haben die Vorsteher den Lehrern in tiefstem Geheimnis gesagt, die Kinder von deutschen Juden haben. Und solches hat mir ein Student, der mein guter Freund ist, in tiefstem Geheimnis gesagt. Und daher hab ich dir nicht selbst geschrieben und solches durch diesen Studenten tun lassen. Denn mein Lehrer gibt gar zu viel und besonders Obacht auf mich und liest all meine Briefe. Daher, meine liebe Mutter, sieh doch Gott den Allmächtigen an und schreib an Tokles Eidam, daß er mir fünfzig oder sechzig Reichstaler gebe, damit ich mich mit meinem Lehrer ausgleiche, daß er mich im tiefstem Geheimnis wegschickt und ich aus ihren Händen komme. Und ich bitte dich um Gottes willen, sei nicht nachlässig, denn wenn es, Gott behüte, versäumt werden sollte, und ich sollte – Gott bewahre – in ihre Hände kommen – es ist Polen – es wäre, Gott behüte, um mich geschehen. Und sollte dann auf Geld gesehen werden, es kostete zehnmal so viel als jetzt. Darum, meine liebe, herzige Mutter, verlass [220] dein Kind nicht um ein weniges Geld und mach nicht, daß man mich, Gott behüte, ihren Händen ausliefert, aus denen man schwerlich loskommt.«
Wie ich den Brief gelesen hab, ist mir eine Ohnmacht angegangen. Ich habe meinen Sohn Reb Mordechai rufen lassen und ihm den Brief gegeben, der hat sich auch sehr erschreckt. Es ist Sabbat gewesen. Nach Sabbat Ausgang haben wir zusammen beschlossen, daß mein Sohn Reb Mordechai gleich nach der Lissa ziehen sollte und sehen sollte, meinen Sohn Reb Josef mit sich heimzunehmen. Also ist mein Sohn Reb Mordechai nach Berlin gezogen und von dort nach Frankfurt an der Oder. Aber wie er in Frankfurt an der Oder zum Tor hinausfahren will, kommt mein Sohn Reb Josef mit so einem polnischen Wägelchen in das Tor von Frankfurt an der Oder hineinzufahren. Mein Sohn Reb Mordechai ersieht ihn und heißt meinen Sohn Reb Josef absteigen, und sie reden zusammen, woher er jetzt so unvermutet käme und was das für ein Brief ist, den er ihm gezeigt hat, den er seiner Mutter geschrieben hat. Mein Sohn Reb Josef sieht und liest den Brief und sagt: »Was ist das für ein Brief? Ich weiß nicht das geringste von dem Brief zu sagen. Sicher hat ihn mein Rabbi – sein Name soll ausgelöscht werden – geschrieben und hat gedacht ein Stück Geld von mir zu bekommen, wie er doch schon viel mehr Geld von mir bekommen hat als ihm gebührt hat. Er hat mir all meine Sachen genommen, meine silbernen Knöpfe aus meinem Rock geschnitten und alles versetzt. Ich habe solches von ihm wieder haben wollen, da hat er mich falsch beschuldigt, ich hätt alles vernascht und verfressen und überhaupt für mich versetzt. Nun, ich hab gesehen, daß das nicht gut tun kann, da hab ich Tokles Eidam gebeten, daß er mit ihm einen Vergleich schließt. Er hat ihm dreißig Reichstaler gegeben und mich von ihm genommen und hierher geschickt. Ich danke Gott, daß ich von dem Bösewicht weggekommen bin, denn er hat doch nicht mit mir gelernt.«
Nun, mein Sohn Mordechai ist froh gewesen, daß er ihn da angetroffen hat, und sie sind gleich in ihrer Kutsche [221] nach Hamburg zurückgefahren. Ich habe große Freude gehabt und gleich einen rechtschaffenen Lehrer ins Haus genommen und ihn lernen lassen.
In dieser Zeit ungefähr ist auch in Hamburg eine große Geschichte geschehen.
Es hat ein Familienvater in Altona gewohnt, der hat geheißen Abraham Metz – Gott räche sein Blut. Der hat gehabt zur Frau meine Verwandte Sara, die Tochter des Elia Cohen – er ruhe in Frieden. Derselbe hat, ehe er nach Hamburg gekommen ist, zu Herford gewohnt und hat gehabt die Tochter von Löb Herford. Zwei Jahre nach seiner Hochzeit ist ihm seine Frau gestorben. Danach ist er nach Hamburg gekommen und hat die erwähnte Sara bekommen. Er ist ein Mann von ungefähr dreitausend Reichstaler und mehr gewesen, aber er ist in Hamburg fremd gewesen, hat Landesmanier und den Handel nicht gekannt und ist in seinen Verhältnissen zurückgegangen, so daß er in einigen Jahren fast um das Seinige gekommen ist. Er hat in Altona gewohnt und als ein Wechsler agiert. Einmal am Morgen kommt seine Frau in die Stadt zu gehen und fragt in all ihrer Freunde Häuser, ob ihr Mann nicht über Nacht bei ihnen gewesen wäre. Aber nach allem Herumfragen hat sie keinen gefunden, bei dem er die Nacht gewesen ist. Die Frau hat angefangen, großen Jammer zu treiben. Manche sagen, sie hätte sich mit ihm gezankt, da wär er fortgelaufen. Das hat, wie mir deucht, drei Jahre gedauert, daß jeder gesagt hat, was ihm gefallen hat. Manche haben viel Böses von ihm gesagt, was ich von dem Heiligen[5] – Gott räche sein Blut – nicht schreiben mag. Aber unsere menschliche Schwachheit ist leider also, daß wir oft mit unserem Maul reden, was unsere Augen nicht gesehen haben. Also ist die Sara nebbich mehr als drei Jahre eine lebendige Witwe gewesen mit ihren betrübten Waisen und hat die Leute nach deren Gefallen von ihrem Mann – Gott räche sein Blut – reden und judizieren lassen. [222] Danach ist ein Familienvater von der Hamburger Gemeinde gewesen. Er ist zwar kein reicher, aber gar ein ehrlicher Mensch gewesen, der sich und seine Frau und vier Kinder ehrlich ernährt hat. Er ist ein Wechsler gewesen. Also ist es die Ordnung, daß die Wechsler nebbich den ganzen Tag nach ihrer Nahrung herumlaufen, und wenn es gegen Abend gegen das Nachmittagsgebet geht, kommt ein jeder heim, geht ins Bethaus und jeder hat seinen Verein, wo er Thora lernen geht, und geht dann erst heim in sein Haus. Also ist es ganz Nacht geworden. Die Frau wartet auf ihren Mann, daß er von seinem Verein heimkommen soll, damit sie zusammen essen können. Aber all ihr Warten ist vergebens gewesen. Sie ist nebbich in allen befreundeten Häusern herum gewesen und hat ihn gesucht, aber nicht gefunden. Also ist er leider verloren geblieben.
Morgens ist überall das Geschrei gewesen. Der hat gesagt, man hätt ihn da gesehen, der hat etwas anderes geredet. Zu Mittag sind die Leute zusammen auf die Börse gekommen und haben davon geredet. Da hat Reb Sanwil, der Sohn von Reb Meir Heckscher gesagt: »Es ist gestern eine Magd bei mir gewesen, die hat etwas Gold gehabt und hat gefragt, ob ich nicht sechs- oder siebenhundert Reichstaler hätte, so sollte ich mit ihr gehen. Es wäre ein fremder Offizier in ihrem Haus, der hätte viel Sachen zu Kauf von Gold und Edelsteinen. Aber ich hab kein Geld gehabt, also bin ich nicht mit ihr gegangen.« Also ist einer dabei gestanden mit Namen Lipmann, der hat gefragt, was das für eine Magd gewesen ist und wie sie gegangen ist. Hat der Reb Sanwil gesagt: »Also und also ist sie gegangen.« So sagt der Lipmann: »Ich kenn die Magd und weiß auch, bei wem als die Magd ist. Ich trau dem Herrn, bei dem die Magd dient, nicht viel Gutes zu.« Mit solchem Schwatzen gehen sie von der Börse fort und jeder geht nach Hause.
Der Lipmann kommt nach Hause und sagt zu seiner Frau: »Was meinst du, was ich dir sagen will; die Magd, die bei dem Sohn von dem Wirt in der Schiffergesellschaft [223] dient, dieselbe ist bei Reb Sanwil Heckscher gewesen und hat ihn mithaben wollen, falls er sechs- oder siebenhundert Reichstaler Geld bei sich hätte. Ich fürchte, daß mancher, den man verloren hat, mit ihr gegangen ist und ist ums Leben gebracht worden.« So schlägt sich die Frau an den Kopf und sagt: »Um Gottes willen, jetzunder erinnere ich mich daran, die Magd ist auch bei mir gewesen und hat mich oder dich mithaben wollen. Du weißt wohl, was der Wirt für ein Bösewicht ist. Er ist sicher ein Mörder, daß brave fromme Menschen in seinem Haus ums Leben gekommen sind.« So sagt die Frau, welche eine tüchtige Frau gewesen ist: »Nicht ruhen oder rasten, oder es muß an den Tag kommen.« Der Mann sagt zu ihr: »Närrin, und wenn es so wäre, was sollte man tun. Es ist Hamburg, kein Wort dürfte man dazu sagen.« Also ist es etliche Tage dabei geblieben.
Man hat erwirkt, daß der Rat mit Trommelschlag hat ausrufen lassen, daß, wer etwas von dem Juden zu sagen wüßte, es sei, daß er lebe oder tot sei, der soll kommen und es sagen und hundert Dukaten als Belohnung haben und sein Name immer sehr verschwiegen bleiben. Aber es ist niemand gekommen, der etwas gesagt hat.
Also ist es fast vergessen worden, wie die Weltordnung ist. Wenn eine Sache noch so eifrig und wichtig ist, wenn kein Effekt erfolgt, gerät sie in Vergessenheit. Aber die lebendige Witwe und ihre Waisen sind betrübt dagesessen.
Am Sabbat früh im Sommer hat dem Lipmann seine Frau nicht schlafen können. Als wie jener König in Spanien einen Schriftgelehrten gefragt hat, was das auf deutsch heißt: »Hineh lau jonum welau jischon schaumer jissroël.«
Hat der Schriftgelehrte nach dem einfachen Wortsinn verdeutscht: »Er schläft und schlummert nicht, der Hüter von Israel.«
So sagt der König: »Nein, das heißt das nicht auf deutsch. Ich finde, daß es auf deutsch heißt: ,Gott, der Hüter, er läßt nicht schlafen, noch schlummern'. Hätt ich diese [224] Nacht wie sonst geschlafen, wie man euch verleumderisch eine Untat unterschieben wollte, so wäret ihr verloren gewesen. Aber Gott, der euer Hüter ist, der hat gemacht, daß ich nicht hab schlafen können und habe sehen müssen, daß man das Kind in eines Juden Haus geworfen hat. Wenn ich das nicht gesehen hätte, so wären alle Juden ums Leben gekommen.«
Also hat auch dem Lipmann seine Frau nicht schlafen können und hat sich alle Morgen an das Fenster gestellt, denn sie hat gewohnt auf dem älteren Steinweg, das ist eine Passage, die ein jeder, der nach Altona hinaus oder hereingehen will, vorbeigehen muß. Es ist Freitag zu Nacht gewesen, da hat die Frau gar nicht schlafen können und hat alles im Haus verrückt gemacht. Der Mann hat mit ihr gezankt, was das für ein Leben ist, sie werde sich noch ganz verrückt machen. Aber sie hat gesagt, es kann nichts helfen; so lange keine Rache geschehe, könnt sie sich nicht zufriedengeben, denn sie wüßte gewiß, und ihr Herz sage ihr nichts anders, daß der Mensch der Mörder sein müßte.
Also ist es Tag geworden und sie ist wieder am Fenster gestanden und hat auf die Gasse herausgesehen. Da hat sie den Menschen mit seiner Frau gehen sehn und ein Knecht ist mit ihnen gegangen und hat eine große Kiste vor sich gehabt. Wie sie das sieht, fängt die Frau an zu schreien: »O Gott, sei bei mir, jetzunder hoffe ich, soll ein Anfang zu meinem Vergnügen sein.« Und läuft gleich und rafft ihren Schurz und Regenkleid zusammen und läuft aus der Wohnung herunter. Der Mann springt ihr aus dem Bett nach und will sie halten, daß sie nicht weglaufen soll. Hat aber alles nicht helfen wollen, sie ist den Menschen nachgelaufen, welche nach Altona an die Elbe gegangen sind und die Kiste bei dem Wasser niedergestellt haben. Die Rebekka, so heißt die Frau, hat sich nichts anderes eingebildet, als daß der Mensch den Ermordeten da in der Kiste hätte. Sie ist zu den Leuten in Altona gelaufen und hat sie um Gottes willen gebeten, man soll ihr helfen, denn sie wüßte gewiß, daß sie den Mörder da hätte. Aber die Leute haben [225] nicht gern daran gewollt und haben gesagt, man kann wohl bald was anfangen, aber wie das End ist, weiß man nicht. Sie hat aber geschrien, man soll nur mit ihr zum Präsidenten gehn. Also sind zwei Hausväter mit ihr zum Präsidenten gegangen und haben ihm alles erzählt. Also hat der Präsident auch zu ihnen gesagt: »Ihr fanget was an, aber wenn ihr solches nicht beweisen könnt, will ich all euer Hab und Gut nehmen.«
Aber die Rebekka wollte sich nicht abweisen lassen und hat gesagt, daß sie ihr Hab und Blut daransetzen wollte. »Ich bitte, um Gottes willen, mein Herr Präsident, schickt hin und laßt den Mörder holen, samt allen Sachen, die er bei sich hat.«
Also schickt der Herr Präsident Wache und Soldaten an die Elbe, um sie zu holen. Also sind sie eben zusammen in das Schiff gestiegen und wollten nach Harburg fahren, welches nur eine Stunde von Altona ist. Und wären sie nach Harburg, so wären sie befreit gewesen, denn Harburg ist ein anderes Gebiet.
Aber die Wache ist eben noch zur rechten Zeit gekommen und sie haben den Mörder und die Frau samt der Kiste zum Präsidenten gebracht. Der Präsident hat die Kiste öffnen lassen, aber nichts anderes darin gefunden, als des Mörders und seiner Frau Zeug. Nun kann man wohl denken, was für Schrecken und Angst auf den armen Juden nebbich gewesen ist. Man hat den Mörder auf alle Art examiniert, aber er wollte nichts gestehen, und hat im Gegenteil so gedräuet, daß alle Juden eine Angst befallen hat.
Der Mörder ist von einer großen Familie gewesen in ganz Hamburg. Alle haben sich geflüchtet, nur die Rebekka hat immer gesagt: »Ich bitt euch, liebe Leute, verzagt doch nicht, ihr werdet sehen, wie uns Gott helfen wird.« So läuft sie aus großer Angst von Altona in die Stadt hinein. Und wie sie auf das Feld zwischen Hamburg und Altona kommt, begegnet ihr die Magd, welche bei dem Mörder gedient hat und welche die Rebekka gar wohl gekannt hat. Und es ist dieselbe gewesen, die bei den Juden gewesen ist und sie [226] mit in den Mörder sein Haus nehmen wollte mit sechs- oder siebenhundert Reichstaler Geld.
Also sagt die Rebekka zu der Magd: »Zu deinem und deinem Herrn und Frau ihrem Glück bist du mir begegnet. Denn dein Herr und deine Frau sind beide in Altona gefangen ob des Mordes, den sie getan haben. Und sie haben schon alles gestanden. Es fehlt noch an dir, daß du auch gestehst, und wenn dies geschehen ist, so steht das Schiff fertig, daß du mit deinem Herrn und Frau sollst hinwegfahren. Denn wir Juden begehren nur zu wissen, daß der Abraham tot ist, damit die Frau wieder einen Mann nehmen darf. Sonst begehren wir nichts anderes von euch.«
Und redet solche Geschichten mehr mit der Magd, und die Rebekka ist gar eine kluge, beredte Frau, und mit ihrem Schwätzen läßt sich die Magd bereden und fängt an und sagt ihr alles miteinander, wie sie den Abraham – Gott räche sein Blut – bei der Börse angetroffen hätte, nachdem sie auch bei ihrem Mann Lipmann und bei anderen Juden gewesen war. Es hätte aber keinen das Unglück betreffen wollen, als den armen Abraham, welcher zu seinem großen Unglück einen großen Beutel mit Geld bei sich gehabt hätte. Also hätte sie ihm ein goldenes Kettchen gewiesen und gesagt, daß in ihres Herrn Haus ein Offizier wäre, der gar viel Gold und Diamanten zu Kauf hätte. Also ist der Abraham mit mir gegangen. Wie er in unser Haus gekommen ist, ist seine Schlachtbank schon fertig gewesen. Also hat ihn mein Herr in seine Kammer hinunter geführt und wir haben ihn zusammen ums Leben gebracht und unter unserer Türschwelle begraben.
Nun sagt die Dienstmagd zu Rebekka: »Ich sag euch alles in Vertraulichkeit, ihr werdet mich ja nicht ins Unglück bringen.« So sagt die Rebekka zu der Dienstmagd: »Bist du eine Närrin, kennst du mein getreues Herz nicht? Alles, was ich tu, das tu ich von wegen deinem Herrn und deiner Frau, daß sie bald von Altona in Freiheit kommen sollen. Und sobald du nur kommst und solches vor unseren Leuten sagst, ist alles gut und wohl!« Also geht [227] die Dienstmagd mit der Rebekka in dem Präsidenten sein Haus. Der Präsident verhört die Magd, und obschon die Dienstmagd anfängt zu stottern und Reue gehabt hat, daß sie etwas gesagt hat, so ist es doch heraus gewesen, und besonders, daß sie gesagt hat, wo der Leichnam begraben ist. Also hat sie zu dem Präsidenten alles gesagt, wie sie es zu der Rebekka gesagt hat. Danach hat der Präsident den Mörder und seine Frau jeden für sich abgesondert abgehört, welche alle beide geleugnet haben. Sie haben gesagt, »alles, was unsere Dienstmagd gesagt hat, das hat sie als eine Dirne erlogen.« Da ist man nun wieder übel dran gewesen. Der Präsident hat gesagt: »Ich kann euch weiter nicht helfen. Sollte ich den Mörder auf seiner Magd Rede hin foltern und er sollte mir auf der Folter bestehen und nicht eingestehen, was sollte das für ein Spiel geben? Ihr müßt zusehen und euer Recht in Hamburg suchen, und das stracks, sobald als möglich, daß euch die Obrigkeit in Hamburg die Erlaubnis gibt, daß ihr in des Mörders Haus nach dem Ermordeten suchet. Wenn ihr nach der Magd ihren Aussagen den Ermordeten gefunden habt, so laßt mich weiter sorgen.«
Darauf sind die Vorsteher gleich gelaufen und haben erwirkt, sie sollten etwa zwanzig Soldaten nehmen und sollten an jenem Ort, den die Dienstmagd gesagt hatte, aufgraben, und sollten die Erlaubnis geben, wenn sie ihn finden sollten, daß sie ihn in Altona jüdisch zu Grabe bringen dürfen. Man hat ihnen aber dabei gesagt: »Seht euch wohl vor, solltet ihr den Leichnam nicht finden, dann wäre es um euch alle getan. Denn ihr wißt wohl, was für ein Pöbel hier in Hamburg ist. Es wäre uns unmöglich zu wehren.«
Nun, wir sind alle in großer Sorge gewesen. Aber die Rebekka ist allerwegen hinten und vorn gewesen und hat gesagt, man sollte nicht verzagen, sie wüßte gewiß, daß man den Leichnam dort finden würde. Denn die Dienstmagd hätte ja um ihr Leben geredet und alle sicheren Zeichen und Beweise gesagt. [228] Darauf hat man zehn beherzte Männer genommen und etliche Schiffer, von denen man gewußt, daß sie beherzt und getreu gewesen sind, und etliche Schutzleute dabei, und sind in Gottes Namen in das Haus des Mörders hineingegangen, welcher nicht weit von dem alten Schrangen bei dem Büttelshause gewohnt hat.
Inzwischen ist das Geschrei in die ganze Stadt gekommen. Es haben sich allerlei Werksleute, alle Canaille, eine Unmenge Leute versammelt und sind vor dem Mörder seine Türe gekommen, und alle haben wie einer erklärt: »Werden die Juden den Ermordeten da finden, ist es gut, wenn aber nicht, dann bleibt keine Klaue von den Juden übrig.«
Aber Gott – er sei gepriesen – hat uns nicht lange in unserer Not gelassen. Sobald unsere Leute in das Haus gekommen sind, haben sie den bestimmten Ort geöffnet und gefunden, wonach sie verlangt haben. Aber das Auge weinte und das Herz war froh. Sie haben geweint, daß sie den frommen jungen Mann von ungefähr vierundzwanzig Jahren so elendiglich gefunden, und haben sich doch wieder gefreut, daß die Gemeinde aus der Gefahr gewesen ist und daß man bald Sühne sehen werde.
Also hat man den ganzen Rat holen lassen und ihnen den Leichnam gezeigt und an welchem Ort man ihn nach der Aussage der Magd gefunden hatte. Solches hat der Rat auch protokolliert und Attestatum davon gegeben. Also hat man den Leichnam auf einen Wagen gelegt und nach Altona geführt. Es ist eine Menge Leute dabei gewesen von Schiffern, von Handwerksburschen, es ist nicht zu beschreiben, vielleicht hunderttausend Menschen – aber es hat doch keiner ein böses Wort geredet. Wenn es auch ein böses Volk ist und man in ruhiger Zeit viel Not und Bosheit von ihnen hat, so ist doch zu dieser Zeit alles still gewesen und jeder ist wieder an seinen Ort gegangen. Den anderen Tag danach haben die reichen Vorsteher das Attestatum genommen und es dem Präsidenten nach Altona gebracht, welcher den Leichnam und die Gerichtsbarkeit in Händen gehabt hat, zudem die Juden damals lieber gehabt haben, es sollte in [229] Altona gerichtet werden. Also hat der Präsident den Mörder wieder vorgerufen und ihm vorgehalten und gewiesen, was passiert ist. Da hat er alles gestanden. Die Witwe hat auch etwas von dem Geld, welches ihr Mann – Gott räche sein Blut – gehabt hat und was noch vorhanden gewesen ist, wieder bekommen. Also hat man den Mörder noch im Gefängnis gehalten, bis man ihm den Prozeß gemacht hat.
Zwischendessen ist die Sara nebbich noch eine lebendige Witwe gewesen, wie ich geschrieben habe, hat aber von ihrem Mann – Gott räche sein Blut – nichts gewahr werden können, und hat, wie schon erwähnt, viel Gerede leiden müssen.
Nachdem nun dieses passiert ist leider mit diesem Ermordeten und die ganze Welt den Mörder wohl gekannt hat, bevor er in das Haus zu wohnen gekommen ist, bei dem alten Schrangen – zuvor hat er im Hause von seinem Vater gewohnt, welcher in der Schiffergesellschaft gewohnt hat, welches das prinzipalischste Wirtshaus in ganz Hamburg ist, hart an der Börse, und Juden und Nichtjuden, Kaufleute, wenn sie was zusammen zu tun oder zu rechnen haben, gehen sie alle dahin aus silbernen Gefäßen trinken, und da der Mörder der Sohn von dem Wirt gar bekannt unter den Juden gewesen ist – wie nun das herausgekommen ist, daß der Sohn der Mörder ist, und der Sara ihr Mann ist ein Wechsler gewesen, und Wechsler sind auch allezeit in dem Wirtshaus gewesen, und haben Geld empfangen von wegen ihrer Wechselgeschäfte, und es ist auch dort auf Ziel gestellt worden, denn es ist gar ein ehrliches, vornehmes Wirtshaus gewesen – also hat die Sara wohl gewußt, daß ihr Mann – Gott räche sein Blut – gar wohl mit dem Sohn bekannt gewesen ist.
Also ist sie gegangen und hat ihren Freunden gesagt: »Ihr wißt, daß mein Mann vor einigen Jahren so verlorengegangen ist. Nun ist dieses herausgekommen. Mein Mann ist auch gar viel in dem Haus ein- und ausgegangen. Ich halte nicht anders dafür, daß der Mörder auch meinen Mann ums Leben gebracht hat. Helft mir, vielleicht erbarmt sich [230] Gott, vielleicht wird man gewahr, daß mein Mann – das Andenken des Gerechten gesegnet – auch durch seine Hand ums Leben gekommen ist.«
Nun, was soll ich mich aufhalten? Sie sind zum Präsidenten gegangen und haben ihm solches vorgehalten. Der Präsident hat den Mörder mit Gutem und Bösem vorgenommen und ihm mit großer Folter gedroht, er solle doch gestehen, daß er den Abraham Metz auch hätte ums Leben gebracht. Er hat lang nicht daran gewollt und hat gesagt, er hätte den Abraham Metz gar wohl gekannt, aber auf solche Manier nicht.
Endlich hat der Präsident so lang mit ihm geredet, daß er gestanden hat, daß er noch im Hause seines Vaters in der Schiffergesellschaft gewesen wär, da hat er den Abraham Metz – Gott räche sein Blut – auch getötet, in einem kleinen Kämmerchen, welches sie als ein Käskämmerchen haben. Drin ist so ein tiefes Loch, da hätt er ihn hineingesteckt und mit Kalk zugeworfen und zugemacht.
Wie man das nun gehabt hat, sind die Vorsteher gleich zum Rat nach Hamburg gegangen und haben um Erlaubnis gebeten, wie das erstemal wieder nachzusehen. Kurz, sie sind wieder wie das erstemal in Gefahr gekommen und noch viel ärger, denn so ein rechtschaffenes, vornehmes Haus soll man zu einer Mordstätte machen! Gott bewahre, wenn der Leichnam nicht gefunden worden wäre! Kurz, man hat ihn gefunden. Er hat noch ein rotes Futterhemd mit etlichen Silberknöpfen und seine Schaufäden an sich gehabt. Also hat man ihn auch herausgenommen und jüdisch zu Grabe gebracht.
Obzwar großer Kummer in unserer Gemeinde gewesen ist, denn es ist an diesem Tag gewesen, als wenn beide Getötete an diesem Tag ums Leben gekommen wären, haben die Freunde von meiner Verwandten Sara den Leichnam bevor sie ihn begraben haben, wohl besichtigen lassen. Denn die Frau Sara hat einige Zeichen an seinem Körper gesagt, aus denen man ihn erkennen kann, damit sie keine lebendige Witwe bleiben braucht, welches auch geschehen ist, und sie hat die Erlaubnis bekommen, einen Mann zu nehmen. [231] Danach ist dem Mörder sein Urteil gemacht worden, daß man ihn rädern soll, den Leib auf einen Pfahl stecken und in eiserne Bänder schlagen, damit das lange Zeit zum Exempel zu ersehen sein soll.
Aber die Frau und die Dienstmagd sind frei erkannt worden und nur des Landes verwiesen worden. An dem Tag, an dem der Mörder hingerichtet worden ist, ist so ein Aufruhr in Hamburg gewesen, wie in hundert Jahren über keiner war, den man hingerichtet hat. Aber die Juden sind im allgemeinen in großer Lebensgefahr gewesen; denn es war große Bosheit aufgewiegelt. Kurz, am Tage der Hinrichtung sind wir in großer Gefahr gewesen. Nun, Gott, gelobt sei er, der große Hirt und aus seiner großen Gnade, die er für uns sündige Menschen hat und Tag für Tag bewährt, »als sie im Lande ihrer Feinde waren, habe ich sie nicht verabscheut und keinen Widerwillen von ihnen gehabt«, solches haben wir an diesem Tage erfahren. Gelobt sei der Herr, der seine Gnade und Wahrheit uns nicht entzogen hat.
Wenn wir sündige Menschen nur die Wunder und Wundertaten erkennen könnten, die Gott – er sei gelobt – alle Tage mit uns armen Menschen tut. Also ist dieses alles zu Gutem abgelaufen und Gott sei Dank ohne Schaden der Juden abgegangen.
Um nun wieder anzufangen, wo ich gehalten habe. Meinem Sohn Reb Josef sind nun viele Heiraten vorgeschlagen worden, von denen keine von Gott beschert gewesen ist, als die Heirat in die Familie mit dem Gevatter Meir Statthagen, welcher in Kopenhagen wohnt. Also haben wir uns mit ihm verschwägert und die Verlobung in Hamburg gemacht und die Hochzeit auf ungefähr in einem Jahr festgestellt. Wie nun die Zeit der Hochzeit gekommen ist, haben wir uns gerichtet, daß die Hochzeit in Kopenhagen sein sollte. Also hab ich mich vorbereitet und wollte mit meinem Sohn Nathan hinziehn. Da nun mein Sohn Nathan große Geschäfte mit dem reichen Reb Samuel[6] und seinem Sohn Mendel gehabt hat, hatte er gar viele Wechsel für sie [232] akzeptiert. Die Wechsel sind bald fällig gewesen, und mein Sohn Nathan hat von den betreffenden reichen Leuten keine Rimessen gehabt, um, wie die Ordnung ist, ihre ausgegebenen Wechsel zu bezahlen, welche bei zwanzigtausend Reichstaler betroffen haben. Nicht genug daß mein Sohn Nathan keine Rimessen gehabt hat, hat er auch keine Briefe von ihnen gehabt, warum sie die Rimessen nicht geschickt haben. Nun, mein Sohn Nathan hat mit auf die Hochzeit nach Kopenhagen ziehen sollen, hat aber aus dem erwähnten Grunde nicht mitziehen können. Er mußte sehen, seine Ehre und die Ehre von seinem Korrespondenten in acht zu nehmen.
Man kann sich wohl denken, in welcher Not und Herzeleid wir zusammen gewesen sind. Also mußte ich allein mit meinem Sohn Reb Josef auf die Hochzeit ziehn. Gott kennt die Bitterkeit meiner Seele, mit welchem Kummer und Seelentrauer ich von ihm gezogen bin, denn ich habe nicht gewußt, wie es mit den Reichen aus Wien steht.
Also bin ich mit meinem Sohn Reb Josef, dem Bräutigam, und mit seinem Schwiegervater Moses, dem Sohn meines Gevatters Meir Statthagen, dem Schwiegersohn des Reb Chajim Cleve nach Kopenhagen gezogen und sind auch glücklich nach Kopenhagen gekommen. Wie ich nach Kopenhagen gekommen bin, habe ich gemeint, Briefe für mich zu finden von meinem Sohn Nathan, daß er mir schreiben würde, daß er von den Reichen aus Wien Briefe und Rimessen bekommen hat. Ich habe zwar Briefe von meinem Sohn Nathan gehabt, welcher mir als ein frommes Kind, das er ist, schreibt, er hätte zwar noch keine Briefe von Wien gehabt, aber ich sollte mir daraus keine Sorge machen, ich sollte auf der Hochzeit von meinem Sohn nur lustig sein, es hätte alles keine Sorge.
Nun, obschon mir bei solchen Sachen nicht wohl gewesen ist, hab ich doch solches alles Gott befohlen und mir nichts anmerken lassen.
Wir haben einer dem anderen die Mitgift geliefert und die andere Woche sollte die Hochzeit sein. Zwischendessen, »insgeheim weint meine Seele«, und ich hatte von einer [233] Post zur anderen gehofft, daß von meinem Sohn Nathan Briefe kommen sollten, welche auch, Gott sei Dank, einen Tag vor der Hochzeit gekommen sind, daß der reiche Reb Mendel gute Rimessen geschickt hat und einige Tausende mehr, als meinem Sohn Nathan gebührt hat. Er hat sich auch in seinem Briefe exküsiert, er wäre nicht zu Hause gewesen, sonst hätte er eher geschickt. Also haben wir die Hochzeit in Freuden und mit frohem Herzen gemacht und sind beiderseits sehr vergnügt gewesen.
Nun, nach der Hochzeit habe ich sehr geeilt und wäre gern wieder nach Hause gezogen, und hab keine andere Gesellschaft gehabt als Moses, den Sohn meines Gevatters Meir, welcher nicht so sehr geeilt hat, von seinem Vater und seiner Mutter wegzuziehen.
So mußte ich wohl gegen meinen Willen vierzehn Tage nach der Hochzeit dort bleiben. Obschon ich alle guten Traktamenten und alle Ehre der Welt gehabt habe, ist mir doch alles nicht eingegangen und ich wäre lieber bei meinen Kinderchen zu Hause gewesen.
Endlich habe ich den erwähnten Moses so viel gedrängt, daß er sich hat resolvieren müssen, mit mir heim nach Hamburg zu ziehen. Also haben wir uns gerüstet, um unsere Reise fertig zu machen, und sind also nach Hamburg gezogen, und, Gott sei Dank, glücklich und wohl angekommen. Ich habe von meinem Sohn Reb Löb Abrechnung genommen von meinen Waren, die ich ihm gelassen habe, und er hat mir in jeder Beziehung gute Rechenschaft gegeben, daß ich ganz vergnügt gewesen bin. Also hab ich noch vier Waisen gehabt: meinen Sohn Reb Sanwil – er ruhe in Frieden – und meinen Sohn Moses, meine Tochter Freudchen und meine Tochter Mirjam, sie sollen leben!
Obzwar mir mehrere prinzipale Heiraten vorgeschlagen gewesen sind, daß ich wieder in Reichtum und Ehre zu sitzen kommen könne, hab ich doch gedacht, daß solches meinen Kindern zuwider wäre und habe zu meinem Unglück alles vorbeigehen lassen, wie weiter zu vernehmen sein wird. [234] Danach ist mein Sohn Reb Sanwil – er ruhe in Frieden – auch groß geworden und ich habe ihn zeitweise auf die Braunschweiger Messe mitgenommen. Weil er nicht lernen wollte, sollte er sich zum Kaufmann eignen. Mein Sohn Reb Moses hat gar gut gelernt, also hab ich meinen Sohn Reb Moses in die Stadt Frankfurt in die Klaus zum Lernen geschickt und meinen Sohn Reb Sanwil mit Waren auch dorthin geschickt.
Dieweilen mein Sohn Sanwil – er ruhe in Frieden – in der Gemeinde Frankfurt ist, kriegt mein Schwager Reb Josef Briefe von Reb Moses Bamberg, welcher meinem Schwager Reb Josef ein treuer Freund gewesen ist. Also schreibt der Reb Moses an meinen Schwager Reb Josef und fragt ihn um Rat wegen einer Heirat, die er mit seiner Tochter in Hamburg tun soll.
Diesen Brief bekommt mein Schwager am Sabbat; so läßt er mich in sein Haus rufen. Er ist mit meiner Schwester Elkele im Garten spazieren gegangen. Wie ich zu ihm komm, sagt er zu mir: »Glück auf, dein Sohn Sanwil ist ein Bräutigam.« Ich lach und sag, wenn er ein Bräutigam ist, müßte ich es billig auch wissen.
Also zeigt er mir den Brief von Reb Moses Bamberg, welcher damals zu Wien gewesen ist, und der Gaon Oberrabbiner Samson[7], schreibt auch an meinen Schwager Reb Josef, daß er nach seinem Gewissen die ganze Wahrheit schreiben soll, was ihm von dieser Heirat geraten zu sein dünke.
Also lese ich die Briefe und sag zu meinem Schwager Reb Josef: »Hieraus seh ich noch nicht, daß mein Sohn Sanwil ein Bräutigam ist.« So sagt mein Schwager Reb Josef: »Ich will euch schriftlich bürgen, daß ich nach Wien schreiben werde, und euer Sohn Reb Sanwil wird ein Bräutigam sein mit der Tochter von Reb Moses Bamberg.«
Der Reb Moses Bamberg ist der Schwager des Gaon, Oberrabbiner Samson von Wien gewesen, also hat mein [235] Schwager Reb Josef gleich über meinen Sohn Reb Sanwil geschrieben. Also ist die Heirat mit zwei Briefen zustande gebracht worden, und der Gaon, Oberrabbiner Samson, hat geschrieben, man soll ihm meinen Sohn Sanwil gleich nach Wien schicken, er soll bis zur Hochzeit bei ihm sein, denn die Hochzeit ist für in zwei Jahren bestimmt worden.
Was für große Versprechungen hat der Gaon, Oberrabbiner Samson, mir gemacht und geschrieben und hat verheißen – »um euch zu ernähren, hat er mich geschickt« – daß es ihm und all seinen Brüdern wohl ergehen sollte. Ich hab dann noch viele Briefe von dem erwähnten reichen Reb Samson gehabt, und er hat sich gar freundlich gegen mich erzeigt.
Damals ist mein Sohn Sanwil in Frankfurt am Main auf der Messe gewesen. Also hab ich ihm geschrieben, daß er ein Bräutigam ist mit der Tochter von Reb Moses Bamberg, er sollte nach der Messe von Frankfurt nach Wien ziehn und dort sein, bis die Hochzeit sein wird.
Also ist mein Sohn Sanwil von Frankfurt nach Wien gezogen und ist glücklich angekommen. Der reiche Oberrabbiner Samson hat ihn auch in Ehren empfangen und hat an mich geschrieben, wie er mit ihm gar wohl zufrieden wäre und daß er ihm gleich einen Rabbi genommen hätte.
Nun ist mein Sohn Sanwil in Wien gewesen, er ist sehr jung gewesen und hat Knabenstreiche gemacht und der Gaon Reb Samson hat auch nicht viel Aufsicht über ihn gehabt. Er hat gar viel Geld in den zwei Jahren vertan.
Zwar hat mein Sohn Reb Sanwil öfter geschrieben und gebeten, man sollt ihm doch Hochzeit machen, denn er hätte keine Lust, länger in Wien zu bleiben. Aber weil seine Braut noch gar jung und klein gewesen ist, ist er fast drei Jahre verlobt gewesen. Nachher ist sein Schwiegervater Reb Moses in Wien gewesen und hat auf mein vielfältiges Schreiben zugestimmt, daß sie am ersten Tamus in Bamberg Hochzeit machen wollen. Mein Sohn Reb Sanwil hat mir geschrieben, daß er mit seinem Schwiegervater Reb Moses von Wien zieht, und ich sollte mich danach richten, daß ich am ersten [236] Tamus in Bamberg wäre, welches ich auch getan habe. Ich bin ohnedies auf die Leipziger Messe gezogen und von dort hab ich nach Bamberg ziehen wollen. Nun hat mir der reiche Oberrabbiner Samson geschrieben, weil in Hamburg großer Judenhaß gewesen ist, also hat er mir geschrieben, ich sollte von der Hochzeit nach Wien kommen und sollte bei ihm in seinem Hause sein, er wollte mir darin zwei von seinen besten Zimmern geben. Auch aller Handel, den ich treiben wollte, sollte mir frei stehn. Zu dem Ende hab ich von ihm einen mächtigen kaiserlichen Paß bekommen. Also hab ich mich dazu gerichtet und keine andere Absicht gehabt, als von der Hochzeit nach Wien zu ziehn. Zu dem Ende hab ich wohl für fünfzigtausend Reichstaler Juwelen bei mir gehabt, die ich mit mir nach Wien nehmen wollte. Aber »viele Gedanken sind im Herzen des Menschen, aber nur der Ratschluß Gottes besteht«. Also bin ich mit meinem Sohn Nathan und mit meinem Sohn Reb Moses, welcher noch ein Jüngling gewesen ist, nach Leipzig gezogen. Wie wir in Leipzig sind, kriegt mein Sohn Reb Nathan Briefe von Hamburg, daß man ihm geschrieben hat, er müßte nach der Leipziger Messe um einiger Geschäfte willen nach Hause kommen.
Also ist meine Wiener Reise ganz zurückgegangen, denn ich hab ohne meinen Sohn Nathan nicht nach Wien ziehen wollen. Also hab ich all meine Juwelen wieder mit nach Hamburg gegeben, nur für etliche Tausende bei mir behalten. Und ich bin mit meinem Sohn Reb Moses ganz allein von Leipzig nach Bamberg gezogen. Ich hab viel Nöten ausgestanden, denn es ist gar ein böser Weg gewesen, und ich bin eine Frau gewesen und mein Sohn Reb Moses noch gar jung, ein Kind von fünfzehn Jahren.
Dennoch, wenn man Geld hat, kann man allerwegen zurecht kommen. Die Reise hat viel Geld gekostet. Nun, ich bin um Mitternacht nach Bamberg gekommen. Am Morgen haben die Brauteltern und die Braut mich empfangen. Also bin ich der Meinung gewesen, gleich am Ersten des Monates Tamus Hochzeit zu machen. Aber es ist eine [237] große Unannehmlichkeit dazugekommen, weil mein Schwager Reb Josef ohne mein Wissen in den Verlobungsvertrag hat schreiben lassen, daß die Mitgift von meinem Sohn Reb Sanwil fünftausend Reichstaler wäre, und er hat nicht mehr als viertausend Reichstaler gehabt.
Wenn wir auch in Hamburg solches gleich gewußt haben, und ich an den Gaon Oberrabbiner Samson gleich geschrieben habe, daß es mit den fünftausend Reichstalern ein Irrtum wäre – und mein Sohn nicht mehr als viertausend Reichstaler Geld hätte – so hat der reiche Reb Samson geschrieben, es wäre nichts daran gelegen. Man sollte den Verlobungsvertrag nur so lassen. Es wäre noch ein wenig mehr Ehre und zur Hochzeit werde das keinen Streit geben.
Aber jetzt hat mein reicher Gevatter Reb Moses Bamberg viel anders dazu gesagt: er kehrte sich an nichts als an seinen Vertrag! Also haben wir große Streitigkeiten zusammen gehabt, so daß die Hochzeit nicht am ersten Tamus hat sein können.
Der Vater der Braut, Reb Moses, hat daher erst nach Wien geschrieben. Der Gaon, Oberrabbiner Samson von Wien, hat aber nichts anderes als die Wahrheit geschrieben. Inzwischen, bis ihre Briefe gekommen sind, hat mein Gevatter, der reiche Reb Moses, von mir noch etwas herauszuquetschen gemeint, da er aber gesehen hat, daß von mir nichts zu quetschen ist, und die Briefe von Wien sind auch gekommen, daß ich Recht hab, also ist Mitte Tamus die Hochzeit mit allen Ehren und Herrlichkeiten gewesen, so viel wir Juden haben können, und es sind von beiden Seiten viele vornehme Hausväter aus dem Lande angekommen. Darunter waren auf der Hochzeit auch zwei Söhne vom Gevatter Samson Baiersdorf mit dem Heiratsvermittler gewesen. Denn in Hamburg ist mir für meinen Sohn Reb Moses die Tochter von Reb Samson Baiersdorf vorgeschlagen worden, und weil Baiersdorf nur drei Meilen von Bamberg ist, habe ich dem Vermittler die Antwort gegeben, daß, da ich doch auf die Hochzeit von meinem Sohn Reb Sanwil [238] nach Bamberg muß, also will ich meinen Sohn Reb Moses mitnehmen, damit wir sehen und gesehen werden. Also haben die beiden Söhne, die schon verheiratet gewesen sind, mit mir geredet und mir gesagt, wieviel ihr Vater als Mitgift geben will. Also hab ich ihnen zur Antwort gegeben, daß ich meinen unverheirateten Sohn Reb Moses darum mitgenommen habe, damit wir sehen und gesehen werden. Nach der Hochzeit wollen wir eine Spazierreise nach Fürth tun, welches zwei Meilen von Baiersdorf ist. Also wollen wir sehen, zurecht zu kommen.
Meinem Sohn ist auch noch eine Heirat in Bamberg vorgeschlagen worden, auch eine Heirat in Fürth. Also hab ich mich mit dem Gevatter Reb Moses Bamberg besprochen, daß wir zusammen eine Spazierreise nach Fürth tun wollen. In Bamberg haben wir die Sache gesehen, nun wollten wir auch sehen, was in Fürth und in Baiersdorf ist. Also haben wir, und zwar der Gevatter Reb Moses und seine Frau und ich und mein Sohn Reb Moses, die Lustreise unternommen. Also sind wir in Baiersdorf gewesen und haben die Tochter von meinem Gevatter Reb Samson gesehen. Er hat meinen Sohn auch gesehen, und sind auch gar nahe daran gewesen, haben aber um tausend Mark nicht zusammenkommen können. Also sind wir zusammen nach Fürth gezogen und sind über Nacht in Fürth gewesen. Ich kann nicht erschreiben, welche Ehren uns bewiesen wurden. Die prinzipalischesten Familienväter mit ihren Frauen sind in unser Wirtshaus gekommen und haben uns mit Gewalt in ihre Häuser nehmen wollen.
Endlich haben wir es dem Verwandten von dem Sohn meines Verwandten Mordechai Cohen nicht versagen können und mußten zusammen mit ihm gehen.
Nun, wir sind die Nacht gar wohl in allem traktiert worden, und da wir im Sinn hatten, am anderen Morgen wieder hinwegzuziehen, was auch geschehen ist, sind wir auch wegen der Heirat von Fürth ohne etwas zu verrichten hinweggezogen und wieder nach Bamberg gekommen. Danach hab ich mich gleich fertig gemacht, um wieder mit meinem [239] Sohn Reb Moses nach Hamburg zu ziehen. Nun, der Vermittler, der die Heirat vorgeschlagen hatte, hat in Fürth gewohnt und ist die ganze Zeit in Bamberg gelegen und hätte gern gesehen, daß die Heirat von Baiersdorf geschehen sollte. Aber ich habe ihm meine Resolution gesagt: so und also muß es sein und anders nicht. Kurz, der Vermittler hat gesagt: »Nun, ich seh wohl, daß ihr nicht anders wollt, und ihr seid reisefertig, so bitt ich euch, tut mir den Gefallen und bleibt hier bis gegen Nachmittag um Glock zwei. Ich hab ihnen alles nach Baiersdorf geschrieben, ich weiß gewiß, wir werden nachmittags vor zwei Antwort bekommen, daß alles richtig sein wird. Kommt aber die Glock zwei keine Antwort, dann will ich euch nicht mehr aufhalten.« Ich bin solches zufrieden gewesen und wir haben uns also fertig gemacht.
Der Gevatter Reb Moses und mein Sohn Reb Sanwil wollten uns zur Ehr einige Meilen mitziehen, und mittlerweile ist eine Mahlzeit verfertigt worden, zu vergleichen der Tafel des Königs Salomo zu seiner Zeit. Ich kann auch nicht erschreiben, was der Reb Moses für ein wackerer Mann ist, ein besonders weiser, der allen Menschen alle Ehre der Welt antut.
Nun, wie wir gut gegessen und getrunken hatten, ist es schon drei Uhr gewesen, aber es ist von Baiersdorf nichts zu sehen und zu hören gewesen. Also haben wir uns mit unserer sämtlichen Gesellschaft aufgesetzt und sind ungefähr Glock fünf aus Bamberg ausgezogen.
Obschon der reiche Gevatter Reb Moses Bamberg sehr in mich gedrängt hat, da es gegen Nacht geht, sollten wir bei ihm bleiben und am nächsten Tag frühmorgens unseren Weg weiter nehmen, so habe ich aber mit keinem Gedanken gewollt, und so sind wir im Namen des Herrn fortgefahren. Aber kaum sind wir eine Viertelstunde von dem Ort gewesen, kommt nebbich der Vermittler nachzureiten und bittet uns um Gottes willen, wir sollten wieder nach Bamberg kommen, denn die Söhne des Reb Samson Baiersdorf wären dort und wollten alles richtig machen. Aber ich hab [240] solches nicht tun wollen und nicht zurückfahren wollen. Also sagt der Gevatter Reb Moses: »Seht, hier liegt ein hübsches Dorf vor uns. Da ist ein hübsches Wirtshaus drin. Es ist nun doch bald Nacht, so daß wir nicht weiter fahren wollen. Also wollen wir über Nacht in dem Wirtshaus bleiben und wenn dem Reb Samson Baiersdorf seine Kinder zu uns kommen wollten, mögen sie es tun. »Nun, ich bin damit zufrieden gewesen, und der Vermittler ist auch froh gewesen, daß er uns zum Stehen gebracht hat. Er ist gleich nach Bamberg zurückgezogen, es hat keine Stunde gewährt und es sind zu uns in die Herberge gekommen: Oberrabbiner Mendel Rothschild von Bamberg und die Söhne des reichen Gevatters Reb Samson Baiersdorf und ein Familienvater von Bamberg mit Namen Löb Biber und sein Bruder Reb Wolf, lauter wackere Leute, hervorragend durch Reichtum. Kurz, wir haben nicht lange Unterhandlungen gehabt und zu Gutem die Verlobung gemacht. Die zwei erwähnten Söhne sind als Bevollmächtigte ihres Vaters dagewesen und haben alles unterschrieben. Also haben wir die Nacht in eitel Freude und Lust zugebracht, zu gutem Glücke.
Nun ist der Gevatter Reb Samson Baiersdorf nicht zu Hause gewesen, sondern er ist in Bayreuth bei seiner Hoheit dem Markgrafen von Bayreuth gewesen, bei welchem er sehr beliebt und, wie allen bekannt, sein Hofjud gewesen ist. Also haben uns die Söhne sehr gebeten, wir möchten ihnen doch den Gefallen tun und es ihrem Vater zu Ehren tun und mit ihnen nach Bayreuth ziehn, welches mich deuchte, gar schwer zu sein. Aber wir haben unseren Kutscher bis gegen Halberstadt gedungen gehabt. Also haben wir ihn gefragt und mit ihm ausgemacht, daß wir ihm zwei Reichstaler mehr geben, daß wir nach Bayreuth fahren und von dort nach Naumburg. Damals ist dort Messe gewesen. Sekle Wiener ist auch mit uns gewesen und hat mich dazu beredet. Der reiche Gevatter Reb Moses Bamberg hat zu mir gesagt, wenn es mir eine Freundschaft wäre, wollte er auch mit mir nach Bayreuth ziehn. Obschon ich solches mit höflichen Komplimenten ablehnen wollte und ihm solch große [241] Bemühung um uns nicht ansinnen wollte, so ist doch der Beschluß geblieben, daß wir mit der sämtlichen Gesellschaft nach Bayreuth gefahren sind, und also dort angekommen sind, wo wir den erwähnten reichen Gevatter Reb Samson angetroffen haben, welcher eine große Freude mit uns gehabt hat. Allerdings ist es Anfang des Monats Ab gewesen und mit dem Anfang des Ab verringert man die Freude; derentwegen haben wir nur eine geringe Abendmahlzeit gehabt, denn es ist nichts zu bekommen gewesen. Aber morgens hat der erwähnte Gevatter Boten ausgeschickt und verschiedene vornehme Fische holen lassen, und hat sonst Speisen von Milch zurichten lassen, die man in der Hast hat verfertigen können, denn ich hab mich nicht länger aufhalten lassen wollen. Nun, der erwähnte Gevatter hat mir auch zugesagt, mich nicht länger als Glock eins aufzuhalten. Nach dem Essen haben wir einer vom anderen Abschied genommen, und ich und mein Sohn, der Bräutigam Reb Moses, und Sekle Wiener haben uns zusammengesetzt und wirklich mit nassen Tränen von dem reichen Gevatter Reb Moses Abschied genommen. Also hab ich mich von dieser glücklichen Zusammenkunft vorerst trennen müssen und wir sind wieder glücklich nach Hamburg gekommen. Ich habe meine Kinder und die sämtliche Familie, Gott sei Dank, gesund gefunden, welches uns beiderseits nach den zwölf Wochen, die ich abwesend gewesen bin, gar sehr erfreut hat.
Nachher hat Gott – sein Name sei gepriesen – meine Verwandte Bele – sie ruhe in Frieden – die Frau des Rabbi Bär Cohen, mit einer sonderbaren Krankheit heimgesucht, daß sie – es bleibe fern von euch – ihr Wasser nicht hat lassen können, welches wohl vier Wochen gewährt hat.
Obschon nun der reiche Gevatter Reb Bär Cohen an seiner Frau alle Pflege und alle Aerzte gebraucht hat, hat es doch alls nicht helfen wollen, denn es scheint, daß solches bei Gott dem Allmächtigen beschlossen gewesen ist. Also hat sie – sie ruhe in Frieden – sich ungefähr drei Wochen so mit Akzident gequält. Nun kann man sich wohl denken, daß man alles in der Welt gebraucht und getan hat, an [242] Arzneien und Sympathiemitteln. Der reiche Rabbi Bär Cohen hat kein Geld gespart, es sei wenig oder viel, aber es hat als nicht geholfen.
Wie nun meine Verwandte Bele gesehen hat, daß es mit ihr alle Tage ärger wird und daß alle Kuren nicht anschlagen, also hat sie meinen Schwager Reb Josef genommen und den Reb Samuel Orgels – er soll leben – und hat ihren Mann Reb Bär Cohen zu sich rufen lassen und hat gar beweglich mit ihm geredet wegen der Waise Glückchen, welche sie bei sich erzogen haben. Sie ist ungefähr zwölf oder elf Jahre alt gewesen und sie haben beide das Mädchen unbeschreiblich lieb gehabt. Also hat sie ihren Mann Reb Bär gar sehr gebeten, er möchte ihr die Seelenfreude antun, ehe sie sterbe, und ihr den Handschlag geben, wenn sie sterbe, daß er keine andere nehmen wollte als die Waise Glückchen, die Tochter von Reb Phöbus Cohen – er soll leben – dessen Onkel Reb Bär gewesen ist.
Also hat Reb Bär Cohen solches mit schreienden Augen zugesagt, und Reb Josef und dem erwähnten Reb Samuel den Handschlag gegeben und sich feierlich verpflichtet.
Also daraufhin hat sie – sie ruhe in Frieden – sich beruhigt und hat gesagt, sie wollte nun gern sterben, dieweil sie nun wüßte, daß sie ihr Glückchen wohl verwahrt hätte. Aber mein Gott, wie kommt das so nicht, wie wir Menschen es denken!
Sie haben an Reb Selig nach Hannover geschrieben, welcher ein Bruder der Waise Glückchen gewesen ist, und den sie auch erzogen haben; durch ihn waren sie mit dem reichen Reb Hirz Hannover verschwägert. Er sollte zu seiner Tante Bele kommen, welche gefährlich krank wäre und ihn vor ihrem Tode gerne sehen wollte. Denn sie haben dieselbigen beiden Kinder gar sehr geliebt. Zwischendessen haben die Arzneien gewirkt und es sind einige Eimer Wasser von ihr gekommen, so daß man gemeint hat, solches wäre zu ihrer Genesung. Aber konträr, solches hat leider gerade ihren Tod beschleunigt. [243] Reb Selig aus Hannover ist gekommen und hat zwar gemeint, sie in Besserung zu finden, aber was soll ich mich viel bei der Materie aufhalten! Er ist keinen Tag bei ihr gewesen, so hat Gott – sein Name sei gelobt – sie zu sich genommen, zu ihres Mannes und unserer ganzen Freundschaft und der ganzen Gemeinde großem Leidwesen. Denn sie ist – Gott sei ihr gnädig – eine wackere, verständige Frau gewesen, die das Herz ihres Mannes gar wohl zu regieren gewußt hat.
Nun, was mag das alles helfen? All ihr Geld und Gut, und alles Gute, was ihr reicher Mann Reb Bär Cohen für sie getan hat, hat nichts helfen wollen.
Er hat viel für sie lernen lassen, viel Almosen ausgeteilt – aber es scheint, ihre Zeit ist dagewesen und beim Gebete »wer wird leben, wer wird sterben« am Neujahrsfeste war über sie beschlossen worden. Also ist sie mit gutem Namen gestorben und beerdigt worden. Ihr Mann Reb Bär und alle Freunde haben sehr um sie geklagt, wie man sich denken kann.
Und besonders der Gevatter Reb Anschel und seine Frau Mate, welche die Tochter von ihrer Schwester gewesen ist, und Ruben, der Schwestersohn der Mate, welcher auch in dem Haus von Reb Bär Cohen erzogen worden ist, mit der Waise Glückchen. Mate, die Frau von Reb Anschel – sie ruhe in Frieden – ist ihr Mühmele gewesen, und der Bruder Ruben ist der Onkel von Glückchen gewesen.
Nach den sieben Trauertagen haben sie sich wieder ein wenig getröstet und haben gedacht, daß das Haus des reichen Reb Bär Cohen doch nicht entfremdet werde, denn es kommt doch ihre nahe Verwandte Glückchen wieder hinein. Also ist nach den sieben Trauertagen eine Zeitlang hingegangen, bis daß die erwähnten Verwandten von Glückchen in den reichen Reb Bär Cohen gedrungen, er sollte es offenbar machen, daß er die Waise Glückchen wieder nimmt, damit er Ruhe von den Vermittlern hätte und sie los wäre. Er hat auch in Wahrheit keine Ruhe von ihnen gehabt, denn ein jeder, der eine Tochter gehabt, hätte sich gern mit Reb [244] Bär verschwägert, und wenn er sich hätte drum zugrunde richten sollen. Nun, Reb Bär Cohen hat die Verwandten vertröstet von einer Zeit zur anderen und hat vorgebracht, es wäre noch zu früh. Endlich aber ist herausgekommen, daß es ihm unmöglich wär, die Waise zu nehmen, denn er hätte die Waise in seinem Hause erzogen als ein Kind, und wär mit ihr umgegangen als wie mit einem Kind und so ist es ihm unmöglich, so ein Kind zur Frau zu nehmen. Außerdem ist er ein Mann, der kinderlos ist, und er selbst ist kein Kind mehr. Wie sollte er eine Frau nehmen, die einige Jahre noch keine Kinder haben kann. Sollte er noch etliche Jahre auf die betreffende Jungfrau warten, bis sie ein Kind haben kann? Wer weiß, wie lange der Mensch noch lebt, und daß er seine Schuldigkeit nicht tut, wenn er noch warten sollte.
Solches hat die erwähnten Freunde insgesamt sehr erschreckt. Sie haben ihm in großer Gemütsbewegung zu Gemüte geführt, daß er seiner Frau in ihrer Todesnot und Angst den Handschlag darauf gegeben und vor Zeugen versprochen hätte, daß er nach ihrem Tode Glückchen nehmen wolle.
Da hat Reb Bär Cohen gesagt: »Ja, es ist wahr. Aber ich habe solches getan, um meine Frau – sie ruhe in Frieden – zu beruhigen. Zudem bin ich leider in solchem Kummer gesteckt, daß ich nicht gewußt habe, was ich tun soll. Ich bitt euch, laßt Glückchen auf meinen Handschlag verzichten. Ich will ihr ein großes Stück Geld als Mitgift geben, daß sie einen ebenso feinen Mann bekommen kann, als ich bin. Zudem fürchtet ihr, daß mein Haus euch sollte verfremdet werden. Habt ihr sonst eine Jungfrau in eurer Familie, die heiratsfähig ist, so will ich dieselbe nehmen und doch an Glückchen tun, wie ich gesagt.« Aber sie haben als auf Glückchen bestanden.
Wie schon erwähnt, ist da gewesen Reb Anschel und seine Frau Mate, und ihr Bruder Ruben Rothschild, die haben keinem anderen als Glückchen die Heirat gegönnt. Vielleicht haben sie gefürchtet, daß, wenn eine andere [245] Heirat geschähe, und wenn auch die Frau aus ihrer Familie wäre, dann würden sie nicht mehr so angesehen sein im Hause des erwähnten reichen Mannes. Denn in Wahrheit sind die Betreffenden bei Reb Bär Cohen gar angesehen gewesen, und tatsächlich sind sie wirklich nach ihrem Belieben aus- und eingegangen. Damals hab ich meine Tochter Freudchen gehabt. Sie ist zwar nur zwölf Jahre alt gewesen, aber für ihr Alter sehr groß gewesen, und ist gar ein schöner Mensch gewesen, die kein Gleiches gehabt hat.
Also ist mein Bruder Reb Wolf zu mir gekommen und hat gesagt: »Was tust du? Wie sitzt du still? Reb Bär Cohen nimmt Glückchen nicht, also will ich ihm deine Tochter vorschlagen.«
Ich hab meinen Bruder ausgelacht und dabei gescholten: »Was redest du da, daß ich der Waise Glückchen sollte Schaden tun?«
Aber mein Bruder hat mir gesagt und geschworen, er wüßte gewiß, daß Reb Bär Glückchen nicht nimmt, und nähme er meine Tochter nicht, so nähme er eine Wildfremde, und so ist das ganze Haus entfremdet. Nun wer hätte sich nicht gern mit Reb Bär Cohen verschwägert, der doch alle guten Eigenschaften der Welt hat!
Also ist mein Bruder zu dem erwähnten Reb Bär Cohen gegangen und hat ihm die Heirat vorgeschlagen.
Er hat geantwortet, daß er meine Tochter nicht kennt, doch man sollte mit Reb Anschel und seiner Frau und Reb Ruben reden. Falls er machen könnte, daß sie veranlaßten, daß Glückchen auf seinen Handschlag, den er ihrer Tante Bele gegeben hat, verzichten würde, dann wäre er es zufrieden.
Aber mein Bruder hat mit den betreffenden Verwandten geredet, da sind sie voll Zorn gewesen, und wie man sagt, soll Mate Rothschild gesagt haben: »Ehe sie leiden wollte, daß meine Tochter Reb Bär nehmen sollte, viel lieber wollte sie haben, daß eine Wildfremde Reb Bär nehme.« Also hab ich dieses gehört und mich nicht weiter daran gekehrt. Zwischendessen hat Reb Bär mit Glückchen [246] geredet, und sie gebeten, sie sollte ihm auf den Handschlag verzichten, er wollte ihr eine große Mitgift geben und ihr einen feinen vornehmen Jüngling geben. Sie hat aber mit keinem Gedanken gewollt.
Also hat Reb Bär Cohen an einige Rabbiner geschrieben und den Handel vorgebracht und um eine Erlaubnis angehalten, daß er eine Frau nehmen dürfte.
Der Gaon, Oberrabbiner von der Klaus in Altona, hat ihm die Erlaubnis nicht gegeben, aber wie man gesagt hat hat er die Erlaubnis von anderen Rabbinern bekommen. Trotzdem Reb Anschel gesehen hat, daß kein Gedanke ist, daß Reb Bär Glückchen nehmen wird, hätte er doch gerne gesehen, daß Reb Bär Cohen dieselbe genommen hätte, aber es scheint, daß Reb Bär Cohen schon längstens sein Herz auf die Tochter von Tewele Schiff gesetzt hat, welche er auch genommen hat. Und ehe das Jahr zu Ende gewesen ist, hat er einen jungen Sohn mit ihr gehabt. Man kann sich wohl denken, was für eine Freude Reb Bär mit dem Sohn gehabt hat. Kurz zuvor hat Reb Anschel – Gott behüte – einen hastigen Tod eingenommen. Er ist in der Nacht frisch und gesund zu Bett gegangen, ist keine Stunde im Bett gelegen und hat seine reine Seele ausgehaucht. Er ist von der ganzen Gemeinde gar sehr beklagt worden, denn er ist gar ein rechtschaffener, gottesfürchtiger Mann gewesen, desgleichen nicht mehr war.
Danach bin ich auf der Leipziger Messe gewesen, ungefähr ein Jahr, nachdem der Reb Bär Hochzeit gehabt hat. Da kommen Briefe nach Leipzig, daß die Frau von Reb Bär Cohen sehr krank ist; die andere Post kommen Briefe, daß sie tot ist. Was da für eine Bestürzung in Leipzig gewesen ist, ist nicht zu beschreiben.
Nun, nicht lange danach, hat Reb Bär die Schwester von seiner Frau – sie ruhe in Frieden – genommen. In all den Sachen ist die Hand von Samuel Orgels inmitten gewesen, denn er ist gar hoch bei Reb Bär Cohen aestimiert gewesen.
Eine Zeit danach ist der genannte Reb Samuel ins Bethaus gegangen, am Vorabend des Sabbat, und, Gott behüte, [247] ist ihn eine Ohnmacht angegangen und er ist stracks tot gewesen. Man kann sich wohl denken, was für ein Schrecken in der Gemeinde gewesen ist. Also sind leider in kurzer Zeit Reb Anschel, Reb Samuel Orgels und die Frau von Reb Bär Cohen gestorben. Ob nun meiner Verwandten Bele – sie ruhe in Frieden – durch den Handschlag von Reb Bär und durch die erwähnten Zeugen zu kurz geschehen ist, ist alles Gott – er sei gepriesen – bekannt. Ich und alle Menschen sind viel zu schwach das zu denken, und wir können nur Gott – er sei gelobt und sein Name sei gelobt – bitten, er möge weiter seinen Grimm von uns nehmen und von ganz Israel.
Danach hat Reb Bär Glückchen in Reichtum und Ehre verheiratet und hat sich mit dem reichen Juda Berlin verschwägert und hat gar viel an all ihren Geschwistern getan wie bekannt und wie alle Leute wissen.
Ich hätte solches gar nicht in mein Buch geschrieben. Nur weil mir deucht, daß solches eine Sache ist, die nicht alltäglich ist und hieraus zu sehen ist, wie das menschliche Glück so veränderlich ist, hab ich mir die Mühe gegeben und solches, was das Prinzipalischeste ist, mit hier eingesetzt. Denn meine brave Verwandte Bele hat vor ihrem Tode gemeint, sie säße auf der höchsten Staffel von ihrer Glückseligkeit, welches auch nach menschlicher Natur gewesen ist. Sie hat Reb Bär Cohen zum Manne gehabt, welcher ein großer Schriftgelehrter vom Stamme der Priester, von guter Familie und von hervorragendem Reichtum gewesen ist; er hat ein gutes Herz gehabt und Armen und Reichen Wohltaten erwiesen, und sie haben sehr gut zusammen gelebt. Obschon sie zusammen keine Nachkommen gehabt haben, so haben sie doch die Kinder von Reb Phöbus Cohen bei sich gehabt – Seligmann und seine Schwester Glückchen. Sie haben gar keinen Unterschied gewußt und die beiden Kinder geliebt, als wenn sie von ihrem eigenen Leib geboren wären. Meiner Verwandten Bele – sie ruhe in Frieden – all ihr Trachten und Sorgen ist als für die beiden Kinder [248] gewesen. Endlich hat sie so lange mit ihrem Verstand gearbeitet, oder vielmehr ist es durch den Willen Gottes gewesen, daß sie den Seligmann mit der Tochter des reichen Reb Herz Hannover zum Bräutigam gemacht hat. Ich habe es aus ihrem – sie ruhe in Frieden – Munde gehört, daß sie gesagt hat, daß sie der Junge über fünfzehntausend Reichstaler gekostet hat. Was ist das für ein Herz von Reb Bär Cohen, sich ein Kind so viel Geld kosten zu lassen, über das er nur Onkel gewesen ist; und Bele – sie ruhe in Frieden – ist seine Muhme gewesen. Und sie haben sich das Mädchen Glückchen auch so viel kosten lassen wollen.
Als nun der erwähnte Jüngling ein Bräutigam gewesen ist, und es nach ihrem Wunsch gegangen ist, so ist die Freude bei ihr unbeschreiblich gewesen. Sie ist in solcher Ehre und Aestimation gewesen, wie keine Frau in ganz Deutschland gewesen ist.
Aber leider, wenn das Seil am straffsten ist, bricht es, und so hat meine Verwandte Bele – sie ruhe in Frieden – in ihrer besten Zeit und in ihren besten Jahren von allen Ihrigen hinweg gemußt. Wie schon geschrieben, hat sie – sie ruhe in Frieden – in ihrer Todesnot gemeint, die Seelenfreude zu haben, daß ihr Mann Reb Bär Cohen Glückchen nehmen sollte, welches nicht geschehen ist.
Nun, was hilft der guten Frau all ihre Ehre, all ihr Reichtum? Alles nichts. »Es gibt keine Macht am Sterbetage.« Was ihr beistehen wird, ist ihre große Bescheidenheit, und das viele Gute, das sie getan – das ist ihr übrig geblieben von all ihrem Reichtum.
Sie ist ungefähr 51 Jahre alt geworden. Sie haben wenig Geld in die Ehe gebracht, keine neunhundert Reichstaler, und der Höchste hat sie so mildreich gesegnet, wie es wissentlich ist. Und der Höchste hat dem reichen Reb Bär Cohen großen Wohlstand gegeben und hat ihm lebensfähige Nachkommen gegeben, wobei ihn Gott – er sei gepriesen – erhalten wolle, bis der Erlöser kommt. Er erweitere [249] seine Grenzen, denn er hat ein großes Herz und man findet wenige seinesgleichen.
Hierher paßt, was ich in dem Buche »Jesch nauchalin« in der Ausgabe des Gaon Rabbi Jesaias gefunden habe, welches man mir auf deutsch vorgelesen hat: Eine Bosheit hab ich gesehen unter der Sonnen, die gargroß ist auf dem Erdensohn. Wenn Gott einem große Reichtümer und Güter und Grundbesitz gegeben hat, so wird er von all dieser Güte leider nicht satt auf dieser Welt. So zwar, daß wenn der Erdensohn sterben soll, kurz vor seinem Tod und wenn er den Tod schon selber vor sich sieht, und er läßt großen Mammon andern Leuten oder seinen Kindern – dann ist ihm zu derselbigen Zeit der Mammon noch lieber als seine verschnittene Seele. Und er gedenkt ihrer nicht, daß er ihr gebe, was ihr fehlet, wie es sich gehört und was sie verlangt. Denn er verteilt von seinem Mammon nichts für Almosen, für Armenhäuser und sonst an Geschenken für Arme und Bedürftige.
Je nach dem Kamel ladet man ihm seine Last. Je nach seinem Vermögen sollen als die Wohltaten vor ihm hergehn, um ihn auf dem Wege zu bewachen und zu behüten vor den Scharen der verderbenden Geister – Gott behüte – und vor all den Heeren der Dämonen ,Grimm', ,Zorn', ,Verderben', die da in der Luft sind, vom Erdboden bis in die Ausdehnung des Himmels und die über seine Seele Gewalt bekommen, wenn sie zwischen all den unreinen Heerscharen hindurchgeht. Sie begegnen ihm und verhindern ihn auf dem Wege und quälen ihn mit aller Not und Pein – Gott behüte uns. Wenn er aber Almosen gibt, dann zieht die Gerechtigkeit vor ihm her, um ihn auf seinem Wege zu bewahren und bringt ihn ohne Pein und Schmerz an seinen Ort, der ihm bereitet ist.
Nun ist aber der größte Teil der Menschen leider, die sich das nicht zu Herzen nehmen, wenn sie sehen, daß sie von dem Leben scheiden. Müßtest du Erdensohn nicht der größte Narr sein! Wofür hättest du gearbeitet und dich alle Tage deines Lebens bemüht? Für eine Welt, die nicht dein [250] ist? Und jetztund in diesem Augenblick, da du siehst, daß deine Seele von dir geht, und du kannst dir das Jenseits in einer Stunde kaufen, und dein Verdienst ist gar groß, wenn du Almosen gibst – und dennoch willst du nichts abbrechen von diesem Gelde, wiewohl du siehst, daß du es fremden Leuten und solchen, die sich nicht bemüht haben, es mit Gewalt geben mußt – und du gehst leer hinweg? Wie ist so eine befremdliche Sache je erhört gewesen? Und wolltest du in deinem Herzen denken, du hättest schon viel Almosen gegeben bei deinen Lebzeiten, vermeide diesen Gedanken, »denn eine Handvoll macht den Löwen nicht satt« und wahrlich, das ist nicht genug Zehrung für den großen weiten Weg, den du gehen mußt. Wie wir es auch in dem Traktat von den Ehekontrakten von dem großen Tanaiten Mar Ukba – er ruhe in Frieden – finden. Wie es auch allen Menschen bekannt ist, was er bei seinen Lebzeiten für Gutes getan hat. Dennoch hat er in seiner Todesstunde gesagt: »Was für einen weiten Weg habe ich zu gehen und wie wenig Zehrung hab ich mitzunehmen!« Da ist er aufgestanden und hat von allem, was ihm gehört, die Hälfte als Almosen gegeben, wiewohl unsere Weisen seligen Angedenkens sagen, daß der Mensch nicht mehr als den fünften Teil von dem Seinigen weggeben soll. Das ist aber gesagt, so lange ein Mensch am Leben und frisch und gesund ist. Aber in seiner Sterbestunde mag er sogar alles, was er hat, hingeben, denn der Mensch ist sich selbst am nächsten. Nun, denkt sich der Mensch, der Mar Ukba ist einer von den stärksten Tannenbäumen gewesen in unserer heiligen Thora, der hat also getan. Was sollen nun in diesen Geschlechtern gewöhnliche Menschen tun? Darum soll ein jeder ein kluger besonnener Mensch sein und soll für sich und seine Seele einen hübschen Anteil wählen, denn dein Leben ist dir das Nächste. Denn was hilft und nützt es der betrübten Seele, wenn einer alles, was er hat und um das er lange gearbeitet und sich gemüht hat, seinen Kindern hinterläßt, und er wird in die Grube in den tiefsten Staub der Unterwelt geworfen, und seine Herrlichkeit verwandelt sich in [251] Verderben. Seine Erben bleiben in seinen großen hübschen Häusern und Palästen behaglich sitzen und singen laut Lieder und Lobgesänge und er sitzt allein in der betrübten Grube in Klagen und Stöhnen und läßt seinen Kopf hängen in Traurigkeit und mit weinender Stimme. Seine Erben essen durch seinen Mammon lauter köstliche Speisen und seine Speise ist lauter Erde!
Darum hat Gott Einsicht und Verstand gegeben, daß man sich soll zu Herzen nehmen: »Wenn ich nicht für mich bin, wer wird denn für mich sein, und wenn nicht jetzt, wann dann?«
Wenn auch dieser große Gelehrte noch viel mehr Moralpredigten und andere Sachen, die süßer als Honig sind, schreibt, so will ich es doch dabei beruhen lassen, und wer weiter davon wissen will, mag in dem betreffenden Buch und in anderen Büchern lesen.
Liebe Kinder, um Gottes Willen, habt Gottesfurcht in eurem Herzen. Was ihr in dieser Welt nicht habt, wird euch Gott – er sei gepriesen – in der andern Welt vielfältig geben, wenn ihr »Gott mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dienet«, wie ich schon zu öftern erwähnt habe und daraufhin nicht mehr davon schreiben will.
Nun wieder zu unserem Zweck zu kommen. Danach habe ich meine Tochter Freudchen verlobt mit dem Sohn des reichen Reb Moses, dem Sohn des Reb Löb. Zwischendessen haben wir wieder ein Anstößchen gehabt, welches Gott noch mit Gnaden abgewendet hat. Und zwar war es, wie schon erwähnt, daß mein Sohn Nathan Korrespondenz hatte mit dem reichen Reb Samuel und seinem Sohn, dem reichen Reb Mendel. Damals hat mein Sohn Nathan gar viele Wechsel für die erwähnten reichen Leute akzeptiert gehabt. Teils sind sie bald verfallen gewesen, teils haben sie noch zu laufen gehabt. Also ist mein Sohn Nathan gewohnt gewesen, daß, bevor die Wechsel verfallen sind, die reichen Leute ihm Rimessen Übermacht haben. Aber zu der Zeit hat mein Sohn Nathan keine Briefe und keine Rimessen von den reichen Leuten gehabt. Endlich ist ein Geschrei [252] gekommen, daß der reiche Reb Samuel und sein Sohn im Gefängnis sind. Sobald der Lärm nach Hamburg gekommen ist, ist gleich all der Kredit, den mein Sohn Nathan gehabt hat, weg gewesen, und wer einen Wechsel auf meinen Sohn Nathan gehabt hat, von den betreffenden reichen Leuten oder sonst jemandem, hat gleich auf Bezahlung gedrungen. Nun, was hat man tun sollen? Nicht nur, daß mein Sohn Nathan so viele Wechsel zu zahlen auf dem Hals gehabt hat, so sind noch mehr Wechsel dazu gekommen, die er noch hat akzeptieren müssen und doch hat er keinen Wechsel mit Protest zurückgehen lassen. Nun ist es vor der Leipziger Messe gewesen und mein Sohn Nathan hat nach Leipzig gemußt. Also hat er nebbich gezahlt, was er gekonnt hat und ist mit betrübtem Herzen nach Leipzig gezogen. Nachdem er alles Gerät von Silber und Gold versetzt gehabt, und von mir gegangen ist, hat er gesagt: »Meine liebe Mutter, ich geh jetzunder von dir. Gott weiß, wie wir wieder zusammenkommen. Ich hab noch einige Tausend zu zahlen. Ich bitte dich, sei mir behilflich, was du kannst. Ich weiß, die betreffenden reichen Leute werden uns nicht verlassen.«
Also ist mein Sohn Nathan am Sonntag mit seiner Gesellschaft nach Leipzig gezogen. Gleich am Montag hat meine Not mit dem Bezahlen der Wechsel angefangen. Ich habe getan, was mir möglich war, alles, was mein war, versetzt, und mich bis über den Kopf hineingesteckt, bis ich nicht weiter gekonnt hab. Am Freitag hab ich nur noch fünfhundert Reichstaler zu zahlen gehabt, die hab ich nicht mehr aufbringen können und hab gute Wechsel auf vornehme Familienväter in Hamburg gehabt, die ich an der Börse hab verkaufen wollen. So bin ich in Betrübtheit die ganze Börse herumgegangen, um den Maklern die Wechsel zu geben. Aber nach der Börse haben mir die Makler meine Wechsel wieder gegeben, denn keiner wollte einen Wechsel ansehen.
Also bin ich betrübt gewesen, und endlich hat mir Gott geholfen, daß ich die fünfhundert Reichstaler bezahlt [253] habe. Am Sabbat hab ich mich resolviert, daß ich am Sonntag früh nach Leipzig fahren will. Wenn ich in Leipzig finde, daß die reichen Leute Rimessen nach Leipzig geschickt haben, so will ich gleich wieder zurückfahren. So aber die betreffenden reichen Leute keine Rimessen schicken werden, dann will ich von Leipzig nach Wien ziehn zu meinem reichen Gevatter Reb Samson, dem Oberrabbiner, welcher in dieser Zeit ein treuer Freund gewesen ist. Derselbige werde uns wohl zu dem Unserigen helfen. Also hab ich meinen Bruder Reb Wolf gebeten, er soll mit mir ziehn. Also sind wir Sonntag mit Hauderwagen von Hamburg nach Leipzig gefahren. Wie ich vor Leipzig gekommen bin, bin ich auf einem Dorf liegen geblieben. Ich habe einen Boten in die Stadt hineingeschickt und meine Kinder zu mir herauskommen lassen, welche mir berichtet haben, daß die betreffenden reichen Leute aus dem Arrest seien und Rimessen geschickt haben, um all ihre Wechsel in Ehren zu bezahlen. Gleich und schnell wie ich das gehört, habe ich, gleichwie mein Bruder, mich wieder auf den Weg gemacht und sind zurückgefahren, und sind Freitag, am Vorabend des Sabbat, bei guter Zeit wieder daheim gewesen. Also bin ich in sechs Tagen nach Leipzig und von Leipzig nach Hamburg gefahren.
Soll ich nun schreiben, welche Freude meine Kinderchen nebbich gehabt haben und besonders meine Schwiegertochter Mirjam, die Frau von Nathan. Denn wir sind in einem so hochbetrübten Zustand voneinander gegangen, daß wir nicht gemeint haben, so ohneweiters wieder zusammenzukommen. Nun aber hat uns Gott – er sei gelobt – wirklich in einem Augenblick geholfen. Gelobt und gedankt sei der Höchste.
Wenn auch die betreffenden reichen Leute alle Unkosten bezahlt haben, so haben sie uns doch all ihre Tage nicht bezahlen können, was wir an Bestürzung, Not und Sorge gehabt haben. Gott – er sei gepriesen – möge sich doch weiter über uns erbarmen, und uns nur unser bestimmtes Brot aus der Hand Gottes geben. Also ist auch dieses zum Guten abgelaufen. [254] Danach habe ich meiner Tochter Freudchen die Hochzeit gemacht mit dem Sohn des Gevatter Reb Moses, dem Sohn von Reb Löb Altona. Die Hochzeit ist in Altona gewesen, gar eine rechtschaffene Hochzeit. Also ist die Hochzeit in Lust und Freude beendet worden. Danach ist die Zeit der Hochzeit von meinem Sohn Reb Moses herbeigekommen. Ich habe dem reichen Gevatter Reb Samson Baiersdorf geschrieben, daß ich mich rüste, um auszuziehen, um zur Hochzeit zu kommen. Aber der Gevatter Reb Samson hat mir geschrieben, daß es ihm nicht möglich ist, in der Zeit Hochzeit zu machen, weil Gott ihm die Gunst erwiesen habe, sein jüngstes Kind zu verheiraten. Darum könnte er die Hochzeit nicht in seinem alten Haus machen. Er hätte aber ein neues Haus zu bauen angefangen, sobald das fertig ist, wollte er mir schreiben, daß wir kommen sollten und in Ehren und Reichtum Hochzeit machen.
Aber das ist nicht allein die Ursache gewesen von wegen dem Bauen von dem neuen Haus, sondern es ist zu dem Markgrafen von Bayreuth ein neuer Rat gekommen, der sich gegen den reichen Gevatter Samson gestellt hat – nicht anders geradezu als Haman – und nichts anderes gesonnen hat, als zu vernichten, zu vertilgen und zu ermorden. In Wahrheit hat er ihm auch sehr weh getan, so daß er sich nicht zu wenden und zu kehren gewußt hat und besonders hat er alles, was er gehabt, bei Seiner Hoheit dem Markgrafen stehen gehabt. Also ist dieses auch die Hauptursache gewesen, daß er die Hochzeit nicht zur Zeit gemacht hat.
Aber da Gott – er sei gepriesen – gesehen hat, wieviel Gutes aus seinem Hause kommt, besonders die Bewirtung der Gäste, der reichen und armen, und wieviel Gutes er an den Juden der ganzen Umgegend getan hat, wie er wirklich die ganze Gegend erhalten hat, und was er künftig noch tun kann und tun wird, da hat Gott – er sei gelobt – in seinem Erbarmen und in seiner großen Gnade alle bösen Absichten von diesem Haman in Gutes verwandelt, so daß der Bösewicht ganz erniedrigt [255] worden ist. Der Gevatter ist jeden Tag höher gekommen, so daß es unbeschreiblich ist für einen Juden, so viel Ansehen bei Seiner Hoheit dem Herrscher zu haben. Gott – er sei gelobt – wolle ihn bis zur Zeit des Erlösers dabei erhalten. Aber es hat doch noch ein volles Jahr gewährt, ehe wir Hochzeit machen konnten.
Nun will ich hiermit mein fünftes Buch beschließen.
Ende vom fünften Buch.
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