Die Mißgeburt
Frau Orgon! rief die Frau Gevatterin,
Ach wüßten Sie, wo ich gewesen bin!
Ich will es Ihnen wohl entdecken;
Allein Sie müssen nicht erschrecken.
Lucinde, daß ichs kurz erzähle,
Lucinde, die so stolze Seele,
Die uns durch ihren Staat so oft beschämt gemacht,
Erschrecken Sie nur nicht, hat in vergangner Nacht
Ein recht abscheulich Kind geboren.
Die stolze Frau! ich richte nicht:
Allein ich weis, daß nichts umsonst geschieht.
Lucinde wünscht, daß es verschwiegen bliebe!
Allein die Stadt erfährts, gedenken Sie an mich:
Indeß behalten Sie die Heimlichkeit für sich.
Frau Orgon eilt von ihr erschrocken zu Dorinden,
Sie fragt nach ihrem Wohlbefinden,
Wie? sollte sie Dorinden nichts erzählen?
Nein, denn sie fängt schon an sich bestens zu empfehlen.
Warum muß der Besuch so bald zu Ende gehn?
Vielleicht, weil beide sich von nichts zu reden schämen.
Wie sollten dieß sich Weiber übel nehmen?
Oft Tage lang von nichts mit großen Männern spricht.
So ist Frau Orgon schon gegangen?
Doch seht, sie kehrt sich um: Frau Schwester, noch ein Wort,
Ein Wort! Es soll mich sehr verlangen,
Ob Sie – –? Lucinde – – Wie? Sie hätten nichts gehört?
Nichts, Gott vergieb mir meine Sünde,
Mit welcher sie die Welt beschwert?
Hier sieht man recht die göttlichen Gerichte!
Ein Kind mit härichtem Gesichte,
Das einem Hasen gleicht, und einem Pferdefuß,
Allein Lucinde wills verhehlen;
Drum sagen Sie nur weiter nichts davon.
Das arme Kind! Es ist ein Sohn.
Dorinde sagts ihr zu. Und doch soll mirs nicht fehlen,
Weil jene sie, zu schweigen, bat.
Sie thut es so getreu, als es Frau Orgon that.
Erst hat das Kind nur Hasenohren,
Frau Orgon schenkt ihm drauf noch einen Pferdefuß;
Und weil sie was verbessern muß,
Und macht ihm noch an beide Hände Krallen.
Eh noch der Nachmittag verstrich,
Die alten Mütter kreuzten sich,
Und suchten schon recht mütterlich
Durch dieses Zorngericht die Töchter zu bekehren.
Da war kein Mensch, der nicht mit einem Ach!
Die Knaben stritten selbst mit blutigem Gesichte
Schon für die Wahrheit der Geschichte.
So bald als dieß der Magistrat erfuhr,
Schickt er den Physicus nach dieser Creatur.
Allein anstatt den Wechselbalg zu finden,
Fand er ein wohlgestaltes Kind,
An dem die Ohren größer waren,
Als sie bey andern Kindern sind.
Der Dörfer und der Städte Plage,
Verwünscht seyst du, gemeine Sage!
Die schnell mit dem, was sie zu wissen kriegt,
Geheimnißvoll in alle Häuser fliegt,
Ein giftig Weib, was kann die nicht erzählen;
Zumal, wenn es der armen Freundin gilt?
Ein giftig Weib – – Doch nein, ich mag nicht schmählen;
Mich schreckt die Redekunst, mit der sie andre schilt.