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Die Offenbarung Johannis/Aufkommen der chiliastischen Auslegung in deutschen pietistischen Kreisen

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« Fortsetzung der wissenschaftlichen Auslegung der Apk namentlich bei den protestantischen Gelehrten Wilhelm Bousset
Die Offenbarung Johannis
Die einseitige und beschränkte zeitgeschichtliche Auslegung »
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15. Aufkommen der chiliastischen Auslegung in deutschen pietistischen Kreisen.

Bisher hatte die in den evangelischen Kirchen herrschende Auslegungsweise im Anschluß an die Tradition und namentlich an die Auffassung der alten Kirche die Weissagung der Apk vom 1000jährigen Reich in irgend einer[100] Weise umgedeutet und auf die Vergangenheit bezogen. Durch die Verwerfung des Chiliasmus in der Augustana XVII war man hier noch stärker als vorher gebunden. In den pietistischen Kreisen Deutschlands wurde der Bann gebrochen und die chiliastische Deutung der Apk auf den Schild gehoben. Im Pietismus trat der Chiliasmus aus der Reihe der Häresien, in welche er seit anderthalb Jahrtausend verbannt gewesen[1]. Freilich zum besseren Verständnis des Buches führte auch dieser Fortschritt kaum, die Auslegung wurde nur noch phantastischer und wilder. Spener, der im übrigen die Beziehung der Weissagung der Apk auf Türken und Papst aufrecht erhielt, deutete das 1000jährige Reich „auf einen Zustand des Glanzes, der Juden- und Heidenbekehrung, der allgemeinen Regelung des Gemeinschaftslebens nach dem Maßstabe Christi“. (Behauptung der Hoffnung künftiger besserer Zeiten 1693.) Die einflußreichste den Chiliasmus vertretende Auslegung wurde die von Campegius Vitringa, ἀνάκρισις apocalypseos Joannis apostoli, Franecker 1705 (nach Walch 776). Er scheint im großen und ganzen stark von Mede abhängig zu sein[2], unterscheidet sich aber von ihm dadurch, daß er mehr auf die Rekapitulationstheorie zurückgreifend (Coccejus) schon mit dem sechsten Siegel das Ende eintreten und in den sechs Siegeln die ganze Kirchengeschichte geweissagt sein läßt. Aber in der kirchengeschichtlichen Ausdeutung der sieben Sendschreiben, in der Deutung der Posaunen, namentlich der sechsten, des Kap. 12, des Tieres, der Schalen, des tausendjährigen Reiches lehnt V. sich direkt an Mede an. Er betont mit aller Kraft, daß das 1000jährige Reich in der Zukunft liege unter offener Verteidigung der chiliastischen Auslegung der alten Kirchenväter. Und mit seiner Auslegung hat er die chiliastische Stimmung in den Kreisen des Pietismus mächtig bestärkt. Der Kommentar ist übrigens reich an Ausführungen rein grammatischer und exegetischer Art[3]. Auch Jacobus Abbadie (ouverture des sept sceaux par le fils Dieu ou le triomphe de la providence et de la religion. Amstelod. 1721. 1-2) erwartete das 1000jährige Reich in der Zukunft als Frucht einer unternommenen Kirchenreform (Holtzmann² 285). Sein Kommentar ist ein unsagbar breites Werk (zwei Quartbände von je etwa 900 Seiten), darin unter anderm eine Geschichte der Christenverfolgungen, der Kreuzzüge, der Türken, eine Abhandlung über das Fegefeuer. Der Kommentar ist etwa im Stile Medes gehalten, nur daß A. alles vom siebenten Kapitel an Folgende für den Inhalt des siebenten Siegels hält. — Chiliastisch ist weiter die Deutung A. Drießens [101] (meditationes in sacram apocalypticam. Trajecti ad Rhenum 1717). Er fand in der Apk — wohl in Anlehnung an das System Joachims — wieder sieben Zeitalter geweissagt, nahm als Länge der einzelnen Perioden 360 Jahre und erwartete im achten Zeitalter das 1000jährige Reich. Nur die sieben Sendschreiben deutete er kirchengeschichtlich. Alles übrige lag für ihn (mit Ausnahme von 11,1-13; 12-14) in der Zukunft, also eine Wendung zur endgeschichtlichen Auslegung. Diese Wendung vollzieht dann noch energischer Joachim Lange (apokalypt. Licht und Recht. Hal. 1730). Es hat zwar in der Vorrede zunächst den Anschein, als wolle er dem Vitringa folgen. Von diesem aber übernimmt er nur die schneidige Verteidigung des Chiliasmus, und mit aller Kraft verficht er selbst die Hoffnung auf einen glücklichen Zustand der Kirche. Aber von Vitringa abweichend sucht er sehr scharfsinnig den Beweis zu führen, daß die ganze Apk von Kap. 4 an endgeschichtlich zu verstehen sei. Wir finden also im großen und ganzen — nur noch konsequenter durchgeführt — die Auslegung eines Ribeira hier wieder.

Ganz in schwärmerischen Bahnen bewegen sich die Schriften der Familie Petersen, die halb Auslegung der Apokalypse, halb eigne Weissagungen enthalten: Johanna Eleonora Petersen, anleitung zu grundlicher verständnis der heiligen Offenbarung 1696; Wilhelm Petersen, verklärte offenbarung jesu christi 1706; Schlüssel der heiligen offenb. 1718; die von christo für den philadelphischen engel gegebene offene thür, Frankfurt 1718 (nach Walch 764f.).

Als letzter Kommentator in dieser Reihe sei der wohl — abgesehen von den eben Genannten — phantastischste von allen genannt: J. A. Bengel (erklärte Offenb. Johannis 1740¹ 1746² 1758³, noch 1834 von W. Hoffmann und Bunk neu verlegt; ferner: sechzig erbauliche Reden über d. Offenbar. Joh. 1747¹ 1788²). Seine Gelehrsamkeit verleitete Bengel, aus den Phantasien und Willkürlichkeiten apokalyptischer Auslegungen ein gelehrtes mathematisches System zu machen; ein seltsamer Kontrast von Scharfsinn und Phantastik. Wer sich dafür interessiert lese die Darstellung in Burks Leben und Wirken Bengels S. 260ff. (auch Lücke 1040ff). Seine Forschungen befähigten Bengel das Weltende auf 1836 zu berechnen. Auch Bengel ist ein Vertreter des Chiliasmus oder vielmehr eines doppelten Chiliasmus (1836-2836 Bindung des Satans, 2836—3836 das eigentliche 1000jährige Reich, 3836 Weltende und jüngstes Gericht). Bengels Einfluß ist es wohl besonders zuzuschreiben, daß seit ihm der Chiliasmus trotz der Augustana bis tief hinein in genuin lutherischen Kreisen zu Ehren und Anerkennung gekommen ist. Im Gnomon bringt übrigens B. vorzügliche grammatische und sprachliche Erklärungen und in seinem Hauptwerk eine gute Darstellung der Geschichte der Auslegung[4].


  1. Vgl. zum folgenden Holtzmann² 285.
  2. Über den Chiliasmus Medes und seiner Nachfolger s. o. S. 90. — In England, wo man nicht an das Urteil der Augustana gebunden war, konnte natürlich die chiliastische Auslegung leichter aufkommen.
  3. Nachfolger Vitringas sind Ch. Joh. Bomble, analysis nec non chronotaxis Apoc. 1721 und van den Honert, dissertationes apocalypticae 1736 (Lücke 1035,1); ferner Gustav Reinbeck, kurze Erörterung des Hauptinhalts der hlg. Offenb. St. Joh. statt d. 16., 17. u. 18. Beitrags des freiwilligen Hebopfers z. Prüfung übergeben. Berol. 1722 (die Auslegung teilweise endgeschichtlich). D. I. Dimpel, Einl. in d. Offenb. Joh. Lips. 1730 (ebenfalls teilweise endgeschichtlich). Chr. A. Loesecken, Erkl. d. Offenb. Joh. Hal. 1731 (in dem Bibelwerk des M. Laurentius, vgl. Walch 766f.).
  4. Die an Bengel sich anschließende Literatur verzeichnet Lücke 1044ff. — Ein ganz merkwürdiger Kommentar ist die Offenbarung Johannis von Joh. J. Scheurmann Lippstadt 1722, eine Vereinigung der Auslegung des Grotius und älterer phantastischer Auslegungen. Sch. teilt die Apk in zwei Teile. Im ersten Teil (Kap. 1-11) ist a) die Vernichtung des Judentums, b) der Sieg des Christentums über das römische Imperium beschrieben (8,2-11). Von Apk 12 an verläuft die Auslegung dann WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt ganz nach englischer Methode (Mede). J. Koch, Scheide-, Prüf- und Wäge-Kunst göttlicher bisher erfüllter und noch unerfüllter Weissagungen, Lemgo 1742, bezog alle Weissagungen vom ersten Siegel an auf die Reformationszeit.
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