Die Offenbarung Johannis/Die katholischen Kommentatoren

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12. Die katholischen Kommentatoren.

Mittlerweile finden wir eine ganz andere Arbeit auf dem vorliegenden Gebiet bei den katholischen Theologen[1]: den Beginn einer wissenschaftlichen Auslegung, neben dem die Arbeit der Protestanten sich im Durchschnitt geradezu kindlich ausnimmt.

Eine ganz stattliche Reihe wirklich tüchtiger Bibelexegeten, meist aus dem Orden der Jesuiten, ist hier zu verzeichnen. — Allen voran geht Franciskus Ribeira (1591 †)[2], welcher seinen Kommentar zur Apk bald nach 1578 schrieb. Er kennt die griechischen Kommentatoren Andreas und Arethas und beherrscht auch sonst die vorhergegangene Exegese. Vor allem aber wurden von ihm und den folgenden Exegeten die ältesten Kirchenväter Irenäus, Hippolyt — so weit er bekannt war —, Hiernoymus und Augustin wieder durchgehend als Autoritäten benutzt, auch die alte Auslegung des Victorin gewinnt wieder Einfluß. Ribeiras Kommentar und die folgenden sind die ersten Kommentare, denen man in gewissem Sinn wissenschaftlichen Wert zusprechen kann. Die Auslegungen zeugen sämtlich von der Bemühung, irgendwie die Weissagungen der Apk psychologisch begreifbar zu machen. Mit der wilden weltgeschichtlichen Deutung ist hier vollkommen gebrochen. Aber auch der verflachenden spiritualisierenden Auslegung entzieht man sich, man kommt der Gedankenwelt der Apk wieder nahe, freilich nicht näher als Irenäus-Hippolyt ihr gekommen sind. Während es bei den evangelischen Kommentatoren Dogma geworden war, daß der Papst der Antichrist sei und mancher die Kraft seines Lebens daransetzte, das Dogma zu beweisen, sehen wir diese Jesuiten bemüht um ein wirkliches wahrheitsgemäßes Verständnis, sogar so ehrlich, die für sie so gefährliche Deutung Babels auf Rom meistens[92] zuzugeben. Und dabei arbeiten sie mit einer umfassenden Gelehrsamkeit, mit einer Kenntnis der Kirchenväter und der Geschichte der Auslegung der Apk, daß ihre Werke noch immer nicht veraltet sind.

Gleich bei Ribeira[3] verändert sich die Art der Auslegung der Apk völlig. Voran steht bereits eine „Einleitung“. Das erste Siegel handelt nach ihm von der Apostel Predigt, das zweite von der Neronischen Verfolgung, das dritte von den falschen Aposteln[4], das vierte (und fünfte) wird auf die zur Zeit Trajans kurz vor oder nach dem Tode des Johannes eingetretene Verfolgung bezogen. Beim sechsten Siegel aber geht der Apokalyptiker nach R. zur Beschreibung der letzten Zeit über (vgl. Victorin). Und dann — das ist nun das wesentliche — wird der Gesichtspunkt konsequent festgehalten, daß der Seher nur Dinge der letzten, (auch für Ribeira) noch zukünftigen Zeit sieht. Der Apokalyptiker weissagt nach Ribeira also nur von seiner eignen und der letzten Zeit. Im folgenden finden wir so die alten Deutungen der Kirchenväter wieder: Elias und Henoch, die Abstammung des Antichrist aus dem Stamme Dan, die alten von Irenäus-Hippolyt stammenden Kombinationen aus Dan und Apk hinsichtlich der Gestalt des Antichrist, die durchaus — freilich wohl auch im antiprotestantischen Interesse — als Erscheinung der Endzeit verstanden wird[5]. Die Deutung des Victorin auf Nero wird scharf abgewiesen. Die Todeswunde des Tieres bedeutet die Nachäffung des Todes und der Auferstehung Christi von Seiten des Antichrist (vgl. Bousset, Antichrist S. 119). Babel ist Rom, freilich das alte Rom, aber R. erwartet doch für das Ende die Zerstörung des dann wieder in Sünden verfallenen Roms, das für die Sünden der Vorfahren bestraft werden wird. R. teilt die Apk in Kap. 1-11, das Siegelbuch, (calamitates continet, quae usque regnum Antichristi futurae sunt) und Kap. 12 bis zum Ende (regnum Antichristi et persecutionem illius temporis)[6].

Dem Ribeira folgte sein Ordensgenosse Blasius Viega[7]. Der Kommentar hat einen umfassenden gelehrten Apparat. Es ist noch jetzt jedem Ausleger der Apk zu empfehlen, an den wichtigeren Stellen der Apk seine Nachweise aus den Kirchenvätern einzusehen. In der Auslegung ist er mehr Eklektiker, folgt erst dem Lyra, dann der gebräuchlichen Auslegung (bei der Deutung der Posaunen). Von Kap. 11 an ist der Einfluß Ribeiras [93] deutlich spürbar, er folgt ihm hier fast in allem, wenn er auch an einzelnen Stellen seinem Vorgänger vorwirft, daß er plus juste litterae adhaerens sei.

Wieder von anderem Charakter ist die Auslegung des Benediktus Pereyra (1606)[8]. In der Einleitung gibt P. eine Literaturübersicht, die neben merkwürdigen Anachronismen viel Lesenswertes enthält, es findet sich dort auch ein Versuch, die Kommentare nach ihren Methoden zu klassifizieren, in dem allerdings manches fehlerhaft ist. In der Auslegung schließt er sich formell aufs engste an Joachim an. Er findet in der Apk immer von neuem sieben große adversitates und prosperitates der Kirche geweissagt. Das sechste Zeichen aber liegt für ihn noch in der Zukunft. Das schwärmerische und mönchische Element in Joachims Auslegung ist vollkommen abgestreift. Auch will er nicht in jeder Vision die Siebenteilung J.s wiederfinden und hebt hervor, daß eine Reihe von dessen Weissagungen nicht eingetroffen sind. Doch teilt er mit ihm die chiliastischen Ideen. Er stellt eine Reihe von prinzipiellen Grundsätzen der Auslegung der Apk auf, unter denen der der Heranziehung von Sarcharja und Daniel bei der Erklärung der Apk der wichtigste ist. Die Auslegung führt er nur bis zum 7. Kapitel, diese enthält eine außerordentlich lichtvolle Zusammenfassung bisheriger exegetischer Arbeiten.

Zu erwähnen sind hier noch zwei Jesuiten, wenn sie auch nicht Kommentare zur Apk geschrieben haben. Hentenius hat in der Vorrede zur Ausgabe des Arethas (im Anfang der Oekumeniusausgabe s. o. S. 65) ganz kurz seine Auffassung der Apk skizziert. Er macht hier die einflußreich gewordene Andeutung, daß Kap. 6-11 der Apk von der synagoge abrogatio, 12-19 vom excidium gentilismi handle[9]. Ganz ähnlich deutet die Apk der Jesuit Salmeron[10]. Bemerkenswert ist ferner, daß Hentenius wie Salmeron die Apk unter Nero geschrieben sein lassen (unter Berufung auf Tertullian) und sich so die Möglichkeit verschaffen, Kap. 11 von der Zerstörung Jerusalems zu verstehen.

Alle bisherigen Arbeiten aber faßte Ludovicus ab Alcasar in seinem Riesenwerk „vestigatio arcani sensus in apocalypsi“, Antwerpen 1614 und 1619 zusammen. Er zuerst führte den bereits angedeuteten Gedanken durch, daß die Apk in ihrem ersten Teil gegen die Synagoge, im zweiten gegen das Heidentum weissage, und bricht so einer einheitlichen historischen Auffassung des Buches Bahn. Die vier ersten Siegel schildern für ihn den Siegeszug des beginnenden Evangeliums, das sechste führt in die Zeit der Belagerung Jerusalems. Apk 7 wird die Errettung der Christen geschildert, Apk 8 und 9 handelt von dem Unglück, das über die Juden im jüdisch-römischen Krieg [94] hereinbricht, Apk 10 beschreibt die Wendung des Evangeliums vom Judentum zu den Heiden, Apk 11 bringt dann die Zerstörung Jerusalems[11]; die zwei Zeugen sind das mit neuer Herrlichkeit sich erhebende Christentum, das einen Teil der Juden bekehrt. Mit Kap. 12 beginnt dann der zweite Teil: das Weib ist die judenchristliche Gemeinde, welche die heidenchristliche Kirche (in Rom) gebiert und dann sogleich die Verfolgung unter Nero zu erdulden hatte[12]. Das erste Tier in Kap. 13 — auch Alcasar ist hier vorurteilsfrei genug, um das zuzugeben — ist das römische Reich, das zweite, Tier ist die sapientia carnis, die Zahl 666: ἡ ἀλαζονεία βίου. Die Ausgießung der Schalen wird auf die allmähliche Überwindung des römischen Reiches durch das Christentum gedeutet. Apk 19,11ff. ist die vollständige Bekehrung des römischen Reiches geschildert[13]. Der Engel, der den Satan bindet, ist Constantinus magnus. Die tausend Jahre der Ruhe beginnen mit diesem Ereignis und dauern bis zum Weltende. Auch hier zeigt sich ein bedeutender Fortschritt bei Alcasar. Die tausend Jahre liegen bei ihm doch wenigstens hinter den Ereignissen von Kap. 1-19. Eine Rekapitulation gibt es bei A. überhaupt nicht. Auch keine eigentliche kirchengeschichtliche Deutung im einzelnen. A. begnügt sich ganz allgemein, den Sieg des Christentums über das Römerreich geweissagt zu finden. Und so liegt, trotzdem A. in seinen Deutungen der Apk bis in die Zeiten Constantins hinübergreift, in seinem Werk ein erster großer Versuch eines historisch-psychologischen Verständnisses des Buches mit den sieben Siegeln Vor. Mit A. beginnt die wissenschaftliche Auslegung der Apk.

Cornelius a Lapide faßt noch einmal die Arbeit seiner Vorgänger in einem umfangreichen Werk[14] zusammen. Durchgehends setzt er sich mit dem großen Werk des Alcasar auseinander. Er folgt aber nicht ihm, sondern im Anfang (bis zum siebenten Siegel) dem Pereyra (Joachim), dann ausschließlich dem Ribeira und Viegas.

In den nun folgenden Bibelwerken der Jesuiten zeigt sich der Einfluß des Ribeira. Menochius (1630)[15] schließt sich allerdings in der Auslegung der ersten sechs Kapitel dem hergebrachten Stil (Beda-Strabo) an. Von Menochius scheint wieder Gordonus (1636) abhängig zu sein. Tirinus (1632) folgt im Anfang dem Pereyra (Joachim), dann dem Ribeira (also wohl dem Corn. a Lap. s. o.). Ein sehr selbständiger und interessanter Kommentar ist der des berüchtigten Jesuiten Juan Mariana (1619). Im [95] Anfang folgt er dem gebräuchlichen Schema der Auslegung, die sieben Posaunen werden dann auf sieben bestimmte Ketzer gedeutet, bei der fünften findet sich ein Hinweis auf Luther. Von Apk 11 an aber folgen eine Reihe beachtenswerter Versuche historischer Deutung. In Apk 11 findet J. M. die neronische Verfolgung, die beiden Zeugen sind Petrus und Paulus. Apk 12 wird auf Christi Geburt gedeutet. In der zweiten Hälfte von Kap. 12 wird die neronische Verfolgung geschildert, die durch die Erhebung des Vindex endet. M. zählt als die sieben Häupter die römischen Imperatoren von Caligula bis Nerva (Galba, Otho, Vitellius nicht eingerechnet). Mit Caligula beginnt er, weil dieser zuerst die damals mit den Juden vereinigten Christen verfolgt habe. Die Todeswunde bezieht er auf Neros Selbstmord, und bei der Heilung der Todeswunde verweist er auf den bei Victorin, Hieronymus, Sulpicius Severus erwähnten Glauben an die Wiederkunft des Nero: si quis meliora attulerit, gratias habeo. Zu Kap. 17,10 findet sich die bekannte Deutung des Bibliander und Bullinger. Juan Mariana war der erste Exeget, der die Apk wieder in Beziehung zur Sage vom Nero redivivus setzte[16].

Antonius de Escobar et Mendoza lehnt sich in seinem Kommentar (Vetus et Nov. Test. litteralibus et moralibus commentariis illustr. Lugdun. 1652) eng an Ribeira, Johannes de Silveyra in seinem ungeheuren Werk (Commentaria litteraria in Apoc. Lugdun. 1663) an Viegas an. Ich nenne noch Joh. de la Haye, commentarii litterarii in Apoc. Paris 1644.


  1. Laurentius Valla, adnotationes in N. T. Paris 1505; Desiderus Erasmus, adn. in N. Test. Basel 1516; Thomas Cajetan, ep. Pauli et aliorum apost. ad. Graec. veritatem castigatae Ven. 1531; Benedictus Arias Montanus, elucidationes in N. T. Antv. 1575 sind sämtlich nur kurze Glossen. Ebenso Emanuel Sa, Notationes in totam scripturam sacram Antv. 1598.
  2. In sacram Joh. Apoc. Commentarii, Salmaticae 1591 (Walch 616); ich benutze die Ausgabe Antwerpen 1623.
  3. Cornelius a Lapide sagt von Ribeira, daß er dem Andreas von Caesarea folge. Das ist insofern richtig, als er die Auslegung des A. verbindet mit der von diesem zitierten älteren Auslegung, der er die Deutung der ersten Siegel entnahm (s. o. S. 63,2).
  4. Die Beziehungen zu der gebräuchlichen Auslegung der alten Kirche sind bis hierher deutlich.
  5. Damit hängt zusammen, daß die 3½ Jahre, 42 Monate, 1260 Tage wieder einfach wörtlich verstanden werden, und alle Spielerei hier aufhört.
  6. Den Anregungen Ribeiras folgt Bellarmin (1621 †) im entschieden polemischen Interesse in: de summo pontifice liber tertius (de antichristo). Er weist hier besonders im Anschluß an die alte Tradition vom Antichrist nach, daß dieser noch kommen werde, aus dem Stamme Dan sei, seinen Sitz in Jerusalem habe etc.
  7. J. B. Viegas, in apoc. J. apost. commentarii exegetici Colon. Agripp. 1613. (Walch 738 zitiert als erste Ausgabe Eborae 1601.)
  8. Tertius Tomus selectarum disputationum in sacram scripturam contines CLXXXIII disputationes super libro Apoc. B. Joannis J. apost. Lugdun. 1606 (erste Ausgabe).
  9. Er deutet allerdings Apk 13 nach Joannes Annius noch auf Muhamed (ebenso Salmeron).
  10. Salmeronis Toletani Opera Tom. XII Col. Agr. 1614: in sacram Johannis apoc. praeludia quaedam generalia.
  11. A. will weder mit Annius, Hentenius, Salmeron wegen der Beziehung auf Jerusalem die Apk in die Zeit Neros verlegen, noch mit Ribeira, Viegas deshalb die Deutung von Kap. 11 auf die Zerstörung Jerusalems leugnen.
  12. Die realistische Deutung des Antichrist, überhaupt die Beziehung auf das Ende wird abgewiesen. Die sieben Häupter des Drachen sind die sieben Kardinallaster, die zehn Hörner Dämonen. 17,10 wird von den Lastern gedeutet, welche eines auf das andre folgen. Und so tritt hier allerdings ein Rückschritt hinter Ribeira ein.
  13. So schuf A. sich die Möglichkeit, Kap. 17 und 18 vom heidnischen Rom zu verstehen.
  14. Ich benutze eine Ausgabe von 1662. Die Erlaubnis der kirchlichen Behörden zum Druck ist 1625 und 1626 gegeben.
  15. Die folgenden Kommentare sind mir zugänglich in den Biblia sacra Venetiis Tom. 28 1757. (Die Zeitangabe aus Walch 429f.)
  16. WS: Fußnote fehlt im Original. Nur das Ankerzeichen im Text ist vorhanden.
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