Die Rosen am Balkan
Bulgarien, das weite Land, das von zwei mächtigen
Grenzhütern, der zum größten von Mitteleuropa ausgehenden
Strome angeschwollenen Donau im Norden und dem vielbesungenen
Hämus der Alten, dem weithin ausgestreckten Balkangebirge, im
Süden beschirmt wird und sich in die Länge vom serbischen
Morawaflusse bis zum Schwarzen Meer ausdehnt, dieses ganze,
Baiern an Größe gleiche Land war noch bis in die jüngsten
Zeiten in seinem Innern so wenig bekannt, als läge es am obern
Nil. Erdbeschreiber und Landkartenzeichner mußten mit Stift
und Griffel alten, ungenauen Nachrichten folgen, wie sie bei der
Darstellung dieses Türkengebietes mit spärlichen neuen Zügen von
einer Zeit auf die andere vererbt worden waren.
[89] Erst seit etwa einem halben Menschenalter geht uns über jenes Land und sein Volk, dessen Zahl wohl vier Millionen nahe kommt, neues Licht auf durch einen Mann, der die Durchforschung aller von Südslaven bewohnten türkischen Länder sich zum Lebensberufe gemacht hat: durch den 1829 zu Pest geborenen ausgezeichneten Kunsthistoriker und Ethnographen Philipp Felix Kanitz in Wien. Sein letztes größeres Werk über Serbien erschien 1868; sein großes Werk über Bulgarien[1] hat bereits in zwei Bänden (der zweite ist soeben erschienen) den Unterschied zwischen der bisherigen Landes- und Volkskunde und der wahren Gestaltung des Landes sowie den Zuständen und dem Leben der Bevölkerung dargethan. Fast so verwahrlost, wie das weite Gebiet durch die türkische Mißregierung, tritt nun die ehemalige Kunde von demselben uns entgegen. Gewässer und Gebirgszüge zeigen sich in anderm Lauf, unzählige Namen sind berichtigt, ja, wo die frühern Geographen im innern Lande Einöden verzeichneten, fand Kanitz zahlreiche und alte Dörfer vor.
Dennoch würde das mühevolle Werk des Autors vielleicht
noch lange nur von den Fachmännern in die Hand genommen
und durch deren Benutzung sein reicher Inhalt nach und
nach in die Lehr-, Schul- und Volksbücher übergegangen sein,
ohne für das Land selbst und für sich das allgemeine Interesse
gewonnen zu haben, wem nicht ein furchtbares Schicksal den
Namen „Bulgarien“ plötzlich tagtäglich durch alle Zeitungen
vor Aller Augen geführt hätte. Durch den Ausbruch des
serbisch-türkischen Kriegs wurde Bulgarien in die Mitte der
Kämpfer gestellt, und der angestachelte Fanatismus der Osmanen,
vor Allem die thierische Rohheit und Blutgier der Tscherkessen,
an welche wir einst als an die Freiheitskämpfer gegen Rußland
unsere Sympathie verschwendeten, ließen dem Wehschrei der hingeschlachteten
christlichen Bulgaren über die Welt erschallen. Wie
die Hülfe Europas für dieses wackre Volk aus den Händen der
Diplomatie hervorgeht, wird die Zeit lehren; der Wunsch, den
F. Kanitz aus der durch langjährigen Aufenthalt bei ihm gewonnenen
Würdigung desselben ausspricht, der Wunsch, daß diesem Volke sein
langersehntes, vollverdientes Recht, das heißt die Selbstverwaltung
der hartgeprüften bulgarischen Rajah endlich errungen werde,
wird, trotz aller Türkenliebe der Magyaren und Britten, auch
noch in Erfüllung gehen.
Vor der Hand hat durch jenen Krieg nur das Werk des F. Kanitz einen Sieg der Zeit gewonnen, es ist eine der zeitgemäßesten literarischen Erscheinungen der Gegenwart und schon deshalb unsrer besonderen Beachtung empfohlen.
F. Kanitz hat ein Hauptaugenmerk auf die Beschäftigung des Volkes gerichtet, sowohl auf dem Felde wie in den Werkstätten, und spricht die Ueberzeugung aus, daß Bulgarien einst als das Industrieland der Türkei aufblühen werde. Wir können diesen Gegenstand, welcher überdies erst in dem noch anstehenden dritten Bande des Werkes volle Erledigung finden wird, nicht weiter verfolgen, wählen aber zur Probemittheilung aus dem zweiten Bande die Schilderung eines Industriezweiges, der für die Frauenwelt einen besondern Reiz hat, die Rosencultur und die damit verbundene Bereitung des Rosenöls.
F. Kanitz überschreibt das Capitel, aus welchen wir das Folgende abdrucken: „Vom Rosenthal Kazanlik über dem Travna-Balkan nach Tirnovo“ und schildert Kazanlik, den Mittelpunkt dieser Industrie, als eine Stadt von 2500 bulgarischen, 1500 türkischen, 30 jüdischen und 50 Zigeunerhäuschen und etwa 21,000 Einwohnern. Auf dem Wege dahin beginnt seine Erzählung.
„Mit uns zogen kleine Karavanen in die Stadt. Jedes ihrer zahllosen Grauthiere trug an beiden Seiten des „Semers“ (Packsattel) riesige Körbe geschnallt, deren Inhalt die Atmosphäre mit lieblichem Dufte erfüllte. Muntere Dorfschönen mit blendend weißen Hemden und kleidsamen buntwollenen Vor- und Rückschürzen bildeten das Geleite des originellen, beinahe festlichen Zuges, denn alle waren mit Rosen geschmückt, auch die Stäbe waren mit der köstlichen Blume umwunden, welche die Mythe der Griechen, ja nahezu aller Völker verherrlicht und deren Wiege ausgezeichnete Orientkenner weit an den Gestaden des Indus vermuthen.
Der Cultus der „Königin der Blumen“ wurde niemals so
[90] schwungvoll als gegenwärtig in Holland betrieben. Ungeheuere Summen werden demselben in Holland geopfert; unzählige Arten, alle in Blatt und Farbe verschieden und specielle Namen führend, bilden den Stolz der holländischen Rosenzüchter, wandern von dort nach dem englischen Kreideland, bis an die Newa und nach den Gestaden des Bosporus, in die Gärten des Sultans und seiner Großen; denn selbst auf diesem Gebiete empfängt nunmehr der Orient mit Zinsen zurück, was er einst in bessern Tagen dem Occident geliehen. Am Tigris und Euphrat war die Rose bereits zu Herodot’s Zeit allgemein verbreitet, und die Babylonier huldigten ihr, indem sie mit metallenen oder in Holz sculpirten Abbildern der Lieblingsblume ihre Stäbe schmückten. Sie zählten wohl auch zu den Ersten, welche den köstlichsten Bestandteil der Zellen des Blütenblattes, das herrlich duftende Oel, durch einen den Griechen und Römern unbekannt gebliebenen Proceß schon frühzeitig zu extrahiren wußten. Das Rosenöl bildet noch heute den beliebtesten Parfümerie-Artikel im südlichen Asien. Zu Ghazimpur am Ganges wird es in großen Quantitäten erzeugt, aber es steht hoch im Preise, und der Unbemittelte muß sich mit dem billigeren Rosenwasser begnügen. Das indische Rosenöl beherrscht den orientalischen Markt, ja gelangt selbst nach Persien, dessen vielbesungene „Flur Schiras“ wohl Rosenwasser, aber nicht das kostbare ätherische Oel erzeugt. Auch die einst berühmte Rosenöl-Production Aegyptens ist im Sinken begriffen; Srinagars Fluren sind beinahe aufgegeben, auch jene von Medinet-Fajum sind vernachlässigt; sie decken kaum mehr den Bedarf im Lande des Khedive.
Was also in Indien, Persien und Aegypten an Rosenöl und Rosenwasser producirt wird, genügt nur für das Bedürfniß des Orients. Die großen, von europäischen und namentlich englischen Parfümeuren verbrauchten Quantitäten dieses kostbaren Stoffes werden aber nahezu ausschließlich in den pittoresken Gefilden an der thracischen Seite des Central-Balkans gewonnen. Dort, in einem ziemlich zusammenhängenden Complexe von mit Rosenculturen besäeten Districten, liegt ihr Mittel- und Hauptpunkt, Kazanlik, das noch seines Dichters wartet. Selbst Moltke, den „Schweiger“, versetzte der Anblick des „Kazanlik-Tekne“ in Enthusiasmus. Er nannte es das Kaschmir Europas, das türkische Güllistan, das Land der Rosen.
„Diese Blume wird hier nicht wie bei uns,“ schreibt Moltke, „in Töpfen und Gärten, sondern auf Feldern und in Furchen wie die Kartoffel gebaut. Nun läßt sich wirklich nichts Anmuthigeres denken, als solch ein Rosenacker; wenn ein Decorationsmaler dergleichen malen wollte, so wurde man ihn der Uebertreibung anklagen. Millionen, ja viele Millionen von Centifolien sind über den lichtgrünen Teppich der Rosenfelder ausgestreut, und doch ist vielleicht jetzt erst der vierte Theil der Knospen aufgebrochen. Nach dem Koran entstanden die Rosen erst während der nächtlichen Himmelfahrt des Propheten, und zwar die weißen aus seinen Schweißtropfen, die gelben aus denen seines Thieres, die rothen aus denen des Gabriel, und man kommt in Kazanlik aus die Vermuthung, daß wenigstens für den Erzengel jene Fahrt sehr angreifend gewesen sein muß.“
Wie wunderprächtig das Thal von Kazanlik ist, dafür spricht schon, daß von den hundertdreiundzwanzig thracischen Orten welche die Rosenölproduction als Hausindustrie treiben, zweiundvierzig ihm angehören und daß von eintausendsechshundertfünfzig Kilogramm, die durchschnittlich jährlich im „europäischen Güllistan“ gewonnen werden, achthundertfünfzig etwa, also mehr als die Hälfte auf dieses entfallen. Die Ziffern steigen und fallen natürlich je nach der buchstäblich von „Wind und Wetter“ abhängigen Rosenernte. Die thracische Rosenölproduction beträgt beispielsweise in dem allerdings außerordentlich günstigen Jahre 1866 nahe an dreitausend Kilogramm und sank im Jahre 1872 durch Frost und Hagel auf achthundert Kilogramm. Welch riesiges Terrain aber die Rosencultur beansprucht, geht daraus hervor, daß durchschnittlich dreitausendzweihundert Kilogramm Rosen erst ein Kilogramm Oel geben.
Die thracische Rose (Rosa damascena, sempervirens und moschata) mit ungefüllten, leichtrothen Blüthen gedeiht am besten auf sandigen, der Sonne ausgesetzten Hängen. Die Pflanzung erfolgt im Frühlinge und Herbste, die Ernte im Mai bis Anfang Juni. Der bäuerliche Rosenzüchter ist auch größtenteils Oelproducent, es giebt jedoch bereits solche, welche ihre Ernte in natura an die größeren Destillationen der Stadt, unter welchen die Firma „Brüder Papasoglu“ die berühmteste, abliefern. Sie erhalten je nach dem Ausfalle der Qualität pro Okka (gleich zweiundeinviertel Wiener Pfund) dreißig bis sechszig Para (gleich siebenundeinhalb bis fünfzehn Neukreuzer).
Die an den Abhängen des Balkans wachsende Rose ist um fünfzig Procent ölhaltiger als jene in der Ebene, sie giebt auch das stärkere Oel, ist theurer und mehr gesucht.
Die Rosenölproduction ist zweifach besteuert. Im Mai wird die Rosenernte von Regierungsorganen abgeschätzt und mit den andern Naturalsteuern von deren Pächtern zum Durchschnittsverkaufspreise des Jahres im Betrage von zwölfundeinhalb Procent der anzuhoffenden Ernte in Geld eingehoben. Das Oel selbst ist mit einer besondern zweiten Steuer belastet, und diese war vor zehn Jahren so übermäßig hoch, daß der gesammte blühende Industriezweig ernstlich bedroht erschien und die Bauern an Stelle der Rosen Mais etc. pflanzten. Zu jener Zeit nahmen die türkischen Zollämter noch überdies fünfzig Bara (gleich zwölf und einhalb Neukreuzer) pro Muskal Ausfuhrware. Gegenwärtig erhebt die Regierung außer dem Zehent, an Djumruk nur fünf Para pro Muskal (einundeinviertel Neukreuzer pro Medical) Ausfuhrzoll. Der Preis von huntdertdreiundzwanzig Muskal (gleich ein Wiener Pfund) Rosenöl bester Qualität betrug an Ort und Stelle in den letzten Jahren durchschnittlich hundertfünfundachtzig bis zweihundert Gulden österreichische Währung. Die Versendung des Rosenöls erfolgt in runden, hermetisch verlötheten Blechflaschen à fünfhundert Muskal, welche in dichtes, trefflich schützendes „Kecetuch“ (bulg. plos) eingenäht werden.
Das nach Europa in den Handel gelangende Rosenöl wird durch Mengung der Oele aus den Blüthen der Ebene und jenen der Berglagen auf zwölf bis dreizehn Grad Reaumur hergerichtet. Nur durch langjährige Erfahrungen läßt sich echtes von gefälschtem Rosenöle unterscheiden. Kenner unterscheiden es nicht allein am Geruche, sondern auch am Aussehen der Masse. Nach der Meinung der Eingebornen wird zur Fälschung Geraniumöl verwendet, nach wissenschaftlichen Untersuchungen ausgezeichneter englischer Chemiker ist es aber ausschließlich das aus Andropogon- und Cymbopogongräsern erzeugte „Idrisöl“, welches dem Rosenöle beigemengt wird. Die Moralität des Verkäufers gewährt die einzige Garantie für die Reinheit des kostbaren Rosenöls, und neben der bereits genannten Firma, welche sich neuestens mit Manoglu u. Sohn vereinigte und eine Filiale in Leipzig führt, können wir hier noch weiter als renommirte Häuser Ihmsen u. Comp., dann Holstein u. Comp. zu Constantinopel nennen.“
Ueber die außerordentliche Einfachheit der Bereitung des Rosenöls theilt F. Kanitz ein Bild mit, welches uns zwar nicht viel Aufschluß über seinen Gegenstand giebt, aber um so beachtenswerther für das friedliche Verhältniß ist, in welchem vor dem Kriege die Menschen verschiedenen Glaubens miteinander zu leben vermochten. Kanitz hatte die Nordseite des Balkans erreicht und von Travna aus mit einem bulgarischen Freunde einen Ausflug gemacht. „Mit kleinem Umwege,“ erzählt er, „führte mich mein Begleiter nach einer anmuthigen Lehne, an deren schattigem Hange ich zu meinem nicht geringen Erstaunen einen Geistlichen in bester Harmonie mit einem alten Türken bei der Destillation von Rosenöl beschäftigt fand. Es war eine Scene, wie sie nicht leicht freundlicher gedacht werden kann. Eben hatte des Popen Töchterlein prächtig duftendes Rosenmaterial in Körben für den bereits geheizten Kessel herbeigebracht, dessen Rohr durch einen Kühlbottich lief. Ein munter plätschernder Quell füllte ihn fortwährend mit frischem Wasser; daneben standen Flaschen, in welche der Türke die abgeschöpfte fette, wohlriechende Essenz durch einen Trichter mit kaum sichtbarer Oeffnung träufeln ließ. Ich konnte es mir nicht versagen, den primitiven, genau so wie in Kazanlik betriebenen, hier aber in malerischester Weise sich darstellenden Proceß mit einigen Strichen zu skizziren. Während dieser Arbeit erfuhr ich, daß Travna der einzige Ort am Nordhange des Balkans sei, welcher Rosenöl erzeugt, und daß Pope Stefan die Destillation für dessen drei Rosenpflanzer besorge, welche zusammen 1 1/4 bis 1 1/2 Kilogramm Oel in den Handel bringen. Der freundliche Pope verehrte mir ein Fläschchen „za spomenj“ (zur Erinnerung) und wir zogen weiter.“
Die Bereitung des Rosenöls ist bekannt. Vierzig Pfund frischer Rosen werden mit sechszig Pfund Wasser in eine Blase gebracht. Die Masse wird mit den [91] Händen gut gemischt und unter der Blase ein gelindes Feuer entfacht. Wenn das Wasser heiß zu werden anfängt und Dämpfe aufzusteigen beginnen, setzt man den Helm auf die Blase und verkittet die Fugen gut. Ebenso giebt man kaltes Wasser in das Kühlfaß. Die Vorlage wird angelegt und das Feuer weder zu heftig, noch zu schwach unterhalten. Wenn das geschwängerte Wasser überzugehen beginnt und die Blase sehr heiß ist, vermindert man nach und nach das Feuer und setzt die Destillation fort, bis dreißig Pfund Wasser überdestilirt sind, was gewöhnlich in vier bis fünf Stunden geschieht. Das so gewonnene Rosenwasser wird auf’s Neue auf vierzig Pfand Rosen gegossen wovon man vermittelst Destillation, wie angegeben, fünfzehn bin zwanzig Pfund abzieht. Dieses so gewonnene, destillirte Rosenwasser besitzt, wenn die Rosen frisch und gut waren und die Destillation sorgfältig geleitet wurde, einen sehr starken Geruch. Es wird dann in irdene oder verzinnte Gesäße gegossen und der kühlen Nachtluft ausgesetzt. Das Atar oder Rosenöl scheidet sich hierbei aus der Oberfläche in kleinen, weichen Stückchen oder Tröpfchen ab, welche mit dem Blatte einer Schwertlilie sorgfältig abgenommen werden. Zur Gewinnung von ein Loth Rosenöl sind durchschnittlich achttausend Rosen notwendig.
- ↑ „Donau-Bulgarien und der Balkan. Historisch-geographisch-ethnographische Reisestudien aus den Jahren 1860 bis 1876“ Mit vielen Illustrationen im Text und Holzschnitttafeln. Leipzig,. Verlagsbuchhandlung von Hermann Fries.