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Die Sage vom Rabensteine in Budissin

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Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Die Sage vom Rabensteine in Budissin
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 154–156
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[154]
764) Die Sage vom Rabensteine in Budissin.
Oberl. Scholze bei K. Klar, die helle Sagenzelle. Löbau o. J. in 18. S. 3. sq.

Noch vor wenig Jahren sah man vor dem Hauptthore der Stadt Budissin am Abhange des Rabenberges ein verfallenes Gemäuer, welches in der Form eines Halbkreises Dornen und Disteln barg. Eine schmale, zum Theil verschüttete Treppe führte vom Fuße des Abhanges in das Innere des Halbzirkels und in der Mitte des Gemäuers gewahrte man ein vermauertes Pförtchen, das unstreitig als Thür zu dem größtentheils mit Erde und Steinen angefüllten Gewölbe geführt hatte. Das hieß der Rabenstein. An seine Trümmer, die man jetzt nicht mehr sieht, knüpft sich eine Sage, und noch heute wird der Ort nicht für geheuer gehalten, denn in [155] der Dämmerung soll sich daselbst zuweilen eine weiße Gestalt blicken lassen. Jene Sage aber lautet also:

Einst soll ein Bürgermeister von Budissin eine wunderschöne Tochter gehabt haben, um deren Hand die reichsten und schönsten Jünglinge der Stadt und Umgegend vergebens warben. Vorzüglich bemühte sich ein reicher Kaufmannssohn, der aber freilich von Seiten seines Charakters nicht das beste Lob hatte, ihre Liebe zu gewinnen. Da er ein schöner Mann war und seine Verhältnisse glänzend, so hätte es ihm vielleicht geglückt, der Jungfrau Herz zu erobern, allein da begab es sich, daß dieselbe eines Morgens den Rabenberg erstieg, um sich an der herrlichen Aussicht von diesem Punkte aus zu erfreuen und hier einem fremden Ritter begegnete, der sie um den nächsten Weg nach der Stadt fragte. Noch nie hatte der Anblick eines Mannes einen so tiefen Eindruck auf ihr reines Gemüth gemacht als in diesem Augenblicke, und als nun an demselben Tage ihr Vater ihr denselben Jüngling als einen an den Rath der Stadt gesendeten kaiserlichen Gesandten vorstellte, widersprach sie ihm nicht, als derselbe von gleicher Neigung entzündet, ihr sein Herz und seine Hand anbot. Nicht lange dauerte es, so ward die Hochzeit der beiden Liebenden gefeiert, nur ein Mensch schwur ihnen Rache, und dies war der zurückgewiesene Freier. Derselbe verheirathete sich bald darauf selbst und schien allen Gedanken an seine frühere Geliebte entsagt zu haben. Da begab es sich einst, daß der Gemahl der schönen Bürgermeisterstochter zum Kaiser entboten ward und sie mit ihrem Knäblein, das sie demselben kurz zuvor geboren, allein zu Hause war, da sie ihre Dienerin zu einer Vergnügung entlassen hatte. Diese Gelegenheit benutzte jener tückische Bösewicht, schlich sich in’s Haus, und während Mutter und Kind im süßen Schlafe lagen, ermordete er gefühllos das unschuldige Wesen. Als nun aber das unglückliche Weib erwachte und ihr Kind im Blute sah, da vergingen ihr die Sinne, und als sie wieder zu sich kam, fand sie sich im Kerker wieder. Sie hatte in der Fieberhitze sich als Mörderin ihres Säuglings angeklagt, [156] und unbarmherzige Richter verurtheilten sie schonungslos zum Tode, denn da ihre Eltern gestorben und ihr Gatte weit entfernt war, hatte sie Niemanden, der sich ihrer angenommen hätte. Als die Unglückliche den ungerechten Spruch vernahm, rief sie: „ich bin unschuldig, ein Wunder wird die Wahrheit meiner Worte bestätigen.“ Doch nichts half ihr ihr Betheuern, sie ward auf den Rabenstein geschleift, und in demselben Augenblicke, wo ihr Gatte in die Mauern Budissins einritt, voll Freude, sein Weib und Kind wieder umarmen zu können, zerbrach der Nachrichter ihre Glieder auf dem Richtplatze. Siehe da spaltete sich auf einmal das Gemäuer des Hochgerichts in drei Theile, und als ihr unglücklicher Gatte sie noch einmal in schrecklich verstümmelter Gestalt gesehen hatte, stürzte er sich verzweifelnd in sein Schwert. Ihren Verderber aber ließ es keine Ruhe, er klagte sich selbst an und konnte den Augenblick, wo sein schuldbeladenes Haupt sein doppeltes Verbrechen sühnen sollte, kaum erwarten. Das finstere Gewölbe des Rabensteins umschloß auch seinen Leichnam, doch seine Seele hatte keine Ruhe. Sobald die Dämmerung ihre finstern Schatten ausbreitete, sahe man fortan eine weiße Gestalt über den Rabenstein wandeln, bittend die Hände gen Himmel erheben und dann plötzlich wieder verschwinden.