Die Schauessen
[548] Die Schauessen. Bei festlichen Mahlen vergangener Jahrhunderte sollte nicht allein der Gaumen Befriedigung finden, sondern auch die Augen sollten ihre Weide haben, sollten sich satt sehen an dem Tafelschmuck, der oft mit großer Ueppigkeit und bedeutenden Kosten hergestellt wurde. Schon der Name „Schauessen“, „Schaugerichte“, auch „Gesichtsessen“ verkündete, daß sie bestimmt waren, nicht bloß mit dem Munde, sondern auch mit den Augen genossen zu werden. Von Zucker, Tragant, Harz, Wachs, Kreide und anderen Stoffen aufgebaut, waren diese Schaustücke häufig sehr umfangreicher und kunstvoller Art. Religiöse Darstellungen wechselten mit sinnbildlichen und solchen aus der Göttersage. Städte und Festungen, Burgen und Schlösser, Gärten mit Seen, Wälder mit Jagden, Götter, Thiere aller Art, Riesenpasteten, die lebende Vögel und Zwerge bargen, waren vor den Tafelnden aufgestellt. Uns seltsam erscheinende Schauessen zierten die Tafel des Leichenmahles, das zu München im Jahre 1508 nach der Beisetzung des Herzogs Albrecht IV. abgehalten wurde. Religion und Schmauserei waren bei demselben in eigenthümlicher Weise verquickt, sofern unter drei Essen immer ein Schauessen war, das aus einer religiösen Darstellung bestand. Sieben Schauessen zeigten die sieben Alter der Welt: das erste das Paradies mit Adam und Eva und der Schlange; das zweite die Arche Noah; das dritte Abrahams Opfer; das vierte den Kampf Davids mit dem Riesen Goliath; das fünfte den Thurm zu Babel; das sechste die Geburt Christi; endlich das siebente und letzte das jüngste Gericht. Ein achtes Schauessen stellte – in recht sinniger Weise! – das Grab des Herzogs Albrecht mit allen Panieren des Landes und der Herrschaft dar, wie dasselbe in der Kirche Unser Lieben Frauen stand. Wie schön lautete so eine Speisekarte: 14. Pastete mit eingemachten Vögeln; 15. Rehschlegel; 16. die Geburt Christi; 17. Pastete mit Birnen; 18. eingemachte Vögel; 19. das jüngste Gericht etc. Um die religiösen Darstellungen noch anziehender zu machen, war stets ein Gebäck, meist von Zucker und Mandeln, beigegeben. Aus dem Werke „Hohenzollerische Hochzeit“ (Augsburg, 1590), in welchem Jakob Frischlin, Rektor zu Reutlingeu, die Hochzeit des Herrn von Hohenzollern mit Franziska, des Wildgrafen zu Dhaum und Kürburg Tochter, besingt, erfährt man den tieferen Sinn der Schauessen:
„Dann darumb werden die Schauessen
Aufgsetzt, daß man soll nicht vergessen
Die alten Gschicht, und was darbei
Zu lernen und zu bhalten sei.“
Die Kosten der gesammten Schauessen dieses Festes wurden auf 500 Gulden geschätzt; besonders merkwürdig war das erste, welches in einer getreuen Nachbildung des Hechinger Stammschlosses des Bräutigams bestand, „an dem man alle Gemach sehen konnte“. Das zweite stellte den Namenspatron des Bräutigams, den Ritter Sankt Georg zu Pferd als Drachentöter dar,
„Damit er auch auf dieser Erd,
Gereizt zu solcher Kühnheit werd.“
Der große „Christoffel“, das Christuskind durchs Meer tragend, war das dritte Schauessen, und es bedeutete, daß man in rechtem Glauben wandeln solle. Der Dichter konnte nicht alle die Schauessen, die noch folgten, einzeln aufzählen:
„Vil schöner Baum, Geständ und Hecken,
Darunter wilde Thierlein stecken.
Und Vögel saßen oben drauf,
Des Dings war ein sehr großer Hauf,
Die alle brachten großes Wunder
Und zu beschreiben nicht jetzunder.“
Hoffen wir, daß sie schöner und besser als diese Verse waren! H. B.