Zum Licht
[547] Zum Licht! Einen neuen deutschen Lyriker der Welt anzukündigen, ist eigentlich ein recht undankbares Unterfangen. Von wie wenigen, die in den legten Jahrzehnten aufgetaucht sind, hat die große Leserwelt ernstlich Kenntniß genommen! Wie schwer wird es einem solchen gar, die österreichische Grenze zu überschreiten und sich im „Reiche" Hörer zu verschaffen, wenn er auch das Glück gehabt hat, als Oesterreicher einen reichsdeutschen Verleger zu gewinnen! Und was kann vollends einer Gutes erhoffen, der nicht Süßholz für empfindsame Backfische raspelt, sondern meist in ernsten, männlichen Tönen siegt und sich mit seinem Dichten in die Räthsel des Welt- und Menschenlebens versenkt! Und doch will ich es wagen, den Dichter der kleinen Sammlung „Zum Licht!“, Hermann Hango, einen Wiener, vorzustellen, den übrigens die Leser der „Gartenlaube“ schon mehrfach als liebevollen Chronisten seiner Vaterstadt kennenzulernen Gelegenheit gehabt haben. Schon der Titel seiner Gedichtsammlung (Stuttgart, A. Bonz) „Zum Licht!“ ist ein deutlicher Fingerzeig, daß wir hier nicht jene Lieder allerneuesten Gepräges vor uns haben, die uns die Sonne vom Himmel wegreimen und nur den Widerschein von Erdenelend und Schmutz bieten. Auch H. Hango sieht die Naturseite des Lebens. sieht das ewige Vergehen und die nie schwindenden Schatten, aber statt sich dadurch die Lebensfreude verkümmern zu lassen, grüßt er in der Blüthe, im Schmetterling, in der Wolke, im Irrlicht, in allem, was da wird und webt, freudig die wiederbelebten Toten, welche die Welt unter Steinen, Denkmälern und Kreuzen begraben wähnt. Das formfreudige österreichische Wesen des Dichters giebt sich in Weisen kund, die geradeswegs zum Singen herausfordern, wie der „Herbst“, „Im Freien“, „Weltfern“, oder „Also schläft die Frühlingsnacht“:
„Silbermond und Sternefunkeln,
Schweigen über Trift und Wald,
Hier und dort ein Licht im Dunkeln
Wird erlöschen balde, bald“ . . .
Möchte man ihn hier als Nachfahren N. Lenaus grüßen, so weht uns etwas wie Goethescher Geist an in den machtvollen Hymnen, „Auferstehung“, „An die Wolken“, „An Mutter Erde“. Antike Versmaße meistert er mit demselben feinen und strengen Formgefühle wie den deutschen Reim, in welchem er niemals gewöhnlich wird. Und in packendem Flusse rauschen seine Balladen dahin, wie „Kleopatra“, „Klytia“, „Der Tod des Priamos“ und andere. Der Zug zum Großen, wie er nicht [548] vielen neuen deutschen Dichtern eigen ist, kennzeichnet eine Reihe Hangoscher Gedichte, so besonders den „Judas“.
Gedankentiefere und zugleich flüssigere Gedichte als Hangos „Von Nacht zu Nacht“, „An die Einsamkeit“, „Urzeitgräber“, „An eine Rieseneiche“, „Sintfluth“ finden sich bei wenig Neueren. Und so möge denn der Wiener Hango diejenigen trösten, welche seit Hamerlings Tod über den Hingang aller Poesie in Oesterreich klagen wollen. L.