Die Schlacht von Unter-Sendling
Die Schlacht von Unter-Sendling.
Eine Weihnachtsgeschichte ist es, von der wir in Nachfolgendem unsern Lesern berichten. Aber sie gehört nicht zu den üblichen Erzählungen von dem Glanz und Duft der strahlenden, wunderherrlichen Christnacht, welche die frohe Feststimmung läutern und erhöhen; denn nicht vom „Frieden auf Erden“ vernehmen wir in ihr, sondern nur von dem Elende des Krieges, und nicht von dem verheißenen Glücke der Menschheit weiß sie zu berichten, sondern nur von dem Jammer eines durch fürstlichen Uebermuth schwergeprüften Volkes. Ihre Haupthandlung fand einen blutigen Abschluß auf den Gefilden Unter-Sendlings, und eine rachgierige Henkerarbeit in den Straßen Münchens bildete ihr grausiges Nachspiel: Mit Recht hat man diesen Christtag von 1705 „Eine Mordweihnacht“ genannt.
Das vorige Jahrhundert war gerade angebrochen, als unter den Herrschern Europas ein Streit über die spanische Thronfolge entstand. Das deutsche Reich hatte zwar kein besonderes Interesse an dem Ausgange dieser Zwistigkeiten, ein Theil desselben wurde aber durch die kurzsichtige Politik einiger Fürsten in die verderblichen Kriegswirren verwickelt. Max Emanuel, der damalige Kurfürst von Baiern, schlug sich auf die Seite der Franzosen, und sein Heer stand nun den kaiserlich österreichischen Truppen feindlich gegenüber.
Nach der Entscheidungsschlacht bei Höchstädt am 13. August 1704 wurde Baiern von dem siegreichen kaiserlichen Heere als ein mit Waffen erobertes Land mit unerhörter Grausamkeit behandelt.
Der Friede zu Ilbesheim ließ nur das Rentamt München der Gemahlin des nach Flandern verjagten Kurfürsten, während alle anderen Städte des unglücklichen Landes gezwungen wurden, kaiserliche Truppen als Besatzung aufzunehmen. So kam es, daß bald in jedem Hause und in jeder Hütte Soldaten lagen, welche das Hab und Gut des Bauern und Bürgers verpraßten, und daß die vom Kaiser eingesetzten Minister das Volk außerdem mit Steuern und Lasten bedrückten, welche jeder Menschlichkeit spotteten.
Um nun dieses unerträgliche Joch der Eroberer abzuwerfen, hatten sich, während auch die Kurfürstin aus dem schwergeprüften Lande nach Venedig entfloh, entschlossene baierische Männer zu einem geheimen Bunde zusammengethan, welcher den Plan verfolgte, an einem gewissen Tage, dem Himmelfahrtstage, die ganze österreichische Besatzung niederzumachen, sich der Städte und Festungen zu bemächtigen und an einem der Donaupässe die Ankunft eines französischen Hülfsheeres abzuwarten. Durch die Verhaftung eines der Mitverschworenen wurde jedoch dieser Plan von den Oesterreichern entdeckt, welche nunmehr in München einrückten und in den baierischen Landen um so ärger wütheten.
Das Maß der Grausamkeit wurde schließlich durch einen kaiserlichen Befehl erschöpft, in Baiern zwölftausend Mann auszuheben, um sie in Italien oder Ungarn für den Krieg zu verwenden. Da inzwischen der Adel und die Geistlichkeit sich allgemein dem Kaiser angeschlossen, der Kurfürst fern von dem Lande weilte und keine Hülfe bringen konnte, so sah sich das unmenschlich geknechtete Volk auf sich selbst angewiesen, und es faßte auch alsbald den Beschluß, sich gegen seine Bedrücker mit den Waffen in der Hand zu erheben.
Unter dem Rufe: „Lieber baierisch sterben, als in des Kaisers Unfug verderben!“ rotteten sich Bürger und Bauern zum hellen Widerstande zusammen.
Nachdem bei Neunburg vor’m Wald und bei Retz in der Oberpfalz 500 bewaffnete Bauern den Oesterreichern einen Rekruten-Transport entrissen hatten, tauchten überall im Lande aufständische Haufen auf, und in wenigen Wochen war das Heer der baierischen „Landesvertheidiger“ auf 30,000 Mann angewachsen. Es begann ein blutiger Guerillakrieg, in welchem Tausende von Bauern im offenen Kampfe fielen und zahlreiche Gefangene von den Oesterreichern an den nächsten Bäumen aufgeknüpft wurden. Hier und dort entschied jedoch das Schlachtenglück zu Gunsten der Aufständischen; sie erstürmten Burghausen, Braunau und Schärting. Die Erhebung griff weiter um sich, und vom Inn und der Isar pflanzte sie sich an die Donau fort.
Es war aber ein ungleicher Kampf, den die baierische „Landesdefension“ in der äußersten Noth unternommen hatte. Sie verfügte nur über regellose, schlecht bewaffnete und schlecht geführte Haufen, während der Feind in den Winterquartieren kriegsgeübte Truppen besaß. Es war also leicht vorauszusehen, daß der Heldenmuth der aufständischen Bauern bald unter dem regelrechten Feuer der kaiserlichen Musketiere verbluten werde.
Trotz alledem beschlossen die Bauern im Isarwinkel, als die Erhebung auch in Oberbaiern durchgedrungen war, einen verwegenen Streich auszuführen: die Stadt München zu überrumpeln, sie den Oesterreichern zu entreißen und die dort unter kaiserlicher Obhut befindlichen kurfürstlichen Prinzen zu befreien.
Heimliche, nächtliche Zusammenkünfte erfolgten zu diesem Zwecke bereits zu Anfang December 1705 in den verschiedenen Gebirgsdörfern, und man setzte sich durch vertraute Leute mit den Münchener Bürgern in Verbindung. Es wurde verabredet, daß die niederbaierischen und die oberbaierischen Bauern in der Christnacht gleichzeitig vor der Stadt erscheinen und die Bürger selbst auf ein gegebenes Zeichen die kaiserliche Besatzung überfallen und entwaffnen sollten.
Inzwischen aber wurde durch den Pflegemeister von Starnberg, Johann Joseph Oettlinger, der Feldzugsplan an den Feind verrathen, der seinerseits sofort gegen das starke Heer der niederbaierischen Landesdefension einige Regimenter schickte, um dessen [865] Erscheinen vor München zu verhindern, und außerdem andere Truppen nach München berief.
Unter diesen Umständen riethen die besonneneren Führer, als sich thatsächlich am 24. December gegen 2800 Oberbaiern in Schäftlarn zum Zuge gegen München versammelt hatten, von dem ganzen Vorhaben ab, da man keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. Der vernünftige Rath schien auch dem undisciplinirten Haufen schon im Vorrücken einzuleuchten und man beschloß im Allgemeinen nach Schäftlarn zurückzumarschiren. Da schickten die Tölzer Schützen, welche sich schon beim Aufmarsch des Zuges auf der Schäftlarner Brücke postirt hatten und Jeden, der zurückginge, zu erschießen drohten, Abgeordnete an die Commandanten des Zuges Mayr und Huy mit der Erklärung, sie würden sie in Stücke zerhauen, wenn sie auf den Rückzug beständen; denn die Schützen „seyen capabl ohnne der Minchener oder der Vuderlandtsdefensoren Hilf die Keyserliche nit allein aus Minchen: sondern auch aus dem ganzen Landt zejagen“. Als aber die Commandanten trotz dieser Drohung für schleunigen Rückzug stimmten, setzten die Schützen den Hauptmann Mayr ab mit der Bemerkung, „er solle sich nicht mehr blicken lassen, wenn er nicht erschossen werden wolle“. So rückten sie denn vorwärts unter Führung des Pflegers von Vallai, Maximilian Alram.
[866] Inzwischen ließen die Oesterreicher in der Stadt an den Plätzen, an welchen der Aufstand losbrechen sollte, Kanonen auffahren und verboten den Bürgern bei Todesstrafe, nur einen Schritt auf die Gasse zu thun.
Nach Mitternacht am 25. December erschien die oberbaierische Landesdefension vor München, und da sie auf das mit den Bürgern verabredete Zeichen und das Eintreffen der niederbaierischen Bauern vergebens wartete, griff sie bald auf eigene Faust den „rothen Thurm“ an der Isarbrücke an, den sie auch nach kurzer Gegenwehr eroberte. Von hier aus beschossen die Belagerer die Stadt bis acht Uhr Morgens, das heißt bis zu dem Augenblicke, an welchem der zum Entsatz Münchens commandirte General Kriechbaum mit seinem Corps von Anzing her auf dem Kampfplatze erschienen war. Während dieser die Belagerer im Rücken angriff, machten die Oesterreicher einen Ausfall aus der Stadt, und die von allen Seiten vom Feinde umringten Oberländer mußten trotz der heldenmüthigsten Gegenwehr der Uebermacht weichen, bis sie, gegen Sendling zurückgedrängt, die Waffen streckten. Es ward ihnen Begnadigung zugesagt, aber die kaiserlichen Soldaten drangen nun gegen die Wehrlosen ein, und „so wurde der Geburtstag des Herrn nicht so fast durch ein Kriegsgefecht, als vielmehr durch Hinmordung der unglücklichsten Menschen entehrt und gebrandmarkt“.
Nachmittags am ersten Feiertag wurden fünfhundert Schwerverwundete in die Stadt geschleppt und zum Schrecken der Bevölkerung „lang auf denen Gassen liegent gelassen worden, bis man sie hin und wieder in die Spitäler vertheilt hat“. Aber die Wuth der Soldateska begnügte sich nicht mit dieser scheußlichen Grausamkeit; später wurden die Verwundeten aus den Spitälern hervorgeholt und auf dem Blutgerüste zu München hingerichtet.
Das ist in gedrängter Darstellung die Geschichte der oberbaierischen Landeserhebung im Jahre 1705, wie sie August Schäffler in seiner auf Quellenstudien beruhenden Abhandlung in meisterhafter Weise darstellt. (Vergl. auch „Gartenlaube“ 1869, S. 769.)
Aber in dieses blutige Weihnachtsfest hat das oberbaierische Volk noch eine sagenhafte Heldengestalt hineingewoben, von der die Geschichte nichts zu berichten weiß, die aber von Dichtern besungen und von Malern in Bildern verherrlicht wurde. An der Außenwand der Sendlinger Kirche befindet sich ein schönes Schlachtgemälde von Lindenschmitt, eine Erinnerung an das Sendlinger Blutbad. In dem Mittelpunkt desselben ragt eine Hünengestalt hervor, die mit gewaltiger Stachelkeule Leichname der Feinde um sich her thürmt. Sie stellt den Helden der Sage dar, den Schmied von Kochel, Balthes Mayr genannt. Er ist keineswegs identisch mit dem von den Tölzer Schützen abgesetzten Commandanten „Hauptmann Mayr“, der später in München von den Oesterreichern hingerichtet wurde.
„Dieser Balthasar Mayr ist vielmehr der Ueberlieferung zufolge in Waarkirchen auf dem sogenannten ‚Chrisamgütel‘ von armen, aber redlichen Bauersleuten geboren. Er erlernte in seiner Jugend das Schmiedehandwerk, trat aber in der Folge als Flügelmann der baierischen Leib- und Grenadier-Abtheilung in die kurbaierische Armee. In den Türkenkriegen, die er unter Max Emanuel mitmachte, zeichnete er sich durch seine Tapferkeit, Stärke und Größe aus und erwarb sich den Beinamen des baierischen Riesengrenadiers. Acht Schuh drei Zoll soll er groß gewesen sein. Vor Wien schlug er mit dem geschwungenen Gewehrkolben ganz allein mehr denn zwei Dutzend Ungläubige zu Boden; in der Schlacht bei Siclos sprang ihm seine ‚Wehr‘; er riß die Deichsel eines Wagens ab und zerschellte damit einen ganzen Schwarm berittener Türken. Als Max Emanuel die hohe Belgradmauer stürmte, war es Baierns Riesengrenadier, der sich mit seinem Rücken an das Hauptthor stemmte, dasselbe sprengte, als der Erste hineinstürzte und zu Boden schlug, was ihm Widerstand bot. Nach Beendigung der Türkenkriege, in denen er auch ehrenvolle Wunden erhalten hatte, zog er sich nach Kochel zurück und lebte dort, bis ihn die Erhebung der Bauern nochmals unter die Waffen rief, als Schmied. Auch in dieser Function gab er wiederholte Proben seiner Kraft. Das stärkste Hufeisen z. B. brach er mit einem Riß entzwei; das unbändigste Pferd warf er zu Boden und beschlug es. Wegen dieser seiner Stärke wurde er zum Anführer in der Christnacht-Expedition gewählt. Die von der Gräfin Arco gestickte Löwenfahne in der einen, die mehr als einen Centner schwere Stachelkeule in der andern Hand, stürmte er Allen voran. Wie vor Belgrad, so sprengte der Schmiedbalthes auch am ‚rothen Thurm‘ vor München die festgeschlossene Pforte, schlug mit seiner Keule achtzehn Mann zu Boden, und als die Landesvertheidiger nach Sendling zurückgedrängt wurden, war der Schmiedbalthes der letzte Kämpfer über hochgethürmten Leichenhaufen. Ihm zur Seite waren sein Vetter Reifenstuhl aus Gmund und seine beiden Söhne, Lorenz und Paul, gefallen; er hatte schon viele Verwundungen empfangen, und dennoch stand er noch und kämpfte wie ein Löwe. Da durchbohrte eine Lanze seine Brust; er sank und starb. Seine Hand umfaßte im Tode noch das Löwenbanner.“[1]
Nach einer andern Variante dieser Sage war Balthes Mayr der Urheber der oberbaierischen Landeserhebung, indem er in dem Dorfe Kochel am Kochelsee seine Landsleute in feuriger Rede zu dem Zuge nach München bewog. Diese Scene stellt auch das dieser Skizze beigegebene lebensvolle Bild Th. Sporer's dar; die Bedeutung der einzelnen Personen auf demselben wird der Leser nach dem Obengesagten sich leicht erklären.
Es ist hier nicht der Ort, auf die widerstreitenden Meinungen über die eigenartige Erfindung dieser Sage näher einzugehen; sie ist aber interessant und erwähnenswert als eine der jüngsten in der langen Kette deutscher Heldengeschichten, als eine volksthümliche dichterische Schöpfung des so oft wegen seiner Poesielosigkeit gescholtenen neunzehnten Jahrhunderts.
- ↑ Vergl. „Die oberbayerische Landeserhebung im Jahre 1705“ von August Schäffler. Sybel's „Historische Zeitschrift“, Jahrg. 1861