Die Seebacher Bauern

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Autor: Max Wirth
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Titel: Die Seebacher Bauern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 704–706
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Seebacher Bauern.
Von Max Wirth.


Der Besuch des Kaisers Wilhelm in der Landgemeinde Ober-Seebach im Unter-Elsaß und der sympathische Empfang, welcher ihm da bereitet wurde, hat eine gewisse historische Bedeutung, weil dies die erste elsässische Gemeinde ist, welche auch mit ihrer Gesinnung zu Kaiser und Reich zurückkehrt. Dieser Umstand mag es rechtfertigen, wenn ich eines persönlichen Zusammentreffens mit Seebacher Bauern bei Gelegenheit eines Volksfestes im Jahre 1848 gedenke, welches gewissermaßen wie ein Juwel in meiner Erinnerung aufbewahrt war und namentlich seit der Wiedergewinnung der Reichslande nicht selten darin auftauchte. Die Scene spielte in Weißenburg, und um sogleich zu erklären, welches Band mich nach dieser Stadt zog, will ich bemerken, daß ich drei meiner lateinischen Schuljahre dort zugebracht, und zwar zufällig in einer Classe mit dem Dichter Oskar Redwitz, dessen Vater als Zolldirector an der benachbarten bairischen Grenze wohnte. Während nämlich damals mein Vater seine Bestrebungen für die politische Nationalreform Deutschlands, welche jetzt zum glorreichen Ende geführt ist, mit vierjähriger Gefängnißhaft, worunter zwei Jahre mit Sträflingsarbeit, büßen mußte, sah sich meine Mutter auf seinen Wunsch veranlaßt, sich mit mir und meinen beiden Geschwistern einer zeitweisen freiwilligen Verbannung zu unterziehen, weil meinem Vater die vertrauliche Mittheilung geworden war, daß meine Mutter verhaftet und nebst ihren Kindern in einer Stadt Altbaierns polizeilich internirt werden würde, wie sie denn auch richtig unter den Proscribirten des schwarzen Buches der Mainzer Bundestags-Commission aufgeführt ist. Der eigenthümliche Zusammenhang, welcher zwischen den Vorfällen jener Zeit und den gegenwärtigen Errungenschaften und Bestrebungen besteht, mag es rechtfertigen, wenn ich die Ursache dieser ungewöhnlichen Verfolgung erwähne.

Mein Vater war nach dem Hambacher Fest verhaftet worden und hatte im Gefängniß zu Zweibrücken eine Denkschrift verfaßt, in der er seine bis dahin nur zerstreut und abgerissen in der „Deutschen Tribüne“ erschienenen Gedanken über die politische und sociale Reform Deutschlands im Zusammenhang darstellte und in der Forderung gipfelte, daß Kaiser und Reich auf der Basis verfassungsmäßiger Zustände wieder aufgerichtet werden müssen. Mir wurde damals (1833) als zehnjährigem Knaben die Ehre zu Theil, das Manuscript auf meinem Leibe aus dem Gefängniß zu schmuggeln und zum Druck zu befördern, in dem es unter dem Titel „Die politische Reform Deutschlands“ erschien und dann mit als Hauptanklagepunkt gegen meinen Vater vor den Assisen zu Landau diente. Meine Mutter hatte eigenhändig die Versendung dieser Druckschrift besorgt, wobei sie gegenüber einer polizeilichen Haussuchung den Rest des Vorrathes mit großer Geistesgegenwart durch Zudecken mit einem Haufen kleingespaltenen Holzes rettete, an welcher Arbeit wir Kinder einen eifrigen Antheil nahmen. Wegen Verbreitung dieser Schrift, welche nichts verlangte, als [705] was heute zu Recht besteht, sollte die Frau ebenfalls in Untersuchungshaft genommen werden, der sie sich, wie gesagt, durch die von meinem Vater angeordnete Flucht entzog, nachdem dieser von den Landauer Assisen zwar freigesprochen, aber wegen anderer geringerer Anklagen doch nachträglich zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt worden war.

Jenes Schwurgericht aber verdient von dem künftigen Geschichtsschreiber weit aufmerksamer beachtet zu werden, als es bisher geschehen ist.

Wie vom Frühling, dieser bevorzugten Zeit der Dichter, ist nicht selten auch vom Völkerleben behauptet worden, daß die ersten Blüthen, welche der Volksgeist treibe, weit beglückender seien als die noch so reichen Früchte, welche das Volk in reifen staatlichen Zuständen einheimse. Wenn in dieser Hinsicht die Bewegung des Jahres 1848 in dem größeren Theil von Europa als ein solcher Völkerfrühling bezeichnet worden ist, weil dieses denkwürdige Jahr in der That weniger Früchte als Blüthen – zuweilen darunter auch taube – gebracht hat, so ist doch für einen beschränkteren Kreis noch viel mehr die Bewegung der dreißiger Jahre als ein solcher Vorfrühling zu betrachten, in welchem die Jugend der Völker sich dem ganzen Fluge ihrer Phantasie hingab und mitten in der finsteren Nacht des Despotismus sich die Zukunft wie ein goldenes Eden dachte. Vor vier Jahren ist das vierzigjährige Jubiläum des am 27. Mai 1832 abgehaltenen Hambacher Festes gefeiert worden, und es mag als ein Zeichen des ungeheuren Umschwungs der Dinge betrachtet werden, daß das Jubiläum jener von dreißigtausend Menschen besuchten ersten deutschen Volksversammlung, welches damals als der Gipfelpunkt der revolutionären Bewegungen angesehen wurde, mit der Genehmigung des Enkels jenes oft als deutscher Patriot gefeierten Königs abgehalten wurde, auf dessen Befehl einst die Führer jener Kundgebung in den Kerker geworfen wurden. Das Hambacher Fest hatte auch seine Geschichtsschreiber gefunden. Das Gleiche läßt sich aber nicht von den Landauer Assisen sagen, auf welchen die Führer der Bewegung gerichtet und freigesprochen wurden.

Außer einem durch die Censur verstümmelten stenographischen Bericht der Verhandlungen dieses Schwurgerichts und dem in mehr als sieben Auflagen erschienenen Abdruck der Vertheidigungsrede des Hauptangeklagten Dr. J. G. August Wirth ist meines Wissens bis jetzt nirgends eine eingehende Schilderung jener denkwürdigen Tage erschienen. Und doch waren sie für die politische Entwickelung des deutschen Volkes weit bedeutungsvoller als das Hambacher Fest, weil durch volle drei Wochen hindurch vor Gericht Zeugniß für die Berechtigung der Forderungen des Volkes abgelegt und das Zukunftsprogramm der nationalen Freiheitspartei niedergelegt wurde. Deshalb ist dieses Schwurgericht häufig in seiner Bedeutung mit dem Reichstage zu Worms verglichen worden. Es war im Juli 1833. Das übrige Deutschland war still wie das Grab, aber dort am äußersten südwestlichsten Winkel war eine Rednerbühne errichtet, von der drei Wochen lang die Flammen der Begeisterung unter das Volk geschleudert wurden.

Jene denkwürdigen Gerichtstage haben nur deswegen nicht die Berühmtheit erlangt, wie die Unabhängigkeitserklärung in den Vereinigten Staaten und die Erklärung der Menschenrechte in Paris, weil sie zufälliger Weise auf einen kleineren Kreis sich beschränkten und wegen der damals herrschenden Censur die Berichte nur verstümmelt zur öffentlichen Kunde kamen. Der Eindruck beschränkte sich daher auf die achthundert Zuhörer, welche der in einem Gasthofe neu hergerichtete Saal faßte, denn der eigentliche Sitz des Schwurgerichtes war Zweibrücken, und es war nur ausnahmsweise für diesen Fall aus Furcht vor einem Volksaufstande in die Festung Landau verlegt worden. Alle jene Zuhörer aber haben einen bleibenden Eindruck mit davon getragen und ihr Leben lang der Volkssache als Apostel gedient. Wie vor einem feierlichen Volks-Thing wurden damals die Schicksalsbücher der deutschen Nation aufgerollt und ihr wahres historisches Recht in feierlicher Erklärung gewahrt. Namentlich wurde nachgewiesen, daß der Untergang des deutschen Reiches und der deutschen Volksfreiheit nur durch innere und äußere Gewalt und nicht durch einen staatsrechtlichen vollgültigen Nationalact vollzogen worden sei, daß die aus dem Landesverrathe der Rheinbundfürsten und der Gewalt des fremden Eroberers hervorgegangenen Zustände keine innere Berechtigung haben. Es wurde hervorgehoben, wie übel die Opfer, welche das deutsche Volk zur Abschüttelung der napoleonischen Herrschaft brachte, belohnt, wie wenig die in der Proclamation von Kalisch gegebenen Versprechungen gehalten wurden und wie das deutsche Volk das volle Recht besitze, zu seiner vollen Freiheit und zu seiner Reichseinheit zurückzugreifen. Gleichzeitig wurde dabei der Bedingungen der inneren volkswirthschaftlichen Entwickelung in einer Weise gedacht und ein sociales Fortschrittsprogramm aufgestellt, welches auch noch künftigen Geschlechtern als Leuchte dienen kann.

Das Elsaß war um die Mitte der 1830er Jahre noch lange nicht so französisirt wie gegenwärtig. Namentlich das protestantische Unter-Elsaß hatte sich, wenigstens in sprachlicher Beziehung, als gänzlich halsstarrig erwiesen. Die Umgangssprache war im Unter-Elsaß durchweg deutsch, und nur die Gebildeten fingen an, ein Französisch mit sehr schlechtem Accent zu sprechen, welches sie unter sich dann in ganz eigenthümlicher Weise mit dem Deutschen vermengten, nicht so, daß sie einzelne Ausdrücke aus dieser oder jener Sprache entlehnten, sondern die eine Hälfte des Satzes deutsch, die andere Hälfte französisch sprachen und, wenn sie den einen Satz französisch angefangen und deutsch geendigt, den nächsten deutsch anfingen und französisch endigten. Der eigentliche Bürgerstand, die Bauern und die Kinder auf der Straße blieben im Unter-Elsaß aber hartnäckig bei ihrem Deutsch. Im Gymnasium (collége) war es zwar verboten, dem Lehrer in deutscher Sprache zu antworten, in der Regel geschah es aber doch, trotz der jedesmaligen vorschriftsmäßigen Mahnung des Professors.

Einen Hauptstützpunkt fand das deutsche Element auch in der protestantischen Geistlichkeit, welche nothwendiger Weise deutsch predigen mußte und in der theologischen Facultät und dem damit verknüpften philologischen Seminar zu Straßburg ihren geistigen Brennpunkt und ihre Nahrung fand. Während nämlich die Straßburger Akademie, das heißt Universität, ganz nach französischem Muster eingerichtet war und nur französische Vorlesungen zuließ, hatten die oben genannten mit einander verknüpften Anstalten, kraft ihres Stiftungsvermögens, eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren gewußt und in der Hauptsache ihre deutsche Methode beibehalten, sowie auch viele Collegien, namentlich in der philologischen Abtheilung, noch in deutscher Sprache vorgetragen wurden. Ich genoß den Vortheil, dieselben ein Jahr lang (1839) zu besuchen, und erinnere mich heute noch mit Vergnügen der geistreichen und zugleich gediegenen deutschen Art, mit welcher ein Lachmayer und ein Hasselmann uns die griechischen und lateinischen Classiker vortrugen und erklärten. Einer der internen Seminaristen war damals auch Neffzer, der spätere Gründer des Pariser „Temps“, der schon damals als ein junger Mann von hervorragendem Geist betrachtet wurde und dessen zu frühzeitigen Tod wir heute beklagen. Aus Neugierde ging man dann auch zuweilen in eine Vorlesung der Akademie (das heißt der eigentlichen Universität), namentlich um die glänzende Rhetorik der französischen Professoren kennen zu lernen, und bei einer solchen Gelegenheit war es, daß ich gerade der Disputation um den Doctorhut von Edgar Quinet beiwohnen konnte, welcher erst nach seiner Rückkehr aus dem Orient, ein hoher Dreißiger, promovirte.

In den Ferien wurden dann zuweilen den Freunden, welche meistens Söhne von Pfarrern waren, an ihrem heimischen Herde Besuche abgestattet, und ich muß sagen, daß das unterelsässische Pfarrhaus noch nichts von der Traulichkeit eingebüßt hatte, durch welche es unter dem Meistergriffel Goethe’s eine solche Berühmtheit erlangt hat. Das patriarchalisch ehrbare und doch gemüthvolle Leben dieser meist zahlreichen Familien ist mir noch heute, nach über dreißig Jahren, in frischer und angenehmer Erinnerung. Einmal saßen wir an einer langen Tafelrunde zu Tisch. Mein Freund, der älteste Sohn des Hauses, hatte eben sein theologisches Examen mit Glanz bestanden, und es war ihm von seinen Eltern die Ueberraschung bereitet worden, daß der Gegenstand seiner Sehnsucht am seinem Geburtstage erschien. Als der ehrwürdige Pfarrherr nach dem Braten das Glas erhob, um die künftige Tochter willkommen zu heißen, da durfte mein erglühender Freund ihr über den Tisch hinüber den Brautkuß ertheilen. Wer Ramberg’s reizendes Bild kennt, welches einen jungen Mann in der Lieblingstracht der Sturm- und Drangperiode, dem Wertherfracke und den Stulpstiefeln, darstellt, wie er [706] einem jungen Mädchen am Rande eines Wassers im Parke vorliest, der hat fast die Portraits der beiden Liebenden gesehen.

Doch nun zur Sache! Ich war zehn Jahre später der Einladung eines Freundes gefolgt, um, der Weißenburger Feier des großen Nationalfestes beizuwohnen, welches im Mai 1848 in ganz Frankreich zur Verherrlichung der Errungenschaften der Februarrevolution begangen wurde. Die Feierlichkeit war ganz im französischen Stil organisirt, das heißt nach Art jener großen Volksfeste, wie sie während der ersten Revolution zu Paris veranstaltet worden sind. Es fand ein feierlicher Umzug statt, an dem Alle Theil nahmen, welche das Recht hatten Uniform zu tragen, Militär, Polizei, Gensd’armerie, bis zu den Schülern der lateinischen Schule herab, welche in Frankreich Uniformen wie unsere Cadetten trugen. Musik ging dem ungeheuren Zuge voraus, der von Zeit zu Zeit an öffentlichen Gebäuden oder auf freien Plätzen, wo mit frischen Zweigen und Fahnen bekränzte Tribünen und zuletzt sogar ein Altar errichtet war, Halt machen mußte, um die officiellen Begrüßungen, die begeisterten Freiheitsreden und die Segenssprüche der Geistlichkeit der beiden Confessionen entgegen zu nehmen.

Trotz des großen Pompes, der schmetternden Klänge der Musik und der frohen Stimmung, welche damals vor der Juni-Schlacht in Paris jene glänzenden Hoffnungen auf die anbrechende Herrschaft einer glorreichen Aera der Freiheit, des Wohlstandes, der Bildung und der Nationalwürde der Völker Europas noch nicht hatte knicken sehen – wollte der Jubel des Volkes doch nicht recht aus dem Grunde des Herzens kommen. Man sah daher reichlich mit Wein nachhelfen und bald mehr Betrunkene, als ich in Paris oder in Deutschland bei ähnlichen Gelegenheiten bemerkt. Die Ursache war sehr einfach. Das Volk verstand die Redner nicht, weil sie sämmtlich französisch sprachen und den Gebrauch der französischen Sprache von damals an als einen Act des Patriotismus anzusehen begannen.

Bei Gelegenheit einer jener Stauungen, wo gerade ein Geistlicher eine Fahne gesegnet hatte, gewahrte ich abseits stehend eine Gruppe von hochragenden kräftigen Bauernburschen in ihrer Tracht unter der Führung eines älteren Mannes, die gekommen waren, um das Fest anzusehen, und unter sich ihre Glossen darüber machten. Ich muß vorausschicken, daß damals die Elsässer im Allgemeinen bereits nicht wenig stolz waren auf ihre politische Zugehörigkeit zu Frankreich und gern eine gewisse Verachtung gegen deutsche Zustände und gegen Deutsche zur Schau trugen, welche sie durch die Bank „Schwaben“ nannten, obgleich dies mit weit mehr Recht ihr eigener Erbtitel ist, als derjenige der meisten Deutschen, auf welche sie ihn anwendeten. Persönlich und social aber herrschte eine noch viel größere Abneigung gegen die eigentlichen Franzosen, mit welchen die Elsässer in Gesellschaft zusammentrafen, und umgekehrt. Franzosen, die in’s Elsaß kamen und denen sogleich die von ihnen ganz verschiedene Art auffiel, welche in Sprache, Sitten, Gebräuchen, in der häuslichen Einrichtung und der Kost sich zeigte, wußten sich namentlich, wenn sie den weniger gebildete Ständen angehörten, nicht zu mäßigen in ihren Ausdrücken der Verachtung über „cette maudite Allemagne – ces têtes-carrées d’Allemands“. (Dieses verfluchte Deutschland – diese deutschen Querköpfe!) Die Elsässer gaben es ihnen zurück, indem sie unter sich die Nationalfranzosen oder sogenannte Stockfranzosen nie anders als die „wälschen Kaibe“[1] nannten.

Aehnliche Redensarten hörte ich natürlich auch in der Gruppe der Bauern fallen, von denen der kleinste sechs Schuh hoch in seinen Schuhen stand. Die Hünengestalten, welche sich seit der germanischen Occupation unvermischt fortgepflanzt zu haben schienen, sowie die trotzigen Redensarten über die „wälschen Kaibe“, veranlaßten mich, ihre Wortführer nach ihrer Herkunft zu fragen und mich mit denselben in ein Gespräch einzulassen. Ich hörte, daß sie aus Seebach und hergekommen seien, um das Fest mitzumachen, dem sie aber keinen großen Geschmack abgewinnen könnten, weil sie nichts von dem „Gewälsch“ verstünden und die Stadtleute überhaupt immer mehr „verwälschten“. In der That erfuhr ich aus dem weitern Gespräche, daß sie von den Zwecken und Zielen sowohl der Februarrevolution wie des Festes vor ihren Augen nur eine sehr unklare Vorstellung hatten, obgleich sonst aus ihren Reden ein überaus klarer, unabhängiger gesunder Menschenverstand hervorleuchtete. Ich suchte ihnen nun die Ursachen und Ziele der damaligen Bewegung in schlichten Worten zu erklären und wies besonders darauf hin, daß die Revolution in Paris den Anstoß zu einer Reformbewegung in ganz Europa gegeben habe und daß namentlich in einem großen Theile von Deutschland, zu dem man damals noch Oesterreich rechnete, der Bauernstand erst die Freiheit erringen müsse, welche der elsässische Bauer schon von der Zeit der ersten Revolution genieße. Als ich nun weiter erzählte, daß man in Deutschland jetzt auch mit der politischen Reform Ernst mache und einen ebenso mächtigen Staat herstellen werde, wie Frankreich ist, da sagte der älteste der Seebacher in seinem treuherzigen Dialekte, den ich nicht wiedergeben kann:

„Ja, wenn wir nur zu Euch gehörten, dann würden wir doch wieder verstehen, was man mit uns vorhat. Die wälschen Kaibe verstehen wir nicht.“

Ich war Gast auf gastlicher Erde, und obwohl ich von Jugend auf den Verlust des Elsasses von meinem Vater hatte beklagen hören, so glaubte ich mich doch nicht zur Rolle eines politischen Emissärs berufen, ganz abgesehen davon, daß eine solche Idee in der damaligen Zeit an Tollheit gegrenzt hätte.

Ich fühlte mich daher verpflichtet auf diesen Gedanken des alten Seebachers nicht einzugehen, sondern ihm und seinen Begleitern, die allmählich einen dichten Kreis um mich gebildet hatten, so deutlich wie möglich zu erklären, „daß in Folge der Eisenbahnen und des innigen geistigen und geschäftlichen Verkehrs der Völker unter einander dieselben nach Vermehrung des Wohlstandes und der Bildung einmüthig zu streben hätten, daß man ferner dieselben Interessen und Ziele habe, daß man sich bemühen müsse, den Frieden in Europa aufrecht zu erhalten und die Nachbarvölker auf freundschaftlichen Fuß mit einander zu bringen. Bis dahin sei der Fehler in Frankreich gewesen, daß die politischen Bewegungen von Paris ausgegangen seien; darum habe man sich um das Landvolk wenig bekümmert; in Zukunft würde dies besser werden und auch der Bauer sich mehr an den öffentlichen Angelegenheiten betheiligen können, wie es ja überhaupt in freieren Ländern auf die Sprache weniger ankomme, so daß z. B. in der Schweiz Deutsche mit Franzosen, in Amerika Deutsche neben Engländern ein einträchtiges und glückliches Leben führen, wie überhaupt die internationale Eintracht und das kosmopolitische Zusammenwirken der Völker für die Erringung der höchsten Güter das Ziel der Menschheit sei.“ Diese Worte, wie ich sie hier gebe, sind natürlich zu abstract für ein Bauernohr. In welche Form ich meine Gedanken und Empfindungen kleidete? Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen. Ich weiß nur, daß ich den richtigen Ton gefunden haben mußte, um verstanden zu werden, denn obgleich ich kein begabter Redner bin, schienen meine Worte doch so zu Kopf und Herzen der Hörer zu gehen, daß die Augen der schlichte Landleute anfingen aufzuleuchten, feucht zu werden und daß mir der alte Landmann zuletzt die Hände zerdrückte und mich mit Thränen in den Augen umarmte.

„Ja, wenn man so zu uns spräche, ja, wenn man in unserer Sprache zu uns redete, dann wollten wir’s loben.“

Diese Worte waren alles, was sie zuerst unter ihren handgreiflichen Freundschaftsbezeigungen hervorbrachten. Die hünischen Bauern luden mich zu Gast und wollten mich gleich mitnehmen, und ich konnte mich nur mit Mühe losreißen und von ihnen Abschied nehmen unter dem Versprechen, sie eines Tages zu Seebach zu besuchen. Ich habe mein Versprechen nicht gehalten, obwohl ich es oft gewünscht. Das großstädtische Leben und die Alpen sind eben noch stärkere Anziehungspunkte. Seitdem sind alle diese Jünglinge reife Männer geworden. Ihr Führer ist wohl schon in’s Grab gesunken. Ob sich wohl Einer von ihnen noch, wie ich es that, jener Scene vor einem Menschenalter erinnert haben wird, als er dem deutschen Kaiser seinen Jubelruf zujauchzte?


  1. Kaib, allemannisches Synonym von Aas oder Luder.