Die Seeschiffahrt (1914)

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Autor: Philipp Heineken
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Titel: Die Seeschiffahrt
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Siebentes Buch, S. 83–95
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[955]
Die Seeschiffahrt
Von Ph. Heineken, Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd in Bremen


Rückblick.

Wenn wir heute zurückblicken auf die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, unter denen sich der gewaltige Aufschwung des Verkehrs zu Lande und zu Wasser vollzog, so erkennen wir, daß in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sich die neue Ära anbahnte, daß die ersten zwanzig Jahre den Auftakt bildeten und dann nach dem glorreichen Kriege von 1870/71 das deutsche Wirtschafts- und Verkehrsleben zu ungeahnter Entfaltung gelangte. Deutschland, in den siebziger Jahren noch ein Agrarstaat, der an seine Nachbarländer Getreide exportierte, entwickelte sich infolge seiner rapiden Bevölkerungszunahme zu einem Industriestaat und wurde mit fremden Völkern immer enger verbunden. Für seine Industrieerzeugnisse tauschte er Agrarprodukte ein, seine Handelsbilanz nahm, wie bei allen an Wohlstand gewinnenden Völkern, passiven Charakter an und wurde durch eine aktive Zahlungsbilanz ergänzt. Der deutschen Schiffahrt gebührt in diesem Zusammenhange ein doppeltes Verdienst. Mit klarem Blick hatten die deutschen Reeder die Entwickelung des deutschen Wirtschaftslebens vorausgesehen und durch Vergrößerung ihrer Flotten dafür gesorgt, daß der steigende Verkehr in deutschen Häfen zum weitaus überwiegenden Teile von deutschen Schiffen bewältigt wurde. Doch hiermit ist ihr Verdienst für die Außenbeziehungen Deutschlands nicht erschöpft. Da sich die deutschen Schiffe bald unter allen Schiffen auf dem Weltmeere auszeichneten, so wurden sie auch gern von anderen Völkern benutzt und haben auf diese Weise nicht unerheblich dazu beigetragen, die Aktivität der deutschen Zahlungsbilanz zu erhöhen.

Solange Deutschland zersplittert war und der deutsche Unternehmungsgeist im Auslande nicht auf einen starken Schutz seitens des Reiches rechnen konnte, war es nur natürlich, daß deutsche Erzeugnisse nur in verhältnismäßig geringem Umfange direkt an den Abnehmer im überseeischen Auslande gelangten, und daß namentlich England, dem eine ausreichende Macht zur Wahrung seiner Interessen im überseeischen Auslande zu Gebote stand, hieraus Nutzen für sich ziehen konnte, indem es als Vermittler zwischen dem deutschen Fabrikanten und dem Abnehmer im Ausland stand. Erst in den achtziger Jahren trat hierin ein Umschwung ein, als die Reichsregierung sich entschloß, die deutschen überseeischen Handelsinteressen nachdrücklich zu fördern und zunächst durch die Errichtung von Reichspostdampferlinien nach dem fernen Osten und Australien dem deutschen Handel die Wege nach diesen Ländern zu ebnen. Diese Politik, die in Bismarck [956] einen energischen, weitblickenden Urheber und Vertreter hatte, hat unter der Regierung Kaiser Wilhelms II. reiche Früchte gezeitigt. Sie förderte nicht nur die Bemühungen der deutschen Industrie, ständige Absatzmärkte für ihre Erzeugnisse in überseeischen Ländern zu gewinnen, sondern trug auch in hohem Maße dazu bei, das Ansehen Deutschlands im Auslande zu heben und den heimischen Erzeugnissen fortdauernd neue Absatzgebiete zu erschließen. Handels- und Tarifverträge taten dazu das Ihrige, nach Möglichkeit eine feste Grundlage für die Förderung des gegenseitigen Austausches von Boden- und Industrieerzeugnissen zu schaffen.

Umwandlung der Verkehrsmittel.

Die Umwandlung der Verkehrsmittel ist von jeher eine der wichtigsten Ursachen der menschheitlichen Weiterentwicklung gewesen. Den europäischen Kulturvölkern blieb es vorbehalten, die Pioniere auf dem Weltmeere zu werden.

Fahrhunderte vergingen nach Fahrten der Alten, nach den großen Entdeckungsreisen der Spanier, Portugiesen, Holländer und Franzosen, bis die Seeschiffahrt in neue Bahnen geleitet werden konnte, die sie allmählich zu ihrer heutigen Blüte und Bedeutung führen sollten. Die Erfindung der Dampfmaschine und die Verwendung der Dampfkraft als Triebkraft für Land- und Wasserfahrzeuge bedeuten auch in der Entwickelung der Seeschiffahrt einen Wendepunkt von höchster Wichtigkeit. Der Dampfmaschine war es beschieden, in den Schiffahrtsbetrieb jenes revolutionäre Element hineinzutragen, das sich mit der Zeit als so mächtig erwies, daß der Dampf unaufhaltsam seinen Siegeszug übers Weltmeer antreten und zu Ende führen konnte.

Wie die gesamte Industrie durch die Einführung der Dampfkraft eine völlige Umgestaltung erfuhr, wie die durch die Dampfkraft bedingte Technik ein ungeheures Anschwellen der Produktionskraft zur Folge hatte, so geschah dies auch in der Schiffahrt, der sich ungeahnte Bahnen eröffneten.

In den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts ging die Entwicklung der Dampfschiffahrt allmählich schneller vor sich. Der wichtigste Fortschritt in diesem großen Abschnitt bestand in der Einführung der von dem Österreicher Ressel 1829 erfundenen Schiffsschraube als Treibeapparat, dessen Verwendbarkeit nach eingehenden Versuchen jedoch erst im Jahre 1838 mit dem englischen Dampfer „Archimedes“, einem Schiffe von 240 Tons, dargetan wurde, und in der Einführung des Eisens auch als Baumaterial für den Schiffskörper. 1837 fuhr der erste eiserne Seedampfer übers Meer.

Im deutschen Seeverkehr war allerdings noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von diesen Fortschritten wenig zu verspüren. Das verödete und verarmte Land bedurfte geraumer Zeit, um sich von den schweren Wunden, die die Kontinentalsperre und die napoleonischen Kriege seinem gesamten Wirtschaftsleben geschlagen hatten, zu erholen. Zugleich waren die politischen Verhältnisse Deutschlands, die in der Zerrissenheit und Machtlosigkeit des Landes begründet waren, der Entwickelung der Seeschiffahrt besonders ungünstig. Auch die rücksichtslose Schutzzollpolitik fremder Staaten, vor allem Englands und Hollands, erschwerten der deutschen Schiffahrt Dasein und [957] Ausbreitung. Andererseits erschien auch in Deutschland selbst die Seeschiffahrt dazu ausersehen, durch zum Teil hohe Abgaben auf den Flüssen einzelnen deutschen Seestaaten die Kassen zu füllen. Die englische Navigationsakte bewirkte eine völlige Knebelung der deutschen Seeschiffahrt im Verkehr mit England und den britischen Kolonien. Dazu kamen Hollands 10proz. Zuschlagszoll von Waren in hanseatischen Schiffen, der seit dem 13. Jahrhundert vom Verkehr zwischen der Nordsee und Ostsee erhobene und erst 1857 auf Veranlassung der Vereinigten Staaten von Amerika gegen eine Entschädigung von etwa 30½ Millionen dänischen Reichstalern von Dänemark abgelöste Sundzoll, sowie die auf der Weser und Elbe von Oldenburg und Hannover erhobenen Flußzölle, von denen der bis zum 7. Mai 1820 auf der Weser erhobene „Elsflether Zoll“ und der unter der Bezeichnung „Stader Zoll“ bis 1861 auf der Elbe erhobene die bekanntesten und wichtigsten waren. Diese Flußzölle schadeten dem Handel Bremens und Hamburgs um so mehr, als dieselben Hindernisse auf dem Rhein seit dem Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 und ferner durch einen zwischen Preußen und Holland am 3. Juni 1837 abgeschlossenen Reziprozitätsvertrag beseitigt waren, so daß von da an die Versorgung der Rheinlande über Holland ungehindert erfolgen konnte.

Einflüsse auf die deutsche Seeschiffahrt.

Ganz allmählich gelangte die deutsche Schiffahrt in freiere Bahnen. Die englische Navigationsakte erhielt sich noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. England konnte sich um diese Zeit zu ihrer vollständigen Aufhebung im Jahre 1849 bzw. 1854 um so eher verstehen, als es längst seine Stellung im Welthandel befestigt hatte. Für die deutschen Flüsse leitete der Wiener Kongreß die Freiheit des Verkehrs ein, und nun vollzog sich in der Weltwirtschaft und im Weltverkehr allmählich ein Umschwung, wie er bedeutungsvoller kaum zu denken war. Es ergab sich vor allem, daß durch die aufkommende Herrschaft der Dampfschiffahrt die Segelschiffahrt mehr und mehr zurückging, und daß sich auch eine wesentliche Verschiebung des gesamten Schiffsverkehrs von der Ostsee nach der Nordsee vollzog. Die Ostseereederei bildete zu Anfang des 19. Jahrhunderts den eigentlichen Kern des gesamten deutschen Reedereigewerbes; sie verfügte an den heutigen deutschen Ostseeküsten über einen Schiffsraumgehalt, der um mehr als das Doppelte den der Nordseereederei übertraf. An der Nordsee gewannen Bremen und Hamburg, von wo aus bereits in den 40er Jahren und früher ernste Bestrebungen für die Einrichtung regelmäßiger Dampfschiffslinien nach Nordamerika sich geltend gemacht hatten, bald unbestritten die Führung. Mit der Zunahme der deutschen Auswanderung am Anfang der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts hatten sich die Beziehungen der Hansestädte zu den Vereinigten Staaten wesentlich erweitert, und namentlich die Schiffahrt Bremens wurde dadurch stark beeinflußt. Indem sich diese Millionen Europamüder in Bewegung setzten und über die deutschen Hansestädte die Wanderung über den Ozean antraten, verschafften sie der Reederei Bremens und Hamburgs Kapitalien, um erst Segelschiffe, dann Dampfer von stetig wachsenden Werten zu erbauen. Zugleich gaben sie den heimkehrenden Schiffen Gelegenheit, überseeische Waren, namentlich amerikanische, zu verhältnismäßig niedriger Fracht zurückzubringen. Reederei und Handel [958] haben also eine ganz wesentliche Förderung durch die Auswanderung erfahren, namentlich in Bremen. Der hoch entwickelte Tabakhandel in Bremen ist zu einem wesentlichen Teil aus dieser Ursache entstanden. Die Auswanderung war es dann auch, die Bremen und Hamburg den Übergang von der Segelschiffahrt zur Dampfschiffahrt erleichterte, die ihnen die Möglichkeit gab, große Flotten prächtiger schneller Dampfer zu schaffen.

Hamburg und Bremen.

Der Hauptanteil an der gedeihlichen Entwickelung der deutschen Seeschiffahrt fällt ohne Zweifel unter den deutschen Reedereien dem Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie zu, unseren beiden mächtigen Großunternehmungen in Bremen und Hamburg, die im Laufe weniger Jahrzehnte eine Bedeutung erlangt haben, die nicht nur national, sondern in hohem Maße auch international ist und als solche bewertet werden muß. Die Geschichte der beiden Gesellschaften ist bis zu einem gewissen Grade die Geschichte der modernen deutschen Seeschiffahrt überhaupt.

Am 1. Juni 1856 eröffnete die im Jahre 1847 gegründete Hamburg-Amerika-Linie mit ihrem in England erbauten Schraubendampfer „Borussia“ die erste regelmäßige deutsche transatlantische Dampferlinie von Hamburg aus. Damit war der erste Schritt geschehen, dem deutschen Handel in dieser Hinsicht seine volle Selbständigkeit zu sichern. Der zweite ließ nicht lange auf sich warten. Noch während die ebenfalls im Jahre 1847 ins Leben gerufene Ocean Steam Navigation Company bestand, hatten die Bremer Firmen W. A. Fritze & Co. und Carl Lehmkuhl das inzwischen umgebaute Admiralschiff Brommys „Hansa“ und die ebenfalls bei der Versteigerung der Schiffe der ersten deutschen Flotte erworbene Korvette „Germania“ von Bremen nach New York in Fahrt gesetzt. Das eigentliche Erbe der Ocean Steam Navigation Company trat der Norddeutsche Lloyd an, der auf Betreiben H. H. Meiers und Crüsemanns am 20. Februar 1857 gegründet wurde und am 19. Juni 1858 seinen Dienst zwischen Bremen und New York eröffnete.

Die New Yorker Linien sind eine Reihe von Jahren hindurch die einzigen transatlantischen Linien des Lloyd und der Hapag und das Rückgrat ihres Geschäftes gewesen. Die Genesung der wirtschaftlichen Verhältnisse gab dann den beiden Gesellschaften die Möglichkeit, ihren Betrieb auch in anderer Richtung zu erweitern und auszugestalten und ihre wirtschaftlichen Kräfte zu entfalten. Es bedarf kaum der Erwähnung, welch gewaltige Ausdehnung sowohl der Norddeutsche Lloyd wie die Hamburg-Amerika-Linie inzwischen genommen haben. In der ganzen Welt zeigen sie ihre Flagge auf mächtigen modernen Schiffen, deren Beliebtheit ihnen Weltruf verschafft hat.

Die ersten von Bremen und Hamburg eingerichteten deutschen Linien nach Nordamerika sind noch heute die wichtigsten der deutschen Schiffahrt, die ihnen seit Mitte des vorigen Jahrhunderts ihr besonderes Interesse zuwandte und sie namentlich in den letzten 25 Jahren durch Einstellung des allerbesten Schiffsmaterials gewaltig förderte. Im Laufe der Jahre sind dann andere Routen nach den Häfen von Nord-, Mittel- und Südamerika, nach Ostasien und Australien, ja nach allen Teilen der Welt hinzugekommen, neue Schiffahrtsunternehmen sind ins Leben getreten, um teilzunehmen an dem [959] Verkehr auf den Weltmeeren, die die Länder heute nicht mehr trennen, sondern verbinden.

Die deutsche Handelsflotte.

In den letzten Jahren hat sich die deutsche Handelsflotte annähernd verdoppelt, nächst der englischen und amerikanischen ist sie die stärkste Handelsflotte der Welt. Im Jahre 1900 zählte sie 2 650 033 Br.-Reg.-Tonnen, und 1912 war sie auf 4 628 983 Br.-Reg.-Tonnen angewachsen. Ein kurzer Überblick über den gegenwärtigen Stand der deutschen Reedereien mag hier Platz finden:

Der Norddeutsche Lloyd 1857 mit einem Kapital von etwa 12 Millionen Mark gegründet, verfügt heute über ein Kapital von 125 Millionen Mark und eine Flotte von 467 Schiffen mit 846 611 Br.-Reg.-Tons.

Die Hamburg-Amerika-Linie, 1847 mit einem Kapital von 460 000 Mark und einer Flotte von 3 Segelschiffen gegründet, arbeitet heute mit einem Aktienkapital von 150 Millionen Mark und hat einen Schiffsbestand von 431 Fahrzeugen aller Art mit einem Raumgehalt von 1 306 819 Br.-Reg.-Tons.

Aus den angeführten Ziffern ist die Entwicklung der beiden größten deutschen Reedereien am besten zu erkennen. Es würde aber kein vollständiges Bild der Entwicklung der deutschen Schiffahrt abgeben, wollte man nicht auch der übrigen deutschen Reedereien gedenken, die sich ebenfalls in den letzten 25 Jahren, z. T. äußerst günstig, entwickelt haben. Die drittgrößte Reederei Deutschlands ist heute die Deutsche Dampfschiffahrtsgesellschaft „Hansa“ in Bremen, die Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts gegründet, in den letzten Jahren sich zu der am besten arbeitenden Reederei aufschwingen konnte. Sie hatte 1912 67 Seedampfer mit 338 589 Br.-Reg.-Tonnen. Das Kapital der „Hansa“ betrug bei der Gründung 3 Millionen Mark, wurde 1888 auf 5 Millionen Mark erhöht und beläuft sich seit 1906 auf 25 Millionen Mark. Auch die „Hansa“ hat sich gerade in den letzten 25 Jahren am stärksten entwickelt, ihr Hauptgeschäft liegt im Indien- und Ostasiendienst, doch läßt sie im Gegensatz zu den beiden zuerst genannten Reedereien ausschließlich Frachtdampfer fahren. In der Anzahl der Schiffe und der Br.-Reg.-Tons folgt der „Hansa“ die Hamburg-Südamerikanische Dampfschiffahrtsgesellschaft, die im Jahre 1871 in Hamburg ins Leben trat. Ihre Linien laufen sämtlich nach Südamerika. Die Gesellschaft unterhält neben dem Frachtendienst auch einen ausgedehnten Passagierdienst. Von den übrigen deutschen Reedereien seien die Deutsch-Australische Dampfschiffahrtsgesellschaft, die im Jahre 1888 gegründet[WS 1] wurde und den Verkehr nach Australien versieht, die Deutsche Dampfschiffahrtsgesellschaft „Kosmos“, die Linien nach der Westküste Südamerikas unterhält, die die Küsten Afrikas befahrende Woermann-Linie und die Deutsche Ostafrika-Linie erwähnt. Sie alle sind in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ins Leben gerufen und haben sich zu bedeutenden Reedereien entwickelt, die sämtlich über eine Flotte von über 100 000 Br.-Reg.-Tons verfügen. Damit ist aber die Zahl der deutschen Reedereien noch längst nicht erschöpft, noch ca. 40 Reedereien, die eine Flotte von über 12 000 Reg.-T. ihr Eigen nennen, zählt die deutsche [960] Schiffahrt, unter ihnen die immer mehr Bedeutung gewinnenden Bremer Reedereien: Die Roland-Linie A. G. und die Hamburg-Bremer-Afrika-Linie, erstere für den Südamerika-, letztere für den Afrikadienst.

Entwicklung unserer Seeschiffahrt bis 1903.

Ein interessantes Bild der Steigerung der deutschen Seeschiffahrt im Zusammenhang mit dem deutschen Seehandel gibt schon die vom deutschen Reichsmarineamt gegebene Übersicht über die Entwickelung der deutschen Seeschiffahrt in dem Jahrzehnt von 1893 bis 1903. Danach betrug der Anteil des Seehandels im Jahre 1904 73,9 der Gesamteinfuhr, 64,6 der Gesamtausfuhr und ist von 1894–1904 von 4,9 Milliarden auf 8,5 Milliarden gestiegen. Der Schiffahrtsverkehr, der im Jahre 1873 12,3 Millionen Registertonnen betrug, im Jahre 1893 27½ Millionen, hat sich in dem Jahrzehnt bis 1903 auf fast 42 Millionen Netto-Registertonnen gehoben. Der Aufschwung Deutschlands im Weltseeverkehr ging dabei viermal so schnell voran wie seine Bevölkerungszunahme, die Vermehrung des deutschen Seeverkehrs in deutschen Häfen beinahe sechsmal so schnell. Während der Aufschwung des auswärtigen Seeverkehrs in dem genannten Jahrzehnt in Deutschland 50% betrug, belief er sich bei anderen seefahrenden Nationen auf 30 bis höchstens 46%. Während die deutsche Flagge im Seeverkehr der deutschen Häfen in dem genannten Jahrzehnt von 52 auf 59% wuchs, stieg sie im überseeischen Verkehr von 69 auf 79%. Neben diesem von den deutschen Häfen ausstrahlenden Verkehr beteiligten sich deutsche Schiffe in wachsendem Umfang im Küsten- und Zwischenverkehr fremder Länder. In welch stark steigendem Maße dies geschah, zeigt ein Vergleich des Jahres 1893, wo dieser auswärtige Verkehr deutscher Schiffe 19½ Millionen Registertonnen betrug, mit dem Jahre 1903, wo er auf 55¼ Millionen Registertonnen gewachsen ist.

Wie das Verhältnis der Schiffszahl oder der Tonnage im Jahre 1902 war, also etwa nach Ablauf der Hälfte der bisherigen Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. zeigt die folgende Übersicht, bei der zugleich eine Gegenüberstellung mit den Zahlen von 1901 den Fortschritt eines Jahres darstellt:

Land Zahl der Dampfer Bruttotonnen
1902       1901       1902       1901
England mit Kolonien 8352 7930 13 652 455 12 149 090
Deutschland 1365 1209 2 636 338 2 159 919
Frankreich 690 662 1 104 893 1 052 193
Vereinigte Staaten von Amerika       776 690 1 095 788 878 564
Norwegen 905 806 866 754 764 683

Am 1. April 1903 waren die wichtigsten unter den Dampfschiffen der deutschen Handelsflotte 4 Schnelldampfer und 35 Reichspostdampfer. Von den Schnelldampfern gehörten 3 dem Norddeutschen Lloyd, 1 der Hamburg-Amerika-Linie; von den Reichspostdampfern 19 dem Norddeutschen Lloyd, 2 der Hamburg-Amerika-Linie und 14 der Ost-Afrika-Linie. Das größte dieser Schiffe damals, der „Kaiser Wilhelm II.“ [961] des Norddeutschen Lloyd, hatte an Raumgehalt etwa 20 000 Registertonnen brutto, (6500 netto), das nächste, „Deutschland“ der Hamburg-Amerika-Linie, 16 502 brutto (5200 netto), der „Kronprinz Wilhelm“ und „Kaiser Wilhelm der Große“ des Norddeutschen Lloyd hatten etwas über 14 000 brutto (5500 netto). Unter den Reichspostdampfern befanden sich 10, die über 10 000–13 000 brutto Registertonnen Raumgehalt hatten. Alle anderen waren bedeutend kleiner. Es gab Reichspostdampfer bis zum Raumgehalt von 2000 Registertonnen brutto (1300 netto).

Stand im Jahre 1913.

Der Schiffsbestand des Jahres 1913 zeigt ganz deutlich den weiteren gewaltigen Fortschritt, den die deutsche Seeschiffahrt gemacht hat. Namentlich fällt dies in die Augen, wenn man die Handelsdampfer aller Nationen vergleicht, soweit sie einen Raumgehalt von 10 000 Reg.-Tonnen haben und mehr. Es ergibt sich, daß nach England Deutschland weitaus über die bedeutendste Handelsflotte verfügt. In England werden im ganzen gezählt: 122 solcher großer Dampfer, Deutschland besitzt deren 33, außerdem sind 11 im Bau. Unter den deutschen Schiffen sind einige, die die englischen – abgesehen von „Mauretania“ und „Lusitania“ den beiden von der englischen Regierung beträchtlich subventionierten Schnelldampfern der Cunard-Line – an Geschwindigkeit überragen, so der „Imperator“ der Hamburg-Amerika-Linie, der „Kaiser Wilhelm II.“, „Kaiser Wilhelm der Große“, „Kronprinz Wilhelm“ und die „Kronprinzessin Cecilie“ des Norddeutschen Lloyd. Das größte dieser Schiffe ist der „Imperator“ der Hamburg-Amerika-Linie, der einen Raumgehalt von 52 000 Reg.-Tonnen hat. Es folgt dann der „George Washington“ des Norddeutschen Lloyd mit 26 000 Reg.-Tonnen. Im Bau sind der Dampfer „Vaterland“ der Hamburg-Amerika-Linie mit 58 000 Reg.-Tonnen und der „Columbus“ des Norddeutschen Lloyd mit 35 000 Reg.-Tonnen. Von den englischen Schiffen sind zur Seite zu stellen nur die „Olympic“ der White-Star-Line mit 46 000 Reg.-Tonnen, die „Lusitania“ und „Mauretania“ der Cunard-Line mit 31 000 Reg.-Tonnen, die „Adriatic“ der White-Star-Line mit 24 000 Reg.-Tonnen.

England als die ältere Schiffahrtsnation und als reine Seemacht ist uns natürlich ein gut Stück voraus. Was aber der deutsche Schiffsbestand besagen will, sieht man, wenn man damit andere Staaten als England vergleicht. Die Vereinigten Staaten besitzen nur 11 solcher großer Handelsdampfer, also ein Drittel des deutschen Bestandes, Frankreich nur 10, die Niederlande 5, andere Staaten nur ganz vereinzelte. Von diesen großen deutschen Schiffen gehören an: dem Norddeutschen Lloyd 17, der Hamburg-Amerika-Linie 15, der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft 1.

An Seeschiffen überhaupt besitzt Deutschland im Ostseegebiet 942 mit Reg.-Tonnen 518 027 brutto, 316 907 netto und einer Besatzung von 8504; im Nordseegebiet 3790, Reg.-Tonnen 4 193 971 brutto, 2 706 818 netto und einer Besatzung von 66 626, also insgesamt das Deutsche Reich: 4 732 Seeschiffe mit einem Reg.-Tonnengehalt von 4 711 998 brutto, 3 023 725 netto und einer Besatzung von 75 130; darunter Segelschiffe 2401 mit Reg.-Tonnen 463 195 brutto, 411 749 netto und einer Besatzung von 13 154; [962] Schleppschiffe 322 und Dampfschiffe 2009 mit Reg.-Tonnen 4 144 322 brutto, 2 513 666 netto und 60 970 Besatzung.

Anteil Deutschlands an der Welthandelsflotte.

In welcher Weise sich der Anteil Deutschlands an der Welthandelsflotte vom Jahre 1891/92 bis zum Jahre 1901/02 und von da bis zum August 1912, dem letzten Zeitpunkt, über den statistische Nachrichten vorliegen, gesteigert hat, ergibt sich aus nachfolgender Tabelle.

Übersicht der Welthandelsflotte.

Anteil der zehn wichtigsten Reedereiländer der Erde an der Welthandelsflotte in Tausend Netto-Registertons (nach Bureau „Veritas“ [Dampfer von über 100 Registertons, Segelschiffe von über 50 Registertons netto].)

Länder 1892
Dampfer-
tonnage
v. H. Segler-
tonnage
v. H. Gesamt-
tonnage
v. H. Leistungs-
fähigkeit
v. H.
Großbritannien u. Irland 5 370,0 60,5 3 563,5 34,9 8 933,5 46,8 19 674 53,4
Deutschland 762,2 8,6 654,1 6,4 1 416,3 7,4 2 941 8,0
Vereinigte Staaten von Nordamerika[1] 417,1 4,7 1 519,1 14,9 1 936,2 10,1 2 770 7,5
Norwegen 221,2 2,5 1 393,5 13,6 1 614,7 8,5 2 057 5,6
Frankreich 500,5 5,6 286,1 2,8 786,6 4,1 1 788 4,9
Italien 199,2 2,2 587,0 5,7 786,2 4,1 1 185 3,2
Rußland 140,0 1,6 477,8 4,4 587,8 3,1 868 2,4
Spanien 291,3 3,3 243,0 2,4 534,3 2,8 1 117 3,0
Schweden 124,2 1,4 336,9 3,3 461,1 2,4 710 1,9
Japan 75,5 0,9 25,6 0,3 101,1 0,5 252 0,7
Gesamte Handelsflotten der Welt 8 872,4 100,0 10 217,9 100,0 19 090,3 100,0 36 835 100,0
  1. Einschl. der auf den großen Seen verwendeten Fahrzeuge.


Länder 1902
Dampfer-
tonnage
v. H. Segler-
tonnage
v. H. Gesamt-
tonnage
v. H. Leistungs-
fähigkeit
v. H.
Großbritannien u. Irland 7 817,4 53,3 2 352,4 29,0 10 169,8 44,6 25 805 49,5
Deutschland 1 549,0 10,6 536,7 6,6 2 085,7 9,2 5 184 9,9
Vereinigte Staaten von Nordamerika 913,1 6,2 1 397,9 17,2 2 311,0 10,1 4 137 7,9
Norwegen 500,0 3,4 883,9 10,9 1 383,9 6,1 2 384 4,6
Frankreich 535,4 3,6 401,4 4,9 936,8 4,1 2 008 3,9
Italien 434,0 2,1 510,9 6,3 944,9 4,1 1 813 3,5
Rußland 342,5 2,3 502,5 6,2 845,0 3,7 1 530 2,9
Spanien 455,8 3,1 100,9 1,2 556,7 2,4 1 468 2,8
Schweden 306,8 2,1 288,5 3,6 595,3 2,6 1 209 2,3
Japan 326,2 2,2 170,8 2,1 497,0 2,2 1 149 2,2
Gesamte Handelsflotten der Welt 14 663,1 100,0 8 119,1 100,0 22 782,2 100,0 52 108 100,0

[963]

Länder August 1912 Zunahme (+) oder
Abnahme (–) der
Transportlei-
stungsfähigkeit seit
Dampfertonnen-
gehalt
v. H. Segler-
tonnen-
gehalt
v. H. Gesamt-
tonnen-
gehalt
v. H. Leistungs-
fähigkeit
v. H. 1911
v. H.
1902
v. H.
brutto netto
Großbritannien u. Irland 18 514,9 11 389,5 49,0 1 026,3 17,4 12 415,8 42,6 35 193 46,5 + 2,1 + 32,6
Deutschland 4 160,9 2 562,0 11,0 432,2 7,3 2 994,2 10,3 8 118 10,7 + 4,1 + 49,8
Vereinigte Staaten v. Nordamerika 2 033,1 1 356,8 5,8 1 252,2 21,2 2 609,0 8,9 5 323 7,0 + 1,7 + 18,6
Norwegen 1 649,8 1 023,8 4,4 636,2 10,8 1 660,0 5,7 3 708 4,9 + 6,5 + 53,1
Frankreich 1 627,8 947,2 4,1 460,2 7,8 1 407,4 4,8 3 301 4,4 + 8,8 + 53,0
Japan 1 308,5 828,7 3,6 168,4 2,8 997,1 3,4 2 655 3,5 + 7,6 + 126,3
Italien 1 119,4 683,9 2,9 333,5 5,7 1 017,4 3,5 2 386 3,1 + 5,5 + 25,6
Rußland 865,0 531,1 2,3 535,0 9,0 1 066,1 3,7 2 128 2,8 + 3,3 + 33,9
Schweden 870,8 600,6 2,6 163,2 2,8 763,8 2,6 1 966 2,6 + 4,5 + 61,1
Spanien 739,8 457,3 2,0 46,0 0,8 503,3 1,7 1 417 1,9 – 0,3 – 8,3
Gesamte Handelsflotte d. Welt 37 501,0 23 253,9 100,0 5 900,1 100,0 29 154,0 100,0 75 662 100,0 + 3,4 + 39,1

Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, wie Deutschland dank der Tatkraft seiner Schiffahrtsgesellschaften und ihrer Unterstützung durch die Regierung, sich einer von Jahr zu Jahr steigernden Anteilnahme am Welthandel zu erfreuen hat. Hatte Deutschland im Jahre 1900 einen Anteil von 9,12% an der Welthandelsflotte, so ist dieser Anteil im Jahre 1912 auf 10,28 gestiegen.

Die größten Reedereien der Welt.

In erster Linie entfällt dieser Anteil Deutschlands am Welthandel natürlich auf Bremen und Hamburg. Wie hervorragend der Anteil gerade dieser beiden Reedereien an der Welthandelsflotte ist, ergibt sich aus folgender Übersicht.

Die größten Reedereien der Welt.
Name und Sitz der Schiffahrtsgesellschaft Flagge Zahl
der
Schiffe
1911
Brutto-Register-Tonnen
Ende 1912 Ende 1907 Zunahme
seit 1907
Hamburg-Amerika Linie, Hamburg deutsch 388 1 306 819 955 742 351 077
Norddeutscher Lloyd, Bremen deutsch 425 889 183 804 060 85 123
Ellermann Lines, London (einschl. Bucknall Lines) britisch 120 563 136 306 980 256 156
British India Steam Nav. Co., London britisch 118 553 422 455 251 98 171
White Star Line, Liverpool britisch 30 491 200 356 324 134 876
Alfred Holt u. Co., Liverpool britisch 67 481 537 341 036 140 501
Furneß, Withy u. Co., West Hartlepool britisch 108 429 667 235 818 193 849
Nippon Yusen Kaisha, Tokio japanisch 106 360 565 264 335 96 230

Weitere Entwicklungsmöglichkeiten.

Wie vor einem Jahrhundert durch die Einführung des Dampfschiffahrtsbetriebes eine neue Ära in der Schiffahrt begann, so stehen wir heute, wenn nicht alle Anzeichen trügen, [964] wiederum am Anfange einer neuen Epoche der Entwicklung. Der Dampfkraft hat sich die motorische Kraft hinzugesellt und, wenn wir auch heute noch nicht mit Sicherheit sagen können, welche Aufgaben der Motor für die Zukunft zu erfüllen berufen sein wird, so läßt sich doch bei weiterem Fortschreiten der technischen Wissenschaften von ihm zweifellos auch für die Schiffahrt noch großes erwarten.

Der Bau von Motorschiffen hat in den letzten Jahren außerordentlich schnell zugenommen. Nach einem Vortrage, den Professor Laas-Charlottenburg im Juni d. Js. auf der Jahresversammlung der Seeberufsgenossenschaft in Aachen gehalten hat, sind abgesehen von einer großen Zahl von Motorbooten, Unterseebooten, Küsten- und Flußschiffen (insbesondere auf der Wolga) in den Jahren 1908–1911 je 1–5 Motorschiffe für den Seeverkehr gebaut worden, 1912 aber schon 12 Schiffe mit ca. 17 000 Pferdestärken, 1913 sind bis zum 1. Juni 5 weitere Seeschiffe mit 9000 Pferdestärken in Fahrt gekommen, während noch 37 derartige Schiffe mit über 80 000 Pferdestärken in Bau sind; hierbei sind nur die nach dem Dieselsystem arbeitenden Motoren gerechnet, die nach Ansicht von Professor Laas allein Aussicht auf weitere Verbreitung in der großen Schiffahrt haben.

Trotz der kräftigen äußeren Entwicklung kann man jedoch noch nicht von einer endgültigen Lösung des Problems sprechen, da sich an den in Fahrt befindlichen Schiffen eine Reihe von Störungen technischer und wirtschaftlicher Natur gezeigt haben, die das Vertrauen der Reedereien auf die neue Antriebsart schwächen mußten. An technischen Störungen sind kleinere und größere Havarien an den Hauptmotoren oder den Hilfsmaschinen aufgetreten, die allerdings zum großen Teil als Kinderkrankheiten angesehen werden können, wie sie bei jeder bedeutenden technischen Neuerung überwunden werden müssen.

Das Haupthemmnis der Entwicklung in dieser Richtung bilden aber, augenblicklich wenigstens, für die Zentrale der Weltschiffahrt, für Westeuropa, die hohen Ölpreise, die zum Teil ihren Grund haben in der starken Steigerung der Nachfrage durch den Ölbedarf der Landmotoren, dazu kommt für Europa eine außergewöhnliche Steigerung der Frachtraten für das von Amerika kommende Öl, die gleichfalls eine Folge der starken Nachfrage sind, da die bisherigen Tankschiffe für den Transport des Öls über See nicht ausreichten. Im letzten Jahr sind jedoch über 100 Tankschiffe zur Beförderung von Öl gebaut oder in Auftrag gegeben; die Frachtraten können daher bald wieder normal werden, so daß zu erwarten steht, daß dann der Bau von Schiffsölmotoren von neuem kräftig einsetzen wird, zumal auch eine große Zahl der neuen Tankschiffe selbst Ölmotoren zum Antrieb der Propeller erhalten und somit zur Einführung derselben in die Schiffahrt wesentlich beitragen. Das Hauptprinzip des Ölbetriebes, die direkte Einspritzung des Brennstoffes in die Maschine, hat sich in seiner Anwendung auf Schiffen bereits voll bewährt. Der Bau von Ölmotoren für die Schiffahrt wird unter der geistigen Führung Deutschlands fast ausschließlich in Europa betrieben und zwar an nicht weniger als 52 Stellen. Hieran sind Holland, Schweiz, Dänemark, Schweden mit je einer bekannten großen Firma beteiligt, Belgien mit zwei, Italien mit drei, Österreich-Ungarn mit vier, Frankreich und Rußland mit je fünf und England mit acht Firmen, Deutschland aber mit der weitaus [965] größten Zahl, nämlich 21 Firmen. Die Zahl der Stellen, an denen man sich mit dem Bau von Schiffsölmotoren beschäftigt, zeigt am besten die große Bedeutung derselben für die Schiffahrt, die von der neuen Antriebsart gegenüber den Dampfmaschinenanlagen folgende Vorteile zu erwarten hat: 1. Fortfall der Kesselanlagen; 2. Fortfall der Heizer; 3. Ersparnis an Zeit, da der Brennstoff einfach, sauber und schnell übergenommen werden kann und 3–4 mal so weit reicht als die gleiche Menge Kohlen; 4. Gewinn an Raum und Gewicht.

Es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß es dem nimmer rastenden Erfindergeist gelingen wird, in absehbarer Zeit die noch vorhandenen technischen Schwierigkeiten und „Kinderkrankheiten“ zu überwinden, und daß dann wohl auch das Vertrauen der Reedereien zum Motorschiff in gleichem Maße wachsen wird, wie es seinerzeit beim Dampfschiff der Fall gewesen ist.

Wenn wir die ganze neuzeitliche Entwicklung unserer Schiffahrt vom primitiven Raddampfer „Die Weser“ bis zum „Imperator“ der Hapag und dem „Columbus“ des Norddeutschen Lloyd überblicken, so ergibt sich ein wahrhaft glänzendes Bild ernsten unermüdlichen Vorwärtsstrebens auf allen Gebieten der Schiffahrt, des Schiffbaus und der ihnen verwandten Betriebe, ein Bild, das in seiner Vollendung jeden Deutschen mit besonderem Stolz und besonderer Genugtuung erfüllen muß.

Vorteile einer entwickelten Schiffahrt.

Die Vorteile, die eine gut entwickelte Schiffahrt für den Handel hat, treten klar zutage, aber auch für das Gewerbe und insonderheit für das Schiffbaugewerbe ist sie von großer Bedeutung. Mit der Entfaltung der deutschen Schiffahrt hat das deutsche Schiffbaugewerbe eine gewaltige Anregung erfahren. Der Norddeutsche Lloyd hat seit dem Jahre 1894 seine Schiffe ausschließlich deutschen Werften in Auftrag gegeben und über 300 Millionen sind ihnen in dieser Zeit an Baugeldern zugeflossen. Aber eine weitere große Bedeutung hat die deutsche Schiffahrt für die deutsche Volkswirtschaft. Die großen Reedereien beschäftigen Tausende von Seeleuten und Angestellten und doch nimmt sich die Menge der in ihrem Betriebe Beschäftigten gering aus gegen die Zahl derjenigen, die in irgendeiner Weise indirekt für die deutsche Schiffahrt tätig sind. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, welche Anzahl von Bergarbeitern nötig ist, um allein die Unmenge von Kohlen zu hauen, die in einem Jahre von der Schiffahrt konsumiert wird. Und ähnlich wie der Bergbau, so erfahren auch eine Menge anderer gewerblicher Tätigkeiten, die Maschinenindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und viele andere eine bedeutende Belebung durch die Schiffahrt.

War die Schiffahrt einst lediglich ein Werkzeug des Handels, so ist sie heute der Pionier auf neuen Wegen geworden. „Trade follows flag“! Nachdem die Schiffahrt Verkehrsmöglichkeiten geschaffen hatte, heftete sich der Handel an seine Flagge, in engen Wechselwirkungen stehen Schiffahrt und die übrigen Zweige wirtschaftlicher Betätigung, unter denen kaum einer vorhanden ist, der nicht übergreift in den komplizierten weitverzweigten Betrieb, wie ihn die mächtigen Dampfer mit sich bringen, die heutzutage die Meere kreuzen.

[966]

Deutschlands Anteil am Welthandel.

Die ganz gewaltige Steigerung der Anteilnahme Deutschlands am Welthandel während des letzten Vierteljahrhunderts ist der beste Beweis für die Leistungsfähigkeit unsrer Seeschiffahrt.

Der gesamte Welthandel hat insbesondere vom Jahre 1885 ab, also so ziemlich zur Zeit des Regierungsantritts unseres Kaisers, eine große Steigerung aufzuweisen.

Von 1885–1905 trat eine Verdoppelung, bis 1912 bereits eine Verdreifachung des Welthandels ein. An dieser Steigerung haben natürlich in erster Linie der britische gesamte Außenhandel und der deutsche Anteil. Der letztere ist aber bedeutend mehr gestiegen als der britische, sowohl in bezug auf das absolute Maß als auch in bezug auf die Verhältniszahlen. Während der britische Handel in dieser Zeit von 10,7 Milliarden auf 27,4 Milliarden wuchs, stieg der deutsche von 5,8 auf 21,3 Milliarden. Während also vor einem Vierteljahrhundert die Beteiligung Deutschlands am Welthandel etwas über die Hälfte der Beteiligung Englands betrug, ist gegenwärtig die deutsche Beteiligung der englischen recht nahegekommen, obwohl diese in derselben Zeit auch um das zweieinhalbfache gestiegen ist. Die deutsche Beteiligung stieg allerdings fast um das vierfache. Bis zu der Zeit vor 25 Jahren hat Frankreich mit seinen Anteil am Welthandel noch einen Vorsprung vor Deutschland gehabt. Inzwischen ist Deutschland an die zweite Stelle gerückt mit 12,5% Anteil am Welthandel. Ihm folgen dann die Vereinigten Staaten von Nordamerika mit 9,8% und dann erst Frankreich mit etwa 9,3%. Es ist also, während in diesem Vierteljahrhundert der ganze Welthandel stark gewachsen ist, besonders der Anteil Deutschlands an diesem Welthandel gestiegen, und zwar ist das Wachstum der Anteilnahme Deutschlands bedeutend stärker als das anderer Länder.

Ausblick.

Trotz mancher Enttäuschung, schwerer Rückschläge, ernster Konkurrenzkämpfe hat die deutsche Schiffahrt sich eine hervorragende Stellung im Weltverkehr geschaffen, nicht durch künstliche Mittel, nicht durch Staatsunterstützung, sondern aus eigener Kraft. Daß dies geschehen konnte, danken alle Beteiligten unserem erhabenen Kaiser, dessen 25jähriges Regierungsjubiläum keine bessere Krönung erfahren konnte, als durch die glänzenden Erfolge, die die Kaiserliche Welthandelspolitik seit 1888 gezeitigt hat.

Als Kaiser Wilhelm II. im Juni 1888 an die Spitze des Deutschen Reiches trat, waren Deutschlands Handelsbeziehungen zum Auslande bereits mächtig emporgeblüht und Deutschlands Ansehen bei fremden Nationen im Steigen begriffen. Aber es fehlte noch die feste Grundlage, die es dem Deutschtum ermöglichte, über See dauernd festen Fuß zu fassen und angeknüpfte Beziehungen auszubauen. Der Mangel genügenden Schutzes deutscher Interessen im überseeischen Auslande machte sich mehr als je fühlbar und bildete den Gegenstand ernster und berechtigter Klagen deutscher Untertanen, die, von gesunder Unternehmungslust getrieben, sich im Auslande niedergelassen hatten oder dort deutschen Einfluß geltend zu machen strebten. Kein geringerer als der Kaiser war es, der dem deutschen Volke mit Erfolg klarmachte, daß die neue Zeit große Machtmittel erfordere, um den seit der Wiederherstellung des deutschen Reiches stark gewachsenen Überseehandel und [967] die nicht minder stark vermehrten deutschen Interessen im Auslande zu schützen und ihnen eine feste Basis für eine gedeihliche Entwicklung zu geben. Den „erkämpften Platz an der Sonne uns unbestritten zu erhalten, damit ihre Strahlen befruchtend wirken können auf Handel und Wandel nach außen, Industrie und Landwirtschaft nach innen und auch auf den Segelsport in den Gewässern“, bezeichnete der Kaiser als seine Aufgabe, „denn unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“. Mit aller Energie hat Kaiser Wilhelm II. sich die Erfüllung dieser Aufgabe angelegen sein lassen und durch unermüdliches Vorwärtsdrängen erreicht, daß Handel und Wandel nicht nur gewaltig gewachsen sind, sondern auch blühen und gedeihen und daß alle Welt sich bewußt ist, daß der deutschen Flagge, wo es auch immer sei, die Achtung nicht versagt werden darf, die ihr gebührt.

So hat auch die deutsche Schiffahrt unter dem Schutz der deutschen Kriegsflotte sich ausdehnen können zu imponierendem Umfange; so hat sie sich längst schon den zweiten Platz unter den Nationen gesichert.

Wo auch immer sich ihm Gelegenheit bot, hat der Kaiser mit allem Nachdruck und unter Einsetzung seiner ganzen Persönlichkeit sich auf das Erfolgreichste bemüht, dem deutschen Handel und Verkehr durch Schaffung einer starken Flotte hinreichenden Schutz zu Wasser und zu Lande zu gewähren und damit die Grundlage zu schaffen, auf welcher auch die deutsche Schiffahrt sich entfalten und die Produkte deutschen Geistes und deutschen Schaffens über die Meere tragen konnte.

Dank der kaiserlichen Initiative entspricht die deutsche Schiffahrt heute in weitem Umfange der Charakteristik, die Prinz Heinrich von Preußen vor einer Reihe von Jahren bei seiner Rückkehr aus dem fernen Osten vom Norddeutschen Lloyd gab, den er als „die feste Brücke für das Deutschtum, die deutsche Zivilisation und das deutsche Ansehen auf dem großen Meere“ bezeichnete.

Möge es der deutschen Schiffahrt nun und für alle Zeiten beschieden sein, den Aufgaben, die ihr als Vermittlerin des Warenaustausches und des Personenverkehrs zwischen dem deutschen Vaterlande und dem Auslande zufallen, vollauf gerecht zu werden, möge sie unter dem starken Schutz des Reichsoberhauptes weiterhin wachsen, blühen und gedeihen, zur Ehre und zum Segen des Vaterlandes und zum Nutzen aller, die in irgendwelchen Beziehungen zum Welthandel und Weltverkehr stehen. In diesem Sinne alle Zeit:


Volldampf voraus!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gegründete