Die Sixtinische Madonna (Die Gartenlaube 1894/49)

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Textdaten
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Autor: R. A. = Rosalie Braun-Artaria
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Titel: Die Sixtinische Madonna
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 824–825, 840
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[824–825]

Photographie im Verlage von Braun, Clément & Cie. in Dornach, Vertreter Hugo Grosser in Leipzig.

Die Sixtinische Madonna.
Nach dem Gemälde von Rafael.

[840] Die Sixtinische Madonna. (Zu dem Bilde S. 824 und 825.) Eine Festgabe will unser heutiges Blatt in doppelter Beziehung sein: nicht allein das in der Christnacht auf Erden erschienene Jesuskind will sie den Lesern vor Augen führen, sondern seine Verkörperung durch jenes Bild, dessen mächtiger Eindruck auf die Menschenseele ganz ebenso wirkt wie das hohe Fest selbst: der Lärm des Werkeltages verstummt vor ihm, und andachtsvolle Stille, ein beglücktes Gefühl der Erlösung von Erdenschwere breitet sich friedevoll in der Seele aus. Dies empfindet jeder, der in den Raum der Dresdener Gallerie eintritt, den die Sixtinische Madonna mit ihrer überirdischen Schönheit wie ein Heiligtum verklärt.

Rafael selbst, so viele Madonnen er vorher und nachher malte, hat den Gipfel dieser Leistung nicht zum zweitenmal erreicht; es müssen die glücklichsten inneren und äußeren Umstände seines vom Schicksal so reich begünstigten Lebens zusammen gewirkt haben, um einen solchen Guß aus dem Vollen, eine solche höchste Verkörperung menschlichen und göttlichen Wesens in einem Zuge aus der Schöpferkraft seines Innersten hervorbrechen zu lassen.

Die glücklichen ersten Besitzer waren die Benediktiner des Klosters S. Sisto in Piacenza, welche bei Rafael das Bild der Madonna mit dem heiligen Papst Sixtus und der heiligen Barbara als Altarblatt bestellten. Gemalt ist das 2,65 m hohe und 1,96 m breite Bild um das Jahr 1515. Man setzte seine Entstehung früher in das Jahr 1518–19, kurz vor Rafaels Tod, weil man gern annahm, daß dieses höchste seiner Madonnenbilder auch das letzte gewesen sei; diese Annahme ist jedoch, wie Springer in seinem Werke „Rafael und Michelangelo“ mit zwingenden Gründen nachweist, irrig. Zweifellos ist das Ganze von seiner eigenen Hand gemalt, obwohl ihn damals schon der ungeheure Andrang von päpstlichen und andern Bestellungen nötigte, die angelegten Entwürfe von Schülern ausführen zu lassen. Die Farben dieses herrlichen Bildes sind mit so leichten und breiten Strichen aufgetragen, daß es, gegen das Licht gesehen, transparent erscheint.

Die Madonna thront nicht, wie auf anderen Bildern Rafaels, umgeben von Heiligen, mit dem Jesusknaben auf dem Schoß, sondern sie schwebt, gleichsam in einer Vision angeschaut, aus dem Hintergrund des von unzähligen Engelsköpfchen erfüllten Himmels hervor. Der zu beiden Seiten zurückgezogene Vorhang gestattet irdischen Blicken das Eindringen in die himmlische Herrlichkeit. Die Jungfrau trägt den herkömmlichen blauen Mantel über rotem Unterkleid, ein lichtgrauer Schleier wölbt sich, durch den Luftzug gespannt, vom Haupt über die Schultern nieder. Die großen Augen sind geradeaus gerichtet mit einem von keiner Nachbildung erreichten wunderbaren Ausdruck von Unschuld und stiller Hoheit. Sie hält auf den Armen den Welterlöser in Kindesgestalt, sie drückt ihn nicht mit mütterlicher Zärtlichkeit ans Herz, sondern trägt ihn der Menschheit entgegen. Aus seinen ebenfalls dem Beschauer voll entgegenleuchtenden Augen spricht rein und groß die göttliche Natur, der schöne Kinderkörper hat bei aller Weichheit nichts mit kindlicher Hilflosigkeit gemein. Rechts von der Madonna kniet der prachtvolle päpstliche Greis im Goldbrokatgewand, er hat seine Tiara auf die Schranke gestellt, welche den himmlischen Vorgang von der irdischen Welt scheidet, mit erhobenem Haupte deutet er fürbittend heraus auf die gläubige Gemeinde. Die heilige Barbara hält, in Andacht versunken, demutsvoll die Blicke gesenkt. Unten aber auf die Schranke stützen sich die beiden liebreizenden Engelknaben, deren naive Anmut die erschütternde Großartigkeit des Bildes so überaus wohlthuend abschließt.